L 15 BL 6/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 BL 1/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 BL 6/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Bei einer fehlenden Teilabweisung der Klage durch das Sozialgericht kann der unvollständige Urteilstenor vom Berufungsgericht grundsätzlich als offenbare Unrichtigkeit berichtigt werden.

2. Zur Annahme von Blindheit im Sinne des BayBlindG auch außerhalb der normierten Fallgruppen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bzw. der Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft bei Einäugigkeit.

 

I. Der Tenor des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Regensburg vom 22. März 2021 (S 10 BL 1/19) wird dahingehend berichtigt, dass Ziff. I wie folgt lautet:
"I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 23.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2019 verpflichtet, der Klägerin Blindengeld für hochgradig Sehbehinderte ab 01.02.2020 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen."

II. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 22. März 2021 wird zurückgewiesen.

III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

T a t b e s t a n d :

Streitgegenstand ist die Gewährung von Blindengeld an die Klägerin nach dem Bayer. Blindengeldgesetz (BayBlindG).

Die 1933 geborene Klägerin, für die ein GdB von 100 (Einzel-GdB für Verlust des Auges rechts bei Sehminderung des anderen Auges: 100) festgestellt wurde, hat bereits seit 2008 auf dem rechten Auge ein Kunstlinsenimplantat ("Glasauge") und leidet an ihrem linken Auge an einer erheblichen Sehbehinderung. Sie stellte erstmals am 11.02.2014 Antrag auf Blindengeld. Nach der Einholung eines Befundberichts von K und einer gutachterlichen Stellungnahme von S lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 08.04.2014 den Blindengeldantrag ab. Unter anderem wurde hervorgehoben, dass das Gesichtsfeld auf dem besseren linken Auge über 80° hinausreiche. Der Bescheid wurde soweit ersichtlich bestandskräftig.

Am 06.03.2018 stellte die Klägerin den streitgegenständlichen Blindengeldantrag, auf den hin der Beklagte erneut einen Befundbericht der behandelnden Augenärztin K einholte und R mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte. Dieser stellte am 06.08.2018 einen Visus von 0,1 links (mit Landoltringen, korrigiert) und als Ergebnis der Gesichtsfeldmessung (manuell-kinetisch, Prüfmarke III/4e) links superior 38°, nasal 40°, inferior ca. 48°, temporal ca. 64° fest.

Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 23.10.2018 den Antrag auf Blindengeld ab, da bei der Klägerin weder Blindheit noch hochgradige Sehbehinderung im Sinn des BayBlindG vorliege.

Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein und trug vor, dass der bei der Untersuchung am 06.08.2018 angewandte Test zur Bestimmung des Gesichtsfeldes ungeeignet gewesen sei, weil dabei der Mittelpunkt der Testscheibe gesucht und betrachtet habe werden müssen, der aber wegen der Makuladegeneration nicht habe gefunden werden können. Zudem schilderte die Klägerin den Ablauf der Untersuchung und wies unter anderem darauf hin, dass diese von einer jungen Assistenzärztin durchgeführt worden sei, die erzählt habe, dass es ihre erste Untersuchung gewesen sei.

Im Widerspruchsverfahren ordnete der Beklagte eine erneute Begutachtung der Klägerin (durch H) an. Die Klägerin wurde für den 18.03.2019 zur Untersuchung geladen. Die Klägerseite teilte jedoch mit Schriftsatz vom 17.12.2018 und mit nochmaliger formloser Mitteilung (Aktenvermerk vom 28.12.2018) mit, dass sie keine weitere Untersuchung wünsche und diese nicht für erforderlich halte. In den dem Beklagten zur Verfügung stehenden Gutachten von R und K seien alle relevanten Punkte enthalten, die für die Entscheidung über den Antrag auf Blindengeld wichtig seien. Durch ein zusätzliches Gutachten seien keine neuen oder zusätzlichen Erkenntnisse hinsichtlich der Sehbehinderung zu erwarten. Das restliche Sehvermögen werde durch unnötige, nicht gesundheitsfördernde Untersuchungen weiter geschwächt.

