Arbeitssuchende können trotz Leistungsausschlusses von Grundsicherungsleistungen einen Leistungsanspruch auf Sozialleistungen aufgrund des Europäischen Fürsorgeabkommens haben.
I. Auf die Beschwerde der Antragsteller und Beschwerdeführer wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 27. Oktober 2021 abgeändert und die Beigeladene im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin und Beschwerdeführerin zu 1 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII vorläufig für die Zeit vom 22.09.2021 bis 30.09.2021 in Höhe von 140,40 Euro, für die Monate Oktober 2021 bis Dezember 2021 in Höhe von 468,00 Euro monatlich und für die Zeit vom 01.01.2022 bis 31.05.2022 in Höhe von 471,00 Euro monatlich zu gewähren sowie dem Antragsteller und Beschwerdeführer zu 2 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII vorläufig für die Zeit vom 22.09.2021 bis 30.09.2021 in Höhe von 96,30 Euro, für die Monate Oktober 2021 bis Dezember 2021 in Höhe von 321,00 Euro monatlich und für die Zeit vom 01.01.2022 bis 31.05.2022 in Höhe von 323,00 Euro monatlich zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller und Beschwerdeführer.
G r ü n d e :
I.
Streitig ist im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Anspruch der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) auf existenzsichernde Leistungen.
Die 1990 geborene Bf zu 1 und ihr 2013 geborener Sohn, der Bf zu 2, sind italienische Staatsangehörige. Die Bf zu 1 flüchtete nach eigenen Angaben mit ihrem Sohn vor ihrem gewalttätigen, nach ihren Angaben von ihr geschiedenen Ehemann aus Italien nach Deutschland und ist, ausweislich der dem Bg vorgelegten Meldebestätigung der Landeshauptstadt A, Kreisverwaltungsreferat vom 01.10.2021, seit dem 13.09.2021 in A gemeldet, zunächst in einer von der Beigeladenen ab 13.09.2021 als Notunterkunft zugewiesenen städtischen Notunterkunft in der B Straße, A (Kosten 600 Euro mtl), seit 09.12.2021 in einer von der Beigeladenen bis zum 31.05.2022 als Notunterkunft zugewiesenen Pension in der A Straße, A (Kosten 550 Euro mtl).
Die Bf beantragte am 13.09.2021 für sich und ihren Sohn Arbeitslosengeld II beim Bg. Nachdem der Bg die Bf mit Mitwirkungsaufforderung vom 14.09.2021 zur Einreichung von Unterlagen bzw. zu näheren Angaben und zur Vorsprache ua zur Identitätsprüfung aufgefordert hatte, legte diese ein Einweisungsschreiben der Landeshauptstadt A, Sozialreferat, vom 13.09.2021 sowie vom 20.09.2021 über ihre Unterbringung in der Notunterkunft B Straße, A, ab dem 13.09.2021 bis 27.09.2021 mit Übernachtungskosten in Höhe von monatlich 600 Euro vor. Weiterhin reichte sie die ausgefüllten Anlagen UH 1 und UH 3 ein, Ausweiskopien sowie ein italienischsprachiges Dokument, das nach ihren Angaben die Strafanzeige gegen ihren geschiedenen Ehemann beinhalte. Sie führte handschriftlich mit Schreiben vom 20.09.2021 aus, weitere Unterlagen lägen ihr nicht vor, weil sie aus ihrer Wohnung in Italien geflüchtet sei.
Der Bg lehnte den Leistungsantrag mit Bescheid vom 21.01.2022 ab; über den Widerspruch ist noch nicht entschieden.
Am 22.09.2021 stellte die Bf Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht München (SG). Sie benötige dringend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes sowie eine Verlängerung der Unterbringung in der Notunterkunft. Sie sei wegen einer gewalttätigen Auseinandersetzung, bei der sie mit einer Schusswaffe bedroht worden sei, mit ihrem Sohn aus ihrer Heimatstadt in Italien geflohen. Ihr Sohn besuche bereits seit 13.09.2021 die Grundschule.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 28.09.2021 forderte das SG die Bf ua zur Vorlage einer Bestätigung des Kreisverwaltungsreferats über das etwaige Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts auf und verlangte weitere Unterlagen und Angaben, insbesondere zum Einreisedatum.
