1. Zum Bestehen von Unfallversicherungsschutz im Fall eines Sturzes vom Dach einer Jugendherberge während eines mehrtägigen, durch den Ausbildungsbetrieb durchgeführten Einführungsseminars. 2. Es ist Teil eines gruppendynamischen Prozesses unter Jugendlichen und Ausdruck alterstypischer Unreife, wenn ein siebzehnjähriger Auszubildender mit dem Willen, einen gemeinsamen Abend mit weiteren Auszubildenden fortzusetzen und in dem Bewusstsein, dass der Flur durch eine Aufsichtsperson überwacht wird, über das Dach der Jugendherberge zum Nachbarzimmer klettert
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 5. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung eines Unfalls als Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung, den der 1997 geborene Kläger am 24.11.2014 während der Teilnahme an einem Einführungsseminar für Auszubildende des ersten Ausbildungsjahres des Internationalen Bundes (IB), Berufsbildungszentrum C-Haus R, in der Jugendherberge in L erlitten hat.
Der Kläger, bei dem eine Lernbehinderung besteht, begann im September 2014 eine integrative Ausbildung zum Fachpraktiker Hauswirtschaft beim Internationalen Bund (IB) R. Die Ausbildung wurde durch die Bundesagentur für Arbeit gefördert (im Rahmen von Leistungen nach § 112 Sozialgesetzbuch Drittes Buch <SGB III> i.V.m. §§ 33, 44 ff. Sozialgesetzbuch Neuntes Buch <SGB IX>, vgl. Bescheid über Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form von Ausbildungsgeld und Fahrtkosten vom 24.10.2014). Vom 24.11.2014, 10 Uhr, bis 26.11.2014, 14:30 Uhr fand in der Jugendherberge in L eine dreitägige Einführungsveranstaltung für die Auszubildenden des ersten Ausbildungsjahres des IB aus den Bereichen Küche, Hauswirtschaft, Farbe und Holz statt. Es nahmen insgesamt elf Auszubildende, darunter der Kläger, und deren Ausbilder teil. Nach der Unfallanzeige des IB vom 10.12.2014 kletterte der Kläger am Abend des ersten Seminartags gegen 23:00 Uhr aus dem Fenster seines Zimmers auf das Dach der Jugendherberge, um ins Nachbarzimmer zu den weiblichen Auszubildenden zu gelangen. Dabei rutschte er aus und fiel aus ca. 8 m Höhe auf den Boden. Er erlitt multiple Frakturen, u.a. im Bereich des linken Oberarms, des Beckens und der Wirbelsäule.
Die Erstversorgung erfolgte im Z Klinikum B. Laut Bericht vom 25.11.2014 wurde der Kläger als ansprechbar und orientiert sowie leicht alkoholisiert wirkend beschrieben. Es wurde ein Blutalkoholwert von 0,50 Promille dokumentiert. Der Kläger wurde nach Schockraumversorgung und computertomographischer Untersuchung noch in der Nacht in die berufsgenossenschaftliche Uklinik (BG-Uklinik) T verlegt (Diagnosen laut Verlegungsbrief: komplette proximale Oberarmfraktur links, drittgradige offene Unterarmfraktur links, vordere und hintere Beckenringfraktur beidseits, Lungenkontusion beidseits, Frakturen der Querfort-sätze LWK 1-4 links, Niere rechts mit fraglicher Malformation). Im Rahmen der dortigen bis 30.12.2014 dauernden stationären Behandlung erfolgte die operative Versorgung der Frakturen (vgl. Bericht BG-Uklinik T vom 30.12.2014). Anschließend erfolgte eine komplex-stationäre Rehabilitation bis zum 17.02.2015 (vgl. Berichte BG-Uklinik T vom 14.01.2015 und vom 19.02.2015). Am 05.02. 2015 wurde eine vollständige Schädigung des linken Nervus radialis diagnostiziert. Vom 10.04. bis 05.05.2015 erfolgte eine berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung (BGSW). Im Vordergrund stand eine massive Bewegungseinschränkung des gesamten linken Armes. Der Kläger wurde arbeitsunfähig entlassen; die Fortführung der Ausbildung zum Hauswirtschafter sei nicht leidensgerecht. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Ausmaß werde in jedem Fall verbleiben (vgl. Bericht BG-Uklinik T vom 12.05.2015). Zur Verbesserung der Bewegungsfähigkeit des linken Armes erfolgten im Rahmen von weiteren Operationen am 28.07.2015 und am 02.06.2016 offene Arthrolysen des linken Ellenbogens (vgl. Berichte BG-Uklinik T vom 29.07.2015 und vom 08.06.2016).
Der Unfall wurde der Unfallkasse Baden-Württemberg gemeldet, die den Vorgang mit Schreiben vom 17.03.2015 an die Beklagte weiterleitete. Noch gegenüber der Unfallkasse Baden-Württemberg teilte der Mitarbeiter des IB H (H.), der die Gruppe als Sozialarbeiter mit betreute, im Rahmen eines Telefongesprächs mit einem Sachbearbeiter mit, er habe um 23:15 Uhr eine Zimmerkontrolle gemacht. Im Zimmer des Klägers (belegt mit zwei Auszubildenden) sei es dunkel gewesen, es habe so ausgesehen, als ob beide schliefen. Sein eigenes Zimmer sei zwei Zimmer weiter gewesen. Ca. 10 Minuten nach der Kontrolle habe er ein lautes Geräusch gehört und dann das Schreien von Mädchen. Er sei in das Zimmer des Klägers gelaufen; dessen Bett sei leer und das Fenster offen gewesen. Der Zimmergenosse habe am Fenster gestanden und gesagt, der Kläger sei runtergefallen. Der Zimmergenosse habe wohl geschlafen, er habe erst etwas gemerkt, als der Kläger schon aus dem Fenster gewesen sei. Er habe ihm wohl auch noch zugerufen, er solle es lassen, aber es sei schon zu spät gewesen. H. habe weiter mittgeteilt, dass der Kläger ansprechbar gewesen sei, dass er angegeben habe, nichts getrunken und auch keine Drogen genommen zu haben. Auch Suizid sei ausgeschlossen, es sei lediglich aus Übermut gewesen (Telefonvermerk vom 04.12.2014).
Der Kläger selbst gab im Rahmen eines Versichertengesprächs am 16.02.2015 an, dass die Aufsichtspersonen am 24.11.2014 gegen 23:00 Uhr alle Teilnehmer in ihre Zimmer geschickt hätten. Er habe noch nicht schlafen wollen und beschlossen, zu den Mädchen im Nachbarzimmer zu gehen. Den Weg über den Flur habe er nicht einschlagen wollen, um keinen Ärger mit den Aufsichtspersonen zu bekommen. Er habe sich daher entschieden, über das Dach zu dem Zimmer der Mädchen zu kommen. Dabei sei er ausgerutscht und gestürzt.
Durch polizeiliche Zeugenvernehmungen wurde festgestellt, dass die elf teilnehmenden Jugendlichen in insgesamt vier Mehrbettzimmern im Dachgeschoss der dreistöckigen Jugendherberge untergebracht waren. Der Kläger bewohnte ein Zimmer mit dem Zeugen D (D). Daneben lag das Zimmer von drei Mädchen, u.a. der Zeugin M (M). Im Verlauf des Abends habe zwischen den Jugendlichen ein reger Austausch zwischen den Zimmern stattgefunden, der gegen 23:00 Uhr von dem aufsichtführenden Sozialarbeiter beendet worden sei. Dieser habe sich gegen 23:20 Uhr vergewissert, dass der Kläger und D in ihren Betten gelegen hätten und das Licht gelöscht sei. Gegen 23:30 Uhr habe der Kläger dann das Bett verlassen und sei aus dem Fenster geklettert. Nach den Angaben des Zimmergenossen habe der Kläger, bevor er aus dem Fenster gestiegen sei, gesagt, dass er zu den Mädchen ins andere Zimmer wolle (vgl. beigezogene Unterlagen der Staatsanwaltschaft H, Ermittlungsbericht, Polizeihauptkommissar D1, Bl. 211 ff. der Akten).
