L 11 R 4236/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 4546/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4236/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.11.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1965 geborene Kläger war nach seinem Hauptschulabschluss bis November 2015 als Bäcker tätig. Im Anschluss bezog er Arbeitslosengeld I bis 22.02.2017 und ab 01.08.2017 Arbeitslosengeld II. Seit September 2017 erhält er von seiner Pflegekasse Pflegegeld nach dem Pflegegrad 2, mittlerweile besteht ein Pflegegrad von 3 seit dem 08.03.2021 (vgl Pflegegutachten aufgrund telefonischer Befragung, Bl 328 Senatsakte). Der Grad der Behinderung (GdB) beträgt 90 (Landratsamt R - Versorgungsamt -, Bescheid vom 15.11.2021), ihm wurde zudem das Merkzeichen G zuerkannt. Zur Besorgung seiner Angelegenheiten hat der Kläger ua Frau H bevollmächtigt (Urkunde Notariat R vom 24.10.2017, Bl 165 ff LSG-Akte).

Am 28.08.2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung verwies er auf sein schweres Asthma, seine Antriebslosigkeit und kognitive Einschränkungen infolge von Alkoholabusus. Er halte sich seit mindestens 2015 in seinem Leistungsvermögen für eingeschränkt.

Die Beklagte gewährte daraufhin zunächst eine Maßnahme der stationären medizinischen Rehabilitation vom 19.06.2018 bis 14.08.2018 in der Fachklinik F, G. Laut ärztlichem Entlassungsbericht vom 14.08.2018 bestanden bei Entlassung die folgenden Diagnosen:

  • Alkoholabhängigkeit mit Folgeschäden (Leberschaden, arterielle Hypertonie, Verhaltensstörung) und mehreren Entgiftungsmaßnahmen
  • Reduzierte psycho-mentale Flexibilität bei kombinierter Persönlichkeitsstörung (anankastische und narzisstische Anteile)
  • Lernstörung
  • Belastungseinschränkung bei Asthma bronchiale
  • Belastungseinschränkung bei fortgeschrittener Gonarthrose bds mit Retropatellarpathie rechts

Das Leistungsvermögen des Klägers für leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sei unter Beachtung näher aufgeführter qualitativer Leistungseinschränkungen in einem Umfang von sechs Stunden und mehr erhalten.

Mit Bescheid vom 27.08.2018 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung unter Verweis auf ein zeitlich erhaltenes Leistungsvermögen ab.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger über seine Bevollmächtigte Frau H geltend, der Reha-Entlassungsbericht sei nicht objektiv und inhaltlich nicht zutreffend. Er habe aufgrund seiner Erkrankungen bei den meisten Anwendungen nicht mitmachen können und sei die ganzen acht Wochen über „abstinent“ gewesen. Zwischenzeitlich verfüge er über einen Pflegegrad 2 und einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 seit 16.07.2018. Schließlich sei davon auszugehen, dass bei ihm eine Fetale Alkoholspektrum-Störung (Fetal Alcohol Spectrum Disorder - FASD) vorliege, da seine Mutter alkoholabhängig gewesen sei und während der Schwangerschaft Alkohol konsumiert habe. Da er seinen Alltag nicht mehr allein strukturieren könne, sei beabsichtigt, ihn in einem ambulant betreuten Wohnprojekt unterzubringen. Eine Erwerbsfähigkeit liege unter diesen Umständen nicht vor.

Nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme von S, auf die im Einzelnen verwiesen wird, wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 13.12.2018 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 27.12.2018 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben mit der Begründung, sein Leistungsvermögen sei aufgrund der langjährigen Suchterkrankungen, insbesondere der Alkoholabhängigkeit, aufgrund der Bewegungseinschränkungen und aufgrund der psychischen Folgeschäden stark eingeschränkt. Er habe sich mittlerweile in Behandlung begeben; bis zur Wiederherstellung der Gesundheit müsse aber eine befristete Rente gewährt werden. Ohne die Hilfe von Frau W, einer über 80jährigen Bekannten (Mutter der Bevollmächtigten Frau H), würde er verwahrlosen. Der Kläger hat zur weiteren Begründung der Klage ua eine Diagnoseaufstellung des W1 vom 11.07.2019, einen Befund-/Ultraschalluntersuchungsbericht von M vom 19.06.2019 (Diagnose: Steatosis Grad III), diverse Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, einen Arztbrief des S1 vom 15.07.2019 sowie eine eidesstattliche Versicherung der Frau W vom 01.08.2019 vorgelegt. Dem Arztbrief von S1 ist zu entnehmen, dass der Kläger sich dort am 12.07.2019 in Begleitung einer Bekannten vorgestellt habe, die über seit etwa sechs Wochen auftretende Verhaltensauffälligkeiten berichtet habe („sei es so, dass er nachts unterwegs sei, zB auf den Friedhof gehe, und dass er mit dem Kopf zucke und wackle und dabei eine Art Selbstgespräch führe, und hinterher davon gar nichts mehr wisse“). Der psychische Befund lautete wie folgt: „wach, zeitlich nicht zum Tag orientiert, aber zu Monat und zum Jahr orientiert, sonst orientiert, Konzentration reduziert, im Kontakt zurückhaltend. Formales Denken etwas verlangsamt, einigermaßen geordnet. Anamnestische Episoden für Verhaltensauffälligkeiten im Sinne von Verwirrtheitszuständen DD Epilepsie DD äthyltox., AZ deutlich reduziert“. Als Diagnose wurden rezidivierende Verwirrtheitszustände unklarer Genese DD Epilepsie DD äthyltoxisch bei anamnestischem Leberparenchymschaden festgehalten. Eine neurologische Abklärung einer organischen Genese sei zu empfehlen.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen gehört. Der G1 hat mitgeteilt (Schreiben vom 09.05.2019), der Kläger habe sich bislang ein einziges Mal am 28.03.2019 wegen eines Taubheitsgefühls in den Fingern mit geringem Kraftverlust vorgestellt. Er habe rechts ein minimales, beginnendes Carpaltunnelsyndrom diagnostiziert und links ein operationsbedürftiges Carpaltunnelsyndrom ausgeschlossen. Die neurologische Befunderhebung habe keine pathologischen Reflexe, keine Lähmungserscheinungen, keine manifesten sensiblen Ausfälle und lediglich eine insgesamt etwas schwerfällige Koordination ergeben. Anhaltspunkte für ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen auf unter sechs Stunden arbeitstäglich bestünden nicht. Die M hat bekundet, den Kläger lediglich zur Abklärung von erhöhten Leberwerten behandelt zu haben. In seiner Stellungnahme vom 15.05.2019 hat der W2 von vier Vorstellungen des Klägers im Zeitraum vom 19.09.2018 bis 05.04.2019 berichtet. Dabei habe der Kläger über Schmerzen in den Fingern, den Knien und der Wirbelsäule, insbesondere der LWS, geklagt. Diagnostiziert worden seien eine Dupuytren-Kontraktur mit einem Streckdefizit im Grundgelenk der linken Langfinger, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule ohne sensomotorische Defizite sowie Gelenkschmerzen bei praktisch freier Kniegelenksbeweglichkeit (Extension/Flexion: 0-0-130°/130°). Das zeitliche Leistungsvermögen für körperlich leichte und nervlich wenig belastende Tätigkeiten betrage mindestens sechs Stunden.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.11.2019 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, ein Anspruch auf die begehrte Rente bestehe nicht, da der Kläger noch über ein Leistungsvermögen mit einem Umfang von sechs Stunden und mehr verfüge. Dies ergebe sich zur Überzeugung der Kammer insbesondere aus dem überzeugenden und in sich schlüssigen Reha-Entlassungsbericht, dem Pflegegutachten des MDK vom 19.02.2018 sowie aus den Bekundungen der sachverständigen Zeugen W2 und G1. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass mit der wohl im Vordergrund stehenden langjährigen Alkoholkrankheit samt Folgeschäden sowie mit der kombinierten Persönlichkeits- und Lernstörung zwar ausweislich des Reha-Entlassungsberichtes eine reduzierte psycho-mentale Flexibilität einhergehe, welche es dem Kläger nur noch möglich mache, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter näher benannten qualitativen Einschränkungen zu verrichten. Anhaltspunkte für eine darüber hinausgehende zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens sehe das Gericht jedoch nicht. Der Kläger sei in der Lage gewesen, während der Rehamaßnahme auf Alkohol zu verzichten. Er habe zwar an mehreren Anwendungen im Rahmen des Reha-Aufenthalts krankheitsbedingt nicht teilgenommen, sei aber auch nicht willens gewesen, die dadurch freie Zeit anderweitig zu gestalten. Während des gesamten Reha-Aufenthalts seien bei ihm eine extrem schwankende Therapiemotivation und mangelhafte Kooperation zu verzeichnen. Stattdessen habe er über Langeweile geklagt. Dabei sei es mitnichten so, dass der Kläger schon aufgrund seiner internistischen, orthopädischen und neurologischen Erkrankungen leistungs- und rehaunfähig wäre. Der fortgeschrittenen Arthroseerkrankung der Kniegelenke bei quasi freier Beweglichkeit und ohne erhebliche Schmerztherapie könne durch qualitative Leistungseinschränkungen (insbesondere keine Arbeiten im Hocken oder Knien oder überwiegendem Stehen oder Gehen) ausreichend begegnet werden. Dies gelte auch für die übrigen leichtgradig ausgeprägten Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet, die kaum funktionelle Ausfälle aufzeigten, was auch der behandelnde und als sachverständiger Zeuge gehörte Orthopäde bestätigt habe. Eine schmerztherapeutische Behandlung finde ebenfalls nicht statt. Das zurzeit nicht fachärztlich behandelte Asthma bronchiale lasse die Exposition zu inhalativen Reizen unzumutbar erscheinen, eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens sei hierin ebenso wenig begründet wie durch das minimale rechtsseitige Carpaltunnelsyndrom, das zudem noch Behandlungsmöglichkeiten biete. Auch die weiteren Persönlichkeitsauffälligkeiten (zB Aggressivität gegenüber anderen, mangelnde Einsichtsfähigkeit und Konfliktbereitschaft), die wohl der Persönlichkeitsstörung zuzuschreiben seien, sowie die Lernstörung hätten in der Vergangenheit einer stabilen Eingliederung ins Berufsleben nicht im Weg gestanden. Auch dem Pflegegutachten vom 19.02.2018, das nach einer persönlichen Begutachtung des Klägers erfolgt sei, seien keine schweren Beeinträchtigungen des Klägers bzgl der geistigen, psychischen, kommunikativen und mobilitätsbezogenen Fähigkeiten zu entnehmen. Soweit dem Kläger durch das weitere Pflegegutachten vom 11.05.2018 im Widerspruchsverfahren rückwirkend ein Pflegegrad 2 seit 16.09.2017 anerkannt worden sei, könne das Gericht dies nicht nachvollziehen. Denn dieses zweite Pflegegutachten sei rein nach Aktenlage erstellt und basiere - soweit ersichtlich - lediglich auf dem ersten Pflegegutachten vom 16.02.2018, dem Widerspruchsschreiben sowie dem Leistungsauszug der Kasse. Weder ein Grad der Behinderung von 60 oder 70 noch ein Pflegegrad 2 oder die Unterbringung in einem betreuten Wohnprojekt ließen zwingendermaßen die Schlussfolgerung zu, dass die Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch eingeschränkt erhalten oder gar aufgehoben sei. Denn die Maßstäbe für die Vergabe des GdB, des Pflegegrades oder der betreuten Unterbringung seien mit den Voraussetzungen von § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht einmal annähernd deckungsgleich. Das Gericht folge schließlich der Ansicht von S, dass Belege für eine FASD nicht vorlägen. Nicht jedes Kind, dessen Mutter während der Schwangerschaft Alkohol konsumiere, leide an diesem Syndrom. Darüber hinaus spreche der schulische/berufliche Werdegang des Klägers (Hauptschulabschluss, abgeschlossene Lehre, Eingliederung in den Bäckerberuf bis 2015) eindeutig gegen eine schwere fetale Störung. Soweit der Kläger geltend mache, eine Verringerung des zeitlichen Leistungsvermögens rühre aus rezidivierenden Verwirrtheitszuständen unklarer Genese her, so könne dies im laufenden Rechtsstreit keine Berücksichtigung finden. Denn auch Gesundheitsstörungen in rentenberechtigendem Ausmaße erlangten im Rahmen von § 43 SGB VI erst dann rentenrechtliche Relevanz, wenn die damit einhergehenden Leistungseinschränkungen mindestens sechs Monate vorlägen (arg e § 101 Abs 1 SGB VI). Diese zeitliche Vorgabe sei nicht eingehalten, da die maßgeblichen Verwirrtheitszustände erstmals im Befundbericht von S1 vom 15.07.2019 dokumentiert seien. Die Erhöhung des GdB auf 70 ab 10.04.2019 sei ausweislich des Teil-Abhilfebescheides vom 07.10.2019 aufgrund einer Verschlimmerung des Wirbelsäulenleidens erfolgt. Auch die eidesstattliche Versicherung von Frau W überzeuge das Gericht nicht. Als medizinischer Laie dürfte es ihr kaum gelingen, einen medizinischen Verwirrtheitszustand von einem alkoholbedingten Verwirrtheitszustand zu unterscheiden. Dass der Kläger indes bereits vor Juni 2019 auch im nüchternen Zustand „wie ein kleines Kind“ gesprochen oder sich ganz einfache Dinge nicht habe merken können, sei in den Unterlagen der behandelnden Ärzte nicht vermerkt, wobei insbesondere zu berücksichtigen sei, dass G1 den Kläger noch im März 2019 gesehen und als Facharzt für Psychiatrie keine psychiatrischen Auffälligkeiten notiert habe. Schließlich sei derzeit auch nicht zwingend davon auszugehen, dass die Gesundheitsstörung des Delirs dauerhaft vorliegen werde. Wie den Erläuterungen zu den Diagnosekriterien des ICD-10 zu entnehmen sei, könne die Dauer eines Delirs sehr unterschiedlich sein. Sollten die nun geltend gemachten Erkrankungen bzw Verschlimmerungen im Gesundheitszustand über einen Zeitraum von sechs Monaten persistieren oder sich gar weiter verschlimmern, können sie zum Gegenstand eines neuen Rentenantrags gemacht werden.

