L 18 R 542/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 4 R 1038/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 R 542/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.06.2020 abgeändert. Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 06.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2019 verurteilt, an die Klägerin 1.018,87 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.018,92 Euro festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Beginn der Verzinsung einer Erstattungsforderung.

Die Klägerin hat ihren Sitz in F und ist Rechtsnachfolgerin der Deutschen Bundespost, bei der der am 00.00.1963 geborene U vom 01.11.1990 bis zum 31.12.1991 als Postinspektoranwärter im Vorbereitungsdienst und vom 01.01.1992 bis zum 30.09.1994 als Postinspektor zur Anstellung tätig war. Im Anschluss zahlte diese ihm für zwei Monate Übergangsgeld. Herr U zeigte die Absicht an, bis zum 01.09.1995 in ein weiteres rentenversicherungsfreies Dienstverhältnis als Anwärter im gehobenen Dienst der Stadt H übernommen zu werden. Die Deutsche Bundespost erteilte daraufhin der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Bescheinigung über den Aufschub der Nachversicherung gemäß § 184 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) i.d.F. vom 18.12.1989.

Am 08.11.2015 griff die Beklagte den Vorgang auf, teilte der Klägerin mit, dass ab dem 01.12.1994 Pflichtbeiträge bei ihr gemeldet worden seien und sie daher die Durchführung der Nachversicherung prüfe. Die Klägerin verwies auf die erteilte Aufschubbescheinigung und erhob die Einrede der Verjährung der Nachversicherungsbeiträge gemäß § 25 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Die Nichtentrichtung falle in den Verantwortungsbereich der Beklagten.

Durch Bescheid vom 29.12.2015 stellte die Beklagte fest, dass die Nachversicherung für die Zeit vom 01.11.1990 bis zum 30.09.1994 durchzuführen sei. Die einschlägige 30-jährige Verjährungsfrist sei noch nicht abgelaufen.

Die Klägerin legte am 04.01.2016 Widerspruch ein. Dazu nutzte sie ihren standardisierten Briefkopf, der damals in der Fußzeile als Kontoverbindung „Deutsche Post AG, Postbank M, Konto 01“ anführte.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Wider­spruchsbescheid vom 30.08.2016 zurück. Der Versicherte sei mit Ablauf des 30.09.1994 unversorgt aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden und in ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis eingetreten. Innerhalb des Zweijahreszeitraumes nach § 184 SGB VI habe er keine versicherungsfreie Beschäftigung aufgenommen. Die Voraussetzungen für den Aufschub der Nachversicherung seien damit spätestens mit Ablauf des 30.09.1996 weggefallen.

Die Klägerin teilte der Beklagten am 06.09.2016 den zu zahlenden Nachversicherungsbeitrag mit (21.833,68 Euro). Der Briefkopf verwies weiterhin auf dasselbe Konto bei der Postbank M, das allerdings – aufgrund der zwischenzeitlichen Einführung des SEPA-Verfahrens – nun mit der IBAN (International Bank Account Number) DE 01 und der BIC (Business Identifier Code) XXX bezeichnet wurde. Die Zahlung selbst erfolgte am 06.09.2016 mit Wertstellung zum 12.09.2016 von einem Konto mit der Kto.-Nr. 02 aus. Die BLZ ist nur mit 310 dokumentiert.

Unter dem gleichen Datum erhob die Klä­gerin Klage zum Sozialgericht Köln (Az. S 2 R 1224/16). Mit Urteil vom 23.10.2017 hob das Sozialgericht den Be­scheid vom 29.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2016 auf. Dem Anspruch auf Entrichtung der Nachversicherungsbeiträge stehe die Einrede der Verjährung entgegen. Die Beklagte verzichtete auf die Einlegung der Berufung und bat die Klägerin am 29.03.2018 mitzuteilen, wie mit den Nachversicherungsbeiträgen verfahren werden solle. Die Klägerin wiederum ersuchte im Schreiben vom 09.04.2018 um Erstattung der Beiträge und Zahlung der entstandenen Zinsen auf das Konto der Deutsche Post AG IBAN DE 03  mit dem Vermerk: 00, NV Rückerstattung U. Die Beklagte zahlte die Nachversi­cherungsbeiträge am 09.05.2018 zurück.

