Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 10. September 2020 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers aus dem Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Elektrorollstuhls.
Der im Jahre 19G. geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er leidet an Multipler Sklerose bei stark eingeschränkter Gehfähigkeit und Rollstuhlpflichtigkeit. Der Pflegegrad III ist ab dem 1. Februar 2018 zuerkannt. Ferner ist die Sehfähigkeit zu 100 % eingeschränkt.
Der behandelnde Allgemeinmediziner Dr H. verordnete dem Kläger am 7. November 2018 einen Elektrorollstuhl bei bestehendem Querschnittssyndrom. Beigefügt war ein Kostenvoranschlag der I. GmbH über Gesamtkosten von 3.977,63 €. Zudem wurde das Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 28. März 2018 ausgewertet.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2018 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Kosten für ein Elektrokrankenfahrzeug könnten nicht befürwortet werden, da aufgrund der vollständigen Erblindung Zweifel an der Fahreignung bestünden.
Der Kläger erhob Widerspruch und wies darauf hin, dass er zwischenzeitlich ein Langstocktraining für Elektrorollstuhl absolviert habe. Eine Unterweisung und Erprobung durch die Lieferfirma sei durchgeführt worden. Mit einem Elektrorollstuhl sei er auch nicht schneller unterwegs als ein Fußgänger. Für Fahrten zu Ärzten und für tägliche Besorgungen, die er nur mit dem Rollstuhl erledigen könne, sei er unabdingbar auf einen Elektrorollstuhl angewiesen. Die Beklagte beauftragte daraufhin den MDK mit der sozialmedizinischen Begutachtung. Dieser führte mit Kurzstellungnahme vom 7. Januar 2019 durch Dr J. aus, dass der Versicherte beidseits erblindet sei und somit die kassenseitig erhobenen Zweifel an der Verkehrstauglichkeit zu bestätigen seien. In der Folge wurde der Widerspruch durch die Hausärzte Dres H. pp mit Attest vom 15. Januar 2019 dahingehend unterstützt, dass die Beklagte eine Fahrtauglichkeitsprüfung nach Fahrtraining genehmigt und bezahlt habe. Dies stehe im Widerspruch zur Ablehnung. Ein Elektrorollstuhl habe auch keine höhere Geschwindigkeit als die eines Fußgängers, so dass eine erneute Prüfung angezeigt sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2019 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Insgesamt sei bei dem Kläger eine Verkehrseignung nicht gegeben.
Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben. Er hat vorgetragen, seit 2013 mit einem Aktivrollstuhl versorgt zu sein. Er sei behinderungsbedingt jetzt nicht mehr in der Lage, einen handbetriebenen Rollstuhl zu bedienen. Ohne einen Elektrorollstuhl sei er selbst für das Zurückliegen kürzerer Strecken auf fremde Hilfe angewiesen. Er verfüge auch über die notwendige Eignung zur Führung eines Elektrorollstuhls. Denn er sei bereits seit 2013 mit einem Rollstuhl versorgt, wobei die Beklagte im Jahre 2014 die Kosten für ein Langstocktraining und im Jahre 2016 für eine Orientierungs- und Mobilitätsschulung übernommen habe. Seit 2016 habe sich auch die Sehbeeinträchtigung nicht verändert, so dass weiterhin davon auszugehen sei, dass er sich auch in einem Elektrorollstuhl ohne Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer oder sich selbst im Straßenverkehr orientieren könne. Er habe bei dem Institut für K. eV (L.) eine Orientierungs- und Mobilitätsschulung absolviert. Hierbei habe sich gezeigt, dass er selbst mit einem Elektrorollstuhl auf engen und verwinkelten Flächen bei schwierigen Bodenbedingungen wie Schnee gut umgehen können. Er habe Erfahrung mit dem Umfang vergleichbarer Bedienungselemente aus seiner früheren Berufstätigkeit und sei zum anderen bereits seit Jahren im Einsatz des Langstocks zur Erfassung des vorhandenen Weges geübt und könne etwaige Hindernisse erkennen. Er hat ferner auf die Stellungnahme des Dr M. verwiesen, wonach ein Elektrorollstuhl im Falle des Klägers keine größere Gefahr begründe, als von einem Fußgänger ausgehe.