Mit Schreiben vom 13.10.2021 teilte die Bf mit, sie könne keine weiteren Unterlagen einreichen. Sie habe keine anderen Dokumente aus Italien mitgenommen, da sie von dort geflüchtet sei und nur mitgenommen habe, was sie habe tragen können. Ihr Ex-Mann habe ihr eine geladene Schusswaffe an den Kopf gehalten, woraufhin sie die Flucht ergriffen habe. Eine ausführliche Darstellung des Sachverhalts könne der bereits übermittelten italienischen Strafanzeige entnommen werden. Mittlerweile seien sie und ihr Sohn in A angemeldet; dieser besuche die zweite Klasse einer Grundschule. Außerdem habe sie bereits eine mündliche Zusage für eine Teilzeitstelle in einer Schneiderei erhalten. Alle vorhandenen Unterlagen lägen sowohl dem Bg als auch dem Wohnungsamt vor.
Das Sozialgericht München lehnte die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 27. Oktober 2021 wegen Leistungsausschusses nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ab; die Bf hätten kein Aufenthaltsrecht, welches sie zu Leistungen nach dem SGB II berechtigen würde.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II sei leistungsberechtigt, wer erwerbsfähig ist, hilfebedürftig ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik habe. Ausgenommen seien nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt seien, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts.
Da sich die Bf als EU-Bürgerin mit ihrem minderjährigen Kind höchstwahrscheinlich noch nicht länger als drei Monate in der Bundesrepublik aufhalte, hätten die Bf gem § 7 Abs 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen. Denn die Bf habe sich nicht dazu geäußert, wann sie in die Bundesrepublik eingereist sei. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte müsse als Einreisedatum auf die vorgelegte Meldebestätigung des Kreisverwaltungsreferats der Landeshauptstadt A vom 01.10.2021 abgestellt werden, wonach die Bf am 13.09.2021 ihren Wohnsitz in der Notunterkunft B Straße, A, anmeldeten.
Die Bf hätte auch nicht vorgetragen, sich vor ihrer Ankunft in A in einem anderen Ort in der Bundesrepublik länger aufgehalten zu haben.
Einen Nachweis über ein (mögliches) Daueraufenthaltsrecht habe die Bf nicht vorgelegt.
Auch einen Arbeitnehmerstatus habe die Bf nicht nachweisen können. Sie habe dazu lediglich vorgetragen, sie habe eine Anstellung in Teilzeit als Schneiderin in Aussicht. Weitere Nachweise bzw. ein Arbeitsvertrag seien bislang nicht vorgelegt worden.
Dass ein Aufenthaltsrecht als freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger gemäß § 2 Abs. 1 1. Alt. FreizügG/EU bestehe, habe die Bf trotz gerichtlicher Aufforderung weder vorgetragen noch nachgewiesen.
Von einer Beiladung des Sozialhilfeträgers habe abgesehen werden können. Ein Anspruch auf Sozialhilfe nach § 23 Abs. 1 SGB Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) sei nicht ersichtlich. § 23 Abs. 3 SGB XII sehe lediglich eingeschränkte Hilfen bis zur Ausreise, also Überbrückungsleistungen vor; der Aufenthalt der Bf sei nach deren Vortrag (Arbeitssuche der Bf zu 1, Schulbesuch des Bf zu 2) längerfristig angelegt. Für das Eingreifen der Härtefallregelung (§ 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII) seien keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Hiergegen haben die Bf Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Die Bf machen geltend, kein Geld zu haben und deshalb dringend auf Leistungen angewiesen zu sein. Die Bf verweist darauf, dass sie aufgrund eines gewalttätigen Übergriffs aus Italien geflüchtet sei. Sie sei hierhergekommen, da sie keine Familie oder Freunde bzw. Bekannte in Italien habe, sondern nur ihren Bekannten L in A. Sie sei finanziell mittellos und benötige eine feste Unterkunft zum Verweilen. Ihr Sohn besuche die Grundschule.
Die Bf beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München aufzuheben und den Bg vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit seit September 2021 zu gewähren,
hilfsweise die Beigeladene vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII iVm Art 1 Europäisches Fürsorgeabkommen (EFA) zu gewähren.
Der Bg beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Sozialgericht habe zu Recht entschieden, dass die Bf von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien.
Der mit Beschluss vom 03.01.2022 als alternativ leistungspflichtig zum Verfahren beigeladene örtliche Sozialhilfeträger hat nicht weiter Stellung genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Akten verwiesen, auch soweit diese vom Sozialgericht beigezogen wurden.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet.
1. Die Beschwerde ist unbegründet, soweit sie auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gerichtet ist.
Zu Recht hat der Bg Leistungen mit Bescheid vom 21.01.2022 abgelehnt und ebenso das SG einen Anspruch nach dem SGB II verneint, da die Bf nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind.
