L 6 SB 639/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 3209/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 639/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt zum sechsten Mal die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB), vorliegend mit mehr als 40.

Er ist 1958 in der T geboren und lebt seit 1971 in Deutschland. Nach dem Hauptschulabschluss hat er keine Berufsausbildung absolviert und ist seit 1976 bei derselben Arbeitgeberin als Staplerfahrer beschäftigt. Er ist verheiratet und hat zwei volljährige Kinder (Anamnese Rehabilitationsklinik H). Im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung im Juli 2009 wurde der Kläger im Gesicht und am Oberkörper verletzt.

Am 20. Oktober 2003 beantragte er bei dem Versorgungsamt Karlsruhe (VA) erstmals die Feststellung des GdB. Nach Beiziehung des Entlassungsberichtes des B-Klinik über die stationäre Rehabilitation vom 24. Juni bis 15. Juli 2003, lehnte das VA den Antrag mit Bescheid vom 7. November 2003 ab.

Auf den ersten Neufeststellungsantrag vom 16. November 2004 stellte das VA nach versorgungsärztlicher Stellungnahme der S (Funktionsbehinderung der Wirbelsäule [Teil-GdB 20]) mit Bescheid vom 24. März 2005 einen GdB von 20 seit dem 16. November 2004 fest. Im Widerspruchsverfahren hielt K aufgrund der Schultergelenksfunktionseinbußen einen GdB von 30 für gerechtfertigt, den das LRA mit Teil-Abhilfebescheid vom 29. Juni 2005 feststellte.

Mit Bescheid vom 9. März 2010 stellte das Landratsamt E (LRA) auf den Antrag des Klägers nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG) mit Bescheid vom 9. März 2010 in Folge der Auseinandersetzung im Juli 2009 als abgeheilte Gesundheitsstörungen eine kleine Platzwunde an der linken Oberlippe, Prellungen und Hämatome im Gesicht sowie am Oberkörper fest und lehnte die Gewährung von Beschädigtenversorgung ab.

Im zweiten Neufeststellungsverfahren (Antrag vom 1. Juli 2013) holte das LRA den Befundschein des D ein, der ausführte, dass die seit 2010 erhobenen klinischen Befunde im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) und Schulter sowie den Hüften keine Hinweise auf Funktionseinschränkungen zeigten. Nachdem W versorgungsärztlich keine wesentliche Änderung sah, lehnte das LRA den Antrag mit Bescheid vom 24. September 2013 ab.

Im dritten Neufeststellungsverfahren (Antrag vom 6. Juli 2015) erstattete der N einen Befundschein und legte dar, dass eine echte chronische Arthritis sicher nicht vorliege. An der Wirbelsäule bestünden altersgemäße degenerative Veränderungen, als Fremdbefund sei ein degeneratives Brustwirbelsäulen(BWS)- und HWS-Syndrom beschrieben. Über Funktionsbeeinträchtigungen an den Fußgelenken sei ihm nichts bekannt. Der V habe ein hyperreagibles Bronchialsystem mit möglicherweise beginnendem Asthma bronchiale diagnostiziert. Der Blutdruck liege im Normalbereich. Weiter übersandte er die ihm vorliegenden fachärztlichen Befundberichte. Der D legte radiologische Befundberichte vor und verwies darauf, dass sich weiterhin kein relevanter klinischer Befund mit Dauercharakter zeige.

S1 bewertete versorgungsärztlich die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und beider Schultergelenke mit einem Teil-GdB von 30, sowie das hyperreagible Bronchialsystem, den Bluthochdruck und die chronische Magenschleimhautentzündung jeweils mit einem Teil-GdB von 10. Den Neufeststellungsantrag lehnte das LRA mit Bescheid vom 21. September 2015 ab.

Mit dem vierten Neufeststellungsantrag vom 28. Dezember 2015 wurde der Entlassungsbericht über die in der Zeit vom 10. September bis 1. Oktober 2015 in der Rehabilitationsklink B1 durchgeführte stationäre Rehabilitation vorgelegt. Darin wurden als Entlassungsdiagnosen eine aktivierte Polyarthrose, zurzeit ohne Hinweis auf systemische rheumatologische Erkrankung, eine Unkarthose der HWS in den Etagen HWK 4/6 und HWK 6/7 sowie ein chronisches LWS-Syndrom mit beidseitigen Lumbalgien ohne neurologische Ausfälle beschrieben.

In seinem Befundschein gab der V im Röntgenbefund einen altersentsprechenden Zwerchfell-, Herz- und Lungenbefund ohne Infiltrationen an. Es bestehe ein hyperreagibles Bronchialsystem und möglicherweise ein Asthma bronchiale. Der Kläger sei nicht mehr vorstellig geworden, sodass über Exazerbationen und Schübe keine Auskunft erteilt werden könne.

L hielt versorgungsärztlich an der bisherigen Einschätzung fest.

D gab in seinem weiteren Befundschein an, dass fortlaufende Gelenkschmerzen insbesondere an den Händen und Füßen geklagt würden, bei unauffälligem Gangbild aber keine wesentlichen Funktionsverluste bestünden. Befunde hinsichtlich der Hüft- und Kniegelenke lägen nicht vor.

Die D1 bewertete die Polyarthralgie mit Funktionsbehinderung beider Schultergelenke mit einem Teil-GdB von 20, ebenso die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule. Die Funktionsbehinderung des linken Sprunggelenks, das hyperreagible Bronchialsystem, der Bluthochdruck und die chronische Magenschleimhautentzündung führten zu Teil-GdB von je 10, sodass der Gesamt-GdB weiter 30 betrage.

Den Neufeststellungsantrag lehnte das LRA mit Bescheid vom 19. April 2016 ab.

Bereits am 14. Juli 2017 wurde zum fünften Mal die Neufeststellung des GdB beantragt. Das LRA erhob den Befundschein des E1, der eine rezidivierende depressive Störung mit Lust- und Antriebslosigkeit, Denk- und Konzentrationsstörungen sowie Einschränkungen der sozialen Integration und beruflichen Tätigkeit mit Schüben zwei bis dreimal im Jahr beschrieb. Von Seiten der Wirbelsäule bestünden vertebragene Beinschmerzen und schmerzhafte Verspannungen der Muskulatur sowie ein Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule (LWS) mit Knie- und Unterschenkelschmerzen bei Einschränkung der Alltagsbewältigung und sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Die Handgelenke zeigten eine Funktionsbeeinträchtigung bei Arthritis/Arthrose, seit Jahren bestünden Schmerzen an den Kniegelenken bei Flexion und Extension. Wegen des Herzleidens mit Dyspnoe NYHA II finde eine kardiologische Behandlung statt, hinsichtlich des Blutdrucks seien anamnestisch rezidivierende hypertensive Entgleisungen gegeben. Weiter legte er Befundberichte vor.

