L 4 P 3924/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 P 41/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 3924/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Das Gericht darf seine Entscheidung nicht auf Ansprüche ausdehnen, die der Sache nach nicht streitgegenständlich sind. Den Gerichten ist es daher verwehrt, einem Kläger mehr zuzusprechen, als er beantragt hat (Grundsatz des „ne ultra petita“).
2. Verstöße gegen die Soll-Vorschrift des § 151 Abs. 3 SGG führen nicht zur Unzulässigkeit der Berufung. Die Berufung ist vielmehr nur dann als unzulässig zu verwerfen, wenn das Begehren des Rechtsmittelführers bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens nicht geklärt werden kann.
3. Bei einer Beweisanordnung der Pflegekasse nach § 18 Abs. 1 SGB XI handelt es sich um eine unselbstständige behördliche Verfahrenshandlung i.S. von § 56a SGG, die nur zusammen mit dem Rechtsbehelf gegen die Sachentscheidung angefochten werden kann.

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 11. November 2020 aufgehoben, soweit damit über eine auf Bescheidung des Antrags auf Festsetzung einer Verzögerungsgebühr gerichtete Untätigkeitsklage entschieden worden ist.

 Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beklagten, im Verwaltungsverfahren ein Pflegegutachten bei einem unabhängigen ärztlichen Gutachter anstelle des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) einzuholen, sowie um die Feststellung der Untätigkeit der Beklagten.

Der 1959 geborene Kläger, der bis zum 30. April 2020 bei der Beklagten sozial pflegeversichert war, lebt in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft. Ab Oktober 2017 bezog er von der Beklagten Leistungen nach Pflegegrad 1 (Bescheid vom 15. Dezember 2017). Der Bewilligung lag das Pflegegutachten des MDK vom 14. Dezember 2017 zugrunde (23,75 gewichtete Punkte).

Am 22. Mai 2018 stellte der Kläger bei der Beklagten einen ersten Antrag auf Einstufung in einen höheren Pflegegrad. Diesen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Dezember 2018 ab, nachdem sie sowohl im Verwaltungs- als auch im Widerspruchsverfahren Pflegegutachten des MDK eingeholt hatte, die in den pflegefachlich zu bewertenden Modulen jeweils einen gewichteten Gesamtpunktewert von 13,75 ermittelt hatten. Beide Pflegegutachten waren von Pflegefachkräften des MDK auf der Grundlage von Hausbesuchen erstattet worden (Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit der Pflegefachkraft B vom 26. Juli 2018; Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit der Pflegefachkraft G vom 24. Oktober 2018).

Dagegen erhob der Kläger am 10. Januar 2019 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage mit den Anträgen, festzustellen, dass das durchgeführte Verfahren der Pflegebegutachtung gegen die gesetzlichen Vorgaben zur Beteiligung von Ärzten und zur Einbeziehung der behandelnden Ärzte i.V.m. dem Amtsermittlungsgrundsatz verstoße, und den Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2018 über die Ablehnung der Höherstufung des Pflegegrades aufgrund der Verfahrensverstöße aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem Höherstufungsantrag Leistungen der Pflegeversicherung nach dem Pflegegrad 3, hilfsweise Pflegegrad 2, zu gewähren (Az. S 9 P 128/19). Zur Begründung führte er an, entgegen seiner ausdrücklich geäußerten Bitte seien im Rahmen der Pflegebegutachtung durch den MDK keinerlei ärztliche Befunde zu seinem Gesundheitszustand und dessen Änderung eingeholt worden. Nachdem im Rahmen der Begutachtung die Beteiligung von Ärzten gesetzlich zwingend vorgesehen sei, weise das Verfahren der Beklagten und des MDK eklatante Mängel auf.

Das SG vernahm die S schriftlich als sachverständige Zeugin (Zeugenauskunft vom 26. April 2019) und bestellte die Pflegefachkraft B1 zum gerichtlichen Sachverständigen. Der Kläger lehnte eine Begutachtung durch diesen Sachverständigen wegen dessen fehlender ärztlicher Qualifikation ab (Schreiben vom 22. Juli 2019). Auf Anfrage des SG vom 18. Oktober 2019, ob der Kläger bereit sei, sich einer Begutachtung durch einen ärztlichen Sachverständigen zu unterziehen, teilte der Kläger mit, dass ihm die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens im Hinblick auf die Dauer des Verfahrens nicht mehr zumutbar sei und er es vorziehe, einen neuen Höherstufungsantrag zu stellen, da dies angesichts der im Gesetz vorgesehenen Fristen bei einer normalen Pflegebegutachtung der deutlich schnellere Weg sei (Schreiben vom 22. Oktober 2019). Mit Urteil vom 18. November 2019 wies das SG daraufhin die Klage ab. Die Entscheidung begründete es im Wesentlichen damit, dass der Kläger die Voraussetzungen eines höheren Pflegegrades nicht nachgewiesen habe.

Gegen das Urteil legte der Kläger am 22. November 2019 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung ein (L 4 P 3969/19). In dem Berufungsverfahren holte der Senat zunächst bei dem B2 ein Pflegegutachten aufgrund einer Begutachtung im häuslichen Umfeld (Gutachten vom 4. März 2021) und im Anschluss bei dem N ein Pflegegutachten nach Aktenlage (Gutachten vom 15. Oktober 2021) ein.

Bereits am 21. November 2019 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung seines Pflegegrades, wobei er eine Begutachtung durch den MDK ablehnte und um Beauftragung eines unabhängigen Gutachters bat. Die Beklagte wertete dies als neuen Höherstufungsantrag (Schreiben der Beklagten vom 22. November 2019) und leitete ein Begutachtungsverfahren ein. Hierüber informierte sie den Kläger mit Schreiben 25. November 2019. Der MDK teilte in der Folge mit, dass ein externer Gutachter nicht zur Verfügung stehe, und kündigte gegenüber dem Kläger schriftlich eine Begutachtung mit Hausbesuch an. Mit Schreiben vom 29. November 2019 bekräftigte der Kläger daraufhin seinen Wunsch nach einer Begutachtung durch einen unabhängigen Gutachter und wies darauf hin, dass er eine Begutachtung durch den MDK bereits unmissverständlich abgelehnt habe. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2019 sandte der MDK den Begutachtungsauftrag wegen fehlender Mitwirkung an die Beklagte zurück und teilte hierzu mit, der Kläger habe den für den 10. Dezember 2019 geplanten Hausbesuch abgesagt. Mit Telefax vom gleichen Tag beschwerte sich der Kläger bei der Beklagten darüber, dass der MDK bei seinem Vermieter angerufen und mit diesem über einen Begutachtungstermin am 10. Dezember 2019 gesprochen habe. Er vertrat die Auffassung, dass die Weitergabe seiner Daten an den MDK eine strafrechtliche Verletzung von Privatgeheimnissen darstelle.