Mit Bescheid vom 02.07.2015 gewährte die Beklagte dem Kläger einen Vorschuss in Höhe von 2.000 € auf die voraussichtlich für November 2014 bis Juni 2015 zu gewährenden Geldleistungen; mit Bescheiden vom 24.09.2015 und 15.04.2016 wurden weitere Vorschüsse auf die voraussichtlich zu gewährenden Geldleistungen für die Zeit von Juli bis September 2015 bzw. Oktober und November 2015 in Höhe von 600 € bzw. 400 € gewährt. Dem Kläger wurde mitgeteilt, dass die Vorschüsse in vollem Umfang zurückzuzahlen seien, wenn die weitere Sachaufklärung oder die abschließende rechtliche Bewertung ergeben sollte, dass ein Leistungsanspruch nicht bestehe.
Mit Schreiben vom 27.11.2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, es werde davon ausgegangen, dass seit dem 15.10.2015 die Rehabilitation weitgehend abgeschlossen sei und Arbeitsfähigkeit für den nunmehr angestrebten Beruf des Einzelhandelskaufmanns sowie den bisher ausgeübten Beruf des Hauswirtschafters bestehe. Aus diesem Grund sei die etwaige Notwendigkeit von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht unfallbedingt und nicht zulasten der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen. Am 08.09.2016 begann der Kläger eine Ausbildung zum Fachpraktiker Küche, die ebenfalls in integrativer Form beim IB R durchgeführt und von der Agentur für Arbeit gefördert wurde.
In einem von der Beklagten veranlassten Ersten Rentengutachten vom 26.09.2016 schätzte S die verbliebene MdE auf unfallchirurgischem Fachgebiet auf 30 v.H. Nach einem ergänzend eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten von S1 vom 10.03.2017 bestehe auf neurologischem Fachgebiet eine Teilschädigung der drei handversorgenden Nerven auf der linken Seite. Seiner Ansicht nach handele es sich jedoch nicht um ein Unfallereignis im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies ergebe sich aus der aktuellen Rechtsprechung und der Handlungstendenz des Klägers. Aus psychiatrischer Sicht ergäben sich keine Hinweise für eine Reifungsverzögerung oder sonstige Störung der Einsichtsfähigkeit. Seiner Ansicht nach sei bei dem Hergang des Ereignisses auch keine besondere Gruppendynamik erkennbar. Soweit ein Unfall anerkannt werde, bedingten die Nervenschäden eine MdE um 60 v.H. Die Gesamt-MdE schätzte S (auch unter dem Gesichtspunkt Rente auf unbestimmte Zeit) auf 60 v. H.
Nunmehr leitete die Beklagte weitere Ermittlungen zu den Umständen des Unfalls ein (Aktenvermerk vom 04.07.2017). In diesem Zusammenhang gab der Kläger auf schriftliche Anfrage der Beklagten an, er habe den Abend mit zwei besten Freunden verbringen wollen. Die Frage, ob er von den Mädchen aufgefordert worden sei, beantwortete er mit nein. Er habe an dem Abend zwei Bier und einen Cocktail getrunken. Die Beklagte ließ den Zimmergenossen D, den Sozialarbeiter H. und weitere Teilnehmer der Veranstaltung durch die Stadt B1 nochmals vernehmen. D gab an, dass der Kläger mit den Mädchen per Handy Kontakt aufgenommen habe. Dann sei er ohne vorherige Ankündigung auf das Fenster geklettert, sei abgerutscht und abgestürzt. Eines der Mädchen aus dem Nachbarzimmer, M, gab an, dass der Kläger schon beim Einzug in die Jugendherberge angesprochen habe, die Mädchen in deren Zimmer besuchen zu wollen. Der die Gruppe betreuende Sozialarbeiter H. gab an, dass die komplette Gruppe den Abend unter seiner Anleitung bei Gruppenarbeiten (Übungen zur Kooperation) im Aufenthaltsraum verbracht habe. Die Atmosphäre sei gut gewesen, der Kläger gut integriert gewesen. Danach hätten sich die Teilnehmer auf den jeweiligen Zimmern besucht. Der Kläger sei überhaupt nicht aufgefallen. Er habe einige der Teilnehmerinnen bereits gekannt und sich mit ihnen – wie es bei Jugendlichen normal sei – ausgetauscht. Es herrsche auf diesen Freizeiten Alkoholverbot und er nehme an, dass er keinen Alkohol oder sonstige Drogen genommen habe. Grund für die Ausbildung über den IB sei seine Lernbehinderung. Diese sei bereits seit vielen Jahren dokumentiert. Vergleichbar äußerte sich die weitere Betreuerin, Frau L.-B. Die Gruppe habe sich absolut harmonisch verhalten, ohne Streitereien. Auch der Kläger habe sich verhalten wie immer. Einzig habe er als einziger Junge in der Gruppe Hauswirtschaft eine besondere Stellung als „Hahn im Korb“ gehabt, insoweit schon ein bisschen mehr Coolness an den Tag gebracht, aber auch nicht übertrieben. Er habe eine reine Lernbehinderung, sei entwicklungsverzögert.
Ergänzend zog die Beklagte das psychologische Gutachten von J vom 08.12.2012, erstellt für die Bundesagentur für Arbeit, bei. Der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt noch die Förderschule besuchte, wurde darin als vergleichsweise ausgeglichen beschrieben. Aufgrund unterdurchschnittlicher Testresultate (im Vergleich zu Hauptschülern) wurde ihm eine mittelgradige Lernbehinderung attestiert, die dauerhaft nur förderschulspezifische Ausbildungen zulassen werde.
Nach Auswertung der Zeugenaussagen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.01.2018 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls sowie die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 24.11.2014 ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei zwar grundsätzlich im Rahmen seiner Ausbildung, die durch die Agentur für Arbeit U gefördert werde, auch bei mehrtägigen Gemeinschaftsveranstaltungen versichert. Der Versicherungsschutz umfasse allerdings nur Tätigkeiten, die in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stünden. Private und eigenwirtschaftliche Tätigkeiten wie z.B. Essen, Trinken und Schlafen, seien nicht versichert. Bei der Nachtruhe komme es bei der Frage nach dem Versicherungsschutz auf besondere Gefahren der Unterkunft und auf eine etwaige unzureichende Beaufsichtigung an. Der Entschluss, durch das Fenster in das benachbarte Zimmer der Mädchen zu klettern, um so zu vermeiden, den Betreuern auf dem Flur zu begegnen, stehe grundsätzlich in keinem Zusammenhang mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit und sei somit dem privaten unversicherten Bereich zuzuordnen.
Eine Besonderheit im Rahmen der sogenannten Schülerversicherung bestehe allerdings darin, dass Gefährdungen nicht nur aus dem natürlichen Spieltrieb, sondern auch aus den auf dem typischen Gruppenverhalten beruhenden Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen resultieren könnten. Im Bereich der Schülerversicherung könne demnach unfallbringendes Verhalten auch dann versichert sein, wenn es Folge eines für Klassenfahrten typischen gruppendynamischen Prozesses gewesen sei, auf den ein Schüler aufgrund einer eventuell altersbedingten Unreife mit Gefahr bringendem Verhalten reagiere. Denkbar wäre beispielsweise ein Gruppenzwang, eine Mutprobe oder ein Druck, sich durch riskante Verhaltensweisen zu profilieren oder zu imponieren. Indizien dafür könnten etwa eine spürbare Spannung in der Gruppe, das konkrete Planen der Aktion sowie das Profilieren und Angeben mit der Tat sein. Im Fall des Klägers hätten die Ermittlungen ergeben, dass es keine Streitigkeiten und Provokationen gegeben habe. Vielmehr sei die Stimmung harmonisch gewesen. Der Kläger sei durch keine ungewöhnlichen Verhaltensweisen aufgefallen. Ein gruppendynamischer Prozess, wie ein Zwang oder Druck, sich beweisen zu müssen oder „cool“ zu sein, sei nicht erkennbar. Es sei zwar anzunehmen, dass der Kläger im Alter von 17 ½ Jahren noch nicht über die Reife eines Erwachsenen verfügt habe. Aus den vorliegenden Unterlagen ergäben sich jedoch keine Reifeverzögerung oder sonstige Störungen der Einsichtsfähigkeit. Zu beachten sei auch, dass er alkoholisiert gewesen sei. Dieser Umstand sei kein Indiz für einen gruppendynamischen Prozess und eine altersbedingte Unreife. Es sei bekannt, dass auch bei Erwachsenen Hemmschwellen und Gefahrenbewusstsein bei zunehmendem Alkoholspiegel abnehmen würden.