Der H1 gab eine Behandlung seit dem 28. Januar 2016 an. Der Kläger habe sich am 21. Juni 2017 nach etwa einem Jahr wegen eines verschlechterten psychischen Gesundheitszustandes vorgestellt. Im Rahmen der seelischen Erkrankung bestünden depressive Verstimmungen, erhöhte Vergesslichkeit und Schlafstörungen aufgrund verschiedener Probleme. Der Kläger gebe an, wegen seiner orthopädischen Beschwerden schon länger krankgeschrieben zu sein, er habe Schmerzen in den Händen und Füßen, könne nicht gut schlafen, wache öfters auf und grüble viel. Die Affektivität sei depressiv-dysphorisch gewesen. Es sei eine Antriebsminderung oder Desinteresse bei nicht routinemäßigen Aktivitäten geschildert worden. Nach Anamnese und Befund liege eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Episode vor. Für eine hirnorganische Störung habe sich kein Anhalt ergeben, es sei eine medikamentöse Behandlung begonnen worden.

H2 führte versorgungsärztlich aus, dass weitere Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigt worden seien, der Gesamt-GdB ändere sich in der Zusammensicht nicht. Der Bluthochdruck und die Herzinsuffizienz wurden zusätzlich mit einem Teil-GdB von 20 bewertet, ebenso die seelische Störung und das chronische Schmerzsyndrom.

Das LRA holte den Befundschein des G ein, der eine fortgeschrittene Fingergelenkspolyarthrose insbesondere im Bereich der Fingermittel- und Endgelenke beschrieb. Hinweise auf eine entzündlich-rheumatische Erkrankung bestünden nicht. Aufgrund der Arthrose aller Langfingerend- und mittelgelenke sei der Kläger sicherlich in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt.

Nachdem die D1 die Herzleistungsminderung als nicht hinreichend objektiviert ansah, aber eine Erhöhung des Gesamt-GdB vorschlug, wurde der Befundbericht des M nach ambulanter Untersuchung vom 3. Januar 2017 beigezogen. Dieser beschrieb den Ausschluss einer manifesten Belastungskoronarinsuffizienz. Bei unverändertem Echokardiogramm (EKG) sei der Kläger bis 150 Watt belastbar gewesen, ohne dass sich eindeutige Endstreckenveränderungen im Sinne einer Ischämie gezeigt hätten. Die geklagten Beschwerden seien auch atypisch, sodass zunächst keine Indikation für eine weitere invasive Diagnostik bestehe. Problematisch sei die kontinuierliche Einnahme von nicht steroidalen Antirheumatika bei gleichzeitig wohl nachgewiesener Helicobacter-Gastritis. Hier solle nach einer anderen Möglichkeit der Schmerztherapie gesucht werden.

Die D1 verneinte eine relevante koronare Herzkrankheit (KHK). Mit Bescheid vom 22. März 2018 stellte das LRA einen GdB von 40 seit dem 14. Juli 2017 fest und berücksichtigte als Funktionsbeeinträchtigungen eine Funktionsbehinderung beider Schultergelenke, eine Fingerpolyarthrose, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, eine seelische Störung, ein hyperreagibles Bronchialsystem, eine chronische Magenschleimhautentzündung und einen Bluthochdruck.

Im Widerspruchsverfahren führte Z versorgungsärztlich aus, dass nach erneuter Aktendurchsicht eine stärker behindernde seelische Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bestehe. Diese sei bereits entsprechend gewürdigt, eine schwere Störung liege nicht vor. Häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen sowie häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome seien bereits anerkannt. Der Bluthochdruck könne medikamentös behandelt werden und sei ohne Organschaden, die Herzpumpfunktion normal. Es bestehe keine wesentliche oder dauerhafte Lungenfunktionseinschränkung bei bronchialer Hyperreagibilität. Die orthopädischen Leiden der oberen und unteren Extremitäten würden nur spärlich beschrieben. Aktuelle Bewegungsausmaße der Gelenke seien nicht angegeben und ein dauerhaft inkompletter Faustschluss bei Fingerpolyarthrose lasse sich ebenfalls nicht erkennen. Die Gastritis und das Übergewicht könnten behandelt werden.

Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium S2 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2018 zurück, da die vorgenommene Erhöhung des GdB auf 40 das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Änderung des Gesundheitszustandes wiedergebe. Eine weitere Erhöhung lasse sich nicht begründen.

Am 25. Februar 2019 beantragte der Kläger – hier streitgegenständlich – zum sechsten Mal die Neufeststellung des GdB.

Das LRA erhob den Befundschein des E1, der sehr starke Knieschmerzen bei Flexion und Extension bei ausgeprägter Chondropathie mit Knöchelödem sowie Gelenkerguss und Reizzustand des medialen Kollateralbandes beschrieb. Trotz Bestrahlung habe sich an den Händen keine deutliche Besserung der Steifheit gezeigt. Es bestehe eine posttraumatische Arthrose des Oberen Sprunggelenks (OSG) mit deutlicher Minderung der Beweglichkeit. Ergänzend hat er Befundberichte vorgelegt.

Der L1 gab nach ambulanter Untersuchung vom 22. Februar 2019 einen echokardiographisch unauffälligen Befund mit allenfalls leichtgradiger Aortenklappeninsuffizienz an. Im Belastungs-EKG hätten sich keine Auffälligkeiten ergeben, allerdings sei es nach der Ergometrie zu einem vorübergehenden linksthorakalen Ziehen gekommen.

Die Kernspintomographie (MRT) des linken Kniegelenks vom 5. September 2018 (K1) ergab eine ausgeprägte Chondropathie mit geringem Gelenkerguss und kleiner Baker-Zyste.

M1, O Klinik M2 (OKM), befundete am 4. Juli 2018 ein kleinschrittiges Gangbild und führte aus, dass das linke Sprunggelenk in der seitlichen Aufnahme etwas dezentriert imponiere, ansonsten sei der knöcherne Fuß unauffällig.

