L 15 BL 9/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 BL 5/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 BL 9/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Maßnahmen der Frühförderung für mehrfach schwerstbehinderte Kinder stellen per se regelmäßig keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen im Sinne von Art. 1 Abs. 1 BayBlindG dar.
2. Allein die Durchführung von Maßnahmen der Frühförderung für mehrfach schwerstbehinderte Kinder rechtfertigt nicht die Annahme, dass für die Betroffenen blindheitsbedingte Mehraufwendungen bestehen.

 

I. Auf die Berufung des Beklagten werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 09.04.2020 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 06.10.2017 in der Fassung des Bescheids vom 28.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2019 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

T a t b e s t a n d :

Streitgegenstand ist die Gewährung von Blindengeld nach dem Bayer. Blindengeldgesetz (BayBlindG).

Die 2015 geborene Klägerin leidet am Pallister-Killian-Syndrom. Für die Klägerin wurden ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, aG, B, H und RF festgestellt; wobei für die hochgradige Sehbehinderung und für die syndromale Erkrankung jeweils ein Einzel-GdB von 100 vergeben worden ist.

Die Klägerin beantragte am 31.08.2016 beim Beklagten die Gewährung von Blindengeld. Der Beklagte zog einen Entwicklungsbericht des Blindeninstituts B vom Oktober 2016 bei. Hiernach waren bei der Klägerin im abgedunkelten Raum tagesformabhängig Hinwendereaktionen zu einem visuellen Reiz erkennbar, im tageslichthellen Raum dagegen nicht. Nach dem orthoptischen Beobachtungsprotokoll des Blindeninstituts vom Oktober 2016 zeigte sich auch im abgedunkelten Raum keine Fixation.
Der Beklagte ließ die Klägerin sodann bei R am 29.05.2017 begutachten. Diese stellte in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 03.08.2017 fest, dass die Klägerin im abgedunkelten Raum deutlich aufmerksamer auf Reize reagiere als im hellen. Hier reagiere sie auf verschiedene Muster. Auf ein Schießscheibenmuster im Projektionskasten reagiere sie beidäugig, was beim ersten Versuch ein Visusäquivalent von 0,022 und beim zweiten Versuch von 0,041 bedeute. Die Klägerin habe bei der Untersuchung grundsätzlich die Fähigkeit gezeigt, auf visuelle Reize zu reagieren und auf einfachem Niveau zu verarbeiten. Die Klägerin habe aufgrund des Pallister-Killian-Syndroms eine Mehrfachbehinderung, die sich auf alle Entwicklungsbereiche auswirke. Von Blindheit im Sinne des BayBlindG könne deshalb nicht ausgegangen werden.

Nach Einholung einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.10.2017 die Gewährung von Blindengeld ab, da ein Visus von noch 0,04 bestehe.

Am 02.11.2017 legte die Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch ein und trug vor, dass die Feststellung im Gutachten von R nicht richtig sei, es sei eine Fixation möglich. Diese werde von der Klägerin zwar versucht, gelinge ihr aber nicht. Die Klägerin sehe nicht einmal den Löffel, der sich auf ihren Mund zu bewege. Es sei nicht zu akzeptieren, dass die Begutachtung von einer Psychologin und nicht von einem Augenarzt durchgeführt worden sei. Die Klägerin legte ergänzend einen Befundbericht der Klinik N vom 12.12.2017 über die Durchführung einer Untersuchung der visuell evozierten Potentiale (VEP) vor. Bei guter Kooperation habe kein VEP abgeleitet werden können. Es habe sich lediglich eine geringe Lichtreaktion im Dunkeln gezeigt.
Der Beklagte holte daraufhin weitere Befundberichte ein. Im Bericht des H-Förderzentrums für Kinder und Jugendliche vom 22.11.2017 ist ausgeführt, dass die Fixierung einer Lichtquelle möglich sei, ein Folgen derselben sei aber "nicht hundertprozentig" reproduzierbar. Bei der Klägerin liege eine tiefe und durchgängige soziale Beeinträchtigung vor; sie brauche ständige Betreuung bei starker Beeinträchtigung der Kommunikation.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22.03.2018 bestätigte H1, dass zwar eine hochgradige Sehbehinderung, nicht aber Blindheit vorliege. Die Klägerin sei mit einer Brille versorgt und es gebe eine Okklusionsbehandlung, was ohne Restsehvermögen sinnlos sei. Eine negative VEP-Ableitung beweise für sich gesehen noch keine Blindheit.

Mit Bescheid vom 28.03.2018 gewährte der Beklagte daraufhin beginnend zum 01.01.2018 Blindengeld für hochgradig sehbehinderte Menschen nach Art. 1 Abs. 3 BayBlindG.

Auch hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch (26.04.2018) und verwies auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R). Für einen Blindengeldanspruch sei lediglich Voraussetzung, dass es an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung "Sehen" fehle, was hier der Fall sei.

In einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 12.01.2019 (P) wurde geäußert, dass es auch nach dem BSG-Urteil vom 14.06.2018 an Blindheit fehle. Es sei ein Visusäquivalent oberhalb der Blindheitsgrenze erhoben worden. Die Erhebung mittels Schießscheibenmuster könne nicht mit einer Erhebung nach DIN gleichgesetzt werden, allerdings sei bei einem Kind eine derartige Testung auch nicht möglich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2019 wies der Beklagte die Widersprüche vom 06.10.2017 und 28.03.2018 zurück. Diese richteten sich gegen die Ablehnung des Antrags auf Zahlung von Blindengeld für blinde Menschen gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG. Leistungen nach dem BayBlindG könnten nur erbracht werden, wenn die Anspruchsvoraussetzungen "unter Vollbeweis" nachgewiesen seien. Bei der Klägerin liege eine schwere Mehrfachbehinderung mit einem schweren, körperlichen und geistigen Entwicklungsrückstand vor. Ob daneben auch Blindheit oder eine andere Blindheit gleich zu achtende Sehstörung vorliege, habe - ebenso wie Taubheit - nicht festgestellt werden können. Morphologisch finde sich an den Augen der Klägerin bzw. den Strukturen des zerebralen Sehsystems kein Befund, der Blindheit beweisen oder nahelegen könne. Schließlich verwies der Beklagte erneut auf das Visusäquivalent von 0,04; diese Sehschärfe sei oberhalb der Blindheitsgrenze.

Am 14.03.2019 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben. Zur Begründung der Klage ist darauf hingewiesen worden, dass es bei der Klägerin, bei der eine hochgradige Einschränkung aller Sinnesfunktionen vorliege, an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung "Sehen" fehle. Es liege eine der Blindheit gleichzustellende schwere Störung des Sehvermögens vor. Der Einwand der Zweckverfehlung nach der neueren Rechtsprechung des BSG treffe am ehesten auf generalisierte Leiden zu. Diese lägen bei der Klägerin nicht vor.

Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts hat das SG Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte und Therapeuten eingeholt. Unter anderem hat sich die Lebenshilfe D dahingehend geäußert (18.07.2019), dass keine gezielte Reaktion auf hell oder dunkel beobachtet habe werden können. Ein Fixieren sei in der Betreuungszeit bislang nicht beobachtet worden. Auf akustische Reize erfolge indes eine Reaktion. Sie spreche auf taktile oder vibrierende Reize an und richte ihr Handeln danach aus. Das S Zentrum für Hörgeschädigte hat mit Datum vom 19.07.2019 mitgeteilt, dass die Klägerin Lauschreaktionen zeige. Eine Förderung der visuellen Wahrnehmung erfolge nicht, da eine solche nach der bisherigen Einschätzung nicht bestehe. Dasselbe haben die Krankengymnastin D am 27.07.2019 und der Ergotherapeut M am 30.07.2019 geäußert. Die Klägerin fixiere weder die Behandler noch Gegenstände. Lediglich im abgedunkelten Raum erfolge manchmal eine Reaktion auf Licht.
Weiter hat die Blindeninstitutsstiftung ihren Entwicklungsbericht vom Juli 2019 vorgelegt. Hiernach zeige die Klägerin im tageslichthellen Raum keine beobachtbaren visuellen Reaktionen. Eine Fixation sei nicht erkennbar. Trotz aller Bemühungen sei es nicht gelungen, eine visuelle Wahrnehmung zu entwickeln. Die Klägerin habe komplexe Beeinträchtigungen und sei in allen Aktivitäten des täglichen Lebens auf umfassende Hilfe, Pflege und Betreuung angewiesen und habe einen besonderen Förderbedarf. Die institutionelle Betreuung eines nicht sehenden Kindes bedürfe eines Mehraufwandes. Die Klägerin sehe z.B. nicht, dass ein anderes Kind auf sie zu renne, ihr Buggy geschoben werde oder der Löffel mit dem Essen bereitgehalten werde. Sie sei auf die umfassende verbale Begleitung und Unterstützung durch die Erwachsenen angewiesen. Unter anderem ist noch ausgeführt worden, dass die Klägerin in der Lage sei, ihre aktuelle Stimmung angemessen zum Ausdruck zu bringen. Sie äußere differenzierte Laute. Sie zeige Bedürfnisse wie Müdigkeit und Hunger und erkenne eindeutig ihre Bezugspersonen. Sie lasse sich mittels Körperkontakts zu ihrer Mutter beruhigen.

