L 4 KR 310/19

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
S 62 KR 952/18
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 4 KR 310/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. Juni 2019 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Kosten für die Anschaffung des OkuStim-Systems in Höhe von 6.225,-- Euro und die selbstbeschafften Oku Elektroden in Höhe von insgesamt 3.813,98 Euro zu erstatten und zukünftig die Kosten für die erforderlichen Oku Elektroden und die im Zusammenhang mit der OkuStim-Therapie stehenden medizinischen Behandlungen zu übernehmen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin einen Anspruch auf Kostenerstattung sowie  Übernahme der Kosten für die Behandlung mit dem sog. OkuStim-System hat.

Das OkuStim-System wurde von der Firma J. GmbH entwickelt und ist CE-zertifiziert. Es handelt sich dabei um ein Gerät zur transkornealen Elektrostimulation.  

Die 1975 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich krankenversichert. Sie leidet an einer Retinopathia pigmentosa beidseits. Hierbei handelt es sich um eine erblich bedingte Erkrankung der Netzhaut, die zu einer fortschreitenden Gesichtsfeldeinschränkung durch Untergang der peripheren Netzhautareale bis hin zur Erblindung führt.

Mitte Dezember 2017 (vgl. Schweigepflichtentbindungserklärung vom 12. Dezember 2017) beantragte sie unter Vorlage einer Kostenübersicht der Kliniken der Stadt K. GmbH, Klinik für Augenheilkunde die Übernahme der Kosten für eine Transkorneale Elektrostimulation zur Therapie bei Retinopathia pigmentosa (im Folgenden: TES-Therapie). Ausweislich eines Arztbriefes der Klinik für Augenheilkunde vom 5. Dezember 2017 über Wirkungsmechanismen und Anwendung der TES-Therapie sei es mit der Therapie möglich, mehrere anti-apoptotische und neuroprotektive Wachstumsfaktoren zu aktivieren und dadurch einen zellerhaltenden Effekt in der Netzhaut zu erzeugen. Ergebnisse aus umfangreichen klinischen und präklinischen Studien würden darauf hindeuten, dass die TES-Therapie das Absterben von Nervenzellen verhindern oder verlangsamen könnte. Man gehe davon aus, dass durch die TES-Therapie sog. schlafende Zellen in der Netzhaut reaktiviert werden könnten. Dies erkläre, dass Verbesserungen des Gesichtsfeldes, der Sehschärfe und der ERG-Antworten beobachtet werden und somit eine regenerative Auswirkung angenommen werden könnte. Mithilfe des OkuStim-Systems sei es für die Patienten möglich, nach Ermittlung und Einstellung der Therapieparameter, Trainingssitzungen und regelmäßigen Kontrolluntersuchungen die TES-Therapie wöchentlich in der Heimanwendung durchzuführen. Alternativ könne die TES-Therapie auch wöchentlich in der Klinik oder bei einem Vertriebspartner durchgeführt werden. Bei der Anwendung der TES-Therapie würden durch das OkuStim-System über feine fadenähnliche Elektroden schwache elektrische Impulse über die Hornhaut des Auges an der Netzhaut geleitet. Diese elektrischen Reize der Netzhaut könnten helfen, den Untergang der Sinneszellen zu verlangsamen. Den Antrag auf Kostenübernahme begründete die Klinik für Augenheilkunde insbesondere damit, dass die bisherige individuelle Behandlung der Klägerin keinen Erfolg gezeigt habe, sondern sich der Leidensdruck nur noch mehr verstärkt habe. Der Visus liege derzeit beidseits noch bei 0,8, zeige jedoch in der Gesichtsfelduntersuchung (Goldmann GF III/4e) eine Einengung auf ca. 10 Grad. Aufgrund des bisherigen Krankheitsverlaufs und der zu erwartenden weiteren Krankheitsentwicklung sei damit zu rechnen, dass ohne die TES-Therapie eine fortschreitende Sehverschlechterung bis hin zur weitläufigen Erblindung mit hoher Wahrscheinlichkeit eintrete. Nach Abwägung aller Therapiealternativen sei die Behandlung mit der TES-Therapie u.a. aufgrund des progredienten Krankheitsverlaufs die beste und zugleich sicherste Behandlungsmethode. Die Kosten pro Sitzung werden mit 80,43 Euro angegeben.

