L 8 SO 107/20

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 10 SO 103/18
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 107/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zu den Voraussetzungen einer Gewährung von Sozialhilfe für Deutsche im AuslandZu den Voraussetzungen einer Gewährung von Sozialhilfe für Deutsche im Ausland

     
   
 

 

      1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 5. Februar 2019 wird zurückgewiesen.
      2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
      3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Zwischen den Beteiligten sind Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) streitig.

 

Der 1942 geborene, sehbehinderte Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und lebte im streitgegenständlichen Zeitraum fortlaufend in R…/Bulgarien Er bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland seit dem 01.11.2007 eine Regelaltersrente, seit dem 01.02.2018 in Höhe von monatlich 331,51 Euro und – wegen einer Rentenanpassung – seit dem 01.07.2018 in Höhe von monatlich 342,20 Euro.

 

Am 04.04.2018 beantragte der Kläger bei der Stadtverwaltung D...., dem Träger der Sozialhilfe seines letzten Wohnorts im Inland, Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Die Verbandsgemeindeverwaltung D.... leitete den Antrag mit Schreiben vom 05.06.2018 an den für den Geburtsort des Klägers zuständigen Beklagten als überörtlichen Träger der Sozialhilfe weiter, bei dem der Antrag am 06.06.2018 einging.

 

Mit Schreiben vom 18.07.2018 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass nach § 24 SGB XII Deutsche mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland grundsätzlich keine Leistungen der Sozialhilfe erhalten könnten. Hiervon könne nur im Einzelfall abgewichen werden, soweit dies wegen außergewöhnlicher Notlage unabweisbar und zugleich nachgewiesen sei, dass eine Rückkehr nach Deutschland aus Gründen der Pflege und Erziehung eines Kindes, welches aus rechtlichen Gründen im Ausland verbleiben müsse, einer längerfristigen stationären Betreuung in einer Einrichtung oder schwerer Pflegebedürftigkeit oder hoheitlicher Gewalt nicht möglich sei. Nach den dem Beklagten vorliegenden Unterlagen seien die Voraussetzungen für eine Hilfegewährung nach § 24 SGB XII nicht erfüllt. Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff. SGB XII könnten nur an Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gewährt werden, was bedeute, dass der Kläger, solange er in Bulgarien lebe, keine Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII erhalten könne. Der Beklagte bedauere, dem Kläger keine positive Antwort auf dessen Frage übermitteln zu können.

 

Hiergegen hat der Kläger am 17.08.2018 Klage zum Sozialgericht Leipzig (SG) erhoben. Seine Klage richte sich gegen die Verweigerung der ihm seiner Ansicht nach zustehenden Grundsicherungsleistungen, wobei er vorgetragen hat, dass er auf eine Aufstockung seiner Rente angewiesen sei. Die bis dato unterbliebene Reaktion des Beklagten käme für ihn einer Ablehnung gleich. Die gesetzliche Regelung, auf die sich der Beklagte beziehe, sei nicht mehr zeitgemäß.

 

Mit Bescheid vom 03.12.2018 lehnte der Beklagte im laufenden Klageverfahren den Antrag des Klägers auf Gewährung von Sozialhilfe für Deutsche im Ausland ab. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Hilfegewährung nach § 24 SGB XII seien materiell-rechtlich nicht erfüllt. Im Übrigen hätte der Kläger nach der Ansicht des Beklagten den Antrag auf die begehrte Leistung über die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Sofia stellen müssen.

 

Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 05.02.2019 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, weil das Schreiben vom 18.07.2018 lediglich eine Anhörung des Beklagten vor Erlass der beabsichtigten Entscheidung darstelle. Mit dem Schreiben vom 18.07.2018 würden weder Rechte begründet, noch verändert oder entzogen. Im Übrigen sei der Ablehnungsbescheid vom 03.12.2018 nicht gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden, da er die Anhörung nicht verändert oder ersetzt habe. Der Beklagte habe darüber hinaus mit der Rechtsmittelbelehrung zutreffend auf die Möglichkeit eines Widerspruchs gegen den Bescheid hingewiesen.

