L 8 SO 2/22 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 21 SO 248/21 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 2/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Zur außerordentlichen Kündigung einer Zielvereinbarung eines Persönlichen Budgets

 

Bild entfernt.

 

L 8 SO 2/22 B ER

S 21 SO 248/21 ER Dresden

 

 

 

Sächsisches Landessozialgericht

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren

 

 Z….

vertreten durch C….

- Antragstellerin und Beschwerdegegnerin -

Prozessbevollmächtigte:         Rechtsanwälte B….
 

gegen

Freie und Hansestadt  Hamburg  Bezirksamt Wandsbek Rechtsamt, Schloßstraße 8g, 22041  Hamburg

- Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin -

hat der 8. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts am 22. März 2022 in Chemnitz durch den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Dr. Kasten, den Richter am Landessozialgericht Dr. Kaminski und die Richterin am Sozialgericht Gemeinhardt ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 6. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragsgegnerin hat auch die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

G r ü n d e:

 

I.

 

Zwischen den Beteiligten ist die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen den Rücknahmebescheid vom 29. Oktober 2021 streitig.

 

Die 1997 geborene Antragstellerin leidet an einer spastischen Zerebralparese (Tetraparese) und erheblichen Spastiken in den Armen und Beinen. Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100. In ihrem Schwerbehindertenausweis sind die Merkzeichen H, G, aG und B eingetragen. Die Antragstellerin ist auf ständige Hilfe und Assistenz angewiesen. Sie ist in  Y....  aufgewachsen und war dort bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Kinderwohnhaus untergebracht. Im Oktober 2015 zog sie nach A…. um in eine Wohngemeinschaft mit sechs weiteren körperlich und geistig behinderten Menschen. Seit dem 1. Februar 2019 lebt sie in einer eigenen Wohnung. Ihre 24-stündige pflegerische Versorgung und Assistenz erfolgt durch die  X....  gemeinnützige UG (haftungsbeschränkt) als Leistungserbringerin. Für die Kosten der 24-stündigen Pflege und Assistenz kam in der Vergangenheit die Antragsgegnerin mit Leistungen der Eingliederungshilfe sowie Leistungen der Hilfe zur Pflege nach den Sozialgesetzbüchern Neuntes Buch (SGB IX) und Zwölftes Buch (SGB XII) in Form eines persönlichen Budgets auf. Ausweislich der Zielvereinbarungen für die Zeiträume vom 1. Oktober 2017 bis 30. September 2018 und vom 1. Oktober 2018 bis 30. September 2019 erhielt die Antragstellerin entsprechende Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines persönlichen Budgets, um die alltäglichen und regelmäßig wiederkehrenden Bedarfe an Leistungen der Hilfe zur Pflege und Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu decken und um ihr in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Das Budget wurde zur Verfügung gestellt, um damit den gesamten Pflege- und Assistenzbedarf der Antragstellerin sicherzustellen.

 

Anlässlich des zu diesem Zeitpunkt geplanten Umzugs in ihre eigene Wohnung zum 1. Februar 2019 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner am 31. Oktober 2018 Pflege- und Assistenzleistungen für eine Unterstützung von 24 Stunden pro Tag an 7 Tagen in der Woche. Die hierzu und in der Folge abgeschlossenen Zielvereinbarungen für die Zeiträume vom 1. August 2019 bis 31. Juli 2020 und 1. August 2020 bis 31. Juli 2022 beinhalteten als Ziel des persönlichen Budgets jeweils die Bereitstellung finanzieller Mittel, um alltägliche und regelmäßig wiederkehrende Bedarfe an Leistungen der ambulanten Hilfe zur Pflege und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu decken und um in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Das Budget setzte sich aus einem Betrag von 22.723,41 € abzüglich des Pflegegeldes nach Pflegegrad 4 i. H. v. 728 € zusammen, was eine monatliche Gesamtbudgetleistung von 21.995,41 € als Festbetrag ergab. Mit dem persönlichen Budget sollte der gesamte Pflege- und Assistenzbedarf sichergestellt werden. Sofern sich die tatsächlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse änderten, sei zu prüfen, ob die Zielvereinbarung zu kündigen sei. Ein wichtiger zur Kündigung berechtigender Grund sei die Nichteinhaltung der Vereinbarung durch die Antragstellerin oder die nicht zweckentsprechende Verwendung des Budgets, gleichfalls die Versäumung der Verpflichtung der Nachweiserbringung. Beiträge, die nicht oder nicht entsprechend der vereinbarten Ziele verausgabt würden, seien zurückzuzahlen, worüber nach Erstellung einer Abrechnungsübersicht mit Nachweiserbringung ein Rückforderungsbescheid erlassen werde.

