L 1 KR 326/21 B

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 15 KR 863/20
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 326/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Der pauschale Verweis auf "die Covid-19-Pandemie" oder "das Fortbestehen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" begründet keine genügende Entschuldigung für das Ausbleiben eines sachkundigen Vertreters der beklagten Krankenkasse im Termin zur mündlichen Verhandlung vor einem Sozialgericht.

2. Zur Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen ein trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens in der mündlichen Verhandlung nicht erschienenes Vertretungsorgan einer juristischen Person des öffentlichen Rechts.

     
   
 

 

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen den Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 14. September 2021 wird verworfen.

 

  1. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

 

 

 

 

G r ü n d e :

 

I.

 

Die beklagte Krankenkasse wendet sich im Wege der Beschwerde gegen einen Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts Chemnitz (SG).

 

Die Klägerin, Trägerin eines zugelassenen Krankenhauses, erhob am 04.12.2020 Klage zum SG Chemnitz, mit der sie die Zahlung zusätzlicher Vergütung in Höhe von 1.266,08 € für die Behandlung eines Versicherten der Beklagten begehrte.

 

Die gerichtliche Aufforderung an die Beklagte, ihren auf Klageabweisung gerichteten Antrag zu substantiieren und zu mehreren – vom Gericht im Einzelnen benannten – Punkten konkret Stellung zu nehmen (gerichtliches Schreiben vom 06.04.2021), ließ die Beklagte unbeantwortet. Mit richterlicher Verfügung vom 23.07.2021 beraumte das SG daraufhin einen Erörterungstermin auf den 14.09.2021 an und ordnete gleichzeitig an, dass der Vorstandsvorsitzende der Beklagten als deren gesetzliches Vertretungsorgan persönlich zu dem Termin zu erscheinen habe (§ 111 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i.V.m. § 141 Zivilprozessordnung [ZPO]).

 

Unter Verweis auf die "Corona-Situation" beantragte die Beklagte die Aufhebung des Termins. Die Wahrnehmung des Termins sei ihr nicht möglich. Für ihre Beschäftigten bestehe – gerade auch im Hinblick auf die besondere Gefährdungslage bei der Nutzung des ÖPNV – ein Dienstreiseverbot. Das SG lehnte eine Terminsverlegung ab (gerichtliches Schreiben vom 06.09.2021). Hausinterne Festlegungen der Beklagten zur Durchführung von Dienstreisen seien für das Gericht nicht relevant. Die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Bevölkerung vor dem Corona-Virus seien ausreichend und zweckmäßig. Es verbleibe bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beklagtenvertreters. Bei Nichterscheinen werde die Verhängung eines Ordnungsgelds erfolgen.

 

Einen daraufhin von der Beklagten gestellten Antrag, den Termin per Videokonferenz durchzuführen (§ 110a SGG), lehnte das SG ab (Beschluss vom 10.09.2021).

 

Zum Termin vor dem SG am 14.09.2021 erschien kein Vertreter der Beklagten. Das SG hat daraufhin gegen den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten einen Ordnungsgeldbeschluss erlassen, mit dem es ein Ordnungsgeld von 300,00 € verhängt hat.

 

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten vom 28.10.2021. Die Beklagte macht geltend, es sei ihr nicht zuzumuten gewesen, einen Terminsvertreter zu entsenden, zumal die zuständige Sachbearbeiterin des Verfahrens zum vulnerablen Personenkreis gehöre.

 

Aufgrund einer außergerichtlichen Einigung der Beteiligten hat das Verfahren in der Hauptsache zwischenzeitlich seine Erledigung gefunden.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die schriftsätzlichen Äußerungen der Beteiligten Bezug genommen.

 

 

 

II.

 

Die Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg.

 

1. Die Beschwerde ist bereits unzulässig.

 

Die Beklagte ist durch die Entscheidung des SG nicht beschwert. Das SG hat das Ordnungsgeld nicht gegen die Beklagte als juristische Person, sondern gegen den Vorstandsvorsitzenden als deren gesetzliches Vertretungsorgan verhängt. Unbeschadet der Frage, ob dies rechtlich zulässig – oder sogar geboten – ist (siehe zum Meinungsstand Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 111 Rn. 6 m.w.N.; Frehse, SGb 2010, 458, 462 f. m.w.N.), ist in einem solchen Fall allein das Vertretungsorgan als natürliche Person beschwerdebefugt. Denn an seine Säumnis und sein Verschulden (§ 141 Abs. 3 Satz 1, § 381 Abs. 1 ZPO) knüpft die Verhängung des Ordnungsgeldes an.