Die Bf zu 1 verfügt über kein Aufenthaltsrecht, welches sie zu Leistungen nach dem SGB II berechtigen würde. Unabhängig von dem Anlass, aus dem sie eingereist ist, nämlich die Misshandlung durch ihren Ex-Partner und fehlende soziale Bindungen in Italien, dagegen aber eine vertraute Person in A, hat die Bf zu 1 als Schneiderin sich hier um eine Anstellung in ihrem Beruf bemüht bzw bemüht sich insoweit auch aktuell. Die Bf hält sich damit - unabhängig von ihrem Einreiseanlass - derzeit berechtigt zur Arbeitssuche in Deutschland auf, verfügt damit also als erwerbsfähige EU-Bürgerin in Deutschland über ein Aufenthaltsrecht wegen Arbeitssuche. Allerdings ist die Bf bei einem bloßen Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche von Leistungen nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2b SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, ebenso der Bf zu 2 als Familienangehöriger im Sinne dieser Vorschrift.
Der Bf zu 2 verfügt über kein eigenes Aufenthaltsrecht. Der Schulbesuch allein genügt hierfür nicht; damit kann die Bf zu 1 auch kein Aufenthaltsrecht aus einem Aufenthaltsrechts ihres minderjährigen Kindes ableiten (vgl BSG Urteil vom 27.01.2021, B 14 AS 25/20 R Rz 17).
2. Die Beschwerde ist hingegen im tenorierten Umfang begründet, weil die Voraussetzungen für eine vorläufige Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII iVm Art 1 EFA glaubhaft sind (vgl zum Ganzen BayLSG Beschluss vom 23.12.2019, L 7 AS 775/19).
a) Unschädlich ist dabei, dass die Bf im Beschwerdeverfahren, trotz der Beiladung des örtlichen Sozialhilfeträgers, nicht zumindest hilfsweise dessen Verurteilung oder Verpflichtung zur Leistungserbringung nach dem SGB XII beantragt haben (vgl BayLSG Beschluss vom 23.12.2019, L 7 AS 775/19 B ER). Im Falle der - hier vorgenommenen notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG (unechte notwendige Beiladung, vgl BSG Urteil vom 27.01.2021, B 14 AS 25/20 R Rz 34) - ist davon auszugehen, dass die Bf hilfsweise die Verurteilung der Beigeladenen begehren (vgl BSG, Urteil vom 3.12.2015, B 4 AS 44/15 R Rz 13 mwN). Denn nach § 75 Abs 5 SGG darf der beigeladene Träger verurteilt werden, obwohl er nicht verklagt ist. Dies gilt auch für einstweilige Anordnungen (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig ua, SGG, § 75 RdNr 18b mwN). Mit der Vorschrift des § 75 Abs 2 2. Alt iVm Abs 5 SGG unterstellt der Gesetzgeber, dass ein Kläger zwar in erster Linie die Verurteilung des beklagten Trägers, hilfsweise jedoch auch die jedes anderen in Frage kommenden Trägers begehrt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Kläger diese Verurteilung ausdrücklich ablehnt (vgl BSG, Urteil vom 3.12.2015, B 4 AS 44/15 R Rz 13). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
b) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs 2 S 2 SGG). Das ist etwa dann der Fall, wenn ein Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988, BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997, BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002, NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl Rz 643).
Deshalb verlangt der Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich neben der - summarischen - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung, die sich in der Regel aus der Eilbedürftigkeit ergibt (Anordnungsgrund). Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 S 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO). Dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (BVerfG vom 22.11.2002, aaO und BVerfG vom 12.05.2005, NVwZ 2005, 927).
c) Auf dieser Grundlage ist nach der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung ein Anordnungsanspruch auf Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII gegen die Beigeladene glaubhaft. Die Bf sind leistungsberechtigt iS des Sozialhilferechts. Sie sind von Leistungen nach dem SGB XII weder nach § 21 Abs 1 SGB XII noch nach § 23 Abs 3 S 1 Nr 4 SGB XII ausgeschlossen. Es ist glaubhaft, dass sie einen Anspruch auf Gleichbehandlung nach Art 1 EFA haben.
aa) Die Bf sind leistungsberechtigt im Sinne des Sozialhilferechts, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht iS des § 19 Abs 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken können. Nach § 19 Abs 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies ist bei den Bf derzeit der Fall. Sie haben glaubhaft gemacht, über keinerlei Mittel zu verfügen.
