Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. November 2020 teilweise aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, unter Abänderung des Bescheides vom 16. Februar 2018 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 20. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2018 einen Grad der Behinderung von 50 seit dem 11. Oktober 2017 festzustellen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin hat der Beklagte in beiden Instanzen zwei Drittel zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die höhere Erstfeststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit mehr als 30 nach Granulomatose mit Polyangiitis (Erstdiagnose Juni 2017).
Sie ist 1962 geboren, hat von 1978 bis 1981 als Einzelhandelskauffrau gearbeitet und ist von 1981 bis 1990 sowie seit 1993 als Bankkauffrau berufstätig. Sie ist verheiratet, hat drei Kinder und bewohnt eine 120 qm große Wohnung mit Garten, die von ihr versorgt wird (Anamnese D).
Am 11. Oktober 2017 beantragte sie bei dem Landratsamt L (LRA) erstmals die Feststellung des GdB. Vorgelegt wurde der Entlassungsbericht des Klinikums L über die stationäre Behandlung vom 7. Juni bis 1. Juli 2017. Danach habe bei Aufnahme ein leicht reduzierter Allgemeinzustand und ein guter Ernährungszustand bestanden. In der Computertomographie (CT) hätten sich bipulmonale ausgeprägte milchglasartige, teil kongluierende, alle Lappen übergreifende Verdickungen gezeigt, die als entzündliche in Konsolidierung übergehende Infiltrate zu beurteilen seien. Bronchoskopisch habe sich das gesamte Bronchialsystem durch frischblutiges Sekret ausgekleidet gezeigt. Der histologische Befund sei nicht wegweisend gewesen. Perinterventionell sei eine respiratorische Partialinsuffizienz aufgetreten, sodass die Klägerin intubiert geblieben sei. Die Infektparameter hätten sich nicht relevant erhöht gezeigt, eine antibiotische Behandlung sei zunächst nicht begonnen worden. Es sei eine Decorinstoßtherapie sowie eine Therapieeinleitung mit Rituximab in wöchentlichen Abständen begonnen worden. Im Verlauf sei es zu einem CRP-Anstieg ohne klinische Infektzeichen gekommen. Aufgrund der Vorerkrankung und immunsuppressiven Behandlungen sei eine passagere empirische antibiotische Therapie mit Piperacillin erfolgt. Nachdem in den initial entnommenen Urinkulturen Proteus mirabilis in signifikanter Keimzahl nachgewiesen worden seien, sei die antibiotische Therapie antibiogrammgerecht auf Ciprofloxacin deeskaliert worden. In den Blutkulturen habe kein Keim nachgewiesen werden können. Auffällig sei eine ausgeprägte Polyurie nach Extubation gewesen, die sich im Verlauf gebessert habe. Bei sonografisch nachgewiesener tiefer Beinvenenthrombose sei eine Vollantikoagulation begonnen worden. Der Verdacht auf ein Schlafapnoe-Syndrom habe sich in der durchgeführten Porti-Messung nicht bestätigt. Im weiteren Verlauf sei es zu einer deutlichen klinischen Besserung ohne Sauerstoffbedarf gekommen.
Vom 18. Juli bis 15. August 2017 wurde die Anschlussheilbehandlung (AHB) in der MediClin A K durchgeführt. Im Entlassungsbericht wurde dargelegt, dass die Aufnahme nach alveolärem Hämorrhagie-Syndrom bei Morbus Wegener (Bezeichnung heute Granulomatose) und lungenfunktionellem Normalbefund erfolgt sei. Hinsichtlich der ergometrischen Belastbarkeit sei im Belastungs-EKG über 13 Minuten und 54 Sekunden ein Belastungsniveau von 75 Watt erreicht worden. Der psychische Status sei unauffällig. Grob orientierend bestehe kein fokal-neurologisches Defizit. Die Herzfrequenz habe 73 % der maximalen altersentsprechenden Herzfrequenz entsprochen. Angina pectoris-typische Beschwerden seien ebenso wie Herzrhythmusstörungen nicht aufgetreten. Der Lungenfunktionstest habe keine Obstruktion, keine Restriktion und keine Überblähung gezeigt. Der Rehabilitationsaufenthalt habe sich komplikationslos gestaltet, die Klägerin sei kardiopulmonal stabil gewesen. Die Teilnahme an den Gesundheitsschulungen sowie an der Ernährungsberatung habe dem konsequenten Erlernen von gesundheitsorientierten Verhaltens- und Ernährungsweisen gedient. Laborchemisch habe sich im Abschlusslabor eine rückläufige Tendenz bezüglich der bestehenden Hyperlipidämie gezeigt. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bankkauffrau könne mit stufenweiser Wiedereingliederung fortgeführt werden.
