L 9 U 2536/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 U 1796/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2536/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 4. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Lungenerkrankung als Berufskrankheit (BK) Ziff. 4301, 4302 oder 1315 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) (im Folgenden BK 4301, BK 4302 und BK 1315) oder wie eine Berufskrankheit (Wie-BK) streitig.

Der 1954 geborene Kläger verpflichtete sich nach dem Abitur von 1974 bis 1976 zur Bundeswehr, wo er zum Krankenpfleger ausgebildet wurde. Von Oktober 1976 bis ca. 1987 studierte er ohne Studienabschluss Informatik, Chemie und Pharmazie. Nach einer kaufmännischen Tätigkeit 1988/1989 war er von Februar 1990 bis Juni 2004 als Chemisch-Technischer Angestellter im Bereich Forschung und Entwicklung bei der Firma R AG in M1 beschäftigt. Im letzten halben Jahr verwaltete er das Chemikalienlager, bevor er in eine Transfergesellschaft wechseln musste. Das Arbeitsverhältnis wurde im Zuge des allgemeinen Personalabbaus beendet, im Juli 2005 wurde der Kläger arbeitslos. Die Firma wurde zunächst an eine Holding verkauft, der Betrieb im Jahr 2008 endgültig geschlossen. Ab dem 01.06.2006 bezog der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, die zuletzt auf Dauer gewährt wurde.

Am 31.07.1992 begab sich der Kläger wegen akuter Beschwerden im Zusammenhang mit einer Antibiotikatherapie (nach einer nach Zeckenbiss 1990 erlittenen Borreliose) in stationäre Behandlung in das Jkrankenhaus H, wobei er u.a. über Atemnot bei Belastung und ein abdominelles Fremdgefühl nach Verschlucken eines Zahnes vor drei Jahren berichtete; es wurden die Diagnosen nutritiv-toxische Hepatopathie, kombinierte Hyperlipidämie und psycho-neurotische Grundhaltung gestellt (Entlassungsbericht des Jkrankenhaues H vom 17.09.1992). Am 14.05.2002 erlitt er einen anerkannten Arbeitsunfall, als beim Umfüllen unter Säureschutzkleidung Tropfen einer kleinen Menge 4-Chlor-3-Nitropyriden auf seinen linken Sicherheitsstiefel fielen; nach folgenloser Ausheilung eines Erysipels führte dies nicht zur Gewährung weiterer Leistungen (Bescheid der Beklagten vom 07.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2005, Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim - SG - vom 31.05.2006 - S 6 U 2335/05 -, Urteil des Landessozialgerichts <LSG> Baden-Württemberg vom 23.10.2006 - L 2 U 3398/06 - und Rücknahme des „Wiederanrufungsantrags“ vom 20.04.2007 – L 2 U 2009/07 -).

Ab dem 22.03.2006 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt, wurde dann erstmalig auf Veranlassung der Bundesagentur für Arbeit vom M begutachtet (vgl. zum Folgenden Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 23.09.2008 - L 9 R 49/08 -), der in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 25.02.2006 eine paranoide Persönlichkeitsstörung (DD Schizophrenie) diagnostizierte. Wegen dieser paranoiden Schizophrenie bezog der Kläger ab dem 01.10.2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, die zuletzt auf Dauer gewährt wurde. Im Rahmen eines Rechtsstreits auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wurde der Kläger nervenärztlich von S begutachtet, die in ihrem Gutachten vom 31.07.2007 zur Diagnose einer akut behandlungsbedürftigen paranoiden Schizophrenie gelangte.

Am 22.04.2004 wurden auf Grund eines Antrags des Klägers Mängel im Gebäude C14 (Technikum) der Firma R AG geprüft, da dieser einen Zusammenhang mit seinen aufgetretenen Gesundheitsbeschwerden – Bronchitis, Haut- und Herzprobleme sowie Blutvergiftung – vermutete. S1 führte in seiner Notiz über ehemalige Mängel im Technikum C14 aus, dass die Zuleitung zur Apparatur R 240 vor etwa einem Jahr für die Dauer von ca. sechs Monaten offen, weil nicht abgeflanscht gewesen sei. Bei Normbetrieb der entsprechenden Anlage habe keine Gesundheitsgefahr durch Stoffe bestanden, da die Anlage an eine Absaugung angeschlossen gewesen sei. Lediglich über Nacht seien verschiedene Ansätze nicht mehr abgesaugt worden, so dass eine Diffusion von Gefahrstoffen theoretisch möglich sei. Von 2002 bis 2003 sei die Raumbelüftung nur teilweise in Betrieb gewesen, wodurch die Zufuhr von Frischluft bzw. Erwärmung der von draußen zugeführten Luft nicht möglich gewesen sei, es hätten zeitweise Temperaturen um 12 Grad Celsius geherrscht, so dass die Zufuhr schließlich durch technische Maßnahmen abgestellt worden sei. Die Raum-Abluft habe jedoch bis ca. Juli 2003 funktioniert, später sei auch diese bis März 2004 defekt gewesen. Vorgelegt wurden darüber hinaus Berichte des Betrieblichen Vorschlagswesens, wonach der Kläger Prämien für seine Verbesserungsvorschläge erhalten hat.

Im Rahmen eines ersten Verfahrens auf Feststellung einer BK führte die Beklagte am 04.05.2004 eine Besichtigung der ehemaligen Arbeitsplätze des Klägers und eine Besprechung mit den Betriebsleitern etc. durch. Dabei wurde festgestellt, dass der Kläger Tätigkeiten in den Laboratorien und im Technikum im Bau C14 ausgeübt habe. 1997/1998 sei es durch einen Fehler eines Mitarbeiters zum Austritt von ca. 5 Litern Thionylchlorid gekommen. Dieser eine Mitarbeiter habe dann fieberhaft versucht, das Thionylchlorid mit Wasser zu entfernen, wodurch Salzsäure und schweflige Säure entstanden seien, aber nicht Schwefelsäure, wie der Kläger vermute. Nach eigenem Bekunden sei der Kläger zum Zeitpunkt des Ereignisses gar nicht im Haus und dadurch zu keiner Zeit gefährdet gewesen. Im Winter 2002/03 habe die Frischluft nicht ausreichend erwärmt werden können, weswegen deren Zufuhr gedrosselt worden sei, die Abzüge seien aber weiterhin funktionsfähig und in Betrieb gewesen. Hinsichtlich des behaupteten offenen Stutzens an der Absaugung verhalte es sich so, dass irgendwelche Stoffe dort nicht ausgetreten seien, vielmehr herrsche in der Absaugleitung Unterdruck. Bei Verfahren, bei denen die kritischsten Stoffe - Cyanwasserstoff, Schwefelwasserstoff oder Kohlenmonoxid - entstehen könnten, würden die Konzentrationen mit Monitoren am Mann oder an der Apparatur ständig gemessen. Beim Grenzwert erfolge sofort Alarm, dann sei Atemschutz zu tragen. Die Protokollübermessungen im Oktober und November verdeutlichten dies. Mit Ausnahme des zwei Minuten dauernden Wechsels des Filters habe kein Cyanid nachgewiesen werden können, d.h. die Konzentration sei jedenfalls kleiner als 10 % des Grenzwertes gewesen. Die Messungen habe der Kläger sogar selbst durchgeführt. Er sei daher insgesamt bei seiner Tätigkeit nicht in gesundheitlich relevantem Ausmaß gegen irgendwelche Stoffe exponiert gewesen.

