Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin 1/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Widerspruchs- und Klageverfahrens, für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine Herabsetzung ihres Grades der Behinderung (GdB) von 100 auf nunmehr 40 nach Eintritt der einer Brustkrebserkrankung nachfolgenden Heilungsbewährung.
Bei der 1965 geborenen Klägerin, von Beruf Lehrerin, wurde im März 2011 im Bereich der linken Brust ein Mammakarzinom festgestellt, das zunächst mit Chemotherapie behandelt wurde und im Oktober 2011 zur operativen Entfernung der linken Brust führte. Am 29. Juli 2011 stellte die Klägerin aufgrund dieser Erkrankung erstmals einen Antrag nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), der Beklagte stellte mit Bescheid vom 18. Oktober 2011 den GdB der Klägerin mit 100 fest.
Im März 2016 griff der Beklagte das Verfahren von Amts wegen wieder auf. Im Rahmen der nachfolgenden Ermittlungen erstellte die Hausärztin der Klägerin Dr. H. einen Befundbericht, berichtete über anhaltende Sensitivitätsstörungen beider Füße und eine nach der Erkrankung verbliebende Symptomatik mit rascher Erschöpfung und ausgeprägter Müdigkeit. Ferner bestünden eine bereits zuvor im Jahr 2008 diagnostizierte Hashimoto-Thyreoiditis sowie rezidivierende Blockierungen der Lendenwirbelsäule (LWS) jeweils ohne erhebliche Beeinträchtigungen. Der Allgemeinzustand der Klägerin sei gut. Die Hausärztin legte u. a. einen Bericht des Reha-Zentrums Ückeritz vom 19. November 2013 vor, wo sich die Klägerin aufgrund ihrer Krebserkrankung in stationärer Rehabilitation befunden hatte. Ferner fügte sie einen orthopädischen Befundbericht in Bezug auf die Beschwerden der LWS bei. Der Ärztliche Dienst des Beklagten bewertete den Verlust der Brust links mit einen Einzel-GdB von 30, der zugleich den Gesamt-GdB abbilde, denn die übrigen Funktionsstörungen (psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, Wirbelsäulenleiden, Sensibilitätsstörungen beider Füße nach Chemotherapie und das Schilddrüsenleiden) seien jeweils nicht höher als mit einem Einzel-GdB von maximal 10 zu bewerten. Nach Anhörung der Klägerin befragte der Beklagte ergänzend deren Frauenärztin Dr. I., die ebenfalls von psychovegetativer Erschöpfung und verminderter Belastbarkeit berichtete, was nach einer bösartigen Erkrankung typisch sei. Die Bedrohlichkeit sei immer präsent und beeinträchtige die psychischen und physischen Kräfte der Betroffenen. Zu einem Rezidiv oder einer Metastasenbildung sei es nicht gekommen. Eine vollzeitige Berufstätigkeit der Klägerin, die als Lehrerin aufgrund ihrer Schwerbehinderung in den Genuss einer Stundenreduzierung kam, sei sicher nicht angebracht.
Nach weiterer Befragung des Ärztlichen Dienstes und nochmaliger Anhörung der Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 17. Januar 2017 den GdB mit 30 ab dem
1. Februar 2017 neu fest und hob den Bescheid vom 18. Oktober 2011 insoweit auf. Das nachfolgende Widerspruchsverfahren, in welchem die Klägerin erneut Stellungnahmen ihrer Ärztinnen Dr. H. und Dr. I. vorlegte, blieb gemäß Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2017 ohne Erfolg. Die Hausärztin Dr. H. hatte in ihrem Bericht vom 9. März 2017 nochmals darauf hingewiesen, durch die Abstufung im GdB werde die Klägerin verpflichtet, wieder Pausenaufsicht zu führen und ihren bisherigen Erholungstag in der Mitte der Woche aufzugeben. Dies sei ihr nicht zuzumuten. Nach Erlass des Widerspruchsbescheides legten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin noch einen psychotherapeutischen Befundbericht der Dipl.-Psychologin J. vom 25. April 2017 vor. Dort war die Klägerin erstmals am 20. April 2017 vorstellig geworden, die Therapeutin diagnostizierte eine im Zusammenhang mit der Krebserkrankung stehende mittelgradige depressive Episode.