Mit Schreiben vom 17. Dezember 2019 forderte der Kläger die Beklagte auf, die für die erste Woche der Überschreitung der Frist nach § 18 Abs. 3b Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) anfallende „Strafzahlung“ bis spätestens 3. Januar 2020 zu bezahlen. Mit Schreiben vom 3. Januar 2020 mahnte er gegenüber der Beklagten die Zahlung der Verzögerungsgebühr an.

Am 9. Januar 2020 erhob der Kläger beim SG Reutlingen Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, die Pflegebegutachtung durch einen unabhängigen, externen Gutachter durchzuführen. Zugleich beantragte er den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Beklagte verpflichtet werden sollte, die aus dem Versäumnis der Entscheidungsfrist resultierende Sanktionszahlung an ihn zu überweisen (S 9 P 40/20 ER). Den Antrag auf einstweiligen Rechtschutz lehnte das SG mit Beschluss vom 22. Januar 2020 ab (S 9 P 40/20 ER).

Zur Begründung der Klage trug der Kläger vor, die Beklagte sei trotz der von ihr zu vertretenden Versäumnisse im vorausgegangenen Verfahren nicht bereit, einen unabhängigen Gutachter mit der Pflegebegutachtung zu beauftragen. Offenbar fehle es an einer entsprechenden Organisationsstruktur, obwohl diese Möglichkeit gesetzlich ausdrücklich vorgesehen sei.

 

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG wies die Beteiligten mit Schreiben vom 19. März 2020 auf die Unzulässigkeit der Klage aufgrund fehlender (Widerspruchs-)Entscheidung hin und hörte diese zugleich zu einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Gerichtsbescheid an. Der Kläger machte daraufhin geltend, die Beklagte habe auf den vor vier Monaten gestellten Höherstufungsantrag nicht reagiert und ihm bis heute keine Information und keinen Bescheid zukommen lassen. Sie verweigere damit durch ihre bewusste Untätigkeit gerade den Bescheid, dessen Fehlen das Gericht nun zum Anlass für eine Abweisung der Klage nehmen wolle. Mit Schreiben vom 21. März 2020 (Bl. 11 SG-Akte) stellte der Kläger im Hinblick auf ein fehlendes Vorverfahren den Antrag, die Beklagte durch Zwischenurteil vorab zum Erlass eines (Widerspruchs-) Bescheids zu verurteilen.

Bereits mit Schreiben vom 2. März 2020 erklärte die Beklagte ihre weitere Bereitschaft zur Einholung eines weiteren Pflegegutachtens, nachdem der für den 10. Dezember 2019 geplante Begutachtungstermin durch den MDK vom Kläger abgesagt worden sei, und forderte den Kläger auf, bis 13. März 2020 mitzuteilen, ob er einer Begutachtung durch den MDK zustimme. Zugleich wies sie auf die gesetzlichen Mitwirkungspflichten und die Folgen fehlender Mitwirkung hin. Eine Rückmeldung des Klägers erfolgte hierauf nicht. Mit Bescheid vom 30. März 2020, der mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war, versagte die Beklagte die Gewährung von laufenden Pflegeleistungen nach einem höheren Pflegegrad als Pflegegrad 1. Die Bearbeitung des Antrags auf höhere Pflegeleistungen werde eingestellt, weil das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen hierfür mangels Mitwirkung des Klägers nicht festgestellt werden könne. Der zunächst als Einschreiben mit Rückschein versandte Bescheid wurde an die Beklagte mit dem Postvermerk zurückgesandt, der Empfänger habe das Schreiben nicht abgeholt. Am 28. April 2020 versandte die Beklagte daraufhin den Bescheid nochmals mit einfachem Brief. Eine Abschrift des Bescheides und eine Kopie des Briefumschlags des Einschreibens legte sie dem SG vor. Das SG leitete diese Unterlagen zunächst nicht an den Kläger weiter.

Mit Schreiben vom 19. Mai 2020 (Bl. 25 SG-Akte) stellte der Kläger den weiteren Klageantrag, festzustellen, dass die Beklagte keinen Bescheid erteilt habe. Zur Begründung führte er aus, auf seinen Höherstufungsantrag vom 21. November 2019 sei ein schriftlicher Bescheid innerhalb von 25 Arbeitstagen, also spätestens in der ersten Januarwoche 2020 zu erteilen gewesen. Einen solchen Bescheid gebe es bis zum heutigen Tage nicht. Mit Schreiben vom 27. August 2020 (Bl. 32 der SG-Akte) beantragte der Kläger „abschließend noch einmal ausdrücklich [..], festzustellen, dass die Beklagte (auch bis zum heutigen Tage!) zum Höherstufungsantrag keinerlei direkten Kontakt zum Kläger aufnahm und (daher) auch keine Entscheidung über den Höherstufungsantrag erging“. Gemäß der nicht auslegungsfähigen Frist von 25 Arbeitstagen habe bis zum Jahresende 2019 ein schriftlicher Bescheid ergehen müssen. Schon aus diesem Grund und aus dem groben Versäumnis der Beklagten sei dem Höherstufungsantrag stattzugeben.

