L 20 SO 174/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 48 SO 550/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 174/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. 

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 04.03.2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Der Kläger begehrt noch für den Monat Juni 2018 pauschale Mehrbedarfsleistungen nach dem SGB XII für die Nutzung entgeltpflichtiger Toiletten im Stadtgebiet der Beklagten.

Der 1952 geborene (geschiedene) Kläger (GdB 50 v.H.) bewohnt eine Miet­wohnung in U. Er bezieht seit Januar 2014 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Über weiteres Einkommen oder Vermögen verfügt er nicht. Von der Beklagten erhielt er zunächst Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Seit dem 01.06.2018 bezieht er laufend ergänzende Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (vgl. u.a. den Bescheid der Beklagten vom 20.06.2018 für die Zeit von Juni 2018 bis Mai 2019). Bei der Bedarfsberechnung berücksichtigte die Beklagte neben den Kosten der Unterkunft und Heizung einen Mehrbedarf für Warmwasser sowie einen Regelbedarf von 416 €.

Den Antrag des Klägers vom 02.01.2018, ihm für die entgeltliche Nutzung von Toiletten im Stadtgebiet U Mehrbedarfsleistungen i.H.v. 180 € monatlich zu gewähren, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 28.06.2018 in der Gestalt des (nach beratender Beteiligung sozial erfahrener Personen ergangenen) Widerspruchsbescheides vom 14.08.2018 ab.

Mit seiner am 22.08.2018 vor dem Sozialgericht Duisburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren, gestützt auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 SGB XII, weiterverfolgt. Das Verrichten der Notdurft auf den Verkehrsflächen und in den Anlagen der Stadt U stelle entsprechend einer ordnungsbehördlichen Verordnung der Stadt eine Ordnungswidrigkeit dar; Zuwiderhandlungen seien mit Ordnungsgeld von bis zu 1.000 € bedroht. Er sei daher auf frei zugängliche, kostenfrei nutzbare und saubere Toiletten im Stadtgebiet U angewiesen. Solche Toiletten gebe es dort jedoch nicht mehr; denn aufgrund eines Ratsbeschlusses der Stadt U seien sie bereits zum 01.01.1994 abgeschafft worden. Andere Toiletten – etwa in der Gastronomie oder in Kaufhäusern – könne er nicht unentgeltlich nutzen; sie seien dortigen Gästen bzw. Kunden vorbehalten und ggf. nur gegen einen Mindestverzehr nutzbar. Toiletten in öffentlichen Verwaltungsgebäuden könne er ausschließlich während der Publikumszeiten aufsuchen. Das Nutzungsentgelt für kommerziell betriebene Toiletten betrage etwa 1,00 €, und ein Getränk in einem gastronomischen Betrieb koste etwa 3,00 €. Dies ergebe einen mittleren Bedarf von 2,00 € pro Toilettengang; bei durchschnittlich drei Toilettengängen außer Haus errechne sich ein monatlicher Mehrbedarf von 180,00 € (= drei Toilettengänge pro Tag x 2,00 € pro Toilettengang x 30 Tage).

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 28.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 02.01.2018 an monatlich weitere 180,00 € ergänzende Sozialhilfe zu leisten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide für zutreffend erachtet.

Durch Urteil vom 04.03.2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 12.04.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.04.2021 Berufung eingelegt. Er meint, der geltend gemachte Mehrbedarf ergebe sich zumindest aus einer entsprechenden Anwendung des § 30 Abs. 5 SGB XII, da die Blasen- und Darmfunktion untrennbarer Bestandteil des Ernährungsprozesses sei. Die Bemessung der Regelbedarfssätze sei zwar mit Blick auf den Gesamtgeltungsbereich des SGB XII verfassungsgemäß. Die außergewöhnlichen Verhältnisse in der Stadt U begründeten indes jedenfalls einen zusätzlichen Bedarf i.S.v. § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII. Anders als von der Beklagten behauptet, gebe es im Stadtgebiet U keineswegs an 53 Standorten öffentlich zugängliche Toiletten. Die dortige Abschaffung sämtlicher öffentlicher Toiletten verletze seine Grundrechte auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 GG) und auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG). Zudem verstoße sie gegen sein verfassungsrechtlich geschütztes Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.Vm. Art. 1 Abs. 1 GG), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Rechtsstaatsprinzip (Art. 1 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Faktisch habe ihm die Stadt U durch ihre Weigerung, kostenfreie öffentliche Toiletten aufzustellen, ein Aufenthalts- bzw. sogar ein Hausverbot erteilt. Er leide nicht unter Harn-/Blasen- oder Darminkontinenz, sondern habe eine altersentsprechende Blasen- und Darmfunktion wie andere gesunde Menschen. Es sei deshalb weder medizinisch indiziert noch zumutbar, dass er bei Aufenthalt im Stadtgebiet im U Hilfsmittel des Sanitärbedarfs (z.B. Windeln oder Urinalkondome) verwende.