S sah versorgungsärztlich keine länger als sechs Monate andauernden Funktionseinschränkungen, sodass das LRA gestützt hierauf den Antrag mit Bescheid vom 16. Februar 2018 ablehnte.
Im Widerspruchsverfahren erhob das LRA den Befundschein des S1, der ausführte, dass 2017 eine Rituximabinduktion (viermalige Gabe) durchgeführt worden sei. Nachfolgend sei eine Erhaltungstherapie mit Azathioprin erfolgt, die wegen Unverträglichkeit auf Methotrexat umgestellt worden sei. Die letzte CT-Thorax Kontrolle Ende August 2017 habe eine gute Rückbildung der vorbekannten Infiltrate mit geringen narbigen Veränderungen gezeigt. Zuletzt habe sich im Februar 2018 eine Bronchitis mit zentralen Infiltraten ereignet, die im Verlauf wieder rückläufig gewesen sei. Hier bestehe am ehesten eine infektiöse Genese. Bildgebend zeigten sich derzeit, unter Erhaltungstherapie mit Methotexat, nur geringe Narben als Folgen der bekannten Granulomatose mit Polyangiitis. Eine pulmologische Vorstellung zur Funktionsfähigkeit der Lunge solle ergänzend erfolgen. Hals-nasen-ohrenärztliche (HNO)-Kontrollen liefen wegen der Sinusitiden. Von rheumatologischer Seite zeige sich eine Granulomatose mit Polyangiitis unter Erhaltungstherapie mit Methotrexat aktuell in Remission, der GdB sei nicht unter 50 zu bemessen.
Der D1 führte aus, dass wegen der Granulomatose in Remission mit entzündlicher Gefäßerkrankung und ständiger Behandlungsbedürftigkeit ein GdB von 30 anzunehmen sei.
Mit Teilabhilfebescheid vom 20. Juni 2018 stellte das LRA einen GdB von 30 seit dem 11. Oktober 2017 fest.
Den Widerspruch im Übrigen wies das Regierungspräsidium S2 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2018 zurück. Bezüglich der Granulomatose in Remission mit entzündlicher Gefäßerkrankung und ständiger Behandlungsbedürftigkeit ergäben sich keine Hinweise, die ein Abweichen von der bisherigen Beurteilung rechtfertigten. Die klinische Symptomatik sei bereits ausreichend bewertet. Der festgesetzte GdB schließe die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtige auch besonders schmerzhafte Zustände. Anderweitige Funktionsbeeinträchtigungen behindernden Ausmaßes mit Dauerwirkung könnten den vorliegenden Berichten nicht entnommen werden. Die Anerkennung verminderter Erwerbsfähigkeit durch einen Rentenversicherungsträger oder die Feststellung einer Dienst- oder Arbeitsunfähigkeit erlaube keine Rückschlüsse auf den GdB, weil sie nach anderen Kriterien beurteilt würden.
Am 9. November 2018 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und den Entlassungsbericht der M Klinik K1 über die stationäre Behandlung vom 5. bis 20. November 2018 vorgelegt. Danach sei die Einweisung durch die betreuende Rheumatologin bei ausgeprägter Fatique-Symptomatik erfolgt. Es bestünden immer wieder Husten und Kurzatmigkeit ohne blutigen Auswurf. Rezidivierend habe sich immer wieder Nasenbluten entwickelt. Ein- bis zweimal die Woche, insbesondere nach MTX-Einnahme, komme es zu Übelkeit und Er-brechen. In der Bodyplethysmographie habe sich keine Restriktions- und keine Obstruktionsstörung gezeigt. In der CT hätten Zeichen einer initialen Lungenfibrose, keine intrapulmonalen Rundherde, keine Granulome, keine Pneumonie und kein Pleuraerguss bestanden. Die Kernspintomographie (MRT) des Schädels habe keine frische Ischämie oder intracranielle Blutung gezeigt. Es sei eine Rheumakomplexbehandlung durchgeführt worden. Auszugehen sei von einem Minor Rezidiv bei Zunahme der HNO-Beteiligung und erhöhten Entzündungswerten. Es sei eine Therapie mit INH eingeleitet worden, die INH-Prophylaxe solle über 9 Monate durchgeführt werden, parallel zur Basistherapie. Da ein Studieneinschluss momentan nicht möglich sei, sei eine Steroidstoßtherapie beginnend mit Prednisolon eingeleitet worden, um langsame Reduktion werde gebeten. Zudem werde eine Weiterführung der Medikation mit MTX empfohlen.
Zur weiteren Sachaufklärung hat das SG zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständigen Zeugen angehört.