Der H1 teilte am 29. März 2019 mit, dass sich der Kläger vom 28. Januar 2016 bis 16. April 2018 eher gelegentlich in seiner ambulanten Behandlung befunden habe. Es liege eine rezidivierende depressive Störung ohne Anhalt für eine hirnorganische Störung vor.

Der L2 gab als Diagnose eine Gonarthrose links an. Der Gang sei in allen drei Positionen gut möglich, die Kniegelenksbeweglichkeit betrage links für Extension/Flexion 130-0-0° mit Schmerzangabe am medialen Kniegelenkspalt und retropatellär. Als Therapie sei eine Arthroskopie indiziert.

O1 sah durch die Funktionsbehinderung des Kniegelenkes einen weiteren Teil-GdB von 10 und hielt an der Gesamtbewertung fest. Den Neufeststellungsantrag lehnte das LRA mit Bescheid vom 12. Juli 2019 ab.

Im Widerspruchsverfahren führte Z aus, dass die bekannten Behinderungen bereits ausreichend und entsprechend gewürdigt seien, eine höhere Bewertung lasse sich nicht begründen. Aktuelle und aussagekräftige Facharztbefunde zum bereits anerkannten chronischen Schmerzsyndrom lägen nicht vor. Ob die Ursache der chronischen Schmerzen die seelische Störung oder die orthopädischen Leiden seien, könne nicht sicher hergeleitet werden. Der Gesamt-GdB sei bereits sehr hoch, die Schwerbehinderteneigenschaft werde nicht erreicht.

Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium S2 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 20. September 2019 zurück. Über den GdB sei zuletzt mit Bescheid vom 22. März 2018 entschieden worden. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen liege nicht vor. Berücksichtigt sei ein Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt. Die vorliegende psychische Erkrankung sei als leichtere Störung nur mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten, der sich nicht erhöhend auswirke.

Am 2. Oktober 2019 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, welches zur weiteren Sachaufklärung sachverständige Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte eingeholt hat.

Der E hat bekundet, dass der Kläger Einschränkungen der Wirbelsäulenfunktion, Schmerzen in der LWS und Einschränkungen der großen Gelenke beklage. Die chronischen Depressionen mit tiefen, langen Schüben und chronischen Schmerzen seien unterbewertet. Die „Gesamt-MdE“ betrage 50 %.

Der H1 hat Vorstellungen vom 28. Januar 2016 quartalsweise, vom 21. Juni 2017 bis 16. April 2018 dreimal und wieder ab 26. November 2019 beschrieben. Die Affektivität sei depressiv-dysphorisch gewesen, das Denken grübelnd. Es bestehe eine geringe Leistungsbeeinträchtigung, Hinweise auf ein organisches Psychosyndrom fänden sich nicht. Diagnostisch sei von einer rezidivierenden depressiven Störung, leichte Episode, und einer Dysthymie auszugehen. Der GdB sei auf 20 einzuschätzen, unter wechselhaftem Verlauf habe sich keine wesentliche Änderung ergeben.

Der O2 hat angegeben, den Kläger nur einmalig am 25. September 2018 behandelt zu haben. Es sei über Schmerzen am linken Knie berichtet worden. Die Untersuchung habe eine Beweglichkeit für Extension/Flexion von 0-0-100° ergeben, die Innenmeniskuszeichen seien positiv gewesen. Eine Bandinstabilität habe keine bestanden, ebenso kein intraartikulärer Erguss. Die Röntgenuntersuchung habe keine wesentlichen degenerativen Veränderungen gezeigt. Eine Arthroskopie mit Sanierung des Innenmeniskus sei empfohlen worden.

Der L2 hat von einer dreimaligen Behandlung in 2019 berichtet. Die Kniebeweglichkeit links habe für Flexion/Extension 130-0-0° betragen, der Bandapparat sei stabil gewesen. Am Kniegelenk habe eine leichte Schwellung ohne Ergussbildung bestanden. Die Gonarthrose links sei ein chronischer Zustand und als leicht bis mittelschwer zu bewerten. Die Ellenbogenbeweglichkeit habe bei 140-0-0° gelegen.

Anschließend hat das SG das orthopädische Sachverständigengutachten des J aufgrund ambulanter Untersuchung vom 6. März 2020 erhoben. Diesem gegenüber hat der Kläger angegeben, seit 20 Jahren unter Nackenschmerzen zu leiden. Er erhalte Krankengymnastik für die HWS, eine weitere spezifische Therapie erfolge nicht. Die durchgeführte MRT habe keine Nervenwurzelkompression und keine Einengung des knöchernen Rückenmarkkanals gezeigt. Daneben seien die BWS-Beschwerden kontinuierlich zunehmend mit einem Steifigkeitsgefühl. Die LWS-Beschwerden seien im Verlauf ebenfalls stärker geworden. Die Schulterschmerzen hätten in den letzten sieben bis acht Jahren zugenommen, verbunden mit einer zunehmenden Bewegungseinschränkung in den Gelenken. Die Schmerzen im Bereich der Ellenbogengelenke seien links deutlich stärker als rechts. Hinsichtlich der Schmerzen an den Händen sei der Kläger überzeugt, an einer rheumatischen Erkrankung zu leiden, die fachärztlich nicht habe bestätigt werden können. Die MRT des linken Knies habe zarte Rissbildungen im Bereich des Innenmeniskushinterhorns ergeben. Bei einem PKW-Unfall habe sich der Kläger beide Innenknöchel gebrochen, die Brüche seien osteosynthetisch versorgt und das Osteosynthesematerial zwischenzeitlich wieder entfernt worden.

Der Kläger habe sich in einem altersentsprechenden Allgemein- und mäßig übergewichtigem Ernährungszustand befunden. An den Sprunggelenken seien beidseits Bandagen angelegt gewesen, ebenso am linken Kniegelenk. Die Wirbelsäule habe im Lot gestanden, über den Dornfortsätzen der HWS, BWS und LWS habe sich kein Druck- und nur ein leichter Klopfschmerz gezeigt. Der Finger-Boden-Abstand (FBA) habe bei 19 cm gelegen, das Zeichen nach Ott bei 30:32 cm und das Zeichen nach Schober bei 10:15 cm. Die aktive Beweglichkeit der Schultergelenke für die Arm vorwärts/rückwärts Hebung habe rechts bei 25-0-170° und links bei 25-0-125° gelegen. Passiv habe der Kläger ein weiteres Anheben und Vorführung des linken Armes im linken Schultergelenk durch Gegenspannen nicht zugelassen. Die orientierende Überprüfung der Rotatorenmanschette habe keinen krankhaften Befund und keine typische Impignementsymptomatik gezeigt. Eine auffällige Muskelverschmächtigung im Armbereich bestehe nicht.

