S 25 KG 458/20

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
25
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 25 KG 458/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

SOZIALGERICHT ALTENBURG

 

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Im Namen des Volkes

URTEIL

In dem Rechtsstreit

           ……….,

           ………..

- Kläger -

gegen

           ………..,

           ……….

           ……………,

           …………..

- Beklagte -

hat die 25. Kammer des Sozialgerichts Altenburg durch ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht Wohlfart, sowie die ehrenamtliche Richterin Köhler und den ehrenamtlichen Richter Kästel ohne mündliche Verhandlung am 6. Juli 2021 für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung von Kindergeld für sich selbst.

Der 1996 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste im Oktober 2015 nach Deutschland ein. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. März 2016 wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Am 26. April 2016 wurde ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Seit dem 18. September 2019 absolviert der Kläger eine Berufsausbildung zum Fachinformatiker.

Der Kläger beantragte im November 2019 die Gewährung von Kindergeld für sich selbst. Im Antrag gab er an, sein Vater sei verstorben und der Aufenthaltsort seiner Mutter sei ihm nicht bekannt. Es habe zuletzt am 1. Juli 2019 Kontakt per Telefon, E-Mail oder SMS zu ihr bestanden.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18. Dezember 2019 ab. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, in dem er angab, bereits seit einem Jahr keinen Kontakt mehr zu haben.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2020 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, Anspruch auf Kindergeld für sich selbst habe nur, wer Vollwaise sei oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kenne. Ein Kindergeldanspruch bestehe bereits dann nicht, wenn der Antragsteller es grob fahrlässig oder vorsätzlich unterlasse, Hinweisen über den Aufenthalt der Eltern nachzugehen. Der Kläger habe nicht, wie erforderlich, glaubhaft dargelegt, dass er trotz Bemühungen den Aufenthaltsort seiner Eltern nicht kenne. Die Angabe im Widerspruchsschreiben, seit einem Jahr keinen Kontakt zur Mutter zu haben, stimme nicht mit den bisherigen Angaben überein. Der bloße Aufenthalt der Eltern im Ausland, verbunden mit dem Unvermögen, dem Kind Unterhalt zu leisten, begründe keinen Anspruch des Kindes auf Kindergeld für sich selbst.

Dagegen richtet sich die am 14. Februar 2020 erhobene Klage. Der Kläger trägt vor, er habe zuletzt im Januar 2019 telefonischen Kontakt zu seiner Mutter gehabt, die ihm die Zerstörung ihres Hauses und die Flucht nach Süden mitgeteilt habe. Im Juli 2019 habe ihm seine in Kanada lebende Schwester vom Erhalt einer E-Mail der Mutter berichtet. Diesen Sachverhalt habe er mit dem letzten Kontakt gemeint. Seitdem bestehe kein Kontakt mehr. Auf eine E-Mail der Schwester sei keine Antwort der Mutter mehr erfolgt. Er legt eine Stellungnahme seiner Schwester vor, in der diese den Sachverhalt bestätigt und außerdem angibt, Versuche, andere Dorfbewohner zu erreichen, seien ergebnislos geblieben, da das Telefonnetz fast überall zerstört und die vorhandenen Mobilnummern nicht mehr aktuell seien. Der Kläger hat auf Nachfrage erklärt, im Februar/März 2019 mit einem Schulfreund telefoniert zu haben, dessen Erkundigungen bei anderen Einwohnern jedoch keine weiteren Informationen über den Verbleib der Mutter ergeben hätten, und eine Suchanfrage beim Deutschen Roten Kreuz nicht gestellt zu haben. Von dieser Möglichkeit habe er erst durch die gerichtliche Anfrage vom 27. Oktober 2020 erfahren. Eine baldige Beendigung des vorliegenden Verfahrens solle nicht durch eine u. U. langwierige Suche hinausgezögert werden. Zudem ende der Kindergeldanspruch ohnehin am 15. Januar 2021 mit Vollendung des 25. Lebensjahres und es sei unmöglich, bis dahin eine Suchanfrage zu stellen oder gar die Mutter zu finden.

Der Kläger beantragt,

            die Beklagte zu verurteilen, den Ablehnungsbescheid vom September 2019 aufzuheben sowie seinem Antrag auf Bewilligung von Kindergeld stattzugeben.

Die Beklagte beantragt,

            die Klage abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, der Kindergeldanspruch sei mangels ausreichender Nachweise über Bemühungen des Klägers, den Aufenthaltsort seiner Mutter zu ermitteln, ausgeschlossen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht hat nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben.

Die Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kindergeld für sich selbst.

Kindergeld für sich selbst erhält nach § 1 Abs. 2 Satz 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG), wer 1. in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, 2. Vollwaise ist oder den Aufenthalt seine Eltern nicht kennt und 3. nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist. Beim Kläger fehlt es an der zweiten der genannten Voraussetzungen.

Der Kenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern ist eine missbräuchliche Unkenntnis gleichzustellen; dieser Fall liegt vor, wenn das Kind die Kenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern zwar tatsächlich noch nicht besitzt, sie sich aber in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe beschaffen kann (vgl. Dau, in: jurisPR-SozR 11/2016 Anm. 3, sowie Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. Juni 2016, Az. L 5 KG 1/15, Rn. 34 ff. m. w. N., juris). Welche Bemühungen insoweit zu verlangen sind, kann dahinstehen, weil vorliegend aufgrund der gegebenen Umstände bereits nicht auszuräumende Zweifel daran verbleiben, dass der Kläger den Aufenthaltsort seiner Mutter nicht kennt. Hierfür trägt der Kläger aber die objektive Beweislast.

Die Zweifel beruhen insbesondere darauf, dass der Kläger, auch nachdem er vom Gericht auf den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes hingewiesen worden ist, seit Monaten damit zögert, dort eine Anfrage zu stellen. Die Einschaltung des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes ist mit keinem erheblichen Aufwand verbunden und die Erfolgsquote ist hoch. Kennt ein geflüchteter junger Mensch den Aufenthaltsort eines im Herkunftsland zurückgebliebenen Elternteils nicht, ist in der Regel davon auszugehen, dass er zumindest alle ihm zur Verfügung stehenden, mit keinem hohen Aufwand und keiner Gefährdung verbundenen Möglichkeiten nutzt, um ein Lebenszeichen zu erhalten. Geschieht dies, wie vorliegend, nicht, und gibt es, wie hier, auch keine Anhaltspunkte für ein fehlendes Interesse am Schicksal des Elternteils, lässt sich als Erklärungsmöglichkeit eines solchen Verhaltens nicht ausschließen, dass der Aufenthalt tatsächlich nicht unbekannt ist. Die Zweifel werden noch dadurch bestärkt, dass erstmals im Widerspruchsschreiben Angaben zu versuchten Kontaktaufnahmen mit Freunden und Bekannten in Syrien, für die es im Übrigen keine Belege gibt, erfolgt sind, obwohl bereits im Antragsverfahren nach Bemühungen gefragt wurde, den Aufenthaltsort festzustellen.

Darauf, ob die Mutter des Klägers in Syrien noch einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, kommt es nicht an. Lebende Elternteile eines Kindes stehen den verstorbenen Eltern einer Waise nicht gleich, nur weil sie an ihren jeweiligen, ohne weiteres zu ermittelnden Aufenthaltsorten keine dem deutschen Zustellungsrechts genügende Adresse haben (Dau a. a. O.). Hierfür gibt es im Gesetz keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr handelt es sich um eine bewusst eng gefasste Ausnahmeregelung (a. a. O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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