L 5 KA 2988/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KA 3865/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 2988/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Das "myelodysplastische Syndrom" ist ein Malignom i.S. der GOP 01510 EBM. Für die Wortlautauslegung medizinischer Begriffe, die in einer Gebührenordnung zur Abrechnung ärztlicher Leistungen Verwendung finden, kommt es auf den medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch an. Der Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw. Gebührenordnungen ist nicht zulässig, wenn die GOP auf diese Verzeicnhisse - hier ICD-10-GM - nicht ausdrücklich Bezug nimmt.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.04.2019 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 21.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 insoweit aufgehoben, als die GOP 01510 EBM einschließlich der regionalen GOP 99983 wegen Übermittlung der Diagnose „myelodysplastisches Syndrom“ (ICD-10-GM D46.-) gestrichen wurde.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt 5/6, die Klägerin 1/6 der Kosten des Verfahrens in beiden Gerichtszügen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Widerspruchsverfahren hat die Beklagte in vollem Umfang zu tragen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 54.889,57 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist die sachlich-rechnerische Richtigstellung der vertragsärztlichen Abrechnungen der Klägerin für die Quartale 1/2013 bis 4/2015.

Die Klägerin ist eine in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft mit Standorten in S und H. Sie bestand in den streitigen Quartalen aus zwei Fachärztinnen für Transfusionsmedizin.

In den für die Quartale 1/2013 bis 4/2015 ergangenen Honorarbescheiden wurden der Klägerin (unter anderem) Zusatzpauschalen für Beobachtung und Betreuung nach der Gebührenordnungsposition (GOP) 01510 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) vergütet.

Bereits mit Schreiben vom 12.11.2014 teilte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten der Klägerin mit, dass die Abrechnung für das Quartal 1/2011 im Rahmen einer Schwerpunktprüfung „Praxisklinische Betreuung" (GOP 01510 EBM ff.) geprüft werde. Bei der Prüfung der Abrechnung sei aufgefallen, dass in 54 Patientenfällen die Indikation anhand der Diagnoseangaben in der Abrechnung nicht vorgelegen habe. Die Klägerin wurde gebeten mitzuteilen, aufgrund welcher Indikation die Abrechnung erfolgt sei. Diese teilte hierauf mit Schreiben vom 18.11.2014 mit, sie habe ihre Patientenliste geprüft und in 15 Fällen eine fortgeschrittene Tumorerkrankung feststellen können. Bei den restlichen Fällen sei aus der vorliegenden Kombination keine Tumorerkrankung hervorgegangen. Alle Fälle seien von dem früheren Kollegen K abgerechnet worden. Mit Bescheid vom 14.04.2015 verfügte die Beklagte für die Quartale 1/2011 bis 4/2011 eine Kürzung der GOP 01510 EBM um 33 %, da die abgerechneten Überwachungszeiten in 39 Patientenfällen mangels erforderlicher Indikation zur Abrechnung nicht berechnungsfähig gewesen seien. Dies ergebe eine Rückforderung von 18.514,44 €. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin keinen Widerspruch ein.

Mit Bescheid vom 10.11.2015 kürzte die Beklagte die Honorarabrechnungen für die Quartale 1/2012 bis 4/2012 und forderte 14.371,41 € zurück. Auch in diesen Quartalen sei die GOP 01510 EBM bei 361 Ansätzen nicht erfüllt worden. Die Honorarbescheide für diese Quartale seien daher aufzuheben und die Honoraransprüche neu festzusetzen. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 04.12.2015 Widerspruch ein, dem mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2016 (in Höhe von 119,43 €) teilweise stattgegeben und der im Übrigen zurückgewiesen wurde. Die Klägerin erhob hiergegen keine Klage.

Mit (dem hier streitgegenständlichen) Bescheid vom 21.06.2016 strich die Beklagte in den Quartalen 1/2013 bis 4/2015 die GOP 01510 EBM 886-mal und forderte von der Klägerin insgesamt 54.889,57 € zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, ein Leistungskomplex sei nur dann berechnungsfähig, wenn der Leistungsinhalt vollständig erbracht worden sei. Die Abrechnung der Betreuungsleistung i.V.m. Bluttransfusionen sei nur möglich bei Vorliegen der erforderlichen Indikation im Sinne des ersten Spiegelstrichs der Leistungslegende der GOP 01510 EBM. Die in der Leistungslegende aufgeführte Aufzählung sei abschließend. Die Betreuungsleistung sei von der Klägerin i.V.m. Bluttransfusionen abgerechnet worden, ohne dass eine konsumierende Krankheit (fortgeschrittenes Malignom oder eine HIV-Erkrankung im Stadium AIDS) vorgelegen habe. Die Selektion der Fälle sei nach den Diagnoseangaben in den Abrechnungen erfolgt. Im überwiegenden Teil der beanstandeten Fälle sei als Diagnose „myelodysplastisches Syndrom“ angegeben worden. Hierbei handele es sich zwar um eine Krebserkrankung, allerdings liege keine konsumierende Erkrankung im Sinne eines multiplen Myeloms vor. In den übrigen beanstandeten Fällen seien Diagnosen in Bezug auf Anämien angegeben worden. Ab dem Quartal 1/2013 sei die GOP 99983 (regionale Förderung der onkologischen und/oder immunologischen Betreuung - Zu- schlag zu den GOP 01510, 01511 oder 01512 EBM) vom Regelwerk automatisch in jedem Ansatz der Betreuungsleistung zugesetzt worden. Da der Leistungsinhalt der GOP 01510 EBM in den genannten Quartalen nicht erfüllt worden sei, sei auch der regionale Zuschlag nach GOP 99983 zu berichtigen. Der Bescheid enthielt eine 7-seitige Anlage zur Abrechnung der GOP 01510 EBM ohne Indikation mit der jeweiligen Anzahl der Berichtigungen (insgesamt 886 Berichtigungen).