 

Zuletzt mit Leistungsbescheid vom 26. März 2021 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin (ausgehend von der Zielvereinbarung vom 21. Dezember 2020) Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gemäß § 99 ff. SGB IX i. H. v. monatlich 21.995,41 € für die Monate August 2020 bis Juli 2022. Ein Beitrag aus Einkommen zu den Aufwendungen nach § 136 SGB IX sei nicht aufzubringen, weil das Einkommen unter dem kleinsten Referenzwert von 60 % der jährlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) liege. Die Zielvereinbarung vom 21. Dezember 2020 sei Bestandteil des Leistungsbescheids.

 

Im Zuge eines Klageverfahren vor dem Sozialgericht Dresden (Az.:) erfragte die Antragsgegnerin bei der Betreuerin der Antragstellerin, in welchen Zeiträumen diese stationäre Behandlungen absolviert habe (Schreiben vom 30. April 2021). Die Betreuerin der Antragstellerin erwähnte daraufhin mit Schreiben vom 6. Mai 2021 die stationäre Behandlung vom 13. Januar 2021 bis 3. März 2021. Seitens der Betreuerin sei deshalb keine Mitteilung an die Antragsgegnerin erfolgt, weil es keinen Klärungsbedarf bezüglich der Finanzierung gegeben habe. Assistenten seien in der Klinik nicht gebraucht worden. In einer tabellarischen Übersicht (Schreiben vom 23. August 2021) teilte die Betreuerin für die Zeit ab Januar 2019 folgende stationäre Aufenthalte mit: 3. Januar 2019 bis 22. Februar 2019, 21. März 2019 bis 22. März 2019, 30. März 2019 bis 2. April 2019, 5. Juni 2019 bis 6. Juni 2019, 16. Juni 2019 bis 20. Juni 2019, 29. Juli 2019 bis 31.Juli 2019, 9. März 2020 bis 11. März 2020, 2. November 2020 bis 4. November 2020 und 13. Januar 2021 bis
3. März 2021. Die Betreuerin sei über die stationären Aufenthalte der Antragstellerin nicht immer unterrichtet gewesen, weil ihr der Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge nicht übertragen sei. Sie habe allerdings die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass solche Zeiten der Antragsgegnerin mitzuteilen seien.

 

Mit Schreiben vom 8. Oktober 2021 kündigte die Antragsgegnerin die Zielvereinbarung vom 17. Juli 2020 zum 31.Oktober 2021. Mit Schreiben der Betreuerin vom 23. August 2021 sei dem Fachamt mitgeteilt worden, dass sich die Antragstellerin seit Januar 2019 mehrerer Klinikaufenthalte unterzogen habe, welche bislang nicht mitgeteilt worden seien. Bei der Prüfung der Abrechnungsunterlagen sei zutage getreten, dass die  X....  UG während der Krankenhausaufenthalte nicht unerhebliche Unterstützungsleistungen für die Antragstellerin in Rechnung gestellt habe. Auch wiesen die vorliegenden Abrechnungsunterlagen auf die Einrichtung eines Dauerauftrags sowie offene Forderungen des Leistungserbringers hin. Aufgrund dieser neuen Tatsachen sei die "Budget- und Absprachefähigkeit" der Antragstellerin zweifelhaft. Die Antragsgegnerin kündigte deshalb die laufende Zielvereinbarung aus wichtigem Grund gemäß § 29 Abs. 4 Satz 6 SGB IX zum 31. Oktober 2021. Zugleich teilte die Antragsgegnerin mit, dass sie die Kosten der von der Antragstellerin gegebenenfalls beanspruchter Sachleistungen übernehme. Die Antragstellerin möge sich einen vertragsgebundenen Assistenz- und Pflegedienst vor Ort suchen, der ihr die benötigte Unterstützung leisten könne. Entsprechende Rechnungen könne die Antragstellerin ab dem 1. November 2021 vorlegen.

