In Deutschland besteht seit dem 01.04.2007 (mit Übergangsfrist bis 01.01.2009) eine generelle Krankenversicherungspflicht
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.09.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Streitig ist die Mitgliedschaft in der freiwilligen Versicherung sowie die Beiträge zur Krankenversicherung ab dem 01.01.2018.
Der im Jahr 1942 geborene Kläger ist seit 01.10.1983 Mitglied der Beklagten. Bis 31.10.1996 war er aufgrund des Bezugs von Arbeitslosenhilfe pflichtversichert, dann ab dem 01.11.1996 als hauptberuflich Selbstständiger im Rahmen einer freiwilligen Versicherung nach § 9 SGB V. Mit aktenkundigen Bescheid vom 02.12.1996 wurden die Beiträge erstmals festgesetzt. Wörtlich ist folgendes ausgeführt: "Sie beantragen die (weitere) einkommensabhängige Einstufung für Selbständige. Aufgrund Ihrer Einkommensangaben sind Sie ab 01.11.1996 in der Klasse 935 versichert." Die Beklagte bezog sich darin auf die Mitteilung des Klägers vom 22.11.1996. Diese ist nicht mehr auffindbar. Mit Bescheid vom 17.11.1997 wurden die Beiträge des Klägers ab 01.11.1997 festgesetzt. Dieser Bescheid beginnt mit den Worten "Sie beantragen die weitere einkommensabhängige Einstufung für Selbstständige". Der Kläger ist seinen Beitragspflichten in der Folgezeit nachgekommen. In der Verwaltungsakte befinden sich zunächst Überweisungsträger des Klägers, dann der Hinweis auf eine Einzugsermächtigung sowie fortlaufende Beitragsbescheide der Beklagten. Die Beiträge wurden jeweils auf der Grundlage der vom Kläger vorgelegten Dokumente zu seinen Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit, einer Rente und Einnahmen aus Kapitalvermögen angepasst.
1. Im März 2009 teilte der Kläger erstmals mit, dass die Mitgliedschaft in einer Krankenkasse in Deutschland nie seine Entscheidung gewesen sei, nur eine Pflicht. Mit Schreiben vom 24.01.2011 erhob er Widerspruch gegen die Beitragseinstufung ab 01.01.2011 (Bescheid vom 23.12.2010). Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2013 zurückgewiesen. Darin wurde festgestellt, dass die freiwillige Mitgliedschaft des Klägers seit dem 01.11.1996 zu Recht durchgeführt worden sei. Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass eine Mitgliedschaft niemals zustande gekommen sei. Der Kläger hat die Klage in der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2013 zurückgenommen (Az. S 50 KR 206/13).
In den Folgejahren sind Schriftwechsel und Widersprüche aktenkundig, in denen der Kläger geltend macht, zu keinem Zeitpunkt "freiwillig" versichert gewesen zu sein. Er sei 1996 falsch beraten worden. Die Beklagte hat dem Kläger die allgemeine Versicherungspflicht in Deutschland erläutert und auf die Möglichkeit des Wechsels in eine private Krankenversicherung hingewiesen. Der Kläger hat der Beklagten die Einzugsermächtigung Ende 2016 entzogen.
