S 15 KR 2520/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 2520/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine Versorgung mit Cannabisarzneimitteln durch die gesetzliche Krankenversicherung kommt erst in Betracht, wenn geeignete, allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethoden nicht mehr zur Verfügung stehen.

 

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe:

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Versorgung mit Cannabinoiden zur Behandlung von Rückenschmerzen von seiner gesetzlichen Krankenversicherung.

 

Der am xxx geborene Kläger ist bei der Beklagten versicherungspflichtiges Mitglied in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.

 

Am xxx beantragte er unter Vorlage eines Arztfragebogens „zu Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V“, unterschrieben von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. und datiert auf den xxx, die Kostenübernahme für die Versorgung mit dem Cannabinoid „Sativex Spray“. Nach den Angaben in dem Fragebogen diene die Verordnung des Produkts der Behandlung einer chronifizierten Fibromyalgie mit schwerem Verlauf sowie als deren Folge einer depressiven Störung. Darüber hinaus bestehe eine Angststörung. Behandlungsziel sei eine Schmerzlinderung sowie Erhalt der Arbeitsfähigkeit. Die Erkrankung sei schwerwiegend, es bestehe ein starker Dauerschmerz. Vorgelegt wurde zudem ein Entlassungsbericht der A. Kliniken, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, in B. über einen stationären Aufenthalt des Klägers in dem interdisziplinären rheumatologisch-psychosomatischen Bereich der Klinik, im Zeitraum xxx bis zum xxx. Dort wurden u.a. die Diagnosen eines chronischen Schmerzsyndroms vom Fibromyalgie-Typ, eine generalisierte Angststörung sowie rezidivierende Depression aufgeführt. Zur Linderung der Schmerzproblematik sei eine Medikation mit Amiltriptylin, Novaminsulfon, Lycica 75 und Ortoton begonnen worden, wovon der Kläger jedoch jeweils nicht profitiert habe. In Bezug auf die Angststörung und die depressive Problematik werde die Vorstellung bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten und ggf. Psychiater empfohlen.

 

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (im Folgenden: MDK), welcher mit Gutachten vom xxx zu dem Ergebnis gelangte, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien. Es sei nach den vorliegenden Angaben zum Verlauf nicht eindeutig davon auszugehen, dass es sich bei dem chronischen Schmerzsyndrom des Klägers um eine schwerwiegende Erkrankung handele. Es bestehe auch keine nicht ganz fernliegende Aussicht, dass mit dem beantragten Cannabis-Produkt eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder die schwerwiegenden Symptome des chronischen Schmerzsyndroms erzielt werden könne. Es stünden therapeutische Alternativen zur Verfügung. Die Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapiealternative nicht zur Anwendung kommen könne, erscheine daher nicht begründet. Die Therapie des Fibromyalgiesyndroms solle in erster Linie aktivierend sein (Heilmittelverordnungen, Funktionstraining, Ausgleichssport, Krafttraining, Entspannungsübungen, ggf. Rehaverfahren). Falls eine Analgesie erforderlich sei, könne diese nach dem WHO-Stufenschema erfolgen.

 

Mit Bescheid vom 10.03.2020 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK ab.

 

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung legte er ein Schreiben des Dr. W. vor, wonach der Kläger von schweren chronischen Schmerzen betroffen sei und verschiedene Analgetika bzw. Muskelrelaxantien (Methocarbamol, Myopridin, Tolperison) keine hinreichende Linderung erbracht hätten. Die Behandlung mit „Sativex Spray“ habe hingegen eine grundlegende Besserung herbeigeführt.

 

Die Beklagte veranlasste erneut eine sozialmedizinische Begutachtung durch den MDK. Dieser gelangte mit weiterem Gutachten vom xxx weiterhin zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien. Im Wesentlichen stützte der Gutachter sein Ergebnis nunmehr auf alternative Therapien wie multimodale Therapie (aktivierendes Verfahren und psychotherapeutisches Verfahren) über einen längeren Zeitraum sowie medizinische Reha-Leistungen. Die Möglichkeiten der Standardtherapie seien daher nicht ausgeschöpft.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom xxx zurück. Sie verwies zur Begründung auf die Gutachten des MDK.