In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten den Streitgegenstand zeitlich auf den Kalendermonat Juni 2018 beschränkt und sich für die darüber hinaus streitig gewesene Zeit (ab Antragstellung am 02.01.2018) dem rechtskräftigen Ausgang des vorliegenden Verfahrens unterworfen.

Der Kläger beantragt im Anschluss daran noch,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 04.03.2021 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 28.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2018 zu verurteilen, ihm für den Monat Juni 2018 weitere 180,00 € als Leistung nach dem SGB XII zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Vorgänge (Verwaltungsvorgänge der Beklagten, Streitakten des Sozialgerichts Duisburg S 52 SO 227/18 bzw. des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen L 20 SO 173/21) Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

A) Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

I. Nachdem die Beteiligten sich in der mündlichen Verhandlung für die im Übrigen streitig gewesenen Zeiträume dem Ausgang des hiesigen Verfahrens unterworfen haben, ist das Begehren des Klägers allein noch auf höhere Leistungen der Grundsicherung unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für die Nutzung kostenpflichtiger Toiletten im Stadtgebiet U für den Kalendermonat Juni 2018 gerichtet (vgl. BSG, Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 8/08 R Rn. 13, zur zulässigen Beschränkung des Streitgegenstandes auf einen Mehrbedarf nach § 30 SGB XII und den Regelsatz).

Gegenstand des Verfahrens ist zunächst der ausdrücklich angefochtene Bescheid vom 28.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2018 (soweit er den Monat Juni 2018 betrifft); die Beklagte hatte damit den Antrag des Klägers vom 02.01.2018 auf weitere Leistungen nach dem SGB XII für die Nutzung entgeltpflichtiger Toiletten abgelehnt. Gegenstand ist zudem der (den Leistungszeitraum für Juni 2018 bis Mai 2019 betreffende) Leistungsbescheid vom 20.06.2018 (soweit er den Monat Juni 2018 betrifft). Denn dieser Bescheid regelt die bei Erlass der ausdrücklich angefochtenen Bescheide noch laufenden Grundsicherungsleistungen und bildet deshalb mit dem Bescheid vom 28.06.2018 und dem Widerspruchsbescheid vom 14.08.2018 (u.a.) für Juni 2018 eine Einheit (vgl. dazu BSG, Urteil vom 24.02.2011 – B 14 AS 49/10 R Rn. 14 f.)

II. Das Sozialgericht hat die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG) statthafte Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht gemäß § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten. Der Kläger kann von der (nach §§ 97 Abs. 1, 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, § 1 Abs. 1 und 3 AG-SGB XII NRW sachlich und örtlich zuständigen) Beklagten für den Monat Juni 2018 keine höheren Leistungen für die Nutzung öffentlich zugänglicher Toiletten im Stadtgebiet U beanspruchen. Eine entsprechende Rechtsgrundlage existiert nicht.

1. Die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 SGB XII (i.d.F. vom 01.01.2016 bis 12.12.2019 – a.F.) i.V.m. § 19 Abs. 2 SGB XII sind dem Grunde nach erfüllt. Danach sind leistungsberechtigt nach dem Vierten Kapitel des SGB XII u.a. Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die – wie der Kläger zum 01.06.2018 – die Altersgrenze des § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben und ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus Einkommen und Vermögen nach § 43 Abs. 1 SGB XII bestreiten können. Dass der Kläger im Juni 2018 diese Voraussetzungen erfüllte, stellt auch die Beklagte nicht in Abrede.

2. Weitere als die ihm gewährten Leistungen kann der Kläger mit Blick auf eine Nutzung entgeltpflichtiger öffentlicher Toiletten jedoch nicht beanspruchen.

a) Leistungen für einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 30 Abs. 5 SGB XII (i.d.F. von Januar 2011 bis Dezember 2020 – a.F.) i.V.m. § 42 Nr. 2 SGB XII (i.d.F. 01.07.2017 bis 05.12.2019 – a.F.) scheiden von vornherein aus. Nach dieser Vorschrift wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen. Der Kläger begehrt jedoch keinen Mehrbedarf für Ernährung, sondern für die Nutzung von Toilettenanlagen im Stadtgebiet U.

