1. Das Vorliegen einer Beschwer als spezielle Form des Rechtsschutzbedürfnisses für die Rechtsmittelinstanz ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Sie muss grundsätzlich bei Einlegung des Rechtsmittels vorliegen und darf nicht vor dem Urteil vollständig entfallen sein. 2. Liegt eine zusprechende erstinstanzliche Entscheidung vor und verstirbt der Kläger im Berufungsverfahren, reicht die bloße Möglichkeit, dass der Anspruch des Verstorbenen seitens der materiell nicht berechtigten Rechtsnachfolger geltend gemacht wird, für die Annahme einer Beschwer der beklagten Behörde aus. 3. Der Nachteilsausgleich Blindheit ist beschränkt auf Störungen des Sehapparats im organischen Sinn. Gnostische Störungen des visuellen Erkennens sind davon nicht erfasst.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 12. September 2017 wird aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 2. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2017 abgewiesen.
Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens „Bl“ für den 2020 verstorbenen H. (nachstehend: der Verstorbene) vorliegen.
Der Verstorbene ist im Jahr 2000 geboren worden. Er erlitt bei seiner Geburt aufgrund mangelnder Sauerstoffversorgung schwerste Hirnschäden. Wegen der Funktionsbeeinträchtigung „Hirnschädigung“ erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 26. März 2001 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen „G“, „B“, „RF“ und „H“ an. Die Feststellung des Merkzeichens „Bl“ lehnte er ab. Zur Begründung führte er aus, es liege eine visuelle Agnosie vor. Es sei das Benennen des Gesehenen betroffen, eine faktische Blindheit liege somit nicht vor. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2001 als unbegründet zurück. Die Eltern des Verstorbenen, die jetzigen Kläger, erhoben für ihn Klage bei dem Sozialgericht (SG) Hannover -S 19 SB 603/01-. Das stattgebende Urteil des SG Hannover vom 12. Mai 2005 wurde durch das Urteil des Landessozialgerichtes (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 13. Juli 2007 -L 5 SB 90/05- aufgehoben. Auf den Inhalt dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
Mit ihrem Überprüfungsantrag vom 2. Dezember 2016 begehrten die Kläger für den Verstorbene unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. August 2015 –B 9 BL 1/14 R- die rückwirkende Feststellung des Merkzeichens „Bl“. Zur weiteren Begründung ihres Antrages überreichten sie eine ärztliche Stellungnahme von Frau I., Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, vom 26. November 2016. Die Ärztin führte dort u.a. aus, die visuelle Reizverarbeitung sei bei dem Verstorbenen stark gestört. Im Vergleich zu den zwischen Geburt bis Ende 2003 eingeholten Befunden, Berichten und Gutachten zeige sich keine Verbesserung.
Der Beklagte veranlasste eine sozialmedizinische Stellungnahme. Die Ärztin Frau Dr. J. führte unter dem 9. Dezember 2016 aus, seit August 2001 habe sich keine Änderung des medizinischen Sachverhalts ergeben. Eine Rindenblindheit liege nicht vor. Es sei weiterhin von einer gnostischen Störung im Sinne einer Seelenblindheit auszugehenden.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 2. Januar 2017 ab und wies den dagegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2017 als unbegründet zurück.
Die Kläger haben für den Verstorbenen am 15. März 2017 Klage bei dem SG Hannover erhoben. Zur Begründung führen sie aus, das BSG habe seine frühere Rechtsprechung, wonach Blindheit nur bei einer nachgewiesenen Schädigung des optischen Sehapparates („Nichterkennenkönnen“), nicht aber bei einer zerebralen Schädigung mit der Unfähigkeit, visuelle Reize zu verarbeiten („Nicht-Benennen-Können“), ausdrücklich aufgegeben. Aufgrund der bei dem Verstorbenen seit seiner Geburt vorliegenden zerebralen Schäden liege eine faktische Blindheit vor. Der Beklagte habe diese Änderung der Rechtsprechung nicht berücksichtigt. Der Verstorbene sei seit seiner Geburt faktisch blind. Dies gehe aus den ärztlichen Stellungnahmen von Frau I. vom 16. November 2016 und Herrn Prof. Dr. K. vom 13. Dezember 2016 hervor.
Das SG Hannover hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 12. September 2017 stattgegeben und den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, bei dem Verstorbenen das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens „Bl“ ab dem 2. Dezember 2016 festzustellen und über eine Feststellung ab dem 17. Mai 2000 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „Bl“ seien gegeben. Der Verstorbene sei blind im Sinne des Gesetzes. Zwar sei die Schädigung des optischen Sehapparates nicht nachgewiesen, es komme für die Annahme einer Blindheit jedoch nicht darauf an, auf welcher Ursache die Blindheit beruhe. Auch zerebrale Schäden, die zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führten, seien beachtlich. Dies habe das LSG Niedersachsen-Bremen mit Urteil vom 21. September 2016 – L 13 SB 123/15 – so entschieden. Unstreitig liege bei dem Verstorbenen aufgrund mangelnder Sauerstoffversorgung bei der Geburt eine schwere Hirnschädigung vor. Die Folge, visuelle Reize nicht verarbeiten zu können, werde nach den vorliegenden ärztlichen Berichten auch als faktische Blindheit beschrieben. Die fehlende Möglichkeit, mit den Augen erfasste Bilder in „Erkennen“ umzusetzen, begründe eine Blindheit. Zwar seien nach Teil A Nr. 6c Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) bestimmte zerebrale Schädigungen, nämlich die visuelle Agnosie und andere gnostische Störungen, ausdrücklich ausgeschlossen. Die Gerichte seien daran aber nicht gebunden, soweit der Ausschluss derartiger Schädigungen auf eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) sowie des Art. 5 UN-Behinderten-rechtskonvention hinauslaufe. Denn die VersMedV genieße lediglich den Rang einer Verordnung, nicht den eines Parlamentsgesetzes. Der Ausschluss in Teil A Nr. 6c zu § 2 VersMedV führe zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung der Gruppe behinderter Menschen, denen – allein oder auch – aufgrund von Hirnschäden eine visuelle Orientierung im Alltag nicht möglich sei. Sie könnten tatsächlich ihr Sinnesorgan „Augen“ nicht zur Orientierung einsetzen. Es mache rechtlich keinen relevanten Unterschied, ob hierfür Schäden am optischen Sehapparat oder zerebrale Schäden ursächlich seien. Mit dem Sinnesorgan „Augen“ orientierten sich gesunde Menschen in ihrer Umgebung. Dem Verstorbenen fehle diese Orientierung, er könne seine Augen nicht zweckentsprechend einsetzen. Das BSG habe in diesem Zusammenhang eine Änderung seiner Rechtsprechung vollzogen und die Differenzierung zwischen einer Schädigung des Sehapparates und einer Schädigung in der Verarbeitung wahrgenommener Reize aufgegeben (Urteil vom 11. August 2015 –B 9 BL 1/14 R). Gerade bei zerebral geschädigten Menschen sei vielfach medizinisch kaum nachvollziehbar, worin die Ursache der Beeinträchtigung des Sehvermögens bestehe. Die Untersuchung visueller Wahrnehmungsleistungen setze voraus, dass Untersuchungsfähigkeit gegeben sei. Dazu gehöre u.a., dass ausreichende Leistungen in kognitiven Bereichen wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis, ausreichende Sprachleistungen oder ausreichende Handfunktionen dies bestätigen könnten.
Der Beklagte und Berufungskläger hat gegen den am 20. September 2017 zugestellten Gerichtsbescheid am 27. September 2017 Berufung eingelegt: Die bekannte Rechtsprechung des BSG beziehe sich nicht auf den Fall, in welchem eine Beeinträchtigung des Sehapparates praktisch auszuschließen sei. Sie gelte nur für diejenigen Fälle, in denen aufgrund hirnorganischer Beeinträchtigungen Beweisschwierigkeiten bestünden, weil z.B. eine Mitwirkung des Patienten nicht möglich sei. Blindheit werde in allen Gesetzen und Vorschriften einheitlich erfasst, d.h. ein Ausfall des Sehapparates bzw. eine entsprechend schwerwiegende Beeinträchtigung müsse jedenfalls auch bestehen. Es gehe vorliegend nicht um unterschiedlich ausgeprägte Wahrnehmungsqualitäten, aus denen ein indirekter Rückschluss auf eine besondere Beeinträchtigung der Wahrnehmung „Sehen“ gezogen werden könne. Bei dem Verstorbenen sei der Sehapparat eindeutig nicht in dem erforderlichen Ausmaß beeinträchtigt. Vielmehr sei die ausschließliche Beeinträchtigung der Großhirnrinde nachgewiesen. Ohne eine entsprechende Gesetzesänderung könne hierfür kein Blindengeld gewährt und somit auch das Merkzeichen „Bl“ nicht vergeben werden.
Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 2. September 2017 –S 41 SB 194/17– aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger und Berufungsbeklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach der Entscheidung des 13. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen -L 13 SB 123/15- komme es nicht darauf an, auf welcher Ursache die Blindheit beruhe. Es seien insbesondere auch zerebrale Schäden, die zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führten, beachtlich. Der Verstorbene leide nachweislich an einer schweren kortikalen Schädigung und könne daher visuelle Reize nicht verarbeiten. Es handele sich somit um eine visuelle Agnosie oder sogenannte faktische Blindheit. Dies werde auch von dem Beklagten anerkannt. Allein aufgrund der faktischen Blindheit sei bereits eine Zuerkennung des Merkzeichens „Bl“ gerechtfertigt.
Einem Ruhen des Verfahren im Hinblick auf die bei dem BSG anhängig gewesenen Revisionsverfahren zu den Aktenzeichen B 9 BL 1/17 R (Vorinstanz Bayerisches LSG –L 15 Bl 9/14) und B 9 SB 1/18 R (Vorinstanz LSG Niedersachsen-Bremen L 13 SB 71/17) hatten die Beteiligten nicht zugestimmt.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese habe vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet im schriftlich erklärten Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung.
Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG Hannover und zur Abweisung der Klage.
I.
Die nach §§ 143 und 144 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig.
Insbesondere liegt eine Beschwer des Beklagten als spezielle Form des Rechtsschutzbedürfnisses für die Rechtsmittelinstanz vor. Das Rechtsschutzbedürfnis ist Zulässigkeitsvoraussetzung jeder Klage und vom Rechtsmittelgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (std. Rspr. des BSG, vgl. Urteil vom 28.03.2013 -B 4 AS 42/12 R- Rn. 23; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, Vor § 51 Rn. 20). Dadurch sollen zweckwidrige Prozesse und eine unnötige Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch staatliche Gerichte verhindert werden (vgl. BSG Urteil vom 28.03.2013, a.a.O.). Das Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich zwar grundsätzlich ohne Weiteres aus der formellen Beschwer des Rechtsmittelklägers, der mit seinem Begehren in der vorhergehenden Instanz unterlegen ist (BSG SozR 4-2700 § 136 Nr. 3 Rn. 13) und ist bei dem Beklagten grundsätzlich gegeben, wenn das Gericht dem Antrag auf Klageabweisung nicht entsprochen hat (vgl. Keller a.a.O. Vor § 143 Rn. 7 m.w.N.). Doch gilt auch für Rechtsmittel der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte grundlos oder für unlautere Zwecke in Anspruch nehmen darf (vgl. BSG SozR 4-2700 § 136 Nr. 3 Rn. 13; BSG Beschluss vom 5.10.2009- B 13 R 79/08R-SozR 4-1500 § 171 Nr. 1 Rn. 12). Trotz Vorliegens der Beschwer kann das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn der Rechtsweg unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich beschritten wird (vgl. Keller a.a.O. Vor § 143 Rn. 7 m.w.N.). Die Beschwer muss grundsätzlich bei Einlegung des Rechtsmittels vorliegen und darf nicht vor dem Urteil vollständig entfallen sein (vgl. Keller a.a.O. Vor § 143 Rn. 10 m.w.N).
Zweifelsfrei war der Beklagte bei Einlegung der Berufung am 27. September 2017 beschwert. Das SG Hannover hatte seinem Antrag auf Klageabweisung nicht entsprochen und ihn unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, bei dem Verstorbenen das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens „Bl“ ab dem 2. Dezember 2016 festzustellen und über eine Feststellung ab dem 17. Mai 2000 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Die Beschwer des Beklagten ist nicht dadurch entfallen, dass der damalige Kläger im Berufungsverfahren verstorben ist. Zwar sind die Kläger als Eltern des Verstorbenen grundsätzlich nicht berechtigt, den Anspruch des Verstorbenen auf Feststellung des Merkzeichens „Bl“ geltend zu machen. Allerdings reicht nach Auffassung des Senats für die Annahme des Rechtsschutzbedürfnisses aus, dass die bloße Möglichkeit der Geltendmachung dieses Anspruches besteht. Denn die Kläger könnten gegenüber dem Beklagten auf Grundlage des Gerichtsbescheides des SG Hannover vom 12. September 2017 einen Ausführungsbescheid bzw. die Ausstellung eines Ausweises über das gesundheitliche Merkmal „Bl“ verlangen. Ein darauf gerichteter Antrag der Kläger würde ein förmliches Verwaltungsverfahren nach § 8 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Gang setzen. Auch wenn der Beklagte den Antrag ablehnen müsste, ist ein unnötiges Verwaltungsverfahren zu vermeiden. Ein Anspruch auf Feststellung eines GdB oder Merkzeichens erlischt mit dem Tod des Anspruchsinhabers und kann weder durch Erbrecht noch durch sozialrechtliche Sondervorschriften auf eine andere Person übergehen (BSG, Urteil vom 6.12.1989 – 9 RVs 4/89- = SozR 3870 § 4 Nr. 4). Der Anspruch auf Feststellung eines GdB ist nicht, insbesondere nicht nach § 1922 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vererblich. Danach geht das „Vermögen“ auf die Erben über. Der Anspruch auf Feststellung eines GdB oder Merkzeichens gehört aber nicht zum Vermögen. Die Feststellung betrifft einen Status des Behinderten, der mit seiner persönlichen Existenz verbunden ist und mit seinem Tod endet.
II.
Die Berufung ist begründet. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleiches „Bl“ lagen (weiterhin) nicht vor. Das SG hat zu Unrecht die angefochtenen Bescheide des Beklagten aufgehoben und diesen zur Zuerkennung des Merkzeichens verurteilt.
Rechtsgrundlage ist § 44 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Dabei handelt es sich um einen Auffangtatbestand für Fälle, in denen § 44 Abs. 1 SGB X nicht anwendbar ist. So verhält es sich hier, da die streitigen Feststellungen nach dem Schwerbehindertenrecht insbesondere keine Sozialleistungen i.S. des § 44 Abs. 1 SGB X sind (BSG, Urteil vom 16. Februar 2012, B 9 SB 2/11 R, juris Rn. 17). § 44 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs.1 Satz 1 SGB X setzt voraus, dass sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Maßgebend ist insoweit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides, wobei neuere rechtliche Erkenntnisse zu berücksichtigen sind (BSG a.a.O., Rn. 18 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bestand zum maßgeblichen Zeitpunkt kein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens „Bl“. Die Entscheidung des Beklagten ist nicht zu beanstanden.
Nach § 69 Abs. 1 und Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SG IX) in der bis zum 31.12.2017 gültigen Fassung (ab 1.1.2018 § 152 Abs. 1, S. 1 und Abs. 4 SGB IX) stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „Bl“ ergeben sich dabei aus § 3 Abs. Abs. 1 Nr. 3 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV), der seinerseits auf § 72 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) oder entsprechende Vorschriften verweist. Blind ist danach ein behinderter Mensch, dem das Augenlicht vollständig fehlt. Als blind ist aber gemäß § 72 Abs. 5 SGB XII auch derjenige anzusehen, bei dem die beidäugige Gesamtsehschärfe nicht mehr als 1/50 beträgt oder bei dem nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens vorliegen, die dem Schweregrad dieser Sehschärfe gleichzuachten sind. Weiter wird der Begriff der Blindheit durch die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) konkretisiert. Diese findet nach § 159 Abs. 7 SGB IX Anwendung, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist. Nach der VersMedV ist ein behinderter Mensch blind, wenn ihm das Augenlicht vollständig fehlt (Teil A, Nr. 6a Satz 1) oder wenn seine Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht beidäugig mehr als 0,02 (1/50) beträgt (Teil A, Nr. 6a, Satz 2 Alt. 1) oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie einer solchen Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzustellen sind (Teil A, Nr. 6a Satz 2 Alt. 2 und b). Nach Teil A, Nr. 6 c ist auch blind ein behinderter Mensch mit einem nachgewiesenen vollständigen Ausfall der Sehrinde (Rindenblindheit), nicht aber mit einer visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen.
Der Verstorbene war nicht blind im Sinne des Gesetzes. Der medizinische Sachverhalt hat sich seit der Entscheidung des erkennenden Senats vom 13. Juli 2007 -L 5 SB 90/05- nicht geändert. Dies ergibt sich zum einen aus der Stellungnahme von Frau I., Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, vom 26. November 2016. Sie bestätigt, dass sich im Vergleich zu den zwischen Geburt bis Ende 2003 eingeholten Befunden, Berichten und Gutachten keine Verbesserung ergeben hat. Zum anderen bescheinigt auch Herr Prof. Dr. K. in seiner Stellungnahme vom 13. Dezember 2016 keine Veränderungen und verweist auf seine Stellungnahme vom 6. Oktober 2006. Dies wird auch von den Beteiligten nicht bestritten. Auf die Einzelheiten der Entscheidung des Senats vom 13. Juli 2007 wird daher Bezug genommen.
Der Verstorbene litt unter einer schweren globalen kortikalen Schädigung, die die höheren Hirnleistungen beeinträchtigte. Eine Verarbeitung von optischen Reizen war dem Verstorbenen nicht möglich. Eine Schädigung des Sehapparates bestand nicht. Wie in Teil A Nr. 6 c der Anlage zu § 2 der VersMedV klar formuliert, führt eine visuelle Agnosie (Seelenblindheit), wie sie bei dem Verstorbenen bestand, nicht zu der Annahme von Blindheit. Dies hat das BSG mit Beschluss vom 24. Oktober 2019 – B 9 SB 1/18 R- (Vorinstanz LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 22.11.2017, L 13 SB 71/17) (noch einmal) eindeutig klargestellt. Behinderungen im Schwerbehindertenrecht werden ausschließlich unter medizinischen Gesichtspunkten getrennt nach Organ- und Funktionseinheiten erfasst und anschließend insgesamt ihre Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bewertet. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die in der VersMedV genannten Merkzeichen orientieren sich daran und danach ist Blindheit beschränkt auf Störungen des Sehapparats im organischen Sinn. Gnostische Störungen des visuellen Erkennens sind nicht erfasst, dafür stehen im Schwerbehindertenrecht andere Merkzeichen passgenau zur Verfügung (a.a.O., Rn.16 bis 19 m.w.N).
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der zur Begründung des Überprüfungsantrages zitierten Entscheidung des BSG vom 11. August 2015 –B 9 BL 1/14 R-. Dort hatte das BSG in einem auf Gewährung von Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) gerichteten Verfahren seine Rechtsprechung zur Unterscheidung von Störungen beim Erkennen und Benennen sowie zur spezifischen Sehstörung als Voraussetzung der Blindheit für einen Blindengeldanspruch aufgegeben. Diese Entscheidung bezieht sich aber auf andere Sachverhalte und ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Nur in Fällen, in denen aufgrund hirnorganischer Beeinträchtigungen Beweisschwierigkeiten im Hinblick auf die Frage ob bzw. welcher Art Schädigung des Sehapparats bestehen, ist die Differenzierung aufgegeben worden. Unstreitig war dies bei dem Verstorbenen aber nicht der Fall. Es bestand keine Schädigung des Sehapparates.
Unabhängig davon hat das BSG in seinem Beschluss vom 24. Oktober 2019 noch einmal klargestellt, dass der Begriff der Blindheit nach der AnlVersMedV nicht zwangsläufig vollständig deckungsgleich mit dem der Blindheit in anderen Gesetzen zu sein braucht (a.a.O. Rn. 22) und verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf den Ausschluss gnostischer Störungen aus dem Kreis der blindheitsrelevanten Beeinträchtigungen in Teil A Nr. 6 a bis c der Anlage zu § 2 der VersMedV nicht bestehen (a.a.O. Rn 24 ff m.w.N).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).