Zur Anrechnungsregel in § 97 SGB VI hinsichtlich einer Witwerrente bei Bezug einer eigenen Rente aus einer berufsständischen Versorgung (Ärzteversorgung), auch in Abgrenzung zum Beamtenrecht.
Landessozialgericht Baden-Württemberg
Im Namen des Volkes
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 9. November 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Witwerrente.
Der 1948 geborene Kläger, der als Arzt tätig war, bezieht seit Juni 2013 von der Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte Baden-Württemberg eine Rente. Diese beträgt ab Dezember 2020 monatlich 4.326,36 Euro.
Die 1940 geborene Ehefrau des Klägers, G (im folgenden G.), verstarb am 27.11.2020. Sie bezog seit 2001 von der Beklagten eine Altersrente für Frauen, zuletzt in Höhe von monatlich 929,78 Euro.
Der Kläger beantragte am 10.12.2020 bei der Beklagten die Gewährung einer großen Witwerrente.
Nach Eingang der notwendigen Unterlagen erließ die Beklagte am 09.03.2021 einen Rentenbescheid. Sie bewilligte eine große Witwerrente beginnend am 01.12.2020. Die Nachzahlung für die Zeit vom 01.12.2020 bis 28.02.2021 betrage 588,54 Euro unter Berücksichtigung der zu leistenden Rente inkl. Zuschuss zur privaten Krankenversicherung und abzüglich bereits geleisteter Zahlungen. Die Rente treffe mit Einkommen zusammen, dieses sei jedoch bis zum Ende des dritten Monats, in dem der Ehegatte verstorben sei, nicht anzurechnen. Ab dem 01.03.2021 sei die Rente nicht (mehr) zu zahlen, weil das anzurechnende Einkommen von 840,25 Euro höher sei als die monatliche Rente. Dem Bescheid waren Anlagen zur Berechnung beigefügt.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 22.03.2021 Widerspruch. Er trug im Wesentlichen vor, es liege eine Unverhältnismäßigkeit und Ungleichbehandlung mit Pensionen vor. Beamte erhielten 20 % des verstorbenen, beamtet gewesenen Partners, während der Sozialversicherte bzw. der Versicherte eines Versorgungswerkes nichts erhalte. Diese Regelung zur Begünstigung der Beamten sei sittenwidrig. Seine Ehe sei eine Zugewinngemeinschaft gewesen. Er stimme keiner Regelung zu, die die Verkürzung des Rentenanspruchs - Abbildung der Lebensleistung - zu begründen versuche. Der Wegfall der Rente seiner verstorbenen Ehefrau resultiere in einem Absturz an Lebensqualität, die durch die weiterlaufenden Kosten für die notwendige Erhaltung des bisherigen Lebensrahmens bedroht werde.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.06.2021 als unbegründet zurück. Der angefochtene Bescheid entspreche der Sach- und Rechtslage und sei nicht zu beanstanden. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass nach § 46 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 Sechstes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI) Witwer, die nicht wieder geheiratet hätten, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt habe, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie das 47. Lebensjahr vollendet hätten, hätten. Gemäß § 67 Satz 1 Nr. 6 SGB VI betrage der Rentenartfaktor bei großen Witwenrenten und großen Witwerrenten bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats, in dem der Ehegatte verstorben ist, 1,0, anschließend 0,55. Bei Ehen, die vor dem 01.01.2002 geschlossen worden seien, betrage der Rentenartfaktor für die große Witwen- und Witwerrente 0,6. Dies bedeute für den vorliegenden Fall, dass die Witwerrente in den ersten drei Monaten, nachdem der Ehegatte verstorben sei, in voller Höhe der Rente des Verstorbenen, danach in Höhe von 60 % der Versichertenrente geleistet werden könne. Allerdings sei auf die Witwerrente gemäß § 97 Abs. 1 SGB VI Einkommen (§ 18a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch [SGB IV]) von Berechtigten, das mit einer Witwenrente, Witwerrente oder Erziehungsrente zusammentreffe, anzurechnen. Dies gelte nicht bei Witwenrenten oder Witwerrenten, solange deren Rentenartfaktor mindestens 1,0 betrage. Anrechenbar sei nach § 97 Absatz 2Satz 1 SGB VI das Einkommen, das monatlich das 26,4fache des aktuellen Rentenwerts übersteige. Das nicht anrechenbare Einkommen erhöhe sich um das 5,6fache des aktuellen Rentenwerts für jedes Kind des Berechtigten, das Anspruch auf Waisenrente habe oder nur deshalb nicht habe, weil es nicht ein Kind des Verstorbenen sei. Von dem danach verbleibenden anrechenbaren Einkommen würden 40 vom Hundert angerechnet. Das Einkommen des Klägers führe