Der Beklagte hat sich dahingehend geäußert, dass selbst bei Annahme von Blindheit bei der Klägerin der Einwand der Zweckverfehlung vorzutragen sei. Das BSG habe in seinen aktuellen Entscheidungen betont, dass aufgrund des Krankheitsbildes überhaupt blindheitsbedingte Mehraufwendungen entstehen müssten. Die Klägerin sei schon nicht in der Lage zu kommunizieren. Sie sei schwerstpflegebedürftig und in allen Verrichtungen komplett auf fremde Hilfe angewiesen. Bei dem Krankheitsbild sei es nicht vorstellbar, dass die Blindheit durch bestimmte Maßnahmen (z.B. Assistenzleistungen wie Vorlesen, Lesegeräte, spezielle EDV, Blindenführhund etc.) ausgeglichen werden könne. Zielsetzung des BayBlindG sei aber gerade, mit der Zahlung Mehraufwendungen wegen der Blindheit auszugleichen.

Die Klägerin hat hiergegen am 31.10.2019 eingewandt, dass sie weder bewusstlos sei noch im Koma liege. Sie sei in der Lage zu kommunizieren und zwar über unterschiedliche Reize wie Fühlen, Spüren, Riechen und Hören. Sie würde, wenn es der Gesundheitszustand zulasse, auch in Aktivitäten eingebunden, u.a. auch zu Ausflügen etc. Da die Wahrnehmung der Augen fehle, müssten die anderen Sinne gestärkt werden. Hier entstünde sehr wohl ein Mehrbedarf. Ein Ausgleich könne z.B. auch in den Kosten für die Übernahme von Melatoninpräparaten gesehen werden, da die fehlende Wahrnehmung von Tag und Nacht eine geregelte Produktion des Schlafhormons verhindere.

Das Gericht hat sodann ein Sachverständigengutachten von P1 (L-Universität B) auf augenfachärztlichem Gebiet vom 12.11.2019 eingeholt. Dieser hat nach ambulanter Begutachtung der Klägerin festgestellt, dass weder eine Fixation noch Folgebewegungen auf Objekte oder Lichtreize erkennbar seien. Es mangele an einer Schreckreaktion. Ein Optokinetischer Nystagmus (OKN) sei nicht erkennbar. Auch bei sehr starken Lichtreizen werde der Blick weder gezielt hin noch weg von der Lichtquelle gerichtet. Die Klägerin habe etwa einige Sekunden gänzlich ungerührt in das helle Untersuchungslicht gesehen. Ein Lidschlussreflex bei schnellem Annähern von Gegenständen fehle. Eine negative VEP-Untersuchung liege bereits vor, aufgrund von Epilepsie sei auf eine weitere verzichtet worden. Zusammenfassend sei zumindest ab dem 09.07.2018 von Blindheit auszugehen. Für die Zeit davor ließen die Akten keine eindeutigen Rückschlüsse zu.

Der Beklagte hat in einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 07.01.2010 (P) Einwendungen gegen das Gutachten erhoben. Es fehle an einem morphologischen Korrelat für die fehlenden visuellen Reaktionen. Ein einmalig negatives VEP reiche nicht aus. Die Symptome beim Pallister-Killian-Syndrom zeigten jedoch keine Progredienz. Insofern könne eine Verschlechterung seit der Begutachtung bei R nicht nachvollzogen werden. Plausibler sei die unterschiedliche Untersuchungstechnik. R habe speziell nach einem Setting für zerebral geschädigte Kinder untersucht, das auch im sog. Schwarzen Raum prüfe, d.h. unter Ausschluss störender Lichtquellen. Eine Prüfung in dieser Hinsicht seien in der LMU nicht erfolgt. Es spreche viel dafür, dass es von der Tagesform des Kindes abhänge, ob visuelle Reaktionen zu erhalten seien oder nicht. Die bloße Möglichkeit einer Erblindung sei indes nicht ausreichend.

In der Folge ist den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung hinsichtlich einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 SGG gegeben worden. Beide Beteiligten haben ihr Einverständnis mitgeteilt.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.04.2020 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 06.10.2017 und unter Abänderung des Bescheids vom 28.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2019 verurteilt, der Klägerin Blindengeld für Blinde nach dem BayBlindG ab Juli 2018 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Von den notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin habe der Beklagte 2/3 zu tragen.
Die Klägerin habe Anspruch auf Gewährung von Blindengeld für Blinde für die Zeit ab Juli 2018, nicht aber für die Zeit davor. Insoweit hat sich das SG auf das Gutachten von P1 gestützt. Die aufgenommenen visuellen Signale könnten nicht mehr genutzt werden. Diesbezüglich habe sie einen Verlust der kognitiven Verarbeitung erlitten. Es liege eine der Blindheit gleichzustellenden schwere Störung des Sehvermögens im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG vor. Entscheidend für den Anspruch auf Blindengeld sei nämlich allein, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung "Sehen" (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehle, so dass der behinderte Mensch blind sei. Es komme nicht darauf an, ob eine spezifische Sehstörung gegeben sei. Wie P1 in seinem Gutachten nachvollziehbar darlege, reagiere die Klägerin weder auf Objekte noch auf sehr helle Lichtreize. Vielmehr sehe sie auch über längere Zeiträume völlig unbeeindruckt in helles Licht. Auch sei weder ein OKN auslösbar noch eine Schreckreaktion produzierbar. Eine erkennbare Reaktion auf Licht oder gar eine Fixation hätten zu keinem Zeitpunkt beobachtet werden können. Nachvollziehbar sei Blindheit auf zerebraler Ebene begründet. Den Einwendungen des Beklagten sei nicht zu folgen. Maßgeblich sei immerhin die Sehfähigkeit der Klägerin im Hellen, nicht in einem dunklen Raum, da dies schließlich auch nicht den normalen Gegebenheiten entspreche. Hier möge im Verwaltungsverfahren zwar ein Visusäquivalent ermittelt worden sein. Inwiefern sich dies aber auf eine Sehfähigkeit im normalen Umfeld übertragen lasse, sei bereits fraglich. Jedenfalls seit Juli 2018 habe die Klägerin, so das SG, jedenfalls keine Reaktionen mehr auf Licht gezeigt. Diese Einschätzung von P1 teilten auch alle Behandler der Klägerin, seien es die Physiotherapeuten, der Ergotherapeut oder die Lebenshilfe. Bei keinem der Behandler habe die Klägerin auch nur annähernd ein visuelles Interesse oder eine Fixation gezeigt. Die visuelle Förderung sei mittlerweile auch eingestellt worden, da sie nicht mehr als erfolgversprechend angesehen worden sei. Insofern sei nach den aktuellen Entwicklungen sehr wohl davon auszugehen, dass sich die visuelle Wahrnehmung der Klägerin seit der Geburt noch verändert habe und zwar vorliegend zum Schlechten.
Der Beklagte vermöge, so das SG, auch nicht mit dem Einwand der Zweckverfehlung durchzudringen. Zwar sei die Klägerin vorliegend schwerst mehrfachbehindert und bedürfe unstreitig ein Leben lang nachhaltiger pflegerischer Betreuung. Anders als etwa im Urteil des Bayer. Landessozialgerichts (BayLSG) vom 12.11.2019 (Az.: L 15 BL 1/12) sei die Klägerin aber nicht in allen Sinnesfunktionen massiv eingeschränkt. Die Klägerin reagiere vielmehr mit ihren anderen Sinnen, um das fehlende Sehen auszugleichen. Wie die Behandler und auch P1 darlegen würden, reagiere die Klägerin auf Laute und auf Berührung mit erkennbarer und verständlicher Motorik, ebenso auf Gerüche. Sie spreche auf taktile oder vibrierende Reize an und richte ihr Handeln danach aus. Eine Stärkung aller anderen Sinne zum weiteren Ausgleich der fehlenden Sinneswahrnehmung "Sehen" sei daher durchaus angezeigt. Wie auch von Klägerseite vorgetragen könne etwa über das Blindengeld die Beschaffung von Melatoninpräparaten gefördert werden. Bei der Klägerin seien damit Aufwendungen, welche über den bloßen pflegerischen Aufwand hinausgingen, aufgrund des Vorhandenseins der anderen Sinne möglich und zur Stärkung derselben indiziert.

