S 22 AS 16/21 ER

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
SG Osnabrück (NSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Osnabrück (NSB)
Aktenzeichen
S 22 AS 16/21 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Beschluss

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 21.01.2021 bis zunächst zum 30.04.2021 iHv anteilig 360,52 € für die Zeit vom 21.01.2021 bis 31.01.2021 und für die Zeit vom 01.02.2021 bis 30.04.2021 iHv monatlich 1.016,00 €, ausgehend von einem monatlichen Regelbedarf iHv 446,00 € sowie tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung iHv 570,00 € (450,00 € Grundmiete, 40,00 € Nebenkosten und 80,00 € Heizkosten), zu bewilligen.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II aufgrund der behördlichen Schließungsanordnung ihres Betriebes seit dem 16.12.2020.

Die 1970 geborene Antragstellerin ist selbständige Friseurmeisterin und alleinige Inhaberin eines Friseursalons in A-Stadt, D. Ihr Gewerbe hat sie seit dem 14.11.2006 angemeldet. Angestellte hat die Antragstellerin nicht. Die Antragstellerin ist seit dem Jahre 2008 geschieden und hat zwei Töchter (17 und 20 Jahre alt), welche bei ihrem Vater wohnen. Die Antragstellerin bewohnt seit dem 01.08.2017 allein eine 85 qm große Drei-Zimmer-Wohnung, für die sie eine monatliche Kaltmiete von 450,00 € zzgl. 40,00 € Nebenkostenvorauszahlung sowie 80,00 € Heizkostenvorauszahlung zu entrichten hat.

Aufgrund § 10 Nr. 9 der Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) in der ab dem 16.12.2020 gültigen Fassung, zuletzt geändert am 08.01.2021, musste die Antragstellerin ihr Friseurgeschäft ab dem 16.12.2020 schließen.

Am 28.12.2020, beim Antragsgegner eingegangen am 29.12.2020, stellte die Antragstellerin aufgrund der coronabedingten Schließung ihres Friseurbetriebs einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II und verwendete hierzu das von der Bundesagentur für Arbeit herausgegeben Formblatt für den vereinfachten Antrag für Bewilligungszeiträume in der Zeit vom 01.03.2020 bis 31.03.2021 und kreuzte u.a. an, über kein erhebliches Vermögen zu verfügen. Als Anlagen wurden ein Versicherungsschein der A. Versicherungen, der Personalausweis sowie der Mietvertrag benannt. Die Antragstellerin gab in dem Antrag u.a. an, privat renten- und krankenversichert zu sein.

Mit Schreiben vom 30.12.2020 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin u.a. dazu auf, das eigene Erstantragsformular des Antragsgegners nochmals ausgefüllt und unterschrieben zurückzusenden sowie nochmals ihren Personalausweis, Angaben zur Erwerbsfähigkeit, lückenlose Kontoauszüge seit dem 01.07.2020 von sämtlichen Konten, den Vordruck EKS über abschließenden Angaben für den Zeitraum 01.06.2020 bis 30.11.2020 sowie eine Prognose für die Zeit vom 01.01.2020 bis 31.05.2021, das Kassenbuch ab dem 01.07.2020, die betriebswirtschaftliche Auswertung für das Jahr 2020, die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2018 und 2019 sowie eine Stellungnahme darüber abzugeben, wie der Lebensunterhalt in den letzten 6 Monaten sichergestellt worden sei. Auf die Folgen fehlender Mitwirkung wurde die Antragstellerin hingewiesen.

Mit Schreiben vom 04.01.2021 teilte die Antragstellerin mit, dass sie darauf hinweisen wolle, dass sie aufgrund der behördlichen Anordnung seit dem 16.12.2020 nicht arbeiten dürfe, Fragen zur Erwerbsfähigkeit mithin nicht zur Diskussion stehen dürften. Sie habe keinerlei Einkünfte seit dem 16.12.2020. Sie habe deshalb den vereinfachten Antrag auf Grundsicherungsleistungen gestellt und dabei u.a. angegeben, auch über kein erhebliches Vermögen zu verfügen. Die vor Antragstellung erwirtschafteten Einnahmen dürften daher nicht relevant sein. Das in einem am 29.12.2020 geführten Telefonat angekündigte „richtige“ Antragsformular sei zudem noch nicht angekommen.

Am 11.01.2021 erreichte den Antragsgegner der ausgefüllte Antrag der Antragstellerin nebst Anlagen vom 09.01.2021. Zu den Einkommensverhältnissen gab die Antragstellerin dabei an, aufgrund der coronabedingten Schließung derzeit kein Einkommen und auch kein sonstiges/weiteres (Neben-)Einkommen zu erzielen. Sie versicherte, im Übrigen auch keine Produkte, Gutscheine etc. anzubieten. Zu den abgefragten Schulden sowie erzieltem Einkommen vor Dezember 2020 gab die Antragstellerin an, dass dies nicht relevant sei. Erzieltes Einkommen vor Antragstellung stelle Vermögen dar. Zum Nachweis u.a. der Einkünfte vom 01.12.2020 bis 15.12.2020 legte die Antragstellerin die Kontoauszüge für die Zeit vom 01.12.2020 bis zum 31.12.2020 vor. Als Einkommensprognose für die Zeit vom 01.12.2020 bis 31.05.2021 gab die Antragstellerin an, dass seit dem 16.12.2020 0,00 € an Einnahmen erzielt würden bis zum Ende des Lockdowns. Dem Antrag beigefügt war ferner eine Mietbescheinigung ihrer Vermieterin (Bl. 52f. der eAkte).