Mit Bescheid vom 05.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2005 lehnte die Beklagte die Einleitung eines Feststellungsverfahrens wegen des Verdachts einer BK hinsichtlich der durch den Kläger vorgetragenen Herz- und Leberbeschwerden ab. Der Kläger habe zwar Kontakt gegenüber Lösungsmitteln, Laborchemikalien und ungeprüften Substanzen gehabt; es sei aber persönliche Schutzkleidung gestellt worden und Betriebsanweisungen zum Umgang mit Chemikalien vorhanden gewesen. Daneben sei durch ein Unterdruckverfahren eine gesundheitsgefährdende Exposition zu Gefahrstoffen eher unwahrscheinlich. Auch die regelmäßigen Untersuchungen hätten keinen Anhalt für eine beruflich bedingte Erkrankung des Herzens oder der Leber erbracht. Die hiergegen erhobene Klage (S 1 U 28/06) wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 09.05.2007 ab. Im anschließenden Berufungsverfahren vor dem LSG Baden-Württemberg (L 10 U 3071/07) wurde u.a. der behandelnde K als sachverständiger Zeuge gehört, der unter dem 25.08.2008 über Erkrankungen des Herzens und der Leber berichtete und den Verdacht auf eine psycho-neurotische Grundhaltung äußerte. In dem nachfolgenden Erörterungstermin vom 18.09.2008 erklärte der Kläger, er habe derzeit keine akut behandlungsbedürftigen Herzprobleme mehr und sein Ziel, die Verhältnisse bei seinem damaligen Arbeitgeber anzuprangern, erreicht. Die Beteiligten schlossen daraufhin am 18.09.2008 einen Vergleich des Inhalts, dass die Beklagte sich verpflichtete, über den Antrag des Klägers, seine psychischen Probleme als BK anzuerkennen, inhaltlich rechtsmittelfähig zu entscheiden.

Nachdem die E in Auswertung der vorliegenden Unterlagen sowie des Vorbringens des Klägers am 13.03.2009 ausführte, dass neuere gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach psychische Störungen durch berufliche Einflüsse verursacht würden, nicht vorlägen, die vom Kläger geschilderten seelischen Beschwerden zwar zweifellos auch berufsbedingt seien, hiervon aber keinesfalls nur bestimmte Berufsgruppen durch ihre Tätigkeit besonders betroffen seien, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2009 den Antrag des Klägers ab. Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos (Gerichtbescheid vom 25.05.2010 - S 14 U 2969/09 -), ebenso das nachgehende Berufungsverfahren beim LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.07.2011 - L 6 U 3018/10 -) wie die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht (BSG, Beschluss vom 26.10.2011 - B 2 U 233/11 B -).

Das hierauf gerichtete Überprüfungsverfahren des Klägers ist ebenfalls erfolglos geblieben (Bescheid der Beklagten vom 12.10.2012, Az.: 660/B 1/141490 102/08, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2012, Gerichtsbescheid des SG vom 28.01.2014 - S 13 U 13/13 -). Die Berufung wurde durch Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 26.11.2015 - L 6 U 1278/14 - nach Einholung des Gutachtens von B vom 01.11.2014, der eine paranoide Persönlichkeitsstörung diagnostizierte, zurückgewiesen. Zum Lungenbefund hatte der Sachverständige festgestellt, dass der Kläger über Atemstörungen nur dann berichtet habe, wenn er einmal verschleimt sei, er müsse jedoch häufiger husten. Die orientierende internistische Untersuchung habe ein vesikuläres Atmen (normales Geräusch, welches beim Ein- und Ausatmen entsteht) über allen Lungenabschnitten sowie eine genügende Atemverschieblichkeit der unteren Lungengrenzen ergeben.

In diesem Berufungsverfahren legte der Kläger zusätzlich eine privat eingeholte „gutachtliche Stellungnahme“ des Ingenieurbüros für Bauwesen und Umwelt von W vom 07.08.2015 vor, wonach sich aus der Bezeichnung des Gebäudes C14 als Technikum ergebe, dass tatsächlich eine Produktionsanlage in der Vorstufe zur Großproduktion vorgelegen habe, somit auch die eingesetzten Behältnisse die gleichen sein müssten wie die in der Großproduktion. Folglich sei die vorhandene Lüftungsanlage zu gering ausgelegt, so dass der erforderliche Luftwechsel nicht eingehalten worden sei, zumal die Lüftungsanlage defekt gewesen sei, so dass der Betrieb sofort hätte eingestellt werden müssen. Insoweit bestehe noch weiterer Aufklärungsbedarf.

Parallel zu den Rechtsstreitigkeiten veranlasste der Kläger eine gewerbeärztliche Prüfung beim Regierungspräsidium Stuttgart. Der B1 gelangte in seiner Stellungnahme vom 09.08.2007 zu dem Ergebnis, dass die Nachforschungen zu dem Stoff 4-Chlor-3-Nitropyridin (CNP) und anderer verwandter Stoffe in Bezug auf ihre Toxizität nicht erfolgreich gewesen seien. Hinsichtlich des Verdachts einer Blausäurevergiftung sei es so, dass der Kläger Herzinfarkt-ähnliche Symptome vom 28.11.2007 geschildert habe. Nach den vorliegenden Unterlagen (Bericht der M2 Klinik der Universität H vom 05.12.2002) sei der Kläger morgens (7.30 Uhr) vermutlich auf dem Weg zur Arbeit in die Klinik gefahren oder eingeliefert worden, nachdem er akute Symptome in Form von Schwindelgefühl, Übelkeit, Herzstechen, Luftnot, Taubheitsgefühl im rechten Arm und Pelzigkeitsgefühl in der Unterlippe bemerkt habe. Es sei zwar denkbar, dass Blausäure-Gas (HCN) aus der Kanalisation austreten könne, wenn offene Verbindungen zu den Arbeitsräumen bestünden, denn HCN sei etwas leichter als Luft. Die üblicherweise beschriebenen Symptome bei leichten Vergiftungen seien Irritationen der Atemwege mit Kratzen im Hals und Husten, Engegefühl in der Brust, erhöhter Speichelfluss, Angstgefühl, Übelkeit und Erbrechen. Diese Symptome träten jedoch unmittelbar bei Exposition auf. Wenn die geschilderten Beschwerden erst nach einer beschwerdefreien Nachtruhe bemerkbar würden, sei es nicht wahrscheinlich, dass sie auf eine Blausäurevergiftung zurückzuführen seien. Dies gelte auch, wenn der Kläger an diesem Morgen erst von einer Nachtschicht zurückgekehrt sein sollte, denn die Symptomatik würde wahrscheinlich nicht erst nach Arbeitsende auftreten.

