L 2 BA 5/21

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Bremen (NSB)
Aktenzeichen
S 53 R 163/18
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 2 BA 5/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Räumen die gesellschaftsvertraglichen Regelungen einem Minderheitsgesellschafter nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit eine umfassende Sperrminorität ein, dann übt er eine entlohnte geschäftsführende Tätigkeit für die GmbH im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses aus.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

Der 1976 geborene Steuerberater wendet sich im Überprüfungsverfahren gegen die von der Beklagten getroffene Feststellung, dass er in seiner seit 1. Januar 2014 ausgeübten Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Beigeladenen in der Rechtsform einer GmbH geführten Steuerberatungsgesellschaft der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

 

Vor 2014 hatte die Beigeladene bei einem Stammkapital von 26.400 € zwei Gesellschafter, und zwar den Steuerberater K. L. mit einem Anteil von 60 % und die Steuerberaterin M. N. mit einem Anteil von 40 %. Beide waren im Gesellschaftsvertrag zu Geschäftsführern berufen.

 

Damals enthielt der Gesellschaftsvertrag in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 21. März 2007 (vgl. wegen der weiteren Einzelheiten des damaligen Vertrages Bl. 258 ff. GA) in § 4 Ziff. (4) folgende Regelung:

 

Die Geschäfte der Gesellschaft werden von allen Geschäftsführern gemeinschaftlich geführt. Geschäftsführer, die zugleich Gesellschafter sind, können beabsichtigten Geschäftsführungsmaßnahmen anderer Gesellschafter widersprechen. Im Falle eines solchen Widerspruchs hat die beabsichtigte Geschäftsführungsmaßnahme zu unterbleiben, es sei denn, dass die Gesellschafterversammlung ihre Durchführung beschlösse. Geschäfte, deretwegen sich die Gesellschafterversammlung durch Beschluss die Zustimmung vorbehält, dürfen nur vorgenommen werden, wenn zuvor ein zustimmender Beschluss der Gesellschafterversammlung gefasst wurde. Gleiches gilt für Geschäfte der folgenden Art:

 

a)    Erwerb, Veräußerung und Belastung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten,

b)    Errichtung oder Aufgabe von Zweigstellen und Zweigniederlassen…

 

In den nachfolgenden Punkten c) bis o) wurden weitere bedeutsamere Geschäfte (wie etwa die Übernahme von Bürgschaften, die Gewährung von Darlehen oder die Erteilung einer Prokura aufgeführt (vgl. wegen der Einzelheiten Bl. 261 GA).

 

§ 5 des Vertrages enthielt folgende Regelungen:

 

(1)   Für die Einberufung und Durchführung von Gesellschafterversammlungen und die Herbeiführung von Gesellschafterbeschlüssen gelten vorbehaltlich der Bestimmungen in Ziffer (2) dieses Paragraphen die gesetzlichen Vorschriften.

(2)   Über die Zustimmung zu den Geschäften der in § 4 Ziffer (4) bezeichneten Art kann die Gesellschafterversammlung nur mit den Stimmen aller Gesellschafter Beschluss fassen.

(3)   Die Änderung oder Aufhebung dieser Satzungsbestimmung kann nur mit Zustimmung sämtlicher beteiligter Gesellschafter beschlossen werden (§ 53 Abs. 3 GmbHG).

 

Zum Jahreswechsel 2013 veräußerte der Gesellschafter L. ¼ seiner (sich bis dahin auf 60 % belaufenden) Geschäftsanteile und damit 15 % dieser Anteile an die neu eintretende Gesellschafterin O. P. sowie die Hälfte seiner Anteile und damit 30 % der Geschäftsanteile der Beigeladenen an den Kläger. Die restlichen 15 % der Geschäftsanteile der Beigeladenen hielt er weiterhin; die Steuerberaterin N. verfügt nach wie vor über 40 % der Anteile.

 

Für die von ihm vom Gesellschafter L. erworbenen Anteile in Höhe von 25 % am Gesellschaftsvermögen zahlte der Kläger einen Kaufpreis von 550.000 € (Bl. 47 GA).