Daraufhin entschied der Beklagte nach Aktenlage durch Widerspruchsbescheid vom 22.01.2019, dass bei der Klägerin aufgrund des Gutachtens von R vom 06.08.2018 die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld nach dem BayBlindG nicht erfüllt seien und daher dem Widerspruch nicht abgeholfen werden könne. Leistungen nach dem BayBlindG könnten nur erbracht werden, wenn die Voraussetzungen hierfür nachgewiesen seien; erforderlich sei der Vollbeweis, der aber nicht erbracht sei.

Am 12.02.2019 hat die Klägerin hiergegen Klage zum Sozialgericht (SG) Regensburg erhoben und die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen für die Zahlung von Blindengeld nach dem BayBlindG erfüllt seien. Blinde und Sehbehinderte würden, so die weitere Begründung, vom Beklagten "systematisch und arglistig um das Blindengeld betrogen..." Wegen der ungenauen Werte bei der Sehschärfeprüfung am linken Auge und dem nicht vorhandenen rechten Auge dürfe Art. 1 Abs. 2 BayBlindG nicht zur Ablehnung für die Blindengeldzahlung herangezogen werden. Bei einer Sehschärfe von 0,1 oder weniger sei Blindheit im Sinne des BayBlindG dann anzunehmen, wenn das Gesichtsfeld so eingeengt sei, dass das Restgsichtsfeld maximal 15° Durchmesser betrage, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt blieben. Die "Gesichtsfeldeinschränkung auf 15° bei einer Sehschärfe von 0,1 im Sinne des BayBlindG" sei aber "nur dann anzuwenden", wenn ein linkes und ein rechtes Auge vorhanden seien und der Sehschärfetest und auch die Gesichtsfeldprüfung beidäugig durchgeführt würden.

Das Gericht zog das für die Techniker Krankenkasse (TK) erstellte Pflegegutachten des MDK Bayern vom 12.02.2019 bei. Darin wird beschrieben, dass der Gutachter von der Klägerin auch aus unmittelbarer Nähe nur in Form von Umrissen erkannt worden sei. Das Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld sei bei der Klägerin "vorhanden bzw. unbeeinträchtigt". Die Klägerin sei örtlich orientiert und könne mehrschrittige Alltagshandlungen steuern sowie Risiken und Gefahren erkennen. Außerhäuslich sei sie in ihrer Bewegung überwiegend unselbstständig und auf persönliche Hilfe angewiesen.
Das Gericht forderte weiter einen aktuellen Befundbericht der behandelnden Augenärztin K an, woraufhin diese am 11.04.2019 u.a. mitteilte, dass bei der Klägerin am linken Auge im Verlauf der vergangenen 18 Monate ein Visusabfall stattgefunden habe mit einem nun bestehenden Visus von 0,02. Aktenkundig sind außerdem zwei augenfachärztliche Untersuchungsbögen von K aufgrund der Untersuchungen am 01.03.2018 und am 12.03.2019, in denen für das linke Auge als bester korrigierter Fernvisus jeweils "< 0,1" vermerkt ist.
Im Befundbericht der Hausärztin K1 vom 25.04.2019 sind zahlreiche (internistische) Gesundheitsstörungen der Klägerin genannt (sowie Amaurose rechtes Auge, Makuladegeneration linkes Auge).

Am 30.04.2019 hat die Klägerin beim SG Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und beantragt, dass durch den Beklagten ärztliche Untersuchungen "an Patienten" nicht mehr angeordnet und Erklärungen zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nicht mehr eingeholt werden dürften. Der Beklagte habe bezüglich der Klägerin mehrmals ärztliche Untersuchungen in der gleichen Sache angeordnet und Daten zum Schaden der Klägerin missbraucht oder missachtet. Mit Beschluss vom 10.05.2019 (S 10 BL 7/19 ER) hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt, da dieser bereits unzulässig sei. Insbesondere bestehe insoweit kein subjektives Recht, welches eine Antragsbefugnis begründen könne; zudem würde die begehrte gerichtliche Verfügung auch der gesetzlichen Amtsermittlungspflicht (§ 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch) widersprechen.