Mit Schreiben vom 13.01.2021 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin zur Vorlage des beiliegenden E-Bogens, des Ergänzungsbogens E3, S und VC - vervollständigt und unterschrieben – auf, zur vom Vermieter ausgefüllten und unterschriebenen Vorlage der beiliegenden Mietbescheinigung, zur Vorlage von lückenlosen Kontoauszügen zu allen vorhandenen privaten und geschäftlichen Konten sowie Paypal-Konten ab dem 01.07.2020 bis Abgabetag (es seien lediglich Kontoauszüge zu einem Geschäftskonto für den Monat Dezember 2020 vorgelegt worden), nochmals zur Vorlage des Personalausweises, des Sozialversicherungsausweises, der betriebswirtschaftlichen Auswertung für 2020, eines ordentlich geführten Kassenbuchs ab dem 01.07.2020 bis Abgabetag sowie zur Stellungnahme, aus welchen Mitteln der Lebensunterhalt in den vergangenen Monaten sichergestellt worden sei, auf. Er wies ferner darauf hin, dass § 67 SGB II nicht zu entnehmen sei, dass die Regelungen des SGB II zur Feststellung der Hilfebedürftigkeit außer Kraft gesetzt worden seien. Einzelne Vorschriften seien leidglich in einzelnen Punkten erleichtert worden. Weiter erlasse § 67 SGB II nicht die Pflicht zur Vorlage aller notwendigen Unterlagen und der Abgabe von Erklärungen, um Hilfebedürftigkeit festzustellen. Es sei deshalb entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht ausreichend, lediglich den Vordruck VA der Bundesagentur für Arbeit einzureichen und zwei Nachweise vorzulegen. Auch gemäß den Regelungen der Bundesagentur wäre sie zur Vorlage diverser Formulare verpflichtet, um Hilfebedürftigkeit nachzuweisen.

Die Antragstellerin legte daraufhin (Bl. 83 ff. der eAkte) weitere Belege, u.a. Kontoauszüge vom 01.01.2021 bis 18.01.2021 vor und legte ihre Einnahmen (5.455,00 €) und Ausgaben (1.170,09 €) aus ihrem Friseurgeschäft vom 01.12.2020 bis 15.12.2020 dar. Für Januar bis Mai 2021 gab sie ihre Einnahmen mit 0,00 € an, Ausgaben für Januar iHv 1.042,69 € (inkl. jährlich zu zahlender Versicherungen), für Februar iHv ca. 3.347,11 € (inkl. jährlicher zu zahlender Versicherungen und Zahlungen an das Finanzamt), für März iHv 938,59 € und für April und Mai iHv 850,11 €. Sie wies dabei darauf hin, dass die Einnahmen iHv 5.455,00 € die Bruttoeinnahmen für die Zeit vom 01.12.2020 bis zum 15.12.2020 darstellen würden und nicht „normale“ Monate abbildeten. Es habe sich um das Weihnachtsgeschäft gehandelt und durch den bevorstehenden angekündigten Lockdown zu Mitte Dezember habe sie bis zu 12 Stunden täglich gearbeitet. Sie versichere nochmals, dass keine Gutscheine, Pflegeprodukte oder Ähnliches zum Kauf angeboten würden. Im Ergänzungsbogen VC gab die Antragstellerin nochmals an, über kein erhebliches Vermögen zu verfügen. Sie gab an, ein Girobusinesskonto zu besitzen, welches sie privat und geschäftlich nutze, ein Paypal-Konto, welches sie rein privat nutze, ohne Guthaben zu haben sowie bei der DekaBank eine Geldanlage zu besitzen, welche seit ca. 1 Jahr ruhend gestellt sei und ein Guthaben von 500,00 € aufweise. Ferner habe sie seit Kurzem eine Rürup-Rente, in welche sie ca. 1.200,00 € eingezahlt habe. Bei der Schuldenübersicht gab sie ihr zwischenzeitlich mit 1.500,00 € überzogenes Konto, ein Darlehen bei der Sparkasse zur Tilgung einer Schuld über 25.000,00 € beim Finanzamt sowie eine Autofinanzierung über die B. Bank an, welche anteilig über das Geschäft laufe. Auch überreichte die Antragstellerin ausgefüllten Ergänzungsbogen E sowie den durch die Vermieterin ausgefüllten und unterschrieben Mietbescheinigungsvordruck. Zu der Sicherstellung des Lebensunterhalts in den letzten Monaten teilte die Antragstellerin mit, dass sie bis zum 15.12.2020 gearbeitet hätte. Sie habe bis vor dem 16.12.2020 von den Einnahmen ihres Friseurgeschäfts gelebt. Dies habe aufgrund behördlicher Anordnung und zum Wohle der Allgemeinheit wegen der Corona-Pandemie geschlossen werden müssen. Nach dem Ende des Lockdowns würde sie unverzüglich wieder ihre Arbeit aufnehmen und natürlich auf weitere Sozialleistungen des Jobcenters verzichten. Der Personalausweis sei nochmals in Kopie beigefügt, obwohl dieser bereits übersandt worden sei. Ferner sehe die Antragstellerin keine Rechtsgrundlage dafür, über den Zeitraum 01.06.2020 bis 30.11.2020 Angaben zu machen, weshalb dieser Vordruck EKS ohne weitere Angaben und ohne Unterschrift zurückgesandt würde.