Am 20.04.2020 hat der Beklagte gegen den Gerichtsbescheid Berufung beim BayLSG eingelegt und diese umfangreich begründet. Zunächst sei nach Rechtsauffassung des Beklagten der Blindheitsnachweis nicht erbracht, da nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehe, dass die visuelle Wahrnehmung in blindheitsrelevantem Ausmaß aufgehoben sei. Zur Begründung hat der Beklagte insoweit auf das von R festgestellte Visusäquivalent von 0,041 verwiesen. Eine Verschlechterung seit diesem Zeitpunkt sei durch das Gutachten von P1 nicht belegt.
Jedenfalls sei der Einwand der Zweckverfehlung erfolgreich erhoben worden. Bei dem bei der Klägerin bestehenden generalisierten Leiden und die Blindheit bei weitem überlagernden Krankheitsbild sei es nicht vorstellbar, dass speziell der Mangel an Sehvermögen durch bestimmte Maßnahmen, die der Beklagte beispielhaft im Einzelnen aufgeführt hat, ausgeglichen werden könne. Diese Maßnahmen, Assistenzleistungen, Hilfsmittel und Verrichtungen seien nach dem Dafürhalten des Beklagten bei der Klägerin allesamt nicht möglich bzw. nicht erforderlich. Das SG sei insoweit nicht auf die einschlägigen Urteile des erkennenden Senats des BayLSG eingegangen: So stellten Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar. Die Klägerin sei in jeder Hinsicht schwerstpflegebedürftig und in allen Verrichtungen des täglichen Lebens vollständig von fremder Hilfe abhängig, wie das Blindeninstitut B in seinem Bericht vom Juli 2019 bestätigt habe. Des Weiteren komme es nicht entscheidend darauf an, dass noch ein Restkommunikationsvermögen auf niedrigem Niveau vorhanden sei (nämlich akustische Reize des Umfelds und Mimik oder Lautieren der Betroffenen). Soweit es um die Herstellung von Nähe oder Beruhigung der Betroffenen gehe (also um das Hören einer Stimme), reiche dies ebenfalls nicht aus, da Maßnahmen nur des psychischen Beistands keine spezifisch blindheitsbedingten Mehraufwendungen darstellen würden. Bezüglich eines Mehraufwands wegen zeitintensiver Beschäftigung sei anzumerken, dass bei der Klägerin bereits wegen der schwersten Behinderung, wegen der Immobilität und des Fehlens aktiver Handmotorik, des Greifens und des Festhaltens von Objekten kein blindheitsbedingter Mehraufwand bestehe. Die zeitintensive Beschäftigung müsse also wegen der allgemeinen Problematik der schwersten Beeinträchtigung der Klägerin erfolgen, nicht jedoch wegen Blindheit.
Zudem hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass nach seiner Auffassung die Frühförderung der Klägerin bei weitem nicht wegen der Blindheit, sondern wegen des bei ihr bestehenden generalisierten Leidens erforderlich sei. Zudem würden nach Kenntnis des Beklagten die Kosten einer Frühförderung schwerstbehinderter Kinder bereits aus öffentlichen Mitteln getragen, so dass Mehraufwendungen wegen einer Blindheit gar nicht anfallen könnten. Soweit das SG im Gerichtsbescheid ausführe, dass bei der Klägerin Aufwendungen aufgrund des Vorhandenseins der anderen Sinne möglich und zur Stärkung derselben indiziert seien, verkenne es die Vorgaben des BSG, da es doch um speziell blindheitsbedingte Mehraufwendungen gehe. Auch der Hinweis auf ein Melatoninpräparat sei nicht nachvollziehbar, da es sich um ein verschreibungspflichtiges Medikament handle und daher bei Vorliegen der medizinischen Indikation die Kosten von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen seien.

Im Schriftsatz vom 25.09.2020 hat die Klägerseite auf das Gutachten von P1 verwiesen, demzufolge von einer der Blindheit gleichzusetzenden schweren Störung des Sehvermögens im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG auszugehen sei. Unstreitig liege durch das festgestellte Pallister-Killian-Syndrom eine zerebrale Schädigung mit hochgradiger Einschränkung der Sinne vor, wodurch u.a. die visuelle Wahrnehmung massiv gestört sei. Der Bevollmächtigte hat auf die Feststellungen im Gutachten und der weiteren Behandler der Klägerin verwiesen (siehe oben). Auch hinsichtlich des Zweckverfehlungseinwands hat die Klägerseite auf die Ausführungen von P1 Bezug genommen, wonach die Klägerin nicht völlig teilnahmslos und abwesend "ihr Dasein friste", sondern auf Laute und auch auf Berührung mit erkennbarer und verständlicher Motorik ebenso wie auf Gerüche reagiere. Sie spreche sogar auf taktile bzw. vibrierende Reize an und richte ihr Handeln danach aus. Es komme immer auf den Einzelfall an. Die genannte Rechtsprechung des BSG sei auf die Klägerin nicht anwendbar. Keiner könne sagen, wie sich die Klägerin aufgrund der restlichen Sinnesfunktionen fühle. Offenbar tue ihr das Wahrnehmen von Geräuschen und vertrauten Stimmen und eventuell das Hören von Hintergrundmusik gut. Es dürfte selbstverständlich sein, dass dies mit einem gewissen Mehraufwand für die Beteiligten verbunden sei, so der Vortrag. Abschließend ist darauf hingewiesen worden, dass die Beklagtenseite für die behauptete Zweckverfehlung darlegungs- und beweislastig sei.

Sodann ist E mit der Erstellung eines Gutachtens nach Untersuchung der Klägerin beauftragt worden. In seinem neurologischen Gutachten vom 20.08.2021 hat der Sachverständige u.a. die Angaben der Eltern der Klägerin festgehalten, dass Letztere im Dunkeln auf helle Lichtreize reagieren würde, diese aber nicht fixieren könne. Die Klägerin habe die Eltern noch nie angesehen und nie fixieren können. Weiter ist beim Sachverständigen angegeben worden, die Eltern seien davon überzeugt, dass die Klägerin auf die Umwelt reagiere und auch einen eigenen Willen habe. Das könne man zwar nicht durch optische Reize auslösen, jedoch sehr gut an ihrem Verhalten beobachten. Die Klägerin würde kaum auf normale Geräusche reagieren. Wenn sie jedoch mit einer Vibration in Kontakt komme, so die Eltern, würde sie sehr gezielt darauf reagieren und z.B. dorthin greifen. Wenn man einen Gegenstand auf die Klägerin lege, greife sie mit beiden Händen dorthin und hebe den Gegenstand auch an.

Als Allgemeinbefund hat E festgestellt, dass die Klägerin in einem Kinderwagen sitzend einen reduzierten Allgemeinzustand aufweise. Während der klinischen neurologischen Untersuchung sei die Klägerin wiederholt eingeschlafen und habe sich auch nur teilweise wieder aufwecken lassen. Es finde eindeutig eine Interaktion mit der Umwelt statt in Form von Reaktionen auf Lichtreize im abgedunkelten Raum, von prompten Veränderungen der Mimik durch laute Geräusche über Kopfhörer sowie einer gezielten Exploration von Gegenständen mit den oberen Extremitäten. Die Klägerin lautiere und weine bei als mutmaßlich unangenehm erlebten Teilschritten der neurologischen Untersuchung.
Im Rahmen der Beurteilung hat der Sachverständige eine diffuse Enzephalopathie (mit generalisierten epilepsietypischen Potenzialen) festgestellt. Die Analyse des Ruhe-EEGs mit Methoden der künstlichen Intelligenz spreche für ein erhaltenes Bewusstsein der Klägerin. Die Durchführung von Blitz-VEP sei nicht durchgeführt worden, um eine Gefährdung der Klägerin zu vermeiden.

In der standardisierten klinischen Untersuchung zum Bewusstseinszustand habe die Klägerin acht von maximal 23 Punkten erreicht. Diagnostisch bestehe ein Syndrom des Minimalen Bewusstseins (minimally conscious state - MCS; im Einzelnen siehe S. 13 des Gutachtens). Es bestehe für ihn, E, kein begründbarer Zweifel daran, dass die Klägerin reproduzierbar kontaktfähig und durch taktile und akustische Reize bewusst stimulierbar sei und sich zumindest im MCS befinde. Sie befinde sich eindeutig nicht im Syndrom der reaktionslosen Wachheit ("Wachkoma").

