Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 23.07.2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in einem auf die Aufhebung eines Sanktionsbescheides gerichteten Klageverfahren.
Der Kläger bezog 2020 vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Sanktionsbescheid vom 22.06.2020 stellte der Beklagte eine Minderung der Leistungen des Klägers für die Zeit vom 01.08.2020 bis zum 31.10.2020 iHv 30 Prozent des Regelbedarfs fest. Der Beklagte führte zur Begründung aus, der Kläger habe den Verlust seines Arbeitsverhältnisses durch unentschuldigtes Fehlen herbeigeführt. Der Beklagte gab in der Kopfzeile des Bescheides den Namen der zuständigen Sachbearbeiterin sowie seine Telefaxverbindung und E-Mail-Adresse an. Gemäß der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides konnte gegen den Bescheid beim Beklagten binnen eines Monats schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch eingelegt werden. Der Kläger schrieb den Beklagten am 30.06.2020 unter dem Betreff „Widerspruch“ per E-Mail an. Er wolle gegen das Schreiben vom 22.06.2020 Widerspruch einlegen, denn er habe für die Zeit ab August 2020 einen neuen Ausbildungsvertrag unterschrieben und arbeite bereits vorab bei diesem Betrieb „auf Minijobbasis“. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2020 wies der Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück. Die Einlegung eines Widerspruchs per E-Mail entspreche nicht den Formerfordernissen des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG. Der „elektronischen Form“ im Sinne dieser Vorschrift könne nur mit einer qualifizierten elektronischen Signatur entsprochen werden, die hier nicht vorliege.
Am 26.08.2020 hat der Kläger beim Sozialgericht Köln Klage gegen den Bescheid vom 22.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2020 erhoben. Die Klage ist zunächst bei der 15. Kammer des Sozialgerichts Köln geführt worden. Der Kläger hat vorgetragen, es sei ihm aufgrund ausgefallener Busverbindungen während der Coronapandemie nicht möglich gewesen, seine Arbeitsstätte pünktlich zu erreichen. Der Widerspruch sei überdies nicht verfristet gewesen. Indem der Beklagte in der Vergangenheit per E-Mail kommuniziert habe, habe er suggeriert, auch eine Widerspruchseinlegung per E-Mail sei möglich. Der Beklagte müsse sich sein Auftreten im Rechtsverkehr entgegenhalten lassen. Der Vorsitzende der 15. Kammer des Sozialgerichts hat die Beteiligten mit Verfügung vom 06.10.2020 darauf hingewiesen, die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 22.06.2020 sei möglicherweise fehlerhaft, denn sie weise nicht auf die Möglichkeit einer elektronischen Widerspruchseinlegung iSv § 36a SGB I hin. Dann sei gemäß § 66 Abs. 2 SGG eine Widerspruchsfrist von einem Jahr anzunehmen. Da der Beklagte den Kläger nach der Einlegung des Widerspruchs nicht innerhalb der Frist auf dessen Unzulässigkeit hingewiesen habe, komme auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs. 1 SGG in Betracht. Der Beklagte hat hierauf ausgeführt, er sei erst seit dem 17.08.2020 an den elektronischen Rechtsverkehr angeschlossen. Seitdem weise er in seinen Rechtsbehelfsbelehrungen auch auf die Möglichkeit der Übermittlung eines Widerspruchs durch einen Rechtsanwalt mit einer qualifizierten elektronischen Signatur hin.
Nach Übergang des Verfahrens in die 22. Kammer des Sozialgerichts Köln wies die nunmehr zuständige Kammervorsitzende die Beteiligten mit Verfügung vom 04.12.2020 daraufhin, die Zurückweisung des Widerspruchs vom 30.06.2020 als unzulässig sei nicht zu beanstanden. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 22.06.2020 sei zutreffend gewesen, denn der Beklagte sei erst am 17.08.2020 an den elektronischen Rechtsverkehr angeschlossen worden, so dass die Möglichkeit einer elektronischen Erhebung des Widerspruchs zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch gar nicht bestanden habe. Die bloße Erreichbarkeit einer Behörde per E-Mail bedeute noch nicht ihre Fähigkeit und Bereitschaft zur elektronischen Kommunikation. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor, denn die Rechtsbehelfsbelehrung weise eindeutig darauf hin, dass der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift der Behörde einzulegen sei. Das Sozialgericht hat den Kläger gebeten, zu einer möglichen Rücknahme der Klage Stellung zu nehmen. Mit Beschluss vom 21.01.2021 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt und die Beteiligten mit Verfügung vom selben Tag zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Der Kläger hat der Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit Schreiben vom 05.02.2021 zugestimmt. Mit Gerichtsbescheid vom 23.07.2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es die Ausführungen aus seiner Verfügung vom 04.12.2020 und dem Beschluss über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe vom 04.01.2021 wiederholt.