Unter dem 27. Dezember 2017 leitete die Beklagte eine Überprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK; ab 1.6.2021: MD) ein. Dieses teilte die Beklagte zeitgleich der Klägerin mit.

In ihrem Gutachten vom 8. Januar 2018 teilte die Augenärztin und externe Gutachterin des MDK Dr. L. mit, dass es für die Erkrankung der Klägerin derzeit keine etablierte Therapie gebe. Es gebe zahlreiche Hinweise, dass eine Stimulation des Auges mittels winziger elektrischer Ströme zur Ausschüttung von Wachstumsfaktoren und ähnlichen Substanzen führen könnte. Durch die Ausschüttung von Wachstumsfaktoren sei in einigen Studien unter gewissen Umständen eine Verbesserung des Sehens nachgewiesen worden, so auch bei der Retinopathia pigmentosa. In einer großen Folgestudie und einer Anwendungsbeobachtung hätte eine Wirksamkeit und die Sicherheit erneut belegt werden können. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe in seiner Sitzung vom 20. Juni 2017 eine Richtlinie zur Erprobung der Transkornealen Elektrostimulation bei Retinopathia pigmentosa-Patienten beschlossen. Die Annahme eines Antrages auf Erprobung durch den GBA bedeute allerdings noch nicht, dass das Nutzenpotential bereits hinreichend bescheinigt sei. Es wäre durch die KK zu prüfen, an welchem möglichst wohnortnahen Studienzentrum die TES-Therapie erfolgen könnte. Entgegen der Meinung der behandelnden Augenärztin seien die Kriterien des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), Beschluss vom 6. Dezember 2005, kumulativ nicht erfüllt. Es sei nicht mit einer akut drohenden Erblindung zu rechnen.

Mit Bescheid vom 16. Januar 2018 lehnte die Beklagte eine Übernahme der Kosten für die TES-Therapie ab. Damit eine Leistung von der gesetzlichen Krankenkasse (gKV) übernommen werden könnte, müsste zuvor der diagnostische bzw. therapeutische Nutzen nachgewiesen sein. Dies beurteile der GBA. Die TES-Therapie sei eine neue Untersuchungsmethode, die bisher noch nicht bewertet worden sei. Die Wirksamkeit der Methode werde zurzeit im Rahmen einer Studie geprüft. Möglicherweise könne auch die Pro Retina Deutschland e.V. Selbsthilfeverein von Menschen mit Netzhautdegeneration weitere Auskünfte geben.

Dagegen richtete sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 30. Januar 2018. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legte die Klägerin u.a. ein Gutachten des Oberarztes Dr. M. der Universitätsklinik N., Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, aus einem anderen Behandlungsfall vor, auf das bezüglich der Einzelheiten Bezug genommen wird.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Leistungen, die nicht im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) enthalten seien, würden als sog. unkonventionelle Methoden gelten. Diese dürften in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu Lasten der KKen nur erbracht werden, wenn vom GBA in Richtlinien eine Empfehlung dafür abgegeben worden sei. Der GBA könne nach § 92 Abs. 1 SGB V in diesen Richtlinien dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen. Das erfolge insbesondere dann, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen seien. Habe der GBA für eine Methode noch keine positive Empfehlung ausgesprochen, dürften die gesetzlichen Krankenkassen diese grundsätzlich nicht übernehmen bzw. bezuschussen. Eine Ausnahmemöglichkeit könne sich aus § 2 Abs. 1a SGB V ergeben. Demnach könnten Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung unter bestimmten Voraussetzungen eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen. Dies könnte dann der Fall sein, wenn für die Erkrankungen eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Bei der beantragten Leistung (TES-Therapie mit einem OkuStim-System) zur Behandlung der Retinopathia pigmentosa handele es sich um eine unkonventionelle Methode, für die der GBA noch keine Empfehlung ausgesprochen habe. Kosten dafür dürften deshalb leider nicht getragen werden. Der MDK sei in seiner Begutachtung vom 10. Januar 2018 und 30. Mai 2018 zu dem Ergebnis gelangt, dass die zunehmende Gesichtsfeldeinschränkung wertungsmäßig nicht mit einer akut drohenden Erblindung gleichzusetzen sei. Darüber hinaus habe der Gutachter ausgeführt, dass die Einleitung eines Beratungsverfahrens nicht bedeute, dass das Nutzenpotential bereits hinreichend belegt worden sei. Dazu müsste das Beratungsverfahren mit dem Ergebnis eines positiven Beschlusses beendet worden sein. Ein solcher Beschluss liege nicht vor. Unter Berücksichtigung der rechtlichen Vorgaben und der eindeutigen Aussagen des MDK könne die KK dem Antrag, die Kosten für die TES-Therapie zu tragen, nicht entsprechen.