Mit Bescheid vom 21.02.2018 forderte die Beklagte die mit den Bescheiden vom 02.07.2015 und 24.09.2015 gewährten Vorschüsse in Höhe von 2.600 € vom Kläger zurück.
Die gegen beide Bescheide eingelegten Widersprüche begründete der Bevollmächtigte des Klägers dahingehend, dass der Kläger „der King“ gewesen wäre, wenn es ihm gelungen wäre, sich von den Betreuern unbemerkt in die Schlafräume der Mädchen zu schleichen. Diese hätten die Einhaltung der Nachtruhe überwachen müssen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich bereits im Laufe des Tages abgezeichnet habe, dass der Kläger immer wieder die Nähe zur Mädchengruppe gesucht habe. Auch der Hinweis darauf, dass die Nachtruhe strikt einzuhalten und der Besuch bei den Mädchen untersagt sei, reize einen pubertierenden Jugendlichen. Es handele sich um einen gruppendynamischen Prozess, der für das Betreuungspersonal vorherzusehen gewesen wäre. Insbesondere, wenn sie die ersten Erfahrungen mit alkoholischen Getränken machten, neigten Jugendliche in Gruppen Gleichaltriger wie bei einer überbetrieblichen Ausbildungsveranstaltung dazu, „über die Stränge zu schlagen“.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2018 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Der Widerspruchsausschuss werte das Klettern aus dem Fenster, um in das benachbarte Mädchenzimmer zu gelangen, als eigenwirtschaftliche und damit nicht versicherte Tätigkeit. Einen Zurechnungszusammenhang zwischen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit (Teilnahme an einem Lehrgang) und der konkreten Verrichtung zum Unfallzeitpunkt vermöge der Widerspruchsausschuss nicht anzunehmen. Auch wenn dem Kläger als zum Unfallzeitpunkt 17-jährigem die Reife und das Verantwortungsbewusstsein eines Erwachsenen noch gefehlt haben mögen, ergäben sich keine Hinweise auf eine Störung der Einsichtsfähigkeit oder einer Reifeverzögerung. Insofern vermöge der Hinweis auf eine nicht ausreichende geistige Reife, um zu erkennen, dass man beim Klettern aus dem Fenster abstürzen könne, nicht zu überzeugen. Das Klettern aus dem Fenster könne auch nicht als Ausdruck eines gruppendynamischen Prozesses gewertet werden. So hätten die vorgenommenen Zeugenvernehmungen der Betreuer und Mitauszubildenden keinerlei Hinweise auf etwaige Aufforderungen, Einladungen der Mädchen oder Provokationen ergeben. Es lägen auch keine Hinweise auf ein konkretes Planen der Tat oder ein Angeben mit der Tat vor. Aus Sicht des Widerspruchsausschusses fehle es an jeglichen Hinweisen, dass sich hier eine Gefahr realisiert habe, die ihren Ursprung in einem gruppendynamischen Prozesse habe. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass Jugendliche nach Alkoholkonsum „über die Stränge schlagen“. Der Konsum von alkoholischen Getränken führe auch bei Erwachsenen zum Absenken von Hemmschwellen und Gefahrenbewusstsein und fördere eine übersteigerte Selbsteinschätzung.
Zur Begründung der hiergegen am 24.07.2018 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, die Beklagte verkenne, dass den Auszubildenden der Konsum von Alkohol erlaubt gewesen sei. 17-jährige dürften Wein und Bier konsumieren. Selbst wenn nach der Hausordnung der Jugendherberge Alkoholkonsum untersagt gewesen wäre, so wäre dies lediglich ein weiterer Anreiz für die Jugendlichen gewesen. Gänzlich unglaubwürdig sei, dass kein gruppendynamischer Prozess vorgelegen haben solle, der den Kläger verleitet habe, das Wagnis zu begehen, aus dem Fenster zu klettern. Nach dem Polizeibericht habe im Laufe des Abends ein reger Austausch zwischen den Jugendlichen auf den Zimmern stattgefunden. Der Kläger habe sich unter dem Eindruck der Gruppendynamik entschieden, ins Mädchenschlafzimmer zu gehen.
Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 05.12.2019 den Kläger angehört und die Zeugen H. (Sozialarbeiter), M (Nebenzimmerbewohnerin) und D (Zimmergenosse) als Zeugen vernommen. Der Kläger hat angegeben, er habe die Mädchen alle von der Ausbildung her gekannt, die M schon seit dem Kindergarten. Die Jungen in der Gruppe habe er vorher nicht gekannt. Im Zimmer der Mädchen habe er zwei Wodka mit Orangensaft getrunken. Als der H. gekommen sei und die Teilnehmer ins Bett geschickt habe, habe er gesagt, dass er versuche, nochmal rüberzukommen. Er habe dann versucht, über das Dach zu den Mädchen zu kommen, da H. auf dem Flur aufgepasst habe. Die Zeugin M hat angegeben, den Kläger schon von ganz früher gekannt und dann in der Ausbildung wieder getroffen zu haben. Am Abend des Unfalls hätten sie im Mädchenzimmer Blödsinn gemacht, Musik gehört und gequatscht, auch heimlich Alkohol konsumiert. Um 22 Uhr sei Herr H. gekommen und habe gesagt, alle sollten jetzt in ihre Zimmer gehen. Sie hätten dann gefragt, ob sie noch etwas zusammenbleiben könnten. Herr H. habe das dann bis 23 Uhr erlaubt. Der Kläger habe dann, als er in sein Zimmer gemusst habe, gesagt, er komme über das Dach zurück. Dabei habe er gelacht. Sie hätten gedacht, er mache Spaß und nicht geglaubt, dass er das wirklich mache. Die Mädchen hätten den Kläger nicht gedrängt, über das Dach zu gehen. Eine weitere Teilnehmerin habe noch zu ihm gesagt, „das machst du sowieso nicht“. Sie seien halt Teenies gewesen und hätten noch länger zusammenbleiben wollen. Der Zimmergenosse des Klägers, D, hat ausgesagt, er sei auch kurz im Mädchenzimmer gewesen. Herr H. habe dann gesagt, sie müssten in ihre Zimmer gehen, was sie auch getan hätten. Der Kläger habe dann mit den Mädchen mit dem Handy geschrieben. Irgendwann habe er gemerkt, dass der Kläger aufstehe, das Fenster aufmache und hinausklettere. Als er selbst auch zum Fenster gekommen sei, habe er ihn nicht mehr erreichen und ihm nicht helfen können. Der Sozialarbeiter H. hat angegeben, die Jugendlichen hätten am ersten Einführungstag alle gut mitgemacht. Es habe keine besonderen Vorkommnisse gegeben. Die Jugendlichen hätten sich in den Zimmern noch gegenseitig besuchen dürfen. Er habe dann um 23 Uhr gesagt, sie sollten jetzt in ihre eigenen Zimmer gehen und dies auch kontrolliert, indem er noch im Flur geblieben sei. Plötzlich habe er dann Schreie gehört, dass der Kläger vom Dach gefallen sei.