 

Ausgehend von dem Eintritt zweier weiterer Gesellschafter beurkundete der Notar Q. am 18. Dezember 2013 eine damit korrespondierende Änderung des Gesellschaftsvertrages (vgl. wegen der Einzelheiten Bl. 16 ff. VV).

 

Die Regelung in § 4 Ziff. (4) des Vertrages in der bis Ende 2013 maßgeblichen Fassung wurde in § 4 Ziff. (5) des neuen Vertrages (mit geringfügigen eher redaktionellen Änderungen hinsichtlich der nunmehr unter den Buchstaben a] bis n] aufgeführten zustimmungspflichtigen Geschäfte) übernommen.

 

§ 5 des Vertrages erhielt nunmehr folgende Fassung:

 

(1)   Für die Einberufung und Durchführung von Gesellschafterversammlungen und die Herbeiführung von Gesellschafterbeschlüssen gelten vorbehaltlich der Bestimmungen in Ziffer (2) dieses Paragraphen die gesetzlichen Vorschriften.

 

(2)   Über die Zustimmung zu den Geschäften der in § 4 Ziffer (5) bezeichneten Art kann die Gesellschafterversammlung nur mit 85 % der Gesamtheit der Gesellschafter beschlossen werden.

 

(3)   Die Änderung oder Aufhebung dieser Satzungsbestimmung kann nur mit Zustimmung von 100 % der Gesamtheit der Gesellschafter erfolgen. Gleichermaßen können Beschlüsse nach dem Umwandlungsgesetz nur mit Zustimmung von 100 % der Gesamtheit der Gesellschafter erfolgen.

 

Allen vier Gesellschaftern wurde in § 4 Ziff. (2) ein Sonderrecht auf Geschäftsführung (mit Alleinvertretungsbefugnis) gemäß § 38 Abs. 2 GmbHG eingeräumt, wobei allerdings nach § 7 Ziff. (3) lediglich der Kläger und die Gesellschafterinnen N. und P. zur Übernahme der Geschäftsführung verpflichtet worden sind.

 

Der Kläger und die Gesellschafterin N. sind § 7 Ziff. (3) verpflichtet worden, ihre ganze Arbeitskraft in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Demgegenüber war eine entsprechende Verpflichtung für die Gesellschafterin P. nur im Ausmaß von 60 % ihrer Arbeitskraft vorgesehen; bezüglich des Gesellschafters L. ist ausdrücklich das Fehlen einer solchen Verpflichtung festgehalten worden.

 

Ebenfalls mit Wirkung vom 1. Januar 2014 schlossen die Beigeladene und der Kläger einen Geschäftsführervertrag (vgl. wegen der Einzelheiten Bl. 30 ff. VV). Nach § 2 Satz 3 war der Kläger in seiner geschäftsführenden Tätigkeit an die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung gebunden. Seine regelmäßige Arbeitszeit betrug 5 Arbeitstage in der Woche (§ 3). Ihm wurden insbesondere ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 6.875 € zuzüglich einer „Sondervergütung“ von 1.500 € im Monat November, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von 6 Wochen, die Nutzung eines Firmenwagens auch für private Zwecke und ein Jahresurlaub von 25 Arbeitstagen zugesagt.

 

Auf den damaligen Statusfeststellungsantrag des Klägers stellte die Beklagte mit Bescheid vom 3. November 2014 fest, dass seine Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Beigeladenen seit Januar 2014 im Rahmen eines abhängigen und der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegenden Beschäftigungsverhältnis ausübe. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden.

 

Mit Überprüfungsantrag vom 25. Oktober 2017, dem ein erneuter Statusfeststellungsantrag vom 19. Juli 2017 beigefügt war, begehrte der Kläger die Feststellung der Versicherungsfreiheit.

 

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. November 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2018 insbesondere mit der Begründung ab, dass der Kläger nach den getroffenen Vereinbarungen an ihm vermittels Gesellschafterbeschlüsse erteilte Weisungen gebunden sei.