Hiergegen legte die Klägerin am 19.07.2016 Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der GOP 01510 EBM seien erfüllt. In allen Fällen sei ein Kranker mindestens 121 Minuten beobachtet und betreut worden. Es habe sich jeweils um eine konsumierende Erkrankung gehandelt. Die Onkologie-Vereinbarung definiere Neubildungen des lymphatischen, blutbildenden Gewebes und schwere Erkrankungen der Blutbildung als Tumorerkrankung. Soweit sich die Beklagte auf ein multiples Myelom beziehe, finde dies zudem keine Stütze im EBM. Bei einem myelodysplastischen Syndrom handele sich um ein fortgeschrittenes Malignom und auch um eine konsumierende Erkrankung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, bei dem myelodysplastischen Syndrom handele es sich nicht um Malignome, schon gar nicht um solche in fortgeschrittenem Stadium. Hiergegen spreche in erster Linie die Einteilung der ICD-10-GM, wonach es sich bei den ICD-10-GM D46.- nicht per se um bösartige Erkrankungen der Blutbildung handele, sondern um solche mit unsicherem Verhalten. Ansonsten wäre per Definition eine gesicherte bösartige Erkrankung (Malignom) des Blutes nach den ICD-10-GM C81.- bis C96.- anzugeben. Anders wäre dies nur zu beurteilen, wenn der gemeinsame Bewertungsausschuss auf die abschließende Aufzählung verzichtet oder statt des Begriffs Malignom einen Bezug zu § 1 der Onkologie-Vereinbarung geschaffen hätte.