 

2. Die Beschwerde ist zudem unbegründet.

 

Die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes nach § 202 SGG i.V.m. § 141 Abs. 3 ZPO lagen vor.

 

Nach § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO kann das Gericht gegen einen Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, im Falle seines Ausbleibens ein Ordnungsgeld wie gegen einen nicht erschienenen Zeugen (§§ 380, 381 ZPO) festsetzen.

 

a) Der Vorstandsvorsitzende der Beklagten, dessen persönliches Erscheinen zum Termin nach § 111 Abs. 1 i.V.m. § 141 Abs. 1 ZPO angeordnet war, ist zum Termin vor dem SG nicht erschienen und hat auch von der ihm von Gesetzes wegen eingeräumten Möglichkeit, einen sachkundigen Vertreter i.S.d. § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu entsenden, keinen Gebrauch gemacht.

 

b) Eine ausreichende Entschuldigung für das Nichterscheinen zum Termin (§ 381 Abs. 1 ZPO) liegt nicht vor. Für die genügende Entschuldigung müssen Umstände vorliegen, die das Ausbleiben nicht als pflichtwidrig erscheinen lassen. Daran fehlt es hier.

 

aa) Der pauschale Verweis auf "die Covid-19-Pandemie" bzw. "das Fortbestehen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" genügt insoweit nicht (Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 01.07.2021 – B 9 SB 73/20 B – juris Rn. 9). Entsprechendes gilt für den Verweis auf "die allgemeine Infektionslage" (BSG, Beschluss vom 14.06.2021 – B 4 AS 86/21 B – juris Rn. 9). Bei der Entscheidung, ob gerichtliche Verhandlungen trotz der Infektionslage durchgeführt werden können, kommt den Gerichten ein erheblicher Einschätzungsspielraum zu (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 16.11.2020 – 2 BvQ 87/20 – juris Rn. 58). Dies gilt umso mehr, als ein gewisses Infektionsrisiko mit dem Corona-Virus derzeit für die Gesamtbevölkerung zum allgemeinen Lebensrisiko gehört, von dem auch die Beteiligten eines Gerichtsverfahrens nicht vollständig ausgenommen werden können (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19.05.2020 – 2 BvR 483/20 – juris Rn. 9). Eine Pflicht, jedwedes Risiko auszuschließen, besteht vor diesem Hintergrund nicht (BVerfG, Beschluss vom 16.11.2020 – 2 BvQ 87/20 – juris Rn. 62 f.). Im hier maßgeblichen Zeitraum (September 2021) existierten weder gesetzliche noch untergesetzliche Regelungen des Bundes, des Freistaates Sachsen oder irgendeines anderen Bundeslandes, dass – ggf. anknüpfend an bestimmte Inzidenzwerte – Gerichtsverhandlungen generell nicht durchgeführt werden dürfen. Ein anderslautendes "Hausrecht" der Beklagten wäre hierauf ohne Einfluss. Tatsächlich lässt sich der Einlassung der Beklagten auch nur entnehmen, dass Dienstreisen "auf ein Mindestmaß reduziert" werden sollen. Diese – in Pandemiezeiten sicherlich sinnvolle – interne Anweisung steht indes der Wahrnehmung von Gerichtsterminen nicht entgegen. Denn insoweit handelt es sich ja gerade um das "Mindestmaß" derjenigen Termine, deren Wahrnehmung auch in Pandemiezeiten zu gewährleisten ist. Das insoweit bestehende Infektionsrisiko ist angesichts der im Gerichtssaal vorherrschenden Schutzvorkehrungen (Mindestabstände, Plexiglasscheiben, Maskenpflicht, Vorhalten von Desinfektionsmitteln, Zugangssteuerung etc. – vgl. Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 27.05.2020 – L 6 VU 3716/19 ZVW – juris Rn. 27) überschaubar. Soweit die Beklagte auf das Risiko einer Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln verweist, bestanden (und bestehen) auch im dortigen Bereich entsprechende Schutzvorkehrungen, wobei es den Verfahrensbeteiligten obliegt, die Schutzvorgaben und -empfehlungen des Robert-Koch-Instituts in öffentlichen Verkehrsmitteln einzuhalten oder sich ggf. um ein alternatives Beförderungsmittel zu bemühen (LSG Baden-Württemberg a.a.O.; Bundesfinanzhof [BFH], Beschluss vom 22.10.2021 – IX B 15/21 – juris Rn. 14). Zudem fand der Termin im September 2021 statt, also zu einer Zeit mit niedrigen Inzidenzen und frei verfügbaren Impfmöglichkeiten, mithin einem verringerten Infektionsrisiko (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.09.2021 – L 8 SB 3672/20 – juris Rn. 4; Bayerisches LSG, Beschluss vom 16.06.2021 – L 13 R 201/20 – juris Rn. 3). Im Hinblick darauf, dass unter diesen Gegebenheiten im Sommer 2021 bereits wieder ein reger Urlaubsreiseverkehr eingesetzt hatte, ist der allgemeine Verweis auf eine fortbestehende Infektionslage nicht dazu geeignet, die Unzumutbarkeit der Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung zu begründen.