Die Klägerin hat am 7. Juni 2017 Klage erhoben und die Feststellung eines GdB von weiterhin mindestens 50 beantragt. Begründet hat sie dies mit seelischen Begleiterscheinungen, die erheblich über das übliche Ausmaß hinausgingen, sowie mit körperlichen Beschwerden im Sinne eines chronischen Erschöpfungssyndroms und Konzentrationsstörungen. Das Sozialgericht (SG) Stade hat Befundberichte von Dr. I. und der Dipl. Psychologin J. eingeholt. Zudem haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin einen Bericht vom 14. September 2017 über eine in Bad Schwartau durchgeführte weitere Rehabilitationsmaßnahme vorgelegt. Von dort ist berichtet worden, die Klägerin sei in ihrem Beruf als Lehrerin weiterhin arbeitsfähig. Sie habe seit der Chemotherapie 20 kg zugenommen, der Allgemeinzustand sei gut, auch hier sind die psychischen Reaktionen beschrieben und die weitere Durchführung einer ambulanten Psychotherapie dringend empfohlen worden. Bei Abschluss der Therapie haben sich die Sensibilitätsstörungen in den Füßen unverändert gezeigt, im Übrigen haben keine wesentlichen körperlichen Beschwerden mehr bestanden. Fortbestanden hat nach dem Befundbericht der Gynäkologin Dr. I. vom 19. Oktober 2017 die psychovegetative Erschöpfung der Klägerin.
Nach Befragung des Ärztlichen Dienstes hat der Beklagte am 14. November 2017 ein Teilanerkenntnis des Inhalts abgeben, den GdB ab dem 1. Februar 2017 mit 40 festzustellen. Nunmehr ist auch die psychische Störung der Klägerin mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt worden, wozu der Ärztliche Dienst – Dr. K. – dargelegt hat, der Entlassungsbericht aus Bad Schwartau dokumentiere eine schwere Anpassungsstörung im Sinne einer depressiven Reaktion auf schwere Belastungen, zudem sei eine Psychotherapeutin konsultiert worden, insgesamt könne die psychische Beeinträchtigung als eigenständiges Leiden mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt werden. Der Verlust der linken Brust sei mit dem zuerkannten Einzel-GdB von 30 leidensgerecht und angemessen bewertet. Lymphabflussstörungen oder dauerhafte funktionelle Störungen des Schultergürtels seien nicht belegt. Bezüglich dieses Teilanerkenntnisses ist später unter dem 13. Mai 2019 ein Ausführungsbescheid ergangen.
Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen, den Rechtsstreit jedoch fortgeführt. Sie hat einen Bericht der Psychotherapeutin L. vom 29. Januar 2018 vorgelegt. Die Klägerin sei dort seit September 2017 in Behandlung und leide unter einer Anpassungsstörung mit verschiedenen Ausprägungen, die von der Therapeutin im Einzelnen dargelegt worden sind. Eine Aberkennung des Schwerbehindertenstatus würde aufgrund dann steigender beruflicher Belastungen dem Ziel der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin entgegenwirken.
Das SG Stade hat am 27. April 2018 einen Erörterungstermin durchgeführt und anschließend in die Akten der Niedersächsischen Landesschulbehörde Einsicht genommen, diesbezüglich jedoch mitgeteilt, diese enthielten nur kurze amtsärztliche Stellungnahmen, aus denen sich nichts Neues ergebe. Eine Begutachtung im eigentlichen Sinne durch die Schulbehörde habe nicht stattgefunden.