bb) Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII steht auch eine mangelnde Kenntnis der Beigeladenen von der Bedürftigkeit der Bf bis zur Beiladung durch das Beschwerdegericht nicht entgegen. Die Bf haben zwar "nur" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beim Bg beantragt. Die nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen von dem Bedarf der Bf liegt jedoch gleichwohl vor. Die Beigeladene muss sich insoweit die Kenntnis des Bg aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG zurechnen lassen (vgl ua BSG, Urteil vom 2.12.2014, B 14 AS 66/13 R Rz 25; Beschluss vom 13.2.2014, B 8 SO 58/13 R Rz 8; Urteil vom 26.8.2008, B 8/9b SO 18/07 R Rz 22 ff).
cc) Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Bf steht § 21 Abs 1 SGB XII nicht entgegen. Zwar bestehen nach aktuellem Sachstand keine Anhaltspunkte, die gegen die Erwerbsfähigkeit der Bf zu 1 sprechen. Ungeachtet dessen gingen der Bg und das Sozialgericht davon aus, dass die Bf über kein Aufenthaltsrecht verfügen, die Bf zu 1 ihr Aufenthaltsrecht allenfalls aus der Arbeitssuche ableiten könne, und die Bf deshalb von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind (§ 7 Abs 1 S 2 SGB II). Für solche Personen ist bereits bundesobergerichtlich entschieden, dass sie Leistungen nach dem SGB XII erhalten können, auch wenn sie erwerbsfähig sind (vgl BSG, Urteil vom 9.8.2018, B 14 AS 32/17 Rz 25f mwN).
dd) Es ist bei summarischer Prüfung nicht nachzuvollziehen, dass die Bf von Leistungen nach § 23 Abs 3 S 1 Nr 4 SGB XII ausgeschlossen sind. Danach haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat (vgl BSG, Urteil vom 9.8.2018, B 14 AS 32/17 R Rz 29 mwN). Ein solcher finaler Zusammenhang ist vorliegend nicht glaubhaft, nachdem die Bf eingereist sind, weil die Bf zu 1 von ihrem Ex-Partner geschlagen worden war und die aus Marokko stämmige Bf zu 1 glaubhaft dargetan hat, in Italien über keine familiäre Bindungen zu verfügen, ihr deshalb in erster Linie ein in A lebender Freund als Vertrauter in ihrer aktuellen Situation beistehen könne.
ee) Zwar sind nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII Ausländer auch dann von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen, wenn sie ihr Aufenthaltsrecht lediglich aus der Arbeitssuche ableiten. Dieser Leistungsausschluss ist allerdings hier deswegen nicht anwendbar, weil die Bf sich auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA berufen können (vgl zu § 23 Abs 3 S 1 SGB XII BSG, Urteil vom 20.1.2016, B 14 AS 15/15 R Rz 29; zu § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II bis zum hierzu von der Bundesregierung erklärten Vorbehalt BSG, Urteil vom 19.10.2019, B 14 AS 23/10 R Rz 21).
In derartigen Fällen steht Leistungsberechtigten - unter den Voraussetzungen insbesondere des § 23 SGB XII - ggf. ein Anspruch auf Sozialhilfe zu (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand 2022, § 23 Rz 51); hieran hat sich im Grundsatz auch durch die Neufassung der §§ 23 Abs. 3 und 3a SGB XII, 7 Abs. 1 S. 2 SGB II (jeweils i.d.F. des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016, BGBl. I S. 3155) nichts geändert (vgl. dazu BT-Drs. 18/10211, S. 16 f.; zum Ganzen auch: Siefert a.a.O., § 23 Rn. 74; zum alten Recht: BSG Urteil vom 12.09.2018, B 14 AS 18/17 R, juris Rn. 24 ff.); insbesondere hat der Gesetzgeber § 21 SGB XII unverändert gelassen.
(1.) Nach Art 1 EFA ist jeder der Vertragsschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes (...) erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und der Gesundheitsfürsorge zu gewähren (...). Art 1 EFA ist unmittelbar geltendes Bundesrecht. Seiner Anwendung steht weder vorrangig anzuwendendes anderes Bundesrecht noch Gemeinschaftsrecht entgegen (vgl Siefert in jurisPK-SGB XII, § 23 Rz 41). Der von der Bundesregierung zum SGB XII erklärte Vorbehalt betrifft nicht die vorliegend in Betracht kommenden Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII (vgl Siefert, aaO, Rz 42).
(2.) Die Bf können sich auf Art 1 EFA berufen, da sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch Italien zu den Vertragsschießenden gehören (so auch LSG NRW, Beschluss vom 26.03.2021, L 12 SO 385/20 B ER Rz 11).