Am 10.07.2017 hat die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Bescheide der Beklagten litten an erheblichen formellen Mängeln und seien bereits deshalb aufzuheben. Die angegriffene Entscheidung leide an Begründungsmängeln im Sinne von § 35 Abs. 1 S. 2 und 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Sie habe in den streitigen Quartalen die GOP 01510 EBM insgesamt 1.918-mal abgerechnet. Hiervon seien von der Beklagten 886 Leistung gestrichen worden. Aus dem Bescheid lasse sich nicht entnehmen, welche Leistungen konkret gestrichen worden seien, d.h. bei welchen Diagnosen bzw. ICD-10-Kodierungen. Der Umfang der Kürzungen lasse sich insbesondere nicht anhand der Einzelpatientenaufstellungen in der Verwaltungsakte feststellen, da nicht klar werde, welche Leistungen gestrichen worden seien und welche nicht. Aus dem Widerspruchsbescheid lasse sich nicht entnehmen, ob der Beklagten bewusst gewesen sei, dass ihr ein Schätzungsermessen zugestanden habe. Die Erkenntnis, einen Ermessensspielraum zu haben, gehöre aber zu den Grundanforderungen an die Begründung eines Bescheides. Auch müsse die Begründung erkennen lassen, welche Gesichtspunkte die Behörde bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt und wie sie diese gewichtet habe. Auch hieran mangele es. Schließlich habe die Beklagte in ihren Bescheiden zwei völlig verschiedene Kürzungsverfahren vermengt. Zum einen stütze sich die Beklagte auf § 45 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä). Hierbei hätte die Beklagte ausführen müssen, aus welchen Gründen sie der Auffassung sei, dass im Einzelfall eine unrichtige Abrechnung vorliege. Entsprechende Ausführungen fehlten jedoch. Gegen eine Einzelleistungskürzung spreche jedoch der Wortlaut sowohl des Ausgangs- als auch des Widerspruchsbescheids. Zum anderen stütze sich die Beklagte auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 -). In dieser Entscheidung habe das BSG als zusätzliche Kürzungsmethode die Neufestsetzung des Honorars ohne Prüfung von einzelnen Leistungspositionen zugelassen. Die Beklagte verkenne, dass eine derartige Kürzung nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sei. Denn es müsse grobe Fahrlässigkeit vorliegen und zudem habe das BSG ausgeführt, dass es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit möglich sei, die Abrechnung gegebenenfalls auf den Fachgruppendurchschnitt zu kürzen. In beiden Bescheiden fehlten Hinweise auf die Feststellung einer groben Fahrlässigkeit. Die Bildung von eigenständigen Plausibilitätsausschüssen für die Feststellung der Plausibilität verstoße zudem gegen Bundesrecht. Die Beklagte hätte selbst die Plausibilität prüfen und in einem weiteren eigenständigen Verfahren eine sachlich-rechnerische Richtigstellung vornehmen müssen. Der Plausibilitätsausschuss setze sich aber auch aus Vertragsärzten zusammen. Darin zeige sich deutlich, dass die Beklagte die Zuständigkeit für die Plausibilitätsprüfung in rechtswidriger Weise auf eigenständige, von ihr unabhängige Einheiten verlagert habe. Daraus folge, dass die Verfahrensordnung zur Durchführung von Plausibilitätsprüfungen der Beklagten gegen höherrangige Vorgaben verstoße und mithin nichtig sei. Der Ausgangsbescheid leide damit an offensichtlichen und schwerwiegenden Fehlern im Sinne des § 40 Abs. 1 SGB X und sei nichtig. Im Übrigen hätten alle Mitglieder des Widerspruchsausschusses den Widerspruchsbescheid unterzeichnen müssen. Die Klägerin habe zudem sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der GOP 01510 EBM erfüllt. In allen von ihr abgerechneten Leistungen sei ein Kranker mindestens 121 Minuten beobachtet und betreut worden. Man habe in allen Fällen Bluttransfusionen, also parenterale/intravasale Behandlungen unter Anwendung eines Katheters durchgeführt. Bei einem myelodysplastischen Syndrom handele es sich um eine maligne Stammzellenerkrankung und damit um bösartige Tumore, so dass es sich um ein Malignom im Sinne der GOP 01510 EBM handele. In allen abgerechneten Fällen habe es sich auch um fortgeschrittene Malignome gehandelt. Abgesehen davon, dass eine exakte Definition für fortgeschrittene Malignome nicht existiere, spreche die Tatsache, dass die Patienten zur Bluttransfusion an die Klägerin überwiesen worden seien, dafür, dass es sich nicht um Fälle im Anfangsstadium gehandelt habe. Im Übrigen enthielten die Bescheide der Beklagten keine Ausführungen dazu, ob die Erkrankungen fortgeschritten seien oder nicht. Ein bloßer Verdacht genüge jedoch nicht für eine sachlich-rechnerische Richtigstellung. Im Übrigen sei für eine konsumierende Erkrankung im Sinne der GOP 01510 EBM kein weitgehender Körperverfall notwendig. Jedenfalls liege keine grob fahrlässige Falschabrechnung vor. Ergänzend hat die Klägerin einen Aufsatz von Germing/Kobbe/Haas/Gattermann („Myelodysplastische Syndrome: Diagnostik, Prognoseabschätzung und Therapie", Deutsches Ärzteblatt, Jahrgang 110, Heft 46, Seite 783 ff.) und ein Schreiben des Berufsverbandes der Niedergelassenen Hämatologen (BNHO) vom 18.12.2018 vorgelegt, wonach es sich bei myelodysplastischen Syndromen um maligne Erkrankungen handele; wenn Transfusionen aufgrund der hämatopietischen Insuffizienz erforderlich seien, dann handele es sich um fortgeschrittene Malignome im Sinne der GOP 01510 EBM.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angegriffene Entscheidung leide nicht an einem Begründungsmangel. Bereits im Ausgangsbescheid sei ausgeführt, dass im überwiegenden Teil der beanstandeten Fälle als Diagnose „myelodysplastisches Syndrom“ angegeben worden sei. In der Anlage des Bescheids sei dezidiert dargestellt worden, in welchen namentlich benannten Fällen, im welchem Quartal und in welcher Häufigkeit und aus welchem Grund die GOP 01510 EBM gestrichen worden sei. Im Übrigen verkenne die Klägerin den Unterschied zwischen einer Ermessensentscheidung und dem ihr bei der Honorarneufestsetzung von der Rechtsprechung eingeräumten weiten Schätzungsermessen. Bei der Schätzung bestehe kein der gerichtlichen Kontrolle entzogener Beurteilungsspielraum. Hierauf komme es im vorliegenden Fall aber gar nicht an. Denn man habe die Neufestsetzung der Honorare ohne ein Schätzungsermessen vorgenommen. Man habe in jedem einzelnen Fall konkret die Nichterfüllung des Leistungsinhalts der GOP 01510 EBM nachgewiesen und den entsprechenden Fall sodann berichtigt. Deshalb hätten auch keine Ausführungen zum Verschulden der Klägerin erfolgen müssen. Denn die nachgehende sachlich-rechnerische Berichtigung setze ein Verschulden nicht voraus, sofern nur der als fehlerhaft beanstandete Leistungsbetrag zurückgefordert, dem Vertragsarzt das Honorar im Übrigen aber ungeschmälert belassen werde. Man habe daher entgegen der Behauptung der Klägerin nicht verschiedene Kürzungsverfahren vermengt. Es sei eine Einzelfallprüfung erfolgt und man habe 886 Leistungen in 314 Fällen gekürzt. Auch liege keine rechtswidrige Vermengung von Prüfzuständigkeiten vor. Abgesehen davon, dass auch die KBV-Richtlinie in § 13 von einem Prüfgremium bzw. Prüfungsausschuss ausgehe, übersehe die Klägerin, dass die Entscheidung des Plausibilitätsausschusses rechtlich eine Entscheidung der Beklagten sei. Die Beklagte sei Erlassbehörde. Die Klägerin übersehe weiter, dass der Plausibilitätsausschuss keine eigenständige Behörde sei. Daran änderten auch die Ausführungen der Klägerin zur Besetzung der Ausschüsse mit zwei Vertragsärzten nichts. Dass der Bescheid von der Geschäftsstellenleiterin unterzeichnet worden sei, sei unschädlich. Denn diese sei auch gleichzeitig Mitglied des Plausibilitätsausschusses. Im Übrigen wäre dieser Mangel gemäß § 41 SGB X im Widerspruchsverfahren nachträglich geheilt worden. Auch die Auffassung der Klägerin, wonach alle Mitglieder des Widerspruchsausschusses den Widerspruchsbescheid hätten unterzeichnen müssen, treffe nicht zu. Der entsprechende Widerspruchsbescheid sei nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 29.06.1978 - 5 RJ 58/77) nur von einem dem Ausschuss angehörendem Mitglied zu unterschreiben. Die Berichtigung sei auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Das Vorliegen eines myelodysplastischen Syndroms rechtfertige nicht die Abrechnung der GOP 01510 EBM. Denn hierbei handle es sich nicht um ein Malignom und schon gar nicht per se um ein fortgeschrittenes Malignom, wie es die Leistungslegende fordere. Die Onkologie-Vereinbarung definiere in § 1 die nach dieser Vereinbarung behandelbaren Erkrankungen über ICD-10-GM. Es seien dort nicht nur Malignome definiert, sondern auch gutartige Tumore sowie Neubildungen der blutbildenden Organe mit unsicherem Verhalten. Die Onkologie-Vereinbarung lege in § 1 Abs. 2 Folgendes fest: Neubildung des lymphatischen, blutbildenden Gewebes und schwere Erkrankungen der Blutbildung. Hierbei seien explizit die ICD-10-Diagnosen D46.0, D46.1, D46.2, D46.4, D46.5, D46.6, D46.7 und D46.9 genannt. D46 klassifiziere die myelodysplastischen Syndrome. Dies bedeute aber nicht, dass es sich hierbei per se um ein Malignom handle. Im vorangestellten Hinweis zu den Neubildungen unsicheren oder unbekannten Verhaltens (D37-D48) werde nämlich klargestellt, dass in den Kategorien D37-D48 Neubildungen mit unsicherem oder unbekanntem Verhalten nach ihrem Ursprungsort klassifiziert seien, d.h. es bestünden Zweifel daran, ob die Neubildung bösartig oder gutartig sei. Bei dem myelodysplastischen Syndrom handele es sich nach ICD-10-GM D46 also gerade nicht per se um bösartige Erkrankungen der Blutbildung, sondern um solche mit unsicherem Verhalten. Der Bewertungsausschuss habe in der Leistungslegende der GOP 01510 EBM auch keinen Bezug zur Onkologie-Vereinbarung geschaffen und etwa anstatt eines Malignoms eine fortgeschrittene Erkrankung im Sinne des § 1 der Onkologie-Vereinbarung gefordert. Auch in Kenntnis der Stellungnahme des BNHO vom 18.12.2018 verbleibe die Beklagte bei ihrer Auffassung, wonach Malignität mit dem myelodysplastischen Syndrom nicht zwingend verbunden sei und insofern die Klassifizierung der ICD-10-GM maßgeblich sei. Zudem müsse kritisch gesehen werden, ob der Transfusionsbedarf bei dem myelodysplastischen Syndrom das fortgeschrittene Stadium ausreichend belege, da je nach Zustand des Patienten auch bei besseren Prognosen, Transfusionen insbesondere zur kurzfristigen Verbesserung der Lebensqualität indiziert sein könnten.