Der Kläger wandte sich schließlich an den Petitionsausschuss des Landtags von Baden-Württemberg (vgl. zum Folgenden Landtags-Drucksache 15/1272), der zu dem Ergebnis gelangte, dass sich die Petition, soweit den bestehenden Schäden im Kanalsystem abgeholfen werde, dadurch erledigt habe, und im Übrigen der Petition nicht abgeholfen werden könne. Das Gebäude C14, in dem neben diversen Büroräumen insbesondere Laborräume und das „Technikum für Forschung und Entwicklung“ untergebracht gewesen seien und in welchem als notwendige Vorstufe für die Erzeugung marktfähiger Chemieprodukte (durch sog. Upscaling) in deutlich geringerem Maßstab als in den eigentlichen Produktionsanlagen im Wesentlichen die gleichen Produkte hergestellt worden seien wie in den Chemieanlagen der Firma, sei am 21.06.1990 baurechtlich genehmigt worden. Für die Aufbewahrung von Laborchemikalien stünden spezielle Sicherheitsschränke bereit. Nach Überprüfung durch das Regierungspräsidium seien die im Gebäude C14 befindlichen Laboratorien, insbesondere auch die Technikum-Anlage, rechtskonform betrieben worden. Wegen dessen Größe und Ausstattung sei davon auszugehen, dass mit der Anlage seinerzeit nicht in industriellem Umfang produziert worden sei und auch heute nicht. Vielmehr würden nur chemische Produktionsverfahren getestet. Der Betrieb erfülle damit auch die sicherheitstechnischen Anforderungen der Störfallverordnung, nur erprobte „sichere Verfahren“ durchzuführen, d.h. die chemischen Reaktionen so zu steuern, dass sie nicht außer Kontrolle gerieten und zu einem Störfall führen könnten. Ebenso sei das Kanalsystem des gesamten Werkes überprüft worden. Hierbei seien Schäden unterschiedlicher Schwere im Kanalsystem festgestellt worden, etwas mehr als 22 % hätten unmittelbaren Handlungsbedarf, beträfen aber nur Abwasserkanäle für sanitäre Abwässer. Am 12.03.1996 sei es in der Anlage A51 zu einer Staubexplosion mit Gebäudeschaden und zu einem größeren Einsatz von Rettungskräften gekommen, Personenschäden seien nicht protokolliert worden. Aufgrund des Abstandes zum Gebäude C14 sowie der Tageszeit, zu der das Ereignis stattgefunden habe, lasse sich ein Zusammenhang zur damaligen Arbeitsplatzsituation nicht herstellen. Der „Thionylchloridunfall“ sei nicht aktenkundig, eine unmittelbare Auswirkung von Schäden auf die Luftsituation in den Arbeitsräumen nicht plausibel, zumal der Kläger zur Zeit des Ereignisses überhaupt nicht anwesend und von den Auswirkungen nicht betroffen gewesen sei. Am 04.11.1997 sei es zu unangenehmen Gerüchen in der Spülküche gekommen, worauf eine Mitarbeiterin nach Hause geschickt und krankgeschrieben worden sei, welches sich mit der aktenkundigen wasserrechtlichen Problemsituation decke. Danach habe es Probleme in der betrieblichen Abwasserbehandlungsanlage für Abwässer aus den Produktionsanlagen gegeben, nämlich mikrobiologische Aktivitäten im behandelten Abwasser, die zu einer Reduktion von Sulfat geführt hätten, wodurch Schwefelwasserstoffe von unbekannter Menge entstanden seien. Die Situation lasse sich heute nicht mehr hinreichend beurteilen, die Abwasserprobleme seien damals behoben worden und bei aktuellen Überprüfungen hätten keine unangenehmen Gerüche oder schlechte Arbeitsluft mehr festgestellt werden können. Aktenkundig sei lediglich die Unfallmeldung vom 04.07.2002, für die Zeit zwischen 1996 und heute lägen keine weiteren Unfallmeldungen vor, die die Arbeitnehmer im Gebäude C14 beträfen und mit Gefahrstoffen, gefährlichen Arbeiten, chemischen Anlagen, Laborarbeiten oder schlechter Arbeitsluft im Zusammenhang stünden. Die Überprüfung der vorgetragenen Punkte habe somit insgesamt kein Fehlverhalten der Behörden ergeben. Insbesondere liege auch nach Auffassung des Staatlichen Gewerbearztes beim Kläger weder eine Listen-BK noch eine Wie-BK vor.

Mit bei der Beklagten am 31.10.2011 eingegangenen Schreiben wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und machte nunmehr geltend, dass er an einem reduzierten Lungenvolumen, Darmfalschbesiedlung und Nahrungsunverträglichkeit auf Grund der offenen Wäscher, der Gully-Problematik, des Druckpumpen-Cyanidunfalls, des Entsorgens von Fässern, des 4-Chlor-3-Nitropyridin-Unfalls, der fehlenden Ventile zwischen den beiden Schadstoffabsaugungskreisläufen, der undichten Chlorierung bei fehlender Umluft und Abluft usw. leide. Am 12.11.2003 sei er deswegen in der Notambulanz im Klinikum M1 eingeliefert worden. Grund hierfür sei Aufregung gewesen, denn 100 Liter Cyanlauge seien beinahe wie im Thionychloridunfall in das M1er Kanalnetz abgeflossen. Es sei zu einer hypertonischen Entgleisung gekommen. Dabei sei ihm ein reduziertes Lungenvolumen mitgeteilt worden. Mit Schreiben vom 13.06.2012 teilte die Beklagte dem Kläger zunächst mit, es gebe keine Hinweise auf den begründeten Verdacht einer BK, so dass es eines Feststellungsverfahrens nicht bedürfe.

Schließlich lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.10.2012 die Anerkennung der vorgebrachten Beschwerden wie reduziertes Lungenvolumen, Reizdarm mit Nahrungsmittelunverträglichkeit, Rückenschmerzen sowie Verschlechterung des Sehvermögens als BK bzw. Wie-BK ab. Über die Herz- und Leberbeschwerden wie die psychischen Beschwerden sei bereits bestandskräftig entschieden worden, folglich müsse dies nicht erneut erfolgen. Auch die nunmehr geschilderten Beschwerden stellten für sich genommen keine Erkrankungen dar, wie sie in der Anlage zur BKV aufgeführt seien. Vielmehr handele es sich um anlagebedingte Gesundheitsstörungen, die unabhängig von etwaigen beruflichen Schadstoffeinwirkungen hervorgerufen worden seien. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2012 zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte ergänzend aus, durch das jetzige Vorbringen ergebe sich kein Sachverhalt, der nicht bereits Gegenstand des Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahrens aus dem Jahre 2009 sowie der ergangenen Entscheidungen der sozialgerichtlichen Instanzen gewesen wäre. Die hiergegen gerichtete Klage (S 13 U 14/13) wies das SG mit Urteil vom 11.08.2014 nach Einholung einer Auskunft von K vom 10.04.2014 ab. K hatte ausgeführt, der Kläger habe von 1996 bis 2003 an erhöhten Leberwerten gelitten, die sich seit 2004 normalisiert hätten. Die Gründe dafür seien unbekannt. Von 1996 bis 2003 habe er zusätzlich über rezidivierende Hautausschläge berichtet. 2003 habe er den Verdacht auf eine Zyanidvergiftung mit Atemnot geäußert und sei daraufhin in die K1klinik mit Verdacht auf Herzinfarkt eingewiesen worden. Hieraus resultierten psychische Veränderungen, z.B. Depressionen und Persönlichkeitsveränderungen. Mit Urteil vom 11.08.2014 hob das LSG Baden-Württemberg (L 6 AS 3792/14) den Gerichtsbescheid des SG vom 11.08.2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.12.2012 mangels hinreichender Bestimmtheit auf und wies die auf Anerkennung einer Erkrankung und Reduzierung des Lungenvolumens als Berufskrankheit gerichtete Berufung zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerde wies das BSG mit Beschluss vom 21.01.2016 (B 2 U 266/15 B) zurück.

Der Kläger legte zwischenzeitlich einen Entlassungsbericht des Uklinikums H vom 30.12.2014 über eine akute stationäre Behandlung vom 20. bis 30.12.2014 nach Pneumonie (Lungenentzündung) vor. Zusätzlich sei nach dem Befundbericht ein Zwerchfellhochstand rechts (anamnestisch seit 2004 nach Entzündung der Thoraxwand) bei Phrenikusparese (Lähmung des nervus Phrenikus mit Erschlaffen der entsprechenden Seite des Zwerchfells) diagnostiziert worden. Weiterhin leide der Kläger an einer bekannten koronaren 1-Gefäßerkrankung der RCA bei leicht eingeschränkter linksventrikulären Funktion (2003). Die Lungenfunktionsanalyse vom 29.12.2014 habe keine Obstruktion, also keine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung und nur eine mäßige Restriktion erbracht.