Mit Gerichtsbescheid vom 11. November 2020 wies das SG die Klage als unzulässig ab. Dabei fasste es die Anträge des Klägers im Tatbestand sachdienlich dahingehend, die Beklagte zu verurteilen, einen ärztlichen und unabhängigen Gutachter mit der Erstellung eines Pflegegutachtens zu beauftragen sowie über den Höherstufungsantrag vom 21. November 2019 und auf den Antrag auf Festsetzung einer Verzögerungsgebühr wegen zu vertretender Fristüberschreitung eine rechtsmittelfähige Entscheidung zu treffen. In den Entscheidungsgründen führte es aus, bei einer Beweisanordnung der Pflegekasse handele es sich um eine behördliche Verfahrenshandlung, gegen die Rechtsbehelfe nach § 56a Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden könnten. Die mangelnde Eignung eines Sachverständigen könne deshalb nur mit der Anfechtung der abschließenden Verwaltungsentscheidung vorgebracht werden. Dies gelte nicht nur für die Anfechtung, sondern auch für das Einklagen von Verfahrenshandlungen in Form einer Verpflichtungsklage. Der sachdienlich als Untätigkeitsklage ausgelegte Antrag auf Bescheidung des Höherstufungsantrags vom 21. November 2019 sei ebenfalls unzulässig. Eine Untätigkeit sei vorliegend nicht festzustellen, nachdem die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 30. März 2020 mitgeteilt habe, dass die Gewährung von laufenden Pflegeleistungen höher als Pflegegrad 1 versagt werde. Die Frage, ob dieser Bescheid dem Kläger bekanntgegeben worden sei (§ 39 SGB X), habe unter Umständen für den Lauf der Widerspruchsfrist Bedeutung, nicht hingegen für die geltend gemachte Untätigkeit. Maßgeblich sei insoweit vielmehr, dass die Beklagte gerade nicht untätig geblieben sei, da sie den Antrag des Klägers vom 21. November 2019 in der Sache beschieden habe. Lediglich hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass der Bescheid vom 30. März 2020 über die Grundsätze der Zugangsvereitelung als zugestellt gelte. Denn der Kläger habe auf das Schreiben der Beklagten vom 2. März 2020 nicht reagiert und deshalb damit rechnen müssen, dass sich die Beklagte zeitnah mit einem entsprechenden Versagungsbescheid an ihn wende. Nicht zuletzt in Anbetracht der Vorgeschichte habe er sich deshalb nach Treu und Glauben veranlasst sehen müssen, das Einschreiben in der Postfiliale abzuholen. Schließlich sei auch die auf Festsetzung einer Verzögerungsgebühr gerichtete Untätigkeitsklage mangels berechtigten Rechtsschutzinteresse unzulässig. Denn ein entsprechender materiell-rechtlicher Anspruch scheide unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Falles offensichtlich und unter jedem denkbaren Gesichtspunkt aus. Die Pflicht zur Verzögerungszahlung bestehe nämlich gem. § 18 Abs. 3b Satz 2 Alt. 1 SGB XI nicht, wenn die Pflegekasse die Verzögerung nicht zu vertreten habe, wie etwa wenn der Antragsteller nicht oder nicht rechtzeitig mitgewirkt habe. Nach nunmehr neun erst- und zweitinstanzlichen Verfahren bestünden große Zweifel daran, ob es dem Kläger noch um eine abschließende Beurteilung seiner Pflegesituation oder vorrangig um Bestätigung bzw. Durchsetzung seiner Rechtsauffassung gehe. Nachdem der Kläger inzwischen die Durchführung von insgesamt vier Begutachtungen verweigert habe, erweise sich die Geltendmachung einer Verzögerungsgebühr wegen Fristüberschreitung sowie eine hierauf gerichtete Untätigkeitsklage als rechtsmissbräuchlich. Mit dem Gerichtsbescheid, dessen Zustellung vom SG zweimal veranlasst wurde, nachdem beim ersten Zustellversuch kein Rücklauf der Postzustellungsurkunde zu verzeichnen war, übersandte das SG dem Kläger die von der Beklagten im Verlauf des Verfahrens vorgelegte Abschrift des Versagungsbescheids vom 30. März 2020 und die Kopie des Einschreibens.

Gegen den Gerichtsbescheid richtet sich die am 13. Dezember 2020 (Sonntag) beim LSG Baden-Württemberg eingelegte Berufung. Zur Begründung macht der Kläger geltend, das Verfahren erster Instanz werfe höchst grundlegende Fragen auf. So habe es nachweislich mehrmals Absprachen bzw. Kommunikation zwischen dem Richter und der Beklagten gegeben, über die er nicht unterrichtet worden sei. Beispielsweise sei das Gericht von ihm nicht darüber informiert worden, dass er bei der Beklagten ab dem 1. Mai 2020 nicht mehr versichert sei, weshalb diese Information nur von der Beklagten stammen könne. Auch habe das Gericht den Bescheid vom 30. März 2020 nicht an ihn weitergeleitet, obwohl er immer wieder darauf hingewiesen habe, dass die Beklagte keinen Kontakt bezüglich des Höherstufungsantrags mit ihm aufgenommen habe und es noch keinen Bescheid gebe. Der Bescheid sei ihm so erstmals mit der Entscheidung des SG übersandt worden. Und dies obwohl der Bescheid ohnehin schon viel zu spät gekommen sei, da er gemäß der gesetzlichen Frist von 25 Arbeitstagen nach Antragstellung spätestens bis Jahresende 2019 hätte ergehen müssen. Außerdem widerspreche die Entscheidung des SG fundamentalen Prinzipien des Rechts, da ein Bescheid zu seiner Wirksamkeit der Bekanntmachung bedürfe. Das SG habe auch gegen § 123 SGG verstoßen, indem es seinen Antrag auf Erlass eines Zwischenurteils ignoriert habe. Die Entscheidung des SG sei schließlich schon deshalb aufzuheben, weil das SG verfahrensfehlerhaft durch Gerichtsbescheid entschieden habe. Der ursprünglichen Ankündigung des SG aus dem März 2020, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, habe er widersprochen und danach einen Antrag auf Erlass eines Zwischenurteils gestellt. Damit habe sich eine neue Prozesssituation ergeben, sodass das SG vor einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid erneut rechtliches Gehör hätte gewähren müssen. Dies sei jedoch nicht geschehen.

Der Senat hat den Kläger mit richterlichem Hinweis vom 11. November 2021 aufgefordert, sein mit der Berufung verfolgtes Anliegen klarzustellen und einen konkreten Berufungsantrag zu stellen. Mit Schreiben vom 20. November 2021 hat der Kläger daraufhin im Wesentlichen auf die Berufungsschrift verwiesen.

Vor diesem Hintergrund geht der Senat im Wege der sachdienlichen Auslegung davon aus, dass der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 11. November 2020 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückzuverweisen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihn durch einen Arzt als unabhängigen Gutachter zur Erstellung eines Pflegegutachtens begutachten zu lassen, und die Beklagte weiter zu verpflichten, über seinen Antrag vom 21. November 2019 zu entscheiden.

 

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.
 