Sodann hat das SG Beweis erhoben und die Augenärztin O mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt (§ 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Diese hat die Klägerin am 24.02.2020 untersucht. Im Gutachten vom 28.03.2020 hat die Sachverständige die Angaben der Klägerin wiedergegeben, seit 2001 habe sich das Sehvermögen langsam verschlechtert. Seit etwa 10 Jahren sei das Zeitunglesen nicht mehr möglich. Das rechte Auge sei ca. im Dezember 2008 operativ entfernt worden. O hat im Gutachten mitgeteilt, dass sich bei der Untersuchung am 24.02.2020 eine korrigierte Sehschärfe auf dem funktionell einzigen sehenden Auge links von 1/25 Lesetafel in 1 m gezeigt habe. Damit liege der Visus über dem Wert von 1/50, aber unter dem Wert von 1/20.
Die Gesichtsfelduntersuchung von O ist mit dem Gerät Oculus Twinfield erfolgt (kinetische Perimetrie). Am linken Auge sei mittels des Perimeters kein verwertbares Ergebnis zu ermitteln gewesen, daher habe eine Prüfung des Konfrontationsgesichtsfelds stattgefunden. Die Außengrenzen hätten temporal bis ca. 50°, nasal bis ca. 30°, oben bis ca. 40° und unten bis ca. 40° gereicht.
Es lägen bei der Klägerin keine Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vor, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe von nicht mehr als 1/50 gleich zu achten seien.
Die OCT der Makula des linken Auges habe eine ausgeprägte Atrophie der Photorezeptorenschicht sowie des retinalen Pigmentepithels im gesamten zentralen Bereich gezeigt. Das Bild habe demjenigen einer fortgeschrittenen Makuladegeneration mit großen Atrophiearealen entsprochen.
O hat die folgenden Diagnosen gestellt: Anophthalmus nach operativer Entfernung rechts und fortgeschrittene Makuladegeneration mit konsekutiv deutlicher Visuseinschränkung sowie Pseudophakie rechts.

Bei der Klägerin sei eine hochgradige Sehbehinderung anzunehmen, da die korrigierte Sehschärfe auf dem einzigen sehenden linken Auge 1/25 Lesetafel betrage und damit nicht mehr als 1/20. Diese Visusangabe sei glaubhaft. Der anatomische und der funktionelle Befund würden nachvollziehbar übereinstimmen, so die Sachverständige. Das Gesichtsfeld sei bei der Klägerin entsprechend der Prüfung im Konfrontationsgesichtsfeld nicht erheblich eingeschränkt. Die hochgradige Sehbehinderung ergebe sich allein aufgrund der genannten Visuseinschränkung. Sie sei sicher nachgewiesen ab der gutachterlichen Untersuchung vom 24.02.2020.

Der Beklagte hat aufgrund dieses Gutachtens mit Schriftsatz vom 25.05.2020 das Anerkenntnis abgegeben, der Klägerin in Abänderung des Bescheides vom 23.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2019 ab 24.02.2020 Blindengeld für hochgradig Sehbehinderte im Sinn des Art. 1 Abs. 3 BayBlindG zu gewähren. In der zugrunde liegenden versorgungsärztlichen Stellungnahme von B vom 15.05.2020 ist auf das Gutachten vom 06.08.2018 und die dortige Visusprüfung (links 0,1) sowie die Gesichtsfelduntersuchung (deutlich über 50° im Durchmesser) verwiesen worden; in der Zwischenzeit lägen keine weiteren augenärztlichen Befundberichte vor. Erst am 24.02.2020 sei die Klägerin erneut augenärztlich begutachtet worden und es sei nun eine Verschlechterung des Visus (links) auf 1/25 festgestellt worden. Eine Verhaltensbeobachtung sei im Gutachten nicht beschrieben worden. Es sei von einer hochgradigen Sehbehinderung auszugehen, dies seit dem Tag der Begutachtung 24.02.2020.

Die Klägerseite hat das Anerkenntnis des Beklagten nicht angenommen. Im Schreiben vom 15.06.2020 hat die Klägerin über ihren Vertreter das Anerkenntnis als einen weiteren Beweis "für die betrügerischen und beleidigenden Arbeitsmethoden im Versorgungsamt" bezeichnet. Die Daten von ärztlichen Gutachten von Patienten würden missbraucht. Sämtliche Krankheitsdaten der Augen der Patienten würden ignoriert. Selbst die vom Gesetzgeber vorgegebenen DOG-Richtlinien würden nicht befolgt.

