L 11 KR 2088/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KR 1626/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2088/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.03.2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch auf Straffungsoperationen im Bereich des Rückens sowie der Oberschenkel.

Die 1984 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin ließ am 05.12.2016 eine Schlauchmagenoperation zur Gewichtsreduzierung durchführen und nahm in deren Folge 62 kg ab (Gewicht vor der Operation 142 kg, nun 80 kg). Am 12.09.2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage des Attestes des H und des R der Klinik für Plastische Chirurgie des Krankenhauses B vom 24.07.2019 die Kostenübernahme für folgende stationär durchzuführende Straffungsoperationen: Oberarmstraffung beidseits, mediale Oberschenkelstraffung beidseits, Mammareduktionsplastik beidseits, obere Rückenstraffung sowie unteres Bodylift mit Abdominoplastik und Nabelneueinpflanzung. Die Beklagte veranlasste daraufhin zunächst eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg. Der M führte in seinem Gutachten vom 11.10.2019 nach einer persönlichen Untersuchung der Klägerin aus, dass eine Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne am Abdomen und an der Brust beidseits vorliege und deshalb eine Kostenübernahme für die Abdominoplastik sowie die beidseitige Bruststraffung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung empfohlen werde. Nicht empfohlen werde dagegen mangels Vorliegens einer Krankheit und mangels Nachweises von Entzündungszeichen die Kostenübernahme der Straffungsoperationen an beiden Oberarmen, am Rücken sowie an beiden Oberschenkeln. Im Hinblick auf dieses MDK-Gutachten bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 14.10.2019 die Kostenübernahme für die Abdominoplastik sowie die beidseitige Bruststraffung und lehnte den Antrag im Übrigen ab.

Hiergegen erhob die Klägerin am 05.11.2019 Widerspruch. Sie arbeite viel mit den Armen. Dies führe zu Reibungen, so dass sie oft wunde Stellen an den Oberarmen habe. Auch ihre Oberschenkel entzündeten sich oft, so dass sie immer eine zweite Hose tragen müsse, damit ihre Oberschenkel nicht aneinander rieben. Gleiches gelte für ihre Rückenfalte. Sie müsse immer einen Body anziehen. Zur weiteren Begründung legte sie ein Attest der Klinik für Plastische Chirurgie des Krankenhauses B vom 16.01.2020 vor, worin H ua ausführten, vor allem im Bereich der Oberschenkel und Oberarme klage die Klägerin über ein Aufreiben der Haut nach längeren Spaziergängen. Auch im Bereich des Rückens und der Flanken sowie der Brust passten die BHs der normalen Konfektion nicht, hier komme es zu schmerzhaften Striemen der Träger vor allem im Bereich der Schultern als auch der Flanke. Im Attest des M1 vom 17.02.2020 legte dieser dar, durch die Ausbildung von Fettschürzen komme es rezidivierend zu Mykosen der Haut mit massiven behandlungspflichtigen Entzündungen. Die Beklagte beauftragte den MDK erneut mit einer Begutachtung. G gab im Gutachten nach Aktenlage vom 12.03.2020 an, dass aufgrund der Arbeitstätigkeit mit den Armen eine Kostenübernahme der Oberarmstraffung empfohlen werde. Weiterhin abgelehnt werde die Kostenübernahme der Straffungsoperationen am Rücken sowie an beiden Oberschenkeln. Gestützt auf das Ergebnis der Begutachtung gewährte die Beklagte der Klägerin mit Teil-Abhilfebescheid vom 19.03.2020 die Kostenübernahme der Oberarmstraffung beidseits. Den aufrechterhaltenen Widerspruch wies die Beklagte im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2020 als unbegründet zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 17.06.2020 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Sie begehre weiterhin die Rücken- und Oberschenkelstraffung. Die Innenseiten der Oberschenkel sowie ihr Rücken entzündeten sich bei warmen Wetter, wenn die Haut aufeinander reibe. Sie leide dann auch an stinkenden, offenen Wunden. Deswegen verschreibe ihr ihr Hausarzt Zinksalbe und seit zwei Jahren auch eine Cortison-Salbe. Sie arbeite bei AUDI in der Fertigung. Ihre Aufgabe sei die Kontrolle der fertigen Autos. Bei dieser Tätigkeit müsse sie sich auch häufig in die Fahrzeuge bücken. Sie müsse auch viel laufen, so dass gerade der Rücken und die Beine vom Aneinanderreiben der Hautfalten betroffen seien.

