L 11 AS 94/21 B ER

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Braunschweig (NSB)
Aktenzeichen
S 22 AS 46/21 ER
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 11 AS 94/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Ein grundsicherungsrechtlicher Mehrbedarf für 20 Atemschutzmasken pro Woche (Standard FFP2 und für einen ca 6-monatigen Bewilligungszeitraum) als Sachleistung liegt angesichts der derzeitigen Marktpreise regelmäßig unter dem für die Statthaftigkeit von Rechtsmitteln maßgeblichen Beschwerdewert von 750,00 Euro. 2. Ein hierfür hilfsweise geltend gemachter Mehrbedarf in Höhe von monatlich 129,00 Euro als Geldleistung ist als mutwillig erhöht anzusehen und bleibt daher bei der Berechnung des Beschwerdewerts außer Betracht.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 26. Februar 2021 wird als unzulässig verworfen. 

Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt F., G., wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch Beschluss des Sozialgerichts (SG) Braunschweig vom 26. Februar 2021. In der Sache begehrt die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Verpflichtung des Antragsgegners, ihr wöchentlich 20 Atemschutzmasken des Standards FFP2 als Zuschuss zur Verfügung zu stellen, hilfsweise die Bewilligung von monatlich 129,00 Euro zur Beschaffung derselben.

 

Die im Jahr 1996 geborene Antragstellerin ist die Mutter zweier im Jahr 2013 und 2016 geborener Kinder. Gemeinsam beziehen sie laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von dem Antragsgegner (zuletzt durch Bescheid vom 6. Oktober 2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21. November 2020). Am 15. Februar 2021 beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner per E-Mail die Gewährung eines Zuschusses von monatlich 129,00 Euro zur Beschaffung von FFP2-Masken. Ebenfalls per E-Mail vom 16. Februar 2021 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass die begehrten Atemschutzmasken über die Krankenkasse zu beschaffen seien.

 

Am 16. Februar 2021 hat die nunmehr anwaltlich vertretene Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Braunschweig – Az S 22 AS 46/21 ER - die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Mit Beschluss vom 26. Februar 2021 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt und mit ausführlicher Begründung im Einzelnen dargelegt, dass die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht habe.

 

Gegen diesen der Antragstellerin am 1. März 2021 zugegangenen Beschluss richtet sich ihre am 4. März 2021 eingegangene Beschwerde. Die Antragstellerin wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Die Anerkennung individueller Mehrbedarfe an FFP2-Masken diene nicht nur der Befriedigung privater Bedürfnisse. Sie bezwecke den Infektionsschutz der Allgemeinheit vor einer weiteren Verbreitung des Virus. Zur effektiven Abwehr dieser gesteigerten Ansteckungsgefahr müsse die Mehrbedarfsgewährung wöchentlich 20 FFP2-Masken umfassen. Die „Billigmasken“ bei den Discountern taugten nichts bzw seien oft ausverkauft.

Die Antragstellerin beantragt,

unter Aufhebung des Beschlusses des SG Braunschweig vom 26. Februar 2021 den Antragsgegner zu verpflichten, ihr als Zuschuss zu den mit Bescheid vom 21. November 2020 bewilligten ALG II Leistungen rückwirkend ab 25. Januar 2021 bis zum 30. Juli 2021 kalenderwöchentlich 20 Atemschutzmasken ohne Ausatemventil zur Verfügung zu stellen, welche den Anforderungen der Standards FFP2 (DIN EN 149:2001), KN95, N95 oder eines vergleichbaren Standards entsprechen, oder ihr stattdessen einen Zuschuss in Höhe von 129,00 Euro monatlich zu bewilligen.

 

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Braunschweig vom 26. Februar 2021 – S 22 AS 46/21 ER – zurückzuweisen.

 

Er verweist auf seinen erstinstanzlichen Vortrag und auf die den Beschluss tragenden Gründe.

 

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nicht statthaft und daher ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig zu verwerfen.

 

Im einstweiligen Rechtsschutz ist die Beschwerde gegen eine erstinstanzliche Entscheidung nur dann statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes mehr als 750,00 Euro beträgt (§ 172 Abs 3 Nr 1 iVm § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist danach zu bestimmen, was das SG dem Rechtsmittelkläger bzw Beschwerdeführer versagt hat und was von diesem mit seinen Anträgen weiterverfolgt wird (BSG, Beschluss vom 4. Juli 2011 - B 14 AS 30/11 B -, BSG, Beschluss vom 5. August 2015 - B 4 AS 17/15 B -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 144 Rn 14).