Die Beklagte hat sich zu der Berufung ansonsten nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des streitigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verfahrensakten beider Instanzen, die Verfahrensakten des Parallelverfahrens (L 4 P 3969/19) sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

1. Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist. Denn der Kläger ist mit der ordnungsgemäßen, ausweislich der Postzustellungsurkunde am 28. Dezember 2021 zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§§ 153 Abs.1 i.V.m. 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und nach §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 SGG. Die Verpflichtungs- bzw. Leistungsklage (hierzu unter 4, c, aa) des Klägers auf Begutachtung durch einen Arzt betrifft weder eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung noch einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt; die vom SG abgewiesenen Untätigkeitsklagen sind demgegenüber auf den Erlass von Verwaltungsakten gerichtet, die Geldleistungen zum einen in Form von Pflegegeld mindestens nach Pflegegrad 2 (monatlich wenigstens 316,00 €) für die Monate November 2019 bis April 2020 und zum anderen in Form von Sanktionszahlungen von wöchentlich 70,00 € für die Zeit vom 10. Januar 2020 bis zumindest 30. März 2020 betreffen, so dass der Wert des Beschwerdegegenstandes jeweils 750,00 € übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG; zur Anwendbarkeit des § 144 Abs. 1 SGG auf Untätigkeitsklagen vgl. Senatsbeschluss vom 29. April 2021 – L 4 P 460/21 – nicht veröffentlicht; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 144 Rn. 9c).   

 3. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid vom 11. November 2020, mit dem das SG die Klage des Klägers auf Verpflichtung der Beklagten zur Beauftragung eines unabhängigen Gutachters mit der Erstellung eines Pflegegutachtens sowie Untätigkeitsklagen auf Bescheidung der Anträge des Klägers auf höhere Pflegeleistung und auf Festsetzung von Sanktionszahlungen wegen Fristüberschreitung abgewiesen hat. Der Kläger ficht diese Entscheidung mit der Berufung vollumfänglich an. Zwar hat er keinen Berufungsantrag gestellt, obwohl § 151 Abs. 3 SGG ausdrücklich vorschreibt, dass die Berufungsschrift einen bestimmten Antrag enthalten soll. Auch hat er das Ziel seiner Berufung auf den Hinweis des Senats vom 11. November 2021 nicht näher konkretisiert. Verstöße gegen die Soll-Vorschrift des § 151 Abs. 3 SGG führen jedoch nicht zur Unzulässigkeit der Berufung (BSG, Beschluss vom 21. September 2017 B 8 SO 32/17 B juris, Rn. 9). Die Berufung ist vielmehr nur dann als unzulässig zu verwerfen, wenn das Begehren des Rechtsmittelführers bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens nicht geklärt werden kann (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. August 2021 – L 5 R 271/21 – juris, Rn. 12; Binder, in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 151 Rn. 27). Vorliegend hat der Kläger im Rahmen der Begründung seiner Berufung im Wesentlichen Verfahrensfehler des SG gerügt, weshalb der Senat sein Begehren so auslegt, dass der Kläger mit dem Rechtsmittel in erster Linie die Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids und Zurückverweisung der Sache an das SG erreichen will (§ 159 Abs. 1 SGG). Zugunsten des Klägers geht der Senat zudem davon aus, dass der Kläger mit der Berufung darüber hinaus auch seine erstinstanzlichen Klagebegehren weiterverfolgt und jedenfalls hilfsweise eine Sachentscheidung des Senats hierüber begehrt.

4. Die Berufung ist zum Teil begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist aufzuheben, soweit das SG über eine auf Bescheidung des Antrags auf Festsetzung einer Verzögerungsgebühr gerichtete Untätigkeitsklage entschieden hat. Die Entscheidung des SG verstößt insoweit gegen § 123 SGG, da ein solcher Anspruch vom Kläger nicht mit der Klage erhoben worden ist (dazu unter a). Im Übrigen ist die Berufung weder im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung an das SG (dazu unter b) noch in der Sache begründet. Das SG hat die Verpflichtungs- und Bescheidungsanträge, welche der Kläger mit der Klage im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) zusammen verfolgt, zu Recht als unzulässig verworfen (dazu unter c).

a) Die Entscheidung des SG leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Denn das SG hat angenommen, dass der Kläger mit seiner Klage u.a. die Verurteilung der Beklagten zum Erlass einer „rechtsmittelfähigen Entscheidung“ über seinen „Antrag auf Festsetzung einer Verzögerungsgebühr wegen zu vertretender Fristüberschreitung“ begehrt, und die Klage auch insoweit abgewiesen. Damit hat das SG das Klagebegehren des Klägers verkannt und gegen § 123 SGG verstoßen, was der Senat von Amts wegen zu berücksichtigen hat (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 – B 5 RE 23/14 R – juris, Rn. 11).

Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Das Gericht ist danach zwar nicht an den Wortlaut der gestellten Anträge, wohl aber an den vom Kläger erhobenen Anspruch (Streitgegenstand) gebunden. Als Ausfluss der auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Dispositionsmaxime bestimmt allein der Kläger mit seinem Rechtsschutzbegehren den Streitgegenstand des Verfahrens und damit zugleich den Prüfungsumfang des Gerichts (BSG, Urteil vom 23. Februar 2005 – B 6 KA 77/03 R – juris, Rn. 15; Bolay, in: Berchtold, SGG, 6. Auflage 2021, § 123 Rn. 3). Das Gericht darf seine Entscheidung deshalb nicht auf Ansprüche ausdehnen, die der Sache nach nicht streitgegenständlich sind. Den Gerichten ist es daher verwehrt, einem Kläger mehr zuzusprechen, als er beantragt (Grundsatz des „ne ultra petita“; vgl. BSG, Urteil vom 17. September 2020 – B 4 AS 13/20 R – juris, Rn. 23 m.w.N.; Hübschmann, in: Roos/Wahrendorf/Müller, beck-online Großkommentar SGG, Stand: November 2021, § 123 Rn. 31).