 

bb) Soweit die Beklagte darüber hinaus anführt, die zuständige Sachbearbeiterin gehöre zum vulnerablen Personenkreis, folgt hieraus nichts anderes. Ohnehin richtete sich die Ladung mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens an den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten. Dass – und ggf. aus welchen Gründen – dieser zum vulnerablen Personenkreis gehört, ist weder dargetan noch ersichtlich. Dem persönlich Geladenen hätte im Übrigen nach § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Entsendung eines sachkundigen Vertreters offen gestanden. Dies knüpft nicht an eine bestimmte Person an. Ist ein (an sich zuständiger) Mitarbeiter einer Behörde an der Wahrnehmung eines Gerichtstermins gehindert (z.B. wegen Krankheit oder Reiseunfähigkeit), ist diese Aufgabe einem anderen Mitarbeiter (Vertreter) zu übertragen. Dies gilt insbesondere, wenn, wie hier, angesichts der fortdauernden Corona-Pandemie ein Betroffener davon ausgeht, wegen seiner gesundheitlichen Situation Termine generell nicht wahrnehmen zu können (vgl. für einen prozessbevollmächtigen Rechtsanwalt: BFH, Beschluss vom 22.10.2021 – IX B 15/21 – juris Rn. 15). Gerade auch die vorliegend eröffnete Vorbereitungs- und Einarbeitungszeit (Ladung vom 23.07.2021, Termin am 14.09.2021) lässt die Entsendung eines Vertreters unproblematisch erscheinen. Dies im Übrigen auch vor dem Hintergrund, dass anderen Behörden (auch Krankenkassen) die Wahrnehmung von Gerichtsterminen während der gesamten Pandemiezeit hindurch ohne weiteres möglich war. Auch in anderen Gerichtszweigen außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit fanden während der Pandemie durchgängig Gerichtstermine statt; dies zum Teil mit einer erheblich höheren Anzahl von Verfahrensbeteiligten als im sozialgerichtlichen Verfahren üblich (z.B. strafrechtliche Großverfahren). Eine besondere Gefährdungssituation gerade im Hinblick auf die Beklagte und deren Mitarbeiter lässt sich vor diesem Hintergrund nicht begründen.

 

c) Das SG hat das ihm von Gesetzes wegen eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Festsetzung eines Ordnungsgeldes (hierzu Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 111 Rn. 6a m.w.N) erkannt und ausgeübt. Es hat hierbei insbesondere das Interesse an der Sachaufklärung und der Verfahrensbeschleunigung berücksichtigt und diese Gesichtspunkte auch gegenüber der von der Beklagten befürchteten Gesundheitsgefahr abgewogen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten nicht allein zur Förderung der Sachaufklärung zulässig ist, sondern auch erfolgen kann, um mit den Beteiligten ein Rechtsgespräch mit dem Ziel zu führen, eine konsensuale Lösung zu erreichen (Hessisches LSG, Beschluss vom 07.09.2010 – L 8 KR 231/09 B – juris Rn. 10). Auch die Höhe des festgesetzten Ordnungsgeldes ist nicht zu beanstanden. Art. 6 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch gibt diesbezüglich einen Rahmen von 5,00 € bis 1.000,00 € vor. Maßgebliche Kriterien für die Höhe des Ordnungsgeldes sind insbesondere das Maß der Pflichtwidrigkeit und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betroffenen. Wenn sich das Ordnungsgeld – wie hier – im mittleren Bereich des Rahmens bzw. noch darunter bewegt, bedarf es in der Regel keiner eingehenden Begründung für die festgesetzte Höhe (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 111 Rn. 6b m.w.N.).

 

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung).

 

4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG).

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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