Im Erörterungstermin vom 10.09.2020 hat der Klägerbevollmächtigte die Frage aufgeworfen, ob bei der Klägerin Fallgruppe Teil A, Nr. 6, b., gg) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) einschlägig sei ("bitemporale oder binasale Hemianopsie, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 beträgt und kein Binokularsehen besteht"). Er vertrat die Meinung, dass der Nachweis der hochgradigen Sehbehinderung bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen habe. Der Beklagtenvertreter hat sich nicht in der Lage gesehen, den Nachweis einer hochgradigen Sehbehinderung bereits zu einem Zeitpunkt vor der Untersuchung durch O anzuerkennen.

Das Gericht hat daraufhin die Sachverständige nochmals zur Frage angehört, ob die o.g. Fallgruppe der DOG-Richtlinie, wie von der Klägerseite im Erörterungstermin benannt, für die Klägerin einschlägig sei. O hat dies in ihrer ergänzenden Stellungnahme nach Aktenlage vom 30.01.2021 verneint.
Bei der Klägerin liege keine Gesichtsfeldeinschränkung oder sonstige Einschränkung der visuellen Funktion vor, die einer Blindheit nach dem Gesetz gleichzusetzen wäre.
In der Stellungnahme hat sich die Gutachterin im Einzelnen mit dem Zeitpunkt auseinandergesetzt, ab dem die hochgradige Sehbehinderung als nachgewiesen angesehen werden könne, und bestätigte nach erneuter Prüfung wiederum den erstmaligen sicheren Nachweiszeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung vom 24.02.2020. Dabei hat die Sachverständige auf die letzte zuvor dokumentierte Begutachtung (06.08.2018 bei R: korrigiert 0,1) und das Schreiben der behandelnden Augenärztin K vom 11.04.2019 verwiesen.
Über den genauen Zeitpunkt, seit dem bei der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit eine hochgradige Sehbehinderung vorgelegen habe, lasse sich keine genaue Aussage treffen. Es sei davon auszugehen, dass diese möglicherweise bereits einige Zeit - z.B. einige Monate - vor dem 24.02.2020 bestanden habe. Ein sicherer Nachweis hierüber könne anhand der vorliegenden Befunde jedoch nicht geführt werden. Dies sei auch statistisch nicht möglich, da eine Verschlechterung annähernd linear, aber ebenso auch schubförmig geschehen könne.

Auch im weiteren Erörterungstermin des SG vom 03.03.2021 ist der Rechtsstreit nicht erledigt worden. Das SG hat die beabsichtigte Entscheidung per Gerichtsbescheid angekündigt.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.03.2021 hat das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 23.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2019 verpflichtet, der Klägerin Blindengeld für hochgradig Sehbehinderte ab 01.02.2020 zu gewähren. Außergerichtliche Kosten seien nicht zu erstatten. Die Klage ist im Übrigen nicht abgewiesen worden.
In den Entscheidungsgründen hat das SG ausgeführt, dass die zulässige Klage nicht begründet sei, soweit das Klagebegehren über das vom Beklagten mit Schriftsatz vom 25.05.2020 erklärte Anerkenntnis hinaus gehe.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme - das SG hat sich auf das Gutachten der Sachverständigen O gestützt - sei bei der Klägerin das Vorliegen einer hochgradigen Sehbehinderung im Sinn des Art. 1 Abs. 3 BayBlindG ab der Untersuchung der genannten Fachärztin vom 24.02.2020 nachgewiesen. Unter Anwendung von Art. 5 BayBlindG stehe der Klägerin demnach ab 01.02.2020 Blindengeld für hochgradig Sehbehinderte zu, wobei die Anrechnungsvorschriften hinsichtlich des von der Krankenkasse gewährten Pflegegeldes (siehe auch Art. 4 BayBlindG) zu beachten seien.
Dem in Art. 2 Abs. 2 BayBlindG genannten Personenkreis könne die Klägerin noch nicht zugeordnet werden, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Sehschärfe auf ihrem verbliebenen linken Auge noch 1/25 Lesetafel betrage und damit über der Sehschärfe von 1/50 liege. Das Gericht stütze sich hier auf die Ergebnisse der sorgfältigen Untersuchung und Begutachtung durch O. Insbesondere liege bei der Klägerin auch keine Gesichtsfeldeinschränkung im Sinn der DOG-Richtlinien bzw. VG, Teil A, Nr. 6, b. gg) ("bitemporale oder binasale Hemianopsie, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 beträgt und kein Binokularsehen besteht") von einem solchen Schweregrad vor, dass sie den Betroffenen mit einem Visus von höchstens 1/50 gleichgestellt werden könnte, so das SG.
Die Kostenentscheidung beruhe auf § 193 SGG und berücksichtige die Tatsache, dass der Beklagte entsprechend dem Gutachtensergebnis der Sachverständigen ein umgehendes Anerkenntnis abgegeben habe.