Mit Urteil vom 30.04.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 21.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.06.2017, mit dem die Honorarbescheide für die Quartale 1/2013 bis 4/2015 im Wege der nachgehenden Richtigstellung sachlich-rechnerisch berichtigt und Honorar (teilweise) zurückgefordert worden sei, sei formell und materiell rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigen am 20.05.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.06.2019 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie verweist auf ihren bisherigen Vortrag und macht ergänzend geltend, für die Einrichtung von Plausibilitätsausschüssen fehle eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Jedenfalls fehle eine Ermächtigung zur Einbeziehung KV-fremder Dritter in solchen Prüfgremien. Laut Verfahrensordnung der Beklagten gehörten zwei Vertragsärzte dem Plausibilitätsausschuss an. Diesen würden hoheitliche Befugnisse eingeräumt, für die es keine gesetzliche Grundlage gebe. Aus dem Wortlaut des Widerspruchsbescheides ergebe sich, dass der Plausibilitätsausschuss und nicht die Beklagte entschieden habe, die Honorarbescheide der Klägerin aufzuheben. Mangels Protokollen über die Sitzungen des Plausibilitätsausschusses könne die Klägerin nicht prüfen, ob der Ausschuss beschlussfähig gewesen sei und ob befangene Mitglieder an der Entscheidung beteiligt gewesen seien. Die gestellten Beweisanträge seien entscheidungserheblich, weil die Klägerin ohne die geforderten Unterlagen die Rechtmäßigkeit des Verfahrens nicht überprüfen könne. Abgesehen davon, liege ein gravierender Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften vor. Die Abrechnung der einzelnen Vertragsärzte unterliege strenger Geheimhaltung seitens der Beklagten und dürfe nicht ohne gesetzliche Grundlage an externe Dritte herausgegeben werden. Darüber hinaus sei der Ausgangsbescheid nur von der Leiterin der Geschäftsstelle und damit augenscheinlich von einem Nichtmitglied des Plausibilitätsausschusses unterzeichnet worden. Die Klägerin habe zudem sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der GOP 01510 EBM erfüllt. In der medizinischen Literatur werde beim myelodysplastischen Syndrom allgemein von einer malignen Erkrankung ausgegangen (unter Verweis auf den im Verfahren beim SG vorgelegten Aufsatz von Germing/Kobbe/Haas/Gattermann und einen ergänzend vorgelegten Aufsatz von Bonadies/Rüfer, Schweizer Zeitschrift für Onkologie 4/16; 4; 28ff. sowie www.kompetenznetz-Leukaemie.de „Myoplastische Syndrome“). In allen von der Klägerin abgerechneten Fällen handele es sich um fortgeschrittene Malignome. Die Tatsache, dass die Patienten zur Bluttransfusion an die Klägerin überwiesen worden seien, spreche dafür, dass es sich nicht um Fälle im Anfangsstadium gehandelt habe, sondern dass sich die Patienten jeweils in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung befunden hätten und ihr Allgemeinbefinden bereits erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Jedenfalls enthielten die Kürzungsbescheide aber keinerlei Ausführungen zur Frage, ob die Erkrankungen fortgeschritten gewesen seien, oder nicht. Ohne Einsicht in die Krankenunterlagen könne dies auch überhaupt nicht festgestellt werden. Ein bloßer Verdacht, dass kein fortgeschrittenes Krankheitsstadium erreicht gewesen sein könne, rechtfertige keine sachlich-rechnerische Richtigstellung. Das Vorliegen einer Kachexie sei nicht Voraussetzung der streitgegenständlichen GOP.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Stuttgart vom 30.04.2019 und den Bescheid der Beklagten vom 21.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 aufzuheben,

hilfsweise

zum Beweis der Tatsache, dass in den streitgegenständlichen Quartalen keine Bestimmung des Plausibilitätsausschusses der Bezirksdirektion S durch den Vorstand der Beklagten vorlag, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes des Gerichts die Beklagte aufzufordern, die Bestallungsurkunde vorzulegen,

zum Beweis der Tatsache, dass in den streitgegenständlichen Quartalen KV-fremde Ärzte Mitglied des Plausibilitätsausschusses waren, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes des Gerichts die Beklagte aufzufordern, die Besetzung des Plausibilitätsausschusses in den streitgegenständlichen Quartalen vorzulegen,

zum Beweis der Tatsachen, dass am 06.06.2016, am 13.03.2017 und am 29.05.2017 keine Sitzungen des Plausibilitätsausschusses bzw. des Widerspruchsausschusses stattgefunden haben, hilfsweise dass der Plausibilitätsausschuss in den Sitzungen vom 06.06.2016 bzw. 13.03.2017 bzw. der Widerspruchsausschuss in der Sitzung vom 29.07.2017 falsch besetzt bzw. nicht beschlussfähig waren, die Beklagte aufzufordern, die jeweiligen Sitzungsprotokolle vorzulegen.

Die Beklagte beantragt,        

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und ihre Bescheide für zutreffend. Die von der Klägerin gestellten Beweisanträge seien abzulehnen, weil diese, ohne, dass hieran irgendwelche gerechtfertigten Zweifel bestünden, ins Blaue hinein erfolgten und es nicht Aufgabe der Gerichte sei, daraufhin die Tatsachen auszuforschen. Die Klägerin übersehe, dass der Plausibilitätsausschuss anders als die Prüfgremien oder die Zulassungsgremien keine eigenständige Behörde sei. Ihr Handeln sei Handeln der K1, ihre Entscheidungen seien solche der Beklagten und damit der zuständigen Behörde. Daran änderten auch die Ausführungen der Klägerin zur Besetzung der Ausschüsse mit zwei Vertragsärzten sowie zu den Einsichtsrechten nichts. Die Leistungslegende der streitigen GOP sei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht erfüllt. Bei dem myelodysplastischen Syndrom handele es sich nach ICD-10-GM D46, auf den als für die vertragsärztliche Versorgung verbindlich vorgegebenes Klassifikationssystem zur Auslegung zurückgegriffen werden dürfe, gerade nicht per se um bösartige Erkrankungen der Blutbildung, sondern um solche mit unsicherem Verhalten. Die Beklagte bleibe bei ihrer Auffassung, dass Malignität mit dem myelodysplastischen Syndrom nicht zwingend verbunden sei und insofern die Klassifizierung der ICD-10-GM maßgeblich sei. Die Beklagte sehe erst dann, wenn Malignität auch mittels ICD-10-GM darstellbar sei, dieses Kriterium als erfüllt an. Da das myelodysplastische Syndrom kein Malignom im Sinne der Leistungslegende sei, liege bei dennoch erfolgter Abrechnung der GOP 01510 EBM ein „objektiver Fehler“ vor. Von einer von der Beklagten nur vermuteten Unrichtigkeit könne nicht die Rede sein.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die bei der Beklagten geführte Verwaltungsakte verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

1. Der Senat entscheidet in der Besetzung mit ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Psychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

2. Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 SGG, weil der Beschwerdewert von 750,00 € überschritten ist.

