I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 03.02.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2021 verurteilt, der Klägerin vom 06.01.2021 bis 31.01.2021 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
T a t b e s t a n d :
Der Rechtsstreit wird um Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Drittes Buch (SGB III) geführt. Es ist zwischen den Beteiligten Arbeitslosengeld nach Ablehnung streitig.
Die Klägerin ging vom 01.09.2016 bis 31.07.2019 einer Vollzeittätigkeit bei der Firma S. GmbH in N. (im Folgenden: S.) nach. Ab dem 17.08.2019 nahm sie an der C. University N. in Präsenz ein Postgraduiertenstudium zur "Master Computer Science" auf. Hierzu erhielt sie ein Stipendium der spanischen "la Caixa Foundation". Nach Nr. 7.4 der Ausschreibungsunterlagen ist es verboten, während des Bezuges von Stipendienzahlungen einer bezahlten Arbeit nachzugehen, es sei denn, dies wird im Einzelfall von der Stiftung genehmigt. Als die weltweite Corona-Pandemie begann, reiste die Klägerin zurück nach D.. Die amerikanische Hochschule stellte den ganzen Studiengang auf einen Onlinekurs um, so dass die Klägerin von D. aus ihr Studium fortsetzen konnte.
Anders als in D. gibt es in Amerika keinen Wechsel zwischen Vorlesungszeiten und vorlesungsfreien Zeiten, sondern Studienabschnitte, zu denen man sich im Voraus jeweils anmelden muss. Dies ermöglicht es Studierenden, das Studium immer wieder zu unterbrechen, um durch befristete Vollzeitarbeitsstellen die hohen Studiengebühren zu finanzieren. Der Studienabschnitt im Frühjahr, das sog. Spring Term 2020, endete an der C. University N. am 12.05.2020. Die Klägerin meldete sich für das am 21.05.2020 beginnende Summer Term 2020 nicht an. Stattdessen ließ sie sich von der Stiftung die Erlaubnis erteilen, das Studium durch eine für ihr weiteres berufliches Fortkommen sinnvolle bezahlte Arbeitstätigkeit zu unterbrechen. In dieser Zeit erhielt sie keine Stipendienzahlungen.
Vom 18.05.2020 bis 28.08.2020 war die Klägerin sodann bei der Firma F. D. GmbH in N. (im Folgenden: F.) mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche für einen Bruttolohn von monatlich 4.796,14 EUR befristet als Reverse Engineering Intern beschäftigt. Die Tätigkeit war weder von der Prüfungsordnung vorgesehen, noch war die Klägerin sonst dazu verpflichtet. Sie nahm sie während des unterbrochenen Studiums alleine deshalb freiwillig auf, weil dies für ihre spätere Karriere dienlich war. Die Arbeitgeberin führte für das Beschäftigungsverhältnis Sozialversicherungsbeiträge ab. In dem Arbeitsvertrag, der die Klägerin teils als Praktikantin, teils als Mitarbeiterin bezeichnet, verpflichtete sie sich, ihre ganze Arbeitszeit und Arbeitskraft der Arbeitgeberin zu widmen. Als Arbeitsort wurde "Home-Office" vereinbart. Sie war aktiv in ein Projekt zur Entwicklung eines Online-Tools eingebunden, das Malware/Schadsoftware analysiert. Anschließend setzte die Klägerin das Postgraduierten-Studium wieder fort und beendete es Ende 2020 erfolgreich.
Mit Wirkung zum 24.12.2020 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Vom 23.12.2020 bis zum 04.01.2021 befand sie sich in Urlaub. Am 01.02.2021 trat sie dann bei der Firma F. ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis an, so dass sie nicht mehr arbeitslos war.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 03.02.2021 ab. Die Klägerin sei innerhalb der Rahmenfrist vom 06.01.2019 bis 05.01.2021 nur weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, so dass sie die Anwartschaftszeit nicht erfülle.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2021 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist könne nur die für 208 Tage bestehende versicherungspflichtige Beschäftigung bei der Firma S. anerkannt werden. Das Praktikum bei der Firma F. sei versicherungsfrei gewesen und deshalb bei der Berechnung der Anwartschaftszeit nicht zu berücksichtigen.
Am 16.04.2021 hat die Klägerin beim Sozialgericht Nürnberg Klage erhoben. Sie begehrt im Zeitraum 06.01.2021 bis 31.01.2021 Arbeitslosengeld nach Ablehnung. Die Rahmenfrist betrage 30 Monate anstatt zwei Jahre. Unter Einbeziehung beider Beschäftigungen ( S. und F.) sei sie innerhalb der letzten 30 Monate mindestens zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, so dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe. Sie habe für die Tätigkeit bei der Firma F. Sozialversicherungsbeiträge bezahlt. Es habe sich eindeutig um ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt.
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 03.02.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2021 verurteilt, der Klägerin vom 06.01.2021 bis 31.01.2021 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass die Tätigkeit bei F. nach § 27 Abs. 4 Nr. 2 SGB III versicherungsfrei gewesen sei, weil sie während eines Studiums als Praktikum ausgeübt worden sei. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass für die Klägerin Sozialversicherungsbeiträge bezahlt worden seien. Ein freiwilliges Praktikum während des Studiums sei im Übrigen auch bei einer Wochenarbeitszeit von mehr als 20 Stunden sozialversicherungsfrei, wenn es die Grenzen einer geringfügigen Beschäftigung nach § 132 SGB V nicht überschreite. Im Jahr 2020 liege diese Grenze bei 115 Arbeitstagen, die Klägerin habe aber bei F. nur 103 Tage gearbeitet.
Die Leistungsakte der Beklagten ist beigezogen worden. Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird hierauf verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage hat vollumfänglich Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Gegenstand dieses Rechtsstreites ist der Bescheid vom 03.02.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2021, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld abgelehnt hat.
