L 2 BA 29/20

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Lüneburg (NSB)
Aktenzeichen
S 34 BA 54/18
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 2 BA 29/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis entgegenstehende echte Sperrminorität im Sinne einer umfassenden und unbeschränkten Verhinderungsmacht in Bezug auf unerwünschte Weisungen muss dem betroffenen Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH entsprechend den Grundsätzen der Klarheit und Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände mit der notwendigen Eindeutigkeit gesellschaftsvertraglich umfassend eingeräumt werden und darf nicht durch eine Bindung an anderweitige nicht von der Sperrminorität erfasste Gesellschafterbeschlüsse relativiert werden.

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 13. Mai 2020 aufgehoben.

 

Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens aus beiden Rechtszügen mit Ausnahme der nicht erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen die mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vorgenommene Aufhebung ihres Bescheides vom 8. Juni 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2018, mit dem sie auf der Grundlage einer nach § 28p SGB IV durchgeführten Betriebsprüfung das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses zwischen der Klägerin und der zu 1. beigeladenen Geschäftsführerin festgestellt und hieran anknüpfend die Klägerin als Arbeitgeberin zur Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen zu allen Zweigen der Sozialversicherung für den Prüfzeitraum 7. Januar 2014 bis 11. Februar 2018 in einer Gesamthöhe von 49.022,31 € aufgefordert hat.

 

Die Klägerin wird in der Rechtsform einer GmbH geführt. Gesellschafter der mit Gesellschaftsvertrag vom 06.01.2014 gegründeten und am 25. Februar 2014 im Handelsregister eingetragenen Klägerin waren in den ersten Jahren der Hauptgesellschafter K. L. mit einem Anteil von 74 % am Stammkapital und die Beigeladene zu 1. mit einem Anteil von seinerzeit 26 %. Beide Gesellschafter wurden zugleich zu einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführern mit der Befugnis bestellt, im Namen der Gesellschaft mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten Rechtsgeschäfte abzuschließen.

 

Ausweislich der Regelung in § 7 Abs. 4 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages kommen Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit zustande. Weiter ist dort insbesondere in Abs. 4 Satz 5 geregelt:

 

Die folgenden Beschlüsse bedürfen der nachstehend aufgeführten Mehrheiten der abgegebenen Stimmen:

 

  • Abberufung und Bestellung von Geschäftsführern, Liquidatoren und Prokuristen einschließlich der Entscheidung über die Vertretungsberechtigung sowie Abschluss, Beendigung und Änderung der Anstellungsverträge mit diesen: 75 %,
  • Zustimmung und Weisung zu Geschäftsführungsmaßnahmen: 75 %,
  • Erlass, Änderung und Aufhebung einer Geschäftsordnung für die Geschäftsführung: 75 %,
  • Feststellung des Jahresabschlusses und Ergebnisverwendung: 75 %...

Bei einer Verlegung in das Ausland ist die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erforderlich.

 

Mit Wirkung zum Folgetag schlossen die (seinerzeit noch in Gründung befindliche) Klägerin und die Beigeladene zu 1. am 6. Januar 2014 einen Anstellungsvertrag (Bl. I 187 ff. VV), wonach sie für ihre geschäftsführende Tätigkeit eine monatliche Vergütung von 2.277 € erhalten sollte (§ 9 Abs. 1). Über die Gewährung einer zusätzlichen Gratifikation sollte die Gesellschafterversammlung auf der Grundlage des jeweils letzten Jahresabschlusses entscheiden (§ 9 Abs. 2).

 

Nach diesem Vertrag sollte die Beigeladene zu 1. „möglichst die für das Unternehmen geltende Arbeitszeit einhalten“ (§ 6 Abs. 1), wobei sie bei notwendigem Bedarf auch darüber hinaus „jederzeit“ für „Dienstleistungen“ zur Verfügung stehen sollte. Ihr wurde ein Urlaubsanspruch im Umfang von 30 Arbeitstagen eingeräumt (§ 11). Nebentätigkeiten waren nur mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung gestattet (§ 7 Abs. 1).

 

Mit Ergänzungsvertrag vom 1. Dezember 2014 (Bl. I 182 VV) wurde die monatliche Vergütung ab Januar 2015 auf 3.036 € angehoben, da die Beigeladene zu 1. ihr berufsbegleitend absolviertes Master-Studium erfolgreich abgeschlossen hatte, woraus eine „Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit“ resultierte. Zur weiteren Anpassung der Vergütung wird auf S. 4 des Schriftsatzes der Klägerin vom 3. März 2021 Bezug genommen.