Das SG hat den medizinischen Sachverhalt näher aufgeklärt. Es hat hierzu den Befundbericht der N. Augenärzte vom 27. Juni 2019 eingeholt. Hiernach hat es die Videodokumentation des Institutes für K. eV vom 6. September 2019 eingeholt, die der Beklagten übersandt und von ihr gesichtet worden ist (Schreiben der Beklagten vom 1. November 2019). Sodann hat es den Sachverständigen O. im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. September 2020 nach persönlicher Untersuchung des Klägers vernommen. Danach bestehe eindeutig die Notwendigkeit der Versorgung mit einem Elektrorollstuhl.
Mit Urteil vom 10. September 2020 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung entgegenstehender Verwaltungsentscheidungen zur Versorgung des Klägers mit einem Elektrorollstuhl verurteilt. Der Kläger sei behinderungsbedingt rollstuhlpflichtig und sei bereits auf Kosten der Beklagten mit einem Aktivrollstuhl, einem Langstock und einem entsprechenden Training ausgestattet. Nunmehr bestehe ein Anspruch auf eine Versorgung mit einem Elektrorollstuhl, da der Kläger aufgrund der MS-Erkrankung in seiner Beweglichkeit deutlich eingeschränkt sei und nur noch wenige Schritte ohne Hilfe gehen könne. Den Aktivrollstuhl könne er aufgrund der eingeschränkten Armbeweglichkeit nur noch mit den Füßen bewegen. Daher sei eine Versorgungsnotwendigkeit zu bejahen. Hieran ändere auch die Blindheit des Klägers nichts. Diesbezüglich hat sich das SG auf die Ausführungen des Sachverständigen O. gestützt, wonach der Kläger mit einem Elektrorollstuhl sicher umgehen könne.
Gegen das am 1. Oktober 2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28. Oktober 2020 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der begehrte Elektrorollstuhl nicht erforderlich sei. Der Kläger sei faktisch erblindet und der Elektrorollstuhl sei nicht geeignet, für ihn einen entsprechenden Ausgleich der Behinderung im Bereich der Fortbewegung zu bewirken. Der Kläger sei nicht in der Lage, den Rollstuhl selbst sicher zu führen. Dies ergebe sich bereits aus den Ausführungen des MDK vom 7. Januar 2019. Außerdem hätten die N. Augenärzte Bedenken gegenüber der Versorgung geäußert. Außerdem habe der gerichtliche Sachverständige es nicht vermocht, eine Eigen- und Fremdgefährdung durch die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl auszuschließen. Zwar handele es sich bei einem Elektrorollstuhl nur um ein erlaubnisfreies Fahrzeug. Das Gefährdungspotential zB durch unerwartete Reaktionen oder unkontrolliertes Fahrverhalten von einem ungeeigneten Fahrer rechtfertige es jedoch, auch bei fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen den Maßstab der Fahreignung anzulegen. Aufgrund der Blindheit bestehe die Fähigkeit zur Führung eines fahrerlaubnisfreien Fahrzeugs insgesamt nicht. Ein Langstocktraining sei überhaupt nicht dafür bestimmt und geeignet, die Herausforderungen des Betriebes eines Elektrorollstuhls zu ermöglichen. Außerdem könne die Übernahme solcher Kosten in der Vergangenheit nicht als Anerkenntnis zur Übernahme einer Versorgung mit einem Elektrorollstuhl gewertet werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 10. September 2020 aufzuheben und
die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Zusammenfassend führt er aus, dass die fehlende Sehfähigkeit durch das Langstocktraining ausgeglichen werde. Außerdem dürfe nicht verkannt werden, dass es dem Kläger ansonsten verwehrt wäre, überhaupt das Haus verlassen zu können, da er sowohl bei der Nutzung eines Langstocks als Fußgänger als auch bei der Nutzung in einem Aktivrollstuhl nicht gefahrlos am Straßenverkehr teilnehmen könne.