2. Anlass für das vorliegende Verfahren war die Beitragsfestsetzung ab 01.01.2018. Auf Basis des Einkommensteuerbescheids 2015 setzte die Beklagte mit Bescheid vom 19.12.2017 die Beiträge unter Vorbehalt fest. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch. Die Beklagte forderte die ausgefüllte und unterschriebene Einkommenserklärung ab 01.03.2018 an. Daraufhin erläuterte der Kläger mit Schreiben vom 23.03.2018 aus welchen Gründen er der Meinung sei, keine freiwillige Versicherung bei der Beklagten abgeschlossen zu haben. Er habe erst im Jahr 2010 erfahren, dass er als Selbstständiger von der Krankenversicherungspflicht freigestellt sei. Er habe 21 Jahre alle Beiträge getragen ohne über die Rechtslage Bescheid zu wissen. Die Beklagte legte das Schreiben des Klägers als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X aus, ob die Mitgliedschaft ab 01.11.1996 zu Recht als freiwillige Versicherung fortgeführt worden sei und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18.04.2018 ab. Sie erklärte, dass sie bezüglich der Beiträge zur Pflegeversicherung aus verfahrensökonomischen Gründen davon absehe, diesbezüglich ein separates Widerspruchsverfahren durchzuführen. Es wurde zugesichert, eine bestandskräftige Entscheidung hinsichtlich der Krankenversicherungsbeiträge auch bezüglich der Beiträge zur Pflegeversicherung anzuwenden.
Die Beklagte wies die Widersprüche gegen die Bescheide vom 19.12.2017 und 18.04.2018 zurück und stellte fest, dass der Kläger seit 01.11.1996 freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten sei und keinen Anspruch auf Aufhebung der die freiwillige Versicherung betreffenden Beitragsbescheide und auch keinen Anspruch auf Erstattung der zur freiwilligen Krankenversicherung gezahlten Beiträge habe. Hinsichtlich des Zustandekommens der freiwilligen Krankenversicherung verwies die Beklagte auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 06.02.2013 und ergänzte, der Kläger habe die Versichertenkarten der Beklagten widerspruchslos entgegengenommen worden und Beiträge gezahlt. Es sei also konkludent die Zustimmung zum Zustandekommen des Versicherungsverhältnisses erteilt worden. Darüber hinaus seien Erstattungsansprüche gemäß § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV jedenfalls bis einschließlich November 2013 verjährt.
3. Dagegen hat der Kläger Klage zum SG erhoben. Als Begründung hat er vorgetragen, er habe sich bei der damaligen Verhandlung am Sozialgericht München nicht richtig verstanden gefühlt und habe die Klage nicht zurücknehmen, sondern lediglich die mündliche Verhandlung beenden wollen. Der Kläger hat umfangreiche Unterlagen vorgelegt und erklärt, seine Einzugsermächtigung widerrufen zu haben. Seither sei er wie ein Versicherungsbetrüger beim Hauptzollamt R aktenkundig.
Mit Bescheid vom 21.06.2019 hat die Beklagte die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.07.2019 vorläufig festgesetzt. Da der Kläger auf die Einkommensanfragen nicht reagierte, wurden die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen aus der Beitragsbemessungsgrenze bestimmt. Die Beklagte hat weitere Beitragsbescheide übermittelt (vom 07.08.2019 und 20.12.2019), welchen jeweils vorläufig Höchstbeiträge festgesetzt wurden, da der Kläger keine Einkommensnachweise vorgelegt hatte.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23.09.2020 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig soweit der gleiche Sachverhalt wie im Verfahren S 50 KR 306/13 betroffen sei. Zudem sei die Erklärung zum Beitritt in die freiwillige Versicherung im Jahr 1996 zumindest konkludent abgegeben worden. Hinsichtlich der Beitragsfestsetzung ab 01.01.2018 sei die Klage unbegründet.
4. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, er habe im Prozess im Jahr 2013 eine Erledigterklärung nicht abgeben wollen. Zu keinem Zeitpunkt habe er eine freiwillige Mitgliedschaft abschließen wollen. Die Beklagte könne sich nicht auf die Aufbewahrungsfristen oder auf einen konkludenten Vertragsabschluss berufen. Der Kläger öffne seit Jahren keine Post der Beklagten mehr.
Der Senat hat mit gerichtlichen Hinweis auf die mangelnden Erfolgsaussichten der Berufung hingewiesen.