Mit weiterem Schreiben vom 21.01.2020 teilte der Antragsgegner mit, dass der Antrag nicht entscheidungsreif sei. Es würden noch weitere Unterlagen benötigt. Kontoauszüge hätte die Antragstellerin lediglich für den Zeitraum vom 04.01.2021 bis 18.01.2021 eingereicht. Benötigt würden noch Kontoauszüge für den Zeitraum vom 01.07.2020 bis 03.01.2021. Fehlen würde der Sozialversicherungsausweis bzw. die Rentenversicherungsnummer. Es solle von der A. Krankenversicherung ein Angebot für den Basistarif eingereicht werden. Die Höhe eines Zuschusses nach § 26 SGB II zu einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung sei begrenzt auf die halben Höchstbeiträge im Basistarif. Es sollten lückenlose PayPal-Auszüge für die Zeit ab dem 01.07.2020 bis Abgabetag vorgelegt werden. Ebenso fehle die betriebswirtschaftliche Auswertung für das Jahr 2020 sowie ein vollständig geführtes Kassenbuch für die Zeit ab dem 01.07.2020. Der beigefügte Vordruck EKS für den Zeitraum vom 01.06.2020 bis 30.11.2020 sei auszufüllen. Falls die betriebswirtschaftliche Auswertung für das Jahr 2020 bzw. für die Zeit ab Juni 2020 eingereicht würde, bräuchte der Vordruck EKS nicht ausgefüllt werden.

Am 25.01.2021 leitet der Antragsgegner ein Kontenabrufverfahren in die Wege.