Die Beklagte hat vorgetragen, die angefochtene Entscheidung sei rechtmäßig, da nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert zukomme. Erforderlich sei vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt werde oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leide, die entstellend wirke. Beides liege bei der Klägerin nicht vor. Entzündungszeichen im Bereich der proximalen Oberschenkelinnenseiten gebe es nicht, auch am Rücken seien nur ein mäßiger Hautmantelüberschuss mit angedeuteten Tannenbaumphänomenen und einer Faltentiefe von maximal 2 cm und keine Entzündungszeichen festzustellen. Etwaige Entzündungen seien ohnehin zunächst mittels dermatologischer Behandlung zu therapieren.

Nachdem das SG die Klägerin im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zum Sachverhalt angehört hatte, hat es der Klage mit Urteil vom 25.03.2021 stattgegeben. Es ergebe sich bei der Klägerin Behandlungsbedürftigkeit zum einen deshalb, weil den überschüssigen Hautfalten selbst Krankheitswert zukomme, und zum anderen wegen Entstellung. Zu dieser Feststellung gelange die erkennende Kammer unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks, den sie sich von der Klägerin in der öffentlichen Sitzung am 25.03.2021 habe verschaffen können, und deren ausführlichen, glaubhaften Schilderungen. Ohne das Tragen einer zweiten Hose und eines stützenden Bodys rieben ihre Hautfalten sichtbar aneinander. Dies decke sich mit der Einschätzung der behandelnden Ärzte des Krankenhauses B. Diese führten in dem Attest vom 24.07.2019 aus, die Folgen der Gewichtsabnahme von 63 kg seien unübersehbar und auch durch Konfektionskleidung nicht kaschierbar. Dadurch werde das Erscheinungsbild der Klägerin gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu einer körperlichen Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung, die sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi „im Vorbeigehen" bemerkbar mache und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf die Klägerin führe. Nach Auffassung der erkennenden Kammer könne von der Klägerin nicht verlangt werden, die stützende Kleidung ganzjährig - insbesondere nicht in den Sommermonaten - zu tragen. Andernfalls verstärkten sich die Entzündungen der Haut, die der M1 in seinem Attest vom 11.02.2020 beschreibe. Ferner beschrieben die Ärzte des Krankenhauses B und M1, dass die Hautfalten selbst permanenter dermatologischer Behandlung bedürften. Im Attest vom 24.07.2019 würden ausgeprägte Hyperpigmentierung und Narbenbildung beschrieben als Zeichen der chronischen Reizung und Entzündung. Die Klägerin habe glaubhaft geschildert, dass auch ihre berufliche Tätigkeit die betroffenen Körperregionen - Rücken und Oberschenkel - stark belaste. Nach den Schilderungen der Klägerin im Widerspruchsverfahren - dass sie viel mit den Armen arbeiten müsse - habe der MDK aufgrund der Arbeitstätigkeit mit den Armen eine Kostenübernahme der Oberarmstraffung empfohlen. Nach Auffassung der erkennenden Kammer sei es nur konsequent, der Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit in der Fahrzeugkontrolle bei einem Automobilhersteller auch die noch streitigen Straffungsoperationen zu gewähren, denn die Klägerin müsse bei ihrer Tätigkeit viel laufen und sich in die Fahrzeuge hineinbeugen.