 

Gegen den am 22.02.2019 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 14.03.2019 zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung des Klägers. Er hat im Wesentlichen vorgetragen, erkrankt zu sein, kaum noch etwas sehen zu können und auch aus finanziellen Gründen nicht in der Lage zu sein, nach Deutschland zurückzukehren. Er erwarte eine Gleichbehandlung mit anderen deutschen Bürgern, um mit seiner Rente in Bulgarien die nötigen Dinge, wie Arztbesuche, Hilfe und Lebenshaltung bewältigen zu können. Würde er nach Deutschland zurückkehren, was ihm nicht möglich sei, würde er neben der Grundsicherung auch noch andere Vorteile wie Mietzuschüsse und dergleichen in Anspruch nehmen können. Sein Verbleib in Bulgarien mit Unterstützung seines Heimatlandes sei für den deutschen Staat wirtschaftlich günstiger.

 

Mit Bescheid vom 21.05.2019 hat der Beklagte die Verfügungen aus dem Bescheid vom 03.12.2018 wiederholt, weil sich ein Zugang des Bescheides vom 03.12.2018 nicht nachweisen ließ.

 

Mit Beschluss vom 30.01.2020 hat der erkennende Senat das Verfahren nach § 114 SGG analog zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens ausgesetzt.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2020 hat der Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 10.08.2018 gegen den Bescheid vom 18.07.2018 als unbegründet zurückgewiesen. Als Deutscher mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland könne der Kläger keine Leistungen der Sozialhilfe erhalten. Hinderungsründe für eine Rückkehr des Klägers nach Deutschland seien nicht gegeben, so dass von diesem Grundsatz auch im vorliegenden Einzelfall nicht abgewichen werden könne.

 

Mit Schreiben vom 13.11.2020 hat der Beklagte dem Senat mitgeteilt, dass mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2020 über den Widerspruch des Klägers entschieden worden sei. Hieraufhin hat der Senat nach Abschluss des Vorverfahrens das Verfahren mit Beschluss vom 24.11.2020 wieder aufgenommen.

 

Der Kläger beantragt - sinngemäß,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 05.02.2019 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 18.07.2018, 03.12.2018 und 21.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2020 zu verurteilen, ihm auf seinen Antrag vom 04.04.2018 hin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der Urteilsfindung gewesen sind.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung hat keinen Erfolg. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, weil der Kläger auf seinen Antrag vom 04.04.2018 hin keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII hat.

 

Das SG geht jedoch fehl, soweit es die Klage als unzulässig abgewiesen hat. Bei dem streitgegenständlichen Schreiben des Beklagten vom 18.07.2018 handelt es sich nicht lediglich um ein Anhörungsschreiben, sondern um einen Bescheid mit beinhaltenden Verwaltungsakten im Sinne von § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Mit dem bezeichneten Schreiben hat der Beklagte dem Kläger mitgeteilt, dass nach § 24 SGB XII Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, grundsätzlich keine Leis-tungen der Sozialhilfe erhalten können und hiervon nur im Einzelfall abgewichen werden kann, soweit dies wegen außergewöhnlicher Notlage unabweisbar und zugleich nachgewiesen ist, dass eine Rückkehr nach Deutschland aus Gründen der Pflege und Erziehung eines Kindes, welches aus rechtlichen Gründen im Ausland verbleiben müsse, einer längerfristigen stationären Betreuung in einer Einrichtung oder schwerer Pflegebedürftigkeit oder hoheitlicher Gewalt nicht möglich ist. Damit hat der Beklagte den Kläger über die Rechtsgrundlage seiner Entscheidung unterrichtet, um ihm im Schreiben anschließend mitzuteilen, dass nach den dem Beklagten vorliegenden Unterlagen die Voraussetzungen für eine Hilfegewährung für den Kläger nach § 24 SGB XII nicht erfüllt seien. Der Beklagte führte in seinem Schreiben aus, dass Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 41 ff. SGB XII nur an Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gewährt werden können, was bedeute, dass der Kläger, solange er in Bulgarien lebe, keine Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII erhalten kann. Der Beklagte bedauerte in dem Schreiben vom 18.07.2018 schließlich, dass er dem Kläger keine positive Antwort auf dessen Frage übermitteln könne.

