Auch in einem zu einem führenden Verfahren verbundenen Verfahren kann nach Ausübung des Wahlrechts des Prozessbevollmächtigten eine PKH- Vergütungsfestsetzung erfolgen. Die Verbindung ursprünglich rechtlich selbständiger Verfahren führt dazu, dass die bereits verdienten Gebühren dem Rechtsanwalt weiterhin zustehen.
Auf die Beschwerde der Erinnerungsgegnerin werden der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 14. April 2020 und der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Bremen vom 10. Juli 2019 abgeändert und die der Erinnerungsführerin aus der Staatskasse zustehende Vergütung für ihre Tätigkeit in dem Verfahren S 23 AS 1569/17 auf 85,61 Euro festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung in einem Prozesskostenhilfeverfahren (PKH).
In dem am 24. Juli 2017 beim Sozialgerichts (SG) Bremen anhängig gemachten Klageverfahren (Aktenzeichen S 23 AS 1569/17) stritten die dortigen sieben Kläger und das beklagte Jobcenter Bremen um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die der dortige Beklagte mit Bescheid vom 14. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Februar 2017 abgelehnt hatte. Die Klage wurde zunächst fristwahrend erhoben. Eine Klagebegründung erfolgte nicht. In der mündlichen Verhandlung des SG vom 22. August 2017, zu der das Verfahren S 23 AS 1569/17 nicht geladen worden war, wurde das Verfahren mit zwei weiteren beim SG anhängigen Klageverfahren (S 23 AS 1720/16 und S 23 284/17) der Kläger verbunden, wobei das Verfahren S 23 AS 1720/16 führte. Sodann wurde die Erinnerungsführerin mit Beschluss des SG vom gleichen Tag den Klägern in den verbundenen Verfahren beigeordnet. Die verbundenen Verfahren erledigten sich schließlich durch Einigung der Beteiligten.
Am 11. Juni 2019 beantragte die Erinnerungsführerin beim SG die Erstattung ihrer Gebühren und Auslagen aus der Staatskasse für ihre Tätigkeit in dem Klageverfahren S 23 AS 1569/17. Sie teilte dabei mit, dass der Beklagte den Klägern für insgesamt fünf Widerspruchsverfahren einen Betrag von pauschal 2.000 Euro gezahlt habe. Auf jedes der fünf Verfahren sei damit ein Betrag von 400,00 Euro entfallen. In dem Betrag von 400,00 Euro sei eine Geschäftsgebühr in Höhe von 316,13 Euro, eine Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 Euro sowie die Umsatzsteuer in Höhe von 63,87 Euro enthalten. Die Hälfte der Geschäftsgebühr, also ein Betrag in Höhe von 158,06 Euro, sei auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Abgerechnet wurden sodann nach dem Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) für die Tätigkeit im Klageverfahren eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 300,00 Euro, erhöht nach Nr. 1008 VV RVG wegen der Tätigkeit für sechs weitere Kläger um 540,00 Euro, abzüglich 158,06 Euro aufgrund der Anrechnung der von dem Beklagten erhaltenen Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren, eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG in Höhe von 280,00 Euro, eine Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG in Höhe von 300,00 Euro, die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro und 19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 243,57 Euro, insgesamt also 1.525,51 Euro.
Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 10. Juli 2019 setzte die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) die der Erinnerungsführerin aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen auf insgesamt 668,71 Euro fest. Die Verfahrensgebühr sei lediglich in Höhe von 250,00 Euro anzusetzen, weil die anwaltliche Tätigkeit in dem Klageverfahren und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger unterdurchschnittlich gewesen seien. Die Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG betrage dementsprechend nicht 540,00 Euro, sondern nur 450,00 Euro. Auf diesen Betrag sei sodann die erhaltene Geschäftsgebühr in Höhe von 158,06 Euro anzurechnen. Die Terminsgebühr könne nicht angesetzt werden. Zwar sei das Verfahren in der mündlichen Verhandlung am 22. August 2017 mit den Verfahren S 23 AS 1720/16 und S 23 284/17 verbunden worden, allerdings ohne vorherige Ladung des Verfahrens. Die Güteverhandlung habe auch erst nach der Verbindung stattgefunden, weshalb die Terminsgebühr nicht in diesem Verfahren, sondern lediglich im führenden Verfahren S 23 AS 1720/16 angesetzt werden könne. Das Gleiche gelte für die Einigungsgebühr. Die Einigung der Beteiligten sei erst nach der Verbindung erfolgt, weshalb die Einigungsgebühr nur im führenden Verfahren S 23 AS 1720/16 berücksichtigt werden könne.