Der Barfußgang auf ebener Erde sei ausreichend flüssig bei seitengleicher Schrittlänge und Abrollbewegungen. An den Kniegelenken zeige sich keine Kapselschwellung und kein Erguss, die Beweglichkeit habe beidseits bei 130-0-0° gelegen.

Insgesamt bestehe eine diskrete Fehlstatik der Wirbelsäule mit einer gering eingeschränkten Beweglichkeit der HWS ohne nervenwurzelbedingte neurologische Ausfälle. Die radiologischen Untersuchungen hätten keine Bandscheibenvorfälle, keine wesentlichen degenerativen Veränderungen, keine Nervenwurzelkompressionen und eine normale Weite des knöchernen Rückenmarkskanals gezeigt. Die Schultergelenksbeweglichkeit zeige sich links gegenüber rechts endgradig eingeschränkt, ein relevanter Reizzustand bestehe nicht. Die Hüftgelenksbeweglichkeit sei seitengleich ausreichend frei gewesen, bildgebend bestünden keine auffälligen krankhaften Befunde. Bei geklagten Knieschmerzen seien die Kniegelenke reizfrei und frei beweglich. Die Beweglichkeit der oberen und unteren Sprunggelenke sei seitengleich frei. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule seien mit einem Teil-GdB von 10, die Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks mit einem Teil-GdB von 20 und der Knorpelschaden am linken Knie mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Die Untersuchung habe eine deutliche Diskrepanz zwischen den angegebenen massiven Beschwerden sowie dem klinischen und bildgebenden Befund gezeigt. Eine wesentliche Änderung im Befund seit 2018 lasse sich nicht feststellen. Der Gesamt-GdB sei unter Berücksichtigung der fachfremden Befunde auf 30 einzuschätzen.

Weiter hat das SG den Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik H über die stationäre Rehabilitation vom 25. August bis 25. September 2020 beigezogen. Danach sei der Kläger arbeitsunfähig ins Heilverfahren gekommen und arbeitsunfähig entlassen worden. Nach kurzzeitiger Arbeitsunfähigkeit sei ein voller Einstieg ins Berufsleben in der bisherigen Tätigkeit zu erwarten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnten leichte bis mittelschwere Tätigkeiten verrichtet werden. Es habe ein guter Allgemein- und Ernährungszustand bestanden, internistische Auffälligkeiten seien nicht erkennbar gewesen. Der Kläger seit zeitlich und örtlich orientiert, kooperativ und freundlich gewesen. Psychische Auffälligkeiten hätten nicht bestanden. Das Untersuchungszimmer sei mit linksseitigem Hinken und kleinschrittigem, aber sicherem Gangbild betreten worden. Der FBA habe bei 20 cm gelegen. Die HWS sei endgradig eingeschränkt. An den Schultergelenken bestünden deutliche Bewegungseinschränkungen, der Nackengriff sei knapp durchführbar, der Schultergriff möglich. Die Handgelenke seien endgradig eingeschränkt, die Hüftgelenke altersentsprechend frei. Im Verlauf sei der Rehabilitationstherapiestandard „chronischer Rückenschmerz“ angewandt worden. Der Kläger habe an einer auf Schulterpatienten abgestimmten Schultertherapie und einer Handtherapie für die Hand- und Fingergelenke teilgenommen. Es sei zu einer deutlichen Lockerung der verspannten Muskulatur im Schulter- und Nackenbereich gekommen und eine relative Besserung der Kopfschmerzen eingetreten. Die Schulterschmerzen und Bewegungseinschränkungen hätten durch die Anwendungen nicht beeinflusst werden können. Bei der Abschlussuntersuchung habe ein linkshinkendes Gangbild bestanden, die Stand- und Gangvaria seien im Vergleich zur Aufnahme flexibler durchführbar gewesen. Die Wirbelsäule sei im Lot, die Rückenstrecker sowie die Schulter- und Nackenmuskulatur zeigten im Verlauf einen deutlich geminderten Haltetonus, die Myogelosen seien rückläufig. Im HWS/BWS/LWS-Bereich habe keine Druck- oder Klopfschmerzhaftigkeit bestanden. Der Kläger sei arbeitsunfähig entlassen worden. Die aktuell ausgeübte Tätigkeit als Staplerfahrer sei mit dem Leistungsbild des allgemeinen Arbeitsmarktes in großen Teilen kompatibel. Daher sei die Tätigkeit weiter fortführbar.

Der Beklagte hat die versorgungsärztliche Stellungnahme des R vorgelegt. Danach könnten dem Entlassungsbericht weder weitere, neue Behinderungen entnommen werden noch lasse sich eine wesentliche Verschlimmerung der bereits festgestellten Behinderung erkennen. Auch die seelische Störung mit chronischer Schmerzstörung sei angemessen bewertet.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. Januar 2021 abgewiesen. Im Funktionssystem „obere Gliedmaßen“ hätten sich keine Änderungen ergeben, ebenso sei keine Verschlechterung im Bereich der Hände ersichtlich. Die Funktionsstörungen im Funktionssystem „Rumpf“ hätten sich nicht verschlechtert, ebenso wenig die Funktionsstörungen an den Knien und Füßen. Im Funktionssystem „Gehirn und Nervensystem einschließlich Psyche“ sei ebenfalls keine Verschlechterung erkennbar. Die behandelnden Ärzte der Klinik H hätten zuletzt eine mittelgradige depressive Episode im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung bei leicht reduzierter Schwingungsfähigkeit und Panikattacken sowie eine somatoforme Schmerzstörung gesehen. Einen vergleichbaren Befund hätten der H1, die W1 sowie der E1 bereits vor dem 22. März 2018 beschrieben. H1 habe zugleich ausdrücklich angegeben, dass sich seit dem Jahr 2018 das psychische Leiden des Klägers nicht verschlechtert habe.