dazu, dass ab dem 01.03.2021 keine Witwerrente mehr zu zahlen sei. Zur genauen Berechnung der Witwerrente unter Berücksichtigung des anzurechnenden Einkommens werde auf die Anlage "Zusammentreffen von Rente und Einkommen" zum Rentenbescheid vom 09.03.2021 verwiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 21.06.2021 Klage zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben und sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, an der Rentenberechnung sei wohl nach den Regeln selbst nicht auszusetzen. Es liege aber eine Ungleichheit in der Rentenberechnung vor. Während dem Beamten 20 % der Pension des verstorbenen, beamtet gewesenen Partners zugesprochen werde, erhalte er nichts. Dies verstoße gegen Art. 3 Grundgesetz (GG). Gesetze von Beamten für Beamte seien nicht hinnehmbar.
Das SG hat nach vorheriger Anhörung die Klage mit Gerichtsbescheid vom 09.11.2021 abgewiesen. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Aufhebung der angegriffenen Bescheide und Gewährung einer Witwerrente. Zur Begründung verweise das Gericht auf die Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid und die dem Ausgangsbescheid angefügte Berechnung. Dort seien die maßgeblichen Vorschriften genannt und der ermittelte Sachverhalt einer zutreffenden rechtlichen Würdigung unterzogen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe sehe man gem. § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ab. Fehler in dieser Berechnung seien nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen. Ergänzend weise man darauf hin, dass ein Verstoß gegen Art. 3 GG nicht ersichtlich sei. § 97 SGB VI enthalte eine allgemeine Anrechnungsregel, die grundsätzlich für alle gelte. Beamtenrechtliche Ansprüche kämen hier nicht in Betracht, da die verstorbene Ehefrau nicht verbeamtet gewesen sei. Besondere Regeln zum Beamtenrecht verstießen nicht gegen Art. 3 GG, sie seien vielmehr grundsätzlich Ausfluss des verfassungsrechtlich verankerten öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis nach Art. 31 Abs. 4, 5 GG. Der unsachliche Vortrag des Klägers lasse nicht ansatzweise erkennen, weshalb hier eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vorliegen solle. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte geltende Gesetze zu ändern. Diese Aufgabe sei nach der Rechtsordnung den Parlamenten vorbehalten. Wenn der Kläger die beamtenrechtliche Versorgung ändern wolle, so könne er sich mit dieser Auffassung in die demokratische Willensbildung einbringen und versuchen Mehrheiten für seine Ansichten zu gewinnen.
Gegen den ihm mit Postzustellungsurkunde am 11.11.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10.12.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben und sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 9. November 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 9. März 2021 und des Widerspruchsbescheids vom 3. Juni 2021 zu verpflichten, ihm über den 28. Februar 2021 hinaus eine große Witwerrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die angefochtenen Bescheide und führt ergänzend aus, dass die Berechnung der Witwerrente gemäß den gesetzlichen Vorgaben erfolgt sei. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG sei nicht ersichtlich.
Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 07.02.2022 (Beklagte) bzw. vom 09.02.2022 (Kläger) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden konnte, ist auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 09.11.2021 und der Bescheid 09.03.2021 sowie der Widerspruchsbescheid vom 03.06.2021 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer großen Witwenrente.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend unter Verweis auf den streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid der Beklagten die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte große Witwerrente (§ 46 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch <SGB VI>) dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf große Witwerrente hier nicht besteht, weil aufgrund der vom Kläger von der Versorgungsanstalt der Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte bezogenen Rente die maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen des § 97 SGB VI überschritten sind. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG und §136 Abs. 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zurück.
Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht der Vortrag im Berufungsverfahren. Insbesondere bestehen auch nach Überzeugung des Senats keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf die gesetzliche Hinterbliebenenrente. Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits entschieden hat, berühren die Regelungen zur Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf die gesetzliche Hinterbliebenenrente nicht die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie des Art. 14 GG (BVerfG, Beschluss vom 18.02.1998 – 1 BvR 1318/86 –, BVerfGE 97, 271-297). Zwar können zu den von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen grundsätzlich auch öffentlich-rechtliche Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung gehören (vgl BVerfG, 1980-02-28, 1 BvL 17/77, BVerfGE 53, 257 <289f>). Nach der Konzeption des Gesetzgebers ist die Hinterbliebenenversorgung dem Versicherten jedoch nicht als "seine Rechtsposition" zugeordnet. Sie steht auch nach Ablauf der Wartezeit und Eintritt des Versicherungsfalles unter der weiteren Voraussetzung, dass der Versicherte zu diesem Zeitpunkt in gültiger Ehe lebt. Er hat also lediglich die Aussicht auf die Leistung, die mit Auflösung der Ehe oder Vorversterben des Partners entfällt. Die Hinterbliebenenversorgung beruht auch nicht auf einer dem Versicherten zurechenbaren Eigenleistung (vgl. BVerfG, 1995-07-04, 1 BvF 2/86, BVerfGE 92, 365 <405>). Wenngleich die Hinterbliebenenrente aus Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber finanziert wird, so fehlt es dennoch an einem hinreichenden personalen Bezug zwischen der Beitragsleistung des Versicherten und der später an seine Hinterbliebenen geleisteten Rente. Jeder Versicherte trägt über seinen Beitrag gleichermaßen zur Versorgung aller Hinterbliebenen bei, ohne dass der verheiratete Versicherte - trotz der erhöhten Wahrscheinlichkeit, dass seine Hinterbliebenen Rente erhalten - einen an diesem Risiko ausgerichteten Beitrag leisten muss (vgl. BVerfG, 1978-06-06, 1 BvR 102/76, BVerfGE 48, 346 <357f>). Ferner stellt die Hinterbliebenenrente eine vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistung dar, zumal sie ohne eigene Beitragsleistung des Rentenempfängers und ohne erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt wird, (vgl BVerfG, 1987-09-30, 2 BvR 933/82, BVerfGE 76, 256 <300f>).
Entgegen des Vortrages des Klägers gebietet auch Art 3 Abs. 1 GG nicht, die Anrechnung von Einkommen auf Versorgungsleistungen für die Alterssicherungssysteme "berufsständische Versorgung" und "Beamtenversorgung" in gleicher Weise zu regeln, da - abgesehen vom Ziel der angemessenen Sicherung des Lebensstandards im Alter - zwischen beiden Systemen Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie verschiedene Regelungen zur Anrechnung von Einkommen in beiden Rechtsgebieten rechtfertigen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 18.02.1998 - 1 BvR 1318/86 -, BVerfGE 97, 271-297; BVerfG, Beschluss vom 02.10.1991 - 1 BvR 1281/91 - NVwZ-RR 1992, S. 384 <385>). Die Beamtenversorgung geht vom Prinzip der amtsangemessenen Alimentation aus. Sie wird aus Steuern finanziert und vom Dienstherrn geleistet. Verfassungsrechtlich ist sie in Art. 33 Abs. 5 GG verankert (vgl. BVerfGE 76, 256 <298 f.>). Dagegen ist die berufsständische Versorgung wie auch die gesetzliche Rentenversicherung eine Pflichtversicherung, die von öffentlich-rechtlichen Körperschaften durchgeführt wird. Ihre Ansprüche werden durch die Beiträge der Versicherten gedeckt und sind vom Gedanken des sozialen Ausgleichs geprägt. Im Übrigen bleiben auch Ansprüche aus der Beamtenversorgung nicht von einer Anrechnung anderer Leistungen verschont (vgl. z.B. § 53a bis § 55 Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter des Bundes [BeamtVG]). Diese unterliegt jedoch anderen Voraussetzungen als die Anrechnung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Derartige Unterschiede bleiben innerhalb der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (BVerfG, Beschluss vom 18.02.1998 – 1 BvR 1318/86 –, BVerfGE 97, 271-297, Rn. 96). Daher bestand auch kein Anlass das Verfahren an das BVerfG vorzulegen (Art. 100 GG).
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).