L 8 AY 19/18

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Asylbewerberleistungsgesetz
1. Instanz
SG Hildesheim (NSB)
Aktenzeichen
S 12 SF 63/18 (AY)
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 8 AY 19/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. § 64 SGB X ist auf Verfahren nach dem AsylbLG weder unmittelbar noch analog anwendbar (Anschluss an BSG v. 16.01.2019 - B 7 AY 2/17 R - juris Rn. 7 f.) 2. Von der Erhebung von Kosten für ein Widerspruchsverfahren in Angelegenheiten nach dem AsylbLG ist in Niedersachsen aus Gründen der Gleichbehandlung (Art 3 Abs 1 GG) und der Rechtswahrnehmungsgleichheit (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 20 GG) in aller Regel gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG abzusehen.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 11. Januar 2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Festsetzung von Vorverfahrenskosten für eine asylbewerberleistungsrechtliche Angelegenheit.

 

Die Klägerin ist kosovarische Staatsangehörige und reiste 1988 nach Deutschland ein. Sie ist seit 2006 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und bezog über mehrere Jahre Leistungen nach § 3 AsylbLG. Mit Bescheid des Beklagten vom 8.5.2014 waren ihr ergänzend zu ihrem Erwerbseinkommen als Haushaltshilfe auf MiniJob-Basis von 236,00 € monatlich Leistungen nach § 3 AsylbLG für Mai 2014 bewilligt worden.

 

Am 17.6.2014 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Leistungen nach § 2 AsylbLG anstelle der ihr gewährten Leistungen nach § 3 AsylbLG. Einen ebenfalls auf Leistungen nach § 2 AsylbLG gerichteten Eilantrag der Klägerin lehnte das Sozialgericht (SG) Hildesheim mit Beschluss vom 26.11.2014 (- S 42 AY 45/14 ER -) ab. Der Senat wies die hiergegen eingelegte Beschwerde der Klägerin mit Beschluss vom 19.3.2015 (- L 8 AY 93/14 B ER -) zurück. In den Gründen führte er aus, dass das Schreiben vom 17.6.2014 als Widerspruch gegen die konkludent ergangene Leistungsbewilligung für Juni 2014 zu werten sei und die Bewilligungsbescheide für Folgezeiträume in analoger Anwendung von § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens würden.

 

Zum 1.3.2015 stellte der Beklagte die Leistungsgewährung nach dem AsylbLG ein, da die Klägerin nicht mehr leistungsberechtigt nach dem AsylbLG, sondern nach dem SGB II war.    

 

Den Widerspruch vom 17.6.2014 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5.2.2016 zurück und entschied, dass die von der Klägerin zu tragenden Kosten des Widerspruchsverfahrens 258,63 € betragen. Zur Begründung der Kostenentscheidung verwies er auf Vorschriften des Niedersächsischen Verwaltungskostengesetzes (NVwKostG), u.a. auf § 11 Abs. 2, und die allgemeine Gebührenordnung (AllGO).

 

Am 11.2.2016 hat die Klägerin Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 5.2.2016 beim SG erhoben und sich ausschließlich gegen die im Widerspruchsbescheid getroffene Kostenentscheidung gewandt. Sie ist der Auffassung, keine Kosten für das aus ihrer Sicht erfolglose Widerspruchsverfahren tragen zu müssen. Das Kostenprivileg des § 64 SGB X gelte jedenfalls in entsprechender Anwendung auch für Angelegenheiten nach dem AsylbLG. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sie nicht nur die beantragten Leistungen nicht erhalten habe, sondern für das erfolglos gebliebene Widerspruchsverfahren nun auch noch die Kosten tragen solle.