Zusammenfassend hat der Sachverständige festgestellt, dass bei der aktuell sechsjährigen Klägerin laut Aktenlage ein Pallister-Killian-Syndrom vorliege. Bei dieser seltenen genetischen Erkrankung komme es zu einem sehr heterogenen Muster an Entwicklungsstörungen und Behinderungen. Die (o.g.) früheren Beobachtungen spiegelten sich konsistent auch in vielen weiteren Untersuchungen in der Folgezeit wider. Die Angabe der Mutter der Klägerin hinsichtlich optischer Reize habe sich auch im objektivierbaren Befund der aktuellen Begutachtung gezeigt, da die Klägerin im abgedunkelten Raum durch Beleuchten mit der Taschenlampe umgehend die Mimik verändert, die Augen weit aufgerissen und vermehrt geblinzelt habe. Es sei ihr dabei aber nicht gelungen, die Lichtquelle zu fixieren oder bei langsamer Bewegung mit dem Blick zu verfolgen. Klinisch hätten schwimmende Bulbusbewegungen imponiert.
Gleichzeitig sei die Klägerin eindeutig bei Bewusstsein und habe mimisch und mit Lautieren reagiert. Insgesamt bestehe aufgrund der Aktenlage mit ausgefallenen VEP und den klinischen Befunden im Gutachten von P1 in Zusammenschau mit den eigenen, von ihm, E, erhobenen Befunden kein Zweifel daran, dass bei der Klägerin eine schwerwiegende zentrale Verarbeitungsstörung für visuelle Reize im Sinne einer kortikalen Blindheit bestehe. Die Klägerin zeige klinisch bei normalen, tagesüblichen Lichtverhältnissen keine Fixation, keine Blickfolge, keinen Drohreflex und keinen OKN. Es sei aber auch offenkundig, dass die Klägerin im abgedunkelten Raum eine Lichtquelle wahrnehmen könne. Gleichzeitig habe er, der Sachverständige, nicht feststellen können, dass die Klägerin die Lichtquelle im Dunklen im Sinne einer bewussten Sehwahrnehmung fixieren oder verfolgen hätte können. Es sei ein seit langem bekanntes Phänomen, dass Patienten mit einer zerebralen Seh- bzw. Verarbeitungsstörung von visuellen Reizen (z.B. einer kortikalen Blindheit) trotz funktioneller Blindheit dennoch unterbewusst einfache visuelle Reize wahrnehmen könnten. Eine beobachtete Verhaltensänderung bei einer Lichtquelle im dunklen Raum belege somit aus neurologischer Sicht weder einen bestimmten Visus noch schließe sie ihn aus. Die von der Gutachterin R verwendete Methode zur Feststellung des Visus (Schießscheibenmuster, s.o.) kenne er, E, nicht und könne sie nicht beurteilen. Er sei jedoch gutachtlich aufgrund der eigenen klinischen Untersuchung ebenfalls zu der Einschätzung gelangt, dass sich die Klägerin wie eine blinde Probandin verhalte.

Weiter bestünden bei der Klägerin neben dem Pallister-Killian-Syndrom (nach Aktenlage) mit Syndrom des minimalen Bewusstseins und mit erhaltener Kontaktfähigkeit noch die Diagnosen Blindheit durch wesentliche Beeinträchtigung der optischen Reizweiterleitung im Gehirn oder Reizverarbeitung im Bewusstsein, hochgradige Hörminderung, Harninkontinenz, Stuhlinkontinenz und generalisierte Epilepsie.

Zur Frage eines Visus von 1/50 hat E ausgeführt, dass eine Aussage hierüber mit den Methoden eines neurologischen Gutachtens bei der Klägerin nicht möglich sei. Er vermöge als Neurologe nicht zu beurteilen, wie valide die Methodik und die Feststellung im Gutachten von R sei und ob hierdurch eine Aussage über eine bewusste Sehwahrnehmung oder gar einen reliablen Visus möglich sei, wenn man bedenke, dass auch eine kortikale Blindheit mit einer unbewussten Sehwahrnehmung und einer Verhaltensänderung verbunden sein könne. Er, E, habe jedoch Zweifel an einer derartigen Interpretation der Ergebnisse bei einem Kind ohne sichere Kommunikationsmöglichkeit und der Annahme einer schweren zentralen, d.h. kortikalen Sehstörung. Ob die verwendete Methodik den Anforderungen an eine objektive Sehschärfenbestimmung nach der DOG erfülle, vermöge er nicht einzuschätzen. Eine Aussage hinsichtlich einer gleich zu achtenden Stehstörung sei ihm als neurologischer Gutachter hier nicht möglich.
Bei Annahme, dass die VEP-Untersuchung im Dezember 2017 in N fachgerecht durchgeführt worden sei, belege der damalige Ausfall der kortikalen Reizantworten nach Blitzlichtstimulation eine zerebrale Störung der Weiterleitung der vom Sehapparat aufgenommenen optischen Reize bzw. deren Verarbeitung. Zu dieser Einschätzung komme er vor dem Hintergrund der klinischen Untersuchungsergebnisse. Er, der Sachverständige, habe aufgrund dieses klinischen Befunds keinen Zweifel daran, dass bei der Klägerin aufgrund der schweren Mehrfachbehinderung eine derart ausgeprägte Hirnschädigung vorliegen müsse, dass eine solche Störung auch pathophysiologisch plausibel sei. Aus medizinischer Sicht halte er angesichts der Befundkonstellation und nach Einsicht in die Originalbefunde eine erneute VEP-Ableitung nicht für erforderlich. Insgesamt könne er sich gutachtlich davon überzeugen, dass bei der Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Weiterleitung oder bewusste Verarbeitung optischer Reize aufgehoben sei, eine diesbezügliche Differenzierung sei aufgrund der vorliegenden Befunde aber nicht möglich.

Bereits das spontan beobachtete Verhalten der Klägerin mit gezielten motorischen Verhaltensweisen erfülle die Operalisierungskriterien der Definition des MCS. Die Einschätzung eines solchen decke sich auch mit den Beobachtungen der Eltern wie auch der Betreuungskräfte der schulvorbereitenden Einrichtung und der Therapeuten. Die Diagnose eines MCS werde auch durch die aktuelle EEG-Untersuchung unterstützt. Der Klägerin gelinge wegen der ausgeprägten Schwerhörigkeit nur eine geringe Reaktionsfähigkeit auf auditive Stimulation, jedoch eine ausgeprägte auf Vibrationen und Schwingungen. Auch das übrige Verhalten der Klägerin lasse eine Interaktionsfähigkeit mit der Umwelt erkennen.

In den Akten hätten sich viele Hinweise darauf gefunden, dass das aktuell gezeigte Verhalten der Klägerin auch in ähnlicher Form in der Vergangenheit bestanden habe. Erste Hinweise hierfür hätten sich bereits im medizinischen Bericht des Blindeninstituts B vom Oktober 2016 gefunden.

Auf das Gutachten hat der Beklagte im Schriftsatz vom 13.09.2021 festgestellt, dass dieses für eine Blindheit im Sinne des Urteils des BSG vom 14.06.2018 spreche. Unabhängig hiervon werde bei dem bei der Klägerin bestehenden generalisierten Leiden und die Blindheit bei Weitem überlagernden Krankheitsbild (u.a. keine sichere Kommunikationsfähigkeit) der Einwand der Zweckverfehlung aufrechterhalten.

Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 09.04.2020 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 06.10.2017 in der Fassung des Bescheids vom 28.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2019 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Berufung hat Erfolg. Sie ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und auch begründet.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld für blinde Menschen zusteht.

Letzteres hat das SG zu Unrecht bejaht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Die streitgegenständlichen Bescheide des Beklagten vom 06.10.2017 und 28.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2019 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dies vorsieht, zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt,
2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und
1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder
2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14 -, 20.12.2018 - L 15 BL 6/17 - und 06.10.2020 - L 15 BL 6/19) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92, Beschluss vom 29.01.2018 - B 9 V 39/17 B, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R). Auch dem Vollbeweis können gewisse Zweifel innewohnen; verbleibende Restzweifel sind bei der Überzeugungsbildung unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (z.B. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, m.w.N.).
Dies gilt ausdrücklich auch für die Verfahren bezüglich des BayBlindG, was das BSG in den Urteilen vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) und 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) klargestellt hat. Eine andere Situation hinsichtlich der Beweislast gilt nach dieser Rechtsprechung nur für den im vorliegenden Verfahren strittigen Zweckverfehlungseinwand, der in Fällen von die Blindheit überlagernden Krankheitsbildern vom Leistungsträger erhoben werden kann.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld.

Sie ist zwar blind im Sinne des BayBlindG. Der Beklagte hat jedoch mit Erfolg den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung des BayBlindG erhoben, da das konkrete Krankheitsbild der Klägerin blindheitsbedingte Aufwendungen (in ihrer Situation) von vornherein ausschließt.