Mit Urteil vom 05.12.2019 hat das SG die Bescheide vom 10.01.2018 und 21.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2018 aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger am 24.11.2014 einen bei der Beklagten versicherten Arbeitsunfall erlitten hat. Der Kläger sei nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) als Lernender während seiner beruflichen Ausbildung beim IB gesetzlich unfallversichert gewesen. Dieser Unfallversicherungsschutz erstrecke sich auch auf die von dem Träger der Ausbildung organisierte mehrtägige Gemeinschaftsveranstaltung in der Jugendherberge L. Allerdings sei der Versicherungsschutz nur bei solchen Tätigkeiten gegeben, die in innerem Zusammenhang mit der Gemeinschaftsveranstaltung stünden. Nicht versichert seien Tätigkeiten, die privaten Interessen des Versicherten dienten. Bei Unfällen in Zusammenhang mit mehrtägigen Klassenfahrten sei nach der Rechtsprechung zu berücksichtigen, dass von der gemeinsamen Unterbringung einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen besondere Gefahren ausgingen, die aus dem natürlichen Spieltrieb bzw. dem typischen Gruppenverhalten von Kindern und Jugendlichen resultierten (mit Verweis auf Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 07.11.2000 - B 2 U 40/99 R-). Soweit sich eine solche Gefahr realisiere, bestehe Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Zur Beurteilung des Zurechnungszusammenhangs zwischen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit „Schüler auf Klassenfahrt“ und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls sei, ausgehend von den Grundsätzen über den Versicherungsschutz bei Dienstreisen eine Gesamtbetrachtung vor allem unter Berücksichtigung der konkreten gruppendynamischen Situation und des Alters der Beteiligten vorzunehmen (mit Verweis auf BSG, Urteil vom 26.10.2004 - B 2 U 41/03 R -). Bei dieser Gesamtbetrachtung komme das Gericht im Gegensatz zu der Beklagten zu der Beurteilung, dass der Versuch des Klägers, über das Dach der Jugendherberge in das Zimmer der Mädchen zu gelangen, aus einem typischen Gruppenverhalten von Jugendlichen resultiere und unter Berücksichtigung des Alters des Klägers und seiner Persönlichkeit ein innerer Zusammenhang zu der Teilnahme an der Gemeinschaftsveranstaltung bestanden habe. Der Wunsch des Klägers, trotz der angeordneten Nachtruhe das Zimmer der Mädchen aufzusuchen, um weiter zu feiern und Spaß zu haben, resultiere aus einem typischen jugendlichen Gruppenverhalten. Eine für Jugendliche typische Gruppendynamik entstehe nicht erst dann, wenn Jugendliche sich gegenseitig provozierten und stritten. Der Versicherungsschutz werde nicht dadurch aufgehoben, dass der Kläger sich – objektiv betrachtet – in hohem Maße vernunftwidrig und gefahrbringend verhalten habe. Bei 17-jährigen habe das BSG eine alterstypische Unreife angenommen, ohne dass weitere Feststellungen im Einzelfall notwendig seien. Auch der vorangegangene Alkoholkonsum schließe den Zurechnungszusammenhang nicht aus. Mit Blick auf den im Krankenhaus B festgestellten Blutalkoholwert von 0,5 Promille habe weder ein Vollrausch vorgelegen noch eine so starke Alkoholisierung, dass diese für das Verhalten des Klägers von überragender Bedeutung gewesen wäre (mit Verweis auf Landessozialgericht <LSG> Hessen, Urteil vom 12.02.2008 - L 3 U 115/05 -). Unerheblich sei auch, dass die Mädchen den Kläger nicht zu seinem Verhalten aufgefordert hätten. Jugendtypische gruppendynamische Prozesse, die einen Versicherungsschutz auslösten, bestünden nicht nur in äußeren Handlungsabläufen, sondern lösten auch innere Vorgänge aus, die ihrerseits wieder zu einer Steigerung des äußeren Geschehens führen könnten (mit Verweis auf BSG, Urteil vom 07.11.2000, a.a.O.). Die Feststellung von S1, dass der Kläger nahezu volljährig war und seiner Ansicht nach keine Reifungsverzögerung oder Störung der Einsichtsfähigkeit vorgelegen habe, spreche ebenfalls nicht gegen den inneren Zusammenhang des Verhaltens mit der Gruppenfahrt. Das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 25.08.2003 (L 2 U 39/03), wonach bei altersentsprechender Einsichtsfähigkeit und Vollendung des 18. Lebensjahres zum Unfallzeitpunkt kein Versicherungsschutz mehr bestehe, sei vom BSG mit dem genannten Urteil vom 26.10.2004 aufgehoben worden. Danach müsse auch bei über 18-jährigen jungen Erwachsenen eine Gesamtbetrachtung durchgeführt werden. Dies gelte erst recht im Fall des Klägers, der zum Unfallzeitpunkt 17 Jahre alt gewesen sei. Der Sachverhalt, den das LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 25.09.2014 (L 6 U 2085/14) entschieden habe, unterscheide sich wesentlich von dem hier vorliegenden Sachverhalt. Das Urteil betreffe einen 17-jährigen Schüler, der während der Abiturfahrt mit zwei Freunden im Zimmer gefeiert und unter erheblichem Alkoholeinfluss gestanden habe. Um sich den Weg ins Freie zum Rauchen zu sparen, sei er aus dem Dachflächenfenster des zum Zimmer gehörenden Badezimmers gestiegen und dabei verunglückt. Das Gericht sei hier davon ausgegangen, dass die Bequemlichkeit und das „eigenwirtschaftliche“ Bedürfnis, zu rauchen und nicht ein gruppendynamischer Prozess für das Verhalten ursächlich gewesen sei. Das Urteil sei im Übrigen auf Kritik gestoßen (mit Hinweis auf Anmerkung von Hollo vom 02.04.2015, juris).
Gegen das ihr am 23.12.2019 zugestellte Urteil des SG hat die Beklagte am 14.01.2020 Berufung zum LSG Baden-Württemberg eingelegt.
Ein versicherter Arbeitsunfall liege ihrer Auffassung nach nicht vor. Schon im Rahmen eines Versicherungsschutzes nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII, den das erstinstanzliche Gericht angenommen habe, bestünde höchstens eine Versicherung als „Lernender“, nicht jedoch als Schüler im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII. Die Schülerunfallversicherung weise gegenüber der gewerblichen Unfallversicherung trotz nahezu identischer normativer Grundlage eine Reihe von Besonderheiten auf. Im Interesse des verletzten Schülers werde der „innere Zusammenhang“ zwischen dem Schulbesuch und der den Unfall verursachenden Tätigkeit wesentlich großzügiger interpretiert als bei Beschäftigten. Hinsichtlich des Tatbestandes nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB II sei in der Rechtsprechung ein aufgrund von „Neckereien“ erfolgter Sprung eines Teilnehmers einer Umschulungsmaßnahme aus dem Fenster eines Unterrichtsraums nicht als versicherte Tätigkeit angesehen worden (mit Verweis auf Hessisches LSG, Urteil vom 24.03.2015 - L 3 U 47/13 -, Rn. 20, 25). Vorliegend komme indes allein der – ausweislich der Gesetzesbegründung als lex specialis anzusehende – Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 14b SGB VII in Betracht. In den Fallkonstellationen, die den beiden durch das erstinstanzliche Gericht zitierten höchstrichterlichen Urteilen (B 2 U 40/99 R und B 2 U 41/03 R) zugrunde lägen, habe jedoch jeweils Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII bestanden. Bereits vor diesem Hintergrund bestehe nach Auffassung der Beklagten kein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit (Teilnahme und der durch die Bundesagentur für Arbeit geförderten Maßnahme) und der den Unfall verursachenden Tätigkeit (Klettern aus dem Fenster).