Dies zugrunde gelegt ist der für die Statthaftigkeit der Beschwere notwendige Beschwerdewert von 750,01 Euro nicht erreicht. Die Antragstellerin macht vorliegend mit ihrem Antrag vorrangig die Gewährung von wöchentlich 20 Atemschutzmasken des FFP2-Standards für die Zeit ab dem 25. Januar 2021 bis 31. Juli 2021 durch den Antragsgegner als Sachleistung geltend, mithin für den gesamten streitbefangenen Zeitraum etwa 536 Atemschutzmasken (20 Masken x 4,3 Wochen = 86 Masken pro Monat; Leistungszeitraum 6 Monate + 1 Woche), wovon die zehn der Antragstellerin gem §§ 1,2 SchutzmV bereits kostenlos zur Verfügung gestellten FFP2-Masken noch in Abzug zu bringen wären. Der Wert dieser Atemschutzmasken als Sachleistung erreicht den erforderlichen Beschwerdewert nicht. Denn nach einer aktuellen Onlinerecherche des Senats werden FFP2-Masken in zahlreichen Geschäften und Discountern zu einem Stückpreis unter 1,00 Euro und im Onlinehandel bei Großpackungen sogar ab 0,50 Euro/Stück angeboten. Dabei ist gerichtsbekannt, dass diese Produkte, welche ebenso die notwendige Norm EN149:2001+A1:2009 erfüllen und CE-zertifiziert sind, jedenfalls im Online-Handel mittlerweile durchgängig verfügbar sind. Unter Zugrundelegung dieser aktuellen Marktpreise ab 0,50 Euro wird für insgesamt 526 Atemschutzmasken der Beschwerdewert von 750,01 Euro nicht erreicht.

 

Hieran ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass die Antragstellerin hilfsweise anstelle der Sachleistung einen monatlichen Zuschuss von 129,00 Euro begehrt.

Denn auf Grund der tatsächlichen Marktpreise von FFP2-Masken ist dieser Betrag zur Überzeugung des Senats als mutwillig überhöht anzusehen (vgl zur Unbeachtlichkeit mutwillig überhöhter Wertangaben bei der Prüfung des Wertes des Beschwerdegegenstandes: Beschlüsse des Senats vom 6. Juli 2015 - L 11 AS 326/15 NZB - und vom 8. Juli 2015 - L 11 AS 325/15 NZB - jeweils mwN.). So ist kein rechtlicher Grund ersichtlich, weshalb der hilfsweise geltend gemachte Geldleistungsanspruch einen höheren Wert haben sollte als der Marktpreis des Sachleistungsanspruchs. Auch muss sich die Antragstellerin im Rahmen des für SGB II-Leistungsempfänger gebotenen einfachen und sparsamen Lebensstandards auf die preisgünstigen, aber ebenso der DIN-Norm entsprechenden Atemschutzmasken verweisen lassen. So dürften auch Nicht-Leistungsempfänger, insbesondere mit Einkünften aus dem unteren Einkommensniveau, im Rahmen eines sparsamen Umgangs mit ihren finanziellen Mitteln vorrangig auf Atemschutzmasken im unteren Preissegment zurückgreifen. Auch kann die Antragstellerin auf die Angebote des Online-Handels im Rahmen von Großpackungen verwiesen werden, zumal die von ihr beanspruchte Anzahl von FFP2-Masken pro Tag/ Woche ohnehin eine größere Bevorratung erforderlich machen dürfte. 

Nach alledem entspricht der von der Antragstellerin angegebene Betrag nicht den Marktgegebenheiten, so dass die von der Antragstellerin – ohne nähere Begründung - angegebenen überhöhten Beträge bei der Berechnung des Beschwerdewerts außer Betracht bleiben müssen (vgl auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. Juli 2008 - L 9 AS 397/08 ER -; Urteil vom 25. September 2008 - L 8 SO 155/06 -, NdsRpfl 2009, 35; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. März 2010 - L 10 AS 334/10 B ER; Beschlüsse des erkennenden Senats vom 8. Januar 2013 - L 11 AS 526/12 - und 4. September 2014 - L 11 AS 1446/13 -).

 

Der Umstand, dass das SG in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses eine Beschwerde als statthaft bezeichnet hat, ändert nichts an der Unzulässigkeit der Beschwerde. Die Statthaftigkeit der Beschwerde ist vom Rechtsmittelgericht zu prüfen, ohne dass eine Bindung an die Rechtsauffassung des SG besteht. Allein eine (möglicherweise unrichtige) Rechtsmittelbelehrung eröffnet keinen nach dem Gesetz nicht gegebenen Rechtsbehelf (BSG, Beschluss vom 18. Januar 1978 – 1 RA 11/77, SozR 1500 § 146 Nr 5; Beschluss des Senats vom 13. Februar 2012 – L 11 AS 1185/11 B ER; Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, aaO, § 66 Rn 12a).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

 

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren hat keinen Erfolg, weil die Rechtsverfolgung des Antragstellers – wie dargelegt – keine hinreichenden Erfolgsaussichten iSd § 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) bietet.

 

Dieser Beschluss ist nach Maßgabe des § 177 SGG unanfechtbar.

Rechtskraft
Aus
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