Daraufhin hat das SG Stade ein Sachverständigengutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. eingeholt, das dieser unter dem 22. Februar 2019 erstattet hat. Dort hat die Klägerin in der Anamnese zunächst angegeben, sie sei eine „Vollblutlehrerin“, habe auch während ihrer Chemotherapie gearbeitet und wolle ihren Beruf bis zur Rente auch ausüben. Allerdings müsse sie mittlerweile wieder drei Stunden mehr arbeiten, die zwischenzeitlich aufgrund der anerkannten Schwerbehinderung reduziert worden waren. Im Übrigen hat die Klägerin die vorbekannten gesundheitlichen Störungen geschildert, wegen der biografischen Anamnese wird auf Seiten 6 – 7 des Gutachtens verwiesen. Der Sachverständige hat das Vorliegen einer Neurasthenie diskutiert, im Übrigen bestehe auf neurologischem Fachgebiet allenfalls eine ganz diskrete Polyneuropathie und die zuvor von der Dipl.-Psychologin J. beschriebene mittelgradige depressive Episode liege nicht vor. Die Stimmungslage der Klägerin sei nicht depressiv, es bestehe kein Interessenverlust und keine depressive Antriebshemmung. Zusammenfassend handele es sich eher um eine milde Symptomatik, die mit einem GdB von maximal 20 zu bewerten sei. Die Klägerin hat das Ergebnis dieses Gutachtens nachfolgend nicht akzeptiert und den Rechtsstreit fortgeführt.
Mit Gerichtsbescheid vom 8. Mai 2019 hat das SG Stade die Klage abgewiesen und ist den Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. gefolgt. Demnach sei der für das psychische Leiden festgestellte Wert von 20 jedenfalls nicht zu niedrig, der Einzel-GdB von 30 für den Verlust der linken Brust sei nach Teil B Nr. 14.1 Versorgungsmedizinische Grundsätze (VMG) angemessen, die Heilungsbewährung sei eingetreten und insgesamt seien die noch verbleibenden Leiden mit den nunmehr festgestellten GdB von 40 zutreffend bewertet.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 9. Mai 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 28. Mai 2019 Berufung eingelegt. Sie hat weiterhin geltend gemacht, ihre neurologischen Defizite aufgrund der Folgen der Krebserkrankung und der Therapie seien sehr viel schwerwiegender, als Dr. M. dies in seinem Gutachten beschrieben habe. Hierzu hat sie eine weitere Stellungnahme ihrer Hausärztin Dr. H. vom 10. Juli 2019 vorgelegt, die nunmehr u.a. auf seit der Krebstherapie bestehende Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen sowie Einschränkungen im Konzentrationsvermögen, in der Ausdauer, der Flexibilität und der geteilten Aufmerksamkeit berichtet hat. Außerdem benötige die Klägerin längere Regenerationsphasen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 8. Mai 2019 und den Bescheid des Beklagten vom 17. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
5. Mai 2017 und des Ausführungsbescheides vom 13. Mai 2019 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nachfolgend hat die Klägerin noch einen Bericht des Dipl.-Soziologen N. vom 11. Juli 2019 vorgelegt, der die bereits von Dr. H. geschilderten Störungen als nachgewiesene Gedächtnisstörung eingeordnet hat. Zudem ergäben sich Hinweise auf eine milde depressive Stimmungslage. Hierzu hat der Beklagte den Ärztlichen Dienst – Dr. O. – befragt. Die Gutachterin des Ärztlichen Dienstes hat den Standpunkt vertreten, die genannten Beeinträchtigungen seien durch die Feststellung eines erhöhten Gesamt-GdB von 40 bereits angemessen berücksichtigt worden. Durch den aktuellen Bericht ergäben sich keine derart ausgeprägten Einschränkungen, aus denen sich die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft herleiten lasse. Die Klägerin hat demgegenüber ihre Beeinträchtigungen weiterhin für zu gering bewertet angesehen und hat diesbezüglich einen weiteren Bericht des Dipl.-Psychologen N. vom 5. September 2019 vorgelegt.