Am 22. Februar 2021 hat der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Die Klage sei allein mit der Begründung abgewiesen worden, dass keine wesentliche Verschlechterung im Vergleich zur letzten Bewertung des LRA aus 2018 eingetreten sei. Damit enthalte sich das SG einer tatsächlichen rechtlichen Bewertung der vorliegenden Behinderungen zum Zeitpunkt seiner Entscheidung. Bezeichnenderweise werde an keiner Stelle erwähnt, wie hoch das Gericht die einzelnen Teil-GdB (in %) sehe, auch konkrete Ausführungen zur Bildung des Gesamt-GdB fehlten gänzlich. Änderungen nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) könnten nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht eintreten. Eine Verschlimmerung der Behinderungen von mindestens 10 % bedinge eine solche wesentliche Änderung, wobei auch geänderte Empfehlungen zur GdB-Bildung, etwa im Rahmen der versorgungsmedizinischen Verordnung, als wesentliche Änderung angesehen würden, sodass sich also noch nicht einmal medizinisch die Befundlage im Vergleich zum Vorzustand geändert haben müsse. Fehler bei der GdB-Bildung, also der Rechtsanwendung durch die Verwaltung, könnten, wenn nachträglich im Rahmen eines Verschlimmerungsantrages aufgedeckt, ebenfalls Gegenstand einer Änderung nach § 48 SGB X sein. Er habe als Verschlimmerungen eine Blutgerinnungsstörung sowie Funktionsbehinderungen beider Sprung- und Kniegelenke angegeben.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. Januar 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2019 sowie unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 22. August 2018 einen Grad der Behinderung von mindestens 50 seit dem 25. Februar 2019 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung. Zur Blutgerinnungsstörung sei bereits im angefochtenen Bescheid darauf hingewiesen worden, dass sich hieraus kein Teil-GdB von wenigstens 10 ergäbe. Wenn das SG hinsichtlich des Kniebefundes auf den Zustand im Jahr 2015 verweise, sei damit gemeint, dass auch die von dem Sachverständigen J festgestellte Kniegelenksbeweglichkeit bei fehlenden Schwellungen oder Erguss eigentlich keinen GdB von 10 bedinge. Soweit schlechtere Befunde durch andere Ärzte erhoben worden seien, habe es sich um passagere Verschlechterungen gehandelt, sodass der für das linke Kniegelenk festgestellte GdB von 10 nicht zu erhöhen sei. Am rechten Kniegelenk sei keine Funktionseinschränkung festgestellt worden. Bei dem für die Wirbelsäule angenommenen Teil-GdB von 10 sei das SG nicht von einer Verbesserung ausgegangen, sondern habe lediglich eine Verschlechterung verneint. Eine Verschlechterung des Funktionssystems „Gehirn und Nervensystem einschließlich Psyche“ habe das SG ebenso nicht feststellen können. Der Entlassungsbericht der Klinik H beschreibe lediglich eine Verdachtsdiagnose auf eine Posttraumatische Belastungsstörung, im Übrigen komme es nicht auf die Bezeichnung einer Behinderung, sondern nur auf deren Auswirkungen an. Der neu für das linke Kniegelenk angenommene Teil-GdB von 10 führe nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 26. Januar 2021, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Feststellung eines höheren GdB unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGS) vom 20. September 2019 sowie teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 22. August 2018 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34).

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 12. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Er kann die Neufeststellung des GdB nicht beanspruchen, da sich der Senat ebenso wie das SG schon nicht davon überzeugen konnte, dass in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen überhaupt eine Änderung eingetreten ist.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung im Gesundheitszustand ist auszugehen, wenn diese einen um wenigsten 10 veränderten Gesamt-GdB rechtfertigt (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 12). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt – teilweise –  aufzuheben und durch die zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 – 9a RVs 55/85 –, juris, Rz. 11 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des – teilweise – aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 V 2/10 R –, SozR 4-3100 § 35 Nr. 5, Rz. 38 m. w. N.).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da sich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die dem maßgeblichen Vergleichsbescheid vom 22. August 2018 zu Grunde lagen, schon gar nicht geändert haben. Unabhängig davon rechtfertigen die bei dem Kläger objektivierten Gesundheitsstörungen bereits den zuerkannten GdB von 40 nicht, worauf Z versorgungsärztlich zu Recht hingewiesen hat und was durch den Sachverständigen J bestätigt wird.

Aus den diesbezüglichen rechtlichen Ausführungen des Klägers folgt nichts anderes. Zwar trifft es zu, dass eine Änderung der rechtlichen Grundlagen zur Einschätzung des GdB eine rechtliche Änderung darstellen kann (vgl. bereist zu den AHP: BSG, Urteil vom 11. Oktober 1994 – 9 RVs 1/93 –, juris, Rz. 12), jedoch ist eine solche seit dem maßgebenden Vergleichsbescheid nicht eingetreten. Dass eine im Rahmen eines Nachfeststellungsverfahrens erkannte unrichtige Einschätzung des GdB über § 48 SGB X zu korrigieren wäre, trifft in dieser Allgemeinheit ebenfalls nicht zu. Die Vorschrift unterscheidet zwar nicht danach, ob der Verwaltungsakt, der aufgehoben werden soll, rechtmäßig oder rechtswidrig war, jedoch begründet die Aufdeckung einer Fehldiagnose oder eines überhöhten GdB allein keine wesentliche Änderung. Anders liegt der Fall indessen, wenn sich der gesundheitliche Zustand so gebessert hat, dass eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen vorliegt. In diesem Fall ist § 48 SGB X auch auf von Anfang an rechtswidrige Verhaltungsakte anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 2013 – B 2 U 25/11 R –, juris, Rz. 19). Abgesehen davon, dass im Falle des Klägers keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der GdB im maßgeblichen Vergleichsbescheid zu niedrig eingeschätzt ist, bedeutete die Argumentation des Klägers im Umkehrschluss, dass auch der Beklagte bei einer erkannten unzutreffenden Einschätzung des GdB zu einer Aufhebung nach § 48 SGB X berechtigt wäre, was mit dem durch die Vorschrift bezweckten Vertrauensschutz nicht zu vereinbaren ist. Dass die angenommenen Teil-GdB nicht in Bestandskraft erwachsen und bei Vorliegen einer tatsächlichen oder rechtlichen Veränderung der Verhältnisse erneut beurteilt werden können, ohne dass eine Bindung an die zuvor angenommenen Werte besteht, ändert nichts daran, dass zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 SGB X erfüllt sein müssen.

