Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 6 AS 10/18 erledigt ist.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Fortsetzung (und Entscheidung) des Rechtsstreits.
In dem zu Grunde liegenden Klageverfahren wandte sich der Kläger gegen eine von dem Beklagten durch Bescheid vom 29.09.2010 für den Zeitraum vom 01.11.2010 bis 31.01.2011 verhängte 90%ige Sanktion wegen vorangegangener Meldeversäumnisse.
Die Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 21.12.2017 als unzulässig abgewiesen.
Dagegen hat der Kläger am 02.01.2018 Berufung eingelegt, die beim erkennenden Senat unter dem Aktenzeichen L 6 AS 10/18 geführt worden ist. In der mündlichen Verhandlung am 29.11.2018 hat der Kläger nach ausführlicher Erörterung des Sach- und Streitstandes sowie Zwischenberatung und Hinweis des Senats folgende Erklärung abgegeben:
„Ich nehme hiermit die Klagen zurück in den Verfahren L 6 AS 2298/18 und L 6 AS 10/18.“
Die Erklärung des Klägers wurde laut diktiert, diesem vorgespielt und von ihm genehmigt.
Am 06.02.2019 hat der Kläger um Fortsetzung der Berufung zur Verhandlung gebeten. Er habe wegen des überladenen Termins am 29.11.2018 nicht alle Akten mitführen können, sich fälschlicherweise auf die Darlegungen des Senats verlassen und deshalb seine Klagen zurückgezogen. Nachträglich habe er feststellen müssen, dass die Darlegungen des Senats nicht schlüssig und nachvollziehbar seien. Er fechte seine Zurücknahme wegen Willensmangel an, bitte um Prüfung und einwandfreie Urteile.
Ergänzend verweist er auf § 72 Abs. 2 (Satz 3) Finanzgerichtsordnung (FGO) und macht (unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofes [BGH] vom 07.06.2001, I ZR 157/98) geltend, dass er die Rücknahmeerklärung zurückgenommen habe und diese damit unwirksam (geworden) sei.
Der Kläger beantragt,
das Gericht soll feststellen, dass die Berufung fortzusetzen ist, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold S 9 AS 2246/10 vom 21.12.2017 aufheben, feststellen, dass die Meldeaufforderung vom 09.09.2010 rechtswidrig war (ist präjudiziös für Bescheid vom 29.09.2010), den Sanktionsbescheid vom 29.09.2010 aufheben, und die Beklagte verurteilen, mir ALG II nachzuzahlen. Für November und Dezember 2010 je 108 €, für Januar 2011 215 €, insgesamt also 431 €.
Der Beklagte beantragt,
festzustellen, dass das Berufungsverfahren L 6 AS 10/18 erledigt ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Begehren des Klägers auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens und Entscheidung in der Sache haben keinen Erfolg.
Der unter dem Aktenzeichen L 6 AS 10/18 anhängige Rechtsstreit ist durch die am 29.11.2018 erfolgte Rücknahmeerklärung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erledigt worden.
Ausweislich der Sitzungsniederschrift, die eine öffentliche Urkunde mit entsprechendem Beweiswert darstellt, ist dem Kläger seine Erklärung vorgespielt und von ihm genehmigt worden. Sie ist ihrem Wortlaut nach eindeutig. Zweifel am Inhalt der Erklärung bestehen nicht und werden auch von dem Kläger nicht geltend gemacht. Die Erklärung ist auch nicht unwirksam. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Kläger bei Abgabe der Erklärung geschäfts- oder prozessunfähig war. Sinngemäß möchte er seine Erklärung anfechten, widerrufen oder auf sonstige Weise ungeschehen machen. Dies ist jedoch nicht möglich, da sie als Prozesshandlung grundsätzlich weder widerrufbar noch wegen Irrtums anfechtbar ist.
Nur ausnahmsweise ist im sozialgerichtlichen Verfahren der Widerruf einer Prozesserklärung möglich, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß der §§ 179, 180 SGG i.V.m. §§ 578 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) vorliegen. Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Voraussetzungen, wie z.B. falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbeteiligten, Urkundenfälschung, Urteilserschleichung, strafbare Amtspflichtverletzung eines Richters oder das Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde, liegen offensichtlich nicht vor. Die inhaltlichen Einwendungen, die der Kläger vorgebracht hat, erfüllen keinesfalls die Voraussetzungen der §§ 579, 580 ZPO.
Selbst wenn man dem Kläger darin folgen wollte, dass er durch einen unzutreffenden rechtlichen Hinweis des Senats zur Klagerücknahme veranlasst wurde, würde sich hieraus auch unter dem Gesichtspunkt des § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO kein anderes Ergebnis herleiten lassen. Denn § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO ist eine Sonderregelung für das finanzgerichtliche Verfahren, die im Geltungsbereich des SGG keine Anwendung findet.
Auch auf das Urteil des BGH (vom 07.06.2001, I ZR 157/98) kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen, weil er die Klage ausdrücklich zurückgenommen (und nicht für erledigt erklärt) hat, was zwingend die Rechtsfolge des § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG auslöst (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Auflage 2020, § 102 Rn. 9). Ob für den Fall einer (einseitigen) Erledigungserklärung, die in der von dem Kläger benannten Entscheidung angesprochen ist, (auch) im sozialgerichtlichen Verfahren etwas anderes gilt, kann offen bleiben.
Ist der Rechtsstreit nach alledem nicht fortzusetzen, kann auch das Begehren des Klägers auf Entscheidung in der Sache keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.