Versorgungskrankengeld gem. § 16 Abs. 1 BVG, keine Berücksichtigung weggefallener Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 EStG, keine planwidrige Regelungslücke.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
T a t b e s t a n d :
Der Kläger macht Anspruch auf Versorgungskrankengeld geltend.
Der 1952 geborene Kläger beantragte am 01.04.2009 Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG).
Am 10.01.2009 war der Kläger Opfer eines tätlichen Angriffs geworden, als er von einem Unbekannten ohne Vorwarnung im Bereich der Halswirbelsäule in den Rücken und dann mit geballter Faust im Bereich des rechten Auges und der Nase geschlagen wurde.
Er erlitt dabei ein Schädel-Hirn-Trauma und eine erhebliche Verletzung des linken Auges mit einer Linsenzertrümmerung, aufgrund derer eine Vitrektomie und Einsatz einer Kunstlinse erfolgten.
In der Folge nahm der Kläger wegen sich nach dem Überfall entwickelnden psychischen Beschwerden psychiatrische/psychologische Hilfe in Anspruch. Es wurde die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung (ICD F41.1) gestellt.
Die beim Kläger vorliegenden Schädigungsfolgen wurden mit Bescheid vom 15.07.2010 anerkannt.
Auf Nachfrage des Beklagten schilderte der Kläger, dass er zum Zeitpunkt der Gewalttat am 10.01.2009 folgende Tätigkeiten ausgeübt habe.
- Über seine Einzelfirma A. Beratung und Entwicklung eK habe er Investments (Aktien, Anleihen, Fonds) und Beteiligungsgeschäfte verwaltet, letztere zum Teil auch als temporärer Manager.
- Ferner hätten Engagements bei dem Unternehmen L. im Verkauf der verleasten Immobilien bestanden, bei dem Unternehmen C. als pro bono Geschäftsführer, der seine Beratungsleistungen selbst abgerechnet habe.
- Einkünfte aus Investments und Beteiligungen seien steuerlich als Einkünfte aus Kapitalanlagen berücksichtigt worden, seine Einkünfte bei L. seien steuerlich unter die Einkunftsart "Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung" gefallen und eine Beratungstätigkeit sei als Honorare in seiner Einkommensteuer berücksichtigt worden.
- Die von ihm mitbegründete L. befinde sich zur Zeit in Abwicklung, er übe dort seit Ende 2008 keine Tätigkeiten mehr aus. Seiner Investmentbetreuung könne er zur Zeit nichtaktiv nachgehen. Beratungsleistungen für das französische Unternehmen habe er seither nicht mehr abgerechnet und habe den Posten als Geschäftsführer aufgegeben.
Nachdem er diesen Tätigkeiten zur Zeit nicht mehr nachgehen könne, da er diesen nicht mehr mit der nötigen Kompetenz und in der nötigen Professionalität (zeitlich sowie in der Leistungshöhe) nachgehen könne, seien ihm die oben geschilderten Einkünfte nicht mehr zugänglich.
Arbeitsunfähigkeit bestünde nach wie vor fort, er habe zur Zeit eine Berufsunfähigkeitsrente beantragt.
Der Steuerbescheid für das Jahr 2008 weist für den Kläger folgende Einkünfte auf:
- Einkünfte aus Gewerbebetrieb: 57.873,00 €
- Einkünfte aus selbständiger Arbeit: 2.000,00 €
- Einkünfte aus Kapitalvermögen: 80.081,00 €
- Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung: -2.531,00 €
- sonstige Einkünfte: 2.559,00 €
Der Steuerbescheid des Jahres 2009 weist für den Kläger folgende Einkünfte auf:
- Einkünfte aus Gewerbebetrieb: 8,00 €
- Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit: 9.666,00 €
- Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung: -568,00 €
- Sonstige Einkünfte: 2.559,00 €
Mit Bescheid vom 24.09.2013 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Versorgungskrankengeld ab.
Maßgebend für den Anspruch auf Versorgungskrankengeld nach § 16b BVG sei, dass unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Tätigkeit erzielt worden seien. Der Kläger sei unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit als eingetragener Kaufmann in seiner Einzelfirma tätig gewesen. Dementsprechend sei für die Prüfung seines Antrags auf Versorgungskrankengeld § 16b BVG maßgebend. Nach den vorliegenden Unterlagen und seinen eigenen Angaben seien die Einkünfte aus dieser Tätigkeit als Einkünfte aus Kapitalvermögen behandelt worden (§ 20 EStG). Es handle sich somit um keine Einkünfte i.S. von § 16b BVG i.V.m. §§ 15-18 EStG.
Ebenso könnten die Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Beteiligungen der Firma L. lt. Steuerbescheid 2008 nicht herangezogen werden, da sich zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit diese Firma in Abwicklung befunden habe (Verkauf am 31.07.2008). Die Einnahmen aus der Firma L. seien als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung behandelt worden (§ 21 EStG). Insoweit handle es sich auch hier um keine Einkünfte i.S. von § 16b EStG.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 28.10.2013 Widerspruch.