Der S1 hat bekundet, dass an der Lunge der Klägerin geringe Vernarbungen verblieben seien. Zuletzt sei es zu einem Minor Rezidiv im Oktober 2019 mit einem stationären Aufenthalt in der M Klinik K1 und intermittierender Erhöhung der Prednisolontagesdosis gekommen. Die Klägerin sei vor allem durch die ausgeprägte, durch die Entzündungskrankheit bedingte Fatique-Symptomatik beeinträchtigt. Er gehe von einem GdB von 40 bis 50 aus, da eine komplexe Vaskulitis mit notwendiger antirheumatischer Dauertherapie und Überwachung bestehe.
Der S3 hat eine letzte Vorstellung am 1. April 2019 bei Virusinfekt beschrieben. Bei der granulomatösen Polyangiitis mit pulmonaler Beteiligung handele es sich um eine schwere generalisierte immunologische Systemerkrankung, welche bei der Klägerin zunächst aufgrund des pulmonalen Befalls eine invasive Beatmung notwendig gemacht habe. Daneben bestehe eine tiefe Beinvenenthrombose und es habe sich eine Niereninsuffizienz Grad II entwickelt. Es hätten vielfache stationäre Aufenthalte im Jahr 2017 stattgefunden und es bestehe eine deutliche körperliche Einschränkung und Schwächung sowie eine erhebliche seelische Belastung. Die Erkrankung sei chronisch. Sie sei behandelbar, aber nicht heilbar. Derzeit finde eine immunsuppressive Dauertherapie statt. Dennoch sei es zu einem Minor Rezidiv gekommen. Der weitere Verlauf sei nicht sicher abschätzbar.
Weiter hat die Klägerin den Entlassungsbericht der M Klinik K1 über die stationäre Behandlung vom 6. bis 10. Mai 2019 vorgelegt. Danach habe sich bei Aufnahme ein guter Allgemein- und adipöser Ernährungszustand gezeigt. Die Messung der Diffusionskapazität habe einen unauffälligen Befund ergeben, in der Spirometrie habe sich keine Obstruktion gezeigt. Das Belastungs-EKG sei nach 4 Minuten bei 100 Watt wegen beginnenden körperlicher Erschöpfung abgebrochen worden, ein Hinweis für eine Koronarischämie habe sich nicht ergeben, nur ein mäßiger Trainingszustand. Die Umgebungsdiagnostik habe einen unauffälligen Befund gezeigt, ebenso die Röntgenaufnahme des Thorax. Eine Bildgebung des Schädels sei während des letzten Aufenthaltes unauffällig gewesen, sodass auf eine erneute Bildgebung verzichtet worden sei. Im HNO-Konzil habe sich eine moderate Aktivität der GPA ergeben, sodass zusammenfassend von einem Minor Rezidiv bei bestehender HNO-Beteiligung und erhöhten Entzündungswerten auszugehen sei. Nach ambulanter Untersuchung am 7. Juli 2019 wurde eine humorale Aktivität im Rahmen der Granolimatose mit Polyangiitis, nun klinisch progredienter Belastungsdyspnoe sowie nicht produktivem Husten und progredienter blutiger Rhinorrhoe beschrieben. Eine erneute Induktionstherapie mit Rituxmab sei indiziert.
B sah weiterhin versorgungsärztlich einen GdB von 30, da als Dauertherapie eine Basistherapie mit Methtorexat und ggf. Prednisolon durchgeführt werde. Eine Lungen- und Nierenbeteiligung sei nicht nachgewiesen.