3. Die Berufung ist teilweise begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen.

Gegenstand der Klage ist – entgegen der Auffassung des SG – ausweislich des gestellten Klageantrags der gesamte Bescheid der Beklagten vom 21.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017. Die Klägerin hat ihre Klage nicht auf die Richtigstellung im Zusammenhang mit der Indikation „myelodysplastisches Syndrom“ beschränkt.

Die als isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG zulässige Klage ist begründet, soweit die Beklagte die Honorarabrechnungen der Klägerin für die Quartale 1/2013 bis 4/2015 in Bezug auf die GOP 01510 EBM (einschließlich der regionalen Zusatzpauschale GOP 99983) mit der Indikation „myelodysplastisches Syndrom“ berichtigt hat. Der Bescheid der Beklagten vom 21.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Im Übrigen ist die Klage dagegen unbegründet.

a) Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarabrechnung ist § 106a Abs. 2 SGB V (in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190 <a.F.>; heute § 106d Abs. 2 SGB V). Diese Vorschrift verdrängt als bereichsspezifische Sondervorschrift des zweiten Abschnitts des vierten Kapitels des SGB V (Vertragsarztrecht) gemäß § 37 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) die allgemeine Regelung in § 45 SGB X zur nachträglichen Korrektur rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte. Dies gilt auch, soweit Honorarbescheide nach Ablauf der Ausschlussfrist berichtigt werden (BSG, Urteil vom 24.10.2018 - B 6 KA 34/17 R -, in juris). Die Berichtigung bereits erlassener Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung) stellt im Umfang der vorgenommenen Korrekturen zugleich eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids dar und bewirkt, dass überzahltes Honorar gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zurückzuzahlen ist (BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 50/12 R -, in juris).

Gem. § 106a Abs. 1 SGB V a.F. stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität und die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F.). Einzelheiten der Plausibilitätsprüfung ergeben sich aus den „Richtlinien gem. § 106a SGB V“ (RL § 106a SGB V, hier in der Fassung vom 01.07.2008 <Deutsches Ärzteblatt 2008, A1925>), die die Partner der Bundesmantelverträge auf Grundlage des § 106a Abs. 6 SGB V a.F. vereinbart haben. Nach § 5 Abs. 1 RL § 106a SGB V stellt die Plausibilitätsprüfung ein Verfahren dar, mit dessen Hilfe auf Grund bestimmter Anhaltspunkte und vergleichender Betrachtungen die rechtliche Fehlerhaftigkeit ärztlicher Abrechnungen vermutet werden kann. Anhaltspunkte für eine solche Vermutung sind Abrechnungsauffälligkeiten. Diese sind durch die Anwendung von Aufgreifkriterien mit sonstigen Erkenntnissen aus Art und Menge der abgerechneten ärztlichen Leistungen zu gewinnende Indizien, die es wahrscheinlich machen, dass eine fehlerhafte Leistungserbringung zu Grunde liegt. Nach § 7 Abs. 1 RL § 106a SGB V werden Plausibilitätsprüfungen von der K1 als regelhafte Prüfungen (§ 7 Abs. 2 RL § 106a SGB V) durchgeführt, die sich auf die Feststellung von Abrechnungsauffälligkeiten (§ 5 Abs. 1 Satz 3 RL § 106a SGB V) erstreckt. Konkretisierend hierzu ist in der auf § 13 Abs. 1 RL § 106a SGB V beruhenden „Verfahrensordnung (der Beklagten) zur Durchführung von Plausibilitätsprüfungen“ festgelegt, dass die Plausibilität der Honorarabrechnung u. a. auf der Grundlage von Stichproben geprüft wird (§§ 4, 5 der Verfahrensordnung), wobei nach Anlage 1 Nr. 3 der Verfahrensordnung u. a. auch statistische Auffälligkeiten, insbesondere bei der Abrechnung von Leistungspositionen um 100 % oberhalb des Schnitts der Arztgruppe überprüft werden. Erst wenn die Kassenärztliche Vereinigung auf Grund der Plausibilitätsprüfung allein oder in Verbindung mit weiteren Feststellungen zu dem Ergebnis kommt, dass die Leistungen fehlerhaft abgerechnet worden sind, führt die Kassenärztliche Vereinigung ein Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung durch (§ 5 Abs. 2 Satz 1 RL § 106a SGB V); die auf Grund einer Plausibilitätsprüfung festgestellten Abrechnungsfehler führen in vollem Umfang zur Abrechnungskorrektur (Hess in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2016, § 106a SGB V, Rn. 6).

Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts – mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots –, erbracht und abgerechnet worden sind (BSG, Urteil vom 15.07.2020 - B 6 KA 13/19 R -, Urteil vom 16.05.2018 - B 6 KA 16/17 R -, beide in juris). Eine sachlich-rechnerische Richtigstellung ist insbesondere dann angezeigt, wenn die abgerechneten Leistungen nicht die Vorgaben des EBM erfüllen (BSG, Urteil vom 16.05.2018 - B 6 KA 16/17 R -, in juris).

b) Unter Anwendung dieser Regelungen ist der Bescheid der Beklagten vom 21.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 zwar formell rechtmäßig. Er ist jedoch materiell rechtswidrig, soweit die Beklagte die GOP 01510 EBM (einschließlich der regionalen Zusatzpauschale GOP 99983) wegen der Diagnose „myelodysplastisches Syndrom“ gestrichen hat.

(1) Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Begründung des angefochtenen Rückforderungsbescheides genügt den Anforderungen des § 35 Abs. 1 SGB X. Die Vorschrift verlangt nicht, schriftliche Verwaltungsakte in allen Einzelheiten zu begründen. Vielmehr sind nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X dem Betroffenen nur die wesentlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Dabei richten sich Inhalt und Umfang der notwendigen Begründung nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets und nach den Umständen des einzelnen Falles. Die Begründung braucht sich nicht ausdrücklich mit allen in Betracht kommenden Umständen und Einzelüberlegungen auseinanderzusetzen. Es reicht aus, wenn dem Betroffenen die Gründe der Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang bekannt gegeben werden, dass er seine Rechte sachgemäß wahrnehmen kann (BSG, Urteil vom 11.09.2019 - B 6 KA 13/18 R -, in juris, m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Begründung des angefochtenen Bescheides. Aus dem Bescheid und der ausdrücklich in Bezug genommenen Anlage ist ohne Weiteres erkennbar, welche GOP bei welchen Patienten berichtigt wird und wie sich die Summe der Berichtigungen (insgesamt 886 Berichtigungen) zusammensetzt. Ebenso eindeutig ist ersichtlich, in welcher Höhe die Beklagte den Honoraranspruch der Klägerin für die jeweiligen Quartale sachlich-rechnerisch richtigstellt.