Die Klägerin hat unter Beibehaltung ihres Begehrens am 5. Dezember 2018 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben. Sie begehrt weiterhin die Übernahme der Kosten der TES-Therapie mit dem OkuStim-System. Sie leide an einer fortgeschrittenen Netzhauterkrankung. Der Visus betrage auf beiden Augen 0,8 und das Gesichtsfeld sei beidäugig auf etwa 10 Grad eingeschränkt. Der GBA habe der neuen Behandlungsmethode bereits ein Nutzenpotential zuerkannt und die Durchführung des Erprobungsverfahrens nach § 137e SGB V beschlossen. Schädliche Wirkungen würden zudem von der TES-Therapie nicht ausgehen. Entscheidend für die Leistungsgewährung sei, dass die Versorgung im vorliegenden Fall auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V entsprechen würde. Der drohende Verlust der Sehfähigkeit bis hin zur Erblindung sei wertungsmäßig gemäß § 2 Abs. 1a SGB V einer lebensbedrohlichen Erkrankung gleichzusetzen. Die Augen gehörten zu den herausragenden menschlichen Organen. Mehr als 80 % der Sinneseindrücke würde der Mensch nach wissenschaftlichen Untersuchungen über das Sehorgan aufnehmen, was seine überragende Bedeutung für die Alltagsbewältigung verdeutliche. Angesichts der Tatsache, dass sie von einer fortschreitenden und gravierenden Sehbeeinträchtigung betroffen sei und bei Ausbleiben der Therapie weitere irreparable Sehschädigungen eintreten würden und sie von einer Blindheit bedroht sei, ergebe sich vorliegend bei verfassungskonformer Anwendung des § 2 Abs. 1a SGB V ein Versorgungsanspruch der Klägerin. Diese Auslegung von § 2 Abs. 1a SGB V entspräche dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) und trage dem gesetzgeberischen Willen zur Einführung des § 137e SGB V Rechnung. Die Versorgung der Klägerin mit dem beantragten OkuStim-System als Einzelfallentscheidung entspräche auch dem Geist der seit dem 26. März 2009 in Deutschland geltenden UN-Behindertenrechtskonventionen. Angesichts der herausragenden Bedeutung des Sehens für die Teilhabe am Leben der Gesellschaft könne festgestellt werden, dass 1. die TES-Therapie im jetzigen Stadium dringend erforderlich sei, um eine weitere Sehverschlechterung, die später nicht repariert werden könnte, zu verhindern und gleichzeitig insbesondere die bestehende Lesefähigkeit, die für die gesellschaftliche und berufliche Teilhabe von höchster Bedeutung sei, zu bewahren und 2. die laufenden Therapiekosten gemäß Kostenvoranschlag in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem voraussichtlichen Nutzen stehen würden.