Anschließend hat das SG das internistisch-rheumatologische Sachverständigengutachten des D aufgrund ambulanter Untersuchung vom 24. September 2019 erhoben. Dieser hat ausgeführt, dass im Vordergrund der Probleme die wiederkehrenden Entzündungen und Verkrustungen im Nasenbereich sowie die Entzündungen der oberen Luftwege, die Abgeschlagenheit und die fehlende Belastbarkeit stünden. Die Klägerin habe angegeben, sich derzeit in Wiedereingliederung mit zwei Stunden pro Tag zu befinden, sie könne sich aber eine Vollzeittätigkeit nicht mehr vorstellen und strebe ein Altersteilzeitmodell an. Die Wohnung von 120 qm zuzüglich Garten werde von ihr selbst versorgt, derzeit mit regelmäßigen Pausen aufgrund fehlender Fitness. Ein geplantes Anschlussprogramm zur Verbesserung der Fitness stehe noch aus und sei für Oktober vorgesehen. Sie sei vor ihrer Erkrankung sportlich gewesen, ihre Hobbies habe sie sämtlich aufgeben müssen. Laborchemisch hätten sich keine Hinweise auf eine systemische Aktivität und unauffällige Befunde hinsichtlich der rheumatologisch-relevanten Befunde ergeben. Im Verlauf habe sich unter einem adäquaten rheumatologisch-medikamentösen Therapieregime eine stabilisierte Befundsituation gezeigt, wobei zuletzt beim Versuch, Prednisolon unter einer modifizierten Behandlung (Studienmedikation) abzusetzen, eine erneuter Schub im Juli 2019 aufgetreten sei. Ohne Einsatz einer regelmäßigen Prednisolon-Medikation habe bis zum jetzigen Zeitpunkt keine anhaltende Remission erreicht werden können. Unter 7,5 mg Prednisolon/Tag bestehe eine stabilisierte Befundsituation und insgesamt sei unter Heranziehung der letzten Laborparameter das entzündlich-rheumatische Geschehen in Remission. Allerdings könne angesichts des bisherigen Verlaufs nicht ausgeschlossen werden, dass es erneut zu entzündlichen Schubsituationen mit Beteiligung innerer Organe komme. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Erschöpfbarkeit und allgemeinen Müdigkeit stehe diese im Zusammenhang mit einer Fatique-Symptomatik. Aus rheumatologischer Sicht werde davon ausgegangen, dass bei Auftreten von andauernd bestehenden Stressoren reaktiv muskuläre und vegetative Reaktionen aufträten und sich in der Folge eine Problematik zeige, die schließlich zu zusätzlichen Somatisierungsreaktionen, einhergehend mit körperlicher Einschränkungen und verminderter Belastbarkeit führe, ohne dass zusätzlich wesentliche organische Auffälligkeiten nachzuweisen seien. Unter Zugrundelegung der Diagnose einer granulomatösen Polyangiitis mit wiederkehrenden Schubsituationen seit 2017 und unter Berücksichtigung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG), Teil B, Nr. 18.2.1 bei einer Erkrankung mit mittelgradigen Auswirkungen (dauernde erhebliche Funktionseinbußen und Beschwerden, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität) sowie VG, Teil B, Nr. 18.2.3 (einer für die Dauer über 6 Monate anhaltende aggressive Therapie) ergäbe sich in der Gesamtschau ein GdB von mindestens 50.
Der Beklagte ist dem Sachverständigengutachten unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme der B1 entgegengetreten. Bei der stationären Behandlung im Mai 2019 seien die Diffussionskapazität und die Spirometrie unauffällig gewesen, ein Belastungs-EKG habe bis 100 Watt durchgeführt werden können. Echokardiographisch habe sich eine diastolische Relaxationsstörung gezeigt, der Röntgenthorax sei unauffällig gewesen. Laborchemisch hätten leicht erhöhte Entzündungswerte und ein niedrig positiver PR3-Antikörper bestanden. Eine renale und pulmonale Beteiligung habe weitgehend ausgeschlossen werden können, die umfangreiche Umgebungsdiagnostik sei unauffällig gewesen. Weiterhin habe sich eine moderate Aktivität der Granulomatose im HNO-ärztlichen Befund gezeigt. Insgesamt sei nicht von einer stabilen Remission, jedoch von einer stabilen Befundsituation bei der Klägerin auszugehen. Der Sachverständige berichte ebenfalls über die klinisch im Vordergrund stehende verminderte Belastbarkeit mit ausgeprägter Fatique. Unabhängig davon sei die Klägerin soweit wieder arbeitsfähig, als eine Wiedereingliederung durchgeführt werde. Der 120 qm Haushalt und Garten werde in allen Bereichen von der Klägerin selbst versorgt. Aufgrund der weiterhin durchgeführten immunsuppressiven Therapie mit der resultierenden vorzeitigen Erschöpfung, vermehrten Müdigkeit und Antriebslosigkeit sei ein Teil-GdB von 30 sicherlich sachgerecht. Der GdB-Bewertung des Sachverständigen von mindestens 50 könne bei stabiler Befundsituation ohne weitere Organbeteiligung abgesehen vom HNO-Bereich nicht gefolgt werden.
D hat ergänzend gehört an seiner Einschätzung festgehalten. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Verlauf der Erkrankung als stabile Befundsituation bezeichnet werde. Auch dass die Klägerin den Haushalt und Garten mitversorge sowie eine reduzierte Wochenarbeitszeit anstrebe, sage nichts über den Verlauf der Erkrankung aus. Dokumentiert seien wiederkehrende Schubsituationen seit 2017 bis heute, die regelmäßig halbjährliche immunsuppressive Therapie mit Rituximab erforderlich machten und mit anhaltenden Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit einhergingen. Nach den VG solle ein GdB von 50 für die Dauer einer über sechs Monate anhaltenden aggressiven Therapie nicht unterschritten werden.