 

Mit der am 7. Juni 2018 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er seine Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer im Rahmen einer Selbständigkeit ausübe. Er erhalte hinsichtlich Zeit und Ort seiner Tätigkeit keine Weisungen „durch den Auftraggeber“.

 

Die vertraglichen Vereinbarungen sähen keinen Anspruch auf Vergütung von Überstunden, Sonntags- und Feiertagsarbeit vor. Von einer Eingliederung in den Betrieb könne nicht gesprochen werden, wenn der Betroffene seine Arbeitszeit flexibel gestalten können und im Fall von Mehrarbeit keinen Ausgleich erhalte.

 

Er könne selbständig Personal einstellen und entlassen und habe der Beigeladenen ein Darlehen in Höhe von 80.000 € gewährt. Schon angesichts der Verflechtung von Geschäftsführertätigkeit und Gesellschafterstellung komme eine abhängige Beschäftigung nicht in Betracht. Überdies sei ihm im Gesellschaftsvertrag eine umfassende Sperrminorität eingeräumt worden. Eine Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen, wonach sich diese Sperrminorität nur auf die spezifischen in § 4 Ziff. (5) des Gesellschaftsvertrages unter den Buchstaben a] bis n] aufgeführten zustimmungspflichtigen Geschäfte beziehen sollte, sei fernliegend. Es würden alle von § 4 Ziff. (5) erfassten Geschäfte und damit auch von einem Widerspruch eines Gesellschafters nach § 4 Ziff. (5) Satz 2 des Vertrages betroffene Geschäfte von dem in § 5 Ziff. (2) normierten Erfordernis einer Mehrheit von 85 % erfasst.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 24. November 2020, dem Kläger am gleichen Tag zugestellt, hat das Sozialgericht Bremen die Klage abgewiesen und zur Begründung insbesondere dargelegt, dass nach den gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen dem Kläger gerade keine umfassende Sperrminorität zugestanden worden sei.

 

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 22. Dezember 2020. Dieser interpretiert den Gesellschaftsvertrag weiterhin im Sinne der umfassenden Einräumung einer Sperrminorität. Er übe eine Mitarbeit im eigenen Unternehmen aus, zumal er nach den vertraglichen Vereinbarungen „unkündbar“ sei, wobei allerdings seine Bestellung zum Geschäftsführer aus wichtigem Grund widerrufen werden könne.

 

Bei dieser Ausgangslage hätte auch eine schlichte Missachtung womöglich in Betracht kommender Weisungen für ihn keine negativen Auswirkungen.

 

Es habe auch keine Veranlassung bestanden, die Regelungen im Gesellschaftsvertrag in „vorauseilendem Gehorsam“ im Sinne einer wirklich eindeutigen Einräumung einer umfassenden Sperrminorität vor einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung anzupassen. Die Vereinbarungen seien bereits eindeutig gefasst.

 

Der Kläger beantragt,

 

1.     den Gerichtsbescheid vom 24. November 2020 und den Bescheid der Beklagten vom 9. November 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2018 aufzuheben und

2.     die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung ihres Bescheides vom 3. November 2014 festzustellen, dass er die Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Beigeladenen seit dem 1. Januar 2014 nicht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausübe, so dass er in dieser Tätigkeit auch keiner durch eine Beschäftigung ausgelösten Versicherungspflicht unterliege.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

 

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

 

Ihrer Auffassung nach sehen die gesellschaftsvertraglichen Regelungen klar und eindeutig nur eine sachlich eingeschränkte Sperrminorität vor.

 

Der Senat hat den Notar Q. schriftlich als Zeugen vernommen; auf den Inhalt seiner Aussage (Bl. 182 ff. GA) wird verwiesen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Auch nach dem Ergebnis des Berufungsverfahrens hat das auf § 44 SGB X gestützte Überprüfungsbegehren keinen Erfolg. Vielmehr ist mit dem zur Überprüfung gestellten Bescheid vom 3. November 2014 weiterhin davon auszugehen, dass der Kläger seine seit dem 1. Januar 2014 wahrgenommene Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Beigeladenen im Rahmen einer abhängigen und der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegenden Beschäftigung ausübt.