 

Dass der Beklagte mit dem Schreiben vom 18.07.2018 lediglich eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung im Sinne einer Information und Beratung ohne Qualität eines Verwaltungsakts abgeben wollte, lässt sich dem Bescheid aus Empfängersicht nicht zwangsläufig entnehmen. Solches ergibt sich auch nicht durch eine Auslegung des vom Beklagten geäußerten Erklärungsgehalts, mit dem er erkennbar den „Fall“ des Klägers abschließen wollte. Zwar teilt der Beklagte nicht ausdrücklich mit, dass es sich bei der Subsumption des Falls des Klägers unter die Rechtsgrundlage des § 24 SGB XII um einen Verwaltungsakt handeln soll, aber er gestaltet das gesamte Schreiben wie einen Bescheid aus, welcher sich vom Regelungsinhalt in keiner Weise von dem späteren „echten“ Ablehnungsbescheid vom 03.12.2018/21.05.2019 unterscheidet, der vom Senat lediglich als wiederholende Verfügung aufgefasst wird. Nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ist im Zweifel bei der Auslegung von Erklärungen im Rechtsverkehr anzunehmen, dass eine rechtmäßige Erklärung gemeint war (vgl. BSG, Urteil vom 20.12.2001 – B 4 RA 6/01 R – juris Rn. 43). Maßgeblich ist insofern der objektive Sinngehalt der Erklärung, wie ihn der Empfänger der Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen musste, wobei Unklarheiten zulasten der Behörde gehen (Luthe, in: Schlegel/Voelzke, SGB X, 2. Aufl. 2018, § 31 Rn. 26). Hier konnte der Kläger bei Lektüre des Schreibens vom 18.07.2018 gar nichts anderes annehmen, als dass sein Antrag auf Grundsicherungsleistungen vom 04.04.2018 abgelehnt wurde. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass er sofort Rechtsschutz im Wege einer – zum damaligen Zeitpunkt unzulässigen – Klage zum SG suchte. Unter diesen Umständen ist hier davon auszugehen, dass die Auslegung in Richtung der Ablehnung des Antrags auf Grundsicherungsleistungen mit der richtigen Handlungsform des Verwaltungsakts geht. Die fehlende Betitelung des Schreibens vom 18.07.2018 als Bescheid und die fehlende Rechtsbehelfsbelehrung führen zu keiner anderen Sichtweise. Zum einen hindert die Falschbezeichnung nicht (falsa demonstratio non nocet, vgl. nur Mutschler, in: Kasseler Kommentar, Stand: September 2017, SGB X, § 31 Rn. 9) und zum anderen ist eine Rechtsbehelfsbelehrung kein konstitutives Element eines Verwaltungsakts. Wenn die Rechtsbehelfsbelehrung nicht oder nicht richtig erfolgt, beginnt lediglich die Rechtsbehelfsfrist nicht zu laufen. Soweit das Schreiben vom 18.07.2018 richtigerweise als Ablehnungsbescheid auf Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII zu verstehen ist, ist die Klageerhebung durch den Kläger zum SG am 17.08.2018 zugleich auch als Einlegung eines Widerspruchs im Sinne von § 78 SGG auszulegen. Vor Erhebung von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sind gemäß § 78 Abs. 1 und 3 SGG Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Dem SG hätte sich vor diesem Hintergrund die Aussetzung des Verfahrens analog § 114 SGG zur Nachholung des Vorverfahrens aufdrängen müssen.

 

Nachdem der Senat das Verfahren zur Nachholung des Vorverfahrens ausgesetzt hatte, hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2020 das Vorverfahren zum Abschluss gebracht.

In der Sache bleibt das Klagebegehren des Klägers jedoch ohne Erfolg.

 

Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 56 SGG), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 26.10.2017 – B 8 SO 11/16 R – SozR 4-3500 § 24 Nr. 2, juris Rn. 8)

 

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (in der bereits zum 01.01.2004 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl. I 3022) erhalten Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, keine Leistungen. Hiervon kann nach § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB XII im Einzelfall nur abgewichen werden, soweit dies wegen einer außergewöhnlichen Notlage unabweisbar ist und zugleich nachgewiesen wird, dass eine Rückkehr in das Inland aus folgenden Gründen nicht möglich ist: (1.) Pflege und Erziehung eines Kindes, das aus rechtlichen Gründen im Ausland bleiben muss, (2.) längerfristige stationäre Betreuung in einer Einrichtung oder Schwere der Pflegebedürftigkeit oder (3.) hoheitliche Gewalt.