Hiergegen hat die Erinnerungsführerin am 19. Juli 2019 beim SG Erinnerung eingelegt, die sie nicht begründet hat.
Am 11. Oktober 2019 hat die Erinnerungsgegnerin ihrerseits Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 10. Juli 2019 eingelegt. Die Festsetzung der PKH-Vergütung hätte nicht in dem vorliegenden Verfahren, sondern allein im führenden Verfahren S 23 AS 1720/16 vorgenommen werden dürfen. Außerdem sei die Verfahrensgebühr zu hoch angesetzt worden. Bei der Gebührenbestimmung sei unberücksichtigt geblieben, dass durch die Erhebung von insgesamt sechs Klageverfahren, alle gerichtet auf die gleiche Sozialleistung und die gleiche Problematik aufweisend (Infragestellung der Bedürftigkeit wegen nicht schlüssig dargelegter Verwendung der Erlöse aus dem Hausverkauf) und sich nur hinsichtlich der Beantragungszeiträume unterscheidend, erhebliche Synergieeffekte entstanden seien. Außerdem sei die Klage nicht einmal begründet worden. Unter Berücksichtigung des Kriteriums der Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger sei insofern lediglich eine Verfahrensgebühr in Höhe der Viertelgebühr, mithin in Höhe von 75,00 Euro angemessen. Die Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG belaufe sich damit nur auf 135,00 Euro. Nach Anrechnung der erhaltenen hälftigen Geschäftsgebühr von 158,06 Euro sei daher nur ein Betrag von 51,94 Euro als erhöhte Verfahrensgebühr anzusetzen.
Mit Beschluss vom 14. April 2020 hat das SG sowohl die Erinnerung der Erinnerungsführerin als auch die Anschlusserinnerung der Erinnerungsgegnerin zurückgewiesen. Die Erinnerungsführerin habe aus den Gründen des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses keinen Anspruch auf Festsetzung weiterer Gebühren, die über die bereits festgesetzten Gebühren und Auslagen hinausgehen würden. Die Anschlusserinnerung der Erinnerungsgegnerin sei ebenfalls unbegründet. Es sei nicht zu beanstanden, dass hinsichtlich der vor der Verbindung entstandenen Gebühren die Festsetzung nicht in dem führenden Verfahren, sondern in dem vorliegenden Verfahren erfolgt sei. Dem Rechtsanwalt stehe insoweit ein Wahlrecht zu. Die Höhe der angesetzten Verfahrensgebühr sei aus den Gründen des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses nicht überhöht erfolgt.
Gegen den am 20. April 2020 zugestellten Beschluss richtet sich die am 29. April 2020 eingelegte Beschwerde der Erinnerungsgegnerin, die sie mit ihren bereits im Erinnerungsverfahren vorgebrachten Argumenten begründet.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Erinnerungsführerin hat zu der Beschwerde keine Stellungnahme abgegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Beiakte Bezug genommen.
II.
1.
Die aufgrund eines Beschwerdewerts von mehr als EUR 200,00 nach § 1 Abs. 3 i.V.m. § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere auch fristgerecht eingelegt worden.
2.
Der Rechtsstreit richtet sich nach der bis zum 31. Dezember 2020 gültigen Rechtslage, weil der Auftrag zur Klageerhebung an die Erinnerungsführerin vor dem 1. Januar 2021 und damit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts und zur Änderung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 – KostRÄG 2021) vom 21. Dezember 2020, BGBl. I, S. 3229 erteilt worden ist (vgl. § 60 RVG in der Fassung des KostRÄG 2021).
3.
Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist teilweise begründet. Die von dem UdG und dem SG angesetzte Verfahrensgebühr ist nicht angemessen. Eine vollständige Aufhebung der Beschlüsse des SG vom 10. Juli 2019 und 14. April 2020 kann die Erinnerungsgegnerin allerdings nicht verlangen, weil die Ansetzung der Verfahrensgebühr in dem vorliegenden Verfahren statt in dem führenden Verfahren S 23 AS 1720/16 nicht zu beanstanden ist.
a)
Die Verbindung ursprünglich rechtlich selbständiger Verfahren führt dazu, dass die bereits verdienten Gebühren dem Rechtsanwalt weiterhin zustehen (Thüringer Landessozialgericht <LSG>, Beschluss vom 10. April 2014 – L 6 SF 193/14 B – juris RdNr. 27). Dies folgt aus § 15 Abs. 4 RVG, wonach der Anspruch auf die Abgeltung einer einmal entstandenen Gebühr nicht durch nachträglich hinzutretende Umstände wieder entfallen kann. (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. September 2014 – L 20 SO 317/13 B – juris RdNr. 32). Der Prozessbevollmächtigte kann wählen, ob er die Gebühren aus den getrennten oder aus dem verbundenen Verfahren verlangt (Bundesgerichtshof <BGH>, Beschluss vom 10. Mai 2010 – II ZB 14/09 - juris RdNr. 18; Thüringer LSG, Beschluss vom 10. April 2014 – L 6 SF 193/14 B – juris RdNr. 27; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. September 2014 – L 20 SO 317/13 B – juris RdNr. 32; Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Auflage 2015, 3100 VV RdNr. 41). Mit diesem Wahlrecht ist die Auffassung der Erinnerungsgegnerin unvereinbar, dass die PKH-Vergütungsfestsetzung allein in dem führenden Verfahren und nicht auch in dem vorliegenden Verfahren erfolgen dürfe. Die verbundenen Verfahren bleiben dem Trennungsgrundsatz folgend prozessrechtlich selbständig (vgl. Guttenberger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 133 RdNr. 27). Die registerliche und aktenmäßige Fortführung der verbundenen Verfahren nur noch unter dem Aktenzeichen des führenden Verfahrens hat für das prozessrechtliche Fortbestehen der einzelnen verbundenen Verfahren insofern keine Bedeutung, insbesondere steht es der Ausübung des Wahlrechts des Prozessbevollmächtigten, ob er die Gebühren aus den getrennten oder aus dem verbundenen Verfahren verlangt, nicht entgegen. Entsprechendes gilt dann auch für die Festsetzung der Vergütung durch den UdG. Im Übrigen ist es nichts Ungewöhnliches, dass eine Vergütungsfestsetzung in einem statistisch erledigten Verfahren erfolgt. Dies stellt vielmehr den Regelfall dar, denn üblicherweise erfolgt die endgültige PKH-Vergütungsfestsetzung erst nach Abschluss des zugehörigen Hauptsacheverfahrens in der jeweiligen Instanz.
b)
Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt Rahmengebühren im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit, der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftraggebers sowie ggf. eines besonderen Haftungsrisikos nach billigem Ermessen, wobei das geringere Gewicht eines Bemessungsmerkmals das überwiegende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann. Ausgangspunkt bei der Bemessung einer Rahmengebühr ist grundsätzlich die so genannte Mittelgebühr, d.h. die Hälfte von Höchst- zzgl. Mindestgebühr als Mitte des gesetzlichen Gebührenrahmens (vgl. Bundesozialgericht <BSG>, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R - SozR 4-1935 § 14 Nr. 2; Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. April 2006 - L 4 B 4/05 KR SF -; Mayer in Gerold/Schmidt, Kommentar zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 22. Aufl. 2015, § 14 Rn 18 ff.). Bei von einem Dritten zu ersetzenden Gebühren ist gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich und entsprechend zu korrigieren, wenn sie unbillig ist. Dies ist der Fall, wenn die geltend gemachten Gebühren die Toleranzgrenze von circa 20% zur tatsächlich objektiv angemessenen Gebührenhöhe überschreiten (vgl. BSG, aaO.).
Unter Berücksichtigung der ausgeführten Kriterien ist die von der Erinnerungsführerin erfolgte Ansetzung der Verfahrensgebühr mit 300,00 Euro (die nach der Erhöhung gemäß Nr. 1008 VV RVG um 540,00 Euro sogar mit 840,00 Euro angesetzt wurde) unbillig, so dass die UdG und das SG zur Korrektur berechtigt waren. Sie haben die Vergütung jedoch nicht weit genug reduziert.
aa)
Der Senat stuft den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als weit unterdurchschnittlich ein.