Gegen das ihr am 20.05.2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.06.2021 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingereicht mit der Begründung, die überschüssige Haut aufgrund Gewichtsverlustes nach der bariatrischen Operation stelle für sich genommen keinen krankhaften Befund oder regelwidrigen Körperzustand dar. Es fehlten belastbare Hinweise auf chronische bzw therapieresistente Hautbeschwerden. Auch liege keine Entstellung vor, da die hier streitigen Körperteile im bekleideten Zustand keine objektiv erhebliche Auffälligkeit im Sinne der Rechtsprechung des BSG darstellten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.03.2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat ausgeführt, sowohl der Rücken als auch die Oberschenkel entzündeten sich an warmen Tagen sehr und sie leide körperlich und seelisch darunter.

Der Senat hat den behandelnden Hausarzt der Klägerin, M1, als sachverständigen Zeugen zur Behandlung der Hautbeschwerden an Oberschenkel und Rücken schriftlich vernommen. Dieser hat in seinem Bericht vom 15.07.2021 ausgeführt, die Klägerin seit 2017 wegen Hautbeschwerden an diesen körperlichen Stellen nicht behandelt zu haben. Ihm seien keine solche Beschwerden bekannt, eine Überweisung an einen Hautarzt sei daher nicht erforderlich gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig und auch in der Sache erfolgreich.

Der mittels kombinierter Anfechtungs- und Leistungsklage angefochtene Bescheid vom 14.10.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 19.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat keinen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für die streitige operative Oberschenkel- und Rückenstraffung. Das Urteil des SG war somit aufzuheben.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Behandlung ist § 27 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Nr 5 der Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung auch eine (notwendige) Krankenhausbehandlung im Sinne von § 39 SGB V. Voraussetzung für den Leistungsanspruch auf eine operative Oberschenkelstraffung ist nach § 27 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V das Vorliegen des Versicherungsfalles Krankheit. Krankheit im Sinne des § 27 Abs 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (stRspr, etwa: BSG 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 28 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kommt Krankheitswert im Rechtssinne nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu; erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (BSG 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 28 mwN; BSG 27.08.2019, B 1 KR 37/18 R, BSGE 129, 52-62 = SozR 4-2500 § 52 Nr 1 Rn 8). Der krankenversicherungsrechtliche Krankheitsbegriff ist hiernach enger als der Krankheitsbegriff im allgemein-medizinischen Sinne, der jede Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im gesamten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen bzw objektiv feststellbaren körperlichen, geistigen oder seelischen Veränderungen bzw eine definierbare Einheit typischer ätiologisch, morphologisch, symptomatisch oder nosologisch beschreibbarer Erscheinungen, die als eine bestimmte Erkrankung verstanden werden, umfasst (BSG 22.04.2015, B 3 KR 3/14 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 45 Rn 20).

Die überschüssige Haut an den Oberschenkeln bzw am Rücken stellt für sich genommen keinen krankhaften Befund bzw regelwidrigen Körperzustand dar (vgl LSG Bayern 04.12.2018, L 20 KR 406/18, juris Rn 58; LSG Hamburg 17.07.2014, L 1 KR 160/13, juris Rn 23; LSG Hessen 05.09.2018, L 8 KR 254/17, juris Rn 21). Dementsprechend führte der MDK-M in seinem Gutachten vom 11.10.2019 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin aus, an beiden Oberschenkelinnenseiten und auch im Rückenbereich bestünden nur geringe Hautmantelüberschüsse, funktionelle Einschränkungen seien nicht nachgewiesen. Diese Einschätzung ist für den Senat nachvollziehbar, zumal solche funktionellen Beeinträchtigungen durch die Hautüberschüsse auch weder von den behandelnden Ärzten des Krankenhauses B noch dem Hausarzt M1 festgestellt wurden. Die begehrte Operation dient somit nicht dazu, eine Funktionsbeeinträchtigung der Oberschenkel bzw des Rückens zu behandeln.