 

In der Folge hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 12. Oktober 2021 zur beabsichtigten Aufhebung der Budgetleistungen ab dem 1. November 2021 an. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2021 korrigierte die Antragsgegnerin die Kündigungserklärung vom 8. Oktober 2021 dahingehend, dass die aktuell laufende Zielvereinbarung vom 21. Dezember 2020 zum 31. Oktober 2021 gekündigt werde.

 

Mit Bescheid vom 29. Oktober 2021 nahm die Antragsgegnerin die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe vom 26. März 2021 gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) für die Zeit ab dem 1. November 2021 zurück. Die Leistungsbewilligung ab dem 1. August 2020 erweise sich nunmehr als rechtswidrig begünstigend. Dabei habe die Antragstellerin nicht auf den Bestand des zurückgenommenen Bescheids vertrauen dürfen. Mit Schreiben vom 08. Oktober 2021 und vom 29. Oktober 2021 sei die der Eingliederungshilfe zugrundeliegende Zielvereinbarung vom 21. Dezember 2020 für die Gewährung des persönlichen Budgets gemäß § 29 Abs. 4 Satz 6 SGB IX aus wichtigem Grund zum 31. Oktober 2021 gekündigt worden, nachdem die Betreuerin der Antragstellerin deren Klinikaufenthalte seit Januar 2019 mitgeteilt habe, insbesondere die stationäre Behandlung im  W.... -Klinikum in  V....  vom 13. Januar 2021 bis einschließlich 3. März 2021. Zudem sei bei der Prüfung der Abrechnungsunterlagen aufgefallen, dass die  X....  UG während der Krankenhausaufenthalte nicht unerhebliche Unterstützungsleistungen für die Antragstellerin in Rechnung gestellt habe. Während eines stationären Klinikaufenthalts sei jedoch die Inanspruchnahme von Leistungen der ambulanten häuslichen Pflege ausgeschlossen. Des Weiteren wiesen die vorliegenden Abrechnungsunterlagen auf die Einrichtung eines Dauerauftrags sowie offene Forderungen des Leistungserbringers hin. Aufgrund dieser Umstände müsse die "Budget- und Absprachefähigkeit" der Antragstellerin angezweifelt werden. Durch die erfolgte Kündigung der Zielvereinbarung zum 31. Oktober 2021 sei die rechtliche Grundlage für die Gewährung des persönlichen Budgets für den Zeitraum ab dem 1. November 2021 weggefallen. Zugunsten der Antragstellerin sei berücksichtigt worden, dass Sachleistungen gewährt werden könnten, wenn ein Pflegedienst benannt werde, der die erforderlichen Voraussetzungen erfülle. Leistungen in Form des persönlichen Budgets dürften jedoch nicht mehr gewährt werden, da neben den nicht mitgeteilten Klinikaufenthalten auch bekannt geworden sei, dass nicht die komplette, im Rahmen des persönlichen Budgets gewährte Summe an die  X....  UG ausgezahlt worden sei. Die von der Antragsgegnerin ausgemachten Verstöße gegen die Mitteilungspflicht nach § 60 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) seien zugleich als Zuwiderhandlung gegen die Zielvereinbarung anzusehen. Grundsätzlich sei der Bezug ambulanter Leistungen im Rahmen der häuslichen Pflege während eines stationären Klinikaufenthalts ausgeschlossen. Dieser Aspekt sei auch im Zuge eines Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Dresen (SG) erörtert worden und der Antragstellerin daher bekannt gewesen. Im Übrigen seien keine Gründe ersichtlich, die im Rahmen der Ermessensausübung gegen eine Rücknahme der Bewilligungsentscheidung sprächen. Das allgemeine Interesse an einer rechtmäßigen oder wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Mittel überwiege daher gegenüber dem Interesse der Antragstellerin, die empfangenen Leistungen behalten zu dürfen.