1. Bei der Klägerin liegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Einschränkung der Sinnesfunktionen aufgrund zerebraler Beeinträchtigung vor. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. bereits die Entscheidungen v. 31.01.1995 - 1 RS 1/93 - und 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R; zuletzt Urteil v. 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) stehen auch zerebrale Schäden, die - für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans - zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist die bei der Klägerin vorliegende Einschränkung von Sinnesfunktionen hochgradig. Dies folgt aus den sämtlich nachvollziehbaren und aussagekräftigen medizinischen Unterlagen, v.a. auch aus dem plausiblen Sachverständigengutachten von E, und ist auch zwischen den Beteiligten grundsätzlich nicht streitig.
Darauf, ob und inwieweit das visuelle System stärker betroffen ist als die anderen Sinnesmodalitäten, kommt es nicht (mehr) an. Soweit das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung für den Blindengeldanspruch verlangt hatte, dass bei zerebralen Schäden eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegt, hat es im Urteil v. 11.08.2015 (a.a.O.) hieran nicht mehr festgehalten. Zur Aufgabe dieser Rechtsprechung hat sich das BSG aufgrund von Erkenntnisschwierigkeiten sowie unter dem Aspekt der Gleichbehandlung veranlasst gesehen (vgl. näher a.a.O.). Ebenfalls aufgegeben in der genannten Entscheidung hat das BSG die in der früheren Rechtsprechung getroffene Unterscheidung zwischen dem "Erkennen" und dem "Benennen" als so verstandene Teilaspekte bzw. Teilphasen des Sehvorgangs, da die Differenzierung gerade bei zerebral geschädigten Menschen vielfach medizinisch kaum nachvollzogen, d.h. die Ursache der Beeinträchtigung des Sehvermögens nicht genau bestimmt werden kann. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile v. 11.08.2015 - a.a.O. - und 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) ist für den Anspruch auf Blindengeld vielmehr allein entscheidend, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung "Sehen (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehlt, ob der behinderte Mensch blind ist" (BSG, a.a.O.). Der Senat fühlt sich an diese (neuere) Rechtsprechung des BSG gebunden, wie er bereits in zahlreichen Urteilen ausdrücklich klargestellt hat (vgl. bereits das Urteil v. 19.12.2016 - L 15 BL 9/14).

Die Klägerin ist blind im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG. Es ist zur Gewissheit des Senats nachgewiesen, dass bei ihr eine Störung bei der Weiterleitung optischer Reize oder eine Verarbeitungsstörung vorliegt, so dass sie die Signale der (auch) visuellen Sinnesmodalität nicht identifizieren, mit früheren Erinnerungen nicht vergleichen und nicht benennen kann. Dabei ist unschädlich, dass nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, welche der beiden Alternativen (Weiterleitungs- oder Verarbeitungsstörung) vorliegt. Denn wie der Sachverständige E nachvollziehbar darlegt, steht fest, dass eine der beiden Varianten gegeben ist. In beiden Fällen liegt jedoch nach der Rechtsprechung Blindheit aufgrund zerebraler Störungen vor (siehe sogleich im Folgenden).

a. Durch die neuere Rechtsprechung des BSG (Urteile v. 11.08.2015 - B 9 BL 1/14 R - und 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) hat sich an der Erforderlichkeit der Prüfung, ob die visuellen Fähigkeiten des Betroffenen (nun: optische Reizaufnahme und Verarbeitung etc.) unterhalb der vom BayBlindG vorgegebenen Blindheitsschwelle liegen, nichts geändert (vgl. bereits die frühere Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der es schon bisher in den Fällen umfangreicher zerebraler Schäden auf das Erfordernis einer spezifischen Störung des Sehvermögens nicht mehr ankam, wenn bereits Zweifel am Vorliegen von Blindheit bestanden, z.B. Urteil v. 27.11.2013 - L 15 BL 4/11; so auch die Lit., vgl. Braun, Neue Regeln für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2016, 134 <135>: keine allgemeine "Entwarnung"). Der Blindheitsnachweis muss somit auch weiterhin erbracht werden.

b. Hinsichtlich der Klägerin ist, wie das SG zutreffend entschieden hat, der Blindheitsnachweis erbracht.
In dem genannten Urteil vom 11.08.2015 hat das BSG, wie bereits dargelegt, den Sehvorgang im Sinne des BayBlindG (neu) definiert und im Urteil vom 14.06.2018 (a.a.O.) dies bestätigt. Im Rahmen eines umfassenden Verständnisses des Sehvorgangs sieht das BSG nicht nur die optische Reizaufnahme - und wohl ebenfalls die Reizweiterleitung, ohne dass dies in der genannten Entscheidung ausdrücklich festgehalten worden wäre -, sondern auch die weitere Verarbeitung der optischen Reize im Bewusstsein des Menschen als vom Begriff des Sehens im rechtlichen Sinne mit umfasst an; dabei hat das BSG insoweit keine weitere Einschränkung gemacht. Es ist daher im Hinblick auf die Verarbeitungsvorgänge von einem weiten Begriffsverständnis auszugehen (s.u.). Dieses erklärt sich auch mit Blick auf die nach der neuen Rechtsprechung des BSG nun entfallende (in Abgrenzung vor allem zu Störungen aus dem Bereich der seelisch-geistigen Behinderungen früher vorzunehmende), in Problemfällen äußerst schwierige und kaum zu leistende Differenzierung, ob das Sehvermögen (Sehen- bzw. Erkennen-Können) beeinträchtigt war, oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - (nur) eine Störung des visuellen Benennens vorlag, sodass das Gesehene nicht richtig benannt werden konnte. Der Senat hat im Urteil vom 19.12.2016 (a.a.O.) bereits dargestellt, dass die Aufgabe dieser schwierigen Differenzierung von der Literatur denn auch als sachgerecht begrüßt und als gewisse Vereinfachung auf dem Weg zum Blindheitsnachweis verstanden worden ist (vgl. Braun, a.a.O.), und hat hervorgehoben, dass er diese Auffassung teilt.
Somit ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG (Urteile v. 11.08.2015 - B 9 BL 1/14 R - und 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) jedenfalls in den Fällen zerebraler Schäden auch zu prüfen, ob die Fähigkeit zur "Verarbeitung im Bewusstsein" des sehbehinderten Menschen beeinträchtigt bzw. aufgehoben ist.

Eine solche (auch) visuelle Verarbeitungsstörung oder alternativ bereits eine Reizweiterleitungsstörung ist vorliegend zur Überzeugung des Senats nachgewiesen. Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme und wird nicht nur von der Klägerin, sondern wohl auch vom Beklagten, wie sich aus seinem Schriftsatz vom 13.09.2021 ergibt, so gesehen. Seine Überzeugung hat der Senat insbesondere aufgrund des fundierten und plausiblen Sachverständigengutachtens von E gewonnen. Dieser hat in jeder Hinsicht nachvollziehbar dargestellt, dass Blindheit im vorgenannten Sinn vor dem Hintergrund der klinischen Untersuchungsergebnisse, die nicht nur von ihm erhoben worden sind, sondern auch von einer Reihe von weiteren Fachärzten und Behandlern, mit fehlender Reaktion (u.a. auf optische Droh-)Reize und fehlender Fixation sowie der negativen objektiven Funktionsbefunde der VEP-Untersuchung und des OKN vorliegt. Es ist für den Senat in jeder Hinsicht nachvollziehbar, wenn der Sachverständige ausdrücklich ausführt, dass er aufgrund dieser Befunde keinen Zweifel daran hat, dass bei der Klägerin aufgrund der schweren Mehrfachbehinderung eine derart ausgeprägte Hirnschädigung vorliegt, dass eine solche Weiterleitungs- oder Verarbeitungsstörung von optischen Reizen auch pathophysiologisch plausibel ist. Hier angesichts der Vorgaben in den VG (vgl. Teil B Vorbemerkung zu Nr. 4) auf einer CT oder MRT zu bestehen, verbietet sich aus Sicht des Senats aufgrund der unumstößlichen Feststellungen des Sachverständigen, wobei kein Grund im Raum steht, weshalb dessen Annahmen im Hinblick den morphologischen Befund falsch sein sollten. Insoweit erklärt der morphologische Befund durchaus Blindheit der Klägerin im Sinne von Art. 1 Abs. 2 BayBlindG. Entsprechend der zutreffenden Annahmen des Sachverständigen ergibt sich für den Senat auch nicht der Bedarf einer erneuten VEP-Untersuchung, die sich aufgrund der gesundheitlichen Risiken für die Klägerin zudem verbietet. Schließlich kommt es auf Blindheit vorliegend auch nicht entscheidend an (s.u. 2.).

Dieser Feststellung steht nicht entgegen, dass die Ursache des Krankheitsbilds der Klägerin im Sinne einer exakten Lokalisierung der Sehstörung nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden kann. Denn dies spielt weder im Hinblick auf den von der Rechtsprechung für maßgeblich erachteten Blindheitsbegriff noch auf die Schlüssigkeit der Annahme von Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 BayBlindG die entscheidende Rolle, wie dies im Grundsatz ohnehin für Kausalitätsfragen im Blindengeldrecht gilt. Auch werden hierdurch keine Zweifel am tatsächlichen Zustand der Klägerin begründet.