B1 hat versorgungsärztlich eingewandt, dass die halbjährliche immunsuppressive Therapie, die zu einer Einschränkung von Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit führe, keine „aggressive Therapie“ im Sinne der VG sei. In der Arbeitsgemeinschaft (AG) der versorgungsmedizinisch tätigen Leitenden Ärztinnen und Ärzte der Länder und der Bundeswehr von März 2012 sei ausgeführt worden, dass es sich bei der bei weitem aggressivsten Form der Therapie um eine Behandlung mit Cyclophosphamid handele. Schon das Zytostatikum Methotrexat zeige nicht annähernd die gleichen Nebenwirkungen. Weiter werde ausgeführt, dass hinsichtlich der relativ neuen Gruppe der Biologika gegenwärtig keine Daten vorlägen, die gegenüber dem Cyclophosphamid ein vergleichbares Spektrum an unerwünschten Nebenwirkungen aufwiesen. Rituximab sei ein Biologikum, sodass die Therapie in Anlehnung an die Beschlüsse der AG nicht als aggressive Therapie eingeordnet werden könne. Auf die klinisch im Vordergrund stehende Symptomatik mit einer Fatique-Symptomatik und Erschöpfbarkeit sei bereits in der vorangegangenen Stellungnahme eingegangen worden. Im Übrigen habe nach der Erstdiagnose durch eine Prednisolonstoß- und Rituximabtherapie eine Remission binnen zwei Monaten erreicht werden können, die unter Therapie bis April 2019 angehalten habe, als sich ein Minor-Rezidiv gezeigt habe. Eine erneute remissionsinduzierte Therapie sei daraufhin initiiert worden. Somit könne nicht von einer therapeutisch schwer beeinflussbaren Krankheitsaktivität oder dauernden erheblichen Funktionseinbußen ausgegangen werden, die einen GdB von 50 rechtfertigten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26. November 2020 (vgl. Protokoll vom gleichen Tag) hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit ab dem 11. Oktober 2017 festgestellt wird, welches die Klägerin angenommen hat.
Die Klage hat das SG mit Urteil vom 26. November 2020 abgewiesen. Die Klägerin leide an eine Granulomatose mit Polyangiitis, die nach den VG, Teil B, Nr. 18.2.3 zu bewerten sei. Die Voraussetzungen für die Annahme eines GdB von 50 wegen einer über sechs Monate anhaltenden aggressiven Therapie lägen nicht vor. Die Behandlung mit Prednisolon könne nicht als eine solche aggressive Therapie angesehen werden, da bei der eingenommenen Dosis die Cushing-Schwelle noch nicht erreicht werde. Insoweit sei ein Vergleich zur Behandlung mit Gerinnungshemmern, die zu erhöhter Blutungsneigung führten, anzustellen, die mit einem GdB von 10 bewertet würden. Auch die Therapie mit Rituximab sei nicht aggressiv in diesem Sinne, wie aus den Ausführungen der „AG der versorgungsmedizinisch tätigen Leitenden Ärztinnen und Ärzte der Länder und der Bundeswehr“ folge. Danach könne von einer aggressiven Therapie erst bei einer solchen mit Zypostatika in hoher Dosierung ausgegangen werden, bei der mit starken Nebenwirkungen durch die Chemotherapie gerechnet werden müsse. Zwar sei die Klägerin auch mit MTX behandelt worden, allerdings nur kurzzeitig und nicht für einen Zeitraum über sechs Monate. Die ursprünglich geplante Erhaltungstherapie mit MTX über zwei Jahre sei, wie sich auch dem Sachverständigengutachten des D ergäbe, nicht durchgeführt worden. Die Auswirkungen bei der Klägerin seien nicht so stark, als dass bei ihr von einer aggressiven Therapie ausgegangen werden könne. D beschreibe eine Fatique-Symptomatik, habe aber ansonsten keine auffälligen Befunde erhoben. Soweit dieser den GdB deshalb höher bewerte, da jederzeit ein Schub auftreten könne, verstärke dies nicht die derzeit bestehenden Auswirkungen und sei daher unbeachtlich. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, den Sachverständigen zu laden, sei abzulehnen gewesen. Zum einen erweise er sich als verspätet, da er rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung habe gestellt werden müssen, zum anderen seien die Fragen nicht sachdienlich gewesen, da einerseits hierzu bereits vom Sachverständigen Stellung genommen worden sei und andererseits Rechtsfragen nicht durch den Sachverständigen zu beantworten seien.