Hiergegen hat das SG verstoßen, indem es mit seiner Entscheidung über das Klagebegehren des Klägers hinausgegangen ist. Vorliegend stellte der Kläger mit der Klageschrift vom 7. Januar 2020 zunächst den Antrag, „die Beklagte zu verpflichten, die Begutachtung durch einen sog. unabhängigen („externen") Gutachter durchzuführen“ (Bl. 2 SG-Akte). Mit Schreiben vom 19. Mai 2020 erweiterte er seine Klage in der Folge um den Antrag, „festzustellen, dass die Beklagte keinen Bescheid erteilt hat“ (Bl. 25 SG-Akte). Mit dieser nachträglichen Klagehäufung (§ 56 i.V.m. § 99 Abs. 1 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 23 April 2015 – B 5 RE 23/14 R – juris, Rn. 12), von deren Sachdienlichkeit das SG konkludent ausgegangen ist, machte der Kläger der Sache nach eine Untätigkeit der Beklagten hinsichtlich seines Antrags vom 21. November 2019 auf Einstufung in einen höheren Pflegegrad geltend. Dies ergibt sich aus der Begründung des Antrags. Denn der Kläger verwies darin ausdrücklich auf den Höherstufungsantrag, den er am 21. November 2019 gestellt hatte, und monierte, dass gemäß der gesetzlichen Frist des § 18 Abs. 3b SGB XI demnach spätestens in der ersten Januarwoche 2020 ein schriftlicher Bescheid zu erteilen gewesen sei, es „einen solchen Bescheid“ der Beklagten aber bislang nicht gebe. Zuletzt beantragte der Kläger mit Schreiben vom 27. August 2020 (Bl. 32 SG-Akte) „abschließend noch einmal ausdrücklich“ die Feststellung, dass keine Entscheidung über den „Höherstufungsantrag“ ergangen sei. Auch dieser Antrag bezog sich explizit und ausschließlich auf eine fehlende Entscheidung über den gestellten Höherstufungsantrag. Zwar nahm der Kläger zur Begründung erneut Bezug auf die „Frist von 25 Arbeitstagen des § 18 Abs. 3b SGB XI“, leitete aus dem „Versäumnis der Beklagten“ jedoch die Rechtsfolge ab, dass seinem Höherstufungsantrag schon aus diesem Grund stattzugeben sei. Das Rechtsschutzziel des Klägers war aus Sicht des Senats insofern eindeutig. Den Anträgen im Klageverfahren und seinem Klagevorbringen konnte klar entnommen werden, dass es dem Kläger um eine Bescheidung seines Antrags vom 21. November 2019 auf Gewährung höherer Pflegeleistungen ging.

Ein Hinweis auf ein weiteres Rechtsschutzziel dahingehend, dass eine weitere Untätigkeitsklage auf Bescheidung des Antrags vom 17. Dezember 2019 auf Festsetzung von Sanktionszahlungen erhoben wurde, ergab sich aus dem Klagebegehren des Klägers nicht. Eine unverzügliche Auszahlung der Verzögerungsgebühr hatte der Kläger allein mit dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz geltend gemacht, den er zeitgleich mit der Klage beim SG stellte. Abgesehen davon, dass dieser Antrag auf die vorläufige Gewährung der Geldleistung und nicht auf die Bescheidung eines hierauf gerichteten Antrags durch die Beklagte gerichtet war, lag darin nicht zugleich auch ein Klageantrag. Da der einstweilige Rechtsschutz ein selbstständiges Verfahren darstellt, enthält die Beantragung einer einstweiligen Anordnung regelmäßig nicht zugleich auch eine Klageerhebung (vgl. Hübschmann, a.a.O., § 123 Rn. 25). Gründe, die im Streitfall eine abweichende Auslegung des gestellten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gebieten würden, bestehen nicht.

Das SG hat, wie sich aus dem klageabweisenden Tenor des angefochtenen Gerichtsbescheids vom 11. November 2020 unter Heranziehung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ergibt (vgl. hierzu LSG Bayern, Urteil vom 12. Juli 2011 – L 11 AS 656/10 – juris, Rn. 19; Keller, a.a.O., § 136 Rn. 5c), demgegenüber auch über eine auf Bescheidung des Antrags auf Festsetzung einer Verzögerungsgebühr gerichtete Untätigkeitsklage entschieden. Seine Entscheidung ist insoweit unter Verstoß gegen § 123 SGG zu einem anderen als den vom Kläger bestimmten Streitgegenstand ergangen.

Dieser Verstoß gegen § 123 SGG ist nicht geheilt. Eine solche Heilung wird in der Rechtsprechung für Fälle zusprechender Entscheidungen diskutiert, wenn der Beklagte die streitgegenstandsüberschreitende Verurteilung mit der Berufung anficht und der Kläger die Zurückweisung dieser Berufung beantragt und sich auf diese Weise die Antragsüberschreitung des erstinstanzlichen Urteils zu eigen macht (vgl. hierzu ausführlich LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Juni 2016 – L 6 VH 4633/14 – juris, Rn. 83 m.w.N.; kritisch BSG, Urteil vom 23. April 2015 – B 5 RE 23/14 R – juris, Rn 12; anderseits befürwortend BSG, Urteil vom 10. November 2021 – B 1 KR 9/21 R – juris, Rn. 9). Eine solche Fallkonstellation liegt hier jedoch nicht vor, da der Kläger selbst mit der Berufung gegen die Entscheidung des SG vorgeht und deren Aufhebung begehrt. Im Übrigen wäre die in der nachträglichen Klagehäufung liegende Klageänderung vorliegend gemäß § 99 SGG auch nicht zulässig, weil die Beklagte, die sich zur Berufung des Klägers nicht geäußert hat, weder in die geänderte Klage eingewilligt noch sich hierauf rügelos eingelassen hat und die Klageänderung nach Einschätzung des Senats auch nicht sachdienlich wäre. Es ist unter prozessökonomischen Gesichtspunkten nämlich nicht sinnvoll, eine Untätigkeitsklage, die auf Bescheidung eines Antrags auf Leistungen der Pflegeversicherung gerichtet ist, mit einer Untätigkeitsklage bezüglich der Festsetzung von Sanktionszahlungen zu verbinden; denn für die Höhe der festzusetzenden Sanktionszahlungen ist nach § 18 Abs. 3b SGB XI maßgeblich, zu welchem Zeitpunkt die Pflegekasse den schriftlichen Bescheid über den Leistungsantrag erteilt hat, sodass über die Festsetzung der Verzögerungszahlung in der Regel erst nach Erlass der Verwaltungsentscheidung über den Antrag auf Pflegeleistungen abschließend entschieden werden kann.