Die Beklagte hat weitere Beitragsbescheide (vom 29.06.2020, 03.08.2020, 16.01.2021 und 28.07.2021) vorgelegt.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger nochmals mitgeteilt, seit Jahren keine Post der Beklagten mehr zu öffnen und eine Tüte mit ungeöffneten Briefen vorgezeigt. Die Beklagte hat versichert, bei Vorlage der Einkommensunterlagen die streitgegenständlichen Bescheide im Hinblick auf die Beitragshöhe zu überprüfen und anzupassen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.09.2020 aufzuheben ebenso wie die Bescheide vom 19.12.2017, 18.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 04.10.2018 und ebenso die Bescheide vom 21.06.2019, 07.08.2019, 20.12.2019, 29.06.2020, 03.08.2020, 16.01.21 und 28.07.2021 sowie darüber hinaus festzustellen, dass ab 01.11.1996 keine freiwillige Versicherung des Klägers bei der Beklagten bestanden hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Gerichtsakten beider Instanzen sowie im Verfahren S 50 KR 206/13 und die Verwaltungsakte der Beklagten. Auf diese wird ergänzend Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 144, 151 SGG) ist unbegründet.
Im Ergebnis zutreffend hat das SG die Klage abgewiesen, da die angegriffenen Bescheide, mit denen die Beklagte die Mitgliedschaft ab dem 01.11.1996 im Überprüfungsverfahren bestätigt und die Beitragshöhe ab dem 01.01.2018 festgesetzt hat, rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinem Rechten verletzen. Der Senat schließt sich nach vollumfänglicher Überprüfung und eigener Wertung insoweit den Sach- und Rechtsausführungen des SG an (§ 153 Abs. 2 SGG) und ergänzt zur Vermeidung von Wiederholungen in der gebotenen Kürze wie folgt:
1. Es wird festgestellt, dass die Mitgliedschaft nach § 9 SGB V ab dem 01.11.1996 besteht. Dies gilt obgleich der Antrag des Klägers vom 22.11.1996, auf den sich der Bescheid der Beklagten vom 02.12.1996 bezieht, nicht aktenkundig ist (dazu a)), da die Gesamtumstände den Abschluss eines Versicherungsverhältnisses nachweisen (dazu b)). Selbst wenn 1996 kein Versicherungsverhältnis zustande gekommen wäre, hätte eine beitragspflichtige Versicherungspflicht spätestens seit 2009 bestanden (dazu c), d) und e)).
a) Die Beklagte hätte den Antrag des Klägers 30 Jahre aufbewahren müssen, da er die Versicherungspflicht feststellt (§ 288 S.2 SGB V).
Sozialdaten dürfen nur zweckgebunden verarbeitet werden (§ 284 Abs. 1 SGB V). Daher sind Angaben, die zur Erfüllung der in § 288 S. 2 SGB V) genannten Zwecke nicht oder nicht mehr erforderlich sind zu löschen. Wie lange eine Aufbewahrung der Daten des Versichertenverzeichnisses im Übrigen erforderlich ist, ist nicht geregelt. In § 304 SGB V, welcher einzelne Aufbewahrungsfristen normiert, wird § 288 SGB V nicht erwähnt. Für das Versichertenverzeichnis sehen die "Grundsätze ordnungsmäßiger Aufbewahrung im Sinne des § 110a SGB IV, Voraussetzungen der Rückgabe und Vernichtung von Unterlagen sowie Aufbewahrungsfristen für Unterlagen für den Bereich der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung" des GKV-Spitzenverbandes v. 18.12.2015 idF v. 28.9.2018 eine Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses vor. Diese lange Aufbewahrungsempfehlung begegnet keinen Bedenken (SG Dresden, GB v. 10.1.2020 - S 5 SF 387/19 DS).
b) Dies bleibt im Ergebnis ohne Folgen, denn es bestehen nach den Gesamtumständen keine Zweifel, dass der Kläger einen entsprechenden Antrag gestellt hat.