Am 21.01.2021 stellte die Antragstellerin Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Osnabrück. Zur Begründung trägt sie vor, dass sie selbständige Friseurmeisterin in A-Stadt sei und seit dem 16.12.2020 aufgrund behördlicher Anordnung nicht mehr arbeiten dürfe und kein Einkommen erziele. Sie verfüge zudem über kein sonstiges Einkommen und auch kein erhebliches Vermögen. Sie könne ihren Lebensunterhalt nicht mehr sichern und ihre Miete nicht bezahlen. Deshalb habe sie am 28.12.2020 einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen beim Antragsgegner gestellt und hierfür den vereinfachten Antrag der Bundesagentur für Arbeit verwendet, welcher aber vom Landkreis nicht akzeptiert worden sei, sodass noch einmal das Antragsformular des Antragsgegners habe eingereicht werden müssen. Die Antragstellerin habe bis zum 15.12.2020 noch teilweise das Weihnachtsgeschäft nutzen können und Einnahmen erzielt, welche selbstverständlich nach Abzug der Ausgaben und Bereinigung zu berücksichtigen seien. Seit dem 16.12.2020 habe sie aber nicht mehr arbeiten können, wodurch erhebliche Einnahmen eingebrochen seien. Wie sicherlich aus den Meiden bekannt sei, laufe es auch hinsichtlich der staatlichen Hilfen für Selbständige schleppend. Es sei der Antragstellerin bislang nicht möglich gewesen, diese zu beantragen, geschweige denn eine Auszahlung zu erhalten. Jedenfalls habe sie nach ihrer Auffassung alle für die Bewilligung von Leistungen notwendigen Informationen und Belege erbracht. Kontaktlos sei ihr eine von der Vermieterin selbst erstellte Mietbescheinigung besorgt worden, aus der alle notwendigen Daten ersichtlich seien. Dieser Vordruck habe dem des Landkreises nicht entsprochen und habe deshalb nochmals eingereicht werden müssen. Die Antragstellerin habe Kontoauszüge seit dem 01.12.2020 vollständig vorgelegt, Angaben zu den Einnahmen und Ausgaben vom 01.12.2020 bis 15.12.2020 gemacht und alle ihres Erachtens nach für eine Bewilligung erforderlichen Belege erbracht. Ihres Erachtens nach dürften Einnahmen, wie sie der Antragsgegner belegt haben wolle, aus der Zeit vor dem Lockdown hier nicht relevant sein, da es sich dabei um Vermögen handeln dürfe. Zudem sei hier nach Auffassung der Antragstellerin keine Einkommensprognose zu stellen, da sie schlichtweg aktuell kein Einkommen erzielen können. Sobald der Lockdown enden würde, würde sie aus dem Leistungsbezug ausscheiden, Hilfebedürftigkeit würde enden. Es liege bereits jetzt eine lange Warteliste ihrer Kunden vor. Sie können direkt mit dem ersten Tag nach dem Lockdown wieder starten. Wofür hier noch Unterlagen für den Zeitraum 01.06.2020 bis 30.11.2020 benötigt würden, erschließe sich nicht. Auf telefonische Nachfrage beim Antragsgegner sei der Antragstellerin entgegnet worden, dass sie ohne diese Angaben mit keiner positiven Entscheidung rechnen müsse. Ein Screenshot über das aktuelle PayPal-Guthaben iHv 0,00 € würde beigefügt. Die Antragstellerin habe dem Antragsgegner u.a. folgende Unterlagen zur Verfügung gestellt: Kontoauszüge vollständig seit Dezember 2020 bis Mitte Januar 2021 in Kopie, Kopie des Personalausweises, Beitragsrechnung der privaten Krankenversicherung über 522,96 € - ggf. könne noch eine Auskunft des A. über den Basistarif eingereicht werden, Gewerbeanmeldung in Kopie, Stromabrechnungen für das Geschäft sowie privat, Mietbescheinigung der Privatwohnung, Erklärung über die Arbeitsfähigkeit, Erklärung über die persönliche Angaben u.a. Mietkosten etc. Nach dem Vorhalt weiterer vorhandener Konten habe die Antragstellerin zu ihrer Überraschung noch zwei Postsparbücher gefunden. Sie sei selbst überrascht gewesen, dass diese noch „aktiv“ seien. Es würden Kopien über den Kontostand überreicht. Das Sparbuch mit der Nummer 2 79.090.272 6 habe derzeit ein Guthaben von 20,00 DM, ein weiteres Sparbuch aus Kindertagen mit der Nummer 70.729.231 habe ein Guthaben von 1,00 DM. Nach weiterer Prüfung sei festgestellt worden, dass tatsächlich ein TwinCard Klassik Konto existiere, welches die Antragstellerin versehentlich nicht angegeben hätte. Dies habe nicht verschwiegen werden sollen. Sie habe schlicht nicht daran gedacht, da es nicht genutzt würde. Hierfür würde sich die Antragstellerin entschuldigen. Das Guthaben, welches aus dem beigefügten Auszug ersichtlich sei, betrage 3,88 €. Angaben zur C. Bank (Ruhendstellung), der D. Landesbausparkasse (gekündigt), der RürupRente, dem privaten Darlehen für eine Forderung des Finanzamtes sowie der E. Bank (Autofinanzierung) habe die Antragstellerin gemacht. Die Antragstellerin versichere in dem Zuge nochmals, dass über keinerlei Einkommen oder erhebliches Vermögen verfügt werde. Hinsichtlich der Verfügungsberechtigungen innerhalb ihrer Familie teile die Antragstellerin mit, dass es in vielen Familien sicherlich nicht unüblich sei, gegenseitige Kontovollmachten zu erteilen für Notfälle, in denen die Kontoinhaber/in die eigenen Bankgeschäfte nicht (mehr) tätigen könne. In ihrer Familie seien diese Notfälle klar durch Absprachen festgelegt (z.B. Tod, Koma oder schwere Krankheit). Die Antragstellerin würde für keins der Konten ihrer Töchter, ihrer Schwester bzw. ihrer Eltern eine Kontokarte besitzen. Eine eidesstattliche Versicherung sei beigefügt. Die Töchter der Antragstellerin würden zudem beim Vater leben. Die minderjährige Tochter erhalte bis zu ihrem 18. Geburtstag im kommenden Juni einen monatlichen Unterhalt, ihre volljährige Tochter erhalte eine Art monatliches „Taschengeld“. Die Zahlungen entnehme man den Kontoauszügen. Es sei der Antragstellerin nicht klar gewesen, dass die Informationen hinsichtlich der Töchter wichtig sein könnten, da diese nicht in ihrem Haushalt leben würden und diese Angaben auch in den Vordrucken nicht abgefragt worden seien, da es nur um Personen gegangen sei, welche mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft leben würden. Zur angezweifelten Vollständigkeit der Kontoauszüge würde mitgeteilt, dass diese vollständig sein dürften. Die vorgelegten Auszüge für Januar starten auf Blatt 1 mit dem Endbetrag, wie er auch auf dem letzten Kontoauszug aus Dezember 2020 zu finden sei. Wie nun schon mehrfach gefordert, werde auch die Versicherungsnummer bei der DRV mitgeteilt. Wofür diese benötigt werde, erkläre sich nicht. Es würde durch die Selbständigkeit privat für die Rente vorgesorgt. Hinsichtlich des Angebots der A. für den Basistarif habe sich die Antragstellerin bereits gekümmert. Zuletzt listete die Antragstellerin nochmals im Detail alle benannten Konten nebst Verwendung auf (Bl. 37 der GA). Ferner überreichte sie die Bescheinigung der A. über den Basis-Tarif sowie über die im Dezember 2020 neu abgeschlossene Lebensversicherung bei der F.. Sie versichere abschließend nochmals, dass keine Gutscheine und Pflegeprodukte verkauft würden. Das Geschäft habe 23 qm. Davon bestünden bereits 2 Fronten aus Glas. Es gebe zwei Bedienungsplätze und eine abgetrennte sog. „Mixecke“. Dazu gebe es einen kleinen Bereich mit der Kasse, ein Standwaschbecken mit Sitzgelegenheit sowie ein kleines Regal (ca. 175 cm x30 cm). Auf dem Regal würden sich neben Handtüchern und Deko nur auf 2 Regalböden sehr wenige Pflegeprodukte vornehmlich für den Gebrauch im Salon befinden. Sie würde nur sehr wenige Gutscheine pro Jahr verkaufen. Pflegeprodukte würden auch eher selten nachgefragt. Sie habe auch bislang nicht vor, sich mit dem Verkauf von Pflegeprodukten ein sog. Standbein aufzubauen, weder vor der Pandemie noch währenddessen. Dies lohne bzw. rechne sich nicht. Sie betreibe ihr Handwerk mit Liebe und Freude, ihr Beruf fülle sie sehr aus. Sie empfinde es als entwürdigend, jetzt auch noch jeden bzw. jeden nicht vorhandenen Euro angeben zu müssen. Die Antragstellerin habe noch nie einen solchen Antrag auf Sozialleistungen gestellt bzw. stellen müssen. Wenn sie finanziell auch nur irgendwie anders über die Zeit des aufgezwungenen Berufsverbots hinweggekommen wäre, hätte sie den Antrag nicht gestellt. Hilfen sollten laut der Bundesregierung schnell und unkompliziert zur Verfügung gestellt werden können, wovon Soloselbständige meilenweit entfernt seien. Sie sie in einer Notsituation, die mit jeder Abbuchung auf dem Konto schlimmer würde.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichtet, ihr vorläufig Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung des aktuell geltenden Regelsatzes sowie der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung iHv monatlich 570,00 € zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