 

Der Beklagte hat den Widerspruchsbescheid als rechtmäßig verteidigt. § 64 SGB X, der ein Kostenprivileg in Widerspruchsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch beinhaltet, sei nicht auf Angelegenheiten des AsylbLG anwendbar. Schon nach dem Wortlaut seien nur Verfahren nach dem Sozialgesetzbuch genannt. § 9 AsylbLG erkläre § 64 SGB X gerade nicht für entsprechend anwendbar. Diese Regelung spreche dafür, dass der Gesetzgeber explizit keine Kostenfreiheit für das Widerspruchsverfahren im Bereich des Asylbewerberleistungsrechts vorgesehen habe. Für eine Regelungslücke sei nichts ersichtlich.

 

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 11.1.2018 stattgegeben und den Widerspruchsbescheid insoweit aufgehoben, als die Klägerin zur Tragung von Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 258,63 € verpflichtet wurde. Zur Begründung hat es ausgeführt, eines gesonderten Widerspruchsverfahrens gegen die Kostenentscheidung habe es nicht bedurft. Die Kostenerhebung sei rechtswidrig, da das Widerspruchsverfahren in analoger Anwendung des § 64 Abs. 1 SGB X kostenfrei sei. So handele es sich beim AsylbLG um zumindest materielles Sozialhilferecht. Die Entstehungsgeschichte des § 64 Abs. 1 SGB X und das zeitliche Verhältnis der Entstehung sprächen für eine planwidrige Regelungslücke, da § 64 SGB X zum 1.1.1981 in Kraft getreten sei, das AsylbLG hingegen zum 1.11.1993. Auch die weitere Rechtsentwicklung zeige, dass der Gesetzgeber versehentlich eine Kostenfreiheit für Leistungsempfänger nach dem AsylbLG nicht geregelt habe. Durch die Neufassung des § 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X habe er zum Ausdruck gebracht, dass er Angelegenheiten nach dem AsylbLG zum Recht der Sozialhilfe zähle und die Leistungsträger nach dem AsylbLG mit Sozialhilfeträgern gleichstellen wolle. Es sei nicht überzeugend, dass diese Gleichstellung nicht auch für den jeweiligen Leistungsempfänger gelten solle. Hierbei handele es sich um ein gesetzgeberisches Versehen. Eine analoge Anwendung sei auch deshalb geboten, da der Personenkreis der Empfänger von Leistungen nach dem AsylbLG in der Regel nicht bessergestellt sei als Sozialhilfeempfänger. Der Verweis des Beklagten auf § 9 AsylbLG überzeuge nicht, da die Frage nach dem Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke durch Inblicknehmen des § 64 SGB X und nicht des § 9 AsylbLG zu erfolgen habe.

 

Nachdem der Beklagte am 15.3.2018 Nichtzulassungsbeschwerde wegen der ihm am 27.2.2018 zugestellten Entscheidung erhoben hatte, hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 17.4.2018 zugelassen, da höchstrichterlich bislang nicht geklärt sei, ob Verwaltungsverfahren einschließlich Widerspruchsverfahren für Bescheide nach dem AsylbLG in analoger Anwendung des § 64 SGB X kostenfrei sind. Dazu war seinerzeit ein Revisionsverfahren beim BSG (- B 7 AY 2/17 R -) anhängig. Diese Rechtsfrage sei für den Ausgang des Rechtsstreits entscheidungserheblich.

 

Der Beklagte hat im Berufungsverfahren den Widerspruchsbescheid vom 5.2.2016 insoweit aufgehoben, als darin Gebühren in Höhe von mehr als 116,00 € zuzüglich 2,63 € Auslagen festgesetzt wurden, da der Berechnung der Gebühr ein Rechenfehler zugrunde gelegen habe. Auf die Kostenentscheidung des BSG vom 16.1.2019 in dem Verfahren B 7 AY 2/17 R (aufgrund erklärter Erledigung des Revisionsverfahrens) hat er eingewandt, seiner Auffassung nach habe nicht bereits im Festsetzungsverfahren die wirtschaftliche Situation der Klägerin dergestalt berücksichtigt werden müssen, dass die Kosten gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG ermäßigt oder von der Erhebung gänzlich abgesehen wird. Auch sei eine spätere Veränderung ihrer Einkommenssituation nicht ausgeschlossen gewesen. Zahlungsschwierigkeiten könne im Rahmen der Vollstreckung Rechnung getragen werden. Es sei sehr zweifelhaft, ob eine Sonderzuständigkeit der Sozialgerichte bestehe, vielmehr spreche viel für den Verwaltungsrechtsweg, so dass eine Verweisung in Erwägung zu ziehen sei. Ein Vorverfahren sei gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Niedersächsisches Justizgesetz (NJG) nicht durchzuführen. 