 

In Ergänzung zu den zutreffenden Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und in dem zur Überprüfung gestellten Gerichtsbescheid ist Folgendes festzuhalten:

 

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (vgl. § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI; § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Die abhängige Beschäftigung steht als rechtlicher Typus der selbstständigen Tätigkeit gegenüber, die vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet ist. Diese für die Statusbeurteilung vom BSG entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH. Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei dem Geschäftsführer einer GmbH aber in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen (BSG, Urteil vom 08. Juli 2020 – B 12 R 1/19 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr. 48, Rn. 18 mwN).

 

Der Geschäftsführer einer GmbH kann seine Tätigkeit nach ständiger Rechtsprechung nur dann selbstständig ausüben, wenn er am Gesellschaftskapital beteiligt ist (sog Gesellschafter-Geschäftsführer), während bei einem Fremdgeschäftsführer eine selbstständige Tätigkeit grundsätzlich ausscheidet. Geschäftsführer einer GmbH unterliegen nach § 6 Abs. 3, § 37 Abs. 1, § 38 Abs. 1 sowie § 46 Nr. 5 und 6 GmbHG grundsätzlich zu jeder Geschäftsführungsangelegenheit der nur durch entsprechende Satzungsregelungen einschränkbaren Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung der GmbH. Auch ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig beschäftigt angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mindestens 50 vH der Anteile am Stammkapital hält oder bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt (BSG, aaO, Rn. 19).

 

Ansonsten steht es der Annahme einer abhängigen Beschäftigung insbesondere nicht entgegen, wenn ein Geschäftsführer "im täglichen Dienstbetrieb" "im Wesentlichen frei walten und schalten" und, was Ort, Zeit und Dauer seiner Arbeitsleistung betrifft, weitgehend weisungsfrei agieren kann (BSG, U.v. 18. Dezember 2001 - B 12 KR 10/01 R - SozR 3-2400 § 7 Nr. 20).

 

Im vorliegenden Fall weist der Geschäftsführervertrag typische Elemente einer abhängigen Beschäftigung auf. Der Kläger bezieht ein festes Monatsgehalt und hat insbesondere Ansprüche auf Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall, auf bezahlten Urlaub, die Zurverfügungstellung eines auch für private Zwecke nutzbaren Dienstwagen sowie auf Ersatz von Aufwendungen und Spesen (vgl. auch BSG, aaO, Rn. 21). Überdies hatte er sich dazu verpflichtet, seine ganze Arbeitskraft in die Dienste der Gesellschaft zu stellen; die Vereinbarungen enthielten konkrete den Kläger bindende Vorgaben über die Zahl der Urlaubstage und der wöchentlichen Arbeitstage.

 

Eine gesonderte Honorierung von Überstunden ist ohnehin nicht konstitutiv für die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Im Arbeitsleben ist es insbesondere bei gehobenen Positionen wie namentlich auch bei geschäftsführenden Tätigkeiten nicht einmal unüblich, dass mit dem Festgehalt auch Überstunden abgegolten werden. Im Übrigen hat der Kläger neben dem vereinbarten Festgehalt auch Anspruch auf eine Beteiligung an dem Jahresgewinn der Klägerin (§ 6 des Vertrages). Auf diesem Wege profitiert er im Ergebnis auch (nach Maßgabe seines Geschäftsanteils) von einer besonderen Leistungsbereitschaft.

 

Der Vortrag des Klägers, wonach er Mitarbeiter einstellen und kündigen könne, ist in dieser Form bereits in tatsächlicher Hinsicht angesichts des Zustimmungserfordernisses der Gesellschafterversammlung nach § 4 Ziff. (5) Buchst. f) unzutreffend. Demgegenüber haben auch viele abhängig Beschäftigte, wie nur beispielsweise Fremdgeschäftsführer einer GmbH, entsprechende Befugnisse, ohne dass daraus Rückschlüsse auf ihren eigenen sozialversicherungsrechtlichen Status abzuleiten wären.