Mit Verfügung vom 20. Juli 2021 hat das Gericht die Beteiligten zur Entscheidung nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidung zugrunde gelegen hat.
II.
Gemäß § 153 Abs 4 SGG konnte das Gericht die Berufung durch Beschluss zurückweisen, da es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zuvor angehört worden.
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgemäß erhoben worden und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des SG Lüneburg vom 10. September 2020 ist rechtmäßig und hält der rechtlichen Überprüfung stand. Der Kläger hat ein Anspruch auf Versorgung mit einem Elektrorollstuhl.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V auch die Versorgung mit Hilfsmitteln. Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 ausgeschlossen sind.
Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Kranken-behandlung zu sichern (1. Variante), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Variante) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Variante), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V (Rechtsverordnung zu Heil- und Hilfsmitteln von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis) ausgeschlossen sind. Die begehrte Versorgung mit einem Elektrorollstuhl dient unstreitig allein dem Ausgleich der Folgen der vorhandenen Behinderungen des Klägers (3. Variante). Der begehrte Rollstuhl ist als speziell für das Mobilitätsbedürfnis gehbehinderter Menschen entwickeltes und hergestelltes Hilfsmittel kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und auch nicht durch die Rechtsverordnung nach § 34 Abs 4 SGB V von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen. Die Beklagte hat ihre Leistungspflicht nach § 33 Abs 1 SGB V noch nicht mit der Bereitstellung des gewährten Aktivrollstuhls erfüllt, denn mit diesem wird die Behinderung des Klägers nicht ausreichend und zweckmäßig ausgeglichen.
Bei dem begehrten Elektrorollstuhl handelt es sich um ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich iS von § 33 Abs 1 Satz 1 Variante 3 SGB V. Im Bereich des von ihr zu erfüllenden Behinderungsausgleichs bemisst sich die originäre Leistungszuständigkeit der GKV nach dem Zweck des Hilfsmittels, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens und einem möglichst selbstbestimmten und selbstständigen Leben dient. Zu den Grundbedürfnissen eines jeden Menschen gehören die körperlichen Grundfunktionen (zB Gehen, Stehen, Sitzen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung) sowie die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen und die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens das Erschließen eines körperlichen Freiraums und in Bezug auf Bewegungsmöglichkeiten das Grundbedürfnis der Erschließung des Nahbereichs der Wohnung von Versicherten mit einem Hilfsmittel anerkannt. Maßgebend ist grundsätzlich der Bewegungsradius, den ein nicht behinderter Mensch üblicherweise noch zu Fuß erreicht. In den Nahbereich einbezogen ist zumindest der Raum, in dem die üblichen Alltagsgeschäfte in erforderlichem Umfang erledigt werden. Hierzu gehören nach einem abstrakten Maßstab die allgemeinen Versorgungswege (Einkauf, Post, Bank) ebenso wie die gesundheitserhaltenden Wege (Aufsuchen von Ärzten, Therapeuten, Apotheken) und auch elementare Freizeitwege. Dabei darf die Erschließung des Nahbereichs nicht zu eng gefasst werden. Dies folgt unter Beachtung der Teilhabeziele des Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) (vgl § 11 Abs 2 Satz 3 SGB V), insbesondere ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu führen, aus dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) als Grundrecht und objektive Wertentscheidung iVm dem Recht auf persönliche Mobilität nach Art 20 UN-Behindertenkonvention (BSG, Urteil vom 15. März 2018 – B 3 KR 12/17 R Rn 29).