Hiergegen richtet sich die am xxx zum Sozialgericht Karlsruhe erhobene Klage. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, schwer erkrankt zu sein und an dauerhaften teilweisen starken Schmerzen zu leiden. Es sei eine Skoliose diagnostiziert worden. Er leide zudem an einem chronischen Schmerzsyndrom bzw. einer chronifizierten Fibromyalgie, welche mit Schädigungen der Nervenleitungen und Muskelverspannungen einhergehe. Diese Erkrankungen bedingten alltägliche starken Schmerzen, welche eine dauerhafte Medikation mit Schmerzmitteln erfordere. Die Behandlung mit „Sativex Spray“ verspreche eine Linderung der Schmerzen, wodurch der Kläger in seinem Beruf weitgehend Leistungsfähigkeit wiederherstellen und dauerhaft erhalten könne. Er sei bereits mit zahlreichen Schmerzmitteln behandelt worden, welche bis auf die streitgegenständliche THC-(Cannabis)-Medikation mit erheblichen Nebenwirkungen einhergegangen sei und keine dauerhafte Schmerzlinderung ermöglicht habe. Lediglich aus wirtschaftlichen Gründen verhelfe sich der Kläger derzeit mit der Einnahme von Opioiden, da er sich den eigenen Erwerb der Cannabis-Medikamente nicht mehr leisten könne. Diese Medikation sei jedoch mit erheblichen Nebenwirkungen wie Benommenheit, Obstipation und Harnverhalt sowie teilweise Übelkeit verbunden. Der Kläger habe einen Rechtsanspruch auf die begehrte Medikation.

 

Der Kläger hat mitgeteilt, dass er sich zum Zeitpunkt der Antragstellung bei der Beklagten und auch danach bis September 2020 selbst mit Cannabis-Medikamenten versorgt habe. Sämtliche Medikamente seien zunächst durch Dr. W. und nach dessen Eintritt in den Ruhestand durch seinen Hausarzt Dr. B. verordnet worden. Er hat ärztliche Verordnungen, jeweils auf Privat-Rezepten, vom 31.01.2020, 20.02.2020, 03.03.2020 und 28.05.2020 vorgelegt. Hieraus sind Kosten für die Selbstbeschaffung von Cannabis-Produkten (Sativex, Drobinol, Tilray Spray, Cannabisblüten) in Höhe von insgesamt 1.423,66 Euro ersichtlich.

 

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom xxx zu verurteilen, die Kosten für eine Heilbehandlung mittels Cannabinoiden zu übernehmen,

 

sowie die bereits entstandenen Kosten für die Beschaffung von Cannabinoiden zu erstatten.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger erfülle die Anspruchsvoraussetzungen nicht. Die Gutachten des MDK bestätigten nicht zweifelsfrei, das eine schwerwiegende Erkrankung bestehe. Auch könne gutachterlich nicht bestätigt werden, dass bei dem schwer ausgeprägten Fibromyalgie-Syndrom die schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft bzw. warum solche nicht anwendbar seien, obwohl diese Bestandteile der schulmedizinischen Behandlung seien. Ernsthafte Hinweise, dass Cannabis den Krankheitsverlauf von Patienten mit Fibromyalgie spürbar positiv beeinflussen könne, ergäben sich aus dem Datengemenge nicht. Allein aus dem Hinweis des Klägers auf eine Reduzierung der Beschwerden ergäbe sich keine Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Beklagte hat ein weiteres Gutachten des MDK vom xxx vorgelegt. Darin führt dieser zusammengefasst aus, dass aufgrund der insgesamt ausgeprägten Symptomatik im Falle des Klägers von einer schwerwiegenden Erkrankung auszugehen sei. Auf Grund der Datenlage bestehe auch eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht darauf, dass Cannabinoide den Krankheitsverlauf oder schwerwiegende Symptome bei Patienten mit Fibromyalgie spürbar positiv beeinflussen könnten. Jedoch könne nicht bestätigt werden, dass die nicht-medikamentösen Maßnahmen zur Behandlung von Patienten mit Fibromyalgie im Falle des Klägers ausgeschöpft seien. Es sei den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen, dass er im empfohlenen Umfang Ausdauertraining, Gymnastik und Funktionstraining absolviere. Den Ausführungen des Dr. W. sei lediglich zu entnehmen, dass Entspannungsübungen nach Jacobson und regelmäßige Bewegungsbehandlung empfohlen worden seien. Nach den Leistungsdaten der GKV seien diese jedoch nicht in Anspruch genommen worden. In den Jahren 2015 - 2018 seien keine Heilmittel-Verordnungen erfolgt, in 2019 nur je 1 x Manuelle Therapie und Massagen und in 2020 nur 1 x KG. Weiterhin sei nach den Leistungsdaten der AOK nie Psychotherapie durchgeführt worden, welche nach den maßgeblichen Leitlinien bei rezidivierender Depression und generalisierter Angststörung als relevante komorbide psychische Störungen indiziert sei. Medikamentöse antidepressive Therapie sei zuletzt 2017 (Citalopram, Sertralin), bzw. 2016 (Amitriptylin, Duloxetin) durchgeführt worden, wobei zum Effekt dieser Therapie keine Bewertung der verordnenden Ärzte vorliege.