Gegen diese seinem Bevollmächtigten am 31.07.2021 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 06.08.2021 erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers. Er rügt eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs, denn der ursprünglich zuständige Vorsitzende der 15. Kammer habe zunächst noch auf eine mögliche Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung hingewiesen. Zudem liege eine Verletzung seines Anspruchs auf den gesetzlichen Richter vor, weil der Grund für die nachträgliche Zuständigkeit der 22. Kammer des Sozialgerichts Köln nicht erkennbar sei. In der Sache hätten mehrere Sozialgerichte entschieden, dass eine an den elektronischen Rechtsverkehr angeschlossene Behörde in ihren Rechtsbehelfsbelehrungen auf die Möglichkeit der elektronischen Einlegung eines Widerspruchs hinweisen müsse. Der Hinweis auf die E-Mail-Adresse des hiesigen Beklagten im Anhörungsverfahren und im Sanktionsbescheid sowie die Vorhaltung seiner Seite www.jobcenter.digital spiegelten die Möglichkeit einer Widerspruchseinlegung per E-Mail vor. Die Frage, ob einer Behörde, die ihre Erreichbarkeit per E-Mail angebe und für eine Kommunikation per E-Mail werbe, die Zurückweisung eines per E-Mail eingelegten Widerspruchs als rechtsmißbräuchlich verwehrt sei, habe grundsätzliche Bedeutung. Überdies sei der Sanktionsbescheid rechtswidrig, weil der Beklagte die vom BSG für den Fall einer Sanktionierung eingeforderte Aufhebung des Bewilligungsbescheides nicht vorgenommen habe.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) ist statthaft und zulässig. Die Berufung ist zulassungsbedürftig. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt nicht 750 € iSv § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, denn die vom Beklagten festgestellte Minderung beläuft sich auf einen Betrag iHv 350,10 € (3 x 116,70 €). Angesichts der einen Zeitraum von drei Monaten betreffenden Sanktion sind auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr iSv § 144 Abs.1 Satz 2 SGG betroffen.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist eine Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung iSv § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat eine Rechtssache, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft (Klärungsfähigkeit), deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Klärungsbedürftigkeit). Ein Individualinteresse genügt nicht. Die vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein ohne qualifizierte elektronische Signatur erhobener Widerspruch durch eine falsche Rechtsbehelfsbelehrung oder durch potentiell irreführende Angaben einer Behörde zu ihrer Erreichbarkeit per E-Mail zulässig wird, ist unabhängig von einer höchstrichterlichen Klärung nicht klärungsbedürftig, weil sich die Antwort hierauf ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften ergibt und von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl. zur Klärungsbedürftigkeit Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 160 Rn. 8). § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG benennt die Möglichkeiten der Einlegung eines Widerspruchs (schriftlich, zur Niederschrift der Behörde oder in elektronischer Form gemäß § 36a Abs. 2 SGB I, also mit qualifizierter elektronischer Signatur) abschließend. Weiter ergibt sich aus der Vorschrift des § 66 Abs. 2 Satz SGG, dass eine unterbliebene oder unrichtig erteilte Rechtsbehelfsbelehrung nicht zum Wegfall der Formerfordernisse eines Rechtsbehelfs, sondern zur Verlängerung der Frist für seine Einlegung führt. Dass auch die schuldlose Verhinderung an der fristgemäßen (formgerechten) Einlegung eines Rechtsbehelfs – so z.B. durch irreführende Angaben einer Behörde – nicht den Wegfall seiner Formerfordernisse, sondern die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründet, folgt aus § 67 Abs. 1 SGG. Die durch die vorliegende Fallkonstellation darüber hinaus potentiell aufgeworfenen Rechtsfragen, ob der fehlende Hinweis auf die Möglichkeit der Einreichung eines Widerspruchs in elektronischer Form gemäß § 36a Abs. 2 SGB I bei