Mit Senatsbeschluss vom 22. Januar 2020 hat der Senat die Entscheidung über die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 8. Mai 2019 nach vorheriger Anhörung der Beteiligten dem Berichterstatter dieser Sache übertragen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz –SGG–) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143 SGG), aber nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des SG Stade vom
8. Mai 2019 sowie der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 17. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2017 und des Ausführungsbescheides vom 13. Mai 2019 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Der angefochtene Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Die erforderlichen formellen Voraussetzungen für die Aufhebung des Ausgangsbescheides sind erfüllt, insbesondere ist dem Aufhebungsbescheid eine ordnungsgemäße Anhörung gemäß § 24 Abs. 1 SGB X vorausgegangen.
Auch die materiellen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X lagen im entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids als letzter maßgeblicher Verwaltungsentscheidung vor. Ist – wie hier – die Zeit der Heilungsbewährung erfolgreich abgelaufen, haben sich die tatsächlichen Grundlagen des Bescheides über die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne dieser Vorschrift entscheidungserheblich geändert (vgl. hierzu Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/15 R – juris Rn. 13 m. w. N.).
Gemäß Teil B Nr. 1 c der Anlage "Versorgungsmedizinische-Grundsätze" (VMG) zur Versorgungsmedizin-Verordnung ist nach Behandlung bestimmter Krankheiten, die zu Rezidiven neigen, insbesondere bei bösartigen Geschwulsterkrankungen, eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der Zeitraum der Heilungsbewährung beträgt in der Regel fünf Jahre, und zwar ab dem Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann. Die hinsichtlich der häufigsten und wichtigsten solcher Krankheiten angegebenen GdB-Anhaltswerte sind auf den "Zustand nach operativer oder anderweitiger Beseitigung der Geschwulst bezogen". Sie beziehen den "regelhaft verbleibenden Organ- oder Gliedmaßenschaden ein". Außergewöhnliche Folgen oder Begleiterscheinungen der Behandlung – z. B. langdauernde schwere Auswirkungen einer wiederholten Chemotherapie - sind zu berücksichtigen.
Bestehen keine solchen außergewöhnlichen Folgen oder Begleiterscheinungen der Krebserkrankung, so legen die VMG die Höhe des GdB pauschal fest. Erst für die Zeit nach Ablauf der Heilungsbewährung ist der GdB nach den konkreten Auswirkungen der vorliegenden Gesundheitsstörungen zu bemessen (vgl. dazu Teil A Nr. 2 VMG). Beruht daher die Höhe des GdB auf einer Erkrankung, für welche die einschlägigen Normen einen erhöhten GdB-Wert während des Zeitraums der Heilungsbewährung ansetzen, ändert das Verstreichen dieses Zeitraums die wesentlichen, d. h rechtserheblichen tatsächlichen Verhältnisse, die der Feststellung des GdB zugrunde lagen (vgl. BSG a. a. O. juris Rn. 15 m. w. N.).
Bei der dann anstelle pauschaler Bemessung erforderlichen Bewertung anhand der tatsächlichen Umstände sind die in den VMG niedergelegten Maßstäbe zu beachten (vgl. Teil A Nr. 2 a VMG). Die VMG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 SB 2/13 R - juris Rn. 10 m. w. N.) und ihre Bindungswirkung für Behörden und Gerichte im Feststellungsverfahren nach § 69 SGB IX (seit dem 1. Januar 2018: § 152 SGB IX) hat der Gesetzgeber in § 159 Abs. 7 SGB IX (jetzt: § 241 Abs. 5 SGB IX) ausdrücklich geregelt.
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 SGB IX (jetzt: § 152 Abs. 3 S. 1 SGB IX) nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (s. § 2 Abs. 1 SGB IX) und die damit einhergehenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. Dabei ist im Falle einer Anfechtungsklage - wie hier - auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, mithin des Widerspruchsbescheides, abzustellen, so dass spätere Entwicklungen, insbesondere erst im Laufe des Klageverfahrens neu hinzugetretene Gesundheitsstörungen oder eine Verschlimmerung bestehender Gesundheitsstörungen, nicht berücksichtigt werden können. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (vgl. Teil A Nr. 3 c VMG) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in den VMG feste Grade angegeben sind (Teil A Nr. 3 b VMG). Hierbei führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung und auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d ee VMG; vgl. zum Vorstehenden auch BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - juris Rn. 29).
Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl. BSG a.a.O. Rn. 30). Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Maßgeblich für die darauf aufbauende GdB-Feststellung ist aber nach § 2 Abs. 1, § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX (seit dem 1. Januar 2018: § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX), wie sich nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken. Bei der rechtlichen Bewertung dieser Auswirkungen sind die Gerichte an die Vorschläge der von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden (BSG, Beschluss vom 20. April 2015 - B 9 SB 98/14 B - juris Rn. 6 m.w.N.).
Unter Beachtung dieser Grundsätze sind der Gerichtsbescheid des SG Stade vom 8. Mai 2019 und die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Der Gesundheitszustand der Klägerin rechtfertigte an dem in Anfechtungsfällen der vorliegenden Art maßgeblichen Tag der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides, der vom 5. Mai 2017 datiert, lediglich noch die Feststellung eines GdB von 40.
Der Senat folgt im Ergebnis der Einschätzung im des Gerichtsbescheid des SG Stade vom 8. Mai 2019, der er sich nach eigener Sachprüfung anschließt. Der Einzel-GdB von 30 für den Verlust der linken Brust ist nach Teil B Nr. 14.1 VMG angemessen und nach den Einzelfallumständen nicht weiter zu erhöhen. Die Funktionseinschränkung im Bereich der linken Schulter konnte im Rahmen der in Ückeritz durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme gebessert werden. Beeinträchtigungen der Funktion der linken Hand – die Klägerin ist Linkshänderin – sind nicht dokumentiert.
Der Einzel-GdB von 20 für das auf neurologisch-psychischatrischem Fachgebiet liegende Leiden entspricht ebenfalls den regelmäßigen Bewertungsgrundsätzen des Senats und ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. in dessen Sachverständigengutachten vom 22. Februar 2019 angemessen. Bei auf neurologischem Fachgebiet festgestellter allenfalls eine ganz diskrete Polyneuropathie hat er das Vorliegen einer zuvor von der Dipl.-Psychologin J. beschriebenen mittelgradigen depressiven Episode aufgrund vorgefundener milder Symptomatik nicht bestätigen können, wobei die Stimmungslage der Klägerin nicht depressiv und kein Interessenverlust sowie keine depressive Antriebshemmung bestünden.
Der Senat folgt den Feststellungen im Sachverständigengutachten des Dr. M., der die bei der Klägerin bestehende und für Tumorpatienten nicht untypische Problematik auf Seite 9 seines Gutachtens anschaulich beschrieben und als „Tumor-Fatigue“ umschrieben hat. Er hat alsdann indes aufgrund des Bestehens einer eher milden Symptomatik lediglich einen Einzel-GdB von 20 angenommen. Auch aus dem Bericht der in Bad Schwartau durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme vom 14. September 2017 ergibt sich eine höhere Bewertung nicht, wobei der dort beschriebene Zustand sowie auch die u. a. seitens der Gynäkologin Dr. I. im Bericht vom 19. Oktober 2017 beschriebene psychovegetative Erschöpfung der Klägerin den Senat davon überzeugen, dass die auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestehende Störung wenn auch nicht höher, so auch nicht geringer als mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten ist. Dieser GdB ist im Wesentlichen durch das Beschwerdebild schneller Erschöpfbarkeit der Klägerin begründet, das Dr. M. als „Tumor-Fatigue“ treffend bezeichnet hat und das mit unterschiedlichen Beschreibungen auch in den anderen ärztlichen Berichten durchgehend dokumentiert ist. Die Bewertung dieses nach einer Tumortherapie durchaus typischen Krankheitsbildes ist nach den VMG nicht eindeutig, aufgrund einer vergleichenden Betrachtung erscheint dem Senat indes ein Einzel-GdB von 20 als erforderlich und auch ausreichend. Bei starker Ausprägung könnte an eine Höherbewertung gedacht werden, eine solche ist im Falle der Klägerin jedoch nicht dokumentiert, so dass der Senat von einem „starken“ Einzel-GdB von 20 maximal ausgeht.