Der Anspruch richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 V 25/98 R –, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“ oder „Altersstar“) bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris, Rz. 5).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSGE 82, 176 [177 f.]). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der GdB mit 40 nicht rechtswidrig zu niedrig eingeschätzt ist.

Im Funktionssystem „Rumpf“, zu dem auch die Wirbelsäule zu rechnen ist, wird ein GdB von 20 entgegen der versorgungsärztlichen Einschätzung nicht erreicht, vielmehr ist das Funktionssystem mit einem GdB von maximal 10 zu bewerten.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für angeborene und erworbene Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend bestimmt durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung und Minderbelastbarkeit) sowie die Mitbeteiligung anderer Organsysteme. Die üblicherweise auftretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen sind gegebenenfalls zusätzlich zu werten (vgl. VG, Teil A, Nr. 2 j). Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Gelenke können schwerwiegender als eine Versteifung sein. Bei Haltungsschäden und/oder degenerativen Veränderungen an Gliedmaßengelenken und an der Wirbelsäule (z. B. Arthrose, Osteochondrose) sind auch Gelenkschwellungen, muskuläre Verspannungen, Kontrakturen oder Atrophien zu berücksichtigen. Mit bildgebenden Verfahren festgestellte Veränderungen (z. B. degenerativer Art) allein rechtfertigen noch nicht die Annahme eines GdB. Ebenso kann die Tatsache, dass eine Operation an einer Gliedmaße oder an der Wirbelsäule (z. B. Meniskusoperation, Bandscheibenoperation, Synovialektomie) durchgeführt wurde, für sich allein nicht die Annahme eines GdB begründen. Bei den entzündlich-rheumatischen Krankheiten sind unter Beachtung der Krankheitsentwicklung neben der strukturellen und funktionellen Einbuße die Aktivität mit ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und die Beteiligung weiterer Organe zu berücksichtigen.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 ergibt sich der GdB bei angeborenen und erworbenen Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylolisthesis, Spinalkanalstenose und dem so genannten „Postdiskotomiesyndrom“) primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Der Begriff Instabilität beinhaltet die abnorme Beweglichkeit zweier Wirbel gegeneinander unter physiologischer Belastung und die daraus resultierenden Weichteilveränderungen und Schmerzen. So genannte „Wirbelsäulensyndrome“ (wie Schulter-Arm-Syndrom, Lumbalsyndrom, Ischialgie sowie andere Nerven- und Muskelreizerscheinungen) können bei Instabilität und bei Einengungen des Spinalkanals oder der Zwischenwirbellöcher auftreten. Für die Bewertung von chronisch-rezidivierenden Bandscheibensyndromen sind aussagekräftige anamnestische Daten und klinische Untersuchungsbefunde über einen ausreichend langen Zeitraum von besonderer Bedeutung. Im beschwerdefreien Intervall können die objektiven Untersuchungsbefunde nur gering ausgeprägt sein.

Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität haben einen GdB von 0 zur Folge. Gehen diese mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz-dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) einher, ist ein GdB von 10 gerechtfertigt. Ein GdB von 20 ist bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) vorgesehen. Liegen schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vor (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ist ein Teil-GdB von 30 angemessen. Ein GdB-Rahmen von 30 bis 40 ist bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorgesehen. Besonders schwere Auswirkungen (etwa Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z. B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) eröffnen einen GdB-Rahmen von 50 bis 70. Schließlich ist bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB-Rahmen zwischen 80 und 100 vorgesehen. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen – oder auch die intermittierenden Störungen bei der Spinalkanalstenose – sowie Auswirkungen auf die inneren Organe (etwa Atemfunktionsstörungen) sind zusätzlich zu berücksichtigen. Bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen kann auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen (z. B. Postdiskotomiesyndrom) ein GdB über 30 in Betracht kommen.

Ausgehend von diesen Maßstäben besteht bei dem Kläger weder eine Bewegungseinschränkung noch eine Instabilität im Bereich aller drei Wirbelsäulenabschnitte, wie der Senat dem Sachverständigengutachten des J entnimmt. Bei seiner Untersuchung bestand kein Druck- und nur eine leichter Klopfschmerz über den Dornfortsätzen der HWS, BWS und LWS, die Zeichen nach Ott (10:15 cm) und Schober (10:15 cm) zeigten Normalmaße. Die Beweglichkeit der HWS lag mit beidseits möglicher Seitneigung von 30° (Norm: 30 bis 40°-0-30 bis 40°) und Rotation von 60-0-50° (Norm: 60 bis 80°-0-60 bis 80°) nur für eine Bewegungsrichtung geringfügig außerhalb der Normmaße. Ebenso war die Rotationsfähigkeit von BWS/LWS mit 40-0-40° (Norm: 30 bis 50°-0-30 bis 50°) nicht eingeschränkt. Aus der etwas stärker eingeschränkten Seitneigung mit 20-0-20° (Norm: 30 bis 40°-0-30 bis 40°) allein lässt sich eine wenigstens mittelgradige Einschränkung nicht herleiten. Die MRT ergab, so J weiter, keine Nervenwurzelkompression und keine Einengung des Rückenmarkkanals, sodass der gute Funktions- sich mit dem radiologischen Befund, auf den es indessen alleine nicht ankommt (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.1), deckt. Lediglich der Umstand, dass wegen muskulärer Verspannung im Bereich der HWS wohl Krankengymnastik in Anspruch genommen wird, macht die Einschätzung des Sachverständigen auf einen Teil-GdB von 10 überhaupt nachvollziehbar. Aus dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik H, den der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) ergibt sich nichts Anderes, nachdem darin schon eine Druck- und Klopfschmerzhaftigkeit im Bereich von HWS, BWS und LWS verneint wird.

Soweit der Kläger der nachhaltigen Überzeugung ist, an einer rheumatischen Erkrankung zu leiden (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.2.1), hat der G1 eine solche schon im vorangegangenen Neufeststellungsverfahren ausdrücklich ausgeschlossen und J hat erneut bestätigt, dass es hierfür an Befunden fehlt.