Die Beklagte hat den angefochtenen Verwaltungsakt auch als zuständige Behörde erlassen. Nach § 106a Abs. 1 SGB V a.F. ist die Kassenärztliche Vereinigung für die sachlich-rechnerische Richtigstellung der Honorarabrechnungen zuständig; hierzu gehört auch die Plausibilitätsprüfung (s. auch § 2 Abs. 1 und § 7 RL § 106a SGB V). Wie aus den angefochtenen Bescheiden klar zu erkennen ist, hat die Beklagte gehandelt. Bei dem im Ausgangsbescheid genannten „Plausibilitätsausschuss der Bezirksdirektion S der K1 B“ handelt es sich nicht um eine eigenständige Behörde, sondern um ein internes Prüfgremium der Beklagten. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte somit den angefochtenen Bescheid als zuständige Behörde erlassen. Der Bescheid ist deshalb auch nicht wegen sachlicher Unzuständigkeit nichtig im Sinne von § 40 SGB X.

Zur Einrichtung solcher Prüfgremien ist die Beklagte berechtigt. Sie wird in § 13 Abs. 1 RL § 106a SGB V ermächtigt, das Verfahren der Plausibilitätsprüfung in einer Verfahrensordnung zu regeln; § 13 Abs. 2 RL § 106a SGB V spricht dabei ausdrücklich von der Einrichtung eines „Prüfgremiums“. Entsprechend dieser Rechtsgrundlage hat die Beklagte in ihrer Verfahrensordnung zur Durchführung von Plausibilitätsprüfungen detaillierte Regelungen zur Bildung und Zusammensetzung der Plausibilitätsausschüsse sowie zum Verfahrensablauf getroffen. Hinsichtlich der Zusammensetzung aus zwei Vertragsärzten und zwei Mitarbeitern der Beklagten ist sichergestellt, dass ausgeschlossene oder befangene Personen im Sinne von §§ 16, 17 SGB X nicht mitwirken dürfen (§ 3 Abs. 4 Verfahrensordnung). Die Hinzuziehung von Vertragsärzten ist vor diesem Hintergrund unbedenklich, zumal sie als Mitglieder der Beklagten ohnehin keine außenstehende Dritte sind und als solche lediglich an der Selbstverwaltung teilnehmen. Die Mitglieder des Plausibilitätsausschusses sind zudem zur Verschwiegenheit verpflichtet; personenbezogene Daten dürfen auch nach Beendigung der Tätigkeit im Prüfgremium nicht unbefugt offenbart werden (§ 4 Verfahrensverordnung). Die Beklagte hat das Verfahren der Plausibilitätsprüfung außerdem als nicht öffentliches Verfahren ausgestaltet (§ 3 Abs. 6 Verfahrensverordnung). Damit werden die Belange des Datenschutzes, die in erster Linie die Patienten der Klägerin und nicht die Klägerin selbst betreffen, hinreichend gewahrt.

Dafür, dass vorliegend der Plausibilitätsausschuss nicht ordnungsgemäß eingerichtet oder mit ausgeschlossenen oder befangenen Personen besetzt und/oder nicht beschlussfähig war, liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Ermittlungen waren insoweit nicht einzuleiten. Die Beweisanträge der Klägerin sind als Beweisausforschungsanträge unzulässig. Beweisanträge, die so unbestimmt bzw. unsubstantiiert sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken soll bzw. die allein den Zweck haben, dem Beweisführer, der nicht genügend Anhaltspunkte für seine Behauptungen angibt, erst die Grundlage für substantiierte Tatsachenbehauptungen zu verschaffen, brauchen dem Gericht eine Beweisaufnahme nicht nahezulegen (BSG, Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R -, in juris).

Dass der Ausgangsbescheid von der Leiterin der Geschäftsstelle und nicht von einem Mitglied des Plausibilitätsausschusses unterzeichnet worden ist, führt nicht zur formellen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Aus der Verfahrensordnung der Beklagten ergibt sich nicht, dass die Geschäftsstelle des Plausibilitätsausschusses nicht den die Entscheidung des Ausschusses ausführenden Bescheid unterzeichnen und insoweit nicht als Beauftragte der Beklagten im Sinne von § 33 Abs. 3 Satz 1 SGB X auftreten darf. Es ist auch nicht zu bestanden, dass die Verfahrensordnung nicht vorsieht, dass die Ausschussmitglieder namentlich genannt werden und/oder diese den Bescheid zu unterzeichnen haben. Auf Grundlage des § 13 RL § 106a SGB V obliegt es der Selbstverwaltung der Beklagten innerhalb ihrer Körperschaft des öffentlichen Rechts die Zuständigkeit und das Verfahren zu regeln. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht ist nicht gegeben. Eine Regelung mit der Verpflichtung die Namen ihrer Mitglieder aufzuführen, wie sie für Gerichte (vgl. z.B. § 136 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und zum Teil für Ausschüsse der gemeinsamen Selbstverwaltung wie die Zulassungsgremien nach § 96 f. SGB V (vgl. §§ 41 Abs. 4 Satz 2, 45 Abs. 3 Ärzte-ZV <Zulassungsverordnung für Vertragsärzte>) gelten, existiert für den Plausibilitätsausschuss nicht. Abgesehen davon, stünde einer Aufhebung des Bescheids § 42 SGB X entgegen, weil offensichtlich ist, dass die Verletzung etwaiger Pflichten zur Benennung bzw. Unterschrift der Mitglieder die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die Entscheidung des Plausibilitätsausschusses ist bereits am 06.06.2016 getroffen worden, so dass die Form des ausführenden Bescheides vom 21.06.2016 hierauf keinen Einfluss gehabt haben kann. In der fehlenden Benennung der Mitglieder bzw. den fehlenden Unterschriften läge auch kein besonders schwerwiegender zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts führender Fehler (zur fehlenden Benennung der Mitglieder des Widerspruchsausschusses und deren fehlende Unterschrift BSG, Beschluss vom 05.07.2018 - B 13 R 32/15 BH -, in juris).