Mit Bescheid vom 19.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.06.2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Lungenerkrankung des Klägers als BK 1315 und BK 4301/4302 sowie als Wie-BK ab. Unbeschadet der Feststellung, ob und inwieweit der Kläger einer Einwirkung nach den genannten BKen ausgesetzt gewesen sei, liege bei ihm nicht das Krankheitsbild einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung und Rhinopathie vor. Auch die Voraussetzungen für die Anerkennung wie eine Berufskrankheit seien nicht erfüllt. Denn es seien keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse vorhanden, wonach spezifische Einwirkungen bekannt seien, die geeignet seien, eine Reduzierung des Lungenvolumens zu verursachen.

Hiergegen hat der Kläger am 21.06.2016 Klage beim SG erhoben, zu deren Begründung er zusammenfassend ausgeführt hat, die Kausalität zwischen seinem Arbeitsplatz und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergebe sich aus der langzeitigen Einwirkung kleiner Dosen von toxischen Stoffen über mehrere Jahre hinweg. Dies erfordere eine Aufklärung in toxikologisch-medizinischer Hinsicht. Eine rein lungenärztliche Betrachtung reiche nicht aus. Bereits im Jahr 2003 habe er unter Atemnot gelitten und es sei eine Lungenerkrankung festgestellt worden. Einen Rippenbruch habe er sich erst weit später im Jahr 2011 zugezogen. Insbesondere leide er unter einem Lungenemphysem, das wiederum durch einen Zwerchfellhochstand hervorgerufen worden sei. Ursache dieses Zwerchfellhochstandes sei die schleichende Vergiftung am Arbeitsplatz.

Das SG hat im Rahmen der Beweisaufnahme die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört, Befundberichte des Uklinikums H Medizinische Klinik, Abteilung Innere Medizin II, beigezogen und ein Gutachten bei dem G eingeholt.

Der S2 hat unter dem 08.06.2017 ausgeführt, der Kläger habe sich erstmalig am 08.10.2014 vorgestellt, ein zweiter und letzter Termin sei am 12.02.2015 wahrgenommen worden. Der Kläger leide an einer kombinierten Ventilationsstörung mit einer leichten bronchioobstruktiven Komponente. Die Lungendehnbarkeitsstörung sei auf eine bekannte Zwerchfelllähmung sowie auf eine stattgehabte Rippenserienfraktur rechts (11/2013) zurückzuführen. Ob die festgestellten Gesundheitsstörungen auf die Einwirkung von allergisierenden, chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen (insbesondere Isocyonaten) zurückzuführen sei, könne nicht eindeutig beantwortet werden, zumal die geplante Diagnostik (Allergie-Diagnostik), geplant für Juli 2015, vom Kläger nicht wahrgenommen worden sei. Ebenso wenig sei eine Untersuchung auf eine Sensibilisierung gegenüber Isocyonaten durchgeführt worden. D, Chefarzt der Thoraxchirurgie der Tklinik H, Facharzt für Thorax-, Visceral- und Gefäßchirurgie, hat in seiner Stellungnahme vom 09.06.2017 ausgeführt, der Kläger habe sich dort im Januar 2014 in stationärer Behandlung der Chirurgischen Abteilung befunden, weitere Kontakte hätten nicht stattgefunden. Der Befund einer obstruktiven Atemwegserkrankung sei im Verlauf des stationären Aufenthalts in der chirurgischen Abteilung nicht objektiviert worden. Die von ihm festgestellten Gesundheitsstörungen beruhten ausschließlich auf dem stattgehabten Arbeitsunfall am 15.11.2013. Das SG hat außerdem Befundberichte des Uklinikums H, Medizinische Klinik, Abteilung Innere Medizin II beigezogen. In dem Bericht vom 19.12.2003 über den stationären Aufenthalt vom 24.11.2003 bis 26.11.2003 wurden die Diagnosen im Wesentlichen koronare Ein-Gefäßerkrankung der RCA mit ca. 50%iger Ostiumstenose, leicht eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion mit anterolateraler Betonung, dopplersonographisch minimale Aorteninsuffizienz, Hyperlipidämie, arterielle Hypertonie, Carotisbulbusplaque beidseits, Zustand nach Borreliose, kompletter Rechtsschenkelblock und aktuell unauffällige Myokardszintigraphie, konservatives Prozedere empfohlen, angegeben. Im Bericht vom 02.01.2015 über den stationären Aufenthalt vom 20.12.2014 bis 30.12.2014 wurden die Diagnosen aktuell Pneumonie, Zwerchfellhochstand rechts bei Phrenicusparese, koronare Ein-Gefäßerkrankung der RCA bei leicht eingeschränkter linksventrikulärer Funktion (2003), knöchern konsolidierte, laterale Claviculafraktur rechtsseitig mit plattenosteosynthetischer Versorgung vom 25.11.2013, Thoraxtrauma mit Rippenserienfraktur, erste bis zwölfte Rippe rechtsseitig, arterielle Hypertonie, Zustand nach Intoxikation mit Cyanit 2005, Zustand nach Osteosynthese Oberarm rechts 2005, Zustand nach Erysipel in beiden Beinen 1997 und 2003 mit Sepsis angegeben. Die Lungenfunktionsprüfung vom 29.12.2014 habe keine Obstruktion gezeigt.