Durch Be­scheid vom 06.09.2018 stellte sie einen Zinsanspruch der Klägerin i.H.v. 509,46 Euro für die Zeit vom 01.12.2017 bis zum 30.06.2018 (7 Monate x 72,78 Euro) fest. In ihrem Widerspruch vom 25.09.2018 machte die Klägerin einen früheren Verzinsungsbeginn geltend. Grundsätzlich sei bereits in einem Widerspruch gegen einen Beitragsbescheid ein Erstat­tungsantrag enthalten. Sie habe am 04.01.2016 Widerspruch erhoben, die Nachversicherungsbeiträge seien im September 2016 entrichtet worden.

Diesen Wi­derspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 19.03.2019 zurück. Ein voll­ständiger Erstattungsantrag liege erst bei Bekanntgabe der Bankverbindung vor, über die die Erstattung erfolgen solle. Diese habe ihr die Klägerin erst mit am 11.04.2018 eingegangenem Schreiben mitgeteilt. Ginge man davon aus, dass die Beklagte die Klägerin unverzüglich nach Zugang des Urteils des Sozialgerichts vom 23.10.2017 nach der Bankverbindung gefragt und diese auch unverzüg­lich geantwortet hätte, also im November 2017, würde sich ein Verzinsungsbeginn erst ab dem 01.01.2018 begründen lassen. Die zu viel gezahlten Zinsen für Dezember 2017 wür­den jedoch wegen des Verböserungsverbotes nicht zurückgefordert. Der Widerspruchsbescheid war an die Niederlassung der Klägerin in R adressiert. Die Rechtsbehelfsbelehrung enthielt den Hinweis auf die Zuständigkeit des Sozialgerichts Berlin.

Am 07.08.2019 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Köln erhoben.

Der Zinszeitraum beginne mit der Zahlung der Nachversiche­rungsbeiträge am 06.09.2016, denn sie habe bereits zuvor mit ihrem Widerspruch vom 04.01.2016 zugleich den für den Zinsbeginn erforderlichen Erstattungsantrag gestellt. Dieser sei damals auch vollständig gestellt worden, insbesondere habe sie dort auch ihre (allgemeine) Kontonummer angegeben. Die mit Schreiben vom 09.04.2018 mitgeteilte Kontonummer habe lediglich der Vereinfachung der Zahlungsdurchführung ge­dient. Außerdem bestehe mit der Beklagten ein eingespielter Zahlungsweg. Schon seit vielen Jahren würden im Hinblick auf Nachversicherungsfälle etwaige Erstattungen sei­tens der Beklagten auf das genannte Konto der Klägerin überwiesen.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2019 zu verpflichten, an sie Zinsen auf einen zu Unrecht entrichteten Nachversicherungsbeitrag i.H.v. 4 % p.a. aus 21.833,68 Euro für den Zeitraum vom 06.09.2016 bis zum 30.06.2018 zu zahlen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Widerspruch gegen die Feststellung der Nach­versicherung enthalte mangels ausdrücklicher Benennung des Kontos für die Rückzahlung keinen vollständigen Erstattungsantrag. Sie habe nicht davon ausgehen müssen, dass sie das im Briefkopf benannte (allgemeine) Konto für die Erstattung zu nutzen habe. Selbst wenn man anderes annähme, könne die Verzinsung des Erstattungsbetrages erst nach Ablauf eines Kalendermonats nach Zahlung der Beiträge beginnen.