Allerdings hat die Beklagte die Klägerin vor Erlass des Richtigstellungsbescheids vom 21.06.2016 nicht – wie erforderlich (§ 24 Abs. 1 SGB X; s. auch § 9 Abs. 2 der Verfahrensordnung der Beklagten) – angehört. Dieser Verfahrensmangel führt an sich zur Aufhebung des Bescheids (§ 42 Satz 2 SGB X), ist hier aber unbeachtlich, weil die Anhörung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wirksam nachgeholt worden ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 SGB X). Die Heilung eines Anhörungsmangels kann während des Widerspruchsverfahrens erfolgen, wenn dem Betroffenen hinreichende Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (BSG, Urteil vom 29.11.2017 - B 6 KA 33/16 R -, in juris). Das war hier der Fall. Die Beklagte hatte in dem Bescheid vom 21.06.2016 alle entscheidungserheblichen Tatsachen mitgeteilt. Die Klägerin hat im Rahmen des Widerspruchsverfahrens damit ausreichend Gelegenheit gehabt, vor einer abschließenden Verwaltungsentscheidung hierzu sachgerecht Stellung zu nehmen.

(2) Der Bescheid der Beklagten vom 21.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 ist materiell rechtswidrig, soweit die Beklagte die GOP 01510 EBM (einschließlich der regionalen Zusatzpauschale GOP 99983) wegen der Diagnose „myelodysplastisches Syndrom“ gestrichen hat.

(a) Für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG und des Senats in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich (so BSG, Urteil vom 25.11.2020 - B 6 KA 14/19 R -, in juris, Rn. 18 und Urteil vom 11.09.2019 - B 6 KA 22/18 R -, in juris, Rn. 13 m.w.N.; Urteil des Senats vom 16.03.2016 - L 5 KA 5268/12 -, in juris). Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des EBM - des Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 1 SGB V - ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw. Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist nur dann, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden. Diese Grundsätze gelten auch für die den Vergütungsbestimmungen vorangestellten allgemeinen Bestimmungen des EBM (BSG, Urteil vom 11.09.2019 - B 6 KA 22/18 R -, in juris, Rn. 13, mwN). Soweit der Wortlaut einer Leistungslegende des EBM für die ärztlichen Leistungen nicht eindeutig ist, können auch die der Leistung zugeordneten Kalkulations- und Prüfzeiten zur Auslegung herangezogen werden (BSG, Urteil vom 15.07.2020 - B 6 KA 15/19 R -, in juris).

(b) Die streitige GOP 01510 EBM hatte im streitgegenständlichen Zeitraum folgenden Wortlaut:

„Zusatzpauschalen für Beobachtung und Betreuung

Obligater Leistungsinhalt

  • Beobachtung und Betreuung eines Kranken mit konsumierender Erkrankung (fortgeschrittenes Malignom, HIV-Erkrankung im Stadium AIDS) in einer Arztpraxis oder praxisklinischen Einrichtung gemäß § 115 Abs. 2 SGB V, in ermächtigten Einrichtungen oder durch einen ermächtigen Arzt gemäß §§ 31, 31a Ärzte-ZV unter parenteraler intravasaler Behandlung mittels Kathetersystem
  • und/oder Beobachtung und Betreuung eines Kranken in einer Arztpraxis oder praxisklinischen Einrichtung gemäß § 115 Abs. 2 SGB V unter parenteraler intravasaler Behandlung mit Zytostatika und/oder monoklonalen Antikörpern
  • und/oder Beobachtung und Betreuung eines kachektischen Patienten mit konsumierender Erkrankung während enteraler Ernährung über eine Magensonde oder Gastrostomie (PEG) in einer Praxis oder praxisklinischen Einrichtung gemäß § 115 Abs. 2 SGB V
  • und/oder Beobachtung und Betreuung einer Patientin, bei der ein i.v.-Zugang angelegt ist, am Tag der Eizellentnahme, entsprechend der Gebührenordnungsposition 08541 EBM
  • und/oder Beobachtung und Betreuung eines Patienten nach einer Punktion an Niere, Leber, Milz oder Pankreas

Fakultativer Leistungsinhalt

  • Infusion(en)

01510 Dauer mehr als 2 Stunden“

(c) Hiervon ausgehend ist es zunächst nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die streitige GOP gestrichen hat, soweit keine Indikation für die Zusatzpauschalen für die Beobachtung und Betreuung eines Kranken mit konsumierender Erkrankung vorlag. Nach der vorliegend einzig in Betracht kommenden Variante nach dem ersten Spiegelstrich ist Voraussetzung für die Abrechnung das Vorliegen einer konsumierenden Erkrankung, wobei der Wortlaut eindeutig den Kreis dieser Erkrankungen auf das fortgeschrittene Malignom und die HIV-Erkrankung im Stadium AIDS eingrenzt. Andere Erkrankungen genügen nach dem insoweit nicht auslegungsfähigen Wortlaut nicht. Soweit die Klägerin in den betroffenen Abrechnungsfällen als Diagnose Anämien angegeben hat, ist somit die Leistungslegende der GOP 01510 EBM nicht erfüllt.

Die Beklagte durfte insoweit die Honorarabrechnungen der Klägerin nachträglich korrigieren. Die Ausschlussfrist von vier Jahren (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 5/09 R -, m. w. N., in juris; BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 43/12 R -, in juris) wurde vorliegend gewahrt. Auf ein etwaiges Verschulden der Klägerin kommt es nicht an. Die (nachgehende) sachlich-rechnerische Berichtigung von Honorarabrechnungen setzt ein Verschulden des Vertragsarztes nicht voraus, sofern die Kassenärztliche Vereinigung den ergangenen Honorarbescheid – wie hier – wegen Falschabrechnung lediglich teilweise – hinsichtlich der als fehlerhaft beanstandeten Leistungsabrechnung – aufhebt und auch nur den hierauf entfallenden Honoraranteil zurückfordert, dem Vertragsarzt das Honorar im Übrigen also ungeschmälert belässt (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R -, in juris). Ermessen musste die Beklagte bei Erlass des Richtigstellungsbescheids nicht ausüben (BSG, Urteil vom 24.10.2018 – B 6 KA 34/17 R –, in juris). Fehler bei der Ermittlung der Rückforderungssumme sind nicht ersichtlich. Entgegen der Annahme der Klägerin, hat die Beklagte die Rückforderungssumme nicht geschätzt. Sie hat vielmehr den auf die konkret beanstandeten GOP einschließlich der Zusatzpauschale entfallenden Honoraranteil errechnet und zurückgefordert. 