Die Bf halten sich nach der hier allein möglichen summarischen Prüfung erlaubt in der Bundesrepublik auf. Nachdem die Dokumentation eines sich unmittelbar aus Unionsrecht ergebenden Aufenthaltsrechts mit der Streichung der Bescheinigung nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU mit Wirkung ab 29.1.2013 durch das FreizügG/EU2004uaÄndG ersatzlos entfallen ist und bislang eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs 1 FreizügG/EU für die Bf nicht erfolgt ist, kommt als Grundlage des für die Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen nach Art 1 EFA vorausgesetzten erlaubten Aufenthalts der Bf im Bundesgebiet die materielle Freizügigkeitsberechtigung über die Bf zu 1 als Arbeitsuchende iS von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1a FreizügG/EU in Betracht.
Danach gilt gemäß Art. 11 Buchst. a S. 1 EFA der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden solange als erlaubt, solange die Ausländerbehörde nicht den Verlust bzw. das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts festgestellt hat (BSG Urteil vom 09.08.2018, B 14 AS 32/17 R Rz 20; ausdrücklich für Italien); es reicht für einen iSd Art. 1 EFA erlaubten Aufenthalt aus, wenn die Betroffenen sich materiell freizügigkeitsberechtigt in der Bundesrepublik aufhalten (BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 59/13 R Rz. 25).
Unionsrechtlich materiell freizügigkeitsberechtigt sind danach Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Hiervon ist bei der vorliegend allein möglichen summarischen Prüfung auszugehen. Die Bf zu 1 hat glaubhaft dargelegt, sich um eine abhängige Beschäftigung als Schneiderin bemüht zu haben und weiter zu bemühen. Davon, dass diese Bemühungen von vornherein erfolglos sind, ist nach aktuellem Sachstand nicht auszugehen.
d) Auch ein Anordnungsgrund ist glaubhaft. Er ergibt sich ohne weiteres aus den in Streit stehenden existenzsichernden Leistungen sowie dem Vortrag der Bf, keinerlei Geld zu haben und in einer Notunterkunft zu leben.
Leistungen - Bedenken gegen das Vorliegen der allgemeinen Leistungsvoraussetzungen (§ 23 Abs. 1 SGB XII) bestehen nicht - sind allerdings erst für die Zeit ab Antragstellung beim Sozialgericht möglich. Für die vorherige Zeit - seit Antragstellung beim Bg - hingegen kann der Nachteil, keine Leistungen erhalten zu haben, durch die vorliegende Entscheidung nicht mehr korrigiert werden. Insoweit sind die Bf auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu verweisen.
4. Der Anordnungsinhalt steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (§ 86b Abs 2 S 4 SGG in Verbindung mit § 938 Abs. 1 ZPO). Dabei muss die angeordnete Maßnahme notwendig sein, um wesentliche Nachteile abzuwenden (Keller in Meyer-Ladewig ua, SGG, § 86b Rz 30).
Inhaltlich betrifft die Anordnung ausschließlich den Regelbedarf, nachdem die aufgrund der sicherheitsrechtlichen Unterbringung der Bf in einer Pension entstehenden Unterkunftskosten bereits bislang von der Beigeladenen getragen werden. Die zeitliche Dauer der Anordnung ist dementsprechend bis zum 31.05.2022 befristet. Bis zu diesem Tag hat die Beigeladenen die sicherheitsrechtliche Unterbringung verfügt.
Die zeitliche Befristung dient im Übrigen der Existenzsicherung für den Zeitraum, den die Beigeladene voraussichtlich benötigt, um die vorliegend als glaubhaft angenommenen Leistungsvoraussetzungen (abschließend) zu prüfen und ggf ausländerrechtliche Maßnahmen in die Wege zu leiten.
Auf der anderen Seite dient die zeitliche Begrenzung auch dazu, dass die Bf zu 1 die Zeit nutzt, ihre Arbeitssuche als Leistungsvoraussetzung weiter ernsthaft zu untermauern durch den schriftlichen Nachweis von Bewerbungen auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen.
Die Höhe der Regelbedarfe ergibt sich aus der Regelbedarfsfestsetzungsverordnung der Landeshauptstadt A für die Jahre 2021 und 2022, wobei bzgl der Bf zu 1 die Regelbedarfsstufe 1 (2021: 468 Euro; 2022: 471 Euro) und bzgl des Bf zu 2 die Regelbedarfsstufe 5 (2021: 321 Euro; 2022: 323 Euro) zugrunde gelegt wird, für den Monat September 2021 nur anteilig für die Zeit ab Antragstellung beim Sozialgericht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, dass der Bg den Antrag unverzüglich an die Beigeladene hätte weiterleiten müssen und die Bf in der Sache weitgehend bis auf wenige Tage im September 2021 mit ihrem Leistungsbegehren obsiegt haben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.