Mit Einverständnis der Beteiligten hat das Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Klage durch Urteil vom 23.06.2020 abgewiesen:

Der Zinsanspruch sei hier nicht vor Dezember 2017 entstanden, weil die Klägerin vorher keinen vollständigen Erstat­tungsantrag gestellt habe. Erst am 11.04.2018 habe sie der Beklagten die für die Beitragser­stattung erforderliche und zu verwendende Bankverbindung mitgeteilt. Demgegenüber enthalte der Widerspruch der Klägerin vom 04.01.2016 noch keinen vollständigen Erstat­tungsantrag. Diese habe darin ausdrücklich kein Konto benannt, auf das die Er­stattung zu erfolgen habe. Soweit die Klägerin den Widerspruch mit ihrem standardisierten Briefmuster erhoben habe, vervollständige die dort enthaltene Angabe des allgemeinen Kontos den Erstattungsantrag nicht. Die Beklagte habe nicht annehmen müssen, dass die Klä­gerin eine Erstattung der Nachversicherungsbeiträge auf dieses standardmäßig in jedem Brief angegebene allgemeine Konto begehre. Die Klägerin sei eine juristische Person mit einer Vielzahl von Konten, die unterschiedlichen Geschäftsbereichen zugeordnet seien. Vor diesem Hintergrund habe die Beklagte nicht ohne weiteres davon ausgehen müssen, dass sie das allgemeine Konto für die Erstattung zu nutzen habe. Das bestätige insbesondere auch der Umstand, dass die Klägerin dieses Konto weder für die Zahlung der Nachversi­cherungsbeiträge noch für ihre Erstattung genutzt habe.

Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Angabe des Kontos für die eventuelle Er­stattung der Nachversicherungsbeiträge auch nicht deswegen entbehrlich gewesen, weil zwischen ihr und der Beklagten ein eingespielter Zahlungsweg bestanden habe. Dem Vortrag der Klägerin lasse sich nicht substantiiert entnehmen, dass für die Zahlung von Nachversiche­rungsbeiträgen und deren Erstattung in einer Vielzahl von Fällen stets nur ein Konto ge­nutzt worden sei. Dagegen spreche auch der Umstand, dass die Klägerin im streitigen Fall für die Beitragszahlung und die Erstattung unterschiedliche Konten genutzt habe.

Ein eingespielter Zahlungsweg ergebe sich auch nicht daraus, dass die Klägerin der Be­klagten eine Ermächtigung zum Einzug der Nachversicherungsbeiträge erteilt habe. Denn das habe die Klägerin nicht getan, sie habe vielmehr eine Einmalzahlung von einem ihrer Konten veranlasst, ohne dass die Beklagte habe annehmen müssen, die Erstattung habe auch auf dieses Konto zu erfolgen. Selbst wenn die Klägerin aber eine solche Ermächtigung erteilt hätte, ergäbe sich hieraus für die Beklagte kein eingespielter Zahlungsweg, weil die Klägerin - wie ausgeführt - eine juristische Person mit einer Vielzahl von Konten für un­terschiedliche Geschäftsbereiche sei und sie sich insofern von einem Versicherten, der regelmäßig nur ein Konto oder allenfalls wenige Konten nutze und bei dem davon ausge­gangen werden könne, dass er bei regelmäßiger Beitragszahlung von einem Konto auch die Beitragserstattung auf dieses Konto begehre, unterscheide.