G hat nach ambulanten Untersuchungen des Klägers am 17.01. und 18.01.2018 in seinem Gutachten vom 25.01.2018 ausgeführt, aufgrund der durchgeführten Untersuchung unter Berücksichtigung der Befunde in den Akten sowie der allgemeinen anamnestischen Angaben seien bei dem Kläger auf internistisch-pneumologischem Fachgebiet eine basale Pleuraschwiele und ein Zwerchfellhochstand rechts nach Pleuritis infolge einer operativen Versorgung einer Rippenserienfraktur rechts sowie eines Schlüsselbeinbruchs rechts 11/2013, eine Pollenallergie, Bluthochdruck, Diabetes mellitus und eine koronare Ein-Gefäß-Erkrankung zu diagnostizieren. Im November 2002 sei bei einer Behandlung in der M2 Klinik H noch ein unauffälliger Röntgenthorax beschrieben worden. Im November 2003, als eine koronare Herzerkrankung diagnostiziert worden sei, sei die Lungenfunktionsmessung noch normal gewesen. Erst nach einem häuslichen Unfall mit Rippenserienfraktur rechts sowie einer operativen Versorgung in der Orthopädie im November 2013 sei es kurz danach zu einem rechtsseitigen Pleuraerguss gekommen, der in der Tklinik H punktiert und mittels Thorakoskopie und Drainage sowie partieller Pleurektomie (Rippenfellentfernung) behandelt worden sei. Dabei hätten sich auch ältere Blutgerinnsel gefunden. Damit könne man eindeutig von einem traumatischen Geschehen rechts ausgehen, was zu der basalen Verschwielung und dem persistierenden Zwerchfellhochstand rechts geführt habe. Für die Annahme einer akut toxischen oder chronisch-toxischen Zwerchfellparese gebe es keine Anhaltspunkte. Der Kläger habe früher an Heuschnupfen gelitten, auch jetzt sei noch eine Pollenallergie nachweisbar, die angeblich nicht mehr symptomatisch sei. Eine Sensibilisierung durch Isocyonate sei ausgeschlossen worden. Zu einer obstruktiven Atemwegserkrankung sei es bei dem Kläger nicht gekommen. Aktuell sei keine bronchiale Obstruktion nachzuweisen und auch keine bronchiale Überempfindlichkeit. Auch entsprechende Biomarkeruntersuchungen hätten keinen Hinweis für eine chronische Atemwegsentzündung ergeben. Eine obstruktive Atemwegserkrankung liege deswegen weder klinisch-pneumologisch noch im arbeitsmedizinischen Sinne vor. Es sei eine postpleuritische Pleuraschwiele rechts sowie ein posttraumatischer bzw. postpleuritischer Zwerchfellhochstand rechts gefunden worden. Eine obstruktive Atemwegserkrankung sei nicht feststellbar gewesen. Eine obstruktive Atemwegserkrankung in medizinisch-pneumologischem und arbeitsmedizinischen Sinne liege nicht vor. Eine BK 4301 bzw. BK 4302 liege nicht vor, da keine obstruktive Atemwegserkrankung vorliege und auch retrospektiv nicht vorgelegen habe. Isocyonate als Auslöser einer Berufskrankheit kämen bei obstruktiven Atemwegserkrankungen sowie bei Vorliegen einer exogen-allergischen Alveolitis in Betracht. Da bei dem Kläger weder eine obstruktive Atemwegserkrankung vorliege noch eine chronisch-interstitielle Lungenerkrankung im Sinne einer exogen-allergischen Alveolitis, bestehe auch kein Grund für die Annahme einer durch Isocyonate hervorgerufenen Erkrankung. Das Unfallereignis mit der operativen Versorgung der Schlüsselbeinfraktur in S3 und dem kurz danach festgestellten Pleuraerguss rechts, der nach Aussage der Tklinik H Koagel enthalten habe, seien eine vollständig hinreichende Erklärung für die erst seither bekannte Zwerchfelllähmung rechts. Zwerchfelllähmung bzw. Zwerchfellhochstände seien häufig Folge einer Pleuritis, in diesem Fall nach einem Unfall mit Rippenfrakturen, Schlüsselbeinfraktur und Einblutung in den Brustraum. Daneben kämen Zwerchfelllähmungen sehr häufig im mittleren und höheren Alter vor, ohne dass jemals eine konkrete Ursache dafür aufzufinden sei (sog. idiopathische Zwerchfellparesen). Für eine toxische Auslösung dieses Befundes gebe es im vorliegenden Fall nicht die geringsten Anhaltspunkte. Dem Gutachter seien keine neueren medizinischen Erkenntnisse bekannt, wonach es durch eine akute oder chronische Cyanitvergiftung Jahre später zu einer isolierten Zwerchfelllähmung kommen sollte. Im vorliegenden Fall sei der persistierende Befund bei dem Kläger völlig plausibel über das private Unfallereignis und die nachfolgenden Behandlungen 2013/14 erklärt.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 04.06.2018 abgewiesen. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Lungenerkrankung als BK nach Ziff. 4301, 4302, 1315 der BK-Liste oder als sogenannte Wie-BK. Unter der Nr. 43 der Anl. 1 zur BKV seien obstruktive Atemwegserkrankungen genannt. Im Fall des Klägers habe die Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen G abermals bestätigt, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung in diesem Sinne gerade nicht vorliege. Der Kläger leide auch nicht an einer BK 1315 der BKV. G habe nachvollziehbar beim Kläger eine postpleuritische Pleuraschwiele rechts sowie einen posttraumatischen bzw. postpleuritischen Zwerchfellhochstand rechts diagnostiziert. Er habe schlüssig dargelegt, dass es nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass eine derartige Erkrankung toxisch, insbesondere durch eine akute oder chronische Vergiftung mit Isozyonaten verursacht werden konnte. Dies ergebe sich auch aus dem Merkblatt des zuständigen Bundesministeriums zur BK 1315, wonach als Krankheitsbilder der BK 1315 eine obstruktive Atemwegserkrankung und eine Alviolitis bekannt seien. In der Literatur werde neben der genannten Alviolitis insbesondere Asthma als Erkrankung genannt, zu deren Auslösung Isozyanate geeignet seien. Auch ein solches Krankheitsbild werde durch das Ergebnis der medizinischen Sachaufklärung nicht bestätigt. Bei dem Kläger sei auch keine Wie-BK anzuerkennen. Der Kläger habe im November 2013 bei einem privaten Unfall eine Rippenserienfraktur rechts und einen Schlüsselbeinbruch rechts erlitten. Hierdurch seien eine basale Pleuraschwiele und ein Zwerchfellhochstand rechts hervorgerufen worden, was Ursache der Einschränkung der Lungenfunktion des Klägers im Sinne einer restriktiven Ventilationsstörung sei. Diese Einschätzung der Sachverständigen S2 und D habe der gerichtliche Sachverständige G voll umfänglich bestätigt. Neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, die abweichend hiervon eine Vergiftung durch Isocyanate oder andere toxisch oder chemisch-irritativ wirkenden Stoffe als wesentliche Ursache dieses Gesundheitsschadens wahrscheinlich machen könnten, seien nicht ersichtlich.

Gegen den ihm am 07.06.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 09.07.2018, einem Montag, Berufung eingelegt. Zur Berufungsbegründung hat er zusammenfassend vorgetragen, es werde die nicht genügende Sachverhaltsaufklärung seitens des SG gerügt. Das SG stütze sich im Wesentlichen auf zwei sachverständige Zeugenanhörungen und auf ein seitens des Gerichts eingeholtes Sachverständigengutachten. Zur vollständigen Aufklärung sei aber die Einholung eines medizinisch-toxikologischen Sachverständigengutachtens erforderlich. Bei den Zeugen und dem Sachverständigen handle es sich um Internisten und Lungenärzte bzw. um einen Thoraxchirurgen. Die erhebliche Lungeneinschränkung werde mit einem privaten Unfall im November 2013 begründet, allerdings seien bereits im Jahr 2003 erhebliche Einschränkungen der Lungenfunktion im Uklinikum M1 festgestellt worden. Zum Untersuchungstermin beim Sachverständigen G habe er die daraus angefertigten Röntgenbilder mitgebracht, die der Gutachter jedoch nicht berücksichtigt habe. Der B1 habe mit Schreiben vom 19.11.2015 einen Zusammenhang hergestellt zwischen einem der Arbeitsunfälle am 28.11.2002 und den Lungenbeschwerden. Auch K habe in seinem Schreiben vom 10.04.2014 einen Verdacht auf Cyanitvergiftung mit Atemnot im Jahr 2003 erwähnt. Die Einschränkungen der Lungenfunktion hätten damit bereits weit vor dem privaten Unfall bestanden, bei dem er eine Fraktur mehrerer Rippen erlitten habe. Diese Verletzungen seien weitgehend ausgeheilt und hätten die Lunge nicht geschädigt. Ursache für die Einschränkungen der Lungenfunktion sei die Beschäftigung bei der Firma R AG in M1 bis 30.06.2004. Seine Arbeitsstelle sei als Labor genehmigt gewesen, tatsächlich habe es sich jedoch um eine Kleinproduktionsstätte als Vorstufe zur industriellen Produktion gehandelt, wofür höhere Sicherheitsvorkehrungen eingehalten hätten werden müssen, insbesondere betreffe dies die dauerhafte Belüftung und Vorkehrungen bei Störfällen. Er sei zum einen aufgrund der mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen dauerhaft toxischen Stoffen ausgesetzt gewesen und habe hierdurch über die Jahre hinweg eine schleichende Vergiftung erlitten. Hinzu seien zwei Störfälle gekommen, bei denen er in nochmals höheren Dosen giftigen Stoffen ausgesetzt gewesen sei. Die Beklagte habe nach wie vor keine Messprotokolle aus den Jahren 1999 bis 2005 zur Verfügung gestellt. Die geschilderten Vorfälle hätten entgegen der Ausführung der Beklagten sehr wohl auch Auswirkungen auf seinen Arbeitsplatz gehabt. Es könne dahinstehen, ob sich jeder Vorfall zu seiner Arbeitszeit ereignet habe, solange nicht feststehe, in welchem Zeitraum noch Schadstoffbelastungen gemessen werden konnten. Bislang habe die Beklagte nicht mitgeteilt, warum die ausdrücklich angeforderten Messprotokolle nicht zur Verfügung gestellt worden seien, zumindest gestehe sie doch auch selbst einige Vorfälle bzw. Unfälle zu. Auswirkungen auf die Gesundheit würden seitens der Beklagten pauschal ausgeschlossen, ohne dies jedoch hinreichend und nachvollziehbar zu begründen. Er habe vielmehr eine schleichende Vergiftung über die Jahre hinweg erlitten, da die Sicherheitsvorkehrungen der Firma unterdimensioniert gewesen seien. Hinzu kämen die unstreitigen Vorfälle.