 

Gegen den Rücknahmebescheid vom 29. Oktober 2021 legte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 1. November 2021 Widerspruch ein, wies hierbei auf die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs hin und bat um Zahlungsanweisung.

 

Hieraufhin ordnete die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 2. November 2021 die sofortige Vollziehung des Rücknahmebescheids vom 29. Oktober 2021 an insbesondere unter Hinweis auf abermalige Verletzungen von Mitteilungs- und Mitwirkungsverpflichtungen der Antragstellerin. Zudem sei der Zahlungsübersicht ab dem 1. August 2020 zu entnehmen, dass die Antragstellerin pauschal monatlich 16.000 € an den Pflegedienst zahle. Damit sei der Antragstellerin bis von August 2020 bis Oktober 2021 ein positiver Saldo von 5.995,41 € monatlich erwachsen, wobei unklar sei, was mit dem Betrag geschehe. Die zweckgerichtete Verwendung steuerfinanzierter Mittel liege im öffentlichen Interesse. Aus den vorgetragenen Gründen sei dies im Falle der Antragstellerin nicht gewährleistet, so dass eine weitere Ausführung der Leistungen in Form des persönlichen Budgets nicht mehr umsetzbar und die Zielvereinbarung zu kündigen gewesen sei. Ergänzend führte die Antragsgegnerin aus, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Rücknahmebescheides das Interesse der Antragstellerin an der Fortgewährung des persönlichen Budgets auch deshalb überwiege, weil mittlerweile ein hoher fünfstelliger Betrag zurückzufordern sei. Die Zahlung öffentlicher Mittel an den Pflegedienst trotz erweislich nicht erbrachter Leistungen erfülle den Tatbestand des Betrugs. Der Bedarf der Antragstellerin könne ohne größere Umstände auch im Wege von Sachleistungen gedeckt werden.

 

Am 9. November 2021 hat die Antragstellerin zum SG einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel gestellt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 1. November 2021 gegen den Rücknahmebescheid vom 29. Oktober 2021 anzuordnen. Soweit ein wirtschaftlicher Schaden zu Lasten der öffentlichen Hand eingetreten sei, sei dieser nicht durch die verspätete Meldung der Krankenhauszeiten entstanden. Die Rückforderung überzahlter Budgetbeträge erfolge nach der Reduzierung des Erstattungsbetrags, da die Antragsgegnerin die Kosten der notwendigen Hilfe am An- und Abreisetag außer Acht gelassen habe. Die Kündigung der Zielvereinbarung sei jedenfalls unwirksam. In der Kündigungserklärung werde nicht angegeben, gegen welche konkreten Pflichten aus der Zielvereinbarung verstoßen worden sei. Auch sei eine vorhergehende Abmahnung mit Kündigungsandrohung nicht erfolgt. Eine außerordentliche Kündigung sei daher unzulässig. Darüber hinaus seien die Interessen der Antragstellerin an der Fortführung des persönlichen Budgets sachgerecht zu gewichten. Ihr Gesundheitszustand erfordere die durchgehende Betreuung und Hilfeleistung im Umfang von 24 Stunden täglich. Die von der Antragsgegnerin angesonnene anderweitige Versorgung sei nicht sichergestellt; zumal der Bedarf allein mit Pflegesachleistungen nicht gedeckt werden könne. Nach der Ansicht der Antragstellerin fielen bei der Gewährung von Sachleistungen ungefähr gleich hohe Kosten an wie beim persönlichen Budget. So seien Kalkulationsgrundlage für das persönliche Budget auch die Kosten gewesen, die bei der Sachleistungsgewährung durch einen anerkannten Dienst erbracht werden würden. Insofern müsse im Rahmen einer Gesamtabwägung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug zurücktreten.