Diesem Ergebnis stehen auch nicht die Festlegungen des Senats in seinem Urteil vom 28.07.2020 (L 15 BL 2/17) entgegen. Zwar ist richtig, dass ein pauschaler Rückschluss daraus, Betroffene hätten nur noch basale Reaktionen zeigen können, weil sie zu weiteren visuellen Leistungen nicht (mehr) in der Lage gewesen seien, in den Fällen nur grob orientierender Untersuchungen und Prüfungen regelmäßig unzulässig ist. Weiter gilt auch grundsätzlich, dass eine fehlende oder nicht adäquate Reaktion auf optische Reize "nur dann als Beleg für Blindheit gewertet werden [kann], wenn bei erhaltener - teilweiser - Untersuchbarkeit eine zuverlässige reproduzierbare Kommunikation mit dem sehbehinderten Menschen möglich ist" (vgl. z.B. Braun, Neue Regeln für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2016, 134). Maßgeblich sind hierbei jedoch die konkreten Umstände des Einzelfalls und insbesondere Umfang und Qualität der vorgenommenen Untersuchungen etc. Aufgrund der im vorliegenden Fall umfassenden Prüfungen durch den hinsichtlich des Ausmaßes der Sinnesfunktionen von mehrfach schwerstbehinderten Kindern versierten und anerkannten Sachverständigen und aufgrund der Bewertung der zusätzlich vorliegenden objektiven Funktionsuntersuchung (VEP!) durch diesen kann weder von einer nur grob orientierenden Untersuchung noch davon die Rede sein, dass für den Blindheitsbeweis eine Kommunikation im herkömmlichen Sinn zwingend erforderlich wäre. Hinzu kommen die weiteren von E mit einbezogenen (übereinstimmenden) Befunde und Beobachtungen aus weiteren Untersuchungen/Behandlungen (s.o.).

Schließlich stehen dem gefundenen Ergebnis auch nicht die Visus-Untersuchun-gen durch R entgegen (s.o.). Zwar stellen deren Darlegungen gewisse Zweifel in den Raum; der Senat schließt sich jedoch den oben im Einzelnen geschilderten nachvollziehbaren Bedenken des Sachverständigen E an der dort vorgenommenen Interpretation der Ergebnisse bei der Klägerin als Kind ohne sichere Kommunikationsmöglichkeit und bei der Annahme einer schweren kortikalen Sehstörung an.

2. Ein Anspruch der Klägerin auf Blindengeld nach dem BayBlindG besteht jedoch nicht, da der Beklagte zutreffend den Einwand der Zweckverfehlung erhoben hat.

Wie das BSG in dem genannten Urteil vom 14.06.2018 dargelegt hat, stellt die in Art. 1 Abs. 1 BayBlindG enthaltene Formulierung des Gesetzgebers hinsichtlich des Ausgleichs blindheitsbedingter Mehraufwendungen keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung dar, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung. Dennoch bleibe, so das BSG (a.a.O.), der Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen ausdrücklich das erklärte Ziel der Regelung, was sich auch an anderer Stelle aus dem Gesetz erschließe. So sehe das BayBlindG Regelungen zur Vermeidung einer Überversorgung des blinden Menschen vor (Art. 4 Abs. 3 BayBlindG). Der Zweck des Blindengelds werde aber, so das BSG in der genannten Entscheidung, auch dann verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbilds des Betroffenen gar nicht erst ent- bzw. bestehen könne. Das BSG hat in der Entscheidung vom 14.06.2018 im Einzelnen Folgendes festgestellt:

"Hieran anknüpfend führt der Senat seine Rechtsprechung fort und räumt der Versorgungsverwaltung den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung ein, wenn bestimmte Krankheitsbilder blindheitsbedingte Aufwendungen von vornherein ausschließen, weil der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen (auch nicht anteilig) ausgeglichen werden kann. Dies wird am ehesten auf generalisierte Leiden zutreffen können (zB dauernde Bewusstlosigkeit oder Koma).
Das Gesetz geht in Art 1 Abs 1 BayBlindG ausdrücklich vom Vorliegen der Blindheit und von bestehenden Mehraufwendungen aus. Es setzt typisierend voraus, dass überhaupt ein "Mehraufwand" aufgrund der Blindheit bestehen kann. Mit dem Blindengeld soll weniger ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden. Das BVerwG hat hierzu zur früheren Blindenhilfe nach § 67 Abs 1 BSHG bereits ausgeführt, dass Aufwendungen, die einem Blinden durch Kontaktpflege und Teilnahme am kulturellen Leben entstehen, nur einen Teil dessen ausmachen, was ein Blinder bedingt durch sein Leiden im Verhältnis zu einem Sehenden vermehrt aufwenden muss (so BVerwG Urteil vom 4.11.1976 - V C 7.76 - BVerwGE 51, 281, 287). Das Blindengeld dient in erster Linie als Mittel zur Befriedigung laufender blindheitsspezifischer, auch immaterieller Bedürfnisse des Blinden, um diesem die Möglichkeit zu eröffnen, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen [...]. Eine Eingliederung blinder Menschen in die Gesellschaft kann nur erreicht werden, wenn ein Ausgleich für die dauernden blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile erfolgt (vgl Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S 35), weil diese in der zunehmend visualisierten Umwelt besonderen Beeinträchtigungen unterliegen (vgl Braun, MedSach 3/2016, 134, 135 mwN). So geht der Bayerische Landesgesetzgeber nach wie vor davon aus, dass ua blinde Menschen einen außergewöhnlich großen Bedarf an Assistenzleistungen zur Kommunikation und an Unterstützungsleistungen zur Bewältigung des Alltags haben und dass finanzielle Ausgleichsleistungen die selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich fördern (vgl Bayerisches LSG, aaO; BayLT-Drucks 17/17055 S 1 zu A und 17/21510 S 1 zu A).
Orientiert am vorgenannten Regelungszweck des Gesetzes ist es sachgerecht, im Fall eines objektiv nicht möglichen blindheitsbedingten Mehraufwands den Anwendungsbereich für die Blindengeldleistung einzuschränken. Steht fest, dass aufgrund eines bestimmten Krankheitsbildes typischerweise von vornherein kein Mehraufwand im oben genannten Sinne speziell durch die Blindheit entstehen kann, weil etwa ein derart multimorbides oder die Blindheit überlagerndes Krankheitsbild besteht (zB dauerhafte Bewusstlosigkeit), dass aus der Blindheit keinerlei eigenständige Aufwendung in materieller oder immaterieller Hinsicht folgt, kann die gesetzliche Zielsetzung der Blindengeldgewährung nicht erreicht werden. Denn deren Zweck wird verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes gar nicht erst ent- bzw bestehen kann."

Vorliegend hat der Beklagte den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung wirksam erhoben. Der Mangel an Sehvermögen der Klägerin kann krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen ausgeglichen werden.

Dies folgt aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere der Auswertung aller vorliegenden einschlägigen medizinischen und pflegerischen Unterlagen. Der Senat beruft sich hier vor allem auf die o.g. sachverständigen Feststellungen des von ihm beauftragten Sachverständigen E und macht sich diese nach eigener Prüfung zu eigen. Vor allem die weiteren Unterlagen, u.a. der Blindeninstitutsstiftung, und auch die Angaben der Klägerseite selbst zeigen aber daneben ebenfalls deutlich, dass aufgrund des Gesundheitszustands der Klägerin ein Ausgleich des Mangels an Sehvermögen nicht möglich ist.

Bei der Klägerin liegt eine diffuse Encephalopathie vor. Es besteht ein Syndrom des minimalen Bewusstseins. Bei der von E vorgenommenen Testung haben sich keine reproduzierbaren Reaktionen hinsichtlich der auditorischen und visuellen Funktion gezeigt, wenngleich durch Töne eine Verhaltensänderung erkennbar war. Eine reproduzierbare Reaktion war im Funktionsbereich Kommunikation nicht möglich. Lediglich die automatisierte spontane Bewegung (die Klägerin hat sich an der Nase gejuckt) hat das Vorliegen des Syndroms des minimalen Bewusstseins definiert, so dass nicht von Wachkoma auszugehen ist. Eine sichere Kommunikationsfähigkeit besteht bei der schweren Mehrfachbehinderung der Klägerin mit ausgeprägter Hirnschädigung nicht. Dieser ist es entsprechend den Feststellungen im Gutachten von E lediglich möglich, mit der Umwelt in gewisser Weise zu interagieren; sie reagiert auf vibrations- und schwingungsauslösende Gegenstände.