Ungeachtet dessen wäre eine solcher Zusammenhang – entgegen der Annahme des erstinstanzlichen Gerichts – selbst dann zu verneinen, wenn man die Besonderheiten der Schülerunfallversicherung zugrunde lege. Die vom SG herangezogenen Entscheidungen unterschieden sich jeweils in entscheidungserheblicher Weise vom hier vorliegenden Sachverhalt. Es sei zweifelhaft, ob ein 17½-jähriger einem „natürlichen und ungehemmten Spieltrieb“ noch unterliege (mit Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.09.2014, a.a.O., juris Rn. 23). Selbst wenn ein gefährliches Verhalten als das Ergebnis eines gruppendynamischen Prozesses betrachtet werden könne, stelle es ggf. dennoch keinen Ausfluss eines typischen Gruppenverhaltens von Jugendlichen dar (mit Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.12.2006 - L 9 U 781/05 -, Rn. 28). Ebenso sei es kein Merkmal gruppenspezifischer Dynamik und alterstypischer mangelnder Einsichtsfähigkeit, dass zunehmende Alkoholisierung Hemmschwellen und Gefahrbewusstsein absenke und übersteigerte Selbsteinschätzung fördere (mit Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.09.2014 - L 6 U 2085/14 -, juris Rn. 25). Vorliegend habe der Zeuge H. bereits die Nachtruhe verhängt, so dass zumindest eine danach geplante Zusammenkunft der Teilnehmenden keinen Zusammenhang mehr mit der durchgeführten Schulungsmaßnahme habe aufweisen können. Nach Anhörung der weiteren Teilnehmer als Zeugen (die divergierende Aussagen getätigt hätten) gehe die Beklagte davon aus, dass das Handeln des Klägers nicht Ausdruck oder Folge eines gruppendynamischen Prozesses gewesen sei, sondern ausschließlich eine individuelle (Fehl-)Entscheidung darstelle, die nicht durch vorheriges Handeln Dritter gefördert worden sei. Anders als bei der der Entscheidung des BSG vom 06.10.2020 (B 2 U 13/19 R) zugrundeliegenden Fallkonstellation (gemeinsame Nutzung einer von der Jugendherberge zur Verfügung gestellten „Hüpfburg“ durch Teilnehmer eines FSJ-Seminars) lasse sich im vorliegenden Fall weder eine erhöhte spezifische (Betriebs-)Gefahr feststellen noch habe ein vergleichbarer gruppendynamischer Prozess vorgelegen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 5. Dezember 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach klägerischer Auffassung habe das SG der Klage zu Recht stattgegeben. Anders als die Beklagte meine, habe eine gruppendynamische Situation vorgelegen. Nachdem der Kläger den Mädchen angekündigt habe, er werde die Nachtruhe umgehen und in ihr Zimmer zurückkommen, notfalls über das Dach, habe er bei ihnen eine entsprechende Erwartungshaltung geweckt. Der Kläger sei ein Getriebener und Gefangener seiner eigenen Worte gewesen – habe nur die Möglichkeit gehabt, der Held zu sein, wenn sein Vorhaben gelinge oder aber kläglich zu scheitern, wenn er erwischt würde. In dem Falle, dass er die Aktion nicht unternommen hätte, wäre sein Ruf in der Gruppe der Jugendlichen „ruiniert“ gewesen. Hierbei handele es sich um ein typisches Gruppenverhalten von spät pubertierenden Jugendlichen. Jedes Verbot, wie beispielsweise keinen Alkohol zu trinken und sich nach Beginn der Bettruhe nicht mehr in den Zimmern der Mädchen aufzuhalten, biete einen Reiz, dieses Verbot zu umgehen. Das SG habe richtig erkannt, dass es typisch für Jugendliche sei, Verbote und Anweisungen zu übertreten. Gerade aus seiner jugendlichen Unerfahrenheit habe der Kläger die ihm drohende spezifische Betriebsgefahr eines Absturzes beim Klettern aus dem Fenster nicht objektiv abschätzen können. Dies sei vom SG zutreffend als Unreife gewertet und im Rahmen des gruppendynamischen Prozesses berücksichtigt worden. Der IB habe durch die Abhaltung des Seminars eine erhöhte spezifische Gefahr für die Entfaltung leichtsinniger Spielereien durch die Jugendlichen einschließlich des damit verbundenen Verletzungspotentials geschaffen.
Die Berichterstatterin des Senats hat mit den Beteiligten am 23.11.2020 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem der Kläger nochmals Gelegenheit hatte, Angaben zum Ablauf der Ereignisse am Unfallabend zu machen. Insoweit wird auf den Inhalt des Protokolls Bezug genommen.
Mit Schriftsätzen vom 21.06.2021 und 23.06.2021 haben die Beteiligten einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe gemäß § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass der Kläger am 24.11.2014 einen bei der Beklagten versicherten Arbeitsunfall erlitten hat.
Gegenstand des Berufungsverfahrens sind neben dem Urteil des SG vom 05.12.2019 die Bescheide der Beklagten vom 10.01.2018 und vom 21.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2018, mit denen die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt und geleistete Vorschüsse in Höhe von 2.600 € zurückgefordert hat. Die vom Kläger zulässigerweise gegen die genannten Bescheide erhobene kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG vgl. hierzu u. a. BSG, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 46/03 R -, juris) ist auch begründet.
1. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Kraft Gesetzes sind (u.a.) versichert Beschäftigte (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII), Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII) und Personen, die an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit gefördert wird (§ 2 Abs. 1 Nr. 14b SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität; st. Rspr.; vgl. zuletzt BSG, Urteile vom 26.11.2019 - B 2 U 24/17 R -, vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R -, vom 05.07.2016 - B 2 U 16/14 R - und vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R -, alle juris).
Versicherter im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist jemand grundsätzlich nur wenn, solange und soweit er den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eigene Verrichtungen erfüllt. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und (subjektiv) – zumindest auch – auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese innere Tatsache der subjektiven Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten wird als "Handlungstendenz" bezeichnet. Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestands, soweit die Intention objektiviert ist (sog. objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung reicht hingegen nicht (BSG, Urteil vom 05.07.2016 - B 2 U 5/15 R -, juris Rn. 15 m.w.N.).
Allerdings hat das BSG – insbesondere im Bereich der Schülerunfallversicherung – mehrfach entschieden, dass gerade bei Kindern und Jugendlichen das alleinige Abstellen auf finale Kriterien wie die Handlungstendenz untauglich sein kann. Zwar gilt auch bei Klassen-, Dienst- und Geschäftsreisen, dass Versicherungsschutz nicht durchgängig während der gesamten Reise für jedwede Betätigung der Teilnehmer besteht. Ausgenommen vom Versicherungsschutz bleiben grundsätzlich überwiegend persönlichen Bedürfnissen dienende Verrichtungen wie Essen, Trinken und Schlafen (BSG, Urteil vom 05.10.1995 - 2 RU 44/94 -, juris Rn. 15). Anknüpfungspunkt der Wertung ist in zahlreichen vom BSG entschiedenen Fällen regelmäßig die Gefahr, die sich aus dem typischen Gruppenverhalten von Schülern oder Jugendlichen oder aus unzureichender Beaufsichtigung ergeben kann (vgl. ausführlich und m.w.N. BSG, Urteile vom 07.11.2000 - B 2 U 40/99 R - juris Rn. 17 ff. und vom 26.10.2004,a.a.O., juris Rn. 14 ff.; zuletzt BSG, Urteil vom 06.10.2020 - B 2 U 13/19 R -, juris Rn. 18 ff.). Gründe hierfür sind das "Übergangsstadium vom Kind zum werdenden Mann" (BSG, Urteil vom 25.03.1964 - 2 RU 242/61 -, juris Rn. 20), der noch ungebändigte jugendliche Spiel- und Nachahmungstrieb (BSG, Urteil vom 20.05.1976 - 8 RU 98/75 -, juris Rn. 20), der natürliche Spieltrieb junger Menschen (BSG, Urteil vom 05.10.1995 - 2 RU 44/94, juris Rn. 16 ff.), das (zwangsweise) Zusammensein vieler Schüler und Jugendlicher (BSG, Urteil vom 30.10.1979 - 2 RU 60/79 -, juris Rn. 18) einhergehend mit einem Gruppenverhalten vor allem bei Schülern im Pubertätsalter, die bei Auseinandersetzungen das Schubsen des Mitschülers dem sachlichen Gespräch vorziehen und in eine Rangelei oder sogar Schlägerei hineingleiten können (BSG, Urteil vom 30.10.1979 - 2 RU 60/79 -, juris Rn. 18). Dies gilt vor allem auf Klassenfahrten, bei denen sich der natürliche und insbesondere bei jüngeren Schülern noch ungehemmte Spieltrieb während der Fahrt besonders auswirken und "hochschaukeln" kann, während gleichzeitig eine ständige Aufsicht durch begleitende Lehrer "rund um die Uhr" nicht möglich ist (BSG, Urteil vom 05.10.1995 - 2 RU 44/94, juris Rn. 19.; BSG, Urteil vom 07.11.2000 - B 2 U 40/99 R -, juris, Rn. 19). Versicherungsschutz ist grundsätzlich zu bejahen, wenn sich die spielerische Betätigung eines Schülers noch im Rahmen dessen hält, was nach den Umständen des Falles nicht als völlig unverständlich oder vernunftwidrig zu erachten ist, mag es vielleicht auch unbesonnen oder leichtsinnig sein. Der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit entfällt erst dann, wenn der Geschädigte sich in so hohem Maße vernunftwidrig und gefahrbringend verhält, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, es werde zu einem Unfall kommen (BSG, Urteil vom 20.05.1976 - 8 RU 98/75 -, juris Rn. 24 m.w.N.). So hat das BSG etwa entschieden, dass ein siebzehnjähriger Schüler, der beim „Fensterklettern“ während einer Klassenfahrt stürzte, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand. Der Kletterei vorangegangen war eine „Kabbelei“ der Schüler untereinander, in deren Verlauf ein Mitschüler dem später verunfallten Mitschüler angekündigt hatte, er werde ihn einschließen (ob das Zimmer wirklich abgeschlossen war, blieb offen), was diesen veranlasste, per Zuruf mit den Mädchen im Nachbarzimmer Kontakt aufzunehmen und anschließend den Versuch zu unternehmen, aus dem Fenster zu diesen hinüberzusteigen. Einen sich steigernden gruppendynamischen Prozess hat das BSG in der Ereigniskette Kabbelei, Drohung des Einschließens, Kontaktaufnahme mit dem Mädchenzimmer, Ankündigung des Hinübersteigens, Hinübersteigen gesehen (BSG, Urteil vom 7.11.2000 - B 2 U 40/99 R -, juris Rn. 22 f.).