 

Nach den Feststellungen des Senats besitzt der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit und ist damit Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Er hält sich gewöhnlich im Ausland auf, da er in R…, Bulgarien, lebt und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts i. S. des § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – [SGB I] vgl. BSG, Urteil vom 21.09.2017 – B 8 SO 5/16 R – juris Rn. 13). Er ist deshalb gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII von Leistungen der Sozialhilfe ausgeschlossen.

 

Ein in § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB XII genannter Ausnahmefall, in welchem im Einzelfall Leis-tungen erbracht werden können, liegt beim Kläger nicht vor. Ein solcher Ausnahmefall setzt – wie dargelegt – eine außergewöhnliche Notlage, die daraus folgende Unabweisbarkeit von Sozialhilfeleistungen und die Unmöglichkeit einer Rückkehr nach Deutschland aus einem der in § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SGB XII abschließend aufgezählten objektiven Hinderungsgründe voraus.

 

Der – gerichtlich in vollem Umfang überprüfbare – unbestimmte Rechtsbegriff der außergewöhnlichen Notlage setzt in der Person desjenigen, der für sich Leistungen der Sozialhilfe beansprucht, besondere Lebensumstände voraus, welche die konkrete und unmittelbare Gefahr einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung existentieller Rechtsgüter begründen (zum Merkmal des "besonderen Notfalls" nach § 119 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz [BSHG] vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 05.06.1997 – 5 C 3/97 – juris Rn. 13; BVerwG, Urteil vom 05.06.1997 – 5 C 17/96 – juris Rn. 9). Dazu zählen das Leben (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GG), die körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG), das menschenwürdige Existenzminimum (Artikel 1 Abs. 1 i. V. m. Artikel 20 Abs. 1 GG) oder ein anderes grundrechtlich geschütztes Rechtsgut mit vergleichbar existentieller Bedeutung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.06.2016 – L 7 SO 4619/15 – juris Rn. 34; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.08.2014 – L 20 SO 481/11 – juris Rn. 66; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2010 – L 7 SO 5106/07 – juris Rn. 26; Bayerisches LSG, Beschluss vom 08.09.2009 – L 18 SO 119/09 B ER – juris Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.12.2005 – L 7 SO 4166/05 ER-B – juris Rn. 5). Eine solche (grundrechtskonforme) Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "außergewöhnlichen Notlage" ist geboten, weil die genannten Grundrechte die deutsche Staatsgewalt nicht nur gegenüber Menschen auf deutschem Staatsgebiet binden (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Urteil vom 14.07.1999 – 1 BvR 2226/94 u. a. – BVerfGE 100, 313, 362 f., juris Rn. 175; zu Schutzpflichten gegenüber Deutschen im Ausland vgl. nur BVerfG, Kammerbeschluss vom 05.06.1992 – 2 BvR 1613/91 u. a. – BVerfGE 40, 141, 177 ff., juris Rn. 12).

 

Soweit der Kläger mit seiner (Augen-)Erkrankung und seiner Mittellosigkeit auf eine außergewöhnliche Notlage verweisen will, hat er jedenfalls – außer einer pauschalen Behauptung nicht nach Deutschland zurückkehren zu können – keine Hinderungsgründe im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB XII vorgetragen. Solche sind für den Senat auch nicht ersichtlich. Aus rein finanziellen Gründen nicht in der Lage zu sein, nach Deutschland zurückzukehren, stellt keinen der enumerativ aufgezählten Hinderungsründe des § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SGB XII dar. Die Gesetzeslage ist insoweit eindeutig. Der Kläger hat weder zur Pflege und Erziehung eines Kindes, das aus rechtlichen Gründen im Ausland bleiben muss, zu einer längerfristigen stationären Betreuung in einer Einrichtung oder zur Schwere der Pflegebedürftigkeit oder hoheitlichen Gewalt in Bulgarien vorgetragen, noch ist derartiges in irgendeiner Weise ersichtlich.

