SOZIALGERICHT ALTENBURG
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
………..,
………….
- Kläger -
Prozessbevollm.:
…………….,
…………..
gegen
…………….,
………….
…………….,
……………
- Beklagte -
hat die 25. Kammer des Sozialgerichts Altenburg durch ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht Wohlfart, sowie die ehrenamtliche Richterin Köhler und den ehrenamtlichen Richter Plotka ohne mündliche Verhandlung am 20. Oktober 2020 für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Kindergeld für sich selbst.
Der 1996 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste im September 2015 nach Deutschland ein. Mit Bescheid vom 8. Februar 2016 wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Der Kläger beantragte im Juli 2016 die Gewährung von Kindergeld für sich selbst. Im Antrag gab er an, der Aufenthaltsort seiner Eltern sei ihm nicht bekannt. Diese befänden sich noch in Aleppo. Es habe zuletzt Kontakt telefonisch, per E-Mail oder SMS bestanden.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. September 2016 ab und begründete dies damit, die Voraussetzung, dass der Aufenthaltsort der Eltern nicht bekannt ist, liege nicht vor. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein.
Im August 2018 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Kindergeld für sich selbst. Er gab nunmehr an, der Aufenthalt der Eltern sei ihm nicht bekannt. Zum Vater habe er zuletzt im April 2016 telefonisch, per Mail oder SMS Kontakt gehabt, zur Mutter im August 2015 persönlich. Bemühungen, den Aufenthalt der Eltern festzustellen, habe er nicht unternommen. Auf Nachfrage gab er weiter an, bei seinem vorherigen Antrag das Formular falsch verstanden zu haben. Tatsächlich sei ihm der Aufenthalt der Eltern nicht bekannt. Mit Schreiben vom 26. November 2018 wies die Beklagte u. a. auf die Möglichkeit eines Suchauftrags beim Deutschen Roten Kreuz hin. Der Kläger teilte mit, eine Suche über das Deutsche Rote Kreuz würde seine Eltern gefährden.
Die Beklagte lehnte den erneuten Antrag mit Bescheid vom 5. März 2019 ab.
Nach der telefonischen Mitteilung der Antragsablehnung beantragte der Kläger am 5. März 2019 nochmals die Gewährung von Kindergeld für sich selbst. Er gab nunmehr an, zu beiden Eltern habe er zuletzt im September 2015 persönlich Kontakt gehabt. Kontaktversuche habe er nicht unternommen, da sonst die Eltern in Gefahr wären. Der Vater sei 2015 mehrere Male verhaftet worden, weil beide Söhne geflohen seien.
Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. August 2019 ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2019 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, Anspruch auf Kindergeld für sich selbst habe nur, wer Vollwaise sei oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kenne. Ein Kindergeldanspruch bestehe bereits dann nicht, wenn der Antragsteller die Kenntnis vom tatsächlichen Aufenthaltsort der Eltern zwar nicht besitze, sich aber in zumutbarer Weise beschaffen könne. Es solle dem Betreffenden nicht überlassen bleiben, den Kindergeldanspruch dadurch zu begründen, dass er die Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis zum Aufenthaltsort der Eltern verschließe. Dies sei der Fall, wenn auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten nicht wahrgenommen würden. Eine nahe liegende Möglichkeit, den Aufenthaltsort der Eltern zu ermitteln, bestehe etwa darin, sich an den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes zu wenden oder bei Behörden nachzufragen. Ein Nachweis dafür, dass eine Recherche über das Deutsche Rote Kreuz oder andere Einrichtungen die Eltern gefährden würde, sei nicht erbracht worden. Da bei der Familienkasse in ähnlichen Fällen bereits entsprechende Anfragen gestellt worden seien, sei dies zu bezweifeln.