       den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung trägt dieser vor, dass der Leistungsantrag der Antragstellerin bisher nicht entscheidungsreif sei. Mit Datum vom 21.01.2021 sei diese zuletzt angehört worden, fehlende entscheidungsrelevante Unterlagen einzureichen. Diese würden bis heute nicht vorliegen. Zudem könne festgestellt werden, dass durch ein Kontenabrufersuchen beim Bundeszentralamt für Steuern festgestellt worden sei, dass die Antragstellerin falsche Angaben hinsichtlich ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse getätigt habe. So habe sie zahlreiche Girokonten verschwiegen, dessen Kontoinhaberin sie sei. Ebenso sei sie Verfügungsberechtigte zahlreicher Konten. Hierbei handele es sich offensichtlich um Konten ihrer Kinder und ihrer Schwester. Diese seien lückenlos nachzuweisen. Auch sei von der Antragstellerin eine Erklärung hinsichtlich ihrer möglichen Kinder und Unterhaltsverpflichtungen abzugeben. Die Antragstellerin verweise in ihrer Begründung auf das vereinfachte Antragsverfahren und dadurch erleichterten Zugang zu Leistungen nach dem SGB II. § 67 SGB II sei jedoch nicht zu entnehmen, dass die Regelungen des SGB II zur Feststellung der Hilfebedürftigkeit außer Kraft gesetzt würden. Einzelne Vorschriften seien lediglich in einzelnen Punkten erleichtert worden. Weiter erlasse § 67 SGB II Antragstellern nicht die Pflicht zur Vorlage aller notwendigen Unterlagen und Abgabe von Erklärungen, um Hilfebedürftigkeit festzustellen. Die Antragstellerin habe bisher weder glaubhaft gemacht, über kein Einkommen noch über kein zu berücksichtigendes Vermögen zu verfügen. Friseure seien für den Publikumsverkehr und Besuche geschlossen. Dies schließe den Verkauf von Gutscheinen oder Pflegeprodukten nicht aus. Zudem würden auch im übrigen Bewilligungszeitraum organisatorische Aufgaben und Fixkosten anfallen, sodass das Gewinneinkommen auf den gesamten Zeitraum zu verteilen sein dürfte. Darüber hinaus sei zu erwarten, dass die Schließung für den Publikumsverkehr noch im Laufe des Bewilligungszeitraums aufgehoben würde. Gem. § 12 SGB II seien zudem alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Hierzu würden insbesondere Guthaben auf Bankkonten zählen. Da die Antragstellerin zahlreiche Girokonten verschwiegen habe, seien auch die Kontostände unbekannt. Der Leistungsträger müsse jedoch in die Lage versetzt werden, eine Prüfung nach § 67 Abs. 2 Satz 2 SGB II vorzunehmen. Vorliegend habe die Antragstellerin nachweislich zahlreiche Girokonten verschwiegen, weshalb die Vermutung des § 67 Abs. 2 SGB II nicht eintrete. Die Prüfung, ob erhebliches Vermögen vorhanden sei, werde deswegen von der Antragstellerin verhindert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragstellers Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

 

 

 

 

II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

 

1.

Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Form der sogenannten Regelungsanordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Wesentliche Nachteile drohen, wenn der Antragstellerin ohne eine einstweilige Anordnung schwere, unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstünden, welche auch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zu beseitigen im Stande wäre. Der Antrag hat dann Aussicht auf Erfolg, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden können, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm §§ 294 Abs. 1, 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine Tatsache ist nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X als glaubhaft gemacht anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist hingegen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Erfolg des Begehrens in der Hauptsache zu erwarten, so ist bei bestehender Dringlichkeit eine vorläufige Regelung durch das Gericht zur Vermeidung schwerer Nachteile zu treffen. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen insoweit in einer Wechselbeziehung und bilden ein bewegliches System. Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, desto geringere Anforderungen sind an den Anordnungsgrund zu stellen. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist eine Folgenabwägung dergestalt vorzunehmen, dass das Gericht die Folgen abwägt, die entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich im Hauptsacheverfahren jedoch das Bestehen des Anspruches herausstellt, gegenüber den Folgen die entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich im Hauptsacheverfahren jedoch herausstellt, dass ein Anspruch tatsächlich nicht besteht (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/V., 13. Aufl. 2020, SGG § 86b Rn. 29a mwN). Dabei sind grundrechtliche Belange der Antragstellerin, soweit diese durch die Entscheidung berührt werden, umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, aaO). Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Namentlich haben sie eine Verletzung der grundgesetzlichen Gewährleistung der Menschenwürde zu verhindern, auch wenn diese nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert (vgl. BVerfG, aaO; Kammerbeschluss vom 25.02.2009, 1 BvR 120/09).