Schließlich ergebe sich auch kein früherer Verzinsungsbeginn wegen treuwidrigen Unter­lassens des Erfragens der Kontoverbindung durch die Beklagte. Diese verweise zu Recht darauf, dass sie vor der Ende Oktober 2017 erfolgten Zustellung des die Verpflich­tung zur Nachversicherung aufhebenden Urteils keine Veranlassung gehabt habe, bei der Kläge­rin eine Bankverbindung für die Erstattung zu erfragen. Das bis dahin bestehende Infor­mationsdefizit falle nicht in ihren Verantwortungsbereich. Gleichermaßen habe es die Kläge­rin unterlassen, der Beklagten ausdrücklich eine Bankverbindung für die Erstattung mitzu­teilen. Anderes würde allenfalls dann gelten, wenn der Beklagten aus einem in der jünge­ren Vergangenheit genutzten (und eingespielten) Zahlungsweg eine Bankverbindung be­kannt gewesen wäre und sie bei bestehenden Zweifeln nicht die aktuelle Bankverbindung erfrage. Nur dann bestehe eine Verpflichtung des Sozialversicherungsträgers, statt der al­lein auf Zweifeln an der zu nutzenden Bankverbindung begründeten Zurückhaltung der Zahlung die zutreffende Bankverbindung zu erfragen, insbesondere wenn er diesen Zah­lungsweg dann tatsächlich auch für die Beitragserstattung ohne weitere Nachfrage ge­nutzt habe. Das treffe hier nicht zu. Dann aber könne die Verzinsung frühestens nach Ablauf des Novembers 2017 beginnen.

Gegen das ihr am 30.06.2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 03.07.2020 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt.

Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ein Erstattungsantrag sei dann vollständig, wenn der Antragsteller alle Tatsachen mitteile, die für die Entscheidung des Sozialversicherungsträgers einschließlich der Auszahlung (Angabe der Bankverbindung des Erstattungsberechtigten) notwendig seien. Dem entspreche der Widerspruch vom 04.01.2016. Wie im Geschäftsverkehr üblich sei auf ihrem Briefkopf eine allgemeine Kontoverbindung angegeben, die für alle Zahlungen an das Unternehmen, einschließlich der Erstattung von Nachversicherungsbeiträgen, genutzt werden könne.

Zwar sei es richtig, dass die Klägerin auf Grund der Größe des Unternehmens eine Vielzahl von unterschiedlichen Konten unterhalte. Doch spreche dies nicht dagegen, dass das allgemeine Konto stets für Zahlungseingänge genutzt werden könne. Wenn Beiträge darauf eingingen, werde das Sachgebiet Nachversicherung unverzüglich vom Bereich Accounting über den Zahlungseingang informiert. Der Zahlungseingang hätte bei ihr folglich problemlos zugeordnet werden können. Dass sie auf Nachfrage der Beklagten ein anderes als das allgemeine Konto angegeben habe und auch für die Entrichtung der Nachversicherungsbeiträge ein anderes Konto nutze, diene der Vereinfachung der Zahlungsmodalität. Eine Zuordnung durch den Bereich Accounting hätte sich damit erübrigt. Im Übrigen stehe es dem Gläubiger der Erstattungsforderung frei, später für die Überweisung von Beiträgen ein anderes Konto anzugeben. Ebenso wenig könne eine Kontoänderung die ursprüngliche Vollständigkeit entfallen lassen. Die Beklagte habe mithin eine Kontoverbindung der Klägerin gekannt. Sie habe keinen Anlass zu der Befürchtung besessen, diese werde die Annahme der Erstattung verweigern. Zinsen würden ab dem 01.10.2016 begehrt. Dies sei dem Umstand geschuldet, dass nur volle Monate zu verzinsen seien. Entgegen der Ansicht der Beklagten beginne die Verzinsung jedoch nicht erst nach Ablauf eines Kalendermonats nach Zahlung der Nachversicherungsbeiträge, sondern nach dem Monat des Eingangs der Beitragszahlung.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.06.2020 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 06.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2019 abzuändern, sowie die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere Zinsen für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.11.2017 auf einen zu Unrecht entrichteten Nachversicherungsbeitrag i.H.v. 4 % aus 21.833,68 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt schrifsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf ihren bisherigen Vortrag und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Die Beteiligten haben im Erörterungstermin am 20.07.2021 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Die zulässige, insbesondere statthafte und fristgerecht eingelegte Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichtes Köln vom 23.06.2020 ist im Wesentlichen begründet.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 06.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2019. Darin hat sie festgestellt, dass die Klägerin Zinsen auf die ihr erstatteten Nachversicherungsbeiträge lediglich für den Zeitraum vom 01.12.2017 bis zum 30.06.2018 zu beanspruchen hat. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, soweit darin die Zahlung von Zinsen für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.11.2017 abgelehnt worden ist. Das Sozialgericht hat die zulässige Klage für diesen Zeitraum unzutreffend als unbegründet abgewiesen und einen Anspruch auf weitere Verzinsung der erstatteten Beiträge abgelehnt. Aufgrund der Beschränkung des Klageantrages in der Berufungsinstanz hatte der Senat nicht über den Zeitraum vom 06.09. bis zum 30.09.2016 zu entscheiden.