Am 30. Dezember 2020 hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und zunächst noch hilfsweise die Feststellung der dauerhaften Einschränkung der körperlichen Beweglichkeit beantragt. Das SG weiche von der zutreffenden medizinischen Bewertung des Sachverständigen ab und setze an deren Stelle seine eigene laienhafte medizinische Bewertung. Daneben werde verkannt, dass eine über sechs Monate anhaltende aggressive Therapie vorliege und eine Fatique-Symptomatik beschrieben werde. Weshalb der GdB nicht wenigstens 40 betrage, werde ebenfalls nicht dargelegt. 2019 sei ein stationärer Aufenthalt wegen persistierender Erschöpfung und Müdigkeit notwendig gewesen, sie sei aus ihrer beruflichen Tätigkeit gedrängt worden. Der Sachverständige habe eine zusätzliche Verstärkung aufgrund der aggressiven Therapie gerade nicht gesehen, sondern nur durchaus für möglich gehalten.
Ergänzend hat sie das Attest der H vom 22. Dezember 2020 vorgelegt. Danach bestehe eine Granulomatose mit Polyangiitis. Zuletzt sei es im Juli 2019 zu einem Minor-Rezidiv gekommen. Die immunsuppressive Therapie habe deshalb intensiviert werden müssen. Die Klägerin erhalte nun eine Art Chemotherapie mit Rituximab 500 mg alle sechs Monate als Infusion. Aufgrund der intensiven Immunsuppression sei ein GdB von mindestens 50 angemessen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. November 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom 16. Februar 2018 in der Fassung des Teil-Abhilfebescheides vom 20. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2018 bei ihr einen Grad der Behinderung von mindestens 50 seit dem 11. Oktober 2017 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Dem Hilfsantrag sei bereits durch das in der mündlichen Verhandlung abgegebene Teil-Anerkenntnis Rechnung getragen worden. Das SG habe sich der versorgungsärztlichen Auffassung angeschlossen, dass es sich bei der bei der Klägerin angewandten Medikation nicht um eine über sechs Monate anhaltende aggressive Therapie handele. Die dauerhaften Folgen der Erkrankung und der Therapie bestünden im Wesentlichen in einer Fatique-Symptomatik und einer leichten Organbeteiligung im HNO-Bereich. Diese seien mit einem GdB von 30 ausreichend bewertet. Die initial und während des Minor-Rezidivs akut stärker ausgeprägte Symptomatik könne der Bewertung nicht zu Grunde gelegt werden. Die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 9. Juni 2020 habe bereits zur Therapie mit Rituximab Stellung genommen und ausgeführt, dass es sich hierbei nicht um eine aggressive Therapie im Sinne der VG handele und damit nicht von einer therapeutisch schwer beeinflussbaren Krankheitsaktivität oder dauernden erheblichen Funktionseinbuße ausgegangen werden könne.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig und teilweise begründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 26. November 2020, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Feststellung eines GdB von mindestens 50 unter Abänderung des Bescheides vom 16. Februar 2018 in der Fassung des Teil-Abhilfebescheides (§ 86 SGG) vom 20. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 24. Oktober 2018 abgewiesen worden ist. Den zunächst noch gestellten Hilfsantrag auf Feststellung der dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit, hat die Klägerin nicht aufrechterhalten. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34), ohne eine solche derjenige der Entscheidung.
Die teilweise Begründetheit der Berufung folgt aus der teilweisen Begründetheit der Klage. Der Bescheid vom 16. Februar 2018 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 20. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG), soweit der Beklagte keinen GdB von 50 seit Antragstellung festgestellt hat. In diesem Umfang kann die Klägerin eine höhere Erstfeststellungen des GdB beanspruchen, sodass das SG die Klage in diesem Umfang nicht hätte abweisen dürfen.
Der Anspruch richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 V 25/98 R –, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.
Soweit der Antrag sich auf den Zeitraum vor dem 1. Januar 2018 bezieht, richtet sich der Anspruch nach den in diesem Zeitraum geltenden gesetzlichen Vorgaben (vgl. §§ 69 SGB IX ff. a. F.), nach denen ebenso für die Bewertung des GdB die VersMedV und die VG die maßgebenden Beurteilungsgrundlagen waren.
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“ oder „Altersstar“) bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris, Rz. 5).
Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSGE 82, 176 [177 f.]). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der GdB bereits seit der Antragstellung mit 50 zu bemessen ist.