 

Der Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 11.1.2018 aufzuheben.

 

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 25.1. und 22.2.2021 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Prozessakten (- S 42 AY 45/14 ER, L 8 SO 3/14 B ER - sowie - S 42 AY 1/15 -) verwiesen. Diese Akten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet über die Berufung mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil.

 

Die mit Beschluss des Senats vom 17.4.2018 zugelassene (§ 144 Abs. 4 Satz 1 SGG) und damit statthafte (§ 145 Abs. 5 Satz 1 SGG) und auch im Übrigen zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 5.2.2016 im Ergebnis zu Recht aufgehoben.

 

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO) eröffnet ist, da der Senat an den eingeschlagenen Rechtsweg gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 17a Abs. 5 GVG gebunden ist. Das SG hat mit seinem Urteil vom 11.1.2018 in der Hauptsache entschieden und damit inzident den Rechtsweg zu den Sozialgerichten      (§ 51 SGG) bejaht.

 

Die Klägerin ist nicht verpflichtet, die Kosten des Widerspruchsverfahrens von zuletzt  118,63 € (vgl. hierzu Schriftsatz des Beklagten vom 18.2.2021, mit dem er den Widerspruchsbescheid geändert und die Höhe der Kosten entsprechend reduziert hat) zu tragen.

 

Gegenstand der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist die im Widerspruchsbescheid vom 5.2.2016 getroffene Kostenentscheidung. Die Anfechtungsklage gegen die Kostenentscheidung ist (unmittelbar) zulässig. Diese stellt sich vorliegend als einheitliche Kostenentscheidung dar, indem sie regelt, dass von der Klägerin Kosten für das erfolglose Widerspruchsverfahren in Höhe von 258,63 € zu tragen sind (zur Abgrenzung von Kostengrund- und Kostenfestsetzungsentscheidung vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 26.3.2007 - 2 LA 13/07 - juris Rn. 6 f.). Hierbei handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne der §§ 35 Satz 1 VwVfG, 1 Abs. 1 Satz 1 NVwVfG in Form der Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen. Eine Widerspruchseinlegung gegen die Kostenentscheidung war nicht erforderlich. Grundsätzlich bedarf es vor der Erhebung einer Anfechtungsklage nicht der Nachprüfung in einem Vorverfahren gemäß § 68 VwGO (§ 80     Abs. 1 Niedersächsisches Justizgesetz - NJG - in der Fassung vom 16.12.2014). Eine Ausnahme gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 NJG, die auch für Kostenentscheidungen gilt (§ 80 Abs. 4 Nr. 1 NJG) und ein Vorverfahren erforderlich machen würde, liegt nicht vor.     

 

