Die Beitragspflicht verheirateter freiwillig Versicherter ist verfassungsrechtlich geklärt
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 16.10.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Streitig ist die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung.
Die Klägerin ist als selbständige Rechtsanwältin seit November 2019 bei der Beklagten freiwillig versichert ohne Krankengeldanspruch. Ihr Ehemann sowie die drei gemeinsamen Kinder sind privat versichert. Die Klägerin gab voraussichtliche Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit von monatlich € 100 an, zudem Einkünfte aus Kapitalerträgen in Höhe von monatlich € 50, das Gehalt des Ehemannes beliefe sich auf monatlich ca. € 20.000.
1. Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 16.10.2019 vorläufig den monatlichen Beitrag nach Einkommensermittlung fest (Krankenversicherung (GKV) € 317,63 zzgl. Zusatzbeitrag € 15,88, Pflegeversicherung (SPV) € 69,20 €, gesamt € 402,71). Bei der Berechnung legte die Beklagte das Einkommen der Klägerin von monatlich € 100 zugrunde sowie ein halbes Familieneinkommen iH von € 8.483,71.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein mit dem Argument, ein Familieneinkommen von € 16.967,42 dürfe nicht angenommen werden. Der privat versicherte Ehemann sei herauszurechnen. Die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BeitrVerfsGS) seien insoweit rechtswidrig. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2020 zurück. Nach der geltenden Rechtslage sei die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen, daher auch die Einnahmen des Ehemannes. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz könne nicht gesehen werden.
2. Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben mit dem Begehren, das Ehegatteneinkommen nicht anzurechnen. Die BeitrVerfGS seien nicht durch eine richtige Ermächtigungsnorm gedeckt, es sei die Rechtsstaatlichkeit verletzt wie auch das Gleichheitsgebot.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16.10.2020 abgewiesen. Das Abstellen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
3. Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und wiederholend und vertiefend ihre Rechtsansichten geltend gemacht. Das Beitragsrecht der GKV verstoße gegen den Vorbehalt des Gesetzes und habe keine verfassungsmäßige Grundlage. Es liege ein nicht gerechtfertigter Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG und den Gleichheitsgrundsatz vor. Dabei sei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Steuersplitting zu beachten. Zudem bestünden datenschutzrechtliche Bedenken.
Der Senat hat die Klägerin mit Schreiben vom 09.03.2021 auf die mangelnden Erfolgsaussichten der Berufung hingewiesen.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 09.01.2021 die Beiträge für 2019 endgültig festgelegt, mit Bescheiden von 02.01.2020 und 28.12.2020 für 2020 vorläufig.
Schriftsätzlich hat die Klägerin um die Zulassung der Revision gebeten aufgrund einer angeblichen Unvereinbarkeit des GKV-Beitragsrechts für freiwillig Versicherte mit dem Grundgesetz. In der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin nicht erschienen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 16.10.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 16.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2020 zu verpflichten, eine Beitragsbemessung ohne Anrechnung von Ehegatteneinkommen vorzunehmen:
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten. Auf diese wird ergänzend Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 144, 151 SGG) ist unbegründet.
Die Klägerin ist durch eine Beitragsbemessung auf der Grundlage des geltenden Rechts nicht in ihren Rechten verletzt. Da das Begehren und die Argumentation der Klägerin in den letzten zwei Jahrzehnten bereits Gegenstand unzähliger Rechtsstreitigkeiten in allen Instanzen gewesen ist, wird hier in der gebotenen Kürze auf den Vortrag der Klägerin eingegangen und im Übrigen auf das erstinstanzliche Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG) sowie auf die gefestigte Rechtsprechung verwiesen. Das Beitragsrecht der GKV/SPV entspricht dem rechtstaatlich gebotenen Vorbehalt des Gesetzes (dazu 1.). Ein Verfassungsverstoß ist weder im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG (dazu 2.) noch auf Art. 3 GG (dazu 3.) erkennbar. Die Vorschriften des Datenschutzes sind eingehalten (dazu 4.).
1. Die Klägerin hat sich für eine freiwillige Versicherung in der GKV/SPV entschieden. Das Beitragsrecht für freiwillig Versicherte ist in §§ 223, 250 Abs. 2 SGB V, §§ 59 Abs. 4, 60 Abs. 1 S. 1 SGB XI geregelt, die Beitragsbemessung in §§ 240 SGB V, 57 Abs. 4 SGB XI. Der Gesetzgeber drückt mit diesen Regelungen eindeutig seinen Willen aus, die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines freiwillig Versicherten bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigten (BT-Drs. 16/3100, S. 163). Dabei besteht stets eine Deckelung durch die Beitragsbemessungsgrenze.