Das Gericht hat zur medizinischen Sachverhaltsaufklärung Beweis erhoben und den behandelnden Arzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Schmerztherapie Dr. W. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat zusammengefasst mitgeteilt, dass er den Kläger seit September 2018 durchschnittlich monatlich untersucht habe. Der Kläger habe bei der Erstuntersuchung über ausgedehnte chronische Schmerzen in allen vier Körperquadranten, über Ängste, Traurigkeit und Magen-Darmbeschwerden geklagt. In psychischer Hinsicht habe er antriebsarm, trübsinnig, empfindlich, grüblerisch und zerschlagen, erschöpft und rastlos gewirkt. Es hätten sich Hinweise auf Somatisierungsstörungen - Gleichgewichtsstörungen, Erstickungsgefühl, Appetitlosigkeit, Erschöpfbarkeit, Herzklopfen, Konzentrationsminderung und Gespanntheit ergeben. Im Laufe der Behandlung seien zahlreiche Therapieverfahren verordnet und evaluiert worden, die zunächst keine Linderung erbracht hätten, bis auf Cannabis. Er verweise auch auf die Therapieempfehlungen der A. Klinik, wonach der Kläger entlassen worden sei, ohne dass auf der numerischen Analogskala ein Rückgang verzeichnet werden habe können. Er habe zusätzlich zu den vorher angewandten Behandlungsmaßnahmen Entspannungsübungen nach Jacobson und eine gastroenterologische Mitbetreuung wegen des Reizmagen-Reizdarm-Syndroms empfohlen. Es seien die Medikamente Pregabalin, Amitriptylin, Tolperison, Tramadol, Tilidin N und Methocarbamol angewandt worden, ohne anhaltenden Erfolg. Auf Cannabis habe eine Linderung der Beschwerden von 70 - 80% erreicht werden können.

Das Gericht hat sodann von Amts wegen ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers durch den Facharzt und Oberarzt für Neurologie, Sektionsleiter Schmerztherapie am S. Klinikum, Dr. F., eingeholt. Dieser hat in seinem neurologischen Gutachten vom xxx zusammengefasst ausgeführt, eine Indikation zur Cannabistherapie sei gegeben. Der Kläger leide an belastungsabhängigen Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in beide Beine sowie an einem schädlichen Gebrauch durch Opioide. Der Kläger berichte keine anderen Beschwerden und Schmerzlokalisationen, insbesondere keine Ganzkörper- oder Kopfschmerzen, so dass es keinen Hinweis auf eine Fibromyalgie oder somatoforme Schmerzstörung gebe. Auf Grund des klinischen Befundes liege auch keine psychische Komorbidität vor. In der Summe bestünden Rückenschmerzen zwar ohne somatische Ursache, die jedoch zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und Lebensqualität geführt hätten. Es könne daher von einer „schwerwiegenden“ Erkrankung ausgegangen werden. Bis auf die Durchführung einer Rehabilitation und/oder stationären multimodalen Schmerztherapie seien alle Alternativen, anerkannten Leistungen und Möglichkeiten der Therapie ausgeschöpft. Anzumerken sei auch, dass die aktuell bestehende medikamentöse Therapie mit hochpotenten Opioiden zu teils deutlichen Nebenwirkungen führe. Die Möglichkeiten einer Rehabilitation oder stationären multimodalen Schmerztherapie seien zumutbar. Ob diese in der Realität bei bereits bekanntem Erfolg einer Cannabiseinnahme wirklich zum Ziel führten, erscheine fraglich.

