Für Neuanmietungen im Leistungsbezug ist auch während der pandemischen Situation eine präventive Kostenkontrolle nach § 22 Abs. 4 SGB II vorgesehen, es gilt damit ein anderes Regelungskonzept als bei bewohntem Wohnraum. Sowohl aus der Systematik des § 67 Abs. 3 SGB II, als auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung ist zu folgern, dass diese Vorschrift Neuanmietungen nicht erfasst.
§ 67 SGB II schafft vorübergehende Sonderregelungen für Teilbereiche, sie dient nicht dazu, die allgemeinen Grundsätze des Grundsicherungsrechts krisenbedingt – im Sinne eines Sonderrechts der Pandemie – außer Kraft zu setzen (vgl. Beschluss des LSG Schleswig-Holstein vom 11. November 2020 – L 6 AS 153/20 B ER –, Rn. 4)
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 9. März 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren vor dem Sozialgericht Kiel ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt H, K, beigeordnet.
G r ü n d e :
Die Antragstellerin wohnte zunächst in Bayern und kam wegen einer von ihr als gewalttätig beschriebenen häuslichen Beziehung zu Herrn T bei einer Freundin in Schleswig-Holstein (Kreis Rendsburg-Eckernförde) mietfrei unter. Für diese Zeit wurden ihr Leistungen T nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) ohne Kosten der Unterkunft bewilligt.
Am 25. November 2021 fand ein telefonisches Beratungsgespräch zwischen der Antragstellerin und einem Sachbearbeiter der Antragsgegnerin statt. Gegenstand war gemäß dem Beratungsvermerk, dessen Inhalt auch von der Antragstellerin nicht bestritten wird, ein von der Antragstellerin auszugsweise eingereichtes Mietangebot für eine 2-Zimmer-Wohnung in der I Straße in Kiel. Die Kosten dieser Wohnung beliefen sich auf eine Grundmiete von 421,00 €, kalte Nebenkostenvorauszahlungen in Höhe von 120,00 € und Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von 59,00 € monatlich. Hierzu gab die Antragsgegnerin die Auskunft, dass dieses Mietangebot die Mietobergrenze um 144 € überschreite, weshalb diesem nicht zugestimmt werden könne. Die Antragstellerin teilte daraufhin mit, dass sie damit grundsätzlich nicht einverstanden sei und sie die Wohnung dennoch anmieten werde, da die Antragsgegnerin wegen der Corona-Sonderregelungen in diesen Fällen ohnehin für Dezember und weitere sechs Monate die Miete zahlen müsse.
Zum 1. Dezember 2021 mietete Herr T in Kiel diese Wohnung in der I Straße als Hauptmieter an. Vereinbart wurde eine Kaution von 1.263,00 € und eine Staffelmiete (nettokalt) ansteigend bis 481,00 € im Jahr 2028. Die Antragstellerin mietete von dem Hauptmieter T mittels Untermietvertrag diese Wohnung zu diesen Konditionen an. Weitere Wohnungsangebote wurden nicht vorgelegt.
Mit Bescheid vom 14. Januar 2022 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für den Zeitraum vom 01.12.2021 bis 30.11.2022 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung der in Kiel geltenden Mietobergrenze in Höhe von 397,00 € brutto-kalt für einen Einpersonenhaushalt. Die Differenz zur tatsächlichen Bruttokaltmiete von 541,00 € - mithin monatlich 144,00 € - erkannte der Antragsgegner nicht als Unterkunftskosten an. Zur Begründung verwies der Antragsgegner darauf, dass die Antragstellerin „ohne Zustimmung des Jobcenters umgezogen“ sei. Deswegen könnten Kosten der Unterkunft lediglich bis zur Mietobergrenze von 397,00 € bruttokalt anerkannt werden. Gegen den Bewilligungsbescheid vom 14. Januar 2022 wandte sich die Antragstellerin mit Widerspruch vom 01. Februar 2022, über den noch nicht entschieden ist.
Die Antragstellerin hat am 22. Februar 2022 um Eilrechtsschutz beim Sozialgericht Kiel wegen der nicht gedeckten Unterkunftskosten nachgesucht.
