L 11 KR 3215/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 KR 3860/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3215/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Medizinprodukt Granudacyn.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24.09.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

 

Streitig ist die Kostenerstattung und -übernahme für das Medizinprodukt Granudacyn Wundspüllösung.

Die 1952 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin leidet an einer Wundheilungsstörung an beiden Füßen. Die Behandlung erfordert unter anderem die Versorgung der Wunden durch einen ambulanten Pflegedienst, der die Wunden desinfiziert und neu verbindet. Seit März 2020 stellt der behandelnde R Privatrezepte für Granudacyn Wundspüllösung aus, die von der Klägerin seither aus eigener Tasche bezahlt werden.

Mit Schreiben vom 05.06.2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenerstattung für die bereits angefallenen Kosten sowie die Versorgung mit der Wundspüllösung in der Zukunft. Beides lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.06.2020 ab mit der Begründung, Granudacyn Wundspüllösung sei nicht in Anlage 5 der Arzneimittelrichtlinien (AM-RL) aufgeführt.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und verwies auf die notwendige Versorgung der Wunden zur Vermeidung einer Infektionsgefahr mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen. Verbandsmaterial und Desinfektionsmittel seien notwendiger Bedarf, der zwingend von der Kasse zu übernehmen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.12.2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück unter Wiederholung ihrer bisherigen Begründung. Ergänzend wurde ausgeführt, es fehle auch an einer Arzneimittelverordnung (Kassenrezept) durch einen Vertragsarzt. Dieser habe nur Privatverordnungen ausgestellt.

Am 21.12.2020 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und ergänzend vorgetragen, ein anderes, vergleichbares Präparat sei nach Auskunft der behandelnden Ärzte nicht verfügbar. Sie hat ein ärztliches Attest des R vom 25.06.2020 vorgelegt, wonach die Klägerin seit Monaten unter Ulcera cruris beidseits mit nur minimaler Abheilungstendenz leide. Zweimal sei deshalb auch eine stationäre Behandlung in der Hautklinik H erfolgt. Weiterhin seien ständige Verbandswechsel erforderlich, dies erfolge auch mit Unterstützung einer Wundmanagerin. Die Wunden würden regelmäßig mit Granudacyn Wundspüllösung eingeweicht (20 Minuten) und gesäubert, diese antiseptische Wundreinigung sei von der Hautklinik empfohlen worden. Die Kosten für die Granudacyn Wundspüllösung sollten deshalb von der Kasse übernommen werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 24.09.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die begehrte Granudacyn Wundspüllösung sei als Medizinprodukt zugelassen. Nach § 27 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hätten Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Anspruch umfasse nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Gemäß § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V würden auch Medizinprodukte ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung miteinbezogen. Danach habe der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt seien, ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen seien. In dieser Richtlinie - der Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte in Anlage V zur Arzneimittelrichtlinie - sei die Wundspüllösung Granudacyn nicht aufgeführt. Diese Übersicht sei abschließend (§ 27 Abs 8 Satz 1 Arzneimittelrichtlinie). Vorgesehen zur Verordnung in Anlage 5 der Arzneimittelrichtlinie seien lediglich zwei Wundspüllösungen: Ringer B. Braun (zur Spülung von Wunden und Verbrennungen) sowie Ringer Fresenius Spüllösung (zur Wundspülung bei äußeren Traumen und Verbrennungen). Eine Ausnahmesituation aufgrund einer lebensbedrohlichen oder damit gleichzustellender Erkrankung im Sinne von § 2 Abs 1a SGB V liege ersichtlich nicht vor und werde von der Klägerin auch nicht geltend gemacht. Bestehe kein Anspruch auf Versorgung mit dem begehrten Produkt, scheide auch ein Erstattungsanspruch gem § 13 SGB V aus.

Gegen den am 01.10.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 13.10.2021 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingereicht. Ergänzend zur bisherigen Begründung ist ausgeführt worden, die im Arzneimittelkatalog erwähnten Wundspüllösungen seien für die Versorgung der bei der Klägerin vorliegenden Wunden nicht geeignet, da diese nicht an Verbrennungen, sondern einer infektiösen Wundheilungsstörung aufgrund eines Krankenhauskeimes leide. Bei nicht adäquater Versorgung der Wunde bestehe die Gefahr einer Sepsis oder sogar Amputation der infizierten Gliedmaßen. Somit habe die Klägerin einen Anspruch auf Kostenübernahme - auch unter Hinweis auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 30.06.2008, 1 BVR 1665/07, bzw Bundessozialgerichts (BSG) vom 02.09.2014, B 1 KR 4/13 R, NZS 2015, 24 Rn 13.

 

Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24.09.2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24.06.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.12.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr gemäß Antrag vom 05.06.2020 die Kosten für die Desinfektionslösung Granudacyn rückwirkend seit März 2020 in Höhe von 384,47 Euro zu erstatten sowie zukünftig die Kosten hierfür zu übernehmen.

 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hat auf ihr Vorbringen in der Vorinstanz sowie die Entscheidungsgründe im angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG). Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 24.06.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2020, worin die Beklagte eine Kostenerstattung für die Wundspüllösung Granudacyn sowie eine entsprechende zukünftige Kostenübernahme abgelehnt hat. Dagegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG).

Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen., weil der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Medizinprodukt Granudacyn. Das SG hat in dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 24.09.2021 die rechtlichen Voraussetzungen der begehrten Kostenerstattung und Versorgung ausführlich dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu begründen ist. Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs 2 SGG).