Die Klage ist zulässig.

Es kann dahinstehen, dass der Zugangszeitpunkt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2019 sich anhand der von den Beteiligten vorgelegten Verwaltungsvorgänge nicht nachvollziehen lässt. Denn in der darin enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrung war fehlerhaft die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichtes Berlin angegeben worden, obwohl die Klägerin ihren Sitz damals in F und damit im Bezirk des Sozialgerichts Köln hatte (§ 57 Abs. 1 Satz 1 SGG). Daher betrug die Klagefrist in jedem Fall ein Jahr (§ 66 Abs. 2 SGG). Die Klageerhebung am 07.09.2019 war damit fristgemäß.

Zutreffend hat das Sozialgericht den Klageantrag dahingehend ausgelegt, dass die Klägerin mit diesem lediglich ei­ne Abänderung im Sinne einer Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer Zinsen und keine Aufhebung des angefochtenen Bescheides, soweit darin über die Ablehnung hinaus Zinsen für den Zeitraum vom 01.12.2017 bis zum 30.06.2018 zuerkannt worden sind, begehrt.

Die Klage ist im Wesentlichen auch begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte aus § 27 Abs. 1 Satz 1 iVm § 26 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 SGB IV ein Anspruch auf Verzinsung des Erstattungsbetrages von 21.833,68 Euro (auch) für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.11.2017 zu. Die Klägerin hat einen rückwirkenden Erstattungsanspruch erworben, der auch rückwirkend zu verzinsen war. Die Verzinsungspflicht begann am 01.10.2016, weil sie ihren Erstattungsantrag am 04.01.2016 gestellt und die Nachversicherungsbeiträge am 12.09.2016 gezahlt hat.

Die Klägerin hat rückwirkend ab Eingang ihrer Nachversicherungsbeiträge bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch aus § 26 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SGB IV erworben. Danach sind zu Unrecht entrichtete Beiträge demjenigen zu erstatten, der sie getragen hat. Zu Unrecht gezahlt sind Beiträge, wenn für die Zahlung kein Rechtsgrund (mehr) besteht. Die Klägerin hat für die Zeit vom 01.11.1990 bis zum 30.09.1994 an die Beklagte in diesem Sinne zu Unrecht Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt, weil durch Urteil des Sozialgerichtes vom 23.10.2017 zum Az. S 2 R 1224/16 rechtskräftig die Verjährung festgestellt worden ist. Der Erstattungsanspruch nach § 26 Abs. 2 SGB IV entsteht kraft Gesetzes, sobald nicht geschuldete Beiträge gezahlt werden (s. im Einzelnen: BSG Urteil vom 07.09.2017 – B 10 LW 1/16 R – juris Rn. 27).