Zum Behinderungsausgleich des Klägers ist die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl geeignet, erforderlich und angemessen. Dies ergibt sich aus der Gesamtschau der über den Kläger vorliegenden medizinischen Unterlagen und dabei insbesondere aus den Feststellungen des Sachverständigen O.. Hiernach liegt bei dem Kläger eine Multiple Sklerose Erkrankung vor, wodurch er in seiner Beweglichkeit deutlich eingeschränkt ist. Aufgrund dessen kann er nur noch wenige Schritte ohne fremde Hilfe gehen. Der Umstand, dass das linke Bein und der linke Arm gegenüber der rechten Körperhälfte eine deutliche Kraftminderung aufweisen, führt dazu, dass der Kläger sich mit dem vorhandenen Aktivrollstuhl nicht mehr in akzeptabler Weise außerhalb des Haushaltes allein fortbewegen kann. Aufgrund der eingeschränkten Armbeweglichkeit kann er den Aktivrollstuhl nur noch mit den Füßen durch kleine Trippelschritte vorwärtsbewegen und selbst kleinere Hindernisse nicht bewältigen. Den beklagtenseitigen Verweis auf eine derart behelfsmäßige Art der Fortbewegung bewertet der Senat als inakzeptabel.
Es ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger die sachgerechte Bedienung eines Elektrorollstuhls nicht möglich sein soll, denn er ist sowohl aufgrund seiner beruflichen Erfahrungen mit entsprechenden Bedienelementen als auch aufgrund des durchgeführten Langstocktrainings und der Orientierungs- und Mobilitätsschulung, die ausweislich der Bescheinigung des IRIS vom 15. Januar 2019 auch gerade zum Teil mit einem E-Rollstuhl erfolgte, in der Lage, mit einem Elektrorollstuhl umzugehen. Aus der Bescheinigung des L. vom 6. September 2019 ergibt sich explizit, dass der Kläger in der Lage war, bekannte und erarbeitete Wege inklusive der Überquerung einer Hauptstraße mit dem E-Rollstuhl zu bewältigen. Dies ergibt sich auch eindrucksvoll aus den vorgelegten Videoaufnahmen. Eines Gutachtens zur Fahreignung bedurfte es daher nicht.
Entgegen der rechtsirrigen Auffassung der Beklagten sind Sehbeeinträchtigungen kein genereller Grund, eine Verkehrstauglichkeit bei Elektrorollstühlen abzulehnen. Ebenso wenig ergeben sich individuelle Gründe aus den Ausführungen des MDK, der lediglich – ohne auf die individuellen Fähigkeiten des Klägers einzugehen – in pauschaler Form die bereits bekannten Sehbeeinträchtigungen des Klägers wiedergibt ohne diese einer medizinischen Würdigung zuzuführen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Nutzung eines Elektrorollstuhls bei gleichzeitiger Blindheit mit erheblichen Erschwernissen und auch Gefährdungen verbunden sein kann. Dies ist jedoch kein Grund, den Kläger von der Nutzung eines solchen Hilfsmittels auszuschließen, da der vorhandene Aktivrollstuhl für ihn mit noch größeren Gefährdungen verbunden wäre. Nachvollziehbar hat der Sachverständige O. ausgeführt, dass der Aktivrollstuhl auch außerhalb des Hauses für den Kläger gefährlicher ist als die Nutzung eines Elektrorollstuhls, da er sich nur mit kleinen Trippelschritten vorwärtsbewegen und auch kleinere Hindernisse nicht bewältigen kann. Demgegenüber ist dies mit einem Elektrorollstuhl ohne Weiteres möglich, wie auch das Video zeigt.