 

Ob dem Kläger nach diesen Vorgaben eine Rückkehr nach Deutschland nicht möglich ist, kann letztlich auch offenbleiben, weil die Gewährung von Sozialhilfe für Deutsche im Ausland hier schon deswegen ausgeschlossen ist, weil dies aufgrund der Einkommensverhältnisse des Klägers nicht wegen einer außergewöhnlichen Notlage i. S. des § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII unabweisbar ist. Bei der "Unabweisbarkeit" der Leistung handelt es sich um eine eigenständige Voraussetzung (BSG, Urteil vom 21.09.2017 – B 8 SO 5/16 R – juris Rn. 28). Der – gerichtlich in vollem Umfang überprüfbare – unbestimmte Rechtsbegriff der außergewöhnlichen Notlage setzt in der Person desjenigen, der für sich Leistungen der Sozialhilfe beansprucht, besondere Lebensumstände voraus, welche die konkrete und unmittelbare Gefahr einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung existentieller Rechtsgüter begründen. Dazu zählen das Leben (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GG), die körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG), das menschenwürdige Existenzminimum (Artikel 1 Abs. 1 i. V. m. Artikel 20 Abs. 1 GG) oder ein anderes grundrechtlich geschütztes Rechtsgut mit vergleichbar existentieller Bedeutung (BSG, Urteil vom 26.10.2017 – B 8 SO 11/16 R – juris Rn. 14). Eine außergewöhnliche Notlage liegt nicht schon vor, wenn der Betroffene bedürftig ist, also überhaupt eine Notlage besteht. Bezogen auf existenzsichernde Leistungen (also Leistungen für Nahrungsmittel und Getränke, Bekleidung, Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung sowie Gesundheit) müssen besondere Lebensumstände in der Person des Leistungsberechtigten vorliegen, die das (physische) Existenzminimum nach den örtlichen Verhältnissen konkret und unmittelbar gefährden; Beurteilungsmaßstab sind insoweit grundsätzlich der allgemeine Lebensstandard und die Anschauungen im Aufenthaltsland (vgl. Coseriu, in: jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 24 Rn. 29 ff., 33).

 

Nach diesen Maßgaben liegt hier eine außergewöhnliche Notlage, die eine Leistungsgewährung als unabweisbar erscheinen lässt, nicht vor, weil der Kläger durch seine Renteneinkünfte von etwa 340 Euro je Monat (Stand Juli 2018) über ausreichende Mittel verfügt, um seinen eigenen Bedarf nach den örtlichen Verhältnissen in Bulgarien in der Weise zu decken, dass seine (physische) Existenz nicht gefährdet und auch sonst keine existentielle Notlage anzunehmen ist. Das Lohnniveau ist in Bulgarien deutlich niedriger als in Deutschland. Zwar können in bestimmten spezialisierten Branchen wie z. B. Internet- und IT-Firmen auch Gehälter wie in Deutschland erzielt werden, doch die normale Bevölkerung hat ein monatliches Durchschnittseinkommen von 250 Euro bis 600 Euro (überschlägige Internetrecherche, vgl. z. B.: https://www.vitaseniore.de/bulgarien/lebenshal-tungskosten/, abgerufen am 07.03.2021, 11.14 Uhr). Damit bringt ein Renteneinkommen von ca. 340 Euro für einen deutschsprachigen Rentner in Bulgarien günstige Lebenshaltungskosten mit sich, während mit einer solchen im Inland erworbenen Rente in Deutschland kaum überlebt werden könnte, in Bulgarien aber durchaus ein menschenwürdiges Leben geführt werden kann. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sein Lebensunterhalt in Bulgarien kostspieliger ist bzw. eine gravierende Unterdeckung existentieller Bedarfe vorliegt, hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Zur Sicherung des Lebensunterhalts eines Ausländers in Bulgarien sollte danach ein monatlicher Betrag von etwa 340 Euro ausreichen, weshalb der Senat unter diesen Umständen weitere Ermittlungen zu den örtlichen Verhältnissen in Bulgarien nicht als erforderlich angesehen hat.

 