Der Kläger hat die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung seiner nach § 9 SGB V abgeschlossenen Mitgliedschaft ca. 20 Jahre bezahlt und bei der Ermittlung der Beitragshöhe durch Übersendung der Nachweise seiner Einkünfte mitgewirkt. Soweit er - erstmals im Jahr 2009 - geltend gemacht hat, er habe sich nie für eine Versicherung entschieden, sondern sei falsch über die Pflicht zu einer Versicherung beraten worden, ist darin ein unbeachtlicher Motivirrtum zu sehen. Ein unzutreffendes Rechtsverständnis von einer Versicherungspflicht für Selbständige vor dem 01.04.2007 führt nicht dazu, dass kein Versicherungsverhältnis zustande gekommen ist. Eine unzutreffende Beratung im Jahr 1996 durch die Beklagte, d.h. ein Verstoß gegen die gesetzlichen Pflichten nach §§ 13ff SGB I, ist weder vorgetragen, noch finden sich dazu Anhaltspunkte in den Akten.
c) Soweit sich der Kläger an dem Begriff der Freiwilligkeit seines Versicherungsverhältnisses stört, sei er auf Folgendes hinwiesen: In Deutschland besteht seit dem 01.04.2007 (mit Übergangsfrist bis 01.01.2009) eine generelle Krankenversicherungspflicht. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll in Deutschland niemand ohne den Schutz einer Kranken- und Pflegeversicherung sein. Mit der Regelung in § 9 SGB V über die freiwillige Versicherung öffnet sich die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für Personen, die nicht so schutzbedürftig sind, dass sie der Versicherungspflicht bedürften, wie beispielsweise Selbständige. Vorwiegend geht es - wie im Fall des Klägers - um den Erhalt eines bestehenden Versicherungsschutzes (Weiterversicherung), der in der Regel kostengünstiger ist als der Wechsel in eine private Versicherung. Die Beiträge zur GKV sind nämlich gesetzlich geregelt und durch die Beitragsbemessungsgrenze gedeckelt. Die "Freiwilligkeit" bezieht sich nicht auf den Versicherungsschutz, dieser ist obligatorisch, sondern erschöpft sich auch für den Personenkreis der Selbständigen in der Wahlmöglichkeit zwischen der GKV und einer privaten Krankenversicherung.
d) Das bestehende Versicherungsverhältnis erfordert nicht, dass der Kläger Versicherungsleistungen von der Beklagten in Anspruch nimmt. Es steht dem Kläger frei, im Leistungsfall GKV-Leistungen trotz bestehenden Versicherungsschutzes abzulehnen.
e) Abschließend wird darauf hingewiesen, dass selbst bei Erfolg des Überprüfungsvertrags vom März 2018 eine Beitragsrückerstattung nur in den Grenzen des § 44 Abs. 4 SGB X möglich wäre, d.h. der vierjährigen Verjährung unterläge. Im Hinblick auf die seit spätestens 2009 bestehende Versicherungspflicht wäre eine Rückerstattung der Beiträge ab 2014 nur dann möglich, wenn der Kläger ab diesem Zeitpunkt ein anderweitiges Versicherungsverhältnis vorweisen könnte. Ein solches hat der Kläger aber zu keinem Zeitpunkt begründet. Die Vorstellung des Klägers, er müsste heute keine Beiträge bezahlen, weil er angeblich im Jahr 1996 über die Versicherungsfreiheit von Selbständigen im Unklaren gelassen wurde, findet im Gesetz keine Stütze.
2. Die von der Beklagten vorläufig festgesetzten Beiträge unter Zugrundelegung der Beitragsbemessungsgrenze entsprechen der Rechtslage (§ 240 SGB V iVm Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler). Auf die Möglichkeit der Überprüfung der Beitragshöhe wird nochmals hingewiesen.
Damit bleibt die Berufung vollumfänglich ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 183 SGG.
Ein Revisionsgrund (§ 160 Abs. 2 SGG) besteht nicht.