Abweichend von der Rechtsauffassung des Klägers ist § 30 Abs. 5 SGB XII a.F. i.V.m. § 42 Nr. 2 SGB XII a.F. insoweit auch nicht entsprechend anwendbar. Hierfür fehlt bereits eine für eine Analogie erforderliche Regelungslücke im Gesetz. § 30 SGB XII definiert in typisierender Anknüpfung an bestimmte Gruppen von Leistungsberechtigten und besondere Bedarfssituationen Sonderbedarfe, bei denen von vornherein feststeht, dass der im Regelbedarf pauschalierte Bedarf den besonderen Verhältnissen nicht gerecht wird (Behrend in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 21 <Stand: 25.11.2021> Rn. 23, zur Parallelvorschrift in § 21 Abs. 5 SGB II; ähnlich Simon in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 30 <Stand: 04.01.2021> Rn. 22). Die als Ausnahmeregelung ausgestaltete Vorschrift ist insofern abschließend. Bedarfe, die von dieser Norm nicht erfasst sind, können allenfalls eine abweichende Festsetzung des Regelbedarfs auslösen.

b) Eine höhere Regelleistung kann der Kläger indes ebenfalls nicht beanspruchen.

aa) Die Beklagte hat im Leistungsbescheid vom 20.06.2018 die Regelleistung für Juni 2018 nach der für den Kläger maßgeblichen Regelbedarfsstufe 1 gemäß §§ 42 Nr. 1 SGB XII a.F. i.V.m. der Anlage zu § 28 SGB XII (i.d.F. vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2019) mit 416 € zutreffend festgesetzt. Die Höhe der Regelleistung begegnet zudem keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. dazu im Einzelnen Gutzler in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 28 <Stand: 19.02.2021> Rn. 51.1 m.w.N.); solche Bedenken hat der Kläger auch nicht geltend gemacht.

bb) Die Voraussetzungen für eine abweichende Festsetzung des Regelbedarfs nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII (i.d.F. ab Januar 2017) i.V.m. § 42 Nr. 1 SGB XII a.F. sind nicht erfüllt. Nach dieser Norm wird der Regelsatz im Einzelfall abweichend von der maßgebenden Regelbedarfsstufe festgesetzt (abweichende Regelsatzfestsetzung), wenn ein durch die Regelbedarfe abgedeckter Bedarf nicht nur einmalig, sondern für eine Dauer von voraussichtlich mehr als einem Monat unausweichlich in mehr als geringem Umfang oberhalb durchschnittlicher Bedarfe liegt, wie sie sich nach den bei der Ermittlung der Regelbedarfe zugrundeliegenden durchschnittlichen Verbrauchsausgaben ergeben, und die dadurch bedingten Mehraufwendungen begründbar nicht anderweitig ausgeglichen werden können.

(1) Der vom Kläger geltend gemachte Bedarf für die Nutzung kostenpflichtiger Toiletten im Stadtgebiet U unterfällt zwar als Kosten für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben den Regelbedarfen. Bei Auswertung der Verbrauchsausgaben für Erwachsene hat der Gesetzgeber für den hier betroffenen Zeitraum (Juni 2018) in Abteilung 9 (Freizeit, Unterhaltung und Kultur) 39,86 €, in Abteilung 11 (Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen) 10,33 € und in Abteilung 12 (Andere Waren und Dienstleistungen) 32,94 € für persönliche Bedürfnisse als regelsatzrelevant angesehen, um ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben sicherzustellen (vgl. zu letzterem BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 Rn. 75 m.w.N.).

(2) Der Bedarf des Klägers liegt jedoch nicht i.S.v. § 27a Abs. 4 SGB XII unausweichlich oberhalb durchschnittlicher Bedarfe, wie sie im Regelsatz abgebildet sind.

(a) Der Kläger hat mehrfach betont, dass seine Blasen- und Darmfunktion derjenigen gesunder Menschen seiner Altersgruppe entspricht. Wenn er – seinen Vortrag als zutreffend unterstellt – regelmäßig etwa dreimal täglich außerhalb seiner Wohnung eine öffentlich zugängliche Toilette im Stadtgebiet U nutzt, so ist dies zwar ersichtlich eine (deutlich) überdurchschnittlich häufige Nutzung solcher Toiletten. Der Nutzungsbedarf des Klägers ist insoweit jedoch nicht unausweichlich; vielmehr beruht er auf der eigenen Lebensgestaltung des Klägers entsprechend persönlicher Vorlieben.