Im Rahmen der Beweisaufnahme hat der Senat auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers den F als Gutachter beauftragt. Der Gutachter hat in seinem Gutachten vom 12.10.2020 ausgeführt, eine obstruktive Atemwegserkrankung sei nicht festgestellt, es bestehe eine restriktive Ventilationsstörung. Eine Einschränkung der Atemreserven sei nicht festzustellen, die Pleurasonographie habe keinen Erguss ergeben. Es bestehe ein Zwerchfellhochstand bei Phrenicusparese und der Zustand nach Pneumonie, bei der Lungenfunktionsprüfung habe sich kein Anhalt für eine Obstruktion ergeben, es bestehe eine mäßige Restriktion. Es sei der Verdacht auf eine Multiple Chemikaliensensitivität (MCS) geäußert worden. Ob und wenn ja, in welcher Konzentration der Kläger gegenüber Schadstoffen exponiert gewesen sei, sei aufgrund der nach wie vor fehlenden Messprotokolle nicht zu klären. Meldungen, Begehungs- bzw. Mess- oder Unfallprotokolle, die als Beweismittel dienten, gebe es in den umfangreichen Gerichtsakten nicht, Fremdmessungen seien nicht durchgeführt worden, so dass es für das Bestehen einer Berufskrankheit an objektiven Belegen fehle, die das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Bestehen einer BK im Sinne eines Vollbeweises belegen könnten.

F führe aus, dass mehrere Betriebsunfälle und Sicherheitsmängel für eine wiederholte Exposition gegenüber Schadstoffen sprächen. Der Sachverhalt sei nicht hinreichend geklärt. Die Beklagte vereitle die Beweisführung. Der Kläger hat auch im Berufungsverfahren umfangreich selbst vorgetragen und weitere Beweise angeboten; zuletzt hat er in der mündlichen Verhandlung zwei ausführliche Schriftsätze übergeben, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 4. Juni 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2016 zu verpflichten, die Lungenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit nach Ziffer 4301, 4302 und 1315 der Anlage 1 zur BKV, hilfsweise als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen,

hilfsweise,

den Sachverständigen F anzuhören zum Nachweis dafür, dass er die Beweisfragen nicht vollständig beantworten konnte, da ihm wichtige Unterlagen der Beklagten bisher fehlen, insbesondere Protokolle über Begehungen der Beklagten und Messprotokolle.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf den Inhalt der streitgegenständlichen Bescheide und des angefochtenen Gerichtsbescheids. Sie hat Auszüge aus der Betriebsakte zu Betriebsbesichtigungen und Unfällen zugesandt und vorgetragen, die betrieblichen Unfälle hätten sich außerhalb des Arbeitsbereichs des Klägers ereignet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat die zulässige Klage mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 04.06.2018 zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 19.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.06.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Streitgegenstand ist allein, ob die Lungenerkrankung des Klägers als BK 4301, 4302 und 1315 oder als sog. Wie-BK anzuerkennen ist. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob eine darüber hinaus beim Kläger festzustellende Gesundheitsstörung als BK oder wie eine BK anzuerkennen ist. Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 19.11.2015 hat die Beklagte allein darüber entschieden, ob die Lungenerkrankung des Klägers als oder wie eine BK festzustellen ist. Weitere Gesundheitsstörungen, die der Kläger ebenfalls auf seine berufliche Tätigkeit bei der Firma R AG zurückführt, waren, wie im Tatbestand ausführlich dargelegt, bereits Gegenstand früherer Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Soweit der Kläger zuletzt sinngemäß vorträgt, er leide unter einem Multiple Chemical Syndrom (MCS), das auf eine schleichende Vergiftung im Rahmen seiner Berufstätigkeit zurückzuführen sei, ist die Einordnung dieser Gesundheitsstörung nicht Gegenstand des Verfahrens. Nach dem auch im sozialgerichtlichen Verfahren zugrunde zu legenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff, kommt es bei der Feststellung des Streitgegenstands auf den Lebenssachverhalt und das Anspruchsziel an (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 95 Rdnr. 5, Wehrhahn in jurisPK-SGG, § 95 SGG Rdnr. 14). Maßgeblich ist nach der Dispositionsmaxime grundsätzlich der Antrag des Klägers; wird die Feststellung einer Gesundheitsstörung als Unfallfolge oder BK geltend gemacht, dann ist Streitgegenstand die Behauptung, dass die Ablehnung der konkreten Gesundheitsstörung als Unfallfolge oder BK rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Ausgangspunkt für die Abgrenzung der Streitgegenstände ist das Tatbestandsmerkmal Gesundheitsstörung im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Liegen zwei voneinander abgrenzbare Gesundheitsstörungen vor, handelt es sich zunächst um zwei Streitgegenstände, auch wenn es sich um Folgen jeweils desselben Arbeitsunfalls/derselben BK handelt (vgl. ausführlich Ṧuṧnjar/Spellbrink, SGb 2021, 129-134). Ausgehend von diesen Grundsätzen und auch unter Beachtung des Meistbegünstigungsgrundsatzes ist Streitgegenstand allein die Frage, ob die Lungenerkrankung des Klägers als BK 4301, 4302 und 1315 oder als Wie-BK anzuerkennen ist. Hinsichtlich der Frage, ob auch eine MCS als BK anzuerkennen wäre, fehlt es bereits an der Durchführung eines erforderlichen Vorverfahrens.

Die Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Feststellung der Lungenerkrankung als eine der streitigen BKen oder Wie-BK ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig. Der Kläger kann wählen, ob er sein Begehren mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) oder mit einer Kombination aus Anfechtungsklage gegen den das Nichtbestehen des von ihm erhobenen Anspruchs feststellenden Verwaltungsakt und einer Verpflichtungsklage verfolgen will (Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R - und vom 15.09.2011 - B 2 U 22/10 R -, juris, m.w.N.). Beide Rechtsschutzformen sind grundsätzlich gleich rechtsschutzintensiv (BSG, Urteile vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R - und vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R -, juris).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner Lungenerkrankung als BK 4301, BK 4302 oder BK 1315 der Anlage 1 zur BKV oder als Wie-BK.