Mit Beschluss vom 9. März 2022 hat das Sozialgericht Kiel diesen Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht sei. Ein solcher folge insbesondere nicht aus § 22 Abs. 1 und 4 SGB II i.V.m. § 67 Abs. 3 SGB II. Die gesetzliche coronabedingte Fiktion der Angemessenheit der Unterkunftskosten iSd § 22 Abs. 1 SGB II gelte nach dem Zweck der Regelung nicht bei neu angemieteten Wohnungen, zumindest dann, wenn dies unabhängig von der Pandemie erfolgt sei. Aus § 67 Abs. 3 Satz 1 und 3 SGB II sei zu folgern, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift nur bei pandemiebedingten Notlagen eröffnet sei.
Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 9. März 2022 zugestellten Beschluss am 9. März 2022 Beschwerde vor dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht erhoben. Die Beschwerde sei zulässig, da jedenfalls von einem angestrebten Regelungszeitraum von sechs Monaten auszugehen sei. Die Beschwerde sei auch begründet, da gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II die Regelung des § 22 Abs. 1 SGB II mit der Maßgabe anzuwenden sei, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten. Diese Vorschrift sei auf die Antragstellerin anzuwenden, obwohl weder deren Hilfebedürftigkeit noch ihr Umzug - zuletzt von Rendsburg-Eckernförde nach Kiel - zum 1. Dezember 2021 direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sei. § 67 SGB II sei nicht auf solche Leistungsbezieher beschränkt, die direkt von der Corona-Pandemie betroffen seien. Eine Ursächlichkeit zwischen dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit und der epidemischen Lage sei nicht erforderlich. Aus der gesetzlichen Konzeption des § 67 Abs. 3 SGB II folge die unwiderlegbare Fiktion, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft sich als angemessen darstellten. Diese seien der Höhe nach unbegrenzt und erfassten auch exorbitant hohe Unterkunftskosten. Eine Ausnahme aus Billigkeitsgründen sähen auch die nachfolgenden Sätze nicht vor. Zweck des Gesetzes sei nach dem niedergelegten Gründen (BT-Drs. 10/18107 S. 25), dass sich SGB II-Leistungsbezieher in der Zeit der Pandemie nicht auch noch um ihren Wohnraum sorgen müssten. Ebenso wenig stehe der Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft eine fehlende Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II oder gar die Kostendeckelung des §22 Abs. 1 Satz 2 SGB II entgegen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 9. März 2022 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihr ab Antragseingang, hilfsweise ab Entscheidung des Beschwerdegerichts, bis zu einem vom Gericht zu bestimmenden Zeitpunkt, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Mietkosten monatlich zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerde ist auch nach seiner Auffassung zulässig, sie sei jedoch unbegründet. Zur Begründung bezieht er sich auf die Entscheidung des Sozialgerichts und einer Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen (L 9 AS 662/20 B ER) zu einem vergleichbaren Sachverhalt. § 67 Abs. 3 SGB II beinhalte keinen Anspruch auf Übernahme unbegrenzter Kosten der Unterkunft für Leistungsberechtigte, die pandemieunabhängig eine neue Wohnung suchten bzw. bezögen. Es werde nicht verkannt, dass der Umzug der Antragstellerin aus anderen, nicht pandemiebedingten Gründen grundsätzlich erforderlich gewesen sei. Die Beschwerdeführerin hätte jedoch eine Zusicherung gemäß § 22 Abs. 4 SGB II einholen müssen. Diese Regelung sei nicht durch § 67 SGB II suspendiert. Nach § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB I sei der kommunale Träger zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Rechtsfolge einer fehlenden Zusicherung sei die Übernahme nur der angemessenen Unterkunftskosten ohne Übergangsfrist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, denn in der Hauptsache bedürfte die Berufung nicht der Zulassung. Die Antragstellerin begehrt sinngemäß SGB II-Leistungen für Kosten der Unterkunft (KdU) in tatsächlicher Höhe, d. h. in Höhe der derzeit bestehenden Unterdeckung von monatlich 144 € für jedenfalls sechs Monate, womit der Beschwerdewert von 750 € überschritten wird (6 * 144 € = 864,00 €).
Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht und mit zutreffenden Gründen abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das von Antragstellerseite geltend gemachte Recht (sog. Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit, d.h. die Dringlichkeit, die Angelegenheit sofort vor einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu regeln (sog. Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B – SozR 3-3900 § 15 Nr. 4). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – juris). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss eine umfassende Folgenabwägung, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einstellt, erfolgen (BVerfG, a.a.O.; vgl. auch Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 29, 29a).
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind zu Recht vom SG mangels Anordnungsanspruch verneint worden. Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Dass die streitgegenständliche Wohnung nach dem Konzept für die Mietobergrenze in der Stadt Kiel für eine Person unangemessen teuer ist, räumt auch die Antragstellerin ein. Im Eilverfahren kann auch nicht mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen Sicherheit die Fehlerhaftigkeit dieser Mietobergrenze festgestellt werden. Es sind auch keine subjektiven Umstände glaubhaft gemacht, die wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit zur Anerkennung eines Unterkunftsbedarfs in der geltend gemachten Höhe führen. Insbesondere sind keine (vergeblichen) Bemühungen um den Bezug einer eigenen kostenangemessenen Wohnung oder hier gegebenenfalls die Zuflucht in ein Frauenhaus vorgetragen oder sonst erkennbar. Es erschließt sich dem Senat auch nicht, warum die Antragstellerin eine überteuerte Wohnung bezieht, die Herrn T, den sie glaubhaft wegen häuslicher Gewalt verlassen hat, als Hauptmieter angemietet hat und zu der er in der Rolle als Hauptmieter absehbar auch Zugang haben wird.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann sie einen Anspruch auf Übernahme unangemessener Unterkunftskosten auch nicht aus dem im Zuge der Corona-Pandemie am 27. März 2020 in Kraft getretenen und mehrfach verlängerten sogenannten Sozialschutz-Paket, insbesondere dem mit § 67 SGB II normierten vereinfachten Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 herleiten.
Soweit die Antragstellerin zur Begründung ihrer Beschwerde auf § 67 Abs. 3 SGB II in der Fassung vom 20. Mai 2020 verweist und meint, dass sich aus dieser Vorschrift ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine nicht angemessene und mithin zu teure Wohnung ergibt, geht diese Auffassung fehl. § 67 Abs. 1SGB II in der aktuellen Fassung lautet: Leistungen für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 01.03.2020 bis zum 31.03.2022 beginnen, werden nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 erbracht. Nach § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II ist § 22 Abs. 1 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten. Nach Ablauf des Zeitraums nach Satz 1 ist § 22 Abs. 1 Satz 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum nach Satz 1 nicht auf die in § 22 Absatz 1 Satz 3 genannte Frist anzurechnen ist (Satz 2). Satz 1 gilt nicht in den Fällen, in denen im vorangegangenen Bewilligungszeitraum die angemessenen und nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkannt wurden (Satz 3).
§ 67 SGB II schafft ein vorübergehendes Sonderrecht, das eine ganze Reihe zentraler Vorschriften des SGB II außer Kraft gesetzt bzw. modifiziert hat und dementsprechend zu diesen Vorschriften in einem sachlichen Zusammenhang steht (vgl. Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK – SGB II, Stand 2020, § 67 Rn. 6). Die Vorschrift dient dagegen nicht dazu, die allgemeinen Grundsätze des Grundsicherungsrechts krisenbedingt – im Sinne eines Sonderrechts der Pandemie – außer Kraft zu setzen (Beschluss des erkennenden Senats vom 11. November 2020 – L 6 AS 153/20 B ER –, Rn. 4 – 7; so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. September 2020 – L 11 AS 415/20 B ER –; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. August 2021 – L 18 AS 984/21 B ER –, Rn. 7, jeweils juris). Modifiziert bzw. vorübergehend außer Kraft gesetzt werden sollen nur die explizit in § 67 SGB II genannten Vorschriften. § 67 Abs. 3 Satz 1 verweist ausschließlich auf § 22 Abs. 1 (Satz 1) SGB II und nicht auf § 22 Abs. 4 SGB II. Diese allgemeine Regelung zur Kostenregulierung für Neuanmietungen im Leistungsbezug ist damit nicht coronabedingt suspendiert. Nach § 22 Abs. 4 Satz 1 soll die leistungsberechtigte Person vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. § 22 Abs. 4 Satz 1 bestimmt keine erzwingbare Verpflichtung des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zur Einholung einer Zusicherung, sondern eine Obliegenheit. Zweck der Regelung ist eine Prüfung der Kostenangemessenheit durch den Grundsicherungsträger und die Sicherheit, dass diese Kosten übernommen werden. Die Antragstellerin hat kein förmliches Zusicherungsverfahren durchgeführt, es war nach dem telefonischen Beratungsgespräch für sie absehbar, dass aus Sicht des Antragsgegners eine Zusicherung auch nicht erteilt würde. Das Fehlen einer Zusicherung nach Abs. 4 führt nicht dazu, dass die Aufwendungen für die neue Unterkunft ungedeckt bleiben. Die Prüfung der Angemessenheit einer neuen Wohnung erfolgt nach den Grundregeln des Abs. 1, auch wenn – wie hier – ein Zusicherungsverfahren nicht durchgeführt worden ist. Rechtsfolge einer unterbliebenen Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 4 SGB II ist, dass vom Grundsicherungsträger nur die im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II angemessenen Unterkunftskosten übernommen werden, das heißt: die unangemessenen Kosten für die neue Unterkunft werden selbst für die Übergangsfrist von sechs Monaten nicht übernommen.
Aus dieser Systematik ist abzuleiten, dass für Neuanmietungen auch während der pandemischen Situation eine präventive Kostenkontrolle vorgesehen ist und damit ein anderes Regelungskonzept gilt als bei bewohntem Wohnraum. Sowohl aus der Systematik des § 67 Abs. 3 SGB II, als auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung folgt nach summarischer Prüfung des Senats, dass diese Vorschrift Neuanmietungen nicht erfasst (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Februar 2021 – L 9 AS 662/20 B ER –, B ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. August 2021 – L 18 AS 984/21 B ER –, Rn. 7, jeweils juris; ausf. Schifferdecker, NZS 2021, 274; Knickrehm in: Gagel, Stand 6/2021, Rn. 33). Zwar deutet die isolierte Betrachtung des Wortlauts von § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II auf den ersten Blick darauf hin, dass die Fiktion der Angemessenheit der Unterkunftskosten iSd § 22 Abs. 1 SGB II generell und damit auch bei neu angemieteten Wohnungen gilt. Indes hat das Sozialgericht zutreffend herausgearbeitet, dass § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II aus Gründen der gesetzlichen Binnensystematik im Zusammenhang mit Satz 3 zu lesen ist. Die Fiktion der Angemessenheit der Unterkunftskosten nach § 67 Abs. 1 Satz 1 SGB II gilt gemäß § 67 Abs. 3 Satz 3 SGB II nicht in laufenden Leistungsfällen, in denen die Kosten der Unterkunft bereits während des vorangegangenen Bewilligungszeitraums auf das angemessene Maß abgesenkt waren. Hintergrund dieser Vorschrift ist, dass die Betroffenen bereits vor der Corona-Pandemie wussten, dass sie sich um günstigeren Wohnraum bemühen mussten. Die Leistungsberechtigten waren also bereits auf eine Überbrückung der „Leistungslücke“ eingestellt, so dass eine Erweiterung der Schonfrist nicht als erforderlich angesehen wurde (vgl. Knickrehm in: Gagel, Stand 6/2021, Rn. 33). Auch im Übrigen sollen die coronabedingten Sonderschriften nicht dazu führen, dass ein Jobcenter Grundsicherungsleistungen sehenden Auges zu Unrecht weitergewährt (vgl Groth in: jurisPR-SozR 7/2020 Rn. 1; derselbe in: jurisPK-SGB II, 5. Auflage, Stand: 2020, § 67 Rn. 43.1). Die Situation von Hilfebedürftigen, die nach einem dafür auch während der Pandemie vorgesehenen Zusicherungsverfahren wissen, dass die (in Aussicht genommene) Wohnung unangemessen teuer ist, ist vergleichbar mit derjenigen von Betroffenen, die aufgrund der realisierten Kostensenkungsmaßnahmen wissen, dass ihre Wohnung zu teuer ist. In beiden Fällen ist es auch für sie erkennbar erforderlich, eine kostenangemessene Wohnung zu suchen.
Wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, steht dieses Auslegungsergebnis im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Regelung des § 67 SGB II, der vor dem Hintergrund der Situation, die zu den Regelungen des Sozialschutzpaketes geführt hat, zu ermitteln ist. So stand die Bundesrepublik Deutschland im März 2020 vor der bislang noch nicht dagewesenen Situation einer Pandemie mit der Notwendigkeit, das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben massiv herunterzufahren. Dementsprechend bemühten sich die staatlichen Institutionen zügig um Lösungen, um einerseits die Pandemie zu bekämpfen und andererseits die Folgen für die Betroffenen abzumildern oder gar aufzufangen. Wenn zu diesem Zweck ein „Sozialschutzpaket“ erstellt und in diesem Kontext die hier in Rede stehende eventuell wenig sorgfältig formulierte Regelung des § 67 Abs. 3 SGB II unter großem Zeitdruck erlassen wird, kann dies bei der Auslegung der Regelung nicht unberücksichtigt bleiben. Sinn und Zweck der zur Bekämpfung der Pandemiefolgen erlassenen Regelung ist, dass sich SGB II-Leistungsbezieher in der Zeit der Pandemie „nicht auch noch um ihren Wohnraum sorgen müssen“ (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 19/18107, S. 25). Besonders im Blick standen Kleinunternehmer und Soloselbständige, die von der Pandemie besonders wirtschaftlich betroffen waren und nach SGB II-Maßstäben in zu teuren Wohnungen lebten. Die Sonderregelung bewirkt, dass die seit längerem bewohnte Unterkunft gesichert wird, auch wenn sie unangemessen teuer ist. Soweit darauf hingewiesen wird, dass die aktuell bewohnte Wohnung auch dann bedroht sei, wenn es nach einem während der Pandemie tatsächlich erfolgten Umzug aufgrund der Deckelung der KdU-Leistungen auf die Angemessenheitsgrenze zu einer Deckungslücke zwischen den anfallenden KdU einerseits und den vom Jobcenter gewährten KdU-Leistungen komme und eine restriktive Auslegung sich nicht dem Gesetzestext entnehmen lasse (so etwa LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. September 2020 – L 11 AS 508/20 B ER –, Rn. 32 und Bayerisches LSG, Beschluss vom 28. Juli 2021 – L 16 AS 311/21 B ER – Rn. 38, juris) überzeugt das nicht. Denn in keinem Fall wäre die Wohnung auf Dauer oder gar nur über sechs Monate hinaus erhaltenswert und –fähig. Eine in diesem Sinne allein wortlautbezogene Auslegung würde in Umzugsfällen einen offenkundigen Fehlanreiz setzten und zwar entgegen der Systematik der Norm im Übrigen. Sehenden Auges in eine offensichtlich zu teure Wohnung einzuziehen, um dann nach einem bürokratischen Kostensenkungsverfahren nach sechs Monaten einen weiteren Umzug wiederum in eine nur gegebenenfalls vorübergehend als fiktiv angemessen angesehene Wohnung durchzuführen, widerspräche der niedergelegten gesetzlichen Zielsetzung und stünde letztlich auch nicht im Interesse der Betroffenen. Aus dem Schweigen des Gesetzgebers bei der Verlängerung der Maßnahmen zu denkbaren Sonderregelungen für Umzugsfälle ist im Rahmen einer summarischen Überprüfung ebenfalls nicht abzuleiten, dass die unbegrenzte Kostenübernahme auch für Neuanmietungen gilt (so jedoch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2021 – L 9 AS 233/21 ER-B –, Rn. 12, juris), denn es ist nicht erkennbar, dass dieses auf alle Leistungsbezieher bezogen insgesamt nur relativ wenige Fälle betreffende Problem überhaupt gesehen und bewertet worden ist.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Im Hinblick auf die ungeklärte Rechtsfrage zur Auslegung von § 67 SGB II bestanden die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Erfolgsaussichten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).