Die fehlende Sehfähigkeit des Klägers wird dabei durch das Langstocktraining ausgeglichen. Etwaige Restgefährdungen sind dabei dem Bereich der Eigenverantwortung zuzuordnen und in Kauf zu nehmen. Denn anderenfalls hätte der Kläger keinerlei Möglichkeit mehr, unbegleitet das Haus zu verlassen, da bei jedweder Art der Fortbewegung eine Eigen- und Fremdgefährdung entsteht, die jedoch dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen ist. So liegen beispielsweise auch deutliche Überschreitungen der üblichen Fußgängergeschwindigkeit durch sportlich trainierte Fahrer von Aktivrollstühlen im Bereich der Eigenverantwortung ohne dass dies einen Ausschlussgrund für die Nutzung darstellen könnte. Es obliegt damit allein dem Kläger, einen Elektrorollstuhl entsprechend seiner Fähigkeiten verantwortungsbewusst zu nutzen.
Nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung ist für den Versorgungsanspruch nach § 33 SGB V zudem mit zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber inzwischen mit dem BTHG den Behinderungsbegriff in § 2 SGB IX ausdrücklich entsprechend dem Verständnis der UN-Behindertenrechtskonvention neu gefasst und damit dem Wechselwirkungsansatz noch mehr Gewicht beigemessen hat als nach dem bis dahin geltendem Recht. Danach kommt es nicht allein auf die wirklichen oder vermeintlichen gesundheitlichen Defizite an. Im Vordergrund stehen vielmehr das Ziel der Teilhabe (Partizipation) an den verschiedenen Lebensbereichen sowie die Stärkung der Möglichkeiten einer individuellen und persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraumes (BSG, Urteil vom 15. März 2018 – B 3 KR 18/17 R Rn 46 mwN). Das entspricht einem dynamischen Behindertenbegriff im Sinne einer Wechselwirkung zwischen umweltbezogenen und personenbedingten Kontextfaktoren. Es ist die Aufgabe des Hilfsmittelrechtes, dem Behinderten ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und nicht, ihn von sämtlichen Lebensgefahren fernzuhalten und ihn damit einer weitgehenden Unmündigkeit anheimfallen zu lassen. Nach dieser Maßgabe kann auch ein stark Sehbehinderter mit einem Elektrorollstuhl zu versorgen sein.
Auch die Einwendungen der Beklagten im Schriftsatz vom 29. Juli 2021 vermögen nicht zu überzeugen. Soweit die Beklagte rügt, dass ein Gutachten von Herrn O. ihr nicht vorliegen würde, ist darauf hinzuweisen, dass der Sachverständige als Terminsarzt im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. September 2020 gehört wurde. Das Gericht kann einen Terminsarzt laden, der sein Gutachten -wie hier- unmittelbar nach zuvor erfolgter persönlicher Untersuchung mündlich erstattet (Keller, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl, 2020, § 118 Rn 12 a mwN). Der Facharzt für Chirurgie und Fußchirurgie O. hat dargelegt, dass der Kläger sich wegen der deutlichen Kraftminderung im linken Arm und im linken Bein und der im einzelnen dargelegten krankheitsbedingten Einschränkungen seiner Mobilität mit einem Aktivrollstuhl nicht mehr außerhalb des Hause alleine fortbewegen kann. Der Vertreter der Beklagte hatte Gelegenheit dazu Stellung zu nehmen, die Sitzungsniederschrift wurde der Beklagten übersandt. Es kommt vorliegend auch nicht darauf an, ob die Ursache für die Bewegungseinschränkung des Klägers eine Multiple Sklerose oder –wie von den N. -Augenärzten angenommen- ein Devic-Syndrom ist, maßgeblich für die Beurteilung der Notwendigkeit der Versorgung mit einem Elektrorollstuhl sind die Auswirkungen der Erkrankung auf die Beweglichkeit der Arme und Beine. Wenn die Beklagte meint, dass die Beurteilung der Sehfähigkeit nicht in die Fachkompetenz eines Fußchirurgen fällt, übersieht sie, dass das fehlende Sehvermögen des Klägers gar nicht im Streit stand und darüber gar nicht Beweis erhoben wurde.
Mithin kann die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision ist nicht gegeben (§ 160 Abs 2 SGG).