Eine schematische Altersgrenze, ab der gruppendynamische Prozesse von Schülern und Jugendlichen ausgeschlossen werden müssen, hat das BSG abgelehnt. Denn gruppendynamisches Verhalten im Prozess des Erwachsenwerdens sei nicht automatisch etwa mit Vollendung des 18. Lebensjahres beendet; es könnten individuelle Unterschiede in Reife und Einsichtsfähigkeit bestehen (BSG, Urteil vom 26.10.2004 - B 2 U 41/03 R -, juris Rn. 17 m.w.N.). Bei noch nicht volljährigen Versicherten – wie hier dem Kläger - ist das BSG allerdings regelmäßig davon ausgegangen, dass ihnen die Reife und das Verantwortungsbewusstsein eines Erwachsenen generell noch fehlt. Bei einem 17jährigen Versicherten könne daher – auch im Hinblick auf die Anwesenheit gleichaltriger Mädchen – eine noch typische Unreife angenommen werden, ohne dass weitere Feststellungen im Einzelfall notwendig wären (BSG, Urteil vom 07.11.2000, a.a.O., juris Rn. 21).
Es trifft nicht zu, wenn die Beklagte im Rahmen der Berufungsbegründung ausführt, dass der besondere Schutzumfang der Schülerunfallversicherung grundsätzlich nicht auf andere Versicherungstatbestände auszudehnen ist bzw. Modifizierungen der Anknüpfung an die Handlungstendenz in anderen Bereichen nicht in Betracht kommen. Ein Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit wurde vom BSG beispielsweise auch dann bejaht, wenn jugendliche Auszubildende durch die Gestaltung der Betriebsverhältnisse in die Lage versetzt wurden, sich durch leichtsinnige Spielereien und gruppendynamische Prozesse besonderen Gefahren auszusetzen (zusammenfassend BSG, Urteil vom 07.11.2000 - B 2 U 40/99 R -, juris Rn. 17; vgl. auch BSG, Urteile vom 30.09.1970 - 2 RU 150/68 -, juris Rn. 15; vom 21.01.1977 - 2 RU 23/76 -, juris Rn. 18; vom 29.08.1974 - 2 RU 65/74 -, juris Rn. 17; vom 05.10.1995 - 2 RU 44/94 -, juris Rn. 16). Auch in diesen Zusammenhängen hat das BSG Ausnahmen von dem Grundsatz, dass Unfälle durch Spielereien und Neckereien am Arbeitsplatz grundsätzlich als ein den Interessen des Betriebes zuwiderlaufendes Verhalten anzusehen und daher keine Arbeitsunfälle sind (vgl. nur Schwerdtfeger in Lauterbach, Unfallversicherung; Schmidt, SGB VII, § 8 Rn. 82, 83; LSG Hessen, Urteil vom 24.03.2015 - L 3 U 47/13 -, juris: Ein 27-jähriger Umschüler, der aufgrund der Neckerei einer Mitschülerin – Bespritzen mit Wasser – aus dem Fenster springt, steht mangels Vorliegens alterstypischen bzw. einer noch fehlenden Reife geschuldeten Verhaltens nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung) zugelassen und u.a. darauf abgestellt, ob der Unfall beispielsweise auf eine alterstypisch noch fehlenden Reife, einen natürlichen Spiel- und Nachahmungstrieb oder eine mangelnde Aufsicht zurückzuführen ist.
Zuletzt hat das BSG den inneren Zusammenhang zwischen unfallbringender Verrichtung und versicherter Tätigkeit als Beschäftigte erneut auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Schülerunfallversicherung bejaht: Die Benutzung eines im Garten einer Seminarstätte befindlichen Hüpfburg durch die – nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten – Teilnehmer eines FSJ-Seminars, die zur Verletzung einer Teilnehmerin geführt hatte, sei als versicherte Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII anzusehen, weil der Träger des FSJ eine erhöhte spezifische (Betriebs-)Gefahr durch die Abhaltung eines einwöchigen Seminars für Jugendliche sowie der mit dem Spielgerät „Hüpfburg“ verbundenen Verletzungsgefahr unter Berücksichtigung des Spieltriebs Jugendlicher geschaffen habe (BSG, Urteil vom 06.10.2020 - B 2 U 13/19 R -, juris Rn. 16 ff.) und dies wie folgt begründet: „Ausgehend von diesen Besonderheiten des Unfallversicherungsschutzes bei Jugendlichen ist bei Geschäfts- bzw. Seminarreisen von jugendlichen Arbeitnehmern auch eine auf dem altersbedingten unbändigen Spieltrieb und gruppentypischem Verhalten beruhende Handlung, die zu einem Unfall führt, als eine den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII begründende Tätigkeit anzusehen, wenn die jugendlichen Arbeitnehmer durch die besonderen Umstände der Seminarreise in die Lage versetzt wurden, sich durch leichtsinnige Spielereien und gruppentypisches Verhalten besonderen Gefahren auszusetzen. Hier ist eine Gesamtschau aller Umstände der Geschäfts- bzw. Seminarreise unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse der Unterkunft, der von ihr insbesondere für Jugendliche ausgehenden Gefahren, der konkreten gruppendynamischen Situation und des Alters der Beteiligten vorzunehmen. Dem liegt zugrunde, dass der Unternehmer durch die konkrete Gestaltung der Verhältnisse der Seminarreise wie z.B. die Wahl der Unterkunft, Zusammenstellung der Seminargruppe, Unterweisung der Seminarteilnehmer, Beaufsichtigung der Seminarteilnehmer spezifische Gefahren für das Ausleben des unbändigen Spieltriebs und gruppendynamischer Prozesse schaffen bzw. minimieren kann.“ (BSG, a.a.O., juris Rn. 20).
2. Als Teilnehmer an einer von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Ausbildungsmaßnahme war der Kläger kraft Gesetzes unfallversichert (§ 2 Abs. 1 Nr. 14b SGB VII). Mit der Teilnahme an dem von seinem Maßnahmeträger und Ausbildungsbetrieb IB veranstalteten Einführungsseminar für die Auszubildenden des ersten Lehrjahres stand der Kläger grundsätzlich bei allen Verrichtungen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, die im inneren Zusammenhang mit der Ausbildung standen. Er hat am Abend des 24.11.2014 auch einen Unfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erlitten, als er vom Dach der Jugendherberge L stürzte und sich dabei multiple Frakturen, u.a. im Bereich des linken Oberarms, des Beckens und der Wirbelsäule zuzog.