Das SG hat einen Befundbericht eingeholt von der Klinik der Stadt K., Augenklinik, Chefarzt Prof. Dr. O.. In diesem Bericht vom 24. Januar 2019 heißt es, dass eine Erstvorstellung in der Augenklinik am 5. Dezember 2017 erfolgt sei. Die Sehschärfe sei beidseits korrigiert (0,8 am 5. Dezember 2017). Beidseits bestehe eine hochgradig hochkonzentrierte Gesichtsfeldeinengung mit Retinopathia pigmentosa. Es seien keine Veränderungen im Gesundheitszustand eingetreten. In einem Befundbericht vom 22. Februar 2019 teilte der ebenfalls befragte Facharzt für Augenheilkunde Dr. P. mit, dass die Klägerin seit 2012 in der Praxis in Behandlung sei. Eine engmaschige Folgeuntersuchung habe nicht stattgefunden, weshalb die Vergleichbarkeit eingeschränkt sei. Bei Wiedervorstellung am 9. August 2018 sei eine Untersuchung mit dem Octopus-Pro-Perimetrie-System erfolgt. Hierbei sei eine konzentrische Gesichtsfeldeinengung aufgrund der Grunderkrankung feststellbar. Neue Leiden der Augen seien nicht hinzugetreten. Aufgrund der fehlenden engmaschigen Untersuchungen sei ein Vergleich nur eingeschränkt möglich. Bestätigt habe sich die für das vorliegende Krankheitsbild typische konzentrische Gesichtsfeldeinengung.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 24. Juni 2019 die Klage abgewiesen. Die Klage sei zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2018 sei rechtmäßig. Durch ihn sei die Klägerin nicht beschwert. Sie habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Durchführung der TES-Therapie. Die Kammer hat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und ist den Ausführungen im Widerspruchsbescheid gefolgt. Das SG hat zudem ausgeführt: Insbesondere gehe die Beklagte zutreffend davon aus, dass sich der Leistungsanspruch nicht aus § 2 Abs. 1a SGB V ergebe. Danach könnten Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe, auch eine von Abs. 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht gegeben. Eine lebensbedrohliche Erkrankung bestehe nicht. Wertungsmäßig vergleichbar schwer sei aufgrund einer notstandsähnlichen Extremsituation eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung wie der Verlust eines wichtigen Sinnesorganes. Dabei müsse der Verlust in absehbarer Zeit, d.h. in einem kürzeren, überschaubaren Zeitraum mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Eine solche Situation sei vorliegend nicht gegeben. Die behandelnde Fachärztin der Kliniken der Stadt K., Dr. Q., habe in ihrem Befundbericht vom 24. Januar 2019 ausgeführt, dass sich die Befunde weder verbessert noch verschlechtert hätten. Es seien keine Veränderungen im Gesundheitszustand eingetreten. In diesem Befundbericht werde sodann darauf hingewiesen, dass weitere Unterlagen bei Prof. Dr. R., S., angefordert werden könnten. Im dortigen Augenzentrum sei die Klägerin jedoch nur einmal, nämlich am 10. Juli 2012, in Behandlung gewesen. Der Facharzt Dr. R. könne daher in seinem Befundbericht keine Angaben machen, die den Klageanspruch der Klägerin stützen könnten. Die behandelnde Augenärztin Dr. P. habe in ihrem Befundbericht vom 22. Februar 2019 ausgeführt, dass zwar eine konzentrische Gesichtsfeldeinengung gegeben sei, dass neue Leiden seitens der Augen jedoch nicht bestünden. Etwaige Veränderungen im Krankheitsbild könnte sie, die Ärztin, nicht beurteilen, weil die Klägerin sich den gebotenen engmaschigen Untersuchungen nicht unterzogen habe. Unter diesen gegebenen Umständen gehe das Gericht davon aus, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V nicht vorliegen würden.

Gegen den am 5. Juli 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 2. August 2019 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Entscheidend sei für sie, dass die Erkrankung bereits weit fortgeschritten sei. Eine Erblindung im Sinne des Gesetzes drohe. Das Gesichtsfeld der Klägerin sei beidseitig auf ca. 10 Grad eingeschränkt. Eine Blindheit im Sinne des Gesetzes liege bereits bei einer Gesichtsfeldeinschränkung auf 5 Grad vor. Bereits in diesem Krankheitszustand sei die Lebensqualität der Betroffenen erheblich eingeschränkt und es sei dringend erforderlich, das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten, welches ohne Behandlung unweigerlich zur Erblindung führe. Auch das LSG Rheinland-Pfalz habe in seinem Urteil vom 10. November 2017, Az.: L 5 KR 92/17 eine notstandsähnliche Situation angenommen, wenn die Erkrankung an der Grenze zur Blindheit im Sinne des Gesetzes liege. Es sei die ernsthafte Möglichkeit gegeben, dass durch die Anwendung der Transkornealen Elektrostimulation mit Nutzung des OkuStim-Systems die vollständige Erblindung der Klägerin zumindest herausgezögert werden könnte. Die Klägerin verwies auch auf die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 8. Februar 2020, Az. L 11 KR 2478/19, in der ein Anspruch auf Kostenübernahme für die Therapie gemäß § 2 Abs. 1a SGB V bei fortgeschrittenem Krankheitsverlauf bejaht wurde. Die Klägerin nahm zudem Bezug auf einen Bericht der Kliniken K., Klinik für Augenheilkunde vom 4. November 2019. In diesem Bericht heißt es, dass sich die Klägerin zur Verlaufskontrolle bei Retinopathia pigmentosa vorgestellt habe. Sie habe einmal pro Woche die Elektrostimulationsbehandlung zu Hause durchgeführt. In der Goldmann Gesichtsfelduntersuchung habe sich im Vergleich zur letzten Untersuchung (Januar 2018) eine deutliche Verbesserung der Gesichtsfeldaußengrenzen an beiden Augen ergeben. Die Fortführung der transkolonialen Elektrostimulation werde empfohlen. Die Klägerin hat Rechnungen über die Anschaffung des OkuStim-Gerätes in Höhe von 6.225,-- Euro und die verwendeten Oku Elektroden in Höhe vom 3.613,98 sowie eine ärztliche Verordnung des Chefarztes der Augenklinik Prof. Dr. O. zur Anschaffung des Elektrostimulationsgerätes zur häuslichen Nutzung nebst Elektroden zu den Akten gereicht.  