Der angefochtene Gerichtsbescheid vom 11. November 2020 beruht aufgrund des Verstoßes gegen § 123 SGG auf einem wesentlichen Verfahrensmangel und war deshalb im Umfang, in dem er das Klagebegehren des Klägers überschreitet, aufzuheben (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 – B 5 RE 23/14 R – juris). Eine Zurückverweisung der Sache an das SG (§ 159 Abs. 1 SGG) kam wegen dieses Verfahrensfehlers nicht in Betracht, weil das SG über die fälschlich angenommene Untätigkeitsklage auf Bescheidung des Antrags auf Festsetzung der Sanktionszahlung gerade nicht nochmals entscheiden dürfte.

b) Im Übrigen leidet die Entscheidung des SG an keinem Mangel, der zur Aufhebung und Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ermächtigen würde. Insoweit kann dahinstehen, ob, wie der Kläger rügt, das Verfahren deswegen an einem wesentlichen Verfahrensfehler leidet, weil sich nach der Anhörung des SG zu einer Entscheidung des Rechtstreits durch Gerichtsbescheid (Mitteilung vom 19. März 2020) die Prozesssituation aufgrund seines Antrags auf Erlass eines Zwischenurteils wesentlich verändert hat und das SG aufgrund dessen die Beteiligten vor Erlass des Gerichtsbescheides nochmals nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG hätte anhören müssen (vgl. zu dem Anhörungserfordernis Senatsurteil vom 11. Dezember 2020 – L 4 R 1223/20 – juris, Rn. 50 m.w.N.). Denn selbst im Fall eines wesentlichen Verfahrensmangels ist der Senat nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG nur dann zur Zurückverweisung der Sache befugt, wenn eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (vgl. BSG, Beschluss vom 13. November 2017 – B 13 R 152/17 B – juris, Rn. 19). Eine solche Beweisaufnahme ist – der gerügte Mangel unterstellt – im Streitfall weder auf Grund dessen noch sonst erforderlich, da der Sachverhalt hinsichtlich der streitgegenständlichen Anträge geklärt ist. Aus demselben Grund führt auch die vom Kläger sinngemäß erhobene Gehörsrüge nicht zur Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids und zur Zurückverweisung der Sache an das SG. Die Verletzung rechtlichen Gehörs (§§ 62, 128 Abs. 2 SGG), die darin liegt, dass das SG den von der Beklagten mit Schreiben vom 28. April 2020 vorgelegten Versagungsbescheid vom 30. März 2020 und die Kopie des Briefumschlags des nicht abgeholten Einschreibens erst zusammen mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid übersandt hat, ist dadurch behoben, dass der Kläger sich zu diesen Unterlagen im Berufungsverfahren hat äußern können. Gleiches gilt für die Information über die Beendigung der Mitgliedschaft des Klägers, welche das SG nach dem Vortrag des Klägers von der Beklagten erhalten hat, ohne ihn darüber zu unterrichten. Eine Zurückverweisung der Sache ist jedoch ausgeschlossen, wenn der erstinstanzliche Verfahrensmangel im Berufungsverfahren behoben werden kann bzw. bereits behoben wurde (vgl. BSG, Beschluss vom 20. April 2009 – B 9 SB 63/08 B – juris, Rn. 8).

c) Die Berufung des Klägers hat hinsichtlich der streitgegenständlichen Anträge auch in der Sache keinen Erfolg.

aa) Die Klage des Klägers auf Anordnung einer Pflegebegutachtung durch unabhängige Gutachter ist im Hinblick auf § 56a SGG unzulässig. Der Senat braucht dabei nicht zu entscheiden, ob für das Begehren des Klägers die Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Alt. 3 SGG oder die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG die richtige Rechtschutzform ist. Die erhobene Verpflichtungsklage wäre nur dann statthaft, wenn es sich bei der begehrten Beweisanordnung der Beklagten nach § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB XI um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X handeln würde und der Kläger mit der Klage somit die Verurteilung der Beklagten zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehren würde. Auf die Klärung dieser Frage kommt es jedoch im vorliegenden Zusammenhang nicht an. Denn § 56a SGG enthält eine (negative) Zulässigkeitsvoraussetzung, die für sämtliche Rechtsbehelfe und damit auch für alle Klagearten gilt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Oktober 2021 – L 9 R 1944/21 – juris, Rn. 25; Jüttner, in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 56a Rn. 2 m.w.N.). Danach können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nur dann nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen (§ 56a Satz 2 SGG). Von dieser Regelung, die der Verfahrens- und Prozessökonomie dient, werden alle unselbstständigen Verfahrenshandlungen erfasst, mit denen eine Sachentscheidung erst vorbereitet und noch keine verbindliche Regelung getroffen wird (Senatsurteil vom 19. Juni 2020 – L 4 KR 3138/19 – juris, Rn. 40).

Bei der begehrten Beweisanordnung der Beklagten nach § 18 Abs. 1 SGB XI handelt es sich – wie das SG zutreffend ausgeführt hat – um eine solche unselbständige behördliche Verfahrenshandlung, die nur zusammen mit dem Rechtsbehelf gegen die Sachentscheidung angefochten werden kann. Denn die Beweisanordnung ist Teil des Verwaltungsverfahrens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit, schließt dieses aber nicht ab, sondern bereitet die Sachentscheidung der Pflegekasse lediglich vor (zu Pflegegutachten bereits Senatsurteil vom 28. Juni 2019 – L 4 KR 3138/19 – a.a.O.). Zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit und der Voraussetzungen des von einem Antragsteller geltend gemachten Anspruchs auf Leistungen der Pflegeversicherung bedient sich die Pflegekasse in der Regel des Beweismittels eines Pflegegutachtens. Hierzu beauftragt sie gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB XI den MDK oder unabhängige Gutachter mit der Prüfung, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit erfüllt sind und welcher Pflegegrad vorliegt. Sowohl die Anordnung der Begutachtung als auch die Auswahl des Gutachters dienen ebenso wie das daraufhin erstatte Gutachten nur der Vorbereitung der von der Pflegekasse zu treffenden, abschließenden Entscheidung über den Leistungsantrag und sind somit nicht isoliert anfechtbar.

bb) Zu Recht hat das SG die Klage auch insoweit abgewiesen, als der Kläger die gerichtliche Feststellung beantragt, dass kein Bescheid zu seinem Höherstufungsantrag vom 19. November 2019 erlassen worden ist. Die Klage ist insoweit weder in Form der erhobenen Feststellungsklage (dazu nachfolgend unter 1) noch als sachdienlich gefasste Untätigkeitsklage (dazu nachfolgend unter 2) zulässig.

(1) Die Unzulässigkeit der erhobenen Feststellungsklage folgt bereits daraus, dass es an einem konkreten, feststellungsfähigen Rechtsverhältnis fehlt.

Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Ein Rechtsverhältnis ist die Rechtsbeziehung zwischen mehreren Personen oder zwischen Personen und Sachen, die sich aus der Anwendung einer Rechtsnorm auf das Verhältnis von mehreren Personen zueinander oder auf das Verhältnis einer Person zu einer Sache ergeben (Senger, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGG, Stand: Juli 2021, § 55 Rn. 31; Keller, a.a.O., § 55 Rn. 4). Daneben erfasst § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG auch die Feststellung einzelner Rechte oder Pflichten aus einem umfassenderen Rechtsverhältnis (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2018 – B 8 SO 21/16 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 – B 4 AS 36/15 R – juris, Rn. 18). Die Feststellung einzelner Elemente eines Rechtsverhältnisses (Elementenfeststellungsklage) ist aus Gründen der Prozessökonomie und des Grundrechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz <GG>) nur ausnahmsweise zulässig, wenn sicher anzunehmen ist, dass dadurch der Streit der Beteiligten insgesamt bereinigt wird.

Die bloße Untätigkeit der Beklagten stellt kein konkretes Rechtsverhältnis im diesem Sinne dar (vgl. Beschluss des Senats vom am 29. April 2021 – L 4 P 460/21 – unveröffentlicht). Vielmehr handelt es sich dabei um eine Elementenfeststellung, für die vorliegend schon deshalb kein Bedürfnis besteht, weil der Kläger den Anspruch auf Bescheidung seines Höherstufungsantrags vom 21. November 2019 mit der Untätigkeitsklage nach § 88 SGG geltend machen kann. Dabei handelt es sich um eine besondere Form der Verpflichtungsklage, die der Feststellungsklage vorgeht (vgl. zur rechtlichen Einordnung der Untätigkeitsklage Claus, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, Stand: Juli 2017, § 88 SGG, Rn. 4; zur grundsätzlichen Subsidiarität der Untätigkeitsklage Keller, a.a.O., § 55 Rn. 19). Denn durch die Erhebung einer Feststellungsklage dürfen die besonderen gesetzlichen Voraussetzungen für die Erhebung einer Verpflichtungsklage nicht umgangen werden (Groß, in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 55 Rn. 16).

(2) Der Antrag ist auch als sachdienlich gefasste (§ 106 Abs. 1, § 123 SGG) Untätigkeitsklage nicht zulässig. Die – bezogen auf den Antrag vom 21. November 2019 – bereits vor Ablauf der sechsmonatigen Wartefrist am 9. Januar 2020 erhobene Klage war zwar zunächst unzulässig; der (Frist-)Mangel wurde jedoch durch Fristablauf während des Verfahrens geheilt. Die Beklagte hat aber mit dem Versagungsbescheid vom 30. März 2020 den Höherstufungsantrag des Klägers vom 21. November 2019 sachlich beschieden, sodass keine Untätigkeit mehr vorliegt.

Gemäß § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist. Nach diesen Maßstäben ist eine Untätigkeitsklage nur zulässig, solange die Behörde über den Antrag in der Sache noch keine Entscheidung getroffen hat (Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 88 Rn. 4). Eine solche Sachentscheidung liegt auch vor, wenn die Behörde die beantragte Leistung wegen fehlender Mitwirkung nach §§ 60, 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) versagt (Binder, in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 88 Rn. 11). Durch den Erlass eines Versagungsbescheids wird der Untätigkeitsklage die Grundlage entzogen (im Sinne einer Erledigung), denn diese ist nicht auf Erlass eines Verwaltungsakts mit einem bestimmten Inhalt, sondern nur auf Bescheidung schlechthin gerichtet (BSG, Beschluss vom 16. Oktober 2019 – B 13 R 14/18 BH – juris, Rn. 10).

Vorliegend hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 30. März 2020 die beantragten Leistungen nach einem höheren Pflegegrad als Pflegegrad 1 versagt und damit über den Höherstufungsantrag des Klägers vom 21. November 2019 in der Sache entschieden. Zwar teilt der Senat nicht die Rechtsauffassung des SG, dass eine Untätigkeit der Beklagten bereits mit der Fertigung und Absendung des Bescheides endete. Denn ein Verwaltungsakt wird nach § 39 Abs. 1 SGB X erst mit der Bekanntgabe gegenüber dem Adressaten und nur mit dem bekanntgegebenen Inhalt wirksam, sodass er vor seiner Bekanntgabe rechtlich nicht existent ist (vgl. Steinwedel, in: Kasseler Kommentar, Stand: September 2021, § 39 SGB X Rn. 6; Roos/Blüggel, in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 39 Rn. 4). Eine rechtswirksame sachliche Bescheidung des Antrags im Sinne von § 88 Abs. 1 SGG kann damit auch erst mit der Bekanntgabe der Verwaltungsentscheidung vorliegen (Claus, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, Stand: Juli 2017, § 88 SGG Rn. 17). Nicht zuletzt auch im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) muss die Möglichkeit, den Anspruch auf Bescheidung eines Antrags im Wege der Untätigkeitsklage nach § 88 SGG gerichtlich durchzusetzen, dem Rechtssuchenden solange erhalten bleiben, bis eine (anfechtbare) Verwaltungsentscheidung tatsächlich vorliegt.

Der Versagungsbescheid vom 30. März 2020 wurde dem Kläger jedoch bekannt gegeben. Zwar ist die von der Beklagten als landesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts zunächst veranlasste Zustellung des Bescheids durch Einschreiben mit Rückschein (§§ 37 Abs. 5, 65 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 4 Abs. 1 Landesverwaltungszustellungsgesetz – LVwZG) gescheitert, da der Kläger den eingeschriebenen Brief nicht bei der Postfiliale abholte. Ob sich der Kläger schon deshalb – wie das SG angenommen hat – wegen bewusster Vereitelung des Zugangs des Schreibens nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben so behandeln lassen muss, als ob ihm der Bescheid zeitnah bekannt gegeben worden wäre, kann für die Entscheidung des Rechtsstreits offenbleiben (vgl. hierzu Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand: Dezember 2020, § 37 SGB X Rn. 46). Hierfür würde jedenfalls sprechen, dass der Kläger auch nach Erhalt des Bescheides und der Kopie des Briefumschlags des Einschreibens über das SG weder geltend gemacht hat, dass er den Benachrichtigungszettel über das Einschreiben nicht erhalten hat, noch nachvollziehbare Gründe dafür vorgetragen hat, weshalb er die Einschreibesendung bei der Post nicht abgeholt hat.