Rechtsgrundlage der angefochtenen Kostenentscheidung sind die §§ 73 Abs. 3 Satz 3 VwGO, 80 Abs. 1 Satz 3 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Satz 1,        Abs. 4 NVwKostG (in der Fassung vom 25.4.2007, Nds. GVBl. S. 172) i.V.m. Tarifnummer 110.6.1.2 der Anlage (in der Fassung vom 18.12.2018) der Niedersächsischen Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen und Leistungen (AllGO in der Fassung vom 5.6.1997, Nds. GVBl. S. 171). Eine Kostenerhebung scheidet entgegen der Annahme des SG nicht schon nach § 64 Abs. 1 SGB X - weder in unmittelbarer noch in analoger Anwendung (so BSG, Beschluss vom 16.1.2019 -  B  7  AY  2/17  R  -) - aus. Einer unmittelbaren Anwendbarkeit des § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB X steht entgegen, dass die Vorschriften der §§ 1 bis 66 nur für die „öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden, die nach diesem Gesetzbuch“ ausgeübt wird, gelten (§ 1 Abs. 1 SGB X). Das AsylbLG ist aber kein Teil des Sozialgesetzbuchs und gilt auch nicht über die Regelung des § 68 SGB I als dessen besonderer Teil (BSG, a.a.O., juris Rn. 7). Ferner fehlt es an einem besonderen Anwendungsbefehl, da der Verweis weder auf die in § 9 Abs. 4 AsylbLG (Fassung vom 20.10.2015) noch auf die in § 9 Abs. 3 AsylbLG (Fassung vom 27.3.2003) aufgeführten, entsprechend anwendbaren Vorschriften des SGB X (§§ 44-50, 99, 102-114, wobei die Fassung vom 27.3.2003 § 99 nicht erfasst) abschließend ist. Eine analoge Anwendung des § 64 SGB X scheitert am Vorliegen einer planwidrigen (unbewussten) Regelungslücke (BSG, a.a.O., juris Rn. 8). Der Gesetzgeber hat mit dem AsylbLG bewusst ein eigenständiges Leistungssystem außerhalb des Sozialgesetzbuchs mit nur punktuell angeordneter entsprechender Anwendbarkeit des SGB X geschaffen und an diesem Konzept auch bei späteren Gesetzesänderungen festgehalten (BSG, a.a.O., juris Rn. 8).

 

Der Beklagte hat die Klägerin in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 5.2.2016 verpflichtet, Kosten für das Widerspruchsverfahren in Höhe von 258,63 € zu tragen (und diesen Betrag im Rahmen des Berufungsverfahrens schließlich auf      118,63 € reduziert). Dies macht der Verfügungssatz zwar nicht ohne weiteres deutlich, in dem es heißt: „Die Kosten betragen 258,63 €.“ Die Kostentragungspflicht ergibt sich jedoch unter ergänzender Heranziehung der mit „Begründung der Kostenentscheidung“ überschriebenen Ausführungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 5.2.2016, die deutlich machen, dass diese Kosten der Klägerin aufgrund des erfolglosen Widerspruchs auferlegt werden sollten. Die Erhebung von Gebühren (neben Auslagen Teil der Kosten i.S. des NVwKostG; vgl. dort § 1 Abs. 1) und damit auch eine Kostenfestsetzung erfolgt nach dem NVwKostG. § 1 Abs. 2 NVwKostG bestimmt insoweit, dass Gebühren aufgrund anderer Rechtsvorschriften für dieselbe Amtshandlung nicht erhoben werden dürfen, wenn aufgrund des NVwKostG eine Amtshandlung für gebührenpflichtig oder für gebührenfrei erklärt wird. Nach dem NVwKostG werden für Amtshandlungen im übertragenen Wirkungskreis der Gebietskörperschaften und anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts in Niedersachsen Kosten erhoben, wenn die Beteiligten zu der Amtshandlung Anlass gegeben haben (§ 5 Abs. 1 Satz 1 NVwKostG). Der Beklagte als niedersächsischer Landkreis hatte in dem hier zugrunde liegenden Verfahren im übertragenen Wirkungskreis (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Niedersächsisches Gesetz zur Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen und zur Durchführung des AsylbLG – AufnG - in der Fassung vom 13.12.2007) über Leistungen nach dem AsylbLG entschieden. Mit der Einlegung des Widerspruchs hatte die Klägerin Anlass für die Amtshandlung des Erlasses des Widerspruchsbescheides gegeben. Dabei hatte der Beklagte ihr Schreiben vom 17.6.2014 zu Recht als Widerspruch gegen die Leistungsbewilligung für Juni 2014 gewertet.