Bei der Klägerin besteht eine Granulomatose mit Polyangiitis, wie der Senat dem Entlassungsbericht des Klinikums L über die Erstdiagnose 2017 entnimmt, den er im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei handelt es sich um eine entzündliche rheumatische Krankheit im Sinne der VG, Teil B, Nr. 18.2.1, die in ihren funktionellen Auswirkungen die Haltungs- und Bewegungsorgane insgesamt betrifft und daher nicht einzelnen Funktionssystemen in Sinne der VG, Teil A, Nr. 2, e) zugeordnet werden kann, wobei diese Positionierung nach dem Wortlaut auch nur im Allgemeinen erfolgen soll.
Nach den VG, Teil B, Nr. 18.2.1 sind entzündliche rheumatische Krankheiten der Gelenke und/oder der Wirbelsäule ohne wesentliche Einschränkungen mit leichten Beschwerden mit einem GdB von 10, mit geringen Auswirkungen (leichtgradige Funktionseinbußen und Beschwerden, je nach Art und Umfang des Gelenkbefalls, geringer Krankheitsaktivität) mit einem GdB von 20 bis 40 und mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen (dauernde erhebliche Funktionseinbußen und Beschwerden, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität) mit einem GdB von 50 bis 70 zu bewerten. Weiter bestimmt VG, Teil B, Nr. 18.1, dass bei den entzündlich-rheumatischen Krankheiten unter Beachtung der Krankheitsentwicklung neben den strukturellen und funktionellen Einbußen die Aktivität mit ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und die Beteiligung weiterer Organe zu berücksichtigen sind.
Ausgehend von diesen Maßstäben hat der Sachverständige D für den Senat überzeugend dargelegt, dass bei der Klägerin ohne regelmäßige medikamentöse Therapie keine anhaltende Remission erreicht werden konnte, vielmehr der Versuch des Absetzens der Medikation zu einer erneuten Schubsituation geführt hat, wie dies der Krankheitsverlauf eindrucksvoll bestätigt hat. Zwar beschreibt er unter medikamentöser Behandlung das entzündlich-rheumatische Geschehen in Remission, jedoch verweist er schlüssig auf das mit der schweren Grunderkrankung einhergehende Bestehen eine Fatique-Symptomatik, auch begründet durch die Therapie, die zu einer allgemeinen Erschöpfbarkeit und allgemeinen Müdigkeit führt. Hierdurch sieht er nachvollziehbar anhaltende Auswirkungen auf die allgemeine Lebensführung, die sich auf den seelischen Zustand der Klägerin auswirken und damit die Fatique-Symptomatik nochmals verstärken. Das wird im Falle der Klägerin, die zuvor sportlich und sehr leistungsfähig war (drei Kinder und Vollzeitberuf), in der Reduzierung der beruflichen Tätigkeit um fast die Hälfte (auf 55 %) sowie der Aufgabe sämtlicher Hobbies mehr als deutlich. Dass diese Auswirkungen auf den Allgemeinzustand bei der Bewertung der rheumatischen Erkrankung zu berücksichtigen sind, folgt aus den VG, Teil B, Nr. 18.1, sodass keine gesonderte Bewertung im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ zu erfolgen hat.
Der Sachverständige bestätigt damit die Vorbefunde der M Klinik K1, die die Klägerin sowohl 2018 wie auch 2019 bei ausgeprägter Fatique-Symptomatik aufgenommen hat. Aus diesen urkundsbeweislich zu verwertenden Berichten ergeben sich die Einschränkungen im Berufs- und Alltagsleben ebenso, wie sie die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen D angegeben hat. Danach ist sie, wie der Senat ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem SG entnimmt, nur noch zu 55 % berufstätig und nach der Tätigkeit zu erschöpft, um Freizeitbeschäftigungen, auch am Wochenende, nachzugehen. Hinsichtlich der Versorgung des Hauses mit Garten hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass diese nur mit regelmäßigen Pausen aufgrund fehlender Fitness möglich ist, was dadurch bestätigt wird, dass im letzten Belastungs-EKG in der M Klinik zwar nach 4 Minuten eine Belastung von 100 Watt erreicht werden konnte, die Untersuchung aber wegen muskulärer Erschöpfung abgebrochen werden musste. Somit wird deutlich, dass die während der AHB erzielte Besserung der Kondition (13 Minuten auf einem Belastungsniveau von 75 Watt) weder von Dauer gewesen ist noch gesteigert werden konnte. Die gesteigerte Erschöpfbarkeit ist, wie D darlegt, durch die Medikation bedingt und damit nicht lediglich einem mangelnden Trainingszustand der Klägerin geschuldet.
Berücksichtigt werden muss dabei, dass die rheumatische Erkrankung bei der Klägerin eine pneumologische Beteiligung aufweist, wie der Senat der sachverständigen Zeugenaussage des S3 entnimmt, und was durch die stationäre Behandlung 2017 mit Beatmungsnotwendigkeit untermauert wird. Korrespondierend hierzu beschreibt der Untersuchungsbefund der M Klinik vom 5. Juli 2019 bei weiterhin bestehender humoraler Aktivität eine klinisch progrediente Belastungsdyspnoe, während zuvor nur über Reizhusten, Atemnot und erhöhte Infektanfälligkeit geklagt worden ist.