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. Juni 2019 sowie die Bescheide der Beklagten vom 16. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,

1.     die Kosten der TES-Therapie mittels dem OkuStim-System einschließlich Elektroden  ohne Einweisungskosten zu erstatten,

2.     die zukünftigen Kosten zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

       die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet weiterhin die Entscheidung für zutreffend. Eine notstandsähnliche Situation sei vorliegend nicht gegeben. Die Klägerin habe ein messbares Gesichtsfeld, eine Verschlechterung sei ausweislich der Befundberichte über Jahre nicht eingetreten. Eine konkret drohende Erblindung sei nicht erkennbar.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung und der Entscheidungsfindung des Senates gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. Juni 2019 ist deshalb aufzuheben. Der Klägerin hat gegen die beklagte KK einen Anspruch auf Übernahme der zukünftigen Kosten für die begehrte TES-Therapie. Sie hat zudem einen Anspruch auf Erstattung der bereits durch die TES-Therapie entstandenen und geltend gemachten Kosten, d.h. für die Anschaffung des Elektrostimulationsgerätes und die Oku Elektroden.

 

In Betracht kommende Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist zunächst § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.V.m. § 2 Abs. 1a SGB V. Nach § 33 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Ein Anspruch auf Versorgung besteht grundsätzlich nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet. Darüberhinausgehende Leistungen darf die KK gemäß § 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V nicht bewilligen. Ein Anspruch der Klägerin auf Behandlung mit dem Elektrostimulationsgerät OkuStim bei bestehender Retinopathia pigmentosa kann auch aus § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V folgen, wonach ein Anspruch auf Krankenbehandlung begründet wird, die auch die Versorgung mit Hilfsmitteln umfasst (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Der Anspruch der Klägerin auf Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V unterliegt auch hier den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist bei NUB in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte etc.) NUB zulasten der KKen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinie auch der Umfang der den Versicherten von den KKen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt. „Neu“ ist eine Methode, wenn sie nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im EBM für vertragsärztliche Leistungen enthalten ist.

 

Die Therapie mittels OkuStim-System zur Behandlung einer Retinopathia pigmentosa ist nicht als abrechenbare Leistung im EBM enthalten (allein für die Dauer der ErpRL) und daher eine „neue“ Behandlungsmethode. Eine positive Empfehlung des GBA zu dieser Methode liegt bislang nicht vor. Basierend auf seinem Beschluss vom 20. Juli 2017 hat der GBA die Richtlinie zur Erprobung der transkolonialen Elektrostimulation bei Retinopathia pigmentosa (Erprobungs-Richtlinie Transkorneale Elektrostimulation bei RP; TES-RP-Erpr-RL) beschlossen. Die Erprobung soll der Beantwortung der Frage dienen, ob bei Patienten mit Retinopathia pigmentosa durch die TES im Vergleich zu einer Scheinintervention patientenrelevante Endpunkte so beeinflusst werden können, dass der Schluss auf einen therapeutischen Nutzen dieser Methode zulässig ist (vgl. dazu auch insgesamt Abschlussbericht Beratungsverfahren nach § 137e SGB V über eine Richtlinie zur Erprobung der Transkornealen Elektrostimulation bei Retinopathia pigmentosa vom 7. Oktober 2017). Die Studie „Evaluation der Wirksamkeit einer transkornealen Elektrostimulation bei Patienten mit Retinitis Pigmentosa – eine multizentrische, prospektive, randomisierte und doppelblinde Studie im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses“ läuft derzeit noch und soll die Effektivität der Behandlung der TES abschließend testen und die Voraussetzungen für die Kostenübernahme durch die gKV schaffen. Die Patientenrekrutierung ist – nach Information der Beklagten – noch nicht abgeschlossen.    