Rechtsgrundlage im vorliegenden Fall sind die Vorschriften des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), denn die vorliegend streitbefangene Atemwegserkrankung hat sich laut den eigenen Angaben des Klägers erstmals 2003 bemerkbar gemacht. Ein potentieller Versicherungs- wie auch Leistungsfall liegt damit zeitlich nach dem Inkrafttreten des SGB VII am 01.01.1997 (Art. 36 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes, § 212 SGB VII), weshalb dessen Vorschriften Anwendung finden. Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und BKen (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -). BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog. Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten erleiden. Für die Feststellung einer Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und dass diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkung“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen, während für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit, genügt (st. Rspr. vgl. nur BSG, Urteile vom 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R -, vom 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R -, vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R -, vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R -, vom 15.09.2011 - B 2 U 22/10 R und B 2 U 25/10 R -, vom 23.04.2015 - B 2 U 20/14 R -, vom 06.09.2018 - B 2 U 10/17 R - und vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R -, juris).

Für die haftungsbegründende Kausalität zwischen Einwirkungen und Erkrankung gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung mit der Bedingungstheorie als erstem und der wertenden Zurechnung als zweitem Prüfungsschritt. Kriterien für die Wesentlichkeit der nach der Bedingungstheorie als Ursache festgestellten versicherten Einwirkungen sind, wenn andere festgestellte konkurrierende Ursachen in Betracht kommen, Art und Ausmaß der Einwirkungen, die konkurrierenden Ursachen, das Krankheitsbild sowie die gesamte Krankengeschichte, so dass letztlich in der Regel eine Gesamtbetrachtung anzustellen ist. Entscheidungsbasis für die Kausalitätsbeurteilung muss der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand sein. Erforderlich ist aber jeweils eine einzelfallbezogene positive Feststellung sowohl der Verursachung nach der Bedingungstheorie als auch der wesentlichen Verursachung der vorliegenden Erkrankung durch die versicherten Einwirkungen. Das bloße Fehlen von konkurrierenden Ursachen genügt bei komplexen Krankheitsgeschehen, die mehrere Ursachen haben können, gerade nicht. Beweismaßstab für die haftungsbegründende Kausalität ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - a.a.O., m.w.N.).

Der Kläger gehört zum versicherten Personenkreis; er war jedenfalls von 1990 bis Juni 2004 als chemisch-technischer Angestellter im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert.

Eine BK gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII i.V.m. den Vorschriften der BKV besteht nicht. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 4301, 4302 oder 1315 der Anlage 1 zur BKV sind nicht erfüllt.

Die BK 4301 der Anlage 1 der BKV setzt durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie) voraus. Als BK 4302 sind durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen festzustellen.

Bei beiden BKen war bis zum 31.12.2020 ein sog. Unterlassungszwang mit dem Zusatz „die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können" geregelt. Die Aufgabe des Unterlassungszwangs durch die ab dem ab dem 01.01.2021 gültige Fassung der BKV vom 12.06.2020 (BGBl. I 2020 1248) führt vorliegend zu keiner anderen Beurteilung, da bei dem Kläger bereits keine Erkrankung im Sinne der BKen 4301 und 4302 besteht und es auf die Frage, ob er zur Unterlassung aller Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, gezwungen war, nicht ankommt.

Gemessen an den genannten Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Atemwegserkrankung als BK im Sinne der genannten Nummern, da es sowohl für die BK 4301 als auch für die BK 4302 bereits an den medizinischen Voraussetzungen, d.h. dem im Vollbeweis erforderlichen Nachweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung fehlt. Die Krankheit „obstruktive Atemwegserkrankung" ist ein Sammelbegriff für verschiedene akute und chronische Krankheiten des bronchopulmonalen Systems, die mit obstruktiven Ventilationsstörungen einhergehen. Unter den Begriff „obstruktive Atemwegserkrankungen im Sinne der BKV“ fallen allergische Rhinopathie, Asthma bronchiale und chronisch obstruktive Bronchitis (= COPD). Der Begriff COPD (chronic obstructive pulmonary desease) steht für eine chronisch obstruktive Bronchitis mit oder ohne relevantes Lungenemphysem. Die unspezifische bronchiale Hyperreaktivität ist kein selbstständiges Krankheitsbild, sondern ein phasenweiser ggf. saisonal wechselnder Befund der obstruktiven Atemwegserkrankungen und Ausdruck der gesteigerten Bereitschaft der unteren Atemwege, mit Obstruktion zu reagieren. Die Diagnose obstruktive Atemwegserkrankung ist bereits zu stellen, wenn im Zusammenhang mit Beschwerden eine unspezifische bronchiale Hyperreaktivität wiederholt außerhalb von Infektperioden nachgewiesen ist. Fehlt es an der Obstruktion, liegen die Voraussetzungen nicht vor, weil der Verordnungsgeber mit diesen BKen nur Erkrankungen mit einem bestimmten Schweregrad erfassen wollte, wie sich aus ihrer ursprünglichen Bezeichnung „Bronchialasthma" ergibt (vgl. die Nr. 41 der Sechsten BKVO vom 28.04.1961, BGBl. I 505). Auch ist es für die nicht obstruktive Form in arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Studien bislang nicht ausreichend gelungen, ein Verdoppelungsrisiko zu belegen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., 2017, S. 115 f. m.w.N.).

Im Falle des Klägers hat die Begutachtung durch G bestätigt, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung in diesem Sinne gerade nicht vorliegt. Eine Obstruktion war bei den lungenfachärztlichen Untersuchungen nicht nachzuweisen. Auch aus dem gesamten Akteninhalt, insbesondere den beigezogenen Befundberichten und sachverständigen Zeugenauskünften, ergeben sich keinerlei Hinweise auf eine relevante bronchiale Obstruktion. Im Befundbericht der M2 Klinik und Poliklinik H vom 19.12.2003 über den stationären Aufenthalt vom 24.11.2003 bis 26.11.2003 wird angegeben, dass die Lungenfunktionsprüfung am 26.11.2003 keine Einschränkung der Atemreserven ergeben hat. K erwähnt in seinem Attest vom 17.09.2015 allein eine Bronchitis. Soweit S2, bei dem sich der Kläger allein am 08.10.2014 und 12.02.2015 in Behandlung befunden hat, angibt, der Kläger leide unter verstärkter Kurzatmigkeit mit mittlerer körperlicher Anstrengung und unter einer Ventilationsstörung mit einer leichten bronchoobstruktiven Komponente, konnte diese bronchiale Obstruktion durch G gerade nicht bestätigt werden; die von ihm durchgeführte Lungenfunktionsuntersuchung ergab lediglich eine leichtgradige Ventilationsstörung, aber keine Obstruktion. Der Gutachter führt vielmehr zur Überzeugung des Senats aus, dass sich in der gesamten Akte keine Lungenfunktionsprotokolle finden, die jemals mit Sicherheit eine bronchiale Obstruktion belegen würden. Darauf, dass auch S2 – wie G und D – die Ursache für die Lungendehnbarkeitsstörung auf die Zwerchfelllähmung und auf die im November 2013 erlittene Rippenserienfraktur rechts zurückführt, kommt es daher nicht an. D führt ebenfalls aus, dass der Befund einer obstruktiven Atemwegserkrankung im Verlauf des stationären Aufenthalts in der Chirurgischen Abteilung der Tklinik H nicht objektiviert werden konnte. Die im Uklinik H im Rahmen des stationären Aufenthalts im Dezember 2014 am 29.12.2014 durchgeführte Lungenfunktionsprüfung zeigte ebenfalls keine Obstruktion. Dies haben auch N und K2 in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 19.06.2017 gegenüber dem SG bestätigt. Schließlich hat auch der Sachverständige F eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht festgestellt.

Der Nachweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung ist demnach nicht geführt.

Die Voraussetzungen für die Anerkennung der BKen 4301 und 4302 sind nicht gegeben.