Am 01.04.2021 hat die Klägerin über ihren Bevollmächtigten beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) Berufung mit der Begründung eingelegt, dass die oben genannte Fallgruppe der VG erfüllt sei. Der Klägerin sei unter Berücksichtigung "der seit 17.12.2008 zutreffenden Regel" Blindengeld zu gewähren. Weiter hat der Bevollmächtigte im Schriftsatz vom 15.06.2021 vermeintliche gravierende Fehler im Gerichtsbescheid des SG aufgezeigt. Zudem sei die Ermittlung der persönlichen Sehschärfe der Klägerin hinsichtlich der Einäugigkeit und der Makuladegeneration am linken Auge nicht durchgeführt worden. Die Zuerkennung von Blindengeld nach Art. 1 Abs. 3 BayBlindG sei ein Regelverstoß, da die Klägerin einäugig und diese Regel nur für zweiäugige Menschen zutreffend sei. Bei der Zuerkennung des Blindengelds nach der genannten Vorschrift seien schützenswerte Daten missbraucht (Sehschärfe auf dem linken Auge 1/25) und andere ignoriert (rechtes Auge Glasauge) worden. Die Höhe des Blindengelds und der Zeitpunkt des ersten Anspruchs seien falsch angenommen worden. Zudem hat der Vertreter der Klägerin eine Umrechnungsformel für die persönliche eigene Sehschärfe der Klägerin entwickelt bzw. dargestellt. Damit habe die Klägerin ab 23.12.2008 Anspruch auf Blindengeld wegen hochgradiger Sehbehinderung und ab 24.03.2014 auf Blindengeld wegen Blindheit.

Mit Bescheid vom 18.05.2021 hat der Beklagte den Gerichtsbescheid ausgeführt und eine monatliche Blindengeldzahlung (ab 01.02.2020) von 20 EUR festgesetzt.

Im Schriftsatz vom 06.07.2021 hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass bezüglich der genannten Fallgruppe der VG bitemporale oder binasale Hemianopsien im Gutachten von O nicht bestätigt worden seien. Die Vorschrift von Art. 1 Abs. 3 BayBlindG gelte selbstverständlich auch bei funktional einäugigen Menschen.

Daraufhin hat der Bevollmächtigte der Klägerin entgegnet (26.07.2021), dass letztere Behauptung falsch sei. "Diese unverschämte, menschenverachtende Lüge" sei einerseits ein Widerspruch zum Wortlaut der Vorschrift selbst, andererseits setze sie die Fallgruppe der DOG-Richtlinien außer Kraft. Die Klägerseite hat zudem auf die "Beeinflussung des Sozialgerichts Regensburg von Personen des Landesversorgungsamts mit der oben geschilderten Lüge" hingewiesen. Die zuständigen Frauen und Männer vom Versorgungsamt hätten ihre dienstlichen Verpflichtungen und auch die Verpflichtung, das Grundgesetz zu achten und zu schützen, verfehlt. Die Berufung werde nicht zurückgenommen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 22.03.2021 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 23.10.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2019 in der Fassung des Bescheids vom 18.05.2021 zu verurteilen, der Klägerin Blindengeld für hochgradig sehbehinderte Menschen (Art. 1 Abs. 3 BayBlindG) ab 23.12.2008 und Blindengeld für blinde Menschen (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ab 24.03.2014 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Der Senat hat in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden können, da diese (über ihren Bevollmächtigten) über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auch auf die Folgen ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 153 Abs. 1 SGG).