In der Gesamtschau der Befunde überzeugt es den Senat daher nicht, wenn B1 versorgungsärztlich darauf verweist, dass die Klägerin das Haus selbst versorgen kann und sie soweit wieder arbeitsfähig ist, dass eine Wiedereingliederung, allerdings nicht mehr in Zielrichtung Vollzeit, durchgeführt wird. Diese Aspekte hat D bereits bei seiner ersten Einschätzung gewürdigt und hat in seiner ergänzenden Stellungnahme nochmals überzeugend herausgestellt, dass neben der bereits beschriebenen Dauertherapie auch eine halbjährliche immunsuppressive Therapie durchgeführt wird, die ebenfalls mit anhaltenden Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit einhergeht. Dass er seine rechtliche Einschätzung zur Höhe des GdB nunmehr allein auf die VG, Teil B, Nr. 18.2.3 stützt, führt, da es sich um eine rechtliche Frage handelt, ebenso zu keiner anderen Bewertung, wie der Umstand, dass er zusätzlich noch auf wiederkehrende Schubsituationen verweist. Auch wenn es sich hierbei um keine Dauerzustände handelt, können solche bei der Bewertung des GdB aber nach den VG, Teil B, Nr. 2, f) durchaus mit Durchschnittswerten berücksichtigt werden. Soweit B1 darauf verweist, dass nicht von einer stabilen Remission, aber von einer stabilen Befundsituation ausgegangen werden könne, wird der von D herausgearbeitete zentrale Umstand, dass die medikamentöse Dauertherapie zu deutlichen Nebenwirkungen führt, zu Unrecht vernachlässigt. Lediglich geringgradige Auswirkungen, die nur eine GdB-Bewertung zwischen 20 und 30 erlauben, liegen somit nicht vor. Vielmehr sind die Funktionsbeeinträchtigungen als mittelschwer anzusehen und am unteren Rand des Bewertungsrahmens anzusiedeln. Eine höhere Bewertung ist indessen nicht gerechtfertigt.
Nachdem der Senat somit bereits anhand der Bewertungsvorgaben der VG, Teil B, Nr. 18.2.1 zu der Einschätzung eines GdB von 50 gelangt ist, kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob sich ein solcher auch unter Berücksichtigung einer aggressiven Therapie (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.2.3) ergeben könnte. Somit kann offen bleiben, ob die bei der Klägerin angewandte Therapie eine solche aggressive Therapie ist, was versorgungsärztlich mit gewichtigen Argumenten verneint wurde.
Soweit S3 eine tiefe Beinvenenthrombose beschreibt, folgen hieraus keine weiteren GdB-relevanten Einschränkungen. Abgesehen davon, dass die Klägerin solche bei dem Sachverständigen D ausdrücklich verneint hat, ergibt sich aus dem Bericht der M Klinik 2018, dass es im Rahmen der stationären Behandlung 2017 zu einer solchen aufgrund einer Cortison-Behandlung und nicht durchgeführter Thromboseprophylaxe gekommen ist. Eine dauerhafte Funktionseinschränkung lässt sich hieraus nicht ableiten, sodass D eine solche schlüssig auch nicht angenommen hat.
Ebenso nicht nachvollziehbar sind die Ausführungen des S3 zu einer bestehenden Niereninsuffizienz, nachdem die M Klinik eine Nierenbeteiligung ausdrücklich verneint und in sämtlichen Laborbefunden die Kreatinin-Werte im Normbereich liegen und nur eine leichtgradige Einschränkung der Filtrationsrate beschrieben wird. Eine gesonderte Bewertung einer Nierenfunktionseinschränkung (vgl. VG, Teil B, Nr. 12.1.3) kommt daher nicht in Betracht.
Auf die Berufung der Klägerin war daher das Urteil des SG teilweise aufzuheben und der Beklagte zur Feststellung eines GdB von 50 seit Antragstellung zu verpflichten. Die weitergehende Berufung war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft erreicht hat. Eine Kostenquotelung hatte deshalb zu erfolgen, nachdem die Klägerin auf den ausdrücklichen Hinweis des Senats an ihrer Auffassung festgehalten hat, dass bei ihr ein GdB von zumindestens 50 festzustellen sei, sie ihr Begehren also nicht auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft beschränkt hat und die Berufung deshalb im Übrigen zurückgewiesen werden musste.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.