diesbezüglich eröffnetem Zugang zur Fehlerhaftigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung und zur verlängerten Frist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG führt (vgl. hierzu SG Darmstadt Urteil vom 12.04.2021 – S 13 KR 325/16) bzw. ob ein irreführender Hinweis der Behörde auf ihre Erreichbarkeit per E-Mail in einem Ausgangsbescheid die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand iSv § 67 Abs. 1 SGG für einen späteren formgerechten Widerspruch gemäß begründen kann (vgl. hierzu SG Hildesheim Urteil vom 03.09.2020 – S 12 AS 13/19), sind dagegen nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärungsfähig, denn der Kläger hat auch nachträglich keinen formgerechten Widerspruch eingelegt. Insbesondere ist ein solcher Widerspruch keinem der Schriftsätze des vorliegenden Verfahrens, insbesondere nicht der Klageschrift vom 25.08.2020, zu entnehmen, denn der anwaltlich vertretene Kläger macht an keiner Stelle deutlich, dass er eine erneute (inhaltliche) Befassung des Beklagten begehrt. Vielmehr beharrt er trotz umfangreicher Thematisierung der Vorschriften des § 66 Abs. 2 Satz SGG bzw. § 67 Abs. 1 SGG in den gerichtlichen Verfügungen vom 06.10.2020 und 04.12.2020 auf einer Zulässigkeit seines ursprünglichen Widerspruchs. Aktuell kommt die zulässige Einlegung eines Widerspruchs unter keinem Gesichtspunkt mehr in Betracht. Da der Kläger den Ausgangsbescheid spätestens am 30.06.2020 erhalten hat, ist auch die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG unter jedem Gesichtspunkt verstrichen. Auch die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen in Anbetracht der Vorschrift des § 67 Abs. 3 SGG nicht mehr vor; zudem war der Kläger jedenfalls mit Erhalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2020 über die Unzulässigkeit seines Widerspruchs informiert.
Auch der Berufungszulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG (Divergenz) ist nicht gegeben. Eine Divergenz liegt nur vor, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die diese Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Eine evtl. Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall begründet keine Divergenz (vgl. BSG Beschluss vom 05.10.2010 – B 8 SO 61/10 B mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen zum insoweit gleichlautenden § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 11.07.2019 – L 7 AS 689/19 NZB). Bei der Frage, ob eine Abweichung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts zu bejahen ist, beschränkt sich die Prüfung auf das zuständige Berufungsgericht (Breitkreuz/Schreiber in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl., § 144 Rn. 35). Das Sozialgericht hat keinen abweichenden Rechtssatz in diesem Sinne aufgestellt.
Ebenso wenig liegt der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor. Der Kläger macht keinen Verfahrensmangel geltend, auf dem der Gerichtsbescheid beruhen könnte. Das Abweichen des Gerichtsbescheides vom Hinweis des Sozialgerichts vom 06.10.2020 stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers iSv § 62 SGG iVm Art. 103 Abs. 1 GG dar. Eine Überraschungsentscheidung (vgl. hierzu BSG Beschlüsse vom 08.05.2019 – B 14 AS 37/18 B und vom 03.04.2014 – B 2 U 308/13 B) scheidet aus, denn die im späteren Verlauf des Verfahrens zuständige 22. Kammer hat den Kläger mit Verfügung vom 04.12.2020 und Beschluss vom 21.01.2021 – und damit mehr als ein halbes Jahr vor Erlass des Gerichtsbescheides – auf ihre geänderte Rechtsauffassung hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Dem pauschalen und nicht weiter begründeten Vortrag des Klägers, es habe sich bei der 22. Kammer des Sozialgerichts Köln nicht um den gesetzlichen Richter iSv Art. 101 Abs. 1 Satz 2 SGG gehandelt, ist nicht nachzugehen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Wechsel der Zuständigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens von der 15. Kammer auf die 22. Kammer nicht auf einem ordnungsgemäßen Beschluss des Präsidiums des Sozialgerichts Köln beruht.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).