Die Beklagte hat daraufhin erneut ein Gutachten des MDK vom xxx vorgelegt. Im Wesentlichen verweist der MDK hierin weiterhin auf Therapiealternativen. Zur Behandlung einer Fibromyalgie stehe Ausdauertraining, Gymnastik und Funktionstraining, sowie Psychotherapie bei relevanten psychischen Begleiterkrankungen, zur Behandlung der Depression Psychotherapie, sowie medikamentöse antidepressive Therapie, zu der bisher lediglich Citalopram, Sertralin (2017), sowie Amitriptylin und Duloxetin (2016) eingesetzt worden seien, zur Behandlung der generalisierten Angststörung stehe Psychotherapie, sowie Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSR1s) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) und zur Therapie der Rückenschmerzen ohne somatisches Korrelat weitere orthop. Diagnostik, leitliniengerechte Therapie, Schmerztherapie und rehabilitative Verfahren zur Verfügung.

In seiner ergänzenden Stellungnahme hierzu gibt der Sachverständige Dr. F. unter dem xxx an, dass der Kläger angegeben habe an acht selbst bezahlten Psychotherapiesitzungen ohne Erfolg bzgl. der Symptomatik teilgenommen zu haben. Dies seien sicherlich nicht die üblichen 25 Sitzungen, sie ergäben jedoch einen Hinweis auf den vermutlich fehlenden Effekt. Allerdings lägen hierüber keine Berichte vor. Der Kläger habe 2018 eine psychosomatische Rehabilitation in den A. Kliniken absolviert, in der in jedem Fall auch eine Psychotherapie Bestandteil der Maßnahmen gewesen sei. Das Argument des MDK, es stünden nun eine orthopädische Behandlung und auch rehabilitative Verfahren noch zur Verfügung, sei nicht schlüssig, da eine „orthopädische Behandlung" in der Regel eine intensive Physiotherapie und die Gabe von Analgetika umfasse. Beides sei vom Kläger durchgeführt worden. Die Rehabilitation habe nicht als orthopädische Maßnahme, sondern als psychotherapeutische Rehabilitation stattgefunden, was im konkreten Fall jedoch gleichzusetzen sei. In den Gutachten des MDK werde in erster Linie auf das Fibromyalgie-Syndrom oder eine psychische Symptomatik eingegangen. Resultat der Begutachtung sei jedoch eine Lumboischialgie ohne gravierende somatische Ursache mit nachgewiesener erheblicher Beeinträchtigung der Lebensqualität. Für eine Beeinträchtigung der Lebensqualität sei es nicht maßgeblich, dass eine erklärende somatische Ursache vorliege, da Schmerzen in jedem Fall ein subjektives Erleben darstellten. Allein die nicht durchgeführte multimodale Schmerztherapie bleibe als nicht ausgeschöpfte Maßnahme. Hier sei bereits auf einen Zielkonflikt hingewiesen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die elektronische Gerichtsakte sowie die von dem Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 10.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom xxx stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Versorgung mit Cannabisarzneimitteln sowie auf Erstattung der ihm bisher entstandenen nachgewiesenen Kosten i.H.v. 1.423,66 Euro.

Statthafte Klagearten stellen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) dar. Der Kläger hat ärztliche Privat-Verordnungen, in denen die Abgabe gegen genau dokumentierte Kosten in Höhe von insgesamt 1.423,66 Euro für bereits selbstbeschaffte Cannabisarzneimittel durch die jeweilige Apotheke quittiert wurde, vorgelegt. Die Klage ist somit auch auf Erstattung der bereits entstandenen Kosten für die Selbstbeschaffung gerichtet.

  1. Der Kläger hat keinen Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabis.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 31 SGB V). Gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn (1.) eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung (a) nicht zu Verfügung steht oder (b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann und (2.) eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Nach § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V bedarf die Leistung bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.

  1. Vorliegend fehlt es bereits an einer ordnungsgemäßen vertragsärztlichen Verordnung der begehrten Cannabismedikation. Eine solche ist weder den überlassenen ärztlichen Unterlagen und auch der Verwaltungsakte nicht zu entnehmen. Klägerseits wurden lediglich Privat-Verordnungen überlassen.

Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung bedarf zu seiner Realisierung der Konkretisierung im Einzelfall, die eine vertragsärztliche Verordnung gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V auf dem entsprechenden Formblatt erfordert (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – L 11 KR 772/19 –, Rn. 40, juris m.w.N., derzeit Revision anhängig BSG, B 1 KR 21/21 R). Bei der hier streitigen Versorgung mit Cannabisarzneimitteln muss die Verordnung zudem auf einem Betäubungsmittelrezept erfolgen (§ 11 Abs. 5 Satz 1 Arzneimittel-Richtlinie (AMRL) i.V.m. § 13 Abs. 2 Satz 1 Betäubungsmittelgesetz (BtmG) und § 8 Abs. 1 Satz 1 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV), welches die in § 9 BtMVV vorgeschriebenen Angaben enthält. Ein Privatrezept bzw. privatärztliches Betäubungsmittelrezept genügt hierfür nicht, weil damit allein nur das Vorliegen der Voraussetzungen des Betäubungsmittelrechts bestätigt werden, nicht aber die Voraussetzungen gemäß § 31 Abs. 6 SGB V (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – L 11 KR 772/19 –, Rn. 40, juris, derzeit Revision anhängig BSG, B 1 KR 21/21 R).

Zwar ist es in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass der Vertragsarzt in Fällen unklarer Verordnungen - insbesondere bei einem medizinisch umstrittenen Arzneimitteleinsatz bzw. in Fällen eines Off-Label-Use - der Krankenkasse als Kostenträger eine Vorab-Prüfung ermöglichen muss, ob sie die Verordnungskosten übernimmt, wenn er sich nicht dem Risiko eines Regresses aussetzen will. Diese "Vorab-Prüfung" kann zum einen vom Arzt selbst veranlasst werden, zum anderen durch den Versicherten, der nach § 13 Abs. 3 SGB V Kostenerstattung begehrt: Ein gängiger Weg ist es, dem Versicherten ein Privatrezept auszustellen und es diesem zu überlassen, sich bei seiner Krankenkasse um Kostenerstattung zu bemühen. Der Vertragsarzt kann aber auch zunächst selbst bei der Krankenkasse deren Auffassung als Kostenträger einholen und (erst) im Ablehnungsfall dem Patienten ein Privatrezept ausstellen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – L 11 KR 772/19 –, Rn. 41, juris m.w.N., derzeit Revision anhängig BSG, B 1 KR 21/21 R).

Diese Grundsätze gelten jedoch nicht, wenn das Gesetz - wie in § 31 Abs. 6 SGB V vorgesehen - ausnahmsweise die Genehmigung einer Arzneimittelverordnung vorsieht. In diesem Fall handelt es sich nicht um eine Vorab-Prüfung, sondern um eine endgültige Prüfung der vertragsärztlichen Verordnung (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – L 11 KR 772/19 –, Rn. 41, juris, derzeit Revision anhängig BSG, B 1 KR 21/21 R). Das Risiko eines Arzneiregresses stellt sich hier nicht, weil der Versicherte die Leistung bei einer Versagung der Genehmigung nicht als Sachleistung erhalten kann. Es besteht deshalb auch kein Grund für die Ausstellung eines Privatrezeptes. Wird die ErstVerordnung von der Krankenkasse genehmigt, bedürfen weitere Verordnungen keiner Genehmigungen mehr (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – L 11 KR 772/19 –, Rn. 40, juris, derzeit Revision anhängig BSG, B 1 KR 21/21 R).

  1. Aber auch im Übrigen sind die Voraussetzungen nach § 31 Abs. 6 SGB V nicht erfüllt.

Es kann zunächst dahin gestellt bleiben, ob eine „schwerwiegende Erkrankung“ i.S.d. § 31 Abs. 6 SGB V vorliegt. Der Begriff der „schwerwiegenden Erkrankung“ wird in § 31 Abs. 6 SGB V nicht definiert. Nach der Gesetzesbegründung soll der Anspruch auf Versorgung mit Cannabisarzneimitteln nur in „eng begrenzten Ausnahmefällen“ gegeben sein (BT-Drs. 18/8965 S 14 und 23). Da die Versorgung mit Cannabis als Ersatz für eine nicht zur Verfügung stehende oder im Einzelfall nicht zumutbare allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung konzipiert ist, ist es sachgerecht, den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung so wie in § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V zu verstehen (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2021 – L 11 KR 2148/20 –, Rn. 29, juris m. zahlreichen w. N.). Daher muss es sich um eine Erkrankung handeln, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt (BSG 26.09.2006, B 1 KR/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 5). Der Kläger leidet nach Angaben des ehemals behandelnden Arztes Dr. W. sowie gem. Entlassungsbericht der A. Kliniken vom xxx unter anderem an einem chronischen Schmerzsyndrom vom Fibromyalgie-Typ, einer generalisierten Angststörung sowie einer rezidivierenden Depression. Nach dem Gutachten von Amts wegen des Dr. F. vom xxx bestehen hingegen belastungsabhängige Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in beide Beine seit 2015 ohne Hinweise auf eine Fibromyalgie, somatoforme Schmerzstörung oder komorbide psychische Erkrankungen. Der Kläger hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass er durch die Folgen seiner Erkrankung erheblich in seiner Lebensführung beeinträchtigt ist. So kann er ohne Einnahme von Opioiden derzeit keiner geregelten Arbeits- bzw. Ausbildungstätigkeit, keinen sportlichen Aktivitäten und auch keinem altersentsprechenden strukturierten Tagesablauf nachgehen.