Der rückwirkende Erstattungsanspruch der Klägerin war nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB IV auch rückwirkend zu verzinsen, sobald die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen für die Verzinsung vorlagen. Nur so lässt sich die rechtsgrundlose Vermögensverschiebung vollständig ausgleichen, die durch die Zahlung nicht geschuldeter Beiträge bewirkt worden ist. Ohne Verzinsung würde diese Vermögensverschiebung trotz Beitragserstattung teilweise fortwirken. Denn zahlt der Beitragsschuldner und Erstattungsgläubiger zu Unrecht Beiträge, nimmt ihm dies bis zur Erstattung die Möglichkeit, die Beiträge wirtschaftlich zu nutzen. Erst eine Verzinsung, nicht schon die Beitragserstattung, gleicht diese entgangene Nutzungsmöglichkeit vollständig aus (BSG a.a.O. Rn. 31 m.w.N).

Die Pflicht zur Verzinsung begann nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB IV am 01.10.2016. Der Erstattungsanspruch ist nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags zu verzinsen, wobei eine Verzinsung vor dem Eingang der Nachversicherungsbeiträge bei der Beklagten am 12.09.2016 ausgeschlossen ist.

Ein vollständiger Erstattungsantrag der Klägerin lag im Januar 2016 vor.

An den Erstattungsantrag sind nach Überzeugung des Senates keine hohen Anforderungen zu stellen. Vollständig ist ein Erstattungsantrag, wenn er alle Angaben enthält, die der Versicherungsträger für seine Entscheidung über die Erstattung einschließlich der Auszahlung benötigt (BSG a.a.O. Rn. 34). Die Klägerin hat mit am 04.01.2016 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben Widerspruch gegen den Beitragsbescheid vom 29.12.2015 eingelegt. Darin liegt bereits die konkludente Forderung der Erstattung einer Beitragsforderung, selbst wenn sie zu dieser Zeit noch nicht entrichtet war (vgl. BSG a.a.O. Rn. 34; Urteil vom 16.04.1985 – 12 RK 19/83 – juris Rn. 22). Das Widerspruchsschreiben erfüllt die Voraussetzungen eines vollständigen Erstattungsantrages. In der Fußzeile des Briefkopfes ist eine damals gültige Kontoverbindung angegeben. Mehr brauchte die Beklagte nicht zu wissen, um die zu Unrecht entrichteten Beiträge zu erstatten.

Im Rechtsverkehr ist allgemein anerkannt, dass ein Zahlungsempfänger durch die Angabe einer Kontoverbindung im Briefkopf sein Einverständnis mit der Überweisung als Form der Erfüllung der Zahlungsverpflichtung eindeutig zum Ausdruck gebracht hat (vgl. AG Bremen Urteil vom 21.06.2019 – 9 C 250/18 – juris Rn. 23; BayVGH Beschluss vom 05.10.2009 – 4 C 09.1270 – juris Rn. 12 mwN; AG Pinneberg Beschluss vom 29.10.2007 – 68 II 52/07 WEG – juris Rn. 22; OLG Köln Beschluss vom 24.11.1997 – 16 Wx 297/97 – juris Rn. 4; Fetzer in MünchKomm, 8. Aufl. 2019, BGB, § 362 Rn. 22). Die Beklagte hatte keinen Anlass anzunehmen, die Klägerin werde die Annahme einer auf ihr im Briefkopf aufgeführtes Konto erfolgenden Erstattung verweigern. Sie hat zwar darauf hingewiesen, dass die Klägerin regelmäßig andere Konten für Erstattungen angebe bzw. nutze, sie hat jedoch keine Fälle dargelegt, in denen diese eine Zahlung auf ihr allgemeines Konto nicht anerkannt hätte. Anhaltspunkte für eine entsprechende Absicht im vorliegenden Fall lassen sich den Verwaltungsvorgängen überdies nicht entnehmen.