 

Soweit sich der Kläger für (vorbehaltlich einer außerordentlichen Kündigung) „unkündbar“ erachtet, ist die statusrechtlich nicht ausschlaggebend. Auch abhängige Beschäftigungsverhältnisse können auf Lebenszeit begründet werden (vgl. nur beispielsweise BAG, U.v. 25.03.2004 – 2 AZR 153/03BB 2004, 2303).

 

Ohnehin sieht § 4 Ziff. (4) des Gesellschaftsvertrages vor, dass das Amt eines Geschäftsführers endet, sobald einer der vier im Vertrag aufgeführten Gesellschafter das Gesellschaftsverhältnis gekündigt hat. Selbst wenn der (auslegungsbedürftige) Wortlaut dieser Regelung für eine Beendigung der Geschäftsführertätigkeit nur auf Seiten des kündigenden Gesellschafters sprechen sollte, ergibt sich daraus, dass der betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer für den in § 9 Ziff. (1) vereinbarten Zeitraum zwischen Ausspruch und Wirksamkeit einer Kündigung von bis zu knapp zwei Jahren auch gegen seinen Willen von einer weiteren Ausübung der geschäftsführenden Tätigkeit ausgeschlossen werden kann.

 

Insbesondere in Fällen einer sich über mehr als 12 Monate fortlaufend erstreckenden einer Ausübung der geschäftsführenden Tätigkeit entgegenstehenden Erkrankung sieht überdies § 10 Ziff. 1.2.6 des Vertrages vor, dass der Geschäftsanteil eines Gesellschafters auch gegen seinen Willen eingezogen werden kann. Gerade bei fortbestehenden möglicherweise auch guten Chancen einer Genesung müssen solche Fallgestaltungen nicht zwangsläufig einen wichtigen Grund zur (ohnehin § 10 Ziff. 1.2.1. gesondert normierten) außerordentlichen Kündigung beinhalten. Bei der entsprechenden Beschlussfassung steht dem betroffenen Gesellschafter gerade kein Stimmrecht zu (§ 10 Ziff. (2)).

 

Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers sieht auch der Senat keine tragfähige Grundlage, um den bereits im Tatbestand erläuterten gesellschaftsvertraglichen Regelungen die Einräumung einer umfassenden Sperrminorität mit der rechtlichen gebotenen Eindeutigkeit entnehmen zu können.

 

Bei der Statuszuordnung ist dem Grundsatz der Klarheit und Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände Genüge zu tun. Im Interesse sowohl der Versicherten als auch der Versicherungsträger muss die Frage der (fehlenden) Versicherungspflicht wegen Selbstständigkeit oder abhängiger Beschäftigung schon zu Beginn der Tätigkeit zu klären sein, weil es darauf nicht nur für die Entrichtung der Beiträge, sondern auch für die Leistungspflichten der Sozialversicherungsträger und die Leistungsansprüche des Betroffenen ankommt. Das Postulat der Vorhersehbarkeit prägt das Recht der Pflichtversicherung in der Sozialversicherung und unterscheidet es ggfs. auch von Wertungen des - an anderen praktischen Bedürfnissen ausgerichteten – Gesellschaftsrechts (BSG, Urteil vom 08. Juli 2020 – B 12 R 1/19 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr. 48, Rn. 28).

 

Hieran anknüpfend fordert die höchstrichterliche Rechtsprechung, dass die gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen dem Minderheits-Gesellschafter-Geschäftsführer „eindeutig“ eine Sperrminorität im Sinne einer umfassenden und unbeschränkten Verhinderungsmacht einräumen, um eine abhängige Beschäftigung ausschließen zu können. Sind hingegen diese gesellschaftsrechtlichen Regelungen in dem Sinne unklar, dass sie auch eine Auslegung in dem Sinne „erlauben“, dass der betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer auch überstimmt werden kann, dann wird damit nicht die erforderliche umfassende Sperrminorität begründet (BSG, aaO, Rn. 28).