Maßgeblich für den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist der zeitliche Aufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und den er davon objektiv auch auf die Sache verwenden musste (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 28). Bezugspunkt der anwaltlichen Tätigkeit ist das in der jeweiligen Gebührenziffer umschriebene Tätigkeitsfeld (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 28). Gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV RVG entsteht die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Dabei kommt es für den Umfang seiner Tätigkeit nicht nur auf die Zahl der gefertigten Schriftsätze an (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 30). Von Bedeutung ist darüber hinaus unter anderem, welchen Einsatz der Rechtsanwalt im Einzelnen zur Erstellung dieser Ausführungen notwendigerweise erbringen musste (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 30). Zu berücksichtigen sind dabei z.B. das Lesen der Verwaltungsentscheidung, die Beratung des Mandanten, das Aktenstudium, die Anfertigung von Notizen, mithin bei Geltendmachung eines Anspruchs die Darlegung, wie sich dieser rechnerisch ermittelt, und zwar unter Eingehung auf die streitigen Rechtsvorschriften sowie der Heranziehung von Kommentarliteratur und, soweit vorhanden, einschlägiger Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 30). Wenn der Rechtsanwalt Notizen über den zeitlichen Umfang der im Einzelnen entfalteten Tätigkeit angefertigt hat, kann auf diese zur Bestimmung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit zurückgegriffen werden (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 29). Da Bezugspunkt die anwaltliche Tätigkeit ist, ist es grundsätzlich unerheblich, wie lange das Verfahren als solches gedauert hat (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 29). Allerdings hat sich der durchschnittliche Umfang am Leitbild der zugehörigen Verfahrensordnung am Ablauf des Verfahrens, hier des sozialgerichtlichen Klageverfahrens, zu orientieren (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 29), so dass dieses Leitbild als objektives Korrektiv zu den Angaben des Rechtsanwalts verwendet werden kann. Durchschnittlich umfangreich ist eine anwaltliche Tätigkeit in einem sozialgerichtlichen Klageverfahren, wenn durch den Rechtsanwalt die Klage erhoben, Akteneinsicht genommen, die Klage begründet und zu den Ermittlungen des Gerichts Stellung genommen wird (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Oktober 2016 – L 19 AS 1104/16 B - juris RdNr. 43; Thüringer LSG, Beschluss vom 9. Februar 2015 – L 6 SF 25/15 B – juris RdNr. 16; Pankatz in: Riedel/Sußbauer, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 10. Auflage 2015, § 3 Rdnr. 15).
Ausgehend von den für ein durchschnittliches sozialgerichtliches Klageverfahren erforderlichen Tätigkeiten einer Rechtsanwältin (Klageerhebung, Akteneinsicht, Klagebegründung, Stellungnahme zu den Ermittlungen des Gerichts, die auch entsprechende Abstimmungen mit dem Mandanten erfordern und damit beinhalten) kommt ein durchschnittlicher Zeitaufwand grundsätzlich nur in Betracht, wenn im konkreten Fall diese entsprechenden Tätigkeiten entfaltet wurden. Dabei ist hier zu beachten, dass nur die Tätigkeiten bei der Bemessung der Verfahrensgebühr für das Verfahren S 23 AS 1569/17 berücksichtigt werden können, die bis zur Verbindung des Verfahrens mit den Verfahren S 23 AS 1720/16 und S 23 284/17 angefallen sind. Denn nach der prozessualen Verbindung mehrerer Verfahren besteht nur noch eine Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne des § 15 Abs. 2 RVG (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. September 2014 – L 20 SO 317/13 B – juris RdNr. 33), mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt Gebühren nur noch im führenden Verfahren anfallen können (Thüringer LSG, Beschluss vom 10. April 2014 – L 6 SF 193/14 B – juris RdNr. 27).
Hier hat die Erinnerungsführerin lediglich fristwahrend die Klage erhoben. Eine Klagebegründung erfolgte bis zur Verbindung nicht. Auch sonstige weitere Tätigkeiten wurden bis zur Verbindung nicht mehr entfaltet, so dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit weit unterdurchschnittlich war.
bb)
Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist im vorliegenden Fall ebenfalls als weit unterdurchschnittlich einzustufen.