Auch durch dermatologische Folgen der Hautüberschüsse lässt sich kein Anspruch auf eine Oberschenkel- bzw Rückenstraffung begründen. Es ist schon nicht nachgewiesen, dass überhaupt behandlungsbedürftige Hautprobleme an den hier streitigen Körperregionen auftreten oder in der Vergangenheit aufgetreten sind. Im Bericht des Kreiskrankenhauses B vom 24.07.2019 wird zwar ausführlich über rezidivierende Entzündungen, ekzematöse Veränderungen, eine ausgeprägte Hyperpigmentierung und Narbenbildung als Zeichen einer chronischen Reizung und Entzündung berichtet, doch beziehen sich diese Befunde auf die Oberarme, die Brust und die Bauchfettschürze. In Bezug auf die Überschusssituation im Bereich des Rückens wird lediglich berichtet, dass das Gewebe um den BH herum quillt - dies ist aber kein dermatologisches Problem, sondern allenfalls ein ästhetisches. Auch der MDK-M konnte im Rahmen der persönlichen Untersuchung der Klägerin am 11.10.2019 keine Hinweise für Entzündungszeichen an Oberarmen und Oberschenkeln feststellen. Dasselbe gilt für den Hausarzt M1, bei dem die Klägerin nach ihrer eigenen Aussage wegen Hauterkrankungen in Behandlung ist. Dieser hat auf ausdrückliche Nachfrage des Senats Hauterkrankungen am Rücken bzw den Oberschenkeln verneint. Es erfolgte auch keine Überweisung an einen Hautarzt.

Doch selbst wenn es gelegentlich zu Hautirritationen oder gar -entzündungen kommen sollte, besteht deshalb noch kein Anspruch auf den begehrten operativen Eingriff. Wird durch eine solche Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, bedarf die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (BSG 19.02.2003, B 1 KR 1/02 R = BSGE 90, 289-295 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1 Rn 12 mwN). Im Rahmen des Abwägungsvorgangs kann von Bedeutung sein, ob es sich bei der Operation um die Ultima Ratio handelt (LSG Nordrhein-Westfalen 28.11.2017, L 1 KR 644/15, juris Rn 34), da ein operativer Eingriff stets mit einem erheblichen Risiko (Narkose, Operationsfolgen wie zB Entzündungen, Thrombose bzw Lungenembolie, operationsspezifische Komplikationen) verbunden ist. Insofern ist von der Klägerin zunächst zu verlangen, dass sie etwaigen Hauterkrankungen etwa durch das Tragen geeigneter Kleidung (hier: zB Leggings, Body) vorbeugt bzw bei deren Auftreten die betroffenen Stellen mit milderen Mitteln als einer Operation behandelt, vor allem durch Cremes und Hygienemaßnahmen. Dabei hält der Senat auch das dauerhafte Tragen etwa von Leggings bei längeren Spaziergängen - auch im Sommer - für zumutbar. Sollten diese Vorbeugungsmaßnahmen bzw die selbst veranlasste Behandlung nicht ausreichen, wären zunächst der Hausarzt und im Anschluss ggf ein Dermatologe aufzusuchen. Erst nach erfolglosem Durchlaufen dieser Vorbeugungs- bzw Behandlungsoptionen könnte als Ultima Ratio eine Straffungsoperation in Erwägung gezogen werden, sofern die Hauterkrankungen ein Ausmaß erreichen, das diesen Eingriff rechtfertigt. Da vorliegend jedoch weder Hauterkrankungen an den betroffenen Stellen noch Arztkonsultationen belegt sind, ist eine Operation zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu rechtfertigen.