Zwar steht es dem Kläger frei, wie er sein Leben und seine Freizeit gestaltet. Wenn durch regelmäßigen langen Aufenthalt außerhalb seiner Wohnung höhere als durchschnittliche Kosten für die Nutzung öffentlich zugänglicher Toiletten entstehen, ist er im Rahmen der Leistungen für den Lebensunterhalt indes darauf zu verweisen, dass punktuelle Unterdeckungen bei einzelnen, im Regelsatz enthaltenen Bedarfspositionen grundsätzlich intern – durch entsprechende Verteilung der in den Regelleistungen enthaltenen Mittel – ausgeglichen werden müssen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 24.03.2015 – B 8 SO 22/13 R Rn. 15, unter Hinweis u.a. auf BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12 und 1 BvR 1691/13). Die insgesamt in den Regelsatzleistungen zur Verfügung stehenden Mittel zur Deckung soziokultureller Bedarfe stellen ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben sicher. Das gilt umso mehr, als die Entscheidung für eine Freizeitgestaltung überwiegend außerhalb der Wohnung auch Einspar- und Ausgleichsmöglichkeiten an anderer Stelle zur Folge haben dürfte (vgl. dazu BSG, a.a.O.). Reichen die in den Grundsicherungsleistungen hierfür enthaltenen Mittel nicht aus, so ist der Kläger auf eine Anpassung seines Freizeitverhaltens an seine wirtschaftlichen Möglichkeiten zu verweisen.

(b) Der Senat kann offenlassen, ob es – wie vom Kläger behauptet – ausschließlich im Stadtgebiet U, nicht hingegen auch andernorts keine kostenfrei nutzbaren öffentlichen Toiletten gibt. Denn örtliche Gegebenheiten weichen innerhalb des Geltungsbereiches des SGB XII naturgemäß (z.B. bei Nutzungsentgelten für öffentlichen Personennahverkehr, Eintrittsgeldern von Museen, Bädern oder sonstigen Einrichtungen zur Freizeitgestaltung) voneinander ab. Diesen Abweichungen trägt die freie Verwendbarkeit der Regelbedarfsleistung Rechnung, die es dem Leistungsberechtigten ermöglicht, sein Ausgabeverhalten in Eigenverantwortung so zu gestalten, dass er – im Rahmen der wirtschaftlichen Eingeschränktheit, welche eine Lebensführung allein mit den Mitteln des grundsicherungsrechtlichen Existenzminimums naturgemäß mit sich bringt – diejenigen Bedarfe deckt, die seinen persönlichen Vorlieben entsprechen, an seinem Wohnort verfügbar und mit seinen wirtschaftlichen Gegebenheiten möglich sind.

c) Ein Anspruch auf Leistungen für die entgeltliche Nutzung öffentlicher Toiletten besteht auch nicht als Leistung der Eingliederungshilfe. Nach § 53 Abs. 1 SGB XII (i.d.F. von Januar 2005 bis Dezember 2019 a.F.) erhalten Personen, die durch eine Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F. können Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung Leistungen gewährt werden.

Der Kläger erfüllt bereits nicht die personenbezogenen Voraussetzungen für einen solchen Anspruch. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Ist die Blasen- und Darmfunktion des Klägers jedoch – seinem Vortrag folgend – altersentsprechend und muss er insbesondere nicht häufiger als gesunde Menschen seines Alters eine Toilette aufsuchen, so ist er nicht i.S.v. § 2 Abs. 1 SGB IX behindert, geschweige denn insoweit in seiner Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt. Fehlt mithin eine Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 1 SGB IX, so scheiden auch Leistungen nach § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB XII aus (vgl. BSG, Urteil vom 18.07.2019 – B 8 SO 4/18 R Rn. 14).

d) Auch § 73 SGB XII gibt keinen Anspruch des Klägers. Nach Satz 1 dieser Vorschrift können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Beim Kläger besteht indes keine sonstige Lebenslage i.S.d. § 73 Satz 1 SGB XII. Eine solche setzt voraus, dass sie von keinem anderen Leistungsbereich des SGB XII erfasst ist und deshalb einen Sonderbedarf (atypische Bedarfslage) darstellt (vgl. nur BSG, Urteil vom 29.05.2019 – B 8 SO 8/17 R Rn. 14 m.w.N.). Eine Bedarfslage, die (wie die Nutzung kostenpflichtiger Toiletten) bereits vom Regelbedarf erfasst ist, kann daher nicht zu Leistungen nach § 73 Satz 1 SGB XII führen, selbst wenn sie beim Leistungsempfänger in atypischem Ausmaß bestehen sollte. Mangels Regelungslücke kommt auch eine analoge Anwendung von § 73 Satz 1 SGB XII bei einmaligen oder laufenden Bedarfslagen, die vom Dritten oder Vierten Kapitel des SGB XII erfasst sind, nicht in Betracht (vgl. zu alledem BSG, a.a.O.).

3. Auch verfassungsrechtlich erscheinen schließlich höhere Leistungen an den Kläger nicht geboten. Dabei mag offenbleiben, ob die von ihm als verletzt angesehenen Grundrechte nicht allein ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern auch einen Leistungsanspruch begründen können (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 44/08 R Rn. 21). Denn verfassungsrechtliche Gewährleistungen sind im Falle des Klägers von vornherein nicht betroffen.

a) Art. 11 GG ist bereits in seinem Schutzbereich nicht berührt. Die durch dieses Grundrecht gewährleistete Freizügigkeit hat (nur) das Recht zum Inhalt, an jedem Orte innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen (BVerfG, Beschluss vom 06.06.1989 – 1 BvR 921/85 Rn. 51 m.w.N.). Dieses Recht ermöglicht dem Kläger, seinen langjährigen Wohnsitz in U frei zu wählen bzw. beizubehalten. Eine bestimmte Ausgestaltung des gewählten Wohnorts – hier die Bereitstellung nicht kostenpflichtiger öffentlicher Toiletten – tangiert den Schutzbereich des Grundrechts jedoch nicht (vgl. BVerfG, a.a.O., zur Bereitstellung geeigneter Reitwege und Benutzung eines bestimmten Beförderungsmittels).

b) Auch die weiteren vom Kläger angeführten Grundrechte sind nicht verletzt. Die Menschenwürde (Art. 1 GG), das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) des Klägers oder das Rechtsstaatsprinzip (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG) werden nicht verletzt, wenn er – wie jede Bürgerin und jeder Bürger – seine Aktivitäten im Stadtgebiet U daran ausrichtet, wo er frei zugängliche Toiletten (einschließlich solcher in Kaufhäusern, Museen, Verwaltungsgebäuden oder in Gaststätten) weitestgehend unentgeltlich nutzen kann. Sein individueller Wunsch, sich nahezu jeden Tag über einen langen Zeitraum außerhalb der eigenen Wohnung mit der Möglichkeit aufzuhalten, jederzeit zeitnah unentgeltlich eine Toilette aufzusuchen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt. Das soziokulturelle Existenzminimum gewährleistet für individuelle Freizeit- und Lebensgestaltung ein bestimmtes Maß an wirtschaftlichen Mitteln, auf deren Begrenztheit das eigene Freizeitverhalten verständige Rücksicht nehmen muss. Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, im Rahmen der Grundsicherungsleistungen zu jeder Zeit jedwede denkbare Freizeitaktivität bzw. Art der persönlichen Lebensgestaltung wirtschaftlich zu gewährleisten. Insofern gilt für Grundsicherungsbezieher wie für jede Person, dass sich die Lebensgestaltung an den verfügbaren eigenen Mitteln orientieren muss. Solange das menschenwürdige Existenzminimum mit den frei verfügbaren Regelbedarfsleistungen gesichert ist, bedeuten wirtschaftliche Begrenzungen der persönlichen Lebensgestaltung keine Verletzung von Grundrechten.

3. Der Senat ist nicht gehalten, den im Verlauf des zweitinstanzlichen Streitverfahrens vom Kläger vorgebrachten Beweisanträgen (zum Bestehen eines nicht von der Altersnorm abweichenden Gesundheitszustands des Klägers sowie zu Anzahl, Lage, Nutzbarkeit und Kostenpflichtigkeit öffentlich zugänglicher Toiletten) nachzugehen. Der Kläger hat diese Anträge in der mündlichen Verhandlung schon nicht weiterverfolgt (vgl. dazu u.a. BSG, Beschluss vom 12.01.2022 – B 9 SB 72/21 B Rn. 6 m.w.N.), im Übrigen waren sie ohnehin nicht entscheidungserheblich (s.o.).

B) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

C) Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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