Eine andere Sicht überdehnte die Anforderungen an einen in einem Widerspruch enthaltenen Erstattungsantrag nach Überzeugung des Senates. Die Angabe einer im Zeitpunkt der Antragstellung aktuellen Kontonummer ist ausreichend. Es kommt darauf an, ob eine Erstattung auf der Grundlage der in dem Widerspruchsschreiben enthaltenen Angaben in diesem Moment möglich gewesen ist. Diese Sicht trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die Beurteilung der Vollständigkeit eines Erstattungsantrages bei Eingang klar und eindeutig sein muss und nicht vom Zufall abhängen darf. Spätere Konto- oder Bankwechsel oder Wünsche nach Erstattung auf ein anderes Konto lassen diese Vollständigkeit nicht nachträglich entfallen. Ein ursprünglich vollständiger Antrag kann damit nicht nachträglich unvollständig werden. Selbst wenn man – worauf es nach Auffassung des Senates nicht ankommt – hier eine Gesamtschau des Zeitraums von der Antragstellung bis zur tatsächlichen Beitragszahlung in den Blick nähme, bestand vorliegend durchgehend das im Briefkopf genannte Konto weiter. Für die Annahme der ursprünglichen Vollständigkeit des Erstattungsantrages ist es zudem unschädlich, dass das Format der Kontonummer sich später – aus nicht in der Sphäre der Klägerin liegenden Gründen – geändert hat. Anhand des weiteren Schriftverkehrs der Beteiligten wäre es der Beklagten leicht möglich gewesen, das neue SEPA-Format zu erkennen und zu nutzen.

Vor diesem Hintergrund stellt das Schreiben der Klägerin vom 09.04.2018 auch keine Vervollständigung der Erstattungsforderung dar. Die Beklagte hat sich mit Schreiben vom 29.03.2018 bei der Klägerin erkundigt, wie mit dem Erstattungsbetrag verfahren werden solle. Dabei handelt es sich um eine Nachfrage zur Abwicklung. Die Klägerin hat diese Gelegenheit genutzt und um Zahlung auf ein anderes als das im Briefkopf genannte Konto unter Angabe eines bestimmten Verwendungszweckes gebeten. Die Nachfrage der Beklagten und die Angabe dieser Modalitäten seitens der Klägerin haben letzterer die Bearbeitung bzw. interne Zuordnung sicher erleichtert. Gleichwohl ändert das nichts daran, dass eine Erstattung auf das im Briefkopf angegebene Konto bereits dazu geführt hätte, dass die Beklagte von ihrer Erstattungspflicht frei geworden wäre.

Aufgrund der ursprünglichen Vollständigkeit des Erstattungsantrages sah sich der Senat nicht veranlasst, der Frage weiter nachzugehen, ob ein eingespielter Zahlungsweg für die Fälle der Rückabwicklung von Nachversicherungsbeiträgen zwischen den Beteiligten bestanden hat und der Beklagten das Konto der Klägerin für die Rückerstattung von Beiträgen in Nachversicherungsfällen bei ehemaligen Beamten schon seit vielen Jahren bekannt gewesen ist, sodass die Angabe der Kontonummer verzichtbar gewesen wäre.

Der Zinsanspruch besteht (jedenfalls) ab dem 01.10.2016.

§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sieht vor, dass die Verzinsung des Erstattungsanspruchs nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrages beginnt. Eine Verzinsung der Beiträge kann allerdings nicht vor der Zahlung beginnen.

Ob der Zinsanspruch bei Zahlung mehrere Monate nach Stellung des Erstattungsantrags unmittelbar mit der Zahlung beginnt oder erst zum Beginn des folgenden Kalendermonats, lässt sich der Regelung nicht unmittelbar entnehmen, kann aber dahinstehen. Ein früherer Verzinsungsbeginn als der 01.10.2016 war aufgrund der dahingehenden Beschränkung des Berufungsantrags durch die Klägerin nicht zu prüfen.