Im Ergebnis kommt es hierauf jedoch nicht entscheidend an, da der Zustellungsmangel ohnehin nach § 9 LVwZG geheilt ist, da dem Kläger der Bescheid vom 30. März 2020 unstreitig zusammen mit dem angegriffenen Gerichtsbescheid übersandt wurde und beim Kläger auch eingegangen ist, was sich der Berufungseinlegung und seinem eigenen Vortrag entnehmen lässt. Nach § 9 LVwZG gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Eine fehlerhafte Zustellung wird damit durch den tatsächlichen Zugang mit Wirkung ab dem Zugangszeitpunkt geheilt (Pattar, a.a.O., Rn. 163). Zwar ist es für eine Heilung nicht ausreichend, wenn der Adressat des Bescheides nur zufällig, etwa im Rahmen einer Akteneinsicht, Kenntnis von dem Verwaltungsakt erlangt (vgl. für die Bekanntgabe: BSG, Urteil vom 14. April 2011 –  B 8 SO 12/09 R – juris, Rn. 12; Pattar, a.a.O., Rn. 163). Denn die Zustellung setzt eine Abgabe des Verwaltungsaktes in Richtung auf den Adressaten voraus. Vorliegend kann nach den Umständen des Streitfalls jedoch angenommen werden, dass die Beklagte, die davon ausgehen konnte, dass die von ihr bei Gericht eingereichten Schreiben an den Kläger weitergeleitet werden, angesichts der Zustellungsschwierigkeiten mit der Übersendung des Versagungsbescheids vom 30. März 2020 an das Gericht auch den Zweck verfolgte, den Bescheid dem Kläger mithilfe des Gerichts nochmals zugänglich zu machen. Für einen Bekanntgabewillen der Beklagten spricht insoweit, dass die Beklagte den Bescheid mit dem Schreiben vom 28. April 2020 nicht nur genannt und mit den Verwaltungsakten vorgelegt, sondern diesen als Kopie gesondert überreicht hat (vgl. in diesem Sinn bereits OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. November 2020 – 12 A 4652/18 – juris, Rn. 14).

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass er auch davon überzeugt ist, dass der Versagungsbescheid vom 30. März 2020 dem Kläger mit der Post bereits Anfang Mai 2020 zugegangen ist. Denn die Beklagte hat den Bescheid am 28. April 2020 nochmals mit einfachem Brief an den Kläger versandt. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Diese Zugangsfiktion gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist, wobei im Zweifel die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat (§ 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Der Kläger hat vorliegend bestritten, den Versagungsbescheid vom 30. März 2020 von der Beklagten mit der Post erhalten zu haben. Ein solches schlichtes Bestreiten des Zugangs genügt grundsätzlich, um die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X zu widerlegen (BSG, Urteil vom 26. Juli 2007 – B 13 R 4/06 R – juris, Rn. 20; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14. März 2008 – L 8 AS 5579/07– juris, Rn. 22). Denn in aller Regel kann vom Adressaten eines (angeblich) nicht eingetroffenen einfachen Briefes nicht mehr verlangt werden. Dem Kläger war schon aus logischen Gründen kein substantiierterer Vortrag möglich, als dass er das Schreiben nicht erhalten hat. Allerdings führt dieses Bestreiten nur dazu, dass Zweifel im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X bestehen und die Beklagte den Zugang des Verwaltungsaktes nachzuweisen hat. Der Beweis kann von der Beklagten dabei nicht nur mittels eines klassischen Zustellnachweises geführt werden, sondern vielmehr auch auf Indizien gestützt und im Wege der freien Beweiswürdigung erbracht werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Oktober 2006 – L 13 AL 3133/05 – juris, Rn 18; Diering/Timme/Stähler/Siewert, Kommentar zum SGB X, 5. Aufl. 2019, § 37 Rn. 13). Hier sprechen die Umstände dafür, dass der Versagungsbescheid vom 30. März 2020 dem Kläger mit einfachem Brief vom 28. April 2020 bekannt gegeben wurde. Denn zum einen war kein Postrücklauf des Schreibens bei der Beklagten zu verzeichnen. Zum anderen hatte der Kläger zuvor sämtliche Schreiben des Gerichts und nach eigenen Angaben auch das Ankündigungsschreiben des MDK erhalten. Diese Schreiben waren allesamt an dieselbe Anschrift adressiert worden, welche auch die Beklagte in ihren Schreiben verwandte. Vor diesem Hintergrund erscheint dem Senat der erstinstanzliche Vortrag des Klägers, die Beklagte habe seit der Antragstellung am 21. November 2019 keinen direkten Kontakt zu ihm aufgenommen und ihm keinerlei Information, Nachricht oder Bescheid zukommen lassen, nicht glaubhaft. Denn die Beklagte hat neben dem Bescheid vom 30. März 2020 im Verwaltungsverfahren insgesamt drei Schreiben (Schreiben vom 22. November 2019, vom 25. November 2019 und vom 2. März 2020) an den Kläger unter der von ihm angegebenen, auch vom SG verwandten Adresse versandt. Dass dabei zwar sämtliche Schreiben des Gerichts und auch des MDK zugegangen, aber gerade die vier Schreiben der Beklagten nicht angekommen sein sollen, erscheint dem Senat äußerst unwahrscheinlich und zweifelhaft. Hinzu kommt, dass der Kläger mit Blick auf seinen bereits mit Schreiben vom 17. Dezember 2019 gestellten Antrag auf Zahlung einer Verzögerungsgebühr für das Überschreiten der Entscheidungsfrist nach § 18 Abs. 3b SGB XI durchaus auch ein eigenes finanzielles Interesse daran hatte, das Datum der Bekanntgabe des Bescheides der Beklagten hinauszuzögern. Schließlich hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren mit Schreiben vom 19. Mai 2020 seine Klage um den Antrag erweitert, festzustellen, dass die Beklagte keinen Bescheid erteilt hat, ohne dass ein prozessualer Grund hierfür oder eine Änderung der Prozesslage, die diesen Antrag veranlasst haben könnte, zu erkennen sind. Die einzige Änderung, die nach Aktenlage ersichtlich ist, war insoweit die nochmalige Übersendung des Versagungsbescheids vom 30. März 2020 durch die Beklagte Ende April 2020. Auch dies deutet darauf hin, dass der Kläger den Bescheid erhalten hat.

Unter Würdigung all dieser Umstände sieht der Senat insgesamt den Nachweis dafür erbracht, dass dem Kläger das Schreiben der Beklagten vom 28. April 2020, mit dem diese den Versagungsbescheid vom 30. März 2020 nochmals übersandte, zuging. Eine Untätigkeit der Beklagten bestand damit nicht mehr, sodass die auf Bescheidung des Höherstufungsantrags gerichtete Untätigkeitsklage vom SG zu Recht abgewiesen worden ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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