§ 240 Abs. 1 S. 1 SGB V ermächtigt den Spitzenverband Bund zur Ausarbeitung von Details der Beitragsbemessung. Es ist seit Dezember 2012 wiederholt höchstgerichtlich entschieden und ausführlich begründet worden, dass die BeitrVerfGS mit § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V vereinbar und verfassungsrechtlich auch im Hinblick auf die demokratische Legitimation des GKV-Spitzenverbands nicht zu beanstanden sind. Die Grenzen des § 240 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 - 5 SGB V sind eingehalten (BSG v. 19.12.2012 - B 12 KR 20/11 R; BSG v. 18.12.2013 - B 12 KR 24/12 R; BSG v. 18.12.2013 - B 12 KR 15/11 R; BSG v. 18.12.2013 - B 12 KR 3/12 R; BSG v. 18.12.2013 - B 12 KR 8/12 R; BSG v. 15.10.2014 - B 12 KR 10/12 R).
2. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG (in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip) ist nicht ersichtlich.
Der Senat schließt sich zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Prüfung den Ausführungen der Instanzurteile an (bspw. zu den aktuelleren Entscheidungen SG Duisburg, Urteil vom 25.10.2017 - S 31 KR 197/17 WA, LSG Hessen, Urteil vom 10.08.2017 - L 8 KR 406/16; LSG NRW, Urteil vom 24.07.2019, L 10 KR 812/17; LSG Hamburg, Urteil vom 12.12.2019 - L 1 KR 130/18). Entgegen des Vortrags der Klägerin hat auch das BSG nicht nur zur Berücksichtigung der Kinder im Rahmen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entschieden (bspw. Urteil vom 15.08.2019 zum Familienlastenausgleich - B 12 KR 8/17 R), sondern auch vielfach zur Anrechnung des Ehegatteneinkommens (noch zum Satzungsrecht: Urteil vom 24.02.2002 - B 7/1 A 1/00 R, Urteil vom 28.09.2011 - B 12 KR 9/10 R, Urteil vom 28.05.2015 - B 12 KR 15/13 R; Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 21/14 R; im Rahmen von Nichtzulassungsbeschwerden bspw: B 12 KR 89/17 B). Den Rechtsausführungen dieser Urteile schließt sich der Senat ebenfalls nach eigener Überprüfung an.
Soweit die Klägerin die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Ehegattensplitting (BVerfG, Beschluss vom 17.01.1957, 1 BvL 4/5) heranzieht, wird sie darauf hingewiesen, dass ein "Grundsatz zur Einzelverbeitragung" im Sozialrecht nicht existiert. Im Recht der GKV wird stets auf die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung der Schutzbedürftigkeit einerseits und des sozialen Ausgleichs andererseits abgestellt (vgl. dazu BVerfG, bspw: Beschluss vom 03.02.1993 - 1 BvR 1920/93, Urteil vom 12.02.2003, 1 BvR 624/01).
3. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor; eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist nicht erkennbar.
Die Gruppen der Eheleute und der nichtehelichen Lebensgemeinschaften sind bereits deshalb nicht homogen, da nur in der Ehe zivilrechtliche Unterhaltsverpflichtungen einer Verantwortungs- und Unterhaltsgemeinschaft bestehen (§§ 1353, 1356, 1357, 1360 BGB) und die Vorteile der GKV (bspw. die Möglichkeit der beitragsfreien Familienversicherung nach § 10 SGB V) nur verheirateten Paaren zustehen. Soweit die Klägerin argumentiert, dass im Recht der Arbeitssuchenden/Sozialhilferecht sog. Bedarfsgemeinschaften ebenfalls als Verantwortungsgemeinschaften gewertet werden, führt dieser Vortrag weder zum erstrebten klägerischen Ziel, noch würdigt er die grundsätzlichen Unterschiede zwischen einem steuerfinanzierten Fürsorgesystem (SGB II/XII) und dem Sozialversicherungssystem (SGB V/XI). Ergänzend wird auf die Ausführungen zu Art. 3 GG in den unter 2. zitierten Urteilen verwiesen.
4. Die Grenzen des (Sozial-)Datenschutzes sind eingehalten.
Zwar fällt der Steuerbescheid unter die Sozialdaten gemäß § 67 Abs. 2 SGB X, jedoch ist die Erhebung erforderlich iS des § 22 BDSG und durch die Ermächtigungsnorm des § 284 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V gedeckt (ausführlich zum Verbot mit Erlaubnisvorbehalt iR der DS-GVO: BSG, Urteil vom 18.12.2018 - B 1 KR 31/17 R); für die Feststellung der Beitragspflicht und der Beiträge, deren Tragung und Zahlung dürfen Sozialdaten erhoben und gespeichert werden. Dies kann nicht nur Daten Versicherter erfassen, sondern ebenso Daten Dritter.
Damit bleibt die Berufung vollumfänglich ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt der Entscheidung in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG). Insbesondere ist unter Bezugnahme auf die umfangreiche höchstgerichtliche Rechtsprechung eine Grundsätzlichkeit der Rechtsfrage der Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung freiwillig Versicherter nicht gegeben.