 

Mit Beschluss vom 6. Dezember 2021 hat das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 1. November 2021 gegen den Rücknahmebescheid vom 29. Oktober 2021 angeordnet. Aus Sicht der Kammer sei die Kündigung der Zielvereinbarung unwirksam, so dass die Grundlage für die Rücknahmeentscheidung entfallen sei. Ein wichtiger Grund für eine sofortige Kündigung läge nicht vor. Die Antragsgegnerin habe sich bei ihrer Kündigung maßgeblich darauf berufen, dass die Antragstellerin diverse Krankenhausaufenthalte nicht mitgeteilt habe. Dies rechtfertige jedoch keine außerordentliche Kündigung. Zwar dürfte es besonders schwer wiegen, wenn ein Leistungsberechtigter trotz Kenntnis stationäre Krankenhausaufenthalte verschweige und gleichwohl Leistungen empfange, um ambulante Dienstleistungen vergüten zu können. Dieser Vorwurf treffe auf die Antragstellerin aber nicht zu. Denn der Krankenhausaufenthalt bis zum 22. Februar 2019 und die damit verbundene Abrechnung sei der Antragsgegnerin ausweislich ihres Widerspruchsbescheids vom 20. Dezember 2019 bereits bekannt gewesen. Diese Umstände hätten die Antragsgegnerin auch nicht am Abschluss einer neuen Zielvereinbarung am 21. Dezember 2020 gehindert. Da sich die stationären Behandlungen zwischen März 2019 und November 2020 jeweils auf wenige Tage beschränkt hätten und ausweislich des Schreibens des Städtischen Klinikums  U....  vom 30. April 2021 (im Verfahren) überwiegend als ungeplante Notfallversorgungen darstellten, könne die Absprachefähigkeit der Antragstellerin nicht generell infrage gestellt werden. Soweit die Antragstellerin den stationären Aufenthalt ab dem 13. Januar 2021 nicht angegeben habe, sei dargetan, dass sie mit einer entsprechenden Verpflichtung nicht gerechnet habe. Denn die bisherigen Verfahren bezögen sich im Kern auf die Frage, ob die Antragsgegnerin dazu gehalten sei, stationäre Aufenthalte durch die Finanzierung von Assistenten abzusichern. Dies sei jedoch bei der hier in Rede stehenden stationären Behandlung nicht der Fall gewesen. Die Leistungserbringerin habe den Klinikaufenthalt weder begleitet noch in Rechnung gestellt. Zudem habe die Antragstellerin keine ungerechtfertigten Reserven in erheblicher Höhe aufgebaut. Soweit ersichtlich, wende sich die Antragstellerin nur gegen die Rückforderungen für den An- und Abreisetag, nicht hingegen gegen die "berechtigten Rückforderungen in etwa von 36.000 € bis 37.000 €". Das Missverständnis sei so nachvollziehbar und ausgeräumt, ohne dass es einer Kündigung der Zweckvereinbarung bedurft hätte. Gegen den weiteren Kündigungsgrund, dass die Weiterleitung der bewilligten Mittel im Wege eines Dauerauftrags vor der Leistungserbringung an die Leistungserbringerin ausgezahlt worden sei, sei einzuwenden, dass es dahin stehen könne, ob es die Regelung des persönlichen Budgets der Antragsgegnerin gestatteten, auf die Vertragsgestaltung in dieser Weise Einfluss zu nehmen. Denn die Antragstellerin habe diese Art der Abrechnung schon gewählt, als sie noch in der Wohngemeinschaft gewohnt habe, was der Antragsgegnerin auch mindestens seit Übersendung der Abrechnungsunterlagen vom 2. August 2019 bekannt gewesen sei. Es hätte insoweit der Antragsgegnerin oblegen, die Beschränkung auf Leistungen in der Häuslichkeit ausdrücklich in der Zielvereinbarung zu verdeutlichen und sich mit der Betreuerin der Antragstellerin auf bestimmte Abrechnungsmodalitäten zu verständigen. Soweit damit die Kündigung der Zielvereinbarung aus wichtigem Grund nicht rechtens sei, könne diese auch nicht Grundlage für die Rücknahme des Leistungsbescheids sein. Darüber hinaus seien bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen. Diese Interessenabwägung gehe zugunsten der Antragstellerin aus. So träfe der Vorwurf der Mitwirkungspflichtverletzung ausschließlich die Betreuerin und nicht die Antragstellerin. Demgegenüber laufe die Antragstellerin Gefahr, die 24-stündige erforderliche häusliche Unterstützung durch ihre Leistungserbringerin zu verlieren. Ein Ersatz im Wege der Sachleistungsgewährung stehe aktuell nicht bereit. Zudem habe die Antragsgegnerin nur Geldleistungen an einen zugelassenen Assistenz- und Pflegedienst in Aussicht gestellt. Die mögliche Bewilligung von Sachleistungen sei nicht geeignet, kurzfristig die Eingliederungshilfebedarfe der Antragstellerin zu decken. Im Zuständigkeitsbereich des Kommunalen Sozialverbandes Sachsens bestünde derzeit keine entsprechende Vereinbarung mit einem Assistenzdienst zur 24-Stunden-Unterstützung (Eingliederung und Pflege) in der Häuslichkeit. Die privaten Belange der Antragstellerin hätten damit mehr Gewicht, zumal ihr fehlendes Verschulden feststehe und auch im Übrigen ein Erfolg im Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei.