Diesen wies der Beklagte mit Bescheid vom 10.01.2014 zurück, wogegen der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 24.01.2014 Klage erhob.
Der Beklagte lehne die Ansprüche auf Versorgungskrankengeld ab, da nach den vermeintlich vorliegenden Unterlagen und seinen Angaben die Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu behandeln seien.
Man weise an dieser Stelle darauf hin, dass der Kläger im Jahr 2006 91.872,00 €, im Jahr 2007 wegen eines Auslandsaufenthalts nichts und im Jahr 2008 80.081,00 € auf diesem Gebiet erzielt habe, wobei er erst ab Mitte des Jahres 2008 überhaupt erst wieder in Deutschland gewesen sei. Nach dem Vorfall am 10.01.2009 sei dieses Ergebnis auf 9.773,00 € abgesunken.
Insoweit sei hier zwar steuerlich eine Veranlagung als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfolgt, jedoch werde offenkundig, dass der Kläger hier eine erhebliche Tätigkeit entfaltet habe, die er nach dem Vorfall nicht mehr habe entfalten können. Allein mit sinkenden Zinsen sei dieser Rückgang nicht zu erklären, sondern eben damit, dass sich niemand mehr um dieses Vermögen habe kümmern können.
Vor diesem Hintergrund seien in diesem Fall die von den Finanzbehörden als Einkünfte aus Kapitalvermögen gewerteten Einkünfte hier zugunsten des Klägers zu berücksichtigen und dem Kläger sei das beantragte Versorgungskrankengeld zu bewilligen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 24.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.01.2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, Versorgungskrankengeld in gesetzlicher Höhe an den Kläger zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Beklagte hat zutreffend die Gewährung von Versorgungskrankengeld abgelehnt.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält derjenige, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Der Kläger gehört aufgrund des Überfalles am 10.01.2009 zum grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 1 OEG i. V. m. den Leistungsnormen des BVG (vgl. Erstanerkennungsbescheid des Beklagten vom 15.07.2010).
Gem. § 16 Abs. 1 lit. a) Halbs. 1 BVG wird Versorgungskrankengeld nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Beschädigten gewährt, wenn sie wegen einer Gesundheitsstörung, die als Folge einer Schädigung anerkannt ist oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht ist, arbeitsunfähig im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung werden. Als arbeitsunfähig nach § 16 Abs. 2 BVG ist auch der Berechtigte anzusehen, der wegen der Durchführung einer stationären Behandlungsmaßnahme der Heil- oder Krankenbehandlung bzw. einer Badekur oder ohne arbeitsunfähig zu sein, wegen einer anderen Behandlungsmaßnahme der Heil- oder Krankenbehandlung, ausgenommen die Anpassung und die Instandsetzung von Hilfsmitteln keine ganztägige Erwerbstätigkeit ausüben kann.
Dass beim Kläger Arbeitsunfähigkeit in diesem Sinne bestand, ist zwischen den Parteien unstreitig.
§ 16a Abs. 1 BVG bestimmt die Höhe des Versorgungskrankengeldes mit 80 v.H. des entgangenen Regellohns, damit das entgangene Nettoarbeitsentgelt nicht überschritten wird. Ausgangspunkt der Berechnung ist damit das Arbeitsentgelt (=Bruttoarbeitsentgelt), dessen Begriff sich nach § 14 SGB IV bestimmt. Durch § 14 SGB IV ist eine für den gesamten Sozialleistungsbereich gültige einheitliche Definition des Arbeitsentgelts gegeben. Danach sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.
§ 16a BVG ist eine auf abhängig Beschäftigte zugeschnittene Regelung, die durch § 16b BVG ergänzt wird (BSG, Urteil vom 29.04.2010, B 9 VS 1/09 R - Rd.-Nr. 21).
Hat der Berechtigte unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§§ 13 bis 14 des Einkommensteuergesetzes), aus Gewerbebetrieb (§§ 15 bis 17 des Einkommensteuergesetzes) oder aus selbständiger Arbeit (§ 18 des Einkommensteuergesetzes) erzielt, ist § 16a entsprechend anzuwenden (§ 16b Abs. 1 BVG).
Bemessungszeitraum ist das letzte Kalenderjahr, für das ein Einkommensteuerbescheid vorliegt (§ 16b Abs. 2 S. 1 BVG). Kann ein Regelentgelt nach Absatz 2 oder 3 nicht festgestellt werden oder ergibt ein nach Absatz 2 oder 3 festgestelltes Regelentgelt wegen wesentlicher Änderungen nach Ende des Bemessungszeitraumes oder aus anderen Gründen keinen angemessenen Maßstab für den Einkommensverlust, so ist das Regelentgelt unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse festzusetzen (§ 16b Abs. 4 S. 1 BVG).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt beim Kläger für die Zeit der durch den Überfall begründeten Arbeitsunfähigkeit kein berücksichtigungsfähiges Regelentgelt vor.