Eine stärker behindernde psychische Störung liegt demgegenüber nicht vor. Diese würde einen erheblichen Verlust an sozialen Kontakten oder Vitalität voraussetzen, was sich in der Regel durch deutliche Anzeichen sozialer Isolation und/oder Interesselosigkeit und geschwundene Lebensfreude manifestiert. Ein Indiz für bestehenden Leidensdruck ist darüber hinaus auch die Behandlungsfrequenz beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie oder beim Psychotherapeuten, ferner die – ggf. wiederholte – Durchführung stationärer Maßnahmen. Eine derart schwere Beeinträchtigung, die eine stärker behindernde Störung i. S. von Teil B Nr. 3.7 VMG darstellen würde, ist bei der Klägerin nicht gegeben. Hiervon ist der Senat aufgrund der Darlegungen im Sachverständigengutachten des Dr. M. auch entgegen der Darstellung im Befundbericht der Dipl.-Psychologin J. überzeugt; dort ist die Behandlung nach zwei Konsultationsterminen zudem nicht fortgeführt worden. Nach der Anamnese im Sachverständigengutachten des Dr. M. lebt die Klägerin in einer funktionierenden Partnerschaft, übt ihren Beruf aus und geht gemäß den Darstellungen auf Seite 7 des Gutachtens durchaus noch Hobbies und Interessen nach. Auch der psychopathologische Befund ist im Wesentlichen unauffällig gewesen. Die Stimmungslage der Klägerin hat der Sachverständige als „nicht depressiv“ beschrieben.
Die besonderen beruflichen Interessen der Klägerin am Fortbestand der Schwerbehinderteneigenschaft, die u. a. die behandelnde Psychotherapeutin L. und auch der Sachverständige Dr. M. dargelegt haben und die für den Senat sehr gut nachvollziehbar sind, müssen für die Bewertung nach den VMG außer Betracht bleiben. Auch die sich besonders beruflich auswirkenden Beeinträchtigungen i. S. kognitiver Defizite, wie sie der es Dipl.-Psychologe N. unter dem 5. September 2019 beschrieben hat, begründen im Ergebnis keine abweichende Einschätzung.
Weitere Funktionsstörungen und Beschwerden der Klägerin rechtfertigen eine weitere Anhebung des GdB in Anwendung von Teil A Nr. 3 d) ee) VMG und die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gleichfalls nicht. Die Bemessung des Gesamt-GdB mit 40 ab dem
1. Februar 2017 erweist sich als zutreffend.
Das Berufungsvorbringen einschließlich der Berichte der Hausärztin Dr. H. vom
10. Juli 2019 und des Dipl.-Psychologen N. vom 11. Juli 2019 und vom 5. September 2019 rechtfertigt keine andere Entscheidung. Auf der Grundlage der dort geschilderten eher geringfügigen Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit lässt sich ein höherer GdB und insbesondere die weitere Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft trotz der von Dr. H. und Dipl.-Psych. N. übereinstimmend und glaubhaft beschriebenen eingeschränkten kognitiven Belastbarkeit nicht begründen. Der bereits festgestellte GdB von 40 setzt bereits erhebliche Beeinträchtigungen der Teilhabe voraus; bei einem Vergleich i. S. von Teil A Nr. 3 b) VMG lässt sich nicht erkennen, dass die Einschränkungen der Klägerin so schwerwiegend wären, dass die Feststellung eines GdB von 50 auch über den 31. Januar 2017 hinaus in Betracht käme.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 und Abs. 2 SGG liegen nicht vor.