Unter Berücksichtigung der dargelegten rechtlichen Maßgaben, denen sich der Senat anschließt, ist das Klettern über das Dach der dreistöckigen Jugendherberge in Richtung des benachbarten Mädchenzimmers mit dem Willen, einen gemeinsamen Abend fortzusetzen und in dem Bewusstsein, dass der Flur durch eine Aufsichtsperson überwacht wurde, im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau noch als versicherte Tätigkeit anzusehen. Insbesondere fehlt es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht am inneren Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Verrichtung und der versicherten Tätigkeit.
Der Senat geht davon aus, dass auch nach Abschluss des abendlichen von den Betreuern organisierten Gruppenprogramms der Aufenthalt in den Zimmern der Jugendherberge vom organisatorischen Verantwortungsbereich des das Seminar veranstaltenden Ausbildungsbetriebes umfasst war. Das folgt daraus, dass Ziele des Einführungsseminars u.a. das gegenseitige Kennenlernen der Auszubildenden des ersten Lehrjahrs sowie wie eine Förderung des sozialen Verhaltens in der Gruppe waren und dies durch die gemeinsame Unterbringung in einer Jugendherberge mit Mehrbettzimmern ermöglicht und intensiviert werden sollte. So war von den Betreuern – nach Gruppen- und Kooperationsspielen im Rahmen des gemeinsamen Abendprogramms – das gegenseitige Besuchen in den Zimmern und das weitere gemeinsame Verbringen des Abends ausdrücklich toleriert und auf entsprechenden Wunsch der Teilnehmer hin noch von 22 Uhr bis 23 Uhr verlängert worden. Auch durch geselliges Beisammensein kann soziales Verhalten in der Gruppe als Ziel eines Lehrgangs für jugendliche Auszubildende gefördert werden.
Die unfallbringende Verrichtung stand auch in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Zwar gehörte die unfallbringende Handlung des zum Unfallzeitpunkt 17-jährigen Klägers (Klettern über das Dach zum Nachbarzimmer) weder objektiv zu einer nach seinem Ausbildungsvertrag bestehenden Haupt- oder Nebenpflicht noch konnte er subjektiv davon ausgehen, eine entsprechende Pflicht zu erfüllen. Der Versicherungsschutz wurde indes nicht dadurch aufgehoben, dass sich der Kläger mit seiner Kletterei – objektiv betrachtet – in hohem Maße vernunftwidrig und gefahrbringend verhielt. Denn sein Sturz war – wie auch schon vom SG angenommen – Folge seiner altersbedingten Unreife und eines für Jugendliche seines Alters typischen gruppendynamischen Prozesses.
Ausgangspunkt für die rechtliche Bewertung im Rahmen der nach den dargelegten Maßstäben vorzunehmenden Gesamtschau sind die folgenden Umstände, die für den Senat aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens, insbesondere der aktenkundigen Angaben des Klägers selbst sowie der weiteren Teilnehmer und Aufsichtspersonen im Rahmen ihrer Befragungen im Verwaltungsverfahren und durch das SG feststehen: Der Kläger nahm gemeinsam mit weiteren zehn Ausbildenden des ersten Lehrjahres an einer auf drei Tage angelegten Einführungsveranstaltung des Ausbildungsbetriebs IB teil. Die Teilnehmerinnen seines Ausbildungsbereichs (Küche, Hauswirtschaft) kannte der Kläger bereits, die weiteren männlichen Teilnehmer (Maler) kannte er noch nicht. Am ersten Abend, der nach Angaben sowohl der Teilnehmer als auch der Ausbilder harmonisch verlief, fanden im Rahmen von Gruppenarbeit Kooperationsübungen statt. Als einziger junger Mann in seiner Ausbildungsgruppe zeigte der Kläger eine gewisse, aber nicht übermäßige Coolness („Hahn im Korb“, wie es die vom SG vernommene Betreuerin ausgedrückt hat). Im Anschluss hielten sich die Teilnehmer in ihren Zimmern auf; der Kläger besuchte – zeitweise gemeinsam mit seinem Zimmergenossen D– erlaubtermaßen die drei Mädchen im Nachbarzimmer. Es wurde „Blödsinn gemacht, Musik gehört und gequatscht“, auch heimlich Alkohol konsumiert. Der Kläger trank nach seinen eigenen Angaben zwei Wodka Orange, was zu der später im Krankenhaus festgestellten Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille führte. Der Betreuer, der den Abend zunächst gegen 22 Uhr beenden wollte, konnte von den Auszubildenden überredet werden, noch eine Stunde zuzugeben. Gegen 23 Uhr forderte er die Teilnehmer auf, ihre Zimmer aufzusuchen. Der Kläger folgte dieser Aufforderung, kündigte den Mädchen, mit denen er den Abend verbracht hatte, jedoch vorher an, dass er über das Dach ins benachbarte Mädchenzimmer zurückkommen werde. Die Mädchen hielten diese Ankündigung für einen Spaß und brachten dies auch zum Ausdruck. Mindestens eine Teilnehmerin sagte zum Kläger, dass er das sowieso nicht machen werde. Der Betreuer H. kontrollierte die Einhaltung der Bettruhe etwa gegen 23.30 Uhr. Er hielt sich auch weiterhin jedenfalls zeitweise im Flur auf, was die Teilnehmer wussten. Der Kläger und sein Zimmergenosse beschäftigten sich im Bett mit ihren Handys, wobei letzterer meinte, der Kläger habe mit den Mädchen kommuniziert, während der Kläger selbst dies verneinte. Nach dem Kontrollbesuch der Aufsichtsperson H. stand der Kläger wieder auf, öffnete das Fenster und kletterte auf das Dach, um auf diesem Weg zum Mädchenzimmer zu gelangen und den gemeinsamen Abend fortzusetzen. Dabei verlor er den Halt, stürzte aus etwa 8 m Höhe auf den Boden und zog sich die oben beschriebenen Verletzungen zu.
Eine besondere Betriebsgefahr vermag der Senat nicht festzustellen. Anders als wohl der Bevollmächtigte des Klägers nahelegen möchte, bedingt allein die Lage der Zimmer im Dachgeschoss noch keine besondere Absturzgefahr und damit auch keine spezifische Betriebsgefahr, die der ausbildende Betrieb durch die Abhaltung des Seminars in gerade dieser Jugendherberge hätte begründen können. Anhaltspunkte dafür, dass etwa die Fenster nicht hinreichend gesichert gewesen wären, bestehen nicht. Allein die Tatsache, dass sich das Zimmer des Klägers im Dachgeschoss der Jugendherberge befand und sich dessen Fenster offensichtlich so weit öffnen ließ, dass es dem Kläger möglich war, auf das Dach zu klettern, schafft keine besonders erhöhte spezifische Gefahr (anders z.B. bei Nutzung eines von der Seminareinrichtung zur Verfügung gestellten Hüpfkissens als unfallträchtiges Sportgerät, s.o., vgl. BSG, Urteil vom 06.10.2020 – B 2 U 13/19 R -, juris Rn. 16 ff.).
Versicherungsschutz folgt auch nicht bereits daraus, dass die Betreuer etwa ihre Aufsichtspflicht verletzt hätten. Zwar kann grundsätzlich eine verbotene, privaten Zwecken dienende und folglich regelmäßig nicht versicherte Betätigung von Schülern während einer Klassenfahrt aufgrund unzureichender Aufsicht der Lehrer unfallversichert sein (BSG, Urteil vom 25.01.1977 - 2 RU 50/76 -, juris Rn. 17; LSG Hessen, Urteil vom 21.11.2006 - L 3 U 154/05 -, juris Rn. 27). Dies dürfte auf Gruppenveranstaltungen mit minderjährigen Auszubildenden zu übertragen sein. Allerdings vermag der Senat vorliegend die Verletzung einer Aufsichtspflicht nicht zu erkennen: Denn der Sozialarbeiter H. hatte die Nachtruhe angeordnet, sie durch Zimmerkontrollen überwacht und sich anschließend noch weiter zeitweise im Flur der Jugendherberge aufgehalten. Weitere denkbare Kontroll- oder Einwirkungsmöglichkeiten für die Aufsichtspersonen sind nicht ersichtlich.