1. Maßgeblich für den Zweckverfehlungseinwand sind die tatsächlichen bei der Klägerin bestehenden Verhältnisse (vgl. bereits das Urteil des Senats v. 12.11.2019 - L 15 BL 1/12). Auch wenn in dem o.g. Urteil des BSG von einer "näheren Bestimmung aller relevanten Krankheitsbilder ..., welche blindheitsbedingte Aufwendungen ausschließen" die Rede ist, würde es nicht genügen, wenn der Beklagte abstrakt alle insoweit einschlägigen Krankheitsbilder auflisten würde. Aus naheliegenden Gründen ist ein Verweis auf die jeweilige Diagnose nicht ausreichend, um dem Einzelfall gerecht zu werden (vgl. bereits das Urteil des erkennenden Senats v. 17.07.2012 - L 15 BL 11/08, in dem im Einzelnen dargelegt worden ist, dass auch bei der Diagnose eines "vollständigen Apallischen Syndroms" die individuellen Verhältnisse mit Blick auf die der Feststellung immanenten diagnostischen Unsicherheit und der Begrenztheit medizinischer Erfahrungssätze im Einzelnen untersucht werden müssen); es sind die Voraussetzungen zu überprüfen, ob bei der konkreten Ausprägung des Krankheitsbildes blindheitsbedingte Mehraufwendungen in Betracht kommen (so auch Braun, Die neuen Kriterien für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 3/2019, 94 <97>).

2. Mit dem BSG geht der Senat davon aus, dass der Begriff der blindheitsbedingten Mehraufwendungen weit auszulegen ist (vgl. bereits das Urteil des Senats v. 12.11.2019, a.a.O.). Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus den Darlegungen des BSG (s.o.) sowie aus den vom BSG ebenfalls genannten Motiven des Landesgesetzgebers (s.o.) (so auch Braun, a.a.O.).
Inwieweit es genügt, wenn nur ganz geringfügiger Mehraufwand im Raum steht, muss vorliegend nicht entschieden werden, da vorliegend keinerlei Mehraufwand ermittelt bzw. letztlich auch von Klägerseite nicht benannt werden konnte.

3. Wie vom Senat bereits entscheiden worden ist (vgl. z.B. die Urteile v. 12.11.2019, a.a.O., und 26.11.2019 - L 15 BL 2/19), stellen entgegen einer in der Literatur geäußerten Auffassung (vgl. Dau, in: jurisPR-SozR 9/2019 Anm. 4) Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung, wie sie hier ausschließlich bestehen, keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar. Der Senat kann der Argumentation (Dau, a.a.O.) nicht folgen, es sei zweifelhaft, ob es einen Fall mit einem anspruchsvernichtenden Zweckverfehlungseinwand im Freistaat Bayern jemals geben werden könne, weil das BayBlindG unter blindheitsbedingten Mehraufwendungen entsprechend den gesetzgeberischen Motiven in erster Linie Aufwendungen für die pflegerische Betreuung verstehe, Wachkomapatienten und zerebral schwerstgeschädigte Menschen jedoch in jedem Fall intensiver pflegerischer Betreuung bedürften, so dass sich der Leistungszweck des BayBlindG bei ihnen deshalb gar nicht verfehlen lasse. Denn zum einen lässt sich aus den Motiven des Gesetzgebers (vgl. Bayer. Landtag, Drs. 13/458, S. 5) eine Verengung auf die - wie auch immer verstandene - pflegerische Betreuung gar nicht ableiten. Zum anderen kann sich der Senat dieser formalen Argumentation auch nicht anschließen, da in den einschlägigen Fällen naheliegenderweise auf blindheitsspezifische Betreuung abzustellen ist. Anderenfalls würden übrigens die Vorgaben des BSG im Wesentlichen ins Leere laufen.

4. Für den gerichtlich überprüfbaren Einwand der Zweckverfehlung trägt nach der Entscheidung des BSG die Behörde die Darlegungs- und die Beweislast. Dabei ist sie verpflichtet, soweit möglich den - wie oben dargelegt individuellen - Sachverhalt zu ermitteln, steht jedoch vor der Schwierigkeit, dass sie die Darlegungs- und Beweispflicht hinsichtlich einer negativen Tatsache trifft, eben hinsichtlich des Nichtvorhandenseins blindheitsbedingter Mehraufwendungen. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen dazu, dass zur Ermittlung neben den medizinischen/ pflegerischen Unterlagen daher vor allem die Angaben der Personen heranzuziehen sind, welche die Verhältnisse hinsichtlich des betroffenen blinden Menschen aufgrund der Sach- und Ortsnähe zutreffend beurteilen können. Die Klägerin trifft dabei eine Mitwirkungsobliegenheit.
Maßgeblich bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall blindheitsbedingte Mehraufwendungen möglich sind, ist die objektive Situation des betroffenen blinden Menschen. Ob blindheitsbedingte Mehraufwendungen von dem Betroffenen tatsächlich getragen werden, ist dabei nur ein Indiz; so kann unnötiger Aufwand o.ä. keine Berücksichtigung finden.
Entscheidend nach der Rechtsprechung des BSG ist, dass der Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen ausgeglichen werden kann. In der konkreten Situation des Betroffenen objektiv nicht möglicher blindheitsbedingter Mehraufwand muss außer Betracht bleiben.

5. Es wäre nicht ausreichend, wenn eine Zweckverfehlung des Blindengelds aufgrund der schweren geistigen Behinderung der Klägerin ohne weitere Prüfung angenommen würde. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Aufgrund der durchgeführten Prüfung der der Klägerin verbleibenden Möglichkeiten durch den Senat, der sich auch hier vor allem auf das Sachverständigengutachten von E stützt, ergibt sich vielmehr, dass wegen den plausiblen medizinischen Unterlagen und weiteren vorliegenden Angaben davon ausgegangen werden muss, dass es das schwere Krankheitsbild der Klägerin ausschließt, den Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen (auch nur teilweise) auszugleichen.

Wie sich aufgrund der vorliegenden medizinischen Befunde ergibt, leidet die Klägerin an einer gravierenden Gesundheitsstörung (s.o.). Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin in jeder Hinsicht schwerstpflegebedürftig und in allen Verrichtungen des täglichen Lebens vollständig von fremder Hilfe abhängig ist. Auf die zur Überzeugung des Senats nachgewiesenen und zwischen den Beteiligten grundsätzlich auch nicht streitigen schweren Einschränkungen der Klägerin wird verwiesen.

Im Übrigen kommt es nicht entscheidend darauf an, ob bei der Klägerin ein Restkommunikationsvermögen vorhanden ist. Dieses mag, was der Senat nicht in Abrede stellt - weil E auch insoweit nachvollziehbar auf eine noch mögliche Interaktion mit der Umwelt hingewiesen hat - auf niedrigem Niveau durchaus noch vorhanden sein, schließt jedoch nicht aus, wie sich aus den Darlegungen des BSG im o.g. Urteil vom 14.06.2018 (a.a.O.) ohne Weiteres ergibt, dass das Krankheitsbild der Klägerin von vornherein blindheitsbedingte Aufwendungen nicht entstehen lässt, da der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen ausgeglichen werden kann. Denn ein solcher Ausschluss ist, wie das BSG ausdrücklich formuliert hat und wie sich aus medizinischer, pflegerischer und realistischer Sichtweise ergibt, keineswegs ausschließlich bei dauernder Bewusstlosigkeit oder Koma möglich.

Entsprechend der zutreffenden Annahme des SG und der Klägerseite besteht keine Nachweispflicht des Betroffenen, welche blindheitsbedingten Mehraufwendungen im Einzelnen entstanden sind. Dies folgt aus Sicht des Senats aufgrund der vom BSG vorgenommenen Beweislastverteilung, an die er sich gebunden fühlt.
Vorliegend ist jedoch zur Überzeugung des Senats, die dieser aufgrund der plausiblen und fundierten medizinischen Befunde gewonnen hat, ausgeschlossen, dass ein blindheitsbedingter Mehraufwand bei der Klägerin im Hinblick auf ihr schweres Behinderungsbild besteht, da die Klägerin keine Mehraufwendungen haben kann, "die aufgrund der Unfähigkeit, selbst etwas in gleicher Weise zu tun, wie bei vorhandenem Sehvermögen, entstehen, so dass entweder die Tätigkeiten von Anderen ausgeführt werden müssen oder die Unterstützung durch Andere notwendig ist bzw. spezielle Hilfsmittel eingesetzt werden müssen" (vgl. Braun, a.a.O., S. 97, mit Verweis auf Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S. 239). Dementsprechend haben sich sowohl Klägerseite als auch SG "zurückhaltend" hinsichtlich der konkreten Aufzählung einzelner entsprechender Leistungen geäußert. Dies ist zwar nicht von entscheidender Bedeutung, jedoch logische Konsequenz der schwersten Behinderung der Klägerin und unterstreicht die Auffassung des Senats.