 

2.

Ausgehend von diesen Maßstäben ist ein auf §§ 7 ff., §§ 19 ff. SGB II gestützter Anordnungsanspruch der Antragstellerin auf die vorläufige Gewährung von Leistungen nach dem SGB II glaubhaft.

 

Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II Arbeitslosengeld II. Diese Leistung umfasst nach Satz 3 den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1 SGB II werden die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind. Leistungen nach dem SGB II erhalten nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Unstreitig hat die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht und ist erwerbsfähig.

Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

Als Einkommen sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Gemäß § 11 Abs. 2 SGB II sind laufende Einnahmen in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 bis 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-VO) ist bei der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft von den Betriebseinnahmen auszugehen. Betriebseinnahmen sind alle aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum nach § 41 Absatz 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch tatsächlich zufließen. Wird eine Erwerbstätigkeit nach Satz 1 nur während eines Teils des Bewilligungszeitraums ausgeübt, ist das Einkommen nur für diesen Zeitraum zu berechnen. Gemäß § 3 Abs. 4 Alg II-VO ist für jeden Monat der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Im Fall des Absatzes 1 Satz 3 gilt als monatliches Einkommen derjenige Teil des Einkommens, der der Anzahl der in den in Absatz 1 Satz 3 genannten Zeitraum fallenden Monate entspricht. Von dem Einkommen sind die Beträge nach § 11b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch abzusetzen.

Als Vermögen sind grundsätzlich alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II).

 

Die Kammer hat ab Januar 2021 bzw. ab Antragstellung in diesem Verfahren keine durchgreifenden Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin seit dem Lockdown ab dem 16.12.2020 Einnahmen erzielt, um ihren Bedarf zu decken, noch dass sie über erhebliches Vermögen verfügt.

 

Im Zuge der sogenannten "Corona-Krise" hat der Gesetzgeber das Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket) vom 27.03.2020 mit Inkrafttreten am 28.03.2020 auf den Weg gebracht, welches unter anderem den Zugang zu Leistungen nach dem SGB II erleichtern soll. § 67 SGB II lautet in seiner aktualisierten Fassung:

 

(1) Leistungen für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 1. März 2020 bis zum 31. März 2021 beginnen, werden nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 erbracht.

(2) Abweichend von den §§ 9, 12 und 19 Absatz 3 wird Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt. Satz 1 gilt nicht, wenn das Vermögen erheblich ist; es wird vermutet, dass kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt.

(3) § 22 Absatz 1 ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten. Nach Ablauf des Zeitraums nach Satz 1 ist § 22 Absatz 1 Satz 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum nach Satz 1 nicht auf die in § 22 Absatz 1 Satz 3 genannte Frist anzurechnen ist. Satz 1 gilt nicht in den Fällen, in denen im vorangegangenen Bewilligungszeitraum die angemessenen und nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkannt wurden.

(4) Sofern über die Leistungen nach § 41a Absatz 1 Satz 1 vorläufig zu entscheiden ist, ist über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abweichend von § 41 Absatz 3 Satz 1 und 2 für sechs Monate zu entscheiden. In den Fällen des Satzes 1 entscheiden die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende abweichend von § 41a Absatz 3 nur auf Antrag abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch.

(5) (weggefallen)

(6) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates den in Absatz 1 genannten Zeitraum längstens bis zum 31. Dezember 2020 zu verlängern.

 

Die Vorschrift enthält Erleichterungen zum Zugang zu Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II, indem etwa grundsätzlich auf eine Vermögensprüfung verzichtet wird, und weitere Modifizierungen zentraler Regelungen des SGB II zugunsten Hilfebedürftiger, deren Bewilligungszeitraum in der Zeit vom 01.03.2020 bis 31.03.2021 beginnt, vorgenommen wurden. Diese Leistungen sollen in einem vereinfachten Verfahren schnell und unbürokratisch zugänglich gemacht werden, um die Betroffenen zeitnah unterstützen zu können. Es soll niemand aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Krise in existenzielle Not geraten (BT-Drs. 19/18107, S. 18). Von vorübergehenden erheblichen Einkommenseinbußen können alle Erwerbstätigen betroffen sein. Dabei sind selbständig tätige Personen, insbesondere Kleinunternehmer und sogenannte Solo-Selbständige, besonders betroffen. Bei diesem Personenkreis bestehen in der Regel keine Ansprüche auf vorrangige Leistungen wie Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld oder Insolvenzgeld. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II werden auf Antrag erbracht. Dabei ist es vorübergehend erforderlich, diese Leistungen möglichst schnell und unbürokratisch zugänglich zu machen. Es soll zum einen niemand aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Krise in existenzielle Not geraten, zum anderen müssen auch die Jobcenter bei der Bearbeitung einer Vielzahl von Anträgen durch Verfahrenserleichterungen unterstützt werden. Diesem Ziel dienen die Maßgaben in den Absätzen 2 bis 4 (BT-Drs. 19/18107, S. 25).