Welche Erkrankung definitionsgemäß tatsächlich vorliegt und ob diese vorliegend in ihrer Ausprägung eine schwerwiegende Erkrankung darstellt, lässt die Kammer dennoch ausdrücklich offen, denn es stehen in jedem Fall noch allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen zur Verfügung, um sowohl ein etwaiges chronisches Schmerzsyndrom mit komorbiden psychischen Erkrankungen als auch eine etwaige Wirbelsäulenerkrankung zu behandeln.

  1. Insofern fehlt es auch an einer für den Einzelfall des Klägers begründeten Einschätzung seiner behandelnden Vertragsärzte, die unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Klägers nachvollziehbar ausführt, dass und warum eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapie bei dem Kläger nicht zur Anwendung kommen kann (§ 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 b) SGB V). Das Gesetz überantwortet die Verantwortung für den Therapieversuch mit Cannabinoiden dem behandelnden Arzt und begründet für diesen eine Einschätzungsprärogative. Kehrseite davon ist allerdings, dass der behandelnde Arzt/die Ärztin die entsprechende Einschätzung begründet nach außen darlegt und damit vor allem die (ärztliche) Verantwortung für den Therapieversuch wahrnimmt. Ausgehend davon liegt zwar eine Stellungnahme des den Kläger ehemals behandelnden Dr. W. im Rahmen des Arztfragebogens vom xxx sowie der schriftlichen Zeugenauskunft gegenüber dem Gericht vom xxx vor. Dieser führt aber weder dezidiert auf, welche Therapiealternativen noch in Betracht kommen, noch warum sie konkret nach seiner Einschätzung für den Kläger nicht zur Anwendung kommen sollen.