Auch von einer Entstellung konnte sich der Senat nicht überzeugen. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anomalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass Betroffene ständig viele Blicke auf sich ziehen, zum Objekt besonderer Beobachtung anderer werden und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückziehen und zu vereinsamen drohen, sodass deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (stRspr, etwa: BSG 28.02.2008, B 1 KR 19/07 R, BSGE 10, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 Rn 13; BSG 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 28 Rn 13). Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein. Die körperliche Auffälligkeit muss in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi „im Vorbeigehen“ bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf die Betroffenen führt. Die Rechtsprechung hat als Beispiel für eine Entstellung zB das Fehlen des natürlichen Kopfhaares bei einer Frau, eine Wangenatrophie oder Narben im Lippenbereich angenommen oder erörtert (BSG 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 28), dagegen hat das Bundessozialgericht eine Entstellung bei fehlender oder wenig ausgeprägter Brustanlage unter Berücksichtigung der außerordentlichen Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust revisionsrechtlich abgelehnt (BSG 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 28). Ausschlaggegeben ist der bekleidete Zustand in alltäglichen Situationen (Bayerisches LSG 13.08.2020, L 4 KR 287/19, Rn.45, juris; LSG Hessen 09.02.2017, L 1 KR 134/14, juris; vgl auch LSG Thüringen 28.02.2017, L 6 KR 123/13, juris; LSG Baden-Württemberg 17.07.2019, L 5 KR 447/17, Rn 30, juris: aA wohl LSG Mecklenburg-Vorpommern 17.07.2013, L 6 KR 83/12, Rn 27, juris: Aussehen im Badeanzug ausschlaggebend). Vorliegend begehrt die Klägerin Straffungsoperationen am Rücken und an den Oberschenkeln und damit an Körperregionen, die normalerweise durch Kleidung bedeckt sind. Bereits aus diesem Grund wird die Erheblichkeitsschwelle bei weitem nicht erreicht (anders zB LSG Niedersachsen-Bremen 17.11.2020, L 16 KR 143/18, Rn 29, juris: dort ausnahmsweise entstellende Oberarmhautüberschüsse). Dies hat sich aufgrund des persönlichen Eindrucks des Senats von der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 30.11.2021 bestätigt: Sowohl die Hautüberschüsse am Rücken als auch die an den Beinen waren wegen der Kleidung nicht zu erkennen. Insofern ist nicht zu erwarten, dass die Klägerin neugierige oder gar betroffene Blicke Dritter auf sich ziehen wird.

Sollte die Klägerin - wie sie im Berufungsverfahren schriftlich angedeutet und im Termin am 30.11.2021 noch näher konkretisiert hat - psychisch durch ihr Erscheinungsbild belastet sein, rechtfertigt auch dies keinen operativen Eingriff auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung. Psychische Leiden können einen Anspruch auf eine Operation grundsätzlich nicht begründen (vgl BSG 28.02.2008, B 1 KR 19/07 R, BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14; BSG 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 28), sondern sind mit Mitteln der Psychiatrie zu behandeln - selbst, wenn ein operativer Eingriff kostengünstiger wäre (BSG 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris).

Ein Anspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass die überschüssige Haut überhaupt erst durch die operative Magenverkleinerung hervorgerufen wurde und die operative Beseitigung dieser Folgeerkrankungen damit in das Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung fällt (so aber Sächsisches LSG 31.05.2018, L 1 KR 249/16 unter Verweis auf die von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze zur Mammaaugmentationsplastik nach Entfernung eines Mammakarzinoms, vgl BSG 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R). Die Lebenssachverhalte einer operativen Behandlung eines Brustkarzinoms und einer bariatrischen Operation bei Adipositas mit möglicherweise anschließend sich einstellenden Hautfaltenüberschüssen sind nicht vergleichbar. Der Anspruch einer Versicherten auf eine Brustvergrößerung bzw - wiederherstellung nach Mastektomie etwa aufgrund eines Mammakarzinoms ist darin begründet, dass der Anspruch auf Krankenbehandlung durch ärztliches Handeln vorrangig darauf gerichtet ist, Erkrankte unter Wahrung ihrer körperlichen Integrität zu heilen. Wird zur Behandlung in den Körper eingegriffen, ist dieser möglichst - als Teil der einheitlichen ärztlichen Heilbehandlung - wiederherzustellen, sei es mit körpereigenem oder mit körperfremdem Material. Diese Fälle unterscheiden sich grundlegend von Eingriffen in einen nicht behandlungsbedürftigen natürlichen Körperzustand, um das nicht entstellte äußere Erscheinungsbild zu ändern (BSG 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 28, Rn 18; vgl auch Bayerisches Landessozialgericht 13.08.2020, L 4 KR 287/19, Rn 32 - 33, juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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