 

Unstreitig musste die Antragstellerin ihr Friseurgeschäft ab dem 16.12.2020 für den Publikumsverkehr schließen und erzielt hieraus seitdem keine Einnahmen mehr. Bis zum 15.12.2020 konnte die Antragstellerin noch Einnahmen iHv 5.455,00 € erzielen abzgl. der angegebene Ausgaben iHv 1.170,09 € (= 4.284,91 €). Nach Bereinigung iSd § 11b Abs. 1 Nr. 3 a, b (private Kranken- und Altersvorsorge) und Abs. 3 SGB II verbleibt ein bedarfsdeckendes Einkommen, welches den Bedarf der Antragstellerin iHv 446,00 € (§§ 19, 20 SGB II) zzgl. der Kosten der Unterkunft und Heizung (§§ 19, 22 SGB II) iHv insgesamt 570,00 € (450,00 € Grundmiete, 40,00 € Nebenkosten und 80,00 € Heizkosten), im Dezember 2020 abdeckt. Eine Verteilung dieses Einkommens auf bzw. die Bildung eines Durchschnittseinkommens für mehrere Monate kommt nach Auffassung der Kammer nicht in Betracht. Gem. § 3 Abs. 1 Satz 3 iVm Abs. 4 Satz 3 Alg II-VO ist das Einkommen nur in dem Monat zu berücksichtigen, in dem die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Nach Auffassung der Kammer kommt es hierbei auf die tatsächliche Ausübung der Erwerbstätigkeit – nicht das alleinige Fortbestehen des Gewerbes – an, welche aufgrund behördlicher Anordnung nur noch bis zum 15.12.2020 ausgeübt werden durfte. Die noch fortlaufenden Ausgaben führen nicht zu der Wertung einer Fortführung der Erwerbstätigkeit, da die Ausübung der Tätigkeit tatsächlich untersagt wurde. Ab Januar 2021 ist mithin kein Einkommen mehr aus dem Friseurgeschäft zu berücksichtigen.

 

Die Antragstellerin hat im Rahmen des angestrengten Leistungsantragsverfahrens sowie auch in diesem Verfahren glaubhaft betont, aktuell keine anderweitigen Einkünfte zu haben, auch nicht durch Gutscheinverkäufe oder Produktverkäufe etc. Hieran hat die Kammer keine Zweifel. Die Kontoauszüge belegen zudem, dass seit dem 16.12.2020 keine Einnahmen erzielt wurden.

 

Hinsichtlich des Vermögens ist gem. § 67 Abs. 2 SGB II eine Eigenerklärung der Antragsteller erforderlich, nicht über erhebliche Vermögenswerte zu verfügen, d.h. über die Höhe des vorhandenen Vermögens (vgl. BT-Drs. 19/18107, S. 25). Dies hat die Antragstellerin getan.

 

Dennoch beharrte der Antragsgegner weiter darauf, dass die Antragstellerin noch weitere Angaben – auch zum Einkommen vor Antragstellung – machen sollte. Größtenteils kam die Antragstellerin diesen Forderungen nach. Sie gab ihr – zwischenzeitlich – privat und geschäftlich genutztes Girobusiness-Konto bei der G. an, eine Rürup-Rente, ein privat genutztes PayPal-Konto ohne Guthaben, ein Darlehen bei der G. wegen einer Schuld gegenüber dem Finanzamt, eine ruhend gestellte Wertanlage bei der C. -Bank sowie eine Autofinanzierung bei der E. -Bank. Dennoch hat der Antragsgegner eine Kontenabrufverfahren durchgeführt, welches nach § 93 Abgabenordnung (AO) dann zum Tragen kommen soll, wenn dies zur Überprüfung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen erforderlich ist und ein vorheriges Auskunftsersuchen an die betroffene Person nicht zum Ziel geführt hat oder keinen Erfolg verspricht. Die Voraussetzungen hierfür können im vorliegenden Fall nur anzunehmen sein, wenn der Antragsgegner den Angaben der Antragstellerin, über keine Einnahmen und kein erhebliches Vermögen zu verfügen, keinen Glauben schenkte, wofür hingegen die Kammer keinen Anlass sieht. Dies dürfte nun auch nachgewiesen sein. Die durch das Kontenabrufverfahren aufgedeckten Konten sind zum einen zu vernachlässigende Sparbücher aus der Kindheit und Jugend, ein nahezu ungenutztes TwinCard-Konto sowie ein Kreditkartenkonto, welches kein eigenes Guthaben aufweist. Alle anderen „aktiven“ eigenen Konten hatte die Antragstellerin angegeben, wenn auch ohne die dazugehörige Nummer (C., E., G.). Die eingeräumten Kontoverfügungsberechtigungen hat die Antragstellerin plausibel und nachvollziehbar erklärt. Die Guthaben der Drittkonten sind glaubhaft wertmäßig allein der jeweils dritten Person zuzuordnen, die Verfügungsberechtigungen nur für Notfälle eingerichtet. Das Handeln allein in fremdem Interesse ist mithin eindeutig erkennbar (vgl. BSG, Urteil vom 24.05.2006, Az.: B 11a AL 7/05 R). Zweifel an der alleinigen Fremdnützigkeit der Verfügungsbefugnis bestehen nicht. Von einem vorsätzlichen Verschweigen kann nach Auffassung der Kammer hier nicht gesprochen werden. Die Kammer hält es nicht für ungewöhnlich, dass Verfügungsberechtigungen für den Notfall durch den Laien nicht als ggf. anzugebende Tatsachen angesehen werden, weshalb dies einer Konkretisierung bedurft hätte. Ebenso geht der Laie in der Regel zunächst bei Konten von laufenden Girokonten und Geldanlagen bzw. Darlehen aus. Dies hatte die Antragstellerin angegeben, obwohl dies nach § 67 Abs. 2 SGB II sogar eigentlich entbehrlich war. Das Ergebnis stellt sich nunmehr als unerheblich dar. Die Kammer hält es für überzogen, die Nichtangabe ungenutzter Konten/Sparbücher und die laienhafte Einordnung von Verfügungsberechtigungen, aus denen glaubhaft kein eigener Nutzen gezogen wird, zugleich mit einem Generalverdacht der Verschleierung zu belegen, wie es hier den Anschein macht, zumal der Sachverhalt aufgeklärt werden konnte und einem Anspruch nach Auffassung der Kammer nicht im Wege steht. Sicherlich gibt es eine Vielzahl von Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf Konten Dritter auch verschleiert wird. Die Kammer kann hingegen nicht erkennen, wie die Antragstellerin einen derartigen Verdacht ausgelöst haben sollte. Sie hat wahrheitsgemäß angegeben, über kein erhebliches Vermögen zu verfügen und seit dem 16.12.2020 keine Einnahmen zu erzielen. Sie war vorher nie im Leistungsbezug und hat angekündigt, direkt nach Ende des Lockdowns wieder auszuscheiden.