So stehen für die Diagnose einer chronischen Schmerzstörung / Fibromyalgie Behandlungsalternativen zur Verfügung. Dr. W. hat, ebenso wie die behandelnden Ärzte der A. Kliniken komorbide psychische Erkrankungen (Angststörung, rezidivierende Depression) festgestellt, die nach Aktenlage zu keinem Zeitpunkt ausreichend psychiatrisch bzw. psychotherapeutisch behandelt wurden. Zwar befand sich der Kläger nachweislich seit 2018 in regelmäßiger Behandlung bei dem Neurologen/Psychiater und Schmerztherapeuten Dr. W.. Dort erfolgte jedoch im Wesentlichen eine medikamentöse und keine psychotherapeutische Behandlung. Psychotherapeutische Verfahren stellen jedoch einen wichtigen Baustein in der Therapie von Schmerzsyndromen dar, dies gilt vor allem dann, wenn sich psychische Begleiterkrankungen erkennen lassen oder wenn die Symptomatik sich über einen längeren Zeitraum bei überwiegend somatisch orientierter Therapie nicht adäquat bessert (vgl. Birklein F. et al., Diagnostik und Therapie komplexer regionaler Schmerzsyndrome (CRPS), S1-Leitlinie, 2018; in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 27.01.2022). Entsprechend empfahlen die behandelnden Ärzte der A. Kliniken in dem Entlassungsbericht vom xxx auch die Vorstellung bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten. § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V lässt als Kriterien der ärztlichen Entscheidung die zu erwartenden Nebenwirkungen und die Berücksichtigung des Krankheitszustandes eines Patienten zu. Dr. W. hat aber zu keinem Zeitpunkt begründet, dass eine leitliniengerechte psychotherapeutische Behandlung mit dem Krankheitszustand des Klägers nicht vereinbar wäre bzw. schwerwiegende Nebenwirkungen für den Kläger begründen würde. Warum der Kläger von einer solchen Therapie nicht profitieren sollte, obwohl dies auch die behandelnden Ärzte der A. Kliniken empfohlen hatten, erschließt sich bei Lektüre der ärztlichen Stellungnahmen des Dr. W. nicht. Dieser hat lediglich ausgeführt, dass die medikamentösen Therapiemöglichkeiten auf Grund fehlender Wirkung oder Nebenwirkungen ausgeschöpft seien. Eine Überweisung zur ambulanten Psychotherapie hat er nicht vorgenommen. In Kenntnis der klägerischen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung, wonach Dr. W. bei einem ihm bekannten Psychotherapeuten einige Sitzungen als „Gefälligkeit“ initiiert habe, erschließt sich der Kammer nicht, weshalb keine leitliniengerechte Psychotherapie verordnet wurde. In Anbetracht des durch Dr. W. im Rahmen der gerichtlichen Zeugenauskunft mitgeteilten psychischen Befundes (antriebsarm, trübsinnig, empfindlich, grüblerisch und zerschlagen, erschöpft und rastlos, Hinweise auf Somatisierungsstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Erstickungsgefühl, Appetitlosigkeit, Erschöpfbarkeit, Herzklopfen, Konzentrationsminderung und Gespanntheit) sowie der Empfehlung der A. Kliniken kann die erkennende Kammer diese Verfahrensweise nicht nachvollziehen. Es fehlt daher eine vom Gesetz geforderte nachvollziehbare Angabe, warum eine regelmäßige ambulante Psychotherapie nicht möglich gewesen sein soll, obwohl die maßgeblichen Leitlinien eine klare Empfehlung hierfür geben und der Arzt komorbide psychische Störungen diagnostiziert hat. Soweit der Kläger die überfüllten Wartelisten bei niedergelassenen Psychotherapeuten heranführt, so stellt dies keinen beachtlichen medizinischen Grund dar. Soweit Dr. F. in seinem Gutachten vom xxx mitgeteilt, hat, der Kläger habe angegeben, acht psychotherapeutische Sitzungen auf eigene Rechnung durchgeführt, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Zum einen hat Dr. F. selbst festgestellt, dass über diese Sitzungen keine Berichte vorliegen. Diese hat der Kläger auch nach gerichtlicher Anforderung nicht überlassen. Somit steht überhaupt nicht fest, welche Behandlungsmaßnahmen durchgeführt wurden und ob diese einer leitliniengerechten psychotherapeutischen Behandlung von Angststörungen bzw. Depressionen gerecht wird. Zum anderen hat Dr. F. selbst mitgeteilt, dass die acht Sitzungen nicht den üblichen Umfang der psychotherapeutischen Behandlung erreicht. Die Angabe des Dr. F., wonach diese acht Sitzungen einen „Hinweis auf den vermutlich fehlenden Effekt“ ergäben, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Dies stellt eine bloße Hypothese dar, zumal der Arzt keine Kenntnis über die genauen Behandlungsinhalte hat. Zudem erscheint es aus Sicht der Kammer gerade bei psychischen Begleiterkrankungen nicht unüblich, dass diese nur auf Grund einer gewissen Behandlungsdauer bzw. –intensität gebessert oder überwunden werden können. Acht psychotherapeutische Sitzungen mit unklarem Inhalt und unklaren Behandlungsintervallen lassen keinen Schluss darauf zu, dass eine Psychotherapie keine Behandlungsalternative zu der begehrten Cannabismedikation darstellt.

Soweit Dr. F. in seinem Gutachten die Diagnose eines Rückenschmerzsyndroms ohne somatische Ursache stellt, so steht zur Überzeugung der Kammer ebenfalls als alternative Behandlungsmethode eine Psychotherapie zur Verfügung. Der Gutachter hat zwar dargestellt, dass seiner Auffassung nach keine komorbide psychiatrische Erkrankung vorliege. Jedoch kann sich die Kammer den Ausführungen des Gutachters auf Grund von einigen Widersprüchlichkeiten des Gutachtens nicht anschließen. Zum einen verweist der Gutachter auf eine fehlende multimodale Schmerztherapie, welche jedoch nach dem Entlassungsbericht der A. Kliniken während des dortigen stationären Aufenthalts vom xx2018 bis xx2018 erfolgt ist. Wie der Gutachter zu der Aussage gelangt, dass in diesem stationären Aufenthalt eine Rehabilitation zu sehen sei, erschließt sich der Kammer ebenso wenig wie die Diagnosestellung. Wenn es zutrifft, wie der Gutachter ausführt, dass bei dem Kläger eine Lumboischialgie ohne somatischen Ursachen vorliegt, so erschließt sich der Kammer nicht, weshalb nicht ein psychotherapeutisches Verfahren zielführend sein kann. In jedem Fall sind doch psychische Erkrankungen bzw. Symptome vordokumentiert, so dass auf Grund der bestehenden Leitlinien psychotherapeutische Verfahren einen wichtigen Baustein in der Therapie darstellen („vor allem wenn sich psychische Begleiterkrankungen erkennen lassen oder wenn die Symptomatik sich über einen längeren Zeitraum bei überwiegend somatisch orientierter Therapie nicht adäquat bessert“; vgl. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, a.a.o., Seite 23).