 

Das Fehlen einer abhängigen Beschäftigung bei Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführern mit umfassender Sperrminorität stellt ohnehin einen Ausnahmetatbestand in der vom Bundesozialgericht entwickelten Systematik vor dem Hintergrund dar, dass die betroffenen Gesellschafter bei wirtschaftlicher Betrachtung angesichts des Fehlens auch nur einer hälftigen Beteiligung am Gesellschaftsvermögen in einem für sie schwerpunktmäßig fremden Unternehmen tätig sind. Dieser Ausnahmetatbestand darf nicht dadurch konturenlos werden, dass auch unklar gefassten vertraglichen Klauseln statusrechtlich die Wirkung einer umfassenden Sperrminorität beigemessen wird, obwohl sich gar nicht hinreichend verlässlich absehen lässt, ob insbesondere im Falle eines künftigen Zerwürfnisses unter den Gesellschaftern in einem gesellschaftsrechtlichen Rechtsstreit eine solche umfassende Sperrminorität im Ergebnis bestätigt werden würde.

 

Eine damit einhergehende "Schönwetter-Selbständigkeit" ist statusrechtlich mit Blick auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände gerade nicht hinnehmbar (BSG, U.v. 29. Juli 2015 – B 12 KR 23/13 R –, BSGE 119, 216, Rn. 7).

 

Im vorliegenden Fall hat die Beigeladene selbst im Widerspruchsverfahren vorgetragen (Bl. 45 VV), dass sich das in § 5 Ziff. (2) des Gesellschaftsvertrages vorgesehene Erfordernis einer Mehrheit von 85 % auf Geschäfte beziehe, welche „über den gewöhnlichen Betrieb des Unternehmens hinausgehen“. Auf der Basis eines solchen Verständnisses bringt diese Bestimmung nicht die gegen eine abhängige Beschäftigung sprechende umfassende, sondern lediglich eine dafür nicht ausreichende partielle Sperrminorität zum Ausdruck.

 

Bezeichnenderweise haben der Kläger und die Beigeladene in dem einen Tag nach der am 18. Dezember 2013 beschlossenen Änderung des Gesellschaftsvertrages abgeschlossenen Geschäftsführervertrag vom 19. Dezember 2013 explizit eine Bindung des Klägers an Beschlüsse der Gesellschafterversammlung und damit auch an die in diesen inbegriffenen Weisungen festgehalten. Auch dies spricht jedenfalls indiziell gegen die Annahme, dass die Gesellschafter die erläuterten gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen im Sinne der Einräumung einer umfassenden Sperrminorität verstanden haben.

 

Des Weiteren ist es jedenfalls nicht unbezeichnend, dass ungeachtet der Aufdeckung der vorstehend aufgezeigten Auslegungsunsicherheiten im vorliegenden Verfahren die Gesellschafter von einer inhaltlichen eindeutigen Fassung der gesellschaftsvertraglichen Regelungen jedenfalls bislang Abstand genommen haben. Dies spricht zumindest nicht für die Annahme eines von vornherein bestehenden Einvernehmens über eine Auslegung der Bestimmungen in dem im vorliegenden Verfahren vorgetragenen Sinne. Soweit der Kläger in der Berufungsbegründung in diesem Zusammenhang ausführt, dass „keine Veranlassung“ bestanden habe, in „vorauseilendem Gehorsam“ eine „Änderung“ der gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen vorzunehmen, ist vorsorglich anzumerken, dass allein eine Klarstellung einer missverständlichen Formulierung schon im Ausgangspunkt schwerlich als Ausübung von „Gehorsam“ verstanden werden kann, solange Einigkeit über das tatsächlich Gewollte bestanden hat und fortsteht. Damit würde sich die Beteiligten nicht dem Willen einer Autorität unterordnen, sondern lediglich dafür Sorge tragen, dass der (eventuelle) eigene Wille klar zum Ausdruck kommt.