Die vom Umfang zu unterscheidende Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit meint die Intensität der Arbeit (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 32). Ausgehend von einem objektiven Maßstab ist auf einen Rechtsanwalt abzustellen, der sich bei der Wahrnehmung des Mandats darauf beschränken kann und darf, den Fall mit den einschlägigen Rechtsvorschriften, gegebenenfalls unter Heranziehung von Rechtsprechung und Kommentarliteratur, zu bearbeiten (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 32). Dies beinhaltet aber auch, dass hierfür spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten in eingeschränktem Umfang erforderlich sein können (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 32). Damit ist auf der einen Seite unerheblich, ob der Rechtsanwalt wegen geringer Berufserfahrung Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Aufgabe hat (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 32). Andererseits spielt es keine Rolle, dass der Anwalt z.B. auf Grund vertiefter Fachkenntnisse oder Erfahrung das Mandat leichter als andere Rechtsanwälte bewältigen kann (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 32).
Überdurchschnittlich schwierig ist die Tätigkeit etwa dann, wenn erhebliche, sich üblicherweise nicht stellende Probleme auftreten; diese können sowohl im tatsächlichen als auch im juristischen Bereich liegen (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 33). Von einer nur durchschnittlich schwierigen anwaltlichen Tätigkeit ist dann nicht mehr auszugehen, wenn der zu bearbeitende Fall unter Berücksichtigung des aufgezeigten Maßstabs von einem Normal- bzw. Routinefall abweicht (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 35). Der Routinefall auf dem Gebiet des Sozialrechts ist danach etwa die Darlegung eines Anspruchs auf Leistungen mittels Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Rechtsvorschriften, aber ohne umfangreichere Beweiswürdigung und ohne eingehende Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 35).
Es ist nicht dokumentiert, dass die Prozessbevollmächtigte irgendwelche rechtlichen Prüfungen im hier vorliegenden Verfahren bis zur Verbindung vorgenommen hat. Die Klageerhebung erfolgte lediglich fristwahrend. Eine inhaltliche rechtliche Prüfung war hierfür nicht erforderlich. Für die Annahme, die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit wäre durchschnittlich gewesen, ist vor diesem Hintergrund kein Raum; sie ist vielmehr als weit unterdurchschnittlich zu bewerten.
cc)
Die Bedeutung der Angelegenheit war für die Kläger allerdings als überdurchschnittlich einzustufen.
In Bezug auf dieses Kriterium kommt es auf eine unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit an (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 37). Sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen, ist nach der Rechtsprechung des BSG davon auszugehen, dass im Bereich des SGB II allenfalls monatliche Euro-Beträge im einstelligen Bereich und für einen nur kurzen streitigen Zeitraum von längstens sechs Monaten eine allenfalls durchschnittliche wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber haben, weil Leistungen nach dem SGB II das soziokulturelle Existenzminimum sichern (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 37). Etwas anderes ergibt sich insoweit auch nicht aus der Entscheidung des BSG vom 12. Dezember 2019, in der das BSG ausgeführt hat, dass bei einer Aufhebung bewilligter und bezogener Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 40,36 Euro, einer Erstattungsforderung in dieser Höhe und einer insoweit erklärten Aufrechnung gegen laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger nicht als unterdurchschnittlich eingeordnet werden könne, wegen der Höhe der Erstattungsforderung, die nur für einen Monat die Aufrechnung in voller Höhe von 10 % des für die Klägerin maßgebenden Regelbedarfs betrug, aber auch nicht als überdurchschnittlich (BSG Urteil vom 12.Dezember 2019 – B 14 AS 48/18 R – juris RdNr. 22). Das BSG hat in dieser Entscheidung ausdrücklich klargestellt, dass es grundsätzlich weiterhin daran festhalte, dass im Streit um existenzsichernde Leistungen auch bereits geringe Beträge eine überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit zu begründen vermögen (BSG Urteil vom 12.Dezember 2019 – B 14 AS 48/18 R – juris RdNr. 23).