Lediglich ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen: Die nach § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V (auch in der ab 26.05.2020 geltenden Fassung von Art 4 Nr 1 MPEUAnpG vom 28.04.2020 <BGBl I, 960> sowie in der seit 26.05.2021 geltenden Fassung von Art 4 Nr 1 Gesetz zur Änderung des Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetzes und weiterer Gesetzes vom 12.05.2021 <BGBl I, 1087>) gesetzlich nur eingeschränkte Öffnung des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Medizinprodukte nach § 3 Nr 1 oder Nr 2 des Medizinproduktegesetzes (MPG) in der bis einschließlich 25.5.2021 geltenden Fassung (sog arzneimittelähnliche Medizinprodukte) beruht auf sachgerechten Gründen, ohne dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) zu widersprechen (vgl hierzu und zum Folgenden BSG 03.07.2012, B 1 KR 23/11 R, BSGE 111, 155-168, SozR 4-2500 § 31 Nr 21, Rn 38 unter Verweis auf BSG 08.11.2011, B 1 KR 20/10 R - juris Rn 36 mwN). Die Krankenkassen sind von Verfassungs wegen nicht gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl BVerfG 05.03.1997, 1 BvR 1071/95, NJW 1997, 3085; BVerfGE 115, 25, 45 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, Rn 28 f mwN; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, Rn 46). Das SGB V hat vielmehr arzneimittelähnliche Medizinprodukte grundsätzlich aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen, sie also dem Bereich der Eigenverantwortung des Versicherten zugerechnet (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V), mag hierfür den Versicherten auch krankheitsbedingt ein Mehraufwand entstehen. Damit trägt er der begrenzten Aufgabenstellung der GKV Rechnung, sich auf gezielte Maßnahmen der Krankheitsbekämpfung zu beschränken (vgl BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, Rn 46; vgl auch BVerfG 17.11.2010, 1 BvR 556/09).

Der GBA hat den Auftrag des Gesetzgebers zur Festlegung, in welchen medizinisch notwendigen Fällen arzneimittelähnliche Medizinprodukte ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen sind (§ 31 Abs 1 Satz 2 SGB V), in seiner AM-RL umgesetzt (vgl AM-RL idF vom 18.12.2008/22.1.2009, BAnz Nr 49a vom 31.03.2009, in Kraft getreten am 01.04.2009, zuletzt geändert am 12.10.2021 BAnz AT 11.11.2021 B3; Kapitel J: Verordnungsfähigkeit von Medizinprodukten). Die Richtlinien des GBA sind in der Rechtsprechung des BSG seit Langem als untergesetzliche Rechtsnormen anerkannt. Ihre Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten steht außer Frage (vgl § 91 Abs 6 SGB V). Da Granudacyn - wie vom SG zutreffend dargelegt - vorliegend nicht in der Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte gelistet ist, besteht hierauf kein Anspruch (vgl https://www.g-ba.de/downloads/83-691-704/AM-RL-V_2021-11-09.pdf). Ein Systemversagen, bedingt durch Untätigkeit oder rechtswidrige Verweigerung seitens des GBA (vgl hierzu BSG 03.07.2012, B 1 KR 23/11 R, BSGE 111, 155-168, SozR 4-2500 § 31 Nr 21, Rn 28), ist nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht behauptet worden.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage kommt es nicht darauf an, ob das in der Anlage V gelistete Produkt Ringer B. Braun Spüllösung als Alternative für die Klägerin zur Wundbehandlung dienen könnte. Nichtsdestotrotz weist der Senat darauf hin, dass - anders als die Klägerbevollmächtigte meint - die Ringer B. Braun Spüllösung nicht nur zur Spülung von Verbrennungen vorgesehen ist, sondern ausdrücklich ua auch zur Spülung von Wunden (vgl Spalte 2 der Anlage V zum Abschnitt J der Arzneimittel-Richtlinie, Stand 09.11.2021; vgl https://www.g-ba.de/downloads/83-691-704/AM-RL-V_2021-11-09.pdf).

Der Hinweis der Klägerbevollmächtigten auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.06.2008 - 1 BVR 1665/07 - bzw des Bundessozialgerichts vom 02.09.2014 - B 1 KR 4/13 R, NZS 2015, 24 Rn 13 - führt hier nicht weiter. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl vor allem BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25-51, zitiert auch in der von der Klägerbevollmächtigten genannten Entscheidung) ist es mit den Grundrechten aus Art 2 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, dem medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Dies entsprach in der Folgezeit auch der Rechtsprechung des BSG (vgl nur BSG 02.09.2014, B 1 KR 44/13 R) und ist zwischenzeitlich in § 2 Abs 1a SGB V ausdrücklich so normiert (eingeführt durch Art 1 Nr 1 G v 22.12.2011 I 2983 mWv 01.01.2012). Vorliegend leidet die Klägerin indes nicht unter einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Krankheit, sondern ausweislich der ärztlichen Stellungnahme des R im Schreiben vom 25.06.2020 unter einer Ulcera cruris (Unterschenkelgeschwür, „offenes Bein“). Diese mag zwar im ungünstigen Fall zu einer Sepsis führen, die wiederum in eine Amputation münden kann, doch machen theoretisch mögliche schlimme Krankheitsverläufe eine - noch leichte - Erkrankung nicht zu einer lebensbedrohlichen bzw regelmäßig (!) tödlichen in Sinne der Rechtsprechung bzw des § 2 Abs 1a SGB V. Ansonsten wäre jeder Husten lebensbedrohlich, weil er in einer tödlichen Lungenentzündung enden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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