 

Die Beigeladene zu 1. ist seit 2009 bei der zu 3. beigeladenen Krankenkasse ausgehend von einer selbständigen Tätigkeit freiwillig versichert (vgl. die Bescheinigung vom 25. April 2018, Bl. I 172 VV).

 

Die Beigeladene zu 1. gewährte der Klägerin folgende Darlehen: am 4. Oktober 2016 in Höhe von 2.000 €, welches am 18. Oktober 2016 zurückzuzahlen war, am 28. Juni 2017 in Höhe von 2.500 €, am 26. Januar 2018 in Höhe von 2.000 €, welches am 4. Februar 2016 zurückzuzahlen war, und am 18. April 2018 in Höhe von 6.000 € (vgl. ergänzend auch den Schriftsatz der Klägerin vom 3. März 2021).

 

Der Hauptgesellschafter gewährte seinerseits der Klägerin folgende Darlehen: am 25. Januar 2016 in Höhe von 8.000 € (rückzahlbar zum 29.12.2016), am 4. Dezember 2017 in Höhe von 6.000 €, und am 24. April 2018 in Höhe von 4.000 €.

 

Am 12. Februar 2018 wurde im Handelsregister die in der Gesellschafterversammlung vom 18.12.2017 beschlossene Änderung des Gesellschaftsvertrages eingetragen, aufgrund derer die Beigeladene zu 1. 50 % des Stammkapitals hält.

 

Mit Bescheid vom 8. Juni 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2018 stellte die Beklagte bezogen auf den Zeitraum vom 7. Januar 2014 bis zum 11. Februar 2018 das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. fest und zog die Klägerin zur Nachentrichtung von Beiträgen zu allen Zweigen der Sozialversicherung (und zu den in dem Bescheid im Einzelnen aufgeführten Umlagen) in einer Gesamthöhe von 49.022,31 € heran.

 

Mit der am 21. Dezember 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, dass der Beigeladenen zu 1. gesellschaftsvertraglich eine Sperrminorität eingeräumt gewesen sei, aufgrund derer kein Raum für die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses bestanden habe. Im Rahmen der Ausgestaltung der Geschäftsführeranstellungsverträge seien beide Geschäftsführer gleichgestellt worden.

 

Die unternehmensinterne „Stellenbeschreibung“ weise der Beigeladenen zu 1. die kaufmännische und dem damaligen Hauptgesellschafter die technische Leitung zu. Zudem habe die Beigeladene zu 1. der Klägerin „insgesamt fünfmal über insgesamt 14.500 €“ Darlehen gewährt. Die Darlehensgewährung bringe ein unternehmerisches Risiko zum Ausdruck.

 

Bereits mit Kaufvertrag vom 21. Dezember 2017 habe die Beigeladene zu 1. die Hälfte des Stammkapitals erworben, wenngleich die entsprechende Eintragung im Handelsregister erst am 12. Februar 2018 erfolgt sei.

 

Überdies habe die Beklagte versäumt, die bereits von Seiten der Beigeladenen zu 1. an ihre Krankenkasse entrichteten Beitragszahlungen zu berücksichtigen. Auch unter der Annahme einer abhängigen Beschäftigung dürfe in Bezug auf Geschäftsführer jedenfalls keine Insolvenz-umlage erhoben werden, da diese keine Arbeitnehmer im Sinne von § 358 SGB III seien.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 13. Mai 2020, der Beklagten zugestellt am 26. Mai 2020, hat das Sozialgericht Lüneburg den Bescheid vom 8. Juni 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2018 aufgehoben. Mit den Regelungen in § 7 Abs. 4 des Gesellschaftervertrages sei der Beigeladenen zu 1. eine „umfassende/qualifizierte Sperrminorität“ eingeräumt worden, welche nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Annahme einer abhängigen Beschäftigung entgegenstehe. Zudem seien auch die von der Beigeladenen zu 1. der Klägerin gewährten Darlehen zu beachten.

 

Mit ihrer am 19. Juni 2020 eingelegten Berufung macht die Beklagte demgegenüber geltend, dass die im streitbetroffenen Zeitraum der Beigeladenen zu 1. gewährte Sperrminorität nur als eine sog. „unechte“ Sperrminorität einzustufen sei, welche nach der Rechtsprechung des BSG der Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses zwischen der GmbH und der Minderheitsgesellschafterin-Geschäftsführerin nicht entgegenstehe. Mit der inhaltlich eingegrenzten Sperrminorität sei die Beigeladene zu 1. nicht in der Lage gewesen, sämtliche Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu verhindern.

 

Die Beklagte beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 13. Mai 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheides ist die Klage abzuweisen, da der zur Überprüfung gestellte Bescheid vom 8. Juni 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2018 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten zu verletzen vermag.

 

In Ergänzung zu den zutreffenden Ausführungen im Bescheid vom 8. Juni 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2018 ist insbesondere auf Folgendes hinzuweisen:

 

Im maßgeblichen Zeitraum vom 7. Januar 2014 bis zum 11. Februar 2018 unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (vgl. § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI; § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V; § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB XI; § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III).

 

Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Die abhängige Beschäftigung steht als rechtlicher Typus der selbstständigen Tätigkeit gegenüber, die vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet ist. Diese für die Statusbeurteilung maßgeblichen Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH. Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei dem Geschäftsführer einer GmbH aber in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen (vgl. dazu und zum Folgenden: BSG, Urteil vom 08. Juli 2020 – B 12 R 1/19 R –, SozR 4 (vorgesehen), Rn. 18 mwN).

 

Es ist durchaus üblich, dass Geschäftsführer spezielle Fachkenntnisse aufweisen und diese sind vielfach gerade Voraussetzung für die Übertragung dieser Aufgabe (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 1999 – B 2 U 35/98 R –, SozR 3-2200 § 723 Nr. 4). Ohnehin steht im Ergebnis der Annahme einer abhängigen Beschäftigung insbesondere nicht entgegen, wenn ein Geschäftsführer "im täglichen Dienstbetrieb" "im Wesentlichen frei walten und schalten" und, was Ort, Zeit und Dauer seiner Arbeitsleistung betrifft, weitgehend weisungsfrei agieren kann (BSG, U.v. 18. Dezember 2001 - B 12 KR 10/01 R - SozR 3-2400 § 7 Nr. 20).

 

Der Geschäftsführer einer GmbH kann seine Tätigkeit nach ständiger Rechtsprechung nur dann selbstständig ausüben, wenn er am Gesellschaftskapital beteiligt ist (sog Gesellschafter-Geschäftsführer), während bei einem Fremdgeschäftsführer eine selbstständige Tätigkeit grundsätzlich ausscheidet. Geschäftsführer einer GmbH unterliegen nach § 6 Abs. 3, § 37 Abs. 1, § 38 Abs. 1 sowie § 46 Nr. 5 und 6 GmbHG grundsätzlich zu jeder Geschäftsführungsangelegenheit der nur durch entsprechende Satzungsregelungen einschränkbaren Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung der GmbH (vgl zum Weisungsrecht BGH, Urteil vom 18.3.2019 - AnwZ (Brfg) 22/17 - juris RdNr. 18 f; OLG Düsseldorf, U. v. 15. 11. 1984 – 8 U 22/84 – FHZivR 31 Nr. 4702; Stephan/Tieves, MüKoGmbHG, 3. Aufl 2019, § 37 RdNr. 107).

 

Selbst ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist aber nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig beschäftigt angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mindestens 50 vH der Anteile am Stammkapital hält oder bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt (BSG, Urteil vom 08. Juli 2020, aaO, Rn. 19).

 

Bei der Statuszuordnung ist dem Grundsatz der Klarheit und Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände Genüge zu tun. Im Interesse sowohl der Versicherten als auch der Versicherungsträger muss die Frage der (fehlenden) Versicherungspflicht wegen Selbstständigkeit oder abhängiger Beschäftigung schon zu Beginn der Tätigkeit zu klären sein, weil es darauf nicht nur für die Entrichtung der Beiträge, sondern auch für die Leistungspflichten der Sozialversicherungsträger und die Leistungsansprüche des Betroffenen ankommt. Das Postulat der Vorhersehbarkeit prägt das Recht der Pflichtversicherung in der Sozialversicherung und unterscheidet es ggfs. auch von Wertungen des - an anderen praktischen Bedürfnissen ausgerichteten – Gesellschaftsrechts (BSG, U.v. 08. Juli 2020, aaO, Rn. 28 mwN).

 

Gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen, die so unklar gefasst sind, dass ihnen ganz unterschiedliche Rechtsfolgen beigemessen werden können, vermögen regelmäßig keine für die sozialrechtliche Beurteilung maßgebliche Rechtsmacht zu begründen. Solche Gestaltungen bergen im besonderen Maße die Gefahr in sich, dass die Beteiligten mit einer solchen Vorgehensweise die Vorstellung verbinden, dass sie in der Folgezeit je nach Kontext, Interessenlage und künftiger Entwicklung der Verhältnisse dem Wortlaut ganz unterschiedliche Bedeutungsinhalte beimessen könnten. Eine solche Vorgehensweise widerspricht geradezu diametral dem sozialrechtlichen Gebot der Vorhersehbarkeit (vgl. bereits Senatsurteil vom 16. November 2016 – L 2 R 377/15 –, Rn. 60, juris).

 

Dementsprechend muss insbesondere auch eine sog. echte Sperrminorität im Sinne einer umfassenden und unbeschränkten Verhinderungsmacht dem betroffenen Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer eindeutig und mit der notwendigen Klarheit gesellschaftsvertraglich eingeräumt werden, um Relevanz für die statusrechtliche Beurteilung entfalten zu können. Die inhaltliche Bestimmtheit der entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Regelungen muss dem Grundsatz der Klarheit und Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände Rechnung tragen (BSG, U.v. 08. Juli 2020, aaO).

 

Mit der erforderlichen Klarheit und Bestimmtheit war der Beigeladenen zu 1. im streitbetroffenen Zeitraum vom 7. Januar 2014 bis zum 11. Februar 2018 jedoch keine umfassende Sperrminorität gesellschaftsvertraglich eingeräumt. Die entsprechenden Bestimmungen in § 7 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages brachten dies nicht mit hinreichender Klarheit zum Ausdruck.

 

Vielmehr ist dort zunächst im Ausgangspunkt der Grundsatz festgelegt worden, dass Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit zu fassen sind. Es ist gerade nicht geregelt worden, dass alle Beschlüsse mit einer Mehrheit von 75 % zu fassen sind. Bezüglich aller Gesellschafterbeschlüsse und damit auch für die nach den satzungsrechtlichen Regelungen mit einfacher Mehrheit zu fassenden Beschlüsse gilt aber nach den gesetzlichen Vorgaben des § 37 Abs. 1 GmbHG, dass die Geschäftsführer der Gesellschaft gegenüber verpflichtet sind, die Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang ihrer Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, durch die Beschlüsse der Gesellschafter festgesetzt sind. Im Ergebnis binden damit alle Gesellschafterbeschlüsse die Geschäftsführer, wobei zugleich die Gesellschafterversammlung ein umfassendes Befassungsrecht hat.

 

Im Unterschied zur Aktiengesellschaft, deren innere Struktur wesentlich auf der ausschließlichen Zuweisung der Geschäftsführungsbefugnis an den Vorstand (vgl. § 76 Abs. 1, § 111 Abs. 4 S. 1, § 119 Abs. 2 AktG) und damit auf einer klaren und eindeutigen Abgrenzung der Befugnisse zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Aktionären beruht, besteht bei der GmbH ein Spannungsverhältnis zwischen den Zuständigkeiten der Gesellschafter und der Geschäftsführer. Für die meisten Angelegenheiten der GmbH bestehen parallele Zuständigkeiten der Geschäftsführer und der Gesellschafter in dem Sinne, dass in Ermangelung besonderer Anordnungen der Gesellschafter die Geschäftsführer zuständig sind, die Gesellschafter aber jederzeit in einem von ihnen autonom zu bestimmenden Umfang auf die Erledigung dieser Angelegenheiten einwirken können (Münchener Kommentar zum GmbHG/Stephan/Tieves, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 37 Rn. 5 f.).

 

Soweit abweichend von dem zunächst normierten Grundsatz der Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit § 7 Abs. 4 Satz 5 des Gesellschaftsvertrages eine Mehrheit von 75 % insbesondere für „Zustimmung und Weisung zu Geschäftsführungsmaßnahmen“ fordert, bleibt schon der genaue Anwendungsbereich dieser Ausnahmevorschrift unklar. Es bleibt letztlich offen, wann ein sich mit den Geschäften der Gesellschaft befassender Gesellschafterbeschluss ungeachtet der ihm zukommenden Bindungswirkung gegenüber den Geschäftsführern mit einfacher Mehrheit zu fassen sein soll und wann er den Bereich einer „Zustimmung und Weisung zu Geschäftsführungsmaßnahmen“ erreichen und damit einer Mehrheit von 75 % der Gesellschafterstimmen bedürfen soll.

 

Eine klare Abgrenzung kommt umso weniger in Betracht als gar kein gesellschaftsrechtlich ernsthaft verfolgter Ansatz zur Normierung der genannten Ausnahme nachvollziehbar aufgezeigt werden konnte. Es bleibt letztlich völlig unklar, aus welchen gesellschaftsrechtlichen Erwägungen heraus von der Einräumung einer Sperrminorität in Bezug auf alle Gesellschafterbeschlüsse abgesehen und zugleich dem Wortlaut nach eine inhaltlich begrenzte Sperrminorität in Bezug insbesondere auf den Bereich „Zustimmung und Weisung zu Geschäftsführungsmaßnahmen“ herbeigeführt worden ist. Damit liegt die Annahme jedenfalls nicht fern, dass einziger Zweck dieser Bestimmung das Ziel ist, die als unerwünscht empfundene sozialrechtliche Folge der Begründung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses gewissermaßen auszuhebeln.

 

Im Ergebnis ist jedenfalls festzuhalten, dass der Beigeladenen zu 1. im streitbetroffenen Zeitraum keine „echte“ oder „qualifizierte“ die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt worden war. Die ihr im Ergebnis lediglich zuerkannte „unechte“ auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität war nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zur Verhinderung nicht genehmer Weisungen der Gesellschafterversammlung mit der erforderlichen Verlässlichkeit zu vermitteln (vgl. zu diesen Kriterien BSG, Urteil vom 19. September 2019 – B 12 R 25/18 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr. 43, Rn. 15).

 

Überdies wird die Annahme einer abhängigen Beschäftigung im vorliegenden Fall auch durch die nach dem Geschäftsführervertrag vorgesehene Ausgestaltung der Geschäftsführertätigkeit bestätigt. Dieser weist typische Regelungen eines Arbeitsvertrages auf (vgl. zu diesem Ansatz: BSG, U.v. 19. September 2019, aaO, Rn. 17). Der Anstellungsvertrag (Bl. I 94) sieht die Zahlung regelmäßig zu erbringender monatlicher Entgeltbeträge vor. Diese monatlichen Beträge waren auch bei Krankheit und für die Dauer des Erholungsurlaubs (§ 11 des Vertrages) fortzugewähren. Nebentätigkeiten darf die Beigeladene nach dem Vertrag nur mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung ausüben (§ 7 Abs. 1).

 

Außerhalb des Gesellschaftsvertrages (Satzung) bestehende wirtschaftliche Verflechtungen zwischen einem Gesellschafter-Geschäftsführer und der GmbH sind nicht zu berücksichtigen. Sie vermögen die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben (BSG, Urteil vom 12. Mai 2020 – B 12 R 11/19 R –, Rn. 19, juris). Ohnehin sind die Darlehen, welche die Beigeladene zu 1. jedenfalls vorübergehend (mit überschaubaren Beträgen) der Klägerin gewährt hat, ihrer Stellung als Gesellschafterin zuzurechnen.

 

Im Verhältnis zur Gesellschaft gilt im Fall einer Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung als Inhaber eines Geschäftsanteils nur, wer als solcher in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste (§ 40) eingetragen ist (§ 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Hiervon ausgehend hat die Beklagte der Vergrößerung des Gesellschaftsanteils der Beigeladenen zu 1. auf 50 % zutreffend erst ab dem Tag der entsprechenden Eintragung im Handelsregister, d.h. erst ab dem 12. Februar 2018, eine statusrechtliche Relevanz beigemessen.

 

Die Insolvenzumlage (UI) ist gemäß § 358 Abs. 2 SGB III ist nach einem Prozentsatz des Arbeitsentgelts (Umlagesatz) zu erheben. Maßgebend ist das Arbeitsentgelt, nach dem die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Auszubildenden bemessen werden oder im Fall einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu bemessen wären. Diese gesetzlichen Vorgaben nehmen die beitragspflichtigen Entgeltzahlungen an abhängig beschäftigte Gesellschafter-Geschäftsführer nicht von der Umlagepflicht aus.

 

Beitragszahlungen der Beigeladenen zu 1. an die zu 3. beigeladene Krankenkasse ausgehend von der rechtsirrtümlichen Annahme einer selbständigen Tätigkeit im streitbetroffenen Nacherhebungszeitraum entlasten die Klägerin nicht von der sie als Arbeitgeberin treffenden Beitragspflicht; sie können lediglich zu Erstattungsansprüchen der Beigeladenen zu 1. führen.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

 

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.

Rechtskraft
Aus
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