Dagegen richtet sich die am 12. September 2019 erhobene Klage. Der Kläger hält den Vorwurf, er habe keine Anstrengungen unternommen, um den Aufenthaltsort seiner Eltern zu ermitteln oder Kontakt zu ihnen aufzunehmen, für nicht gerechtfertigt. Er habe nachweislich versichert, dass er durch eine Suche nach seinen Eltern diese in Gefahr bringen würde. Eine missbräuchliche Unkenntnis liege insofern nicht vor. Nach den Gesetzesmaterialien habe die streitige Vorschrift die Fälle im Blick, in denen niemand die Elternstelle i. S. d. Kindergeldrechts eingenommen habe. Genau dies sei hier der Fall. Es bestehe keine Möglichkeit, die Eltern zur Leistung von Unterhalt zu verpflichten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 1. August 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2019 zu verurteilen, ihm Kindergeld nach den gesetzlichen Vorschrift zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, bei der Inanspruchnahme des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes sei eine Gefährdung von Leib und Leben der Eltern auszuschließen. Darüber hinaus hält sie es auch für zumutbar, über Verwandte, Freunde und ehemalige Nachbarn Informationen über den Aufenthaltsort der Eltern einzuholen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht hat nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben.
Die Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 1. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kindergeld für sich selbst.
Kindergeld für sich selbst erhält nach § 1 Abs. 2 Satz 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG), wer 1. in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, 2. Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt und 3. nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist. Beim Kläger fehlt es an der zweiten der genannten Voraussetzungen.
Der Kenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern ist eine missbräuchliche Unkenntnis gleichzustellen; dieser Fall liegt vor, wenn das Kind die Kenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern zwar tatsächlich noch nicht besitzt, sie sich aber in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe beschaffen kann (vgl. Dau, in: jurisPR-SozR 11/2016 Anm. 3, sowie Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. Juni 2016, Az. L 5 KG 1/15, Rn. 34 ff. m. w. N., juris).
So verhält es sich hier, da sich der Kläger jeglichen Bemühungen, den Aufenthaltsort seiner Eltern in Erfahrung zu bringen, verschließt. Selbst nach dem ausdrücklichen Hinweis der Beklagten im Schreiben vom 26. November 2018 hat er sich nicht um eine Einschaltung des internationalen Suchdienstnetzwerks des Deutschen Roten Kreuzes bemüht. Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass eine Gefährdung von Leib und Leben der Eltern durch eine solche Suche fernliegend ist. Insbesondere hätte der Kläger von der Möglichkeit Gebrauch machen können, eine Übermittlung von Daten an syrische Behörden auszuschließen. Da allerdings den syrischen Behörden nach Angaben des Klägers bereits bekannt ist, dass dieser aus dem Land geflohen ist, ist ohnehin nicht ersichtlich, inwiefern das Bekanntwerden von Suchaktivitäten zu einer Gefährdung der Eltern führen sollte. Die Einschaltung des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes ist mit keinem erheblichen Aufwand verbunden und die Erfolgsquote ist hoch. Der Kläger hat auch nicht dargelegt, weshalb der Aufenthaltsort der Eltern nicht über noch in Syrien befindliche Freunde oder Bekannte in Erfahrung zu bringen ist. Ob, wie vom Kläger in seinem ersten Antrag vom Juni 2016 angegeben, noch Kontakt per Telefon, E-Mail oder SMS besteht, der es ermöglichte, den Aufenthaltsort unmittelbar bei den Eltern zu erfragen (vgl. dazu Dau a. a. O.), kann insofern dahinstehen.
Darauf, ob die Eltern des Klägers in Syrien noch einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, kommt es nicht an. Lebende Elternteile eines Kindes stehen den verstorbenen Eltern einer Waise nicht gleich, nur weil sie an ihren jeweiligen, ohne weiteres zu ermittelnden Aufenthaltsorten keine dem deutschen Zustellungsrecht genügende Adresse haben (Dau a. a. O.). Hierfür gibt es im Gesetz keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr handelt es sich um eine bewusst eng gefasste Ausnahmeregelung (a. a. O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.