Der Senat konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass bei dem Kläger eine BK 1315 festzustellen ist. Die BK 1315 hat der Verordnungsgeber in der Anlage 1 zur BKV wie folgt bezeichnet: „Erkrankungen durch Isocyanate“.

Auch insoweit ist der noch bis zum 31.12.2020 geltende Unterlassungszwang durch die ab dem 01.01.2021 gültige Fassung der BKV vom 12.06.2020 (BGBl. I 2020 1248) weggefallen, was ohne Auswirkung auf das vorliegende Verfahren bleibt. Bei dem Kläger liegt ein nach der BK 1315 anzuerkennendes Krankheitsbild nicht vor.

Als Krankheitsbilder im Sinne der BK 1315 sind obstruktive Atemwegserkrankungen und eine Alveolitis anerkannt (Merkblatt zur BK 1314, Bekanntmachung des BMGS, BArbBl. 3/2004, Seite 32). Darüber hinaus wird in der unfallmedizinischen Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 1120 f.) vertreten, dass Isocyanate ein allergisch bedingtes Isocyanat-Asthma, ein chemisch-irritativ/toxisch bedingtes Isocyanat-Asthma und eine exogen-allergische Isocyanat-Alveolitis hervorrufen. G hat auch insoweit für den Senat überzeugend dargelegt, dass bei dem Kläger weder eine obstruktive Atemwegserkrankung noch eine chronisch-interstitielle Lungenerkrankung im Sinne einer exogen-allergischen Alveolitis vorliegt, weshalb kein Grund für die Annahme einer durch Isocyanate hervorgerufenen Erkrankung besteht. Eine solche Erkrankung wurde auch durch S2 nicht bestätigt. Eine Gesundheitsstörung im Sinne der BK 1315 wurde auch darüber hinaus durch keinen der behandelnden Ärzte bestätigt, wobei diese zum Teil aber eine spezifische Diagnostik zur Feststellung einer allergisierenden oder irritativ-toxischen Lungenfunktionsstörung, etwa durch eine Untersuchung auf eine Sensibilisierung auf Isocyanate, auch nicht durchgeführt haben. Weder die durch G im Rahmen seiner Begutachtung durchgeführte Lungenfunktionsuntersuchung noch die Lungenfunktionsprüfung des Uklinikums H vom 02.01.2015 ergaben ein entsprechendes Krankheitsbild. Die Lungenfunktionsprüfung vom 29.12.2014 zeigte keine Obstruktion, nur eine mäßige Restriktion und keine Überblähung, die CO-Diffusionskapazität war mäßig eingeschränkt, der CO-Transferkoeffizient war normal. Im Befundbericht vom 02.01.2015 gingen H, T1 und die G1 von einer Restriktion am ehesten im Rahmen der bekannten Zwerchfell-Parese rechts aus. Ein Krankheitsbild, das der BK 1315 entsprechen würde, liegt demnach nach auch nach dem Befundbericht des Uklinikums H nicht vor. Ein solches wird auch durch F nicht beschrieben, der vielmehr bestätigt, dass kein Anhalt für eine Obstruktion besteht.

Die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 1315 liegen nicht vor.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung einer Lungenerkrankung als sog. Wie-BK.

Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit (Wie-BK) als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. Diese „Öffnungsklausel" des § 9 Abs. 2 SGB VII soll nur die Regelungslücken in der BKV schließen, die sich aus den zeitlichen Abständen zwischen den Änderungen der BKV ergeben. Die Regelung ist aber keine allgemeine Härteklausel, für deren Anwendung es genügen würde, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.1986 - 2 RU 80/84 -, Juris). Vielmehr soll die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber aber noch nicht tätig geworden ist (vgl. BT-Drucks 13/2204, 77 f). § 9 Abs. 2 SGB VII greift dann nicht, wenn die betreffende Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen bereits aufgenommen ist.

Für den Senat steht aufgrund des Gutachtens von G fest, dass bei dem Kläger auf lungenfachärztlichem Fachgebiet eine Pleuraschwiele und ein Zwerchfellhochstand rechts nach Pleuritis besteht. G hat – in Übereinstimmung mit S2 und D – überzeugend dargelegt, dass diese Gesundheitsstörungen auf die im November 2013 erlittene Rippenserienfraktur zurückzuführen sind. Der Kläger hat im November 2013 bei einem privaten Unfall eine Rippenserienfraktur und einen Schlüsselbeinbruch rechts erlitten. Hierdurch wurden eine basale Pleuraschwiele und ein Zwerchfellhochstand rechts hervorgerufen, was Ursache der Einschränkung der Lungenfunktion des Klägers im Sinne einer restriktiven Ventilationsstörung ist. Diese Einschätzung der sachverständigen Zeugen S2 und D hat G in vollem Umfang bestätigt. Neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, die abweichend hiervon – wie vom Kläger vorgetragen – eine Vergiftung durch Isocyanate oder andere toxisch oder chemisch-irritativ wirkenden Stoffe als wesentliche Ursache dieser Gesundheitsschäden wahrscheinlich machen könnte, sind – wie der Sachverständige G ausführlich dargelegt hat – auch nicht ersichtlich.

Unabhängig davon, dass – wie bereits dargelegt – die Frage, ob ein Multiple Chemical Sensitivity-Syndrom (MCS) als BK oder wie eine BK anzuerkennen ist, nicht Gegenstand des Verfahrens ist, kann eine Anerkennung als Wie-BK schon deshalb nicht erfolgen, da die Gründe für die Entstehung dieser Erkrankung nicht geklärt sind und es an validen Erkenntnissen über besondere berufliche Einflüsse auf das Entstehen einer solchen Erkrankung fehlt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 U 3109/11 -, Juris). Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Diagnose einer MCS auch nicht im Vollbeweis feststeht, vielmehr hat auch F allein den Verdacht auf das Vorliegen einer solchen Gesundheitsstörung gestellt.

Da Streitgegenstand des Verfahrens allein die Lungenerkrankung des Klägers und deren Feststellung als BK 4301, 4302 oder 1315 oder als Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII ist, kommt es nicht darauf an, ob der Kläger ggf. die Voraussetzungen einer anderen BK erfüllt, über die die Beklagte noch nicht entschieden hat (BSG, Urteil vom 02.12.2008 - B 2 KN 2/07 R-, Juris).

Der Senat sah sich daher auch nicht veranlasst, wie von F angeregt, weitere Messergebnisse und Protokolle von Arbeitsplatzbesichtigungen beizuziehen. Unabhängig davon, dass die Firma R AG seit vielen Jahren nicht mehr besteht und der Beklagten nach ihren Angaben über die aktenkundigen Unterlagen hinaus keine weiteren Protokolle vorliegen, sieht der Senat keine Veranlassung zu solchen Ermittlungen ins Blaue. F führt lediglich aus, er benötige entsprechende Unterlagen, um klären zu können, ob und wenn ja, in welcher Konzentration der Kläger gegenüber Schadstoffen exponiert war, welche Gesundheitsstörung hierdurch verursacht worden sein soll, erläutert er hingegen nicht. Zudem fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit der hilfsweise beantragten weiteren Ermittlungen für das vorliegende Verfahren. Denn die genannten Unterlagen beziehen sich ersichtlich auf die von F gestellte Verdachtsdiagnose einer MCS; das Vorliegen einer relevanten Atemwegserkrankung hatte auch er – wie ausgeführt – verneint. Eine MCS ist indessen – wie dargelegt – nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens; hierüber liegt weder eine Verwaltungs- noch eine erstinstanzliche Gerichtsentscheidung vor. Der Hilfsbeweisantrag war daher abzulehnen.

Die Berufung des Klägers war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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