 

Eine Gebührenschuld entsteht nach § 6 Abs. 1 NVwKostG mit der Beendigung der Amtshandlung oder mit der Rücknahme des Antrages. Amtshandlung in diesem Sinne ist grundsätzlich auch die Entscheidung über einen Rechtsbehelf, wie sich aus § 12 Abs. 1 Satz 1 NVwKostG ergibt („Soweit ein Rechtsbehelf erfolglos bleibt, beträgt die Gebühr für die Entscheidung über den Rechtsbehelf das Eineinhalbfache der Gebühr, die für die angefochtene Entscheidung anzusetzen war.“). Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob die Erhebung von Gebühren bei erfolglosen Rechtsbehelfen auch dann von § 6 Abs. 1 NVwKostG gedeckt ist, wenn die angefochtene Entscheidung nicht gebührenpflichtig war. Zweifel sind angebracht, weil für den Bereich des AsylbLG weder die AllGO noch andere landesrechtliche Regelungen oder das AsylbLG eine Gebührenpflicht vorsehen (so auch Urteil des Senats vom 23.3.2017 - L 8 AY 40/13 - juris Rn. 24). Dessen ungeachtet beträgt nach 110.6.1.2 AllGO (Fassung vom 5.6.1997, Nds. GVBl. S. 171) die Gebühr für einen erfolglos gebliebenen Rechtsbehelf 30,- € bis 3.000,- €, wenn für die angefochtene Amtshandlung eine Gebühr nicht vorgesehen oder die Amtshandlung gebührenfrei war. Hierauf stützt sich der Beklagte, der in der Begründung der Kostenentscheidung §§ 1 Abs. 1,  3 Abs. 1, 5 Abs. 1 , 9 Abs. 1, 11 Abs. 2 und 13 Abs. 1, 2 NVwKostG i.V.m. der laufenden Nummer 110.6.1.2 AllGO aufführt.

Von der Kostenerhebung war vorliegend gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG abzusehen. Dabei kann dahinstehen, ob die Behörde bereits im Rahmen der Kostenfestsetzung gehalten ist, ein Absehen von der Kostenerhebung zu prüfen oder ob ein solcher Anspruch aus § 11 Abs. 2 Satz 2 NvwKostG rechtlich eigenständig und mithin gesondert zu verfolgen ist (so OVG Lüneburg, Beschluss vom 1.4.2019 - 1 LA 59/18 - juris Rn. 30 f., 21). Der Beklagte hat ein Absehen von der Kostenerhebung gemäß § 11    Abs. 2 NVwKostG im Widerspruchsbescheid vom 5.2.2016 bereits abgelehnt und mithin hierüber entschieden. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG kann die Behörde Kosten ermäßigen oder von der Erhebung absehen, wenn dies im Einzelfall mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kostenschuldners oder sonst aus Billigkeitsgründen geboten ist. Die 1. Alternative ist nicht einschlägig, da die Bedürftigkeit nach dem AsylbLG nicht generell gegen eine Kostenerhebung im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse spricht. Jedoch ist aus Billigkeitsgründen ein Absehen von der Kostenerhebung angezeigt, da anderenfalls dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr Rechnung getragen werden könnte. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber ist damit zwar nicht jede Differenzierung verwehrt. Es verletzt aber das Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn eine Gruppe im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.5.2005 - 1 BvR 368/97, 1 BvR 1304/98, 1 BvR 2144/98, 1 BvR 2300/98 - juris Rn. 98 - stetige Rechtsprechung). Im Falle einer grundsätzlich bestehenden Kostenlast im Hinblick auf erfolglos geführte Widerspruchsverfahren würden Leistungsempfänger nach dem AsylbLG gegenüber Personen, die Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII erhalten, für die insoweit eine Kostenprivilegierung (nach § 64 SGB X - dazu s. oben) gilt, benachteiligt. Diese Ungleichbehandlung ist nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt, da kein wesentlicher Unterschied zwischen diesen drei Gruppen von Leistungsempfängern, die allesamt hilfebedürftig und auf staatliche Fürsorgeleistungen angewiesen sind, besteht. Insbesondere ist kein Grund erkennbar, weshalb Asylbewerber insoweit schlechter behandelt werden sollten als Deutsche oder Ausländer mit gesichertem Aufenthaltsrecht. Zwar steht es im sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers, für Asylbewerber - was mit dem Asylbewerberleistungsgesetz geschehen ist - ein eigenes Konzept zur Sicherung ihres Lebensbedarfs zu entwickeln und dabei auch Regelungen über die Gewährung von Leistungen abweichend vom Recht der Sozialhilfe zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.7.2006 - 1 BvR 293/05 - juris Rn. 44; BVerfG, Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 47). Im Hinblick auf die Frage der Kostenerhebung für das Widerspruchsverfahren fehlt es jedoch an einer hinreichenden Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung. Dies gilt für Leistungsberechtigte nach § 3 AsylbLG - wie die Klägerin - schon deshalb, da sie geringere Leistungen als Sozialhilfeempfänger oder Leistungsberechtigte nach dem SGB II beziehen, so dass ihnen die Kostenaufbringung noch schwerer fällt. Aber auch für Analog-Leistungsberechtigte gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG ergibt sich eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung, da in den Regelsätzen nach § 28 SGB XII (vgl. auch § 20 Abs. 1a SGB II) Kosten für das Führen eines Widerspruchsverfahrens (vermutlich aufgrund des Kostenprivilegs für diese Bedarfsgruppen) nicht pauschaliert berücksichtigt wurden.