Im vorliegenden Fall stritten die Beteiligten um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte wegen nicht schlüssig dargelegter Verwendung der Erlöse aus einem Hausverkauf vollständig abgelehnt hatte. Es ging damit um die Existenzsicherung der Kläger, so dass die Einstufung der Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger als deutlich überdurchschnittlich geboten ist.
dd)
Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger als auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts angewiesene Personen waren dagegen unterdurchschnittlich. Diese Einstufung entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG Urteil vom 12.Dezember 2019 – B 14 AS 48/18 R – juris RdNr. 24; BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 38).
ee)
Ein besonderes Haftungsrisiko, das als "besonderes" Risiko allenfalls die Gebühr erhöhen könnte (vgl. BSG Urteil vom 12.Dezember 2019 – B 14 AS 48/18 R – juris RdNr. 25; BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 39), und sonstige unbenannte Kriterien, die geeignet wären, zu einer Herauf- oder Herabbemessung zu führen, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
ff)
Die Kriterien "Bedeutung der Angelegenheit" sowie "Einkommens- und Vermögensverhältnisse" kompensieren sich (BSG Urteil vom 12.Dezember 2019 – B 14 AS 48/18 R – juris RdNr. 24; BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R - juris RdNr. 39). Da im Übrigen sowohl der Umfang als auch die Schwierigkeit der Tätigkeit der Erinnerungsführerin weit unterdurchschnittlich waren, ist die Verfahrensgebühr lediglich in Höhe der Viertelgebühr, mithin in Höhe von 85,00 Euro anzusetzen.
Auf die Toleranzgrenze von circa 20% kann sich die Erinnerungsführerin nicht berufen, weil die von ihr angesetzte Verfahrensgebühr von 300,00 Euro die als angemessen anzusehende Verfahrensgebühr von 75,00 Euro um 300 % übersteigt, so dass die erforderliche und zur Korrektur ermächtigende Unbilligkeit der anwaltlichen Gebührenansetzung gegeben ist.
gg)
Die Verfahrensgebühr ist sodann um 180 Prozent nach Nr. 1008 VV RVG zu erhöhen, weil die Erinnerungsführerin für sechs weitere Kläger in dem Verfahren S 23 AS 1569/17 tätig geworden ist. Dies ergibt im vorliegenden Fall einen weiteren Betrag von 135,00 Euro, insgesamt eine (erhöhte) Verfahrensgebühr von 210,00 Euro.
hh)
Auf die Verfahrensgebühr ist sodann die tatsächlich erhaltene Geschäftsgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a RVG anzurechnen, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (vgl. Beschlüsse des Senats vom 26. November 2020 – L 7 AS 31/20 B -; vom 10. Dezember 2018 – L 7 AS 4/17 B – juris, vom 10. April 2019 - L 7 AS 35/18 B und vom 26. September 2019 - L 7 R 22/18 B).
Sieht das RVG die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vor, kann der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren, § 15a Abs. 1 RVG. Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Bei Betragsrahmengebühren beträgt der Anrechnungsbetrag höchstens 175,00 €.
Die Erinnerungsführerin hat für ihre Tätigkeit im Widerspruchsverfahren eine Geschäftsgebühr in Höhe von 316,13 Euro erhalten. In ihrem Vergütungsfestsetzungsantrag vom 11. Juni 2019 hat sie die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr beantragt, so dass von der Verfahrensgebühr die erhaltene Geschäftsgebühr zur Hälfte, hier also mit 158,06 Euro anzurechnen ist. Es verbleibt damit ein Betrag in Höhe von 51,94 Euro.
ii)
Eine Terminsgebühr und eine Einigungsgebühr sind in dem Verfahren S 23 AS 1569/17 bis zur Verbindung nicht angefallen. Sowohl die UdG als auch das SG haben zutreffend darauf hingewiesen, dass das Verfahren S 23 AS 1569/17 nicht zur mündlichen Verhandlung am 22. August 2017 geladen war, so dass eine Terminsgebühr für das Verfahren S 23 AS 1569/17 nicht entstehen konnte. Eine Einigungsgebühr ist für das Verfahren S 23 AS 1569/17 nicht angefallen, weil die Einigung der Beteiligten erst nach der Verbindung erfolgte. Die Einigungsgebühr kann daher nur im führenden Verfahren S 23 AS 1720/16 berücksichtigt werden.
jj)
Unter Berücksichtigung der insoweit unstreitigen Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro errechnet sich damit eine Gesamtvergütung in Höhe von netto 71,94 Euro und unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG von 13,67 Euro eine Gesamtvergütung von brutto 85,61 Euro für das Verfahren S 23 AS 1569/17.
4.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG.
5.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).