(d) Die Beklagte durfte jedoch die GOP 01510 EBM (und die dazu gehörige Zusatzpauschale) nicht deshalb streichen, weil die Klägerin in den zum Behandlungsfall übermittelten Daten die Diagnose myelodysplastischen Syndrom (ICD-10-GM D46) angegeben hat. Die Beklagte geht fehl in der Annahme, nur die im Kap. II des ICD-10-GM unter C00-C97 gelisteten bösartigen Neubildungen könnten ein „fortgeschrittenes Malignom“ im Sinne der GOP 01510 EBM darstellen. 

Für die Wortlautauslegung medizinischer Begriffe, die in einer Gebührenordnung zur Abrechnung ärztlicher Leistungen Verwendung finden, kommt es auf den medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch an (vgl. BSG, Urteil vom 13.02.2019 - B 6 KA 56/17 R -, in juris; BSG Beschluss vom 19.07.2012 - B 1 KR 65/11 B -, in juris). Der Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw. Gebührenordnungen ist nicht zulässig, wenn die GOP auf diese Verzeichnisse nicht ausdrücklich Bezug nimmt. Der ICD-10-GM dient der Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung in Deutschland. Die Vertragsärzte sind nach § 295 Abs. 1 SGB V verpflichtet, in den Abrechnungsunterlagen für die vertragsärztlichen Leistungen die von ihnen erbrachten Leistungen einschließlich des Datums und der Diagnosen der K1 zu übermitteln, wobei zur Verschlüsselung der Diagnosen der ICD-10-GM anzuwenden ist. Die allgemeinen Bestimmungen des EBM nehmen auf die Kodes insoweit Bezug, als nach Ziff. 2.1 die Vollständigkeit der Leistungserbringung gegeben ist, wenn „die obligaten Leistungsinhalte erbracht worden sind und die in den Präambeln, Leistungslegenden und Anmerkungen aufgeführten Dokumentationspflichten - auch die der Patienten- bzw. Prozedurenklassifikation (z.B. OPS, ICD-10-GM) - erfüllt, sowie die erbrachten Leistungen dokumentiert sind“. In einzelnen Präambeln (z.B. Ziff. 2 der Präambel zur hausärztlichen geriatrischen Versorgung 3.2.4) und (Anmerkungen zu) Leistungslegenden (z.B. GOP 01223) werden bestimmte ICD-10-GM-Kodes als Abrechnungsvoraussetzung aufgeführt. Vorliegend wird weder in der Präambel zu Kap. 1 „Allgemeine Gebührenordnungspositionen“ noch in der Leistungslegende der GOP 01510 EBM der ICD-10-GM in Bezug genommen. Verweist wie vorliegend weder die Präambel noch die GOP auf den ICD-10-GM darf die Abrechnung der GOP jedenfalls dann nicht auf bestimmte ICD-10-GM-Kodes beschränkt werden, wenn die Beschränkung nicht mit der nach dem medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch vorzunehmenden Wortlautauslegung vereinbar ist. So liegt der Fall hier. 

Das myelodysplastische Syndrom gehört zu den malignen hämatologischen Erkrankungen und ist deshalb ein Malignom im Sinne der GOP 01510 EBM. Dies entnimmt der fachkundig besetzte Senat den von der Klägerin vorgelegten Fachartikeln und der ebenfalls von der Klägerin vorgelegten Stellungnahme des BNHO vom 18.12.2018. Unter Malignom ist nach dem medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch eine Krebserkrankung, d.h. eine bösartige Gewebsneubildung zu verstehen (vgl. Pschyrembel Online „maligne“ und „Krebs“). Das myelodysplastische Syndrom ist eine klonale Erkrankung der hämatopoetischen Stammzellen und konsekutive Störung von Proliferation, Differenzierung und Apoptose (Quelle: Pschyrembel Online). Das myelodysplastische Syndrom zählt mit einer Inzidenz von ca. 4 bis 5 pro 100.000 Einwohnern pro Jahr zu den häufigsten malignen hämatologischen Erkrankungen (s. „onkopedia Leitlinie“, Myelodysplastische Syndrome <MDS>, herausgegeben von der DGHO, S. 4, unter Verweis auf Neukirchen/Schoonen/Strupp et al., Leukemia Research 35:1591-1596, 2011; s. auch Germing/Kobbe/Haas/Gattermann, Myelodysplastische Syndrome: Diagnostik, Prognose- abschätzung und Therapie", Deutsches Ärzteblatt, Jahrgang 110, Heft 46, 15.11.2013, Seite 783; Bonadies/Rüfer, Schweizer Zeitschrift für Onkologie 4/2016, S. 28). Je nach Risikogruppe variiert die mittlere Überlebenszeit zwischen fünf und 65 Monaten (Quelle: Pschyrembel Online).

Mit der Diagnose „myelodysplastisches Syndrom“ ist somit Malignität verbunden. Jedenfalls ergibt sich aus den aufgeführten medizinisch-wissenschaftlichen Quellen, dass Malignität nicht ausgeschlossen ist. Dem steht die von der Beklagten herangezogene Klassifizierungssystematik des ICD-10-GM, auch wenn diese vorliegend – wie oben dargelegt – keine entscheidende Bedeutung bei der Wortlautauslegung beigemessen werden kann, nicht entgegen. Denn ein „unsicheres“ Verhalten einer Neubildung schließt die Bösartigkeit per se nicht aus. Schließlich bestätigt auch § 1 der Onkologie-Vereinbarung, wonach auch die Erkrankungen nach ICD-10-GM D46.- unter den Anwendungsbereich fallen, das gefundene Ergebnis.  

Die Kodierung eines myelodysplastischen Syndroms (D46.-) steht somit dem Vorliegen eines „fortgeschrittenen Malignoms“ im Sinne von GOP 01510 EBM nicht per se entgegen. Hegt die Beklagte Zweifel daran, dass – etwa vor dem Hintergrund einer auffälligen Häufigkeit – in jedem der abgerechneten Fälle ein fortgeschrittenes Stadium vorlag, hat sie eine (ergänzende) Einzelfallprüfung durchzuführen. Eine Streichung allein aufgrund der Übermittlung des ICD-10-GM-Kodes D46.- scheidet aus.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt das anteilige Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten sowie den Umstand, dass der Widerspruch der Klägerin nur deshalb keinen Erfolg gehabt hat, weil die Verletzung des Anhörungsmangels nach § 41 SGB X unbeachtlich ist (BSG, Urteil vom 24.10.2018 – B 6 KA 34/17 R –, in juris, Rn. 37).

5. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

6. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

 

 

 

 

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Aus
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