Die Kammer hat keinerlei medizinische Anhaltspunkte dafür, dass eine regelmäßige Psychotherapie unzumutbar wäre. Wenn jedoch allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen zur Verfügung stehen, kommt ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabispräparaten nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1b SGB V vorliegen, also im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann. Unabhängig von einer gewissen Einschätzungsprärogative/Therapiehoheit des behandelnden Vertragsarztes (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. April 2021 – L 9 KR 402/19 –, Rn. 30, juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2021 – L 11 KR 2148/20 –, Rn. 31, juris m. zahlreichen w.N.; siehe auch BT-Drucks 18/10902 S. 20) muss die ärztliche Einschätzung nach dem Gesetzeswortlaut die zu erwartenden Nebenwirkungen der zur Verfügung stehenden allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen darstellen. Diese Voraussetzungen sind wie bereits dargestellt nicht erfüllt.

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Versorgung mit dem begehrten Medizinal-Cannabis bestehen daher nicht, weil noch Behandlungsalternativen bestehen, die zur Anwendung kommen können.

  1. Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für das in der Vergangenheit selbst beschaffte Medizinal-Cannabis nach § 13 Abs. 3 SGB V scheitert ebenfalls daran, dass bereits kein Sachleistungsanspruch bestand. Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V kommt vorliegend schon von vornherein nicht in Betracht, da der Kläger nicht das Kostenerstattungsverfahren gewählt hatte. Auch die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Fall 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (Fall 2). Ein Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V setzt in beiden Regelungsalternativen einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sachoder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2021 – L 11 KR 2148/20 –, Rn. 34, juris m.w.N.). Wie bereits dargelegt, besteht ein solcher Sachleistungsanspruch jedoch nicht.

 

Nur der Vollständigkeit halber weist die Kammer darauf hin, dass die Kostenerstattung auf Grund der Selbstbeschaffung in Folge der ärztlichen Privat-Verordnungen vom 31.01.2020, 20.02.2020 und 03.03.2020 bereits dem Grunde nach ausscheidet. § 13 Abs. 3 Satz 1 regelt nur die Kostenerstattung für den Fall, dass eine Sachleistung zu Unrecht verweigert und der Versicherte dadurch gezwungen wurde, sich die notwendige Leistung selbst zu beschaffen. Haftungsbegründendes Tatbestandsmerkmal ist somit der Kausalzusammenhang, d.h. es kommt auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen Ablehnung und eingeschlagenem Beschaffungsweg an (Krauskopf/Wagner, 112. EL August 2021, SGB V § 13 Rn. 26, m.w.N.). Die Kosten dürfen daher erst nach Ablehnung durch die Krankenkasse entstanden sein (Krauskopf/Wagner, 112. EL August 2021, SGB V § 13 Rn. 26, m.w.N.). Ein auf die Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach ständiger Rspr. daher aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und deren Entscheidung abzuwarten (Krauskopf/Wagner, 112. EL August 2021, SGB V § 13 Rn. 26).

Nachdem die Beklagte erst mit Bescheid vom 10.03.2020 über den Antrag des Klägers entschieden hat, liegt für die selbstbeschafften Cannabisprodukte auf Grund der ärztlichen Privat-Verordnungen vom 31.01.2020 (Selbstbeschaffung am 31.01.2020), 20.02.2020 (Selbstbeschaffung am 22.02.2020) und 03.03.2020 (Selbstbeschaffung am 09.03.2020) keine Kausalität im vorstehenden Sinne vor.

 

  1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved