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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen |
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Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aurich vom 19. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen aufgrund der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 23. Januar 2015 sowie auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Mit einem am 2. März 2015 erstatten Durchgangsarztbericht sowie Zwischenberichten vom 17. März 2015 und 25. März 2015 teilte Dr. I., Chirurgie, J. -Klinik K., der Beklagten mit, dass der L. geborene Kläger am 23. Januar 2015 in der Werkshalle während der Arbeit eine Kiste angehoben und seitdem Schmerzen im linken Ellenbogen habe. Eine ambulante Behandlung habe bereits beim Werkssanitäter stattgefunden, es habe sich jedoch keine Besserung eingestellt. Als Befund seien ein Druckschmerz über den Radiusköpfchen sowie Schmerzen bei der Supination erhoben worden. Als Erstdiagnose sei der Verdacht auf eine Epicondylitis radialis links erhoben worden.
Die Beklagte teilte Dr. I. mit Schreiben vom 12. März 2015 mit, dass dieser ab sofort keine Behandlung zu Lasten der Unfallversicherung durchführen solle, weil kein Unfallereignis vorliege.
Mit Zwischenberichten vom 17. März 2015 und 25. März 2015 teilte er der Beklagten daraufhin mit, die Heilbehandlung dementsprechend abgebrochen zu haben. Es sei mittlerweile die Diagnose einer vollständigen Ruptur der lateralen Extensoren im linken Ellenbogen gestellt worden (so Bericht der Radiologin Dr. M., N., vom 12. März 2015). Am 25. März 2015 habe der Kläger sich nochmals telefonisch gemeldet und angegeben, dass der ursprüngliche Unfallhergang nicht korrekt gemeldet worden sei. Dieser werde dahingehend korrigiert, dass er – der Kläger – während seiner Tätigkeit neben einem Gabelstapler gestanden habe, der Leergutkisten abgeladen habe. Es habe sich um Kisten unterschiedlicher Größe gehandelt. Die Kisten seien wohl aufgrund der Witterungsverhältnisse aneinander festgefroren gewesen. Der Stapler habe eine der größeren Kisten angehoben, wobei sich die darunter befindliche zweite kleinere Kiste gelöst habe. Diese habe er versucht aufzufangen und dadurch einen ruckartigen Schlag bzw. ein ruckartiges Reißen im linken Arm bekommen. Die Beklagte werde gebeten zu prüfen, ob es sich um einen Unfall im Sinne des Gesetzes handele.
Der Kläger hatte sich mittlerweile am 13. März 2015 in Behandlung von Dr. O., J. -Klinikum N., begeben, der mit Bericht vom 18. März 2015 mitteilte, dass unter Würdigung des vom Kläger am 2. März 2015 angegebenen Unfallgeschehens nicht von einem Unfall im Sinne des Gesetzes auszugehen sei. Es habe sich um eine arbeitsübliche Tätigkeit gehandelt, in deren Rahmen es zu einer Schmerzsymptomatik gekommen sei; diese sei nicht unfallbedingt. Die am 12. März 2015 durchgeführte Kernspintomographie des Ellenbogengelenks habe im Rahmen der fachradiologischen Befundung einen Teilabriss der Streckmuskulatur des betroffenen linken Unterarms gezeigt. Sofern die Beklagte keinen Anlass sehe, ein Unfallgeschehen anzunehmen, ende die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit am 13. März 2015.
Die Beklagte holte hierauf von dem Kläger, der mit einem Behandlungsabbruch nicht einverstanden war, eine Unfallschilderung ein, in der dieser den Unfallhergang nochmals inhaltlich gleichlautend seiner Korrektur bei Dr. I. am 25. März 2015 telefonisch beschrieb.
Die Beklagte legte den Aktenvorgang ihrer beratenden Ärztin Dr. P., Chirurgin, vor, die in ihrer Stellungnahme vom 23. April 2015 ausführte, dass von einer Zerrung des linken Ellenbogengelenkes mit einer Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit von einer Woche auszugehen sei.
Mit Bescheid vom 6. Mai 2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass kein Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Krankheit bestehe, weshalb keine Leistungen zu erbringen seien. Der Kläger habe am 23. Januar 2015 einen Arbeitsunfall erlitten, bei dem er sich eine Zerrung des linken Ellenbogengelenks zugezogen habe. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit seien für eine Woche gegeben gewesen. Wegen anhaltender Beschwerden sei am 12. März 2015 ein MRT angefertigt worden. Diagnostiziert worden sei eine Ruptur des lateralen Streckmuskels im Ansatzbereich des Ellenbogens sowie eine Epicondylitis radialis links (Tennisarm). Eine traumatische Verletzung der Strecksehnenmuskulatur setze ein geeignetes Unfallereignis voraus, welches in der Lage sei, den Muskel unphysiologisch zu belasten. Eine Epicondylitis bilde sich u.a. nach längerer einseitiger Beanspruchung. Beides sei bei dem Unfallereignis nicht der Fall gewesen. Bei der festgestellten Ruptur der lateralen Strecksehnenmuskulatur und der Epicondylitis radialis handele es sich um unfallunabhängige Erkrankungen, die nicht auf den Unfall zurückzuführen seien. Die weitere Behandlung erfolge zu Lasten der Krankenkasse.
Mit einer am 6. Mai 2015 erstellten Unfallanzeige bestätigte die Arbeitgeberin des Klägers, die Q. AG, R., der Beklagten den Unfallhergang und führte zum Unfallhergang aus, dass sich beim Herunterheben von Leergutkisten mit dem Gabelstapler eine kleine Kiste (Gewicht ca. 12 kg) verkeilt habe. Der Kläger habe versucht, diese Kiste mit dem Arm zu lösen, wobei es zu einem unverhofften Stoß gekommen sei, der zu einem Stechen im linken Unterarm geführt habe. Eine Abwesenheit aufgrund des Unfalls habe erst später ab dem 2. März 2015 bis voraussichtlich zum 31. Mai 2015 begonnen.
Gegen den ihm zugesandten Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 27. Mai 2015 Widerspruch, den er zusammenfassend dahingehend begründete, dass er vor dem Unfall keinerlei Beschwerden gehabt habe. Dass bei der Erstbehandlung die falsche Diagnose gestellt worden sei, dafür könne er nichts. Von seiner Seite aus sei klar, dass die Beschwerden und die festgestellte Ruptur auf das Unfallereignis vom 23. Januar 2015 zurückzuführen seien.
Am 9. Juni 2015 schilderte der Kläger nochmals den Unfallhergang, wonach er eine Leergutkiste, die sich verkeilt habe, habe wegnehmen wollen, weil diese sich gelöst habe. Dabei habe er das gesamte Gewicht (ca. 10 bis 15 kg) auf den linken Arm bekommen.
Die Beklagte holte einen Auszug aus dem Verbandbuch des Arbeitgebers vom 9. Juni 2015 ein, in dem zum Unfallhergang „Beim Anheben einer Mat. Kiste plötzlicher Schmerz“ angegeben ist. Ferner holte sie eine Auskunft des leitenden Werksarztes Dr. S. vom 16. Juli 2015 ein, der zusammenfassend ausführte, dass am 5. Februar 2015 eine regulär fällige Eignungsuntersuchung für Fahrtätigkeiten bei dem Kläger stattgefunden habe. Im Rahmen der Fahreignungsuntersuchung seien Beschwerden im linken Arm mitgeteilt worden, die das Fahren jedoch nicht beeinträchtigt hätten. Bei der Untersuchung der Fahreignung hätten sich Myogelosen im Bereich der Schulter und ein Druckschmerz im Bereich beider Epicondylen radial gefunden.
Nachdem die Beklagte weitere medizinische Unterlagen von den den Kläger behandelnden Ärzten (u.a. Dr. T., J. -Klinik vom 11. Oktober 2010; Dr. U., Chirurg, V. -Krankenhaus W., vom 11. August 2010; Dr. I. vom 8. September 2015; Dr. X. /Dr. Y., Z. -Hospital, AA., vom 14. Mai 2010) eingeholt hatte, wies sie den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2015 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 13. November 2015 Klage beim Sozialgericht (SG) Aurich erhoben, mit der er die Feststellung weiterer Unfallfolgen (Ruptur des lateralen Streckmuskels im Ansatzbereich des Ellenbogens und Epicondylitis radialis links) sowie die Erbringung von gesetzlichen Leistungen beantragt hat. Zur Begründung seines Anspruchs hat der Kläger sich auf das eingereichte ärztliche Attest des Dr. AB., Internist, AC., vom 15. Dezember 2015 bezogen.
Das SG hat hierauf von Amts wegen das Sachverständigengutachten des Dr. AD. vom 17. Januar 2017 eingeholt, der zusammenfassend zum Ergebnis gelangt ist, dass ein unfallbedingter Primärschaden bei dem Kläger nicht habe gesichert werden können. Der Kläger habe möglicherweise im Rahmen des Unfalls eine Zerrung im Bereich der linken Ellenbogenaußenseite erlitten. Eine ärztliche Untersuchung engmaschig zum Unfall sei nicht durchgeführt worden. Die werksärztliche Untersuchung vom 5. Februar 2015 habe nur eine Beschwerdesymptomatik beider Epikondylen radial dokumentiert, was viel zu unspezifisch sei, um hieraus einen traumatischen Primärschaden ableiten zu können. Darüber hinaus sei der geltend gemachte Ereignisablauf auch nicht geeignet gewesen, eine isolierte traumatische Schädigung der Extensorenmuskulatur am lateralen Epikondyl des linken Ellenbogens zu verursachen. Art und Umfang des Ereignisablaufs sowie der anatomischen und biomechanischen Gegebenheiten sprächen gegen einen Kausalzusammenhang. Unfallfolgen lägen nicht vor. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe nicht bestanden.
Das SG hat – gestützt auf das eingeholte Gutachten und nach vorheriger Anhörung vom 20. März 2017 – die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. Juli 2020 abgewiesen.
Gegen den ihm am 27. Oktober 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 27. November 2017 Berufung eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Begehren unter Vorlage eines von Dr. AE., Chirurg, AF., am 24. Mai 2018 für die AG. erstattetes chirurgische Gutachten fortführt. Zur Begründung seines Anspruchs verweist der Kläger ferner ergänzend auf den am 12. März 2015 erstellten MRT-Bericht, wonach eine Gewebeschädigung auch nach 7 Wochen nach dem Unfall vorgelegen habe, und zwar in Form von ausgeprägten ödematösen Veränderungen und Flüssigkeitseinlagerungen in Höhe des Epycondylus lateralis im Bereich der dort ansetzenden Extensoren. Dem Verbandbuch der Q. AG sei ferner zu entnehmen, dass der Sanitäter eine Zerrung am Unterarm und Ellenbogen links festgestellt habe. Es bestehe ferner ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Entstehen der Beschwerden und dem Unfall. Noch am 23. Januar 2015 habe er – der Kläger – sich beim Sanitäter im Q. Werk wegen der Beschwerden vorgestellt, der ihn mit Salbenverbänden behandelt habe. Dieser habe ihn dann erst am 2. März 2015 an die J. -Klinik verwiesen. Ferner reicht der Kläger zur Begründung seines Anspruchs einen ärztlichen Bericht des Arbeitsmediziners Dr. AH. vom 17.12.2015 zum Verfahren und führt ferner aus, dass den Ausführungen des Dr. AD. nicht gefolgt werden könne.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
- den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aurich vom 19. Oktober 2017 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 6. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2015 abzuändern,
- festzustellen, dass die Ruptur des lateralen Streckmuskels im Ansatzbereich des Ellenbogens links und die Epicondylitis links weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. Januar 2015 sind,
- die Beklagte zu verurteilen, ihm die gesetzlichen Leistungen aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. Januar 2015 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist im Wesentlichen auf die Gründe ihrer Bescheide sowie die der erstinstanzlichen Entscheidung.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren zunächst auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Sachverständigengutachten des Dr. AE. vom 2. Juni 2019 eingeholt, der im Wesentlichen zum Ergebnis gelangt ist, dass die bei dem Kläger festgestellten Gesundheitsstörungen (vollständiger Abriss der Extensorensehnen über der Streckseite des linken Ellenbogens; endgradige Bewegungseinschränkung am linken Ellenbogen für Streckung und Beugung; signifikante Muskelminderung am linken Ober- und Unterarm; tastbare Lücke am Ansatz der Extensoren am linken Ellenbogen) mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge des Unfallereignisses vom 23. Januar 2015 seien. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis zum 21. September 2015 bestanden, eine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit bis zur Beendigung der physikalischen Behandlung im Sommer 2016.
Der Senat hat im Anschluss daran von Amts wegen das Sachverständigengutachten des Chirurgen AI., AJ., vom 11. März 2020 eingeholt, der sich im Ergebnis der Einschätzung des Dr. AE. angeschlossen hat.
Sodann hat der Senat von Amts wegen das weitere Sachverständigengutachten des Chirurgen AK., AL., vom 9. Juni 2020 mit ergänzender Stellungnahme vom 17. September 2020 eingeholt. Dieser ist zusammenfassend der Einschätzung des Dr. AD. gefolgt.
Der auf Antrag des Klägers erneut gehörte Sachverständige Dr. AE. verblieb in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. Juli 2021 bei seiner Einschätzung.
Auf Anfragen vom 29. September 2021 und 25. Oktober 2021 haben sich der Kläger mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2021 sowie die Beklagte mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2021 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Senat und/oder den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 2 SGG) entscheiden, weil die Beteiligten übereinstimmend dieser Vorgehensweise zugestimmt haben.
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Insbesondere kann der Kläger – wie in seiner Berufungsbegründungsschrift vom 3. August 2020 ausdrücklich beantragt – eine Feststellung nach § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 SGG der Ruptur des lateralen Streckmuskels im Ansatzbereich des Ellenbogens links und die Epicondylitis links weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. Januar 2015 begehren (siehe zum Wahlrecht zwischen einer Feststellungsklage und einer Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG – BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 – Az.: B 2 U 17/10 R, Rn. 12 – zitiert nach juris; siehe auch Spellbrink/Karmanski – „Die Gesetzliche Unfallversicherung in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – Teil II“ in SGb 2021, Seite 543, 548).
Vorliegend hat die Beklagte mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 6. Mai 2015 in ihrem Tenor zwar lediglich auf den Unfall des Klägers vom 23. Januar 2015 Bezug genommen. Allerdings kann unter Berücksichtigung des „Empfängerhorizonts“ eines verständigen Beteiligten und des objektiven Sinngehaltes der Erklärung nach dem objektivierten Empfängerverständnis (BSG, Urteil vom 16. März 2021 – Az.: B 2 U 7/19 R – Rn. 13 – zitiert nach juris) aufgrund der Formulierung in der weiteren Begründung des Bescheides („am 23.01.2015 erlitten Sie einen Arbeitsunfall“) die Anerkennung eines Arbeitsunfalls sowie die Bezeichnung der Unfallfolgen („bei dem Sie sich eine Zerrung des linken Ellenbogengelenkes zugezogen haben“) und der unfallunabhängigen Gesundheitsstörungen („Bei der festgestellten Ruptur der lateralen Strecksehnenmuskulatur und der Epicondylitis radialis handelt es sich um unfallunabhängige Erkrankungen….“) gesehen werden. Ein Unfallversicherungsträger hat nämlich im Rahmen des gestuften Verwaltungsverfahrens zunächst über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls zu entscheiden (1. Stufe), anschließend dann über die Gewährung von konkreten Leistungsansprüchen (2. Stufe – siehe hierzu ausdrücklich BSG, Urteile vom 16. März 2021 – Az.: B 2 U 7/19 R – Rn. 18 und Az.: B 2 U 17/19 R – Rn. 28; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – Az.: B 2 U 17/14 R – Rn. 13, 14 – jeweils zitiert nach juris; siehe auch Aubel – „Zur Zulässigkeit der Leistungsklage bei Ablehnung des Versicherungsfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung“ in NZS 2021, Seite 376, 379/; Keller in jurisPR-SozR 16/2021 – Anm. 2 – C.).
Insoweit der Kläger jedoch mit dem Antrag zu 3. die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls geltend gemacht hat, ist dieser Klagantrag unzulässig. Zwar stellt die Leistungsklage die vorrangige Klageart für das Begehren dar, allerdings ist dieser Antrag zu unbestimmt, denn der Kläger begehrt insofern ein Grundurteil über allgemeine Leistungen. Ein Grundurteil (§ 130 SGG) kommt aber nur in Betracht, wenn eine ihrer Art nach feststehende Geldleistung begehrt wird und lediglich die Höhe offen gelassen werden soll (BSG, Urteil vom 7. September 2004 – Az.: B 2 U 35/03 R – Rn. 12; BSG, Urteil vom 16. März 2021 – Az.: B 2 U 7/19 R – Rn. 21 - zitiert jeweils nach juris). Über konkrete Leistungen (z.B. die Gewährung von Verletztengeld nach §§ 44 f SGB VII) hat die Beklagte jedoch nicht entschieden, sondern lediglich den Zeitraum der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit für eine Woche anerkannt. Hierbei handelt es sich lediglich um ein anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal des Anspruchs auf Verletztengeld nach § 45 SGB VII, welches nicht im Rahmen einer ausnahmsweise für die Feststellung von Unfallfolgen zulässigen Elementfeststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 SGG verfolgt werden kann (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20. Dezember 2016 – Az.: L 16/3 U 136/13 und Urteil vom 19. Mai 2020 – Az.: L 16 U 210/16; ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Senatsbeschluss vom 18. Mai 2021 – Az.: L 14 U 4/21 B m.w.N.; Böttiger in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Auflage 2020, § 55 Rn. 6 m.w.N.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 55 Rn. 9).
Die insofern lediglich auf die Feststellung von weiteren Unfallfolgen zulässige Klage hat jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das SG Aurich mit Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2017 die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2015 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Auch der Senat vermochte nicht festzustellen, dass die von dem Kläger als weitere Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen in Form eines die Ruptur des lateralen Streckmuskels im Ansatzbereich des Ellenbogens links und die Epicondylitis links weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. Januar 2015 sind.
Gesundheitsstörungen können nur dann als Folgen eines Arbeitsunfalls anerkannt werden, wenn ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem jeweiligen Gesundheitsschaden nachgewiesen ist. Hinsichtlich des Beweismaßstabs gilt dabei, dass u.a. das "Unfallereignis" sowie der "Gesundheitsschaden" im Wege des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit –, die zu bejahen ist, wenn mehr für als gegen die Annahme des Ursachenzusammenhangs spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 – Az.: B 2 U 9/11 R – Rn. 28 und Urteil vom 6. Mai 2021 – Az.: B 2 U 15/19 R – Rn. 13 m.w.N. – zitiert nach juris). Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands zu erfolgen (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – Az.: B 2 U 1/05 R – Rn. 17 – zitiert nach juris). Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also – von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen – Konsens besteht (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – Az.: B 2 U 11/14 R – Rn. 17; vom 30. März 2017 – Az.: B 2 U 6/15 R – Rn. 18 – zitiert jeweils nach juris). Sind – wie häufig – mehrere Bedingungen für den Eintritt des Schadens ursächlich im naturwissenschaftlichen Sinn gewesen, stellt sich auf der zweiten Stufe die Frage, ob die unfallbedingte Einwirkung auch wesentliche Ursache ist (Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung).
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Vorgaben vermochte der Senat in Übereinstimmung mit dem SG nicht festzustellen, dass die streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentliche Folge des Arbeitsunfalls vom 23. Januar 2015 sind. Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat unter Würdigung der im gesamten gerichtlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten. Gegen die Annahme eines Ursachenzusammenhangs spricht nach Auffassung des Senats besonders, dass der von dem Kläger geschilderte Unfallhergang (Wegnehmen/Auffangen einer sich verkeilten und lösenden ca. 10 bis 15 kg schweren Leergutkiste) bereits ungeeignet ist, eine Ruptur der Strecksehne am Ellenbogengelenk zu verursachen. Dies haben für den Senat plausibel und nachvollziehbar die Sachverständigen Dr. AD. und AK. dargelegt, denn durch den von dem Kläger geschilderten Unfallhergang werden lediglich die Beugesehnen belastet, und nicht die Strecksehnen. Eine überfallsartige Belastung der Strecksehne am Ellenbogengelenk ist damit biomechanisch überhaupt nicht vorstellbar. Der Sachverständige AK. hat hierzu für den Senat einleuchtend weiter dargelegt, dass ein traumatischer Abriss der Strecksehne am äußeren Oberarmknorren unfallchirurgisch nicht bekannt ist, was darin begründet ist, dass die Unterarmstreckmuskulatur eine enorme Elastizität aufweist, so dass sich ein Handgelenk selbst bei gestrecktem Ellenbogengelenk maximal beugen lässt, ohne dass es zu einer gefährdenden Spannung auf die Strecksehnen kommt. Diese Einschätzung überzeugt den Senat, denn sie steht in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. AD., der das geschilderte Unfallereignis ebenfalls als gänzlich ungeeignet angesehen hat, eine isolierte Ruptur oder Teilrupturierung der Extensorenmuskulatur des Handgelenks am linken lateralen Epikondyl des Ellenbogens zu initiieren. Auch der Sachverständige Dr. AD. führt für den Senat nachvollziehbar aus, dass eine abrupte Überstreckung bzw. ruckartige Bewegung des Ellenbogengelenks eher zu einer Beteiligung und Überlastung der kurzen Bizepssehne bzw. der ventralen Gelenk-Kapselregion des Ellenbogengelenks führt. Diese ist jedoch nachweislich durch das Unfallereignis gar nicht geschädigt worden. Damit stellt die versicherte Tätigkeit im vorliegenden Fall allerdings bereits keine nach der Rechtsprechung des BSG erforderliche „Bedingung des Erfolgs“ im Rahmen der „objektiven Kausalitätsbeurteilung“ dar bzw. die versicherte Tätigkeit (Bereitsteller im Logistikcenter der Q. AG mit dem zum Unfallzeitpunkt ausgeführten Wegnehmen/Auffangen einer sich verkeilten und lösenden ca. 10 bis 15 kg schweren Leergutkiste) hat im Falle des Klägers den Gesundheits(erst)schaden (Ruptur des lateralen Streckmuskels im Ansatzbereich des Ellenbogens links) schon gar nicht mitbewirkt (keine „Wirkursache“ einer Verrichtung als Einwirkung für den Gesundheitserstschaden - Urteil vom 24. Juli 2012 – Az.: B 2 U 9/11 R, Rn. 59 f.). Einer weiteren Prüfung der „Wesentlichkeit“ von Ursachen auf der so genannten „zweiten Prüfstufe“, bei der es ausschließlich um die Rechtsfrage geht, ob die auf der ersten Stufe abschließend festzustellende faktische Mitverursachung des Gesundheitsschadens durch die versicherte Verrichtung/versicherte Einwirkung überhaupt ein versichertes Risiko der Beschäftigtenversicherung verwirklicht hat (BSG a.a.O.), bedurfte es damit gar nicht (siehe hierzu auch
Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 25. Oktober 2016 – Az.: L 3 U 186/12 – Rn. 28 sowie Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Dezember 2016 – Az.: L 6 U 1099/16 – Rn. 54 – jeweils zitiert nach juris). Aber selbst wenn der Senat zu Gunsten des Klägers einen geeigneten Unfallhergang unterstellte, ist bereits nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass das Unfallereignis überhaupt zu einer Ruptur des lateralen Streckmuskels im Ansatzbereich des Ellenbogens links geführt hat. Hierzu hat der Sachverständige AK. wiederum in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Dr. AD. für den Senat plausibel dargelegt, dass bei dem Kläger eine unfallunabhängige Epicondylopathie anlässlich des Unfallereignisses erstmals manifest geworden ist. So ist beim Kläger bereits im Jahr 2010 eine chronisch therapieresistente Epicondylus ulnaris und radialis im rechten Ellenbogen behandelt worden, was durch die ärztlichen Berichte des Dr. T. vom 11. Oktober 2010 und des Dr. U. vom 11. August 2010 belegt ist. Insofern haben die Sachverständigen Dr. AD. und AK. übereinstimmend eine klassische unfallunabhängige Epicondylopathie im Bereich des linken Ellenbogengelenks diagnostiziert. Dieser ist dann vielmehr der Riss des lateralen Streckmuskels im Ansatzbereich des Ellenbogens links zuzuordnen, denn bei der Epicondylopathie handelt es sich um eine Texturstörung der Strecksehnen, ähnlich den bei Rotatorenmanschetten auftretenden Texturstörungen, die mit Signalveränderungen innerhalb der Sehnen einhergehen. Insofern hat der Sachverständige AK. für den Senat plausibel unter Bezugnahme auf die radiologische Fachliteratur (Valensieck et al: MRT des Bewegungsapparates; Stoller DM: Magnetic Resonance Imaging – in Orthopaedics an Sports Medicine) dargelegt, dass es bei der Epicondylitis zu hyperintensiven Ödemen und Kontinuitätsunterbrechungen im Bereich der Strecksehnen bzw. am äußeren Oberarmknorren kommt.
Den Einschätzungen der Sachverständigen Dr. AE. und AI. hingegen vermochte der Senat nicht zu folgen. Diese haben nach Auffassung des Senats unzutreffend eine traumatische Schädigung der Ruptur des lateralen Streckmuskels im Ansatzbereich des Ellenbogens links angenommen und dabei unzureichend sowohl das unfallunabhängige Krankheitsbild einer Epycondylopathie, als auch die Geeignetheit des Unfallereignisses für das Entstehen des geltend gemachten Gesundheitsschadens gewürdigt.
Weil im Ergebnis zwischen geltend gemachten Gesundheitsschäden in Form einer Ruptur des lateralen Streckmuskels im Ansatzbereich des Ellenbogens links und die Epicondylitis links Veränderungen der Supraspinatussehne im Bereich des linken Schultergelenkes und dem Unfallereignis kein Ursachenzusammenhang hergestellt werden konnte, sondern diese vielmehr einer unfallunabhängigen Epicondylopathie zuzuordnen sind, konnte das Begehren des Klägers keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 193 SGG.
Anlass für die Zulassung der Revision in Anwendung von § 160 Abs. 2 SGG besteht nicht.