Daneben ist durch eine grundsätzliche Kostenerhebung für Verwaltungsverfahren in Angelegenheiten des AsylbLG die Rechtswahrnehmungsgleichheit nach Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 3 GG berührt. Das Grundgesetz gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet. Es ist ein zentraler Aspekt der Rechtsstaatlichkeit, die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen grundsätzlich zu verwehren. Die Parteien werden auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Dies bedingt zugleich, dass der Staat Gerichte einrichtet und den Zugang zu ihnen jedermann in grundsätzlich gleicher Weise eröffnet. Daher ist es geboten, Vorkehrungen zu treffen, die auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu Gerichten ermöglichen.  Art. 3 Abs. 1 GG stellt die Beachtung dieses Gebotes der Rechtsschutzgleichheit unter grundrechtlichen Schutz (BVerfG, Beschluss vom 20.6.2018 - 1 BvR 1998/17 - juris    Rn. 15). Die im gerichtlichen Verfahren auf Rechtsschutzgleichheit gerichteten Verfassungsgrundsätze gewährleisten dem Bürger auch im außergerichtlichen Bereich Rechtswahrnehmungsgleichheit. Dabei kann der Gesetzgeber die Rechtswahrnehmungsgleichheit von nicht hinreichend Bemittelten und Begüterten auf unterschiedliche Weise zu erreichen suchen. Wie beim allgemeinen Gleichheitssatz sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers jedoch Grenzen gesetzt. Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Die Grenzen sind umso enger, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlicher geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann und je erheblicher die Bedeutung der Sozialleistung für die Betroffenen ist (BVerfG, Beschluss vom 11.5.2009 - 1 BvR 1517/08 - juris Rn. 21, 23 m.w.N.).

 

Unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (grundlegend BVerfG, Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - juris Rn. 133 ff.) begegnet danach eine grundsätzliche Kostenerhebung für Verwaltungsverfahren betreffend existenzsichernde Leistungen erheblichen Bedenken. Nicht bemittelten Personen, hier Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, ist es im Vergleich zu Bemittelten grundsätzlich nicht zuzumuten, die Kosten von Verwaltungsverfahren zur Durchsetzung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen zu Lasten der eigenen Lebensunterhaltssicherung selbst zu tragen. Sofern hierfür im Regelfall Kosten für ein erfolgloses Vorverfahren festgesetzt werden könnten, steht insbesondere zu befürchten, dass Leistungsberechtigte von vorneherein von einer Widerspruchseinlegung abgehalten werden, weil sie einer schwebenden, in der Regel nicht zu bewältigenden Kostenlast ausgesetzt sind. Aus diesem Grund besteht in sozialrechtlichen Verfahren auch Kostenfreiheit nach § 64 SGB X (s.o.). Bedürftige Personen sollen von einer Anspruchsstellung nicht dadurch abgehalten werden, weil sie eine Belastung mit Kosten befürchten (vgl. Hees/Rammert, NVwZ 2005, 1031, 1032). Die Vorschrift beruht auf dem in Art. 20 Abs. 1 GG als Staatszielbestimmung normierten Sozialstaatsprinzip und geht auf die 1961 in Kraft getretene Regelung des § 118 BSHG (in der Fassung vom 30.6.1961, BGBl. I 815, 835) zur Kostenfreiheit von Verwaltungsverfahren im allgemeinen Bedürftigkeitsrecht zurück (vgl. BT-Drs. 8/2034, S. 36 zu § 62 der Entwurfsfassung; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, K § 64 Rn. 2). Soweit der Beklagte einwendet, es könne noch im Vollstreckungsverfahren eine Ratenzahlung oder Stundung beantragt werden, wird hierdurch die schwebende Kostenlast nicht verhindert.

 

Das der Behörde im Rahmen des § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG eingeräumte Ermessen ist vor diesem Hintergrund auf Null reduziert, da der eingeräumte Ermessensspielraum soweit eingeschränkt ist, dass im Regelfall nur ein Absehen von Kosten zu einer rechtsfehlerfreien Entscheidung führt. Ob in besonderen Ausnahmefällen eine Kostenerhebung in Betracht kommen kann (so wohl OVG Lüneburg, Urteil vom 25.2.1999 - 12 L 4133/98 - juris Rn. 41), ist zweifelhaft, muss hier aber nicht entschieden werden. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht schon in dem Umstand begründet, dass die Klägerin während des Vorverfahrens als Haushaltshilfe auf MiniJob-Basis in zwei Haushalten Erwerbseinkommen in monatlicher Höhe von 236,00 € erzielt hat, weil sie zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes neben diesen Einkünften - wohl auch zukünftig - ergänzend auf staatliche Leistungen angewiesen gewesen ist. Sie hat bis einschließlich Februar 2015 Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen und sodann Leistungen nach dem SGB II.

 

Da schon nach Landesrecht eine Kostenerhebung ausscheidet, kann die Frage, ob Kosten für ein isoliert gebliebenes (erfolgloses) Widerspruchsverfahren in Verfahren nach dem AsylbLG einen leistungsrechtlichen Bedarf nach § 6 Abs. 1 AsylbLG bilden können (so etwa Krauß in Siefert, AsylbLG, 2018, § 6 Rn. 32; vgl. auch BSG, Beschluss vom 16.1.2019, a.aO., juris Rn. 9), unbeantwortet bleiben.

Auch über die Frage, ob die Kosten der Höhe nach mit zuletzt 118,63 € rechtmäßig festgesetzt wurden, war damit nicht mehr zu entscheiden.    

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG i.V.m. § 183 Satz 1 SGG. Es handelt sich um ein Verfahren vor einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit und die Klägerin ist als seinerzeitige Leistungsempfängerin nach dem AsylbLG (bzw. später nach dem  SGB II) kostenprivilegiert im Sinne des § 183 Satz 1 SGG (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 183 Rn. 6).

 

Ein Grund für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor. So ist bereits höchstrichterlich entschieden, dass eine direkte oder analoge Anwendung des § 64 SGB X in Angelegenheiten nach dem AsylbLG ausscheidet (vgl. BSG, Beschluss vom 16.1.2019 - B 7 AY 2/17 R). Es war daher im Wesentlichen nur noch über landesrechtliche Kostenvorschriften zu entscheiden.

Rechtskraft
Aus
Saved