 

Gegen den ihr am 6. Dezember 2021 zugestellten Beschluss richtet sich die am 3. Januar 2022 zum SG A-Stadt eingelegte und an das Sächsische Landessozialgericht weitergeleitete Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie ist der Ansicht, dass das SG in seiner Entscheidung von falschen Tatsachen ausgegangen sei. Anders als das SG meine, sei in der Zeit vom 13. Januar 2021 bis 3. März 2021 ein Betrag von 37.605,06 € zurückgefordert wor-den. Auch stimme es nicht, dass einer der stationären Aufenthalte im Zeitraum bis zum 22. Februar 2019 der Antragsgegnerin bereits bekannt und u. a. Gegenstand des Widerspruchsbescheids vom 20. Dezember 2019 gewesen sei. Das SG berücksichtige nicht, dass die Antragstellerin bereits im Jahr 2019 auf die Notwendigkeit hingewiesen worden sei, stationäre Aufenthalte mitzuteilen. Gleiches gelte für den Umstand, dass die Erbringung ambulanter Leistungen nicht für stationäre Unterbringungen gelte. Das sei jedoch von entscheidender Bedeutung, da die Antragsgegnerin bislang Leistungen in Form des persönlichen Budgets ausschließlich für ambulante Pflege erbracht habe. Dass auf die Zahlung der für diese Leistung bewilligten Summen kein Anspruch bestünde, wenn die Antragstellerin stationär gepflegt werde, sei der Antragstellerin bereits Ende 2019 bekannt gewesen. Auch gingen die Ausführungen des SG fehl, dass trotz der bekannten Aufenthalte der Antragstellerin in einer Klinik eine weitere Zielvereinbarung abgeschlossen worden sei. Zwar sei bereits ein einmaliger Verstoß gegen die Mitteilungspflichten als erheblich anzusehen, dennoch habe die Antragsgegnerin seinerzeit der Antragstellerin Leistungen in Form des persönlichen Budgets nicht verweigert, weil davon ausgegangen worden sei, dass es sich tatsächlich um einen einmaligen Vorfall gehandelt habe. Für die weiteren Klinikaufenthalte gelte dies jedoch nicht. Vielmehr habe die Antragsgegnerin davon ausgehen können, dass die Antragstellerin ihrer Verpflichtung zur Mitteilung stationärer Aufenthalte in Zukunft nachkommen werde. In der Vergangenheit sei von der Antragsgegnerin in anhängigen Klage- oder vorausgegangenen Widerspruchsverfahren immer die generelle Verpflichtung, stationäre Aufenthalte mitzuteilen, thematisiert worden. Dieser Umstand sei auch der Betreuerin der Antragstellerin bekannt gewesen. Zwar würdige das SG den Umstand, dass die Antragstellerin einen großen Teil der ihr gewährten Leistungen aus unbekannten Gründen pauschal als Teilbetrag i. H. v. 16.000 € an die X....  UG gezahlt habe, obwohl ihr bekannt gewesen sei, dass diese keine zu vergütenden Leistungen erbringe, als Verstoß gegen die Zielvereinbarung. Das SG gewichte diesen