Eine abhängige Beschäftigung wurde von ihm nicht ausgeübt. Der Steuerbescheid des Jahres 2008 wies zwar Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15-17 EStG) aus, diese Tätigkeit war jedoch zum Zeitpunkt des Überfalls bereits beendet gewesen, so dass die Einkünfte nicht wegen des Überfalls, sondern wegen vorheriger Aufgabe der Tätigkeit weggefallen waren. Nach § 16b Abs. 1 BVG gilt § 16a BVG entsprechend. Somit gilt auch für diese Einkunftsarten, dass das Versorgungskrankengeld eine Einkommenseinbuße voraussetzt (Lohnersatzfunktion/Einkommenersatzfunktion) (Rohr/Sträßer/Dahm, Bundesversorgungsgesetz, § 16b, S. 2).
Die vom Kläger erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) sind bei der Berechnung des Versorgungskrankengeldes nicht zu berücksichtigen. Auch wenn der Kläger zur Erzielung dieser Einkünfte einen erheblichen Aufwand betrieben hat (vergleichbar einer der in § 16b Abs. 1 BVG genannten Einkunftsarten), so ordnet § 16b die entsprechende Anwendung von § 16a BVG nur für Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 13 Abs. 1 und 2 und § 14 EStG), Gewerbebetrieb (§§ 15-17 EStG) und selbständiger Arbeit (§ 18 Abs. 1, 2, 3 EStG) an.
Dies entspricht dem Arbeitseinkommen i.S.d. § 15 Abs. 1 S. 1 SGB IV, d.h. also der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit.
Die Maßgeblichkeit der Feststellungen des Einkommenssteuerbescheids zum Nachweis der Einnahmen folgt auch aus der im Gesetz angelegten Parallelität von sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Einkommensermittlung. § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV ordnet insoweit an, dass Einkommen dann als Arbeitseinkommen zu werten ist, wenn es als solches nach dem Einkommenssteuerrecht zu bewerten ist.
(Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2016 -L 11 KR 739/16-, Rn. 30, juris)
Hintergrund ist, dass den Sozialleistungsträgern keine Möglichkeiten (fachlich und personell) zur Verfügung stehen, um die Feststellungen der hierfür zuständigen Finanzbehörden hinterfragen zu können.
Die Kammer könnte somit nur im Sinne des Klägers entscheiden, wenn vorliegend eine planwidrige Lücke bestünde, welche durch Analogie geschlossen werden könne. Zu prüfen ist stets, ob der Gesetzgeber den zu beurteilenden Fall überhaupt gesetzlich regeln wollte oder ob er ungeregelt bleiben sollte. Sollte der Fall ungeregelt bleiben, so liegt schon keine planwidrige Regelungslücke vor, denn es entspricht in diesem Fall dem Plan des Gesetzgebers, dass er den zu beurteilenden Fall nicht geregelt hat.
Vorliegend wird deutlich, dass der Gesetzgeber die bei der Berechnung des Versorgungskrankengeldes zu berücksichtigenden Einkünfte auf solche nach § 14 und § 15 SGB IV beschränken wollte, um gerade der Lohn-/Einkommensersatzfunktion Rechnung zu tragen. Das Gesamteinkommen gem. § 16 SGB IV sollte gerade nicht bei der Berechnung berücksichtigt werden, auch wenn sich durch eine Arbeitsunfähigkeit auch hier Einbußen ergeben können.
Eine planwidrige Regelungslücke liegt folglich nicht vor, so dass eine analoge Anwendung des § 16b Abs. 1 SGB IV für andere als die dort genannten Einkunftsarten nicht in Betracht kommt.
Die hier anzuwendenden Regelungen sind mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG auch insoweit vereinbar, als der Verlust von anderen Einnahmen als solchen nach §§ 14, 15 SGB IV bei der Berücksichtigung des Versorgungskrankengeldes unberücksichtigt bleibt. Diese Gleichbehandlung überschreitet nicht die verfassungsrechtlich zulässige Grenze pauschalierender Regelungen.
Art. 3 Abs. 1 GG verbietet sowohl die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem als auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem (vgl. BVerfGE 84, 133, 157 f; 98, 365, 385). Zu einer Differenzierung bei ungleichen Sachverhalten ist der Normgeber nur verpflichtet, wenn die tatsächliche Ungleichheit so groß ist, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht unberücksichtigt bleiben darf (vgl. BVerfGE 98, 365, 385). Ein derartiger verfassungswidriger Zustand ist bei dem hier betroffenen Regelungskomplex der an bestimmte gesetzliche Vorgaben gebundenen Berechnung des Versorgungskrankengeldes nicht anzunehmen. Denn auch ein untergesetzlicher Normgeber ist bei der Ordnung von Massenerscheinungen berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen damit im Einzelfall verbundener Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. näher BVerfGE 84, 348, 359 f; 87, 234, 255 f). Der Beklagte kann und muss nicht jedes individuelle Modell zur Einkünfteerzielung berücksichtigen, im Rahmen der Massenverwaltung sind eventuelle Härten für den Einzelnen stattdessen hinzunehmen (s.o.).
Im Ergebnis war die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.