Nicht nur durch Kabbeleien und Streitereien, sondern auch wie vorliegend durch das gemeinsame Verbringen des Abends nach Abschluss des offiziellen Schulungsprogramms bei Musik, Gesprächen, „Quatsch machen“ und (in Maßen) Alkoholgenuss kann nach der Überzeugung des Senats ein gruppendynamischer Prozess in Gang gesetzt werden. Nach den übereinstimmenden Angaben sowohl der Teilnehmer als auch der Betreuer hat sich der Kläger insbesondere mit den Mädchen seiner Ausbildungsgruppe gut verstanden. Als der Betreuer H. das erste Mal versuchte, den Abend zu beenden, haben die Teilnehmer dies insbesondere dadurch deutlich gemacht, dass sie eine „Verlängerung“ erbeten und auch (um eine Stunde) erhalten haben. Es erscheint nachvollziehbar und gruppentypisch, dass der Kläger dann – nach erneuter Aufforderung durch H., nun das eigene Zimmer aufzusuchen – den Wunsch verspürt hat, den Abend ein weiteres Mal „zu verlängern“. Seine Idee, den Flur zu vermeiden und nach einem anderen Weg zu suchen, ist insoweit ebenfalls einem gruppendynamischen Prozess entsprungen. Nach der entsprechenden Ankündigung, über das Dach zurückzukommen, die die Mädchen mit Unglauben („das machst du sowieso nicht“) quittiert haben, ist der Kläger, dem seitens seiner Betreuerin als einzigem männlichen Auszubildenden im Kreis seiner Kolleginnen das Streben nach einer gewissen „Coolness“ attestiert wurde, auch aus Sicht des Senats in einen gewissen Zugzwang geraten. Auch dies sieht der Senat als Teil eines sich steigernden gruppendynamischen Prozesses, der durch die Anordnung der Nachtruhe und Rückkehr des Klägers in sein eigenes Zimmer auch nicht unterbrochen wurde.
Anders als die Beklagte meint, ist mit der Beendigung des Zusammenseins durch den Betreuer Versicherungsschutz nicht ausgeschlossen. Denn der begonnene gruppendynamische Prozess hatte mit der Rückkehr des Klägers in sein Zimmer noch nicht sein Ende gefunden. Gruppendynamische Prozesse bestehen nicht nur in äußeren Handlungsabläufen, sondern lösen auch innere Vorgänge aus, die ihrerseits wieder zu einer Steigerung des äußeren Geschehens führen können (so auch BSG, Urteil vom 07.11.2000 – B 2 U 40/99 R -, juris Rn. 23; BSG, Urteil vom 05.10.1995 - 2 RU 44/94 -, juris Rn. 20: Gerade der Zeitraum zwischen der angeordneten Nachtruhe und der tatsächlich eintretenden Ruhe sei im Hinblick auf das gruppendynamische Verhalten „besonders kritisch“). Mit Blick auf den aufgezeigten gruppendynamischen Prozess ist der Kläger gerade nicht eingeschlafen (was den Beginn einer privaten Verrichtung markieren würde), sondern er hat sich, nachdem der Zeuge H. im Rahmen der Zimmerkontrolle keine Auffälligkeiten wahrgenommen hatte, offensichtlich schlafend gestellt. Auch dieses Verhalten sieht der Senat als jugend- bzw. gruppentypisches Verhalten an: Der Kläger wollte die Aufsichtspersonen täuschen, um im Anschluss den aus seiner Sicht noch nicht beendeten geselligen Abend fortzusetzen. Ob aus den Zimmern heraus Handykommunikation zwischen den Mädchen und dem Kläger stattgefunden hat, konnte nicht abschließend geklärt werden (der Zimmergenosse D hatte das angenommen, der Kläger selbst verneint). Wenn dem so wäre, wäre hierin eine Aufrechterhaltung der Gruppenkommunikation und -dynamik zu sehen. Letztlich kann die Frage offenbleiben, denn jedenfalls haben die Mädchen nach dem Ergebnis der gerichtlichen Sachaufklärung auch nichts unternommen, um den Kläger von seinem Vorhaben abzuhalten. In Kenntnis der Tatsache, dass der Flur durch die Aufsichtspersonen überwacht wurde, hat der Kläger im Anschluss und im Sinne einer Fortsetzung des gruppendynamischen Prozesses seine Ankündigung wahrgemacht, ist aus dem Fenster gestiegen und dabei abgestürzt.
Der Auffassung der Beklagten, Versicherungsschutz sei insbesondere deshalb ausgeschlossen, weil das Handeln des Klägers nicht als Ausfluss eines typischen Gruppenverhaltens von Jugendlichen, sondern als individuelle Fehlentscheidung anzusehen sei (jugendtypisches Gruppenverhalten etwa verneint in Entscheidungen des LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 05.12.2006 - L 9 U 781/05 -, juris Rn. 28 <nächtliches Rodeln einer kleinen Schülergruppe> und vom 25.09.2014 - L 6 U 2085/14 -, juris Rn. 24 <Rauchen auf dem Dach aus individueller Bequemlichkeit> und des LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.06.2020 - L 3 U 4/17 -, juris Rn. 53 < „Loksurfen“ auf dem Heimweg von der Schule>), vermag sich der Senat nicht anzuschließen: Die Idee, wegen der Beaufsichtigung des Flurs über das Dach zurückzukommen, erscheint dem Senat nicht derart „völlig vernunftwidrig“ oder „völlig unverständlich“ im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 20.05.1976 - 8 RU 98/75 -, juris Rn. 24), dass die versicherte Tätigkeit für den Kausalverlauf nicht mehr als wesentlich angesehen werden kann. Bei dem zum Unfallzeitpunkt 17jährigen Kläger kann insbesondere mit Blick auf die bei ihm bestehende Lernbehinderung (die Betreuerin hat in ihrer Zeugenaussage auch eine Entwicklungsverzögerung genannt) ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass ihm die Reife und das Verantwortungsbewusstsein eines Erwachsenen noch gefehlt hat. Die Idee, die Konfrontation mit einer eventuell im Flur befindlichen Aufsichtsperson durch die Nutzung eines anderen „Weges“ zu vermeiden, erscheint nicht völlig unverständlich, sondern durchaus naheliegend. Die dann vom Kläger gewählte „Lösung“, über das Dach zum Nachbarzimmer zu klettern, hält der Senat zwar für unvernünftig und leichtsinnig, aber doch nicht komplett fernliegend. Bei einer Kletterei auf einem leicht geneigten Dach in 8 m Höhe von einem Zimmer zum nächsten musste der Kläger mit Blick auf seine individuelle Einsichtsfähigkeit und Reife auch nicht „mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen“ (BSG a.a.O.), dass es zu dem Unfall kommen würde. Vielmehr hat sich der Kläger – gerade aufgrund seiner altersbedingten Unreife – zugetraut, das Nachbarzimmer unfallfrei zu erreichen. Diese Selbstüberschätzung hält der Senat für jugendtypisch und unter Berücksichtigung des konkreten Sachverhalts auch noch nicht völlig vernunftwidrig.
Der nach der Hausordnung der Jugendherberge verbotene, vom Kläger nicht bestrittene Konsum von Alkohol (Wodka-Orange), der zu der im Krankenhaus festgestellten Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille geführt hat, lässt den Versicherungsschutz ebenfalls nicht entfallen. Nach der Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, ist dies nur dann der Fall, wenn allein die Trunkenheit wesentliche Ursache für den Unfall war (BSG, Urteil vom 25.11.1992 - 2 RU 40/91 -: 1,1 Promille; Hessisches LSG - L 3 U 115/05 -, juris). Hierfür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte. Keiner der vernommenen Zeugen hat den Kläger als betrunken beschrieben; auch im erstversorgenden Krankenhaus ist er als ansprechbar, orientiert und lediglich leicht alkoholisiert wirkend eingeschätzt worden. Besondere Auswirkungen einer Alkoholisierung sind damit nicht dokumentiert.
Das versicherte Klettern auf das Dach der Jugendherberge hat den Unfall und dieser die erlittenen Gesundheitsschäden auch rechtlich wesentlich verursacht, weshalb der Kläger gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII infolge einer versicherten Tätigkeit verunglückt ist.
Daher hat die Beklagte zu Unrecht die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt und die Erstattung der geleisteten Vorschüsse verlangt. Das SG hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger am 24.11.2014 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.