Da die Zahlung der Nachversicherungsbeiträge erst mehr als acht Monate nach Stellung des Erstattungsantrages erfolgte, hat der Senat den Meinungsstreit, ob die Formulierung „Ablauf eines Kalendermonats“ die Verzinsung zum Folgemonat oder nach Ablauf des Folgemonats anordnet (zum Meinungsstand: Waßer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., Stand: 01.08.2021, § 27 SGB IV, Rn. 24 m.w.N.) nicht zu entscheiden. Da angesichts des Erstattungsantrags vom 04.01.2016 spätester Beginn der Verzinsung der 01.03.2016 wäre, ist maßgeblich hier das Datum der Zahlung der Nachversicherungsbeiträge (Anweisung 06.09.2016/ Eingang 12.09.2016).

Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB IV könne in der vorliegenden Konstellation nur so zu verstehen sein, dass die Verzinsung des Erstattungsbetrages erst nach Ablauf eines Kalendermonats nach Zahlung der Beiträge beginnen könne, folgt der Senat dieser Ansicht nicht. Schon die Grundannahme der Beklagten, dass der Gesetzgeber es offensichtlich nicht für möglich gehalten hat, dass die Zahlung der Nachversicherungsbeiträge zeitlich nach der Stellung des Erstattungsantrages liegt, ist spekulativ. Soweit die Beklagte bei ihrer Auslegung darauf abstellt, dass dem Versicherungsträger eine Frist von einem Kalendermonat für die zinsfreie Erstattung eingeräumt werden soll, so ist dem entgegenzuhalten, dass die Beklagte die Möglichkeit hatte, die Entstehung des Zinsanspruchs durch einen Verzicht auf die Geltendmachung des mit Bescheid vom 29.12.2015 festgestellten Nachversicherungsbeitrags zu verhindern. Die Einräumung einer Karenzzeit von einem Monat nach der Zahlung zur zinslosen Begleichung der Erstattungsschuld erscheint in der vorliegenden Konstellation abwegig, da die Beklagte den von ihr zu Unrecht verlangten Nachversicherungsbeitrag gerade mit Schreiben vom 06.09.2016 erst fällig gestellt hatte. Der Zinsanspruch der Klägerin im Monat Oktober 2016 beruht letztlich nicht auf einer unangemessen kurzen Frist nach Eintritt der letzten notwendigen Bedingung für das Entstehen des Anspruchs (hier: Zahlung), sondern – wie auch für den gesamten übrigen Zeitraum – vielmehr auf der irrigen Annahme der Beklagten, ihr geltend gemachter Anspruch auf Zahlung werde einer gerichtlichen Überprüfung standhalten.

Der Erstattungsanspruch ist bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen, wobei nur volle Euro-Beträge verzinst werden (§ 27 Abs. 1 Satz 1, 2 SGB IV). Somit sind 21.833 Euro zu verzinsen. Der Zinsbetrag auf 14 Monate berechnet lautet bei Rundung des Gesamtbetrages 1.018,87 Euro. Demgegenüber hat die Beklagte im Bescheid vom 06.09.2018 die Zinsen jeweils für den Monat berechnet und auf 72,78 Euro gerundet. Da die Klägerin die in diesem Bescheid vorgenommene Berechnung der Verzinsung nicht angegriffen, sondern eine entsprechende Zinszahlung für den Folgezeitraum ab dem 01.10.2016 begehrt hat, was einem Betrag von 1.018,92 Euro entspricht, unterliegt sie im Umfang von 0,05 Euro. Insoweit ist ihre Klage unbegründet und ihre Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 154, 155 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). In Anbetracht der Geringfügigkeit des Unterliegens der Klägerin war eine Kostenquote nicht zu bilden (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Teil 1 SGG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, 2 Gerichtskostengesetz. Nach § 52 Ab­s. 1 ist der Streitwert, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag der Klägerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Diese besteht hier – anders als im Klageverfahren, wo zusätzlich Zinsen für den Monat September im Streit standen, – in dem Erstreiten weiterer Zinsen für den Zeitraum Oktober 2016 bis November 2017, also in Höhe eines Betrages von 1.018,92 Euro (14 Monate x 72,78 Euro).

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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