 

Ergibt die Überprüfung, dass der Nutzen einer Methode noch nicht hinreichend belegt ist, sie aber das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, beschließt der GBA eine Erprobungs-Richtlinie nach § 137e SGB V. Aufgrund einer solchen Richtlinie wird die Untersuchungs- und Behandlungsmethode in einem befristeten Zeitraum im Rahmen der Krankenbehandlung zu Lasten der KKen erbracht (§ 137e Abs. 1 Satz 2 SGB V). § 137e Abs. 2 SGB V regelt die näheren Bedingungen der Leistungserbringung. Versicherte haben (nach bisheriger und ständiger RSpg. des BSG) Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihre Berücksichtigung beim Auswahlverfahren für die Teilnahme an einer Erprobungs-Richtlinie nach § 137e SGB V (BSG, Urteil vom 24. April 2018, B 1 KR 13/16 R = SozR 4-2500 § 137e Nr. 1, Rn. 27 ff; BSG, Urteil vom 28. Mai 2019, B 1 KR 32/18 R = SozR 4-2500 § 137c Nr. 13, Rn. 37 ff; zur Erprobungspopulation vgl. § 3 TES-RP-Erpr-RL).

 

Allerdings muss die von der Beklagten im Rahmen der mündlichen Verhandlung angesprochene Teilnahme der Klägerin an der Studie bereits deshalb scheitern, weil die Klägerin ausweislich der eingereichten Rechnungen das OkuStim-Gerät bereits seit 2019 nutzt. Der erkennende Senat hat deshalb von Vornherein Zweifel an der Geeigneheit der Klägerin zur Einbeziehung in die Studie.

 

In diesem Zusammenhang schließt sich die Frage an, ob sich ein Rechtsanspruch der Klägerin aus § 137c Abs. 3 SGB V ergeben kann (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 25. März 2021, B 1 KR 25/20 R, zitiert nach juris). Die gesetzlichen Regelungen zur Erprobung neuer Behandlungsmethoden ermöglichen den Versicherten die – eventuell zeitlich begrenzte – Teilhabe an Innovationen. Bei der Klägerin dürfte zwar die Voraussetzung, dass es sich bei der neuen Methode um eine „erforderliche“ Behandlungsalternative handelt, erfüllt sein. Jedoch gelten auch für Methoden, bei denen bereichsspezifisch der Potentialmaßstab zur Anwendung kommt, uneingeschränkt die Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenhausbehandlung. Auch weiterhin ist ein Anspruch auf vollstationäre Krankenhausbehandlung nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V nur dann gegeben, wenn die Aufnahme durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann („keine Flucht in die Krankenhausbehandlung“, BSG, Urteil vom 25. März 2021, a.a.O). Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin allerdings zu verneinen, schon deshalb, weil eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit nicht vorliegt (Anwendung in häuslicher Umgebung).

 

Nach der Rechtsprechung des BSG liegt auch kein Ausnahmefall vor, in dem es keiner positiven Empfehlung des GBA bedarf. Ein Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von diesem Erfordernis erwogen werden könnte, oder ein Systemversagen wegen verzögerter Bearbeitung eines Antrags auf Empfehlung einer neuen Methode kommen von Vornherein nicht in Betracht.

 

Im vorliegenden Einzelfall ist allerdings ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung der TES-Therapie auf der Grundlage des § 2 Abs. 1a SGB V gegeben. Nach dieser Vorschrift können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Abs. 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nach Auffassung des erkennenden Senats vorliegend erfüllt. Insbesondere fehlt es nicht an einer notstandsähnlichen Situation.

 

Das BSG hat die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus dem sog. Dezember-Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (BVerfGE 115,  25, 49), auf den auch die Klägerin Bezug nimmt, zum Anspruch auf Kranken(haus)behandlung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung näher konkretisiert und hat dabei in die grundrechtsorientierte Auslegung auch Erkrankungen einbezogen, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig vergleichbar sind, wie etwa der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (BSG, Urteil vom 19. März 2020, B 1 KR 22/18 R, zitiert nach juris). Eine drohende Erblindung kommt für sich als eine solche Erkrankung in Betracht (BSGE 106, 81 = SozR 4 - 1500 § 109 Nr. 3 Rn. 31; BSGE 96, 153 = SozR 4 - 2500 § 27 Nr. 7, Rn. 31). Hochgradige Sehstörungen reichen demgegenüber noch nicht aus (BSG, Beschluss vom 27. Oktober 2020, B 3 KR 18/20 B, zitiert nach juris).

 

Dabei erfordert die notstandsähnliche Situation in zeitlicher Hinsicht eine in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommende Problematik, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Dies bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (stRspr., vgl. etwa BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 9, Rn. 32), sodass Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (BVerfG, Beschluss vom 11. April 2017, 1 BvR 452/17 – SozR 4-2500 § 137c Nr. 8 = NJW 2017, 2096). Dafür reicht die bloße Wahrscheinlichkeit bloßen Fortschreitens einer schwerwiegenden Erkrankung nicht aus. In Interpretation der o.a. Entscheidung des BVerfG liegt die notwendige Gefährdungslage nicht bereits dann vor, wenn die Erblindung eines Versicherten bei Fortschreiten der Erkrankung in Zukunft irgendwann eintreten kann. Dem Ausnahmecharakter eines verfassungsrechtlich gebotenen Leistungsanspruchs kann nur durch eine restriktive Auslegung Rechnung getragen werden (BVerfG, Beschluss vom 11. April 2017, a.a.O.).

 

Im Falle der Klägerin ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Klägerin unter einer Retinopathia pigmentosa leidet und daraus erhebliche Einschränkungen des Sehvermögens resultieren. Aus dem Befundbericht der behandelnden Augenärztin Dr. P. vom 22. Februar 2019 ergibt sich, dass die Klägerin aufgrund der Gesichtsfeldeinschränkung („Tunnelblick“) bereits seit 2011/2012 nicht mehr in der Lage ist, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen. Den vorliegenden Berichten der Augenklinik der Kliniken K. ist zu entnehmen, dass die Klägerin unter einer „hochgradig konzentrischen Gesichtsfeldeinengung“ leidet, der Visus beidseits derzeit noch 0,8 beträgt, sich in der Gesichtsfelduntersuchung (Goldmann GP III/4e) eine Einengung des Gesichtsfeldes auf ca. 10° zeigt.

 

Die bei der Klägerin bestehende Erkrankung Retinopathia pigmentosa beschreibt eine u.a. durch Vererbung entstehende Netzhautdegeneration, bei der die Photorezeptoren bzw. Nervenzellen unwiederbringlich zerstört werden. Der Typik der Erkrankung entspricht es, dass der Verlust der Nervenzellen und damit die bereits eingetretene konzentrische Einengung des Gesichtsfeldes einerseits nicht wieder rückgängig gemacht werden kann und andererseits im späteren Stadium der Erkrankung eine vollständige Erblindung eintritt. Der Erkrankung ist es zudem zu eigen, dass ein konkreter Prognosezeitraum nicht zu bestimmen ist. Das Vorliegen einer notstandsähnlichen Situation muss sich vorliegend deshalb an dem irreparablen Schaden des Verlusts der geringen Restsehkraft orientieren (vgl. dazu auch BSG, Beschluss vom 27. Oktober 2020, B 3 KR 18/20 B, zitiert nach juris). Die TES-Therapie wird gezielt zur Verlangsamung des irreparablen Verlusts der Sehfähigkeit eingesetzt. Für die Klägerin bedeutet sie gleichsam den Griff nach dem „letzten Strohhalm“, weil – dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig – andere Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen und die Erkrankung unweigerlich zur Erblindung führt. Die Erkrankung hat bei der Klägerin mit einer Gesichtsfeldeinengung von 10° ein Stadium erreicht, in dem ein weiteres Zuwarten nicht mehr zumutbar wäre. Bei einer Verweigerung der Leistung würde der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1a SGB V für die Klägerin vielmehr ins „Leere“ laufen, weil die TES-Therapie für die Klägerin in einem späteren Stadium keinen medizinischen Nutzen mehr hätte. Eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf hat sich bereits ausweislich des Berichts der Augenklinik vom 4. November 2019 gezeigt (s.a. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.2.2020, L 11 KR 2478/19).     

 

Insgesamt ist deshalb der Berufung der Klägerin zu entsprechen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.

Rechtskraft
Aus
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