Hiergegen hat der Kläger am 17.12.2019 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingereicht unter Wiederholung und Vertiefung der erstinstanzlichen Begründung. Es lägen seit langem massivste gesundheitliche Einschränkungen vor, die sich insbesondere auf sein kognitives und psychisches Befinden auswirkten und sich primär auf den jahrelangen Alkoholabusus zurückführen ließen. Er befinde sich seit Jahren in einem zunehmenden Zustand des körperlichen und geistigen Abbaus, die wenigen Zeiträume von Abstinenz und scheinbarer Einsicht in sein Handeln seien jeweils sehr überschaubar und immer nur von kurzer Dauer. Er, der in genau diesem, vorbeschriebenen Zustand verharre, habe sich über lange Zeit nicht einmal in ärztliche Behandlung begeben - zum einen, da er sicherlich nicht einmal mehr in der Lage gewesen sei, sein Dasein auch nur annäherungsweise zu überschauen, zum anderen, weil er intellektuell nicht fähig gewesen wäre, mit einem bestimmten Ziel einen Arzt zu konsultieren. Tatsache sei weiterhin, dass diejenigen Personen, die ihn letztlich in den vergangenen Monaten bei Ärzten vorgestellt hätten, größte Probleme gehabt hätten, überhaupt Fachleute zu finden, die den völlig verwahrlosten Kläger anzunehmen bereit gewesen seien. Es sei zudem davon auszugehen, dass er in sehr engmaschigen Zeiträumen - krankheitsbedingt - über längere Distanzen an seinem Arbeitsplatz - so es überhaupt einen solchen für ihn gäbe, der sämtliche Anforderungen erfülle - ausfallen würde.

Der Kläger hat hierzu ein Gutachten nach Aktenlage der Bundesagentur für Arbeit - Agentur K/R - vom 31.01.2020 vorgelegt, wonach er voraussichtlich über sechs Monate nur in einem Umfang von unter drei Stunden leistungsfähig sei.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.11.2019 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 27.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2018 zu verurteilen, ihm eine zeitlich befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.08.2017 zu gewähren,

hilfsweise, gemäß § 109 SGG ein Gutachten bei S2, Wiesloch, einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat auf ihren erstinstanzlichen Vortrag, die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid sowie auf sozialmedizinische Stellungnahmen des N vom 06.05.2021 sowie des M1 vom 10.06.2021 verwiesen.

Der Senat hat zunächst den behandelnden Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie S1 als sachverständigen Zeugen befragt, der in seiner Stellungnahme vom 16.03.2020 erneut eine kognitive Störung und rezidivierende Verwirrtheitszustände diagnostiziert hat. Diese seien am ehesten plausibel als Folge wechselnd intensiven Alkoholkonsums. Konzentrationsstörungen, Auffassungsstörung und Zeitgitterstörungen ließen häufige Fehler erwarten, der erheblich reduzierte psychophysische Zustand führe zu rascher Erschöpfung. Selbst für die Bezahlung eines Mindestlohnes würden Leistungen verlangt, die der Kläger unter Würdigung seiner körperlichen und psychischen Einschränkungen nicht mehr erbringen könne.