Das Funktionssystem „Arme“ ist mit keinem höheren Teil-GdB als 10 zu bewerten.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 sind Bewegungseinschränkung des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) bei einer nur bis 120° möglichen Armhebung mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB 10 und eine nur bis 90° mögliche Armhebung mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 20 zu bewerten.

Der Sachverständige J hat eine Beweglichkeit des rechten Schultergelenks des Klägers von 170-0-25° und damit einen Normalbefund erhoben, links bestand eine Einschränkung auf 125-0-25° und damit ebenfalls keine solche, die einen GdB von wenigstens 10 rechtfertigt. Korrespondierend hierzu hat der Sachverständige eine auffällige Muskelverschmächtigung im Armbereich, die auf einen Mindergebrauch hindeuten würde, ausdrücklich verneint. Die Überprüfung der Rotatorenmanschette ergab keinen kranhaften Befund und eine typische Impignementsymptomatik zeigte sich nicht, ebenso keine Reizzustände. Dass die Rehabilitationsklinik H einen schlechteren Funktionsbefund erhoben hat, belegt zum einen keine dauerhafte Verschlechterung, zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Sachverständige J explizit darauf hingewiesen hat, nur die vom Kläger demonstrierte Armhebung befundet zu haben, da dieser ein passives Anheben und Vorführen des linken Armes durch Gegenspannen verhindert hat. Dies untermauert die weiteren Darlegungen des Sachverständigen, dass während der gesamten Untersuchung eine deutliche Diskrepanz zwischen den angegebenen massiven Beschwerden und dem klinischen sowie bildgebenden Befund bestand.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 führt eine Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk geringen Grades (Streckung/Beugung bis 0-30-120° bei freier Unterarmdrehbeweglichkeit) zu einem GdB von 0 bis 10. Eine solche wenigstens geringgradige Einschränkung besteht bei dem Kläger nicht, nachdem L2 eine Beweglichkeit von 0-0-140° befundet und J keinen abweichenden Befund erhoben hat. Lediglich die Unterarmdrehfähigkeit war endgradig eingeschränkt.

Hinsichtlich der Hände (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.13) stellt der Sachverständige fest, dass ein diffuser Druckschmerz geklagt wurde, sich aber keine Schwellung oder Entzündungszeichen ergaben. Die Beweglichkeit der Hand- und Daumengelenke hat er als frei befundet, ebenso die Beweglichkeit der Langfingergrund- und mittelgelenke. Bei seitengleicher Handspanne und möglichem kompletten Faustschluss beschreibt er lediglich die Beugung der Langfinger als 25-40° limitiert. Die Griffvarianten waren sämtlich möglich und die Prüfung der groben Kraft zeigte keine Seitendifferenz, sodass der J hieraus schlüssig keine GdB-Relevanz ableitet.

Im Funktionssystem „Nervensystem und Psyche“ kommt kein höherer Teil-GdB als 20 in Betracht, wie ihn der behandelnde H1 ebenfalls eingeschätzt hat.

Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 begründen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdB von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdB-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher Behandlung in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden- Württemberg, Urteil vom 17. Dezember – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Hiervon ausgehend besteht bei dem Kläger nicht mehr als eine leichte Episode einer rezidivierenden depressiven Störung und eine Dysthymie, wie der Senat der sachverständigen Zeugenauskunft des H1 entnimmt. Dieser hat nur gelegentliche Konsultationen des Klägers beschreiben können und insbesondere eine Änderung im Gesundheitszustand gegenüber 2018 ausdrücklich verneint. Aus der depressiv-dysphorischen Affektivität folgt, so H1 weiter, selbst unter Berücksichtigung eines wechselhaften Verlaufs (vgl. auch VG, Teil A, Nr. 2f) nur eine geringe Leistungsbeeinträchtigung. Zuletzt hat die Rehabilitationsklinik H psychische Auffälligkeiten ausdrücklich verneint und den Kläger als zeitlich, örtlich, kooperativ sowie freundlich beschrieben, sodass R versorgungärztlich für den Senat überzeugend verwiesen hat, dass die seelische Störung mit chronischer Schmerzstörung bereits angemessen bewertet worden ist. Vor dem Hintergrund des von der Rehabilitationsklinik erhobenen – unauffälligen – psychischen Befundes, der demjenigen des – sporadisch – behandelnden Arztes entspricht, ist es in keiner Weise plausibel, wenn die H3 aufgrund einer Beratung während der Rehabilitation einen umfassenden Therapiebedarf konstatiert. Dabei stützt sie sich ersichtlich nur auf die subjektiven Beschwerdeschilderungen des Klägers, ohne sich mit den Vorbefunden erkennbar auseinandergesetzt zu haben. Schlüssige diagnostische Überlegungen, die den von ihr geäußerten Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung wegen des körperlichen Angriffs auf den Sohn vor sechs Jahren tragen würden, fehlen gänzlich. Abgesehen davon entnimmt der Senat dem Bescheid des LRA vom 9. März 2010, dass der Kläger in die Auseinandersetzung des Sohnes zwar involviert gewesen ist, aber nur leichtgradige Verletzungen davon getragen haben, die folgenlos ausgeheilt sind.

Im Funktionssystem „Beine“ besteht kein höherer Teil-GdB als 10, wie ihn J ebenfalls gesehen hat.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 werden Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0-0-90°) einseitig mit einem GdB von 0 bis 10 und beidseitig mit einem GdB von 10 bis 20 bewertet. Ein höherer GdB (einseitig 20 und beidseitig 40) wird erst bei Bewegungseinschränkungen mittleren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0-10-90°) erreicht.

Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z. B. Chondromalacia patellae Stadium II bis IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen werden einseitig ohne Bewegungseinschränkungen mit einem GdB von 10 bis 30 und mit Bewegungseinschränkungen mit einem GdB von 20 bis 40 bewertet. Unter anhaltenden Reizerscheinungen sind sichtbare Veränderungen an den Kniegelenken in Form von Überwärmungen, Schwellungen oder Ergüssen zu verstehen, die zumindest längerfristig vorhanden sind (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. August 2011 – L 13 SB 161/10 –, juris, Rz. 28).