 

Die Beibehaltung einer missverständlichen Fassung spricht hingegen jedenfalls tendenziell für einen Wunsch zumindest auf Seiten einzelner Betroffener, die Unbestimmtheit mit den sich aus ihr ergebenen argumentativen Anknüpfungspunkten insbesondere auch für den Fall eines etwaigen künftigen Zerwürfnisses unter den Gesellschaftern beizubehalten.

 

Aus der Sicht des Senates sprechen jedenfalls gewichtige Argumente für eine Auslegung der gesellschaftsvertraglichen Vorgaben in § 5 Ziff. (2) in dem Sinne, dass es einer Zustimmung mit einer Mehrheit von 85 % lediglich für die in § 4 Ziff. (5) Satz 4 Buchstaben a) bis n) enumerativ aufgeführten außerordentlichen Geschäfte bedarf, nicht hingegen bei allen weiteren Gesellschafterbeschlüssen. Unter Berücksichtigung der festzustellenden durchgreifenden Auslegungsunklarheiten kann jedenfalls nicht von der statusrechtlich gebotenen „eindeutigen“ Einräumung einer umfassenden Sperrminorität gesprochen werden.

 

Nach Wortlaut und Systematik ist die eine Mehrheit von 85 % fordernde Bestimmung als Ausnahmevorschrift innerhalb des Gesellschaftsvertrages ausgestaltet worden. Als Grundsatz ist demgegenüber durch die Bezugnahme in § 5 Ziff. (1) auf die „gesetzlichen Vorschriften“ und damit auch auf die Regelung in § 47 Abs. 1 GmbHG festgehalten worden, dass Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit zu fassen sind.

 

Ausnahmeregelungen sind schon im rechtlichen Ausgangspunkt im Zweifel eng auszulegen. Im vorliegenden Zusammenhang kommt hinzu, dass ausgehend von der von Seiten des Klägers und der Beigeladenen im vorliegenden Verfahren befürworteten Interpretation im Ergebnis kein Raum für eine Anwendung des im Ergebnis auch in § 5 Ziff. (1) festgehaltenen Grundsatzes der Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit verbleibt.

 

Eine solche Auslegung vermag umso weniger einzuleuchten, als deutlich einfachere und dann klar und eindeutig verständliche Regelungsmöglichkeiten sich geradezu aufgedrängt hätten, wenn tatsächlich die Vereinbarung einer qualifizierten Mehrheit von 85 % in Bezug auf alle Gesellschafterbeschlüsse gewollt gewesen wäre. Anstatt in § 5 Ziff. (2) auf die komplexen Regelungen in § 4 Ziff. (5) Bezug zu nehmen, hätten es sich bei einem solchen Regelungsziel geradezu angeboten, dort schlicht einfach zu regeln, dass alle Gesellschafterbeschlüsse mit einer Mehrheit von mindestens 85 % zu fassen sind.

 

Die Unbestimmtheit der gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen wird überdies noch dadurch vermehrt, dass § 5 Ziff. (2) auf „Geschäfte“ (der in § 4 Ziffer [5] bezeichneten Art) verweist, wobei jedoch die in Bezug genommenen Regelungen in § 4 Ziff. (5) nur in den Sätzen 1, 3 und 4 auf „Geschäfte“ abstellen. Die Regelung in § 4 Ziff. (5) Satz 2, aus der der Kläger die Einräumung einer umfassenden Sperrminorität herzuleiten versucht, befasst sich hingegen nach ihrem Wortlaut nicht mit „Geschäften“, sondern mit „Geschäftsführungsmaßnahmen“. Entsprechende Unterschiede in der Begriffswahl sprechen bei juristisch ausformulierten Rechtstexten wie insbesondere bei notariell beurkundeten Verträgen dafür, dass damit in der Sache Abweichendes zum Ausdruck gebracht werden soll. Dies impliziert zugleich, dass sich auch die Verweisung in § 5 Ziff. (2) auf „Geschäfte“ der in § 4 Ziffer (5) bezeichneten Art nur auf die Tatbestände in der Bezugsnorm des § 4 Ziff. (5) beziehen soll, die dort wiederum als „Geschäfte“ (und nicht als „Geschäftsführungsmaßnahmen“) bezeichnet worden sind.