 

Die zuletzt immer noch gestellte Frage des Antragsgegners nach möglichen Gutschein- bzw. Produktverkäufen im Bewilligungszeitraum erschließt sich in diesem Zusammenhang nicht. Es wurde mehrfach versichert, dass dies nicht der Fall ist. Es ist nicht erkennbar, weswegen der Antragsgegner bis zuletzt darauf beharrt, dass die Antragstellerin Angaben zu ihren Einkünften aus der Zeit vor Antragstellung machen soll. Ihre davor erzielten Einnahmen vom 01.06.2020 bis 30.11.2020, Kassenbücher aus dieser Zeit, eine betriebswirtschaftliche Auswertung für das gesamte Jahr 2020 sowie Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2019 und 2018 haben keine Relevanz dafür, dass ab dem 16.12.2020 die Antragstellerin schlichtweg nicht arbeiten durfte. Die coronabedingten Besonderheiten dürfen hier nicht außer Betracht bleiben. Mit einer sofortigen Beendigung des Leistungsbezugs ab Beendigung des Lockdowns ist zudem zu rechnen. Dies bestätigt die Antragstellerin ausdrücklich. Erzielte Einnahmen vor Antragstellung stellen grundsätzlich Vermögen dar. Kontoauszüge liegen seit dem 01.12.2020 bis zum 18.01.2021 vor, wenngleich der Antragsgegner auch zwischendurch Gegenteiliges behauptet. Ausweislich der Verwaltungsakte liegen diese durchgängig vor. Es hat den Anschein, dass der Antragsgegner die eingereichten Unterlagen gar nicht vollständig gesichtet hat, aber dennoch immer wieder stellenweise dieselben Unterlagen fordert. So auch die Nachforderung der Mietbescheinigung, obwohl die Antragstellerin bereits eine vorgelegt hatte, aus der alle notwendigen Informationen zu entnehmen waren. Die Nutzung der eigenen Formulare des Antragsgegners ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. § 60 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) enthält eine Sollvorschrift hinsichtlich vorhandener Vordrucke. Liegen die notwendigen Informationen hingegen vor, so dient ein Beharren auf die nochmalige ausgefüllte Vorlage der eigenen Formulare lediglich der Verfahrensverzögerung, nicht der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens. Die Formulare stellen nur ein Hilfsmittel dar, um die Erfüllung der in § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I normierten Pflicht zu ermöglichen. Füllt er das Formular nicht vollständig aus, so kommt es für die Frage der Erfüllung/Verletzung der Pflicht nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I darauf an, ob es sich insoweit in dem Antragsvordruck um eine für die Entscheidung erhebliche Tatsache handelt. Es handelt sich bei § 60 Abs. 2 SGB I wie bereits erwähnt um eine Sollvorschrift, so dass die Verletzung einer Obliegenheit nicht anzunehmen ist, wenn der Leistungsberechtigte den Vordruck nicht benutzt, gleichwohl aber alle entscheidungserheblichen Angaben macht. So liegt der Fall hier. Die Antragstellerin hat nach Auffassung der Kammer alle notwendigen Angaben gemacht. Noch fehlende wurden nachgefordert und Notwendige beigebracht. Es erschließt sich auch nicht die Relevanz der nun noch geforderten Angaben zu den Kindern der Antragstellerin, welche bei dem Vater leben.

 

Die Kammer geht daher vom Vorliegen eines Anordnungsanspruchs aus.

Auch von einem Anordnungsgrund ist ohne Zweifel auszugehen, da ansonsten der Zweck des Sozialschutz-Paketes verfehlt würde.

 

3.

Die Kammer beschränkt den Anspruch zunächst auf die Zeit bis zum 30.04.2021, da bis dahin mit einer Aufhebung der Schließungsanordnung und mithin mit einem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug zu rechnen ist, wahrscheinlich sogar vorher.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Rechtskraft
Aus
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