A. Der Tenor des Gerichtsbescheids des SG ist vom Senat nach § 138 SGG zu berichtigen.

Nach § 138 SGG sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil/Gerichtsbescheid von Amts wegen zu berichtigen. Berichtigt werden kann jede offenbare Unrichtigkeit auch im Tenor (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/ Schmidt, SGG 13. Aufl. 2020, § 138, Rn. 2, 3c).

Bei der hier fehlenden Teilabweisung der Klage handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit in diesem Sinn (z.B. Bolay, in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, §138, Rn. 5; vgl. auch die Entscheidung des OLG Bremen vom 22.06.1972, VersR 1973, 226). Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich des fehlenden Ausspruchs der beschlossenen Entscheidung für jeden Außenstehenden erkennbar unrichtig, da den Entscheidungsgründen eindeutig entnommen werden kann, dass die Entscheidung so getroffen werden sollte, wie sie der Berichtigungsbeschluss ausweist (z.B. Bolay, a.a.O., Rn. 8).

Die Berichtigung kann durch das BayLSG als Rechtsmittelgericht (vgl. BVerwGE 30, 146; BGH, in: NJW 1964, 1858 sowie OLG Bremen, a.a.O.) im Rahmen seiner Entscheidung über das Rechtsmittel (vgl. Urteil des BSG vom 14.02.1978 - 7/12 RAr 73/76) erfolgen. Sie wirkt ex tunc.

B. Die zulässige Berufung (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) bleibt ohne Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Blindengeld für hochgradig sehbehinderte Menschen (Art. 1 Abs. 3 BayBlindG) vor dem 01.02.2020 und von Blindengeld für blinde Menschen (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ab 24.03.2014.

1. Für den Zeitraum vor der Antragstellung im März 2018 ergibt sich dies bereits aus der Vorschrift des Art. 5 S. 1 BayBlindG bzw. aus der Bestandskraft des Ablehnungsbescheids vom 08.04.2014 (§ 77 SGG).

2. Auch im Übrigen besteht kein Anspruch der Klägerin auf Blindengeld, weil die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dies vorsieht, zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt,
2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und
1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder
2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14 - und vom 20.12.2018 - L 15 BL 6/17) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92, Beschluss vom 29.01.2018 - B 9 V 39/17 B, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R). Auch dem Vollbeweis können gewisse Zweifel innewohnen; verbleibende Restzweifel sind bei der Überzeugungsbildung unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (z.B. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, m.w.N.). Dies alles gilt ausdrücklich auch für die Verfahren bezüglich des BayBlindG, was das BSG in den Urteilen vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) und 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) klargestellt hat.

a. Die Klägerin war nicht nachgewiesen hochgradig sehbehindert im Zeitraum von der Antragstellung im März 2018 bis zu dem vom SG angenommenen Zeitpunkt der Untersuchung durch die Sachverständige O (24.02.2020). Hierfür fehlt es am notwendigen Beweis. Der Senat stützt sich in vollem Umfang auf das plausible Sachverständigengutachten der Fachärztin und macht sich deren sachverständige Feststellungen nach selbständiger Prüfung zu eigen.
Wie der Beklagte im Berufungsverfahren zutreffend darauf hingewiesen hat, kann nicht die Rede davon sein, dass die Regelung des Art. 1 Abs. 3 BayBlindG für einäugige Menschen nicht einschlägig wäre. Hierfür fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten. Wie die Sachverständige plausibel dargelegt hat, gilt hinsichtlich der Visusprüfung bei Einäugigkeit rechts der Wert des linken Auges. Dies ergibt sich im Übrigen bereits unmittelbar aus dem Wortlaut der genannten gesetzlichen Vorschrift.

b. Die Klägerin ist nicht blind im Sinne von Art. 1 Abs. 2 BayBlindG. Auch hier mangelt es am erforderlichen Nachweis im oben genannten Sinn.

Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Senat stützt sich dabei ebenfalls auf das überzeugende Gutachten von O. Die Sachverständige hat die bei der Klägerin vorliegenden Sehbeeinträchtigungen vollständig erfasst und unter Beachtung der maßgeblichen Vorgaben zutreffend gewürdigt. Der Senat macht sich die Feststellungen der genannten Sachverständigen, die auch im Wesentlichen in Übereinstimmung mit der vorliegenden Befunddokumentation und mit den Feststellungen in dem Gutachten von R stehen, nach eigener Prüfung zu eigen.

Eine Lichtlosigkeit steht bei der Klägerin nicht im Raum (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Jedoch sind auch die weiteren Voraussetzungen für einen Blindengeldanspruch (gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG, faktische Blindheit) nicht erfüllt.

Hinsichtlich des Visus folgt dies ohne Weiteres aus dem Sachverständigengutachten von O, die einen Visus von 1/25 ermittelt hat. Anhaltspunkte dafür, dass die Visusermittlung unzutreffend gewesen wäre oder irgendwelche Umrechnungen o.ä. erfolgen hätten müssen, bestehen entgegen der Auffassung der Klägerseite nicht. Auch hier kann zudem nicht angenommen werden, dass die Regelung des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG für einäugige Menschen nicht einschlägig wäre; insoweit kann auf die obigen Darlegungen verwiesen werden.

Auch sind die Voraussetzungen für die Annahme faktischer Blindheit (Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG) entsprechend den sachverständigen Festlegungen der DOG nicht erfüllt. Vor allem ist die von der Klägerseite thematisierte Fallgruppe gg) nicht einschlägig. Dies ergibt sich gemäß der zutreffenden Darlegung des Beklagten bereits daraus, dass vorliegend keine Hemianopsie, sondern Einäugigkeit gegeben ist. Bei Hemianopsien handelt es sich um Halbseiten-Ausfälle aufgrund von Schädigungen im Bereich der Sehnerven-Kreuzung, der Sehbahnen oder der Sehrinde. In diesen Fällen fehlt - je nach Lokalisation der Schädigung - beidseits die rechte oder linke Gesichtsfeldhälfte oder beidseits jeweils das nasale oder das schläfenwärtige Gesichtsfeld. Gänzlich anders verhält es sich, was naheliegend ist, im Falle der Einäugigkeit. Eine analoge Anwendung dieser Fallgruppe, wie sie die Klägerseite anscheinend anstrebt, ist daher bereits mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte nicht möglich, sodass an dieser Stelle nicht geklärt werden muss, ob Verwaltung oder Gericht berechtigt sind, über den Fallgruppenkatalog hinaus weitere Blindheitsfälle zu definieren (siehe unten). Im Übrigen erscheint es bereits lebensfremd, anzunehmen, dass die sachverständigen Festlegungen der DOG bzw. der VG eine Regelungslücke hinsichtlich der zentralen Problematik der Einäugigkeit in Kauf genommen haben oder versehentlich entstehen haben lassen.