 

Auch die Ausführungen des vom Senat als Zeuge gehörten Notars Q. haben keine Erkenntnisse im Sinne verwertbarer Auslegungsgesichtspunkte vermittelt, die in diesem Zusammenhang eine verlässlichere Auslegung der gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen ermöglichen könnten. Sie sind schon inhaltlich nicht geeignet, die aufgezeigten Bedenken im Sinne der Nichtfeststellbarkeit der gebotenen eindeutigen Einräumung einer umfassenden Sperrminorität auszuräumen. Dementsprechend muss der Senat nicht weiter der Frage nachgehen, inwieweit eine Heranziehung von erst durch Zeugenaussagen zu erschließenden Auslegungsgesichtspunkten mit dem erläuterten Grundsatz der Klarheit und Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände zu vereinbaren sein mag.

 

Im Ergebnis bringen die Äußerungen des Notars zum Ausdruck, dass im Zuge der Beurkundung der Änderungen des Gesellschaftsvertrages vom 18. Dezember 2013 zwar sein anfänglicher mit Schreiben vom 2. Oktober 2013 unterbreiteter Vorschlag, wonach § 5 Ziff. (2) weiterhin eine Beschlussfassung mit den Stimmen aller Gesellschafter zu den Geschäften gemäß § 4 Ziff. (4) des Vertrages vorsehen sollte, im Zuge der weiteren Erörterungen in der schließlich beurkundeten Fassung dahingehend modifiziert worden ist, dass nunmehr eine Mehrheit von 85 % ausreichet (so dass insoweit die nur über einen Anteil von 15 % verfügenden Gesellschafter von den jeweils drei weiteren Gesellschaftern überstimmt werden kann).

 

Über die inhaltliche Abgrenzung der einer solchen qualifizierten Mehrheit bedürfenden Geschäfte im Gegensatz zu den nach § 5 Ziff. (1) des Vertrages i.V.m. § 47 Abs. 1 GmbHG mit einfacher Mehrheit zu fassenden Beschlüssen hat es aber überhaupt keine nähere und rekonstruierbare Erörterung im Zuge der im Dezember 2013 erfolgten Beurkundung und ihrer Vorbereitung gegeben. Insoweit wollten die Beteiligten in der Sache die vorgefundene zuletzt 2007 geänderten Regelungen in § 5 Ziff. (1) und (2) inhaltlich fortschreiben, ohne deren genaue Reichweite inhaltlich noch einmal zu hinterfragen.

 

Dabei bringt auch die konkrete Anwendung der fortgeschriebenen Regelung in den der Beurkundung im Dezember 2013 vorausgegangenen Jahren keine richtungweisenden Erkenntnisse für ihre Auslegung zum Ausdruck. Abgesehen davon, dass der Kläger und die Gesellschafterin P. als neu eintretende Gesellschafter mit etwaigen vorausgegangenen Usancen ihrerseits gar nicht vertraut gewesen wären, ist nicht einmal substantiiert aufgezeigt worden oder anderweitig erkennbar, dass es jemals zuvor überhaupt einen Anlass zur Bestimmung der Reichweite der damaligen Regelungen in § 5 Ziff. (2) des Vertrages gegeben haben könnte.

 

Bezeichnenderweise hat der Kläger selbst (vgl. Schriftsatz vom 21. April 2021) ausgeführt, dass es jedenfalls für seine Person nie einen Anlass zur Ausübung des Widerspruchsrechts gegeben hat.

 

Im Ergebnis ist damit auch unter Würdigung der Aussage des Zeugen davon auszugehen, dass die in der genannten gesellschaftsvertraglichen Regelung wurzelnden Unklarheiten mit der Änderung des Gesellschaftsvertrages im Dezember 2013 lediglich fortgeschrieben, aber in keiner Weise inhaltlich behoben worden sind.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.

Rechtskraft
Aus
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