Soweit der Kläger in Bulgarien eine Gleichbehandlung mit anderen deutschen Bürgern im Inland erwartet, um mit seiner Rente – anstatt mit weiteren Vergünstigungen wie Mietzuschüssen in Deutschland – in Bulgarien die nötigen Dinge wie Arztbesuche, Hilfe und Lebenshaltung bewältigen zu können, sieht der Senat keine verfassungsrechtlichen Bedenken in der normativen Ausgestaltung des § 24 SGB XII. Das Grundgesetz ist durch die gesetzgeberische Entscheidung, Sozialhilfe an Deutsche im Ausland nur noch in eng begrenzten Ausnahmefällen zu zahlen, nicht verletzt (so auch Sächsisches LSG, Beschluss vom 29.11.2010 – L 7 SO 80/10 B ER – juris Rn. 25; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2010 – L 7 SO 5106/07 – juris Rn. 35). Die sich aus Artikel 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 1 GG) ergebende Pflicht des Staates zur Gewährleistung eines Existenzminimums (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u. a. – NJW 2010, 505, 507) erfordert von Verfassungs wegen zwingend nur eine Hilfe, die die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins sicherstellt. Dieser Maßstab ist bei der hier umstrittenen Auslandssozialhilfe, welche – wie die Sozialhilfe überhaupt – nach ihrem Sinn und Zweck nur eine subsidiäre Grundsicherung für jedermann in einer gegenwärtigen Notlage darstellt (vgl. hierzu auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 12.06.1991 – 1 BvR 540/91 – info also 1991, 154, 155), nicht tangiert. Insoweit sind dem Gesetzgeber im Rahmen der Entscheidung, in welchem Umfang soziale Hilfen unter Berücksichtigung vorhandener Mittel und anderer gleichwertiger Staatsaufgaben gewährt werden können, weite Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 02.02.1999 – 1 BvL 8/97BVerfGE 100, 195, 205, juris Rn. 39). Die Grenzen dieses weiten Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber hier nicht überschritten. Dem einklagbaren Anspruch des Einzelnen auf das Existenzminimum ist zunächst dadurch Rechnung getragen, dass dem Hilfesuchenden bei einer Rückkehr nach Deutschland bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 19 SGB XII i. V. m. §§ 27 ff. SGB XII Inlandssozialhilfe zusteht. Der Gesetzgeber konnte ferner in Ansehung des Territorialitätsprinzips davon ausgehen, dass es grundsätzlich Aufgabe des Aufenthaltsstaates ist, im Falle von Hilfebedürftigkeit für entsprechende Fürsorgeleistungen Sorge zu tragen (vgl. hierzu auch § 24 Abs. 2 SGB XII). Soweit er sich dennoch, unter Durchbrechung des vorgenannten völkerrechtlich anerkannten Prinzips, vorrangig aus sozialpolitischen Erwägungen für die Leistungserbringung an im Ausland in Not geratene deutsche Staatsangehörige entschieden hat, durfte er einen solchen Sozialhilfeexport mithin auf unabweisbare, d. h. verfassungsrechtlich gebotene, Hilfeleistungen in außergewöhnlichen Notlagen beschränken, in denen jegliche anderweitigen Unterstützungsmöglichkeiten versagen (so auch Sächsisches LSG, Beschluss vom 29.11.2010 – L 7 SO 80/10 B ER – juris Rn. 25). Ebenso wenig sind die durch Artikel 2 GG verfassungsrechtlich geschützten persönlichen Freiheitsrechte dadurch betroffen, dass den im Ausland lebenden deutschen Staatsangehörigen im Fall der Hilfebedürftigkeit regelmäßig die Rückkehr nach Deutschland abverlangt wird. Das Grundrecht auf Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ist schon deswegen nicht berührt, weil dieses nach seinem Gewährleistungsinhalt nur die tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen – also z. B. Verhaftung, Festnahme und ähnliche Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs – schützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.12.2005 – 2 BvR 447/05NVwZ 2006, 579, 580). Der Gesetzgeber durfte die Gewährung von Auslandssozialhilfe im Interesse des Gemeinwohls an der zweckgerichteten Verwendung der für staatliche Fürsorgeleistungen zur Verfügung stehenden Mittel an strenge Voraussetzungen knüpfen, so dass der Senat vorliegend auch keinen Verstoß gegen Artikel 2 Abs. 1 GG zu erkennen vermag. Die für den Hilfesuchenden grundsätzlich bestehende Rückkehrpflicht rechtfertigt sich daraus, dass regelmäßig nur im Inland die Überprüfbarkeit einer konkreten, aktuellen Hilfebedürftigkeit zur Folge habenden Notlage hinreichend gewährleistet ist (vgl. hierzu auch OVG Hamburg, Urteil vom 04.07.1991 – Bf IV 45/90MDR 1992, 57, 59; Sächsisches LSG, Beschluss vom 29.11.2010 – L 7 SO 80/10 B ER – juris Rn. 25).

 

Nach all dem musste die Berufung ohne Erfolg bleiben.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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