Relevante Bewegungseinschränkungen im Bereich der Kniegelenke sind nicht objektiviert. Bereits der L2 mit einer Beweglichkeit von 0-0-130° einen Normalbefund erhoben und ein in allen drei Positionen gut mögliches Gangbild beschrieben. Soweit der O2 die Beweglichkeit nur mit 0-0-100° angegeben hat, liegt darin immer noch keine wenigstens geringgradige Einschränkung. Der Befund konnte von J nicht bestätigt werden, der wieder eine Beweglichkeit von 0-0-130° erhoben hat. Sowohl L2 wie O2 und auch J haben relevante Schwellungen und Ergüsse in den Kniegelenken, insbesondere links, ausdrücklich verneint und somit keine klinisch relevanten Auswirkungen der im MRT von 2018 vorbeschriebenen Chondropathien bestätigen können. Eine höhere Bewertung des Knorpelschadens als mit einem Teil-GdB von 10, wie ihn J sieht, kommt damit nicht in Betracht, nachdem anhaltende Reizerscheinungen gerade nicht nachgewiesen sind und eine relevante Bewegungseinschränkung nicht besteht.

Soweit der Kläger auf Funktionsbeeinträchtigungen an den Sprunggelenken (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.14) verweist, sind solche nicht objektiviert. Zwar wird ein Verkehrsunfall mit einem Bruch des Innenknöchels beschrieben, der osteosynthetisch versorgt wurde, bei bereits erfolgter Metallentfernung. Bereits im vorangegangenen Verfahren hat die OKM bereits einen unauffälligen knöchernen Fuß beschrieben und J hat das OSG sowie USG als frei befundet. In seiner Untersuchung zeigte sich der Barfußgang auf ebener Erde ausreichend flüssig bei seitengleicher Schrittlänge und seitengleichen Abrollbewegungen beider Füße. Der Zehenspitzen- und Hackenstand gelang beidseits kraftvoll, eine auffällige Muskelverschmächtigung im Beinbereich, die auf einen Mindergebrauch hindeuten könnte, bestand nicht.

Im Funktionssystem „Herz und Kreislauf“ ist kein Teil-GdB gegeben (vgl. VG, Teil B, Nr. 9.1.1), nachdem bei dem Kläger ein echokardiographisch unauffälliger Befund mit einer allenfalls leichtgradigen Aortenklappeninsuffizienz besteht, wie der Senat dem Befundbericht des L1 entnimmt. Dieser hat weiterhin im Belastungs-EKG, abgesehen von einem vorübergehenden linksthorakalen Ziehen, keine Auffälligkeiten objektivieren können. Der im vorangegangenen Neufeststellungsstellungsverfahren versorgungsärztlich von H2 angenommene Teil-GdB von 20 war schon damals unschlüssig, worauf die D1 hingewiesen hat und was durch den Befundbericht des M bestätigt worden ist. Dieser hat nämlich eine Belastungskoronarinsuffizienz ausdrücklich ausgeschlossen, bei unverändertem EKG eine Belastbarkeit bis 150 Watt in der Ergometrie beschrieben und auf eine atypische Symptomatik hingewiesen. Ebenfalls schon im vorangegangenen Verfahren hat Z schlüssig – und ohne dass Anhaltspunkte für eine Änderung bestehen – hinsichtlich des Bluthochdrucks (vgl. VG, Teil B, Nr. 9.3) ausgeführt, dass dieser medikamentös behandelt werden kann und keine Organschäden bestehen.

Im Funktionssystem „Atmung“ ist ebenfalls kein Teil-GdB zu berücksichtigen, da eine dauernde Einschränkung der Lungenfunktion (vgl. VG, Teil B, Nr. 8.3) nicht nachgewiesen ist. Vielmehr lässt sich der Aktenlage nur entnehmen, dass zeitlich vor dem maßgeblichen Vergleichsbescheid ein hyperreagibles Bronchialsystem beschrieben worden, ohne dass eine Wiedervorstellung bei dem V erfolgt wäre. Die Rehabilitationsklinik H gibt dementsprechend einen unauffälligen internistischen Status an und hat ebenfalls keine relevanten Einschränkungen beschrieben.

Letztlich ist versorgungsärztlich überzeugend dargelegt worden, dass die geltend gemachte Blutgerinnungsstörung keinen Teil-GdB von wenigstens 10 im Funktionssystem „Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem“ rechtfertigt.

Aus den vorliegenden Teil-GdB von maximal 20 im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ und weiteren Teil-GdB von maximal 10 in den Funktionssystemen „Rumpf“ und „Arme“ und „Beine“ ergibt sich bereits der festgestellte Gesamt-GdB von 40 nicht. Unter Berücksichtigung der Grundsätze für die Bildung des Gesamt-GdB, wonach insbesondere Einzel-GdB-Werte nicht addiert werden dürfen (VG, Teil A, Nr. 3, a) sowie grundsätzlich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, und es auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (VG, Teil A, Nr. 3, d, ee), wird ein Gesamt-GdB von 40 schon nicht erreicht und erst recht kein darüber liegender. Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigen es die mit einem Teil-GdB von 10 bewerteten Gesundheitsstörungen in keiner Weise, den Gesamt-GdB auf 50 zu erhöhen. Die Funktionsbeeinträchtigungen sind mit denjenigen, die zum Erreichen der Schwerbehinderteneigenschaft vorauszusetzen sind, in keiner Weise vergleichbar.

Den gegenteiligen Ausführungen des Allgemeinmediziners Erdogan folgt der Senat in Gänze nicht. Dieser referiert ersichtlich nur die Beschwerdeangaben des Klägers und verweist auf Diagnosen, die sämtlich fachärztlich nicht bestätigt werden konnten, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt. Für seine hierauf gründende pauschale Einschätzung „Gesamt-MdE“ von 50 fehlt es an jeglichen objektivierten Befunden und diese wird von ihm auch in keiner Weise schlüssig begründet, worauf es aber schon deshalb nicht ankommt, da es sich bei der Einschätzung des GdB um eine Rechtsfrage handelt, die nicht medizinisch zu beurteilen ist, sondern vom Senat.

Die teilweise Aufhebung des festgestellten GdB von 40 ist dem Senat wegen des im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz [GG]) verankerten Grundsatzes der reformatio in peius, wonach eine Rechtsmittelführenden gegenüber ergangene Verwaltungsentscheidung auch im Berufungsverfahren nicht zu ihren Ungunsten abgeändert werden darf (vgl. BSG, Urteil vom 29. Februar 1956 – 10 RV 75/55 –, BSGE 2, 225 <228 f.>), indes verwehrt.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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