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 und 92 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
Die Klage ist begründet, weil die Klägerin einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, insbesondere hat sie die Anwartschaftszeit erfüllt.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Leistungsanspruch ist § 137 Abs. 1 SGB III. Danach hat Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wer arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat.
Die Klägerin war unstreitig nach Vollbeendigung des Studiums und nach ihrer Urlaubsrückkehr ab dem 05.01.2021 bis zur Beschäftigungsaufnahme am 01.02.2021 arbeitslos. Sie hat sich mit Wirkung zum 24.12.2020 auch arbeitslos gemeldet.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch die Anwartschaftszeit erfüllt. Gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist dies der Fall, wenn die oder der Arbeitslose in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld und beträgt nach § 143 Abs. 1 SGB III in der aktuellsten Fassung vom 18.12.2018 zwar 30 Monate. Für Personen, die nach dem 31.12.2019 nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden haben, finden aber die §§ 142, 143 und 147 in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung Anwendung, womit sich die Rahmenfrist in diesen Fällen auf zwei Jahre bzw. 24 Monate verkürzt.
Die Klägerin hat jedoch nach dem 31.12.2019 in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Ihre Tätigkeit vom 18.05.2020 bis zum 28.08.2020 bei F. war nicht versicherungsfrei.
Nach § 27 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III sind Personen in der Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule eine Beschäftigung ausüben. Ordentliche Studenten sind solche, die an einer Hochschule eingeschrieben sind (Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 27 SGB III, Stand: 18.08.2021, Rn. 36; Scheidt in: Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, Sozialgesetzbuch III - Arbeitsförderung, 7. Auflage 2021, Rn. 85). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Fachschüler und Studenten, die während ihrer Ausbildung eine Beschäftigung ausüben, versicherungsfrei sein, wenn sie ihrem Erscheinungsbild nach weiterhin Schüler oder Student sind (BT-Drs. 11/3603, 12) bzw. der Beschäftigung neben dem Studium keine prägende Bedeutung zukommt. Versicherungsfreiheit kann ausnahmsweise auch bestehen, wenn der Student mehr als 20 Stunden in der Woche arbeitet. Das Bundessozialgericht sieht eine Überschreitung der 20-Stunden-Grenze als ein wesentliches Indiz für die Versicherungspflicht eines Studenten an (BSG, Urteil vom 19.02.1987, B 12 RK 9/85), wobei dies keine starre Grenze darstellt. Die Dauer der wöchentlichen Arbeitsbelastung soll nicht allein für die Frage der Versicherungspflicht entscheidend sein, vielmehr sind die Umstände des Einzelfalles zu werten. Dabei ist zu klären, ob das Studium die Hauptsache und die Beschäftigung die Nebensache darstellt und das äußere Erscheinungsbild eines Studenten erhalten bleibt oder nicht (BSG, Urteil vom 10.12.1998, B 12 KR 22/97 R; BSG, Urteil vom 11.11.2003, B 12 KR 24/03 R; BSG, Urteil vom 23.02.1988, 12 RK 36/87).
Die Klägerin war während ihrer Tätigkeit bei F. keine Studentin in diesem Sinne. Bereits formal war sie zum Summer Term 2020 nicht angemeldet. Das Gericht trifft diese Feststellung aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten E-Mail der Stipendien-Stiftung, wonach die Klägerin eine Genehmigung zur Unterbrechung des Postgraduiertenstudiums erhalten hat, um einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Sie hätte auch gar nicht an (Online-)Kursen teilnehmen können, denn sie hat die Studiengebühren für das Summer Term 2020 nicht entrichtet. Damit ist der hier streitige Zeitraum weder mit der "vorlesungsfreien Zeit" an deutschen Hochschulen vergleichbar (in der die Studenten weiter immatrikuliert sind und häufig Hausarbeiten anzufertigen haben), noch mit einem Werkstudenten, der neben dem Studium einer bezahlten Tätigkeit nachgeht, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Aber auch nach dem äußeren Erscheinungsbild kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in dieser Zeit als Studentin anzusehen war, die sich auf das Studentenprivileg der Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung berufen könnte. So war sie mit einem für eine Studentin beachtlichen Gehalt in Vollzeit bei der Firma F. tätig und musste ihre ganze Arbeitszeit und Arbeitskraft der Arbeitgeberin widmen. Sie war aktiv in ein Projekt eingebunden und musste Arbeitsergebnisse abliefern. Sie konnte, selbst wenn sie an Online-Kursen der amerikanischen Hochschule hätte teilnehmen dürfen, neben dieser Tätigkeit nach Überzeugung der Kammer faktisch kein Studium betreiben. Jedenfalls kann sie unter Berücksichtigung dieser Einzelfallumstände nach dem Erscheinungsbild in dieser Zeit nicht als Studentin angesehen werden.
Vor diesem Hintergrund war die Klägerin nach decm 31.12.2019 sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so dass nach § 143 Abs. 1 SGB III in der aktuellsten Fassung vom 18.12.2018 eine Rahmenfrist von 30 Monaten gilt. In der Zeit vom 05.07.2018 bis 04.01.2021 (30 Monate) war die Klägerin 392 Tage bei der Firma S. und weitere 103 Tage bei der Firma F. versicherungspflichtig beschäftigt. Sie erfüllt demzufolge mit 495 Tagen unzweifelhaft die Anwartschaftszeit nach § 142 Abs. 1 SGB III, so dass sie dem Grunde nach einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat.
Im Ergebnis war die Klage erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gegen dieses Urteil findet gemäß § 143 SGG die Berufung an das Bayerische Landessozialgericht nach Maßgabe der beigefügten Rechtsmittelbelehrung statt.