Im Falle der Klägerin kann Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG auch nicht "ausnahmsweise" im Sinne der Rechtsprechung des Senats anerkannt werden.
Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. die Urteile vom 31.01.2013 - L 15 BL 6/07-, 05.07.2016 - L 15 BL 17/12 - und 10.04.2018 - L 15 BL 4/16) in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG nicht ausgeschlossen. Hierzu hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 31.01.2013 (a.a.O.) Folgendes ausgeführt:
"Es ist unstrittig, dass die in den VG übernommenen DOG-Richtlinien nicht exklusiv sämtliche der Blindheit gleichzuachtenden kombinierten Sehstörungen aufführen, dass also die Kriterien gemäß Teil A Nr. 6 b) VG nur beispielhaft sind [...].
Der materielle Charakter der (medizinischen) Festlegungen und auch der Wortlaut der VG lassen es zu, zur Annahme faktischer Blindheit in Ausnahmefällen Sehstörungen ausreichen zu lassen, auch wenn die jeweiligen Voraussetzungen einer der VG-Fallgruppen nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Denn die DOG-Richtlinien, auf denen die VG beruhen, sind nichts anderes als allgemeine medizinische Erfahrungssätze, die als fraglos gesichert und gänzlich verlässlich aus der Fülle des übrigen medizinischen Erfahrungswissens herausgenommen sind (vgl. hierzu Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Auflage, S. 36; Keller, in: Mayer-Ladewig/ders./ Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 128, Rdnr. 11). Zu diesen Erfahrungssätzen gehört jedoch nicht, dass sie Exklusivität beanspruchen. Dies folgt nicht nur aus medizinischer Sicht (vgl. z.B. Lachenmayr, a.a.O.), sondern auch bereits daraus, dass ein solcher Erfahrungssatz eine Tendenz zur Veränderung in sich birgt (vgl. Kater, a.a.O.) und auch insoweit bereits hinsichtlich der Absolutheit ("fraglos gesichert") selbst wieder in Frage zu stellen ist, was auch daraus ersichtlich wird, dass dem Vernehmen nach demnächst eine Änderung der Fallgruppen in den VG vorgenommen werden wird. Vor allem sind aus Sicht des Senats auch keine Gründe und auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es die Richtlinien der DOG bzw. die Festlegungen der VG ausschließen wollten, in besonderen Ausnahmefällen einem speziellen Behinderungsbild ausreichend gerecht zu werden."

Auch eine normative Bindungswirkung der VG spricht nicht entgegen. Denn eine solche gibt es, wie die jüngste Rechtsprechung des BSG ausdrücklich klargestellt hat, hinsichtlich des BayBlindG nicht. Art. 1 Abs. 2 BayBlindG weicht maßgeblich vom Blindheitsbegriff der VG ab (BSG vom 24.10.2019 - B 9 SB 1/18 R). Nach der Rechtsprechung des BSG sind die VG für die Blindheitsbegriffe in den Landesblindengeldgesetzen nicht zwingend zu beachten, weil es sich insoweit um gesetzliche Tatbestandsmerkmale und nicht um einen medizinischen Begriff handelt (Urteil vom 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R; vgl. im Einzelnen Rohrschneider/Braun, MedSach 2020, 252 <257>, m.w.N.). Einer Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG stehen nach Auffassung des Senats aber auch die intendierte möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe und somit die Ziele einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung nicht entgegen, nämlich wegen der Begrenzung der über den Fallgruppenkatalog hinausgehenden Annahme faktischer Blindheit auf außergewöhnliche Fallkonstellationen.

Zu einer solchen Ausdehnung des Blindheitsbegriffs sieht sich der Senat vorliegend aber dennoch nicht veranlasst. Auch wenn unbestritten ist, dass - neben Sehschärfe und Gesichtsfeld - vor allem das (vorliegend fehlende) räumliche Sehen, das Farbsehvermögen, das Dämmerungs- und Kontrastsehen und die Blendungsempfindlichkeit eine wesentliche Rolle spielen (vgl. z.B. Rohrschneider, MedSach 2012, 5 <8>; Urteil des Senats vom 10.04.2018, a.a.O.), wäre aus Sicht des Senats die Annahme eines speziellen Behinderungsbildes in dem vorgenannten Sinn hier nicht vertretbar. Denn nach sachverständiger Festlegung in den VG bzw. DOG-Richtlinien wird Einäugigkeit bei der Definition von Blindheit gerade nicht zusätzlich berücksichtigt, obwohl sie bei der Regelung in VG Teil B, Nr. 4 durchaus erheblich ins Gewicht fällt. Fehlendes Binokularsehen wird ausschließlich im Falle von Hemianopsien, die hier nicht vorliegen, berücksichtigt (siehe oben). Ein besonderer Ausnahmefall, insbesondere der einer Kombination mehrerer voneinander unabhängiger Sehstörungen, im Sinne der Senatsrechtsprechung liegt nicht vor. Der Senat sieht sich nicht in der Lage, sich über diese sachverständigen bzw. wissenschaftlichen Entscheidungen hinwegzusetzen, um ein anderes Verfahrensergebnis zu erzielen. Im Übrigen ergeben sich hierfür auch aus dem im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten keinerlei Anhaltspunkte.

Zu weiteren Ermittlungen besteht kein Anlass.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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