Soweit hier die Bezahlung von Melatoninpräparaten thematisiert worden ist, ergibt sich daraus bereits deshalb kein blindheitsbedingter Mehraufwand, weil für derartige Arzneimittel Versicherungsleistungen (der Krankenversicherung) vorgesehen sind. Zudem dürften Kosten für Therapien generell nur in engen Ausnahmefällen von blindheitsbedingtem Mehraufwand im Sinne von Art. 1 Abs. 1 BayBlindG mit umfasst sein.

Blindheitsbedingter Mehraufwand kann auch nicht deswegen angenommen werden, weil bei der Klägerin seit Jahren Maßnahmen der Frühförderung durchgeführt werden. Denn dies genügt aus Sicht des Senats nicht bereits per se, um hieraus sicher auf das Vorliegen blindheitsbedingter Mehraufwendungen schließen zu können. Wie bereits ausgeführt, sind im Einzelnen die der Klägerin verbliebenen Möglichkeiten, ist also ihr konkretes Behinderungsbild zu prüfen. Im Hinblick auf den umfassenden Förderungs- und Gleichstellungsauftrag, der dem Staat auch aufgrund von Verfassungsrecht obliegt, bildet die Durchführung von Frühförderungsmaßnahmen keinen verlässlichen Anhalt dafür, dass tatsächlich ein blindheitsbedingter Mehrbedarf besteht, weil eben (gerade) auch gefördert werden muss, wer ein schweres (die Blindheit überlagerndes) Krankheitsbild aufweist. Auszuschließen ist ferner nicht, dass Förderungen durchgeführt werden, deren Erfolgsaussichten minimal sind, auch wenn es sich auch aus Senatssicht bei Maßnahmen der Frühförderung regelmäßig nicht um Aufwendungen handelt, die lediglich in der vagen Hoffnung getätigt werden, sie führten zu einer Besserung des Gesundheitszustands etc. (im obigen Sinn). Denn Maßnahmen der allgemeinen Frühförderung beruhen auf anerkannten Konzepten und werden von den zuständigen Kostenträgern auch im Wesentlichen - in der Regel als sogenannte Komplexleistungen - übernommen; blindheitsbedingter Mehraufwand sind Frühförderungsmaßnahmen damit selbst nicht.

Aus dem Vorgenannten ergibt sich damit bereits, dass auch die vom SG pauschal genannten Aufwendungen, die "über den pflegerischen Aufwand hinausgehen aufgrund des Vorhandenseins der anderen Sinne möglich und zur Stärkung derselben indiziert" seien, nicht zur Annahme blindheitsbedingten Mehraufwands führen können.

Im Übrigen besteht wegen des schweren Behinderungsbilds der Klägerin auch kein weiterer Mehraufwand, unabhängig davon, dass (wie oben angemerkt) die Klägerseite einen solchen auch nicht geschildert hat. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Mit Blick auf die Situation der Klägerin wäre dabei z.B. an den erheblich erhöhten Hilfebedarf bei den Verrichtungen des täglichen Lebens zu denken. Wie der Senat jedoch bereits entschieden hat, stellen Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung und die damit verbundenen Hilfestellungen keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar, weil es sich nicht um blindheitsspezifischen Mehraufwand - bzw. diesen allenfalls in ganz untergeordnetem Umfang - handelt (vgl. näher das Urteil vom 12.11.2019 - L 15 BL 1/12).
Gleiches gilt für die sehr naheliegende erhebliche zeitintensive Beschäftigung mit der Klägerin. Dieser Bedarf ist, was sich auch in diesem Fall als offensichtlich darstellt, der allgemeinen Problematik der schwersten Beeinträchtigung der Klägerin, nicht jedoch speziell ihrer Blindheit geschuldet (vgl. hierzu z.B. das Urteil des Senats vom 10.12.2019 - L 15 BL 5/16). Zusätzliche abschätzbare, auch nur ansatzweise quantifizierbare Erschwernisse bei der Beschäftigung der Klägerin kommen nicht hinzu und wurden im Verfahren von der Klägerseite auch nicht benannt. Dass die Klägerin mit Blick auf ihr Sehvermögen nicht in der Lage sein dürfte, zum Zeitvertreib Bilder, Filme oder Ähnliches anzusehen, ist dabei nicht von Relevanz, da dies wegen der geistigen Behinderung bzw. der nicht möglichen Inhaltserfassung keine oder jedenfalls nur eine äußerst untergeordnete Rolle spielen dürfte.
Auch die in anderen Verfahren thematisierte, durchaus nicht fernliegende Möglichkeit, dass für die Klägerin eine externe Vorlesekraft tätig wird, die unter Umständen finanziellen Aufwand erzeugt, führt nicht zu blindheitsbedingten Mehraufwendungen. Denn wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 26.11.2019 - L 15 BL 2/19), ist der Einsatz einer Vorlesekraft zur Entlastung von Betreuungspersonen und zur direkten Betreuung des Betroffenen hinsichtlich jeder Behinderung und Erkrankung denkbar; somit könnte der Einwand der Zweckverfehlung nie erhoben werden. Zum anderen würde es sich hinsichtlich einer Vorlesekraft im vorliegenden Fall gerade nicht um blindheitsbedingten Mehrbedarf handeln, was auch allgemein im Falle ernsthaft erkrankter bzw. anderweitig behinderter Menschen gilt. Soweit es beim Vorlesen um die inhaltliche Wiedergabe des schriftlich Verfassten (z.B. "einer Geschichte") gehen sollte, wäre dieses bei der Klägerin nicht wegen der Sehbehinderung, sondern wegen der allgemeinen behinderungsbedingten Leseunfähigkeit erforderlich; die Wiedergabe des Verfassten spielt hier aber wohl ohnehin wegen der geistigen Behinderung der Klägerin bzw. der nicht möglichen Inhaltserfassung keine Rolle (siehe oben).
Der Zweckverfehlungseinwand kann auch nicht damit entkräftet werden, dass Maßnahmen zur Herstellung von Nähe oder Beruhigung etc. der Klägerin - also z.B. um das Hören einer (vertrauten) Stimme zu ermöglichen - in Betracht kommen und fraglos sinnvoll und angezeigt sind. Dies reicht auch unter Berücksichtigung mangelnden Sehvermögens aber nicht aus (vgl. das genannte Urteil des Senats vom 26.11.2019). Wie der Senat früher bereits entschieden hat (Urteil v. 27.11.2013 - L 15 BL 4/12), stellen diese und andere denkbare Maßnahmen nur des psychischen Beistands etc. keinen blindheitsbedingten Aufwand dar, da insoweit keine Betreuungsleistungen (im weiteren Sinn) betroffen sind. Schließlich gleicht auch die Herstellung von Nähe keine blindheitsspezifischen Nachteile aus (vgl. die therapeutisch empfohlene Ansprache etc. bewusstloser Menschen).

Schließlich hat auch die Blindeninstitutsstiftung in ihrem Entwicklungsbericht vom Juli 2019 keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen darlegen können, auch wenn sie ausdrücklich ausgeführt hat, dass die institutionelle Betreuung eines nicht sehenden Kindes eines Mehraufwandes bedürfe und sicherlich eine umfassende Aufgabe bzw. Herausforderung für alle Beteiligten darstelle. Letzteres stellt der Senat in keiner Weise in Abrede. Die von der Blindeninstitutsstiftung geschilderten Beispiele (s. im Einzelnen oben) belegen unter Berücksichtigung der vorgenannten Ausführungen bzw. Festlegungen des Senats jedoch, dass ein blindheitsbedingter Mehraufwand gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG gerade nicht vorliegt, dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die Blindeninstitutsstiftung im selben Schreiben selbst ausdrücklich bestätigt, dass die Klägerin wegen ihren komplexen Beeinträchtigungen in allen Aktivitäten des täglichen Lebens auf umfassende Hilfe, Pflege und Betreuung angewiesen ist.

Es kommt also letztlich nicht darauf an, ob ein Vergleich der Klägerin mit dem für die Zweckverfehlung vom BSG aufgeführten Personenkreis der dauernd bewusstlosen Personen und der Komapatienten vorliegend zutreffend oder, wie die Klägerseite meint, unzutreffend ist. Maßgeblich ist stets die von den Einschränkungen geprägte individuelle Situation des betroffenen Menschen.

Weitere Ermittlungen sind nicht erforderlich. Sie sind denn auch nicht beantragt worden.

Die Berufung hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten. Der Gerichtsbescheid des SG ist aufzuheben und die Klage gegen die streitbefangenen Verwaltungsentscheidungen des Beklagten abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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