Im Anschluss hat der Senat den B mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, der den Kläger am 29.07.2020 ambulant untersucht und in seinem Gutachten vom 22.09.2020 folgende Diagnosen gestellt hat (zusammengefasst):

  1. Von jeher vorbestehende, akzentuierte Persönlichkeitszüge, sicherlich mit nur begrenzter Frustrationstoleranz, auch begrenzter Konfliktfähigkeit einhergehend (…)
  2. Dysthyme Anpassungsstörung im Kontext mit Belastungen/Kränkungen im biografischen/psychosozialen Hintergrund bei durchaus erhaltener inhaltlicher und auch affektiver Auslenkbarkeit
  3. Berichteter massiver Alkoholabusus ohne Anhalt für äthyltoxische psychopathologische oder neurologische Folgeschäden
  4. Nikotinabusus
  5. Adipositas
  6. Berichtete Kniegelenksbeschwerden sowie LWS-Beschwerden ohne neurologische Ausfälle, berichtete Herzbeschwerden, Lungenprobleme
  7. Neigung zu Unterschenkelödemen.

Der Kläger sei bewusstseinsklar, zu Ort, Person, Situation sicher orientiert ohne Anhalt für hirnorganische Leistungsstörungen oder anders begründete kognitive Störungen. Eine Alkoholeinwirkung sei nicht erkennbar, es fehlten Hinweise für eine Entzugssymptomatik. Eine Wahrnehmungsstörung bestehe ebenso wenig wie eine Ich-Störung, der Kläger sei hellwach, präsent und im Bilde, durchaus schlagfertig und flexibel im Gedankengang. Eine weiterreichende depressive Symptomatik ließe sich nicht abbilden. Der Kläger fahre auch längere Strecken mit dem Fahrrad und nutze öffentliche Verkehrsmittel, gehe mit Freunden spazieren, gehe einkaufen, erledige Einkäufe für Frau W bzw hänge deren Wäsche auf, gehe mit Freunden in die Wirtschaft, sei aktiv auf Partnersuche, spiele Dart, würde gerne reisen und öfter ins Kino oder ins Lokal gehen und schließe selber eine berufliche Tätigkeit gar nicht aus. Aus nervenärztlicher Sicht könne er noch leichte und mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig verrichten, sofern diese zu ebener Erde stattfänden sowie ohne besonderen Zeitdruck, ohne regelmäßige nervöse Anspannung, ohne besondere Anforderungen an die Konfliktfähigkeit, ohne überdurchschnittlich fordernde soziale Interaktionen, ohne Stressfaktoren wie Nacht- oder Wechselschicht und nicht an unmittelbar gefährdenden Maschinen erfolgten.

Hierzu hat die Klägerbevollmächtigte erwidert, der Gutachter gehe von unzutreffenden Tatsachen aus. Der Kläger lebe seit mehreren Jahren ausschließlich bei Frau W, da er alleine nicht mehr lebensfähig sei. Er könne sich nicht selbst versorgen, sei nicht in der Lage, einzukaufen, Körperpflege zu betreiben oder sich um seine Angelegenheiten zu kümmern. Längere Strecken mit dem Fahrrad seien ihm nicht mehr möglich, er fahre auch keinen Bus. Er habe keinerlei Freunde oder Bekannte, gehe nicht in Wirtschaften. Gelegentlich erledigte er in einem nahen Markt kleinste Einkäufe, die restlichen Einkäufe erfolgten durch die Tochter von Frau W. Urlaubswünsche habe er nicht. Er sei bereits alkoholisiert zur Begutachtung erschienen und habe dort im Wesentlichen Fantasien und Wunschvorstellungen geäußert. Die Klägerbevollmächtigte hat zur Untermauerung ihres Vortrags Fotos der klägerischen (verwahrlosten) Wohnung vorgelegt.

B hat erwidert, die Dinge seien so wiedergegeben worden, wie sie vom Kläger berichtet worden seien. Im Übrigen sei dieser ohne irgendwelche Zeichen der Erschöpfung oder Ermüdung oder Nachlassen der Konzentration einer über vierstündigen dichten Untersuchungsprozedur gewachsen gewesen. Neurologisch hätten sich keine Störungen ergeben, der psychische Befund sei im Gutachten ausführlich beschrieben. Selbstverständlich könne eine abschließende sozialmedizinische Beurteilung unzutreffend sein und sei der Gutachter auch kein Hellseher. Jedoch seien unzutreffende Angaben nicht gleichzusetzen mit willentlich nicht steuerbaren hirnorganisch begründeten Konfabulationen. Eine rentenrelevante Funktionsstörung sei gutachterlich nicht in der erforderlichen Weise zu belegen. Das Zustandsbild einer offenbar nicht mehr bewohnten Wohnung lasse nicht automatisch auf ein aufgehobenes Leistungsvermögen schließen. Mit den vorhandenen Informationen, erhobenen Befunden und auch dem Hinweis auf zweifellos unzureichende, aber besser möglich gewesene Mitarbeit bei der Klärung der sozialmedizinisch relevanten Fragen ergebe sich nach nochmaliger Sichtung des Gutachtens keine grundsätzlich andere Einschätzung.

Weiterhin hat der Senat die behandelnden O (Internistin und Kardiologin) sowie S3 als sachverständige Zeugen befragt. O hat in ihrem Schreiben vom 22.03.2021 angegeben, ihrer Einschätzung nach sei der Kläger in der Lage, leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr auszuüben. Er könne eine Wegstrecke von mehr als 500 m zu Fuß innerhalb von 15 - 20 Minuten zurücklegen. Zur Abklärung einer koronaren Herzerkrankung sollte eine Herzkatheteruntersuchung erfolgen. Die Hausärztin des Klägers, die Palliativmedizinerin S3, hat in ihrem Bericht vom 09.03.2021 ausgeführt, der Kläger könne nicht beruflich tätig werden. Er leide unter einem chronischen Schmerzsyndrom bei bekannter Gonarthrose beidseits sowie bei Bandscheibenextrusion L5/S1 sowie unter Belastungsdyspnoe. Die Wegstrecke sei eingeschränkt.

Zuletzt hat der Senat den P als Gutachter betraut, der nach ambulanter Untersuchung des Klägers in seinem Gutachten vom 12.08.2021 folgende Diagnosen gestellt hat:

1. Chronisch obstruktive Atemwegserkrankung (COPD) mit Lungenemphysem, GOLD-Stadium III, Patientengruppe D, lungenfunktionell kombinierte Ventilationsstörung mit schwergradiger Obstruktion und mittelgradiger Restriktion. Am Tag der Begutachtung Infektexzerbation

2. Leberschädigung (Fettleber) am ehesten alkoholtoxischer Genese (Differentialdiagnose Hämochromatose) mit erhöhten Leberwerten; kein Hinweis auf Leberfunktionsstörung

3. Starkes Übergewicht (Adipositas III. Grades, Body-Maß-Index 42,7)

4. Latente Schilddrüsenunterfunktion

5. Verdacht auf chronisch-venöse Insuffizienz beider Beine

Der Kläger könne bei Beachtung näher aufgeführter qualitativer Einschränkungen noch vollschichtig erwerbstätig sein. Eine Einschränkung der Wegstrecke in rentenberechtigendem Ausmaß bestehe nicht. Kognitive Einschränkungen oder Konzentrationsstörungen seien während der gesamten zweistündigen Begutachtung nicht erkennbar gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und statthafte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente besteht nicht. Der Bescheid der Beklagten vom 27.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.

Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Der Kläger leidet vor allem an einer Persönlichkeitsstörung bzw akzentuierten Persönlichkeitszügen und einer dysthymen Anpassungsstörung zum einen sowie Alkoholabhängigkeit/Alkoholabusus zum anderen, begleitet von Gonarthrose, LWS- und Schulterbeschwerden, einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD) und einer Leberschädigung, Adipositas III. Grades zum anderen. Hierbei stützt sich der Senat vornehmlich auf den Reha-Entlassungsbericht vom 14.08.2018 sowie die Gutachten des B und P. Wie aus dem Gutachten des B folgt, erlauben die psychischen Beeinträchtigungen nur noch Tätigkeiten ohne besonderen Zeitdruck, ohne besondere Anforderungen an die Konfliktfähigkeit und soziale Interaktionen, ohne Stressfaktoren wie Nacht- oder Wechselschicht und nicht an unmittelbar gefährdenden Maschinen. Aus dem Reha-Entlassungsbericht folgt, dass zusätzlich der Umgang mit offenem Alkohol am Arbeitsplatz zu vermeiden ist ebenso wie Publikumsverkehr, Überwachung und Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge. Die körperlichen Einschränkungen an Knien und Rücken lassen laut Rehabericht häufiges Bücken, das Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, das Heben, Tragen und Bewegen von Lasten sowie Zwangshaltungen nicht mehr zu. Ebenso sind Ausdauerleistungen, kardial belastende Tätigkeiten wegen der Herzbeschwerden zu vermeiden und im Hinblick auf die Lunge inhalative Belastungen und Allergene. P hielt zusätzlich Arbeiten in Kälte, Zugluft und Nässe nicht mehr für möglich.

Von einer über die qualitativen Leistungseinschränkungen hinaus ebenfalls bestehenden zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens konnte sich der Senat indes nicht überzeugen. Insbesondere konnte sich der Senat nicht der Einschätzung seiner (vormaligen) Klägerbevollmächtigten anschließen, der Kläger sei geradezu lebensuntüchtig, in allen Bereichen auf Unterstützung durch Dritte angewiesen und bereits aus diesem Grund voll erwerbsgemindert. Zwar fanden sich im Reha-Entlassungsbericht Hinweise auf Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, war die affektive Schwingungsfähigkeit etwas labil und wirkte der Kläger deprimiert, doch war er wach, zeitlich und örtlich orientiert. Hinweise auf kognitive Einschränkungen fanden sich nicht. Er wurde mit einem Leistungsvermögen von sechs und mehr Stunden nach fast zwei Monaten entlassen. Im Rahmen der Feststellung von Pflegebedürftigkeit beschrieb die Pflegefachkraft (Pflegegutachten I vom 19.02.2018) den Kläger als zur Zeit, Ort, Person und Situation ausreichend orientiert bei unauffälligem Kurz-und Langzeitgedächtnis. Die Denkprozesse seien unauffällig und der Kläger verstehe Sachverhalte und Aufforderungen. Er könne den Tagesablauf selbst strukturieren, über den Tag hinaus planen und mit dem Telefon umgehen. Körperlich seien Greiffunktion und Feinmotorik der Hände intakt, Sitzen, freies Stehen seien sicher durchführbar, das Gangbild verlangsamt und sicher. Im Ergebnis kam die Pflegefachkraft nur zu einem Punktwert von 7,5 wegen verbaler Aggression, weil der Kläger vorgetragen hatte, mehrfach wöchentlich verbal laut zu werden, aufzubrausen und zu schimpfen und dann personeller Intervention in Form ablenkender und beruhigender Gespräche zu bedürfen. Im Übrigen wurden keinerlei Hilfebedarf festgestellt und kein Pflegegrad vergeben. Diese Einschätzungen im Rehabericht und auch im 1. Pflegegutachten werden durch die Darlegungen des B bestätigt. B begutachtete den Kläger über etwa vier Stunden, ohne dass dieser Erschöpfung oder Ermüdung zeigte bzw dessen Konzentration nachgelassen hätte. Es ergaben sich keine Indizien für kognitive Störungen. Eine Schmerzbeeinträchtigung fiel nicht auf, die während der elektrophysiologischen Diagnostik erforderlichen Zwangshaltungen wurden problemlos toleriert. Der Kläger war bewusstseinsklar, zu Ort, Person und Situation sicher orientiert, hellwach, präsent, durchaus schlagfertig und flexibel im Gedankengang. Eine Alkoholeinwirkung war für B nicht erkennbar, auch Hinweise für eine Entzugssymptomatik ließen sich nicht feststellen. Richtungsweisende intellektuelle Defizite gab es nicht. Für den Senat überzeugend kam daher B zu einem vollschichtigen Leistungsvermögen. Dieser Eindruck des B wurde durch die Beobachtungen des P gestützt, die darzulegen der Senat P ausdrücklich aufgefordert hat. Auch P konnte nach immerhin zweistündiger Begutachtung keine Konzentrationsstörungen bzw kognitiven Defizite erkennen.

Das zweite Pflegegutachten vom 11.06.2018, das im Widerspruchsverfahren zur Beurteilung des Pflegegrades erging und letztlich zur Gewährung eines Pflegegrades 2 führte, erfolgte ohne erneute Untersuchung und Begutachtung des Klägers. Grundlage waren das vorangegangene Pflegegutachten und ergänzend ein Widerspruchsschreiben sowie der Leistungsauszug der Kasse. Somit hat die Gutachterin mutmaßlich die Beschreibungen der Frau H übernommen, ohne sich - anders als die Vorgutachterin - ein eigenes Bild vom Kläger zu machen. Ob der Kläger bei zumutbarer Willensanstrengung auf die ihm zuteilwerdende Hilfe Dritter - etwa bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten oder der Tagesstrukturierung - verzichten könnte, hat die Gutachterin so nicht prüfen können. Insofern überzeugt dieses Gutachten den Senat - wie zuvor auch das SG - nicht. Gleiches gilt für das Pflegegutachten vom 30.03.2021, das ebenfalls nur nach Aktenlage bzw nach einem Telefonat mit Frau H erging.

Der Vortrag der (vormaligen) Klägerbevollmächtigten, B gehe von unzutreffenden Tatsachen aus, vermag hieran nichts zu ändern. B gab im Gutachten den Vortrag des Klägers wieder, er lege auch längere Strecken mit dem Rad zurück, fahre Bus, gehe spazieren, kaufe für Frau W ein, spiele Dart, erledige seinen Haushalt, treffe sich mit Freunden, gehe in die Wirtschaft und würde gerne wieder Reisen oder ins Kino gehen. Diesen Angaben widersprechend hat die Klägerbevollmächtigte erwidert, der Kläger wohne nicht mehr in seiner (verdreckten) Wohnung, sondern nur noch bei Frau W, habe darüber hinaus keine Kontakte und keine Verabredungen, kaufe nicht mehr selber ein (nur noch Kleinigkeiten auf dem nahen Markt), sondern werde vielmehr voll versorgt, fahre keine längeren Strecken mit dem Rad und nie mit öffentlichen Verkehrsmitteln und habe keine Urlaubswünsche. Der Senat kann offenlassen, wie sich die Situation tatsächlich darstellt. Gerade bei psychischen Erkrankungen und auch im Zusammenhang mit einer Alkoholerkrankung ist nicht von Bedeutung, wie der Versicherte sein Leben gestaltet, wieviel Hilfe er in Anspruch nimmt und auch nicht, wie seine Wohnung aussieht. Vielmehr ist zu prüfen, welche Funktionseinschränkungen vorliegen und hier insbesondere, ob der Versicherte trotz seiner psychischen Erkrankungen bei zumutbarer Willensanstrengung einer geregelten Tätigkeit nachgehen könnte. Mit anderen Worten: Der Senat hat vorliegend zu bewerten, ob der Kläger körperlich und seelisch zu arbeiten in der Lage wäre, wenn er denn wollte. Im Hinblick auf die übereinstimmenden Bewertungen des klägerischen Leistungsvermögens bzw der klägerischen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Reha-Entlassungsbericht und auch im Gutachten des B konnte sich der Senat nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon überzeugen, dass der Kläger derart lebensuntüchtig ist wie behauptet. Im Rahmen der stationären Rehabilitationsmaßnahme wurde der Kläger immerhin fast zwei Monate als Patient in der Rehaklinik behandelt, ohne dass sich aus dem Entlassungsbericht Anhaltspunkte für die von der Klägerbevollmächtigten vorgetragenen massiven Einschränkungen ergäben. Er war sogar willensstark genug, auf den Konsum von Alkohol komplett zu verzichten - so waren alle im Verlauf durchgeführten Alkohol- und Drogenkontrollen negativ. Allerdings lässt sich dem Bericht entnehmen, dass der Kläger tatsächlich wenig Interesse hatte, etwas an seiner Situation zu verändern. Er zeigte sich wenig freundlich und wenig kooperativ bei fraglicher Tendenz zur Aggravation bzw Simulation, machte skeptische Bemerkungen und Kommentare. Mangelnde Behandlungsbereitschaft, fehlende aktive Zielverfolgung der Verbesserung der Leistungsfähigkeit und fehlende Akzeptanz seines Alkoholproblems führten zu einer Beendigung der Maßnahme nach 8 Wochen. Ähnlich beschreibt B den Kläger: Es fing schon damit an, dass der Kläger die testpsychologischen Bögen nicht ausfüllte, die ihm der Gutachter vor dem Termin zugesandt hatte - mit der Erklärung, er könne nicht richtig sehen und lesen, er sei Legastheniker. Von Legasthenie - „diagnostiziert“ durch Frau H (vgl Seite 17 des Gutachtens B) - vermag sich der Senat schon deshalb nicht zu überzeugen, da der Kläger immerhin einen Hauptschulabschluss hat und nach seinem Vortrag sogar eine abgeschlossene Ausbildung zum Bäcker. Auch war er, worauf B zutreffend hinweist, bei der Rehamaßnahme in der Lage, einen sprachgebundenen Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest (MWT-B) durchzuführen mit einem regelrechten Ergebnis (IQ 94). Die Bearbeitung von testpsychologischen Bögen, die zumeist kurze Fragen zum Befinden enthalten, dürfte ihm daher möglich gewesen sein, hätte aber angesichts der Fülle von Fragen Zeit beansprucht. Dass dem Kläger die Bearbeitung wegen visueller Einschränkungen nicht möglich gewesen wäre, überzeugt ebenfalls nicht, war er doch erst ein halbes Jahr vor der Begutachtung beim Augenarzt. Außerdem war er bei der Visusbestimmung im Rahmen der Begutachtung bei B in der Lage, die Zahlen flott zu lesen. Während der Begutachtung durch B zeigte er sich wiederholt mürrisch, gelangweilt, grantig und trug von sich aus kaum zur Klärung bei - auch dies Zeichen für fehlendes Wollen, nicht fehlendes Können.

Es kann nicht argumentiert werden, B sei allein wegen der - angeblich unzutreffenden -Angaben des Klägers zu dem Ergebnis eines vollschichtigen Leistungsvermögens gekommen und seine Einschätzung wäre anders ausgefallen, wenn er von den tatsächlichen Lebensumständen des Klägers gewusst hätte. Hierzu hat B in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.01.2021 überzeugend ausgeführt, aus der Art, wie sich der Kläger präsentiert habe (hellwach, präsent, schlagfertig, im Bilde), ließe sich nicht auf Störungen schließen, die ihn gehindert hätten, die sozialmedizinisch relevanten Fragen zu klären. Unabhängig von dem Vorbringen des Klägers im Rahmen der Begutachtung habe er jedenfalls keine Zeichen der Erschöpfung oder Ermüdung nach über vierstündiger Untersuchungsprozedur gezeigt, hätten sich neurologisch und elektrophysiologisch keine richtungsweisenden Befunde ergeben, seien keine kognitiven Störungen herzuleiten gewesen, keine Ausfallerscheinungen durch den Alkoholkonsum zutage getreten und gebe es einen Reha-Entlassungsbericht mit dem Ergebnis eines vollschichtigen Leistungsvermögens nach mehrwöchiger Beobachtung und Behandlung.

Für das tatsächliche Vorliegen von seelisch bedingten Störungen, ihre Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit trifft den Rentenbewerber die (objektive) Beweislast (vgl Bundessozialgericht [BSG] 20.10.2004, B 5 RJ 48/03 R, unter Verweis auf BSG 01. 07.1964, 11/1 RA 158/61, BSGE 21, 189 = SozR Nr 39 zu § 1246 RVO und BSG 21.10.1969, 11 RA 219/66, SozR Nr 76 zu § 1246 RVO). Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (vgl zu diesem Grad der Überzeugung BSG 16.02.2012, B 9 SB 1/11 R, SozR 4-3250 § 69 Nr 15, Rn 46) wegen seiner psychischen Erkrankungen bzw seines Alkoholabususses erwerbsgemindert ist.

Auch die übrigen gesundheitlichen Einschränkungen vermögen eine quantitative Leistungsminderung nicht zu begründen.

Ein weiterer Schwerpunkt der Erkrankungen liegt auf internistischem Fachgebiet. Hier leidet der Kläger vor allem an einer chronischen obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD) mit Lungenemphysem, GOLD-Stadium III, sowie einer Leberschädigung. Dies entnimmt der Kläger dem Gutachten des P. Quantitative Leistungsminderungen folgen hieraus nicht, wie P überzeugend ausgeführt hat. Diese Einschätzung entspricht auch der der Rehabilitationsklinik im Entlassungsbericht vom 14.08.2018. Wesentliche kardiologische Einschränkungen bestehen nicht. So hat P ein unauffälliges Ruhe-EKG festgestellt, der Herzultraschall zeigte sich unauffällig ohne bluthochdruckbedingte Veränderungen sowie mit normaler linksventrikulärer Pumpfunktion, ohne Hinweis auf eine chronische Rechtsherzbelastung im Rahmen der bestehenden Lungenerkrankung. Die erhöhten Leberwerte ohne Zeichen einer Leberzirrhose schränken das Leistungsvermögen nicht ein. Auch diesbezüglich folgt der Senat der Einschätzung des P. Gleiches gilt für die latente Schilddrüsenunterfunktion.

Orthopädisch leidet der Kläger ausweislich des Reha-Entlassungsberichts vom 14.08.2018 unter fortbeschrittener Gonarthrose sowie nach Angaben des behandelnden Orthopäden W2 (Bl 51 SG-Akte) unter Finger-, Knie- und LWS-Schmerzen. Eine zeitliche Leistungsminderung folgt hieraus nicht. So hat W2 als behandelnder Arzt ein vollschichtiges Leistungsvermögen bejaht (Schreiben vom 15.05.2019), dies entspricht auch der Einschätzung im Reha-Entlassungsbericht. Auch im 1. Pflegegutachten vom 16.02.2018 (mit Hausbesuch) wird dargelegt, Bücken im Sitzen mit beiden Händen bis zu den Füßen unten sei durchführbar, Aufrichten aus dem Liegen, Aufstehen aus Sitzposition erfolgten selbständig, Sitzen, freies Stehen, Fortbewegung in der Wohnung und außerhalb ohne Hilfsmittel seien möglich, Treppen könnten mit Halt am Handlauf überwunden werden, Greiffunktion und Feinmotorik der Hände seien intakt. Schwerwiegende orthopädische Einschränkungen sind somit für den Senat nicht erkennbar. Im Bericht des G2 vom 05.02.2021 (Bl 279 Senatsakte) konnte dieser strukturelle Störungen der HWS ausschließen, ausweislich des Berichts des MVZ Radiologie K vom 25.03.2019 (Bl 285 Senatsakte) zeigten sich im Bereich L5/S1 keine Nervenwurzelaffektion, keine Neuroforamen-Spinalkanalstenosen und keine eindeutigen Zeichen eines Morbus Bechterew. Gerade auch vor dem Hintergrund des Gutachtens des B konnte sich der Senat von wesentlichen Einschränkungen seitens des Rückens nicht überzeugen. So vermochte der Kläger im Rahmen der Begutachtung durch B stundenlang (von 11 Uhr bis 13.05 Uhr, vgl Bl 120 Senatsakte) „in gemütlicher Position“ dazusitzen, ohne Schmerzbeeinträchtigungen zu zeigen. Selbst die erforderlichen „Zwangshaltungen“ während der klinischen Untersuchung wurden problemlos toleriert (Bl 121 Senatsakte). Beobachtet wurde sogar ein „durchaus flottes Bücken“ nach einer runtergefallenen Socke (Bl 124 Senatsakte). Ausweislich des Reha-Entlassungsberichtes liegt zwar eine fortgeschrittene Gonarthrose vor, doch bedingt diese lediglich qualitative Einschränkungen, nicht jedoch eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens. P konnte im Rahmen der Begutachtung keine wesentliche Einschränkung der Beugung der Kniegelenke feststellen. Ihm gegenüber gab der Kläger zwar Schmerzen im Kreuz und in den Knien an und hielt auch ein Anheben der Arme über die Horizontale wegen Schmerzen nicht für möglich, konnte später in Linksseitenlage die Arme indes problemlos anheben und richtete sich von der Untersuchungsliege nach der körperlichen Untersuchung rückenbelastend auf. Insofern überzeugen die Angaben des Klägers zu seinen orthopädischen Einschränkungen den Senat nicht und folgt der Senat den Beurteilungen des Leistungsvermögens im Reha-Entlassungsbericht sowie durch W2. Wesentliche Verschlechterungen seit der Entlassung aus der Reha bzw der Beurteilung durch W2 sind aus den Akten nicht erkennbar. Gegenüber P gab der Kläger dementsprechend an, die Beschwerden „würden schon lange bestehen“, gegenüber B berichtete er, „sein Kreuz sei schon seit der Kindheit kaputt“.

Der Kläger ist nach Überzeugung des Senats auch wegefähig im rentenrechtlichen Sinne. Da eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich ist, gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (BSG 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2 mwN; 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R). Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2; 14.03.2002, B 13 RJ 25/01 R); das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung. Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand (ca 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (zB Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R <juris> mwN). Vorliegend ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger noch ausreichend wegefähig ist. Weder aus dem Reha-Entlassungsbericht noch aus dem 1. Pflegegutachten oder dem Gutachten des B ergeben sich Hinweise auf eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit. Zwar hat sich der Kläger bei seinem behandelnden Orthopäden G2 wegen einer Gangunsicherheit vorgestellt, doch konnte dieser keine orthopädische Ursache hierfür finden (bgl Bericht vom 05.02.2021, Bl 279 Senatsakte). Strukturelle Störungen der HWS liegen nicht vor. P führte in seinem Gutachten aus, im Untersuchungsraum und später innerhalb der Praxis sei das Gehen überwiegend ohne Rollator erfolgt. Im Rahmen des Gehtests ohne Rollator war der Kläger in der Lage, 45 m in gemächlichem Tempo im Flur der Praxis ohne längere Pausen in weniger als 90 Sekunden zurückzulegen, ohne dass ein Abfall der Sauerstoffsättigung zu beobachten war. Zum Zeitpunkt dieser Untersuchung litt der Kläger unter einer Infektexerbation der COPD mit leicht erhöhten Entzündungsparametern im Blut, so dass nach Abklingen des Infektes sogar eher mit einer Besserung der Lungenfunktion und damit der Leistungsfähigkeit zu rechnen ist (vgl Gutachten des P, Seite 408 Senatsakte). B berichtet von einem neurologisch unauffälligen Gangbild mit seitengleicher Mitbewegung (Bl 124 Senatsakte).

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person des Klägers eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre, bestehen nicht. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Die zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze sind auch für Ansprüche auf Rente wegen Erwerbsminderung nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (BSG 11.12.2019, B 13 R 7/18 R). Vom praktisch gänzlichen Fehlen von Arbeitsplätzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die nur mit leichten körperlichen und geistigen Anforderungen verknüpft sind, kann derzeit nicht ausgegangen werden, auch nicht aufgrund der Digitalisierung oder anderer wirtschaftlicher Entwicklungen (BSG 11.12.2019, aaO juris Rn 27). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80, SozR 2200 § 1246 Nr 90). Der Ausschluss von Zwangshaltungen oder Überkopfarbeiten wird von der Beschränkung auf leichte Arbeit ohnehin erfasst. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn - wie hier - typische Verrichtungen wie zB das Bedienen von Maschinen oder das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen möglich sind. Der Senat konnte sich von Einschränkungen, die dem entgegenstehen könnten, nicht überzeugen.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist gemäß § 240 SGB VI, dass er vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Da der Kläger im Jahr 1965 und damit nach dem Stichtag geboren wurde, kommt dieser Anspruch von vornherein nicht in Betracht.

Weiterer Ermittlungen bedurfte es vorliegend nicht. Liegt bereits ein Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn dieses iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ungenügend ist, weil es grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthält oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters gibt (vgl BSG 12.12.2003, B 13 RJ 179/03 B, SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN; BSG 20.02.2019, B 10 LW 3/17 B; BSG 03.02.2020, B 13 R 295/18 B). Solche Mängel sind vorliegend nicht ersichtlich. Vielmehr ist der Sachverhalt durch den Reha-Entlassungsbericht, das 1. Pflegegutachten, die Berichte der behandelnden Ärzte sowie die Gutachten des B sowie des P vollständig aufgeklärt; die Unterlagen bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats und haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO).

Der Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei S2 war verspätet gestellt und deshalb abzulehnen. Nach § 109 Abs 2 SGG kann das Gericht einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Vorliegend hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits, der zum Zeitpunkt des Antragseingangs bereits terminiert war, durch Einholung eines weiteren Gutachtens verzögert, weil dann am 30.11.2021 kein Urteil hätte ergehen können. Auch grobe Nachlässigkeit ist gegeben. Eine solche grobe Nachlässigkeit ist anzunehmen, wenn die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (Keller in Meyer-Ladewig/Kellerer/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 109 Rn 11; LSG Baden-Württemberg 28.06.2019, L 4 R 3620/18, Rn 39, juris). Die Berichterstatterin hat bereits mit Schreiben vom 19.08.2021 der damaligen Klägerbevollmächtigten mitgeteilt, die Berufungssache sei zur Terminierung vorgemerkt. Damit war für den Kläger erkennbar, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht mehr beabsichtigt waren. Er hätte somit innerhalb angemessener Frist, dh innerhalb eines Monats (Keller aaO mwN), einen Antrag nach § 109 SGG stellen müssen. Tatsächlich ist dieser Antrag aber erst mit Schreiben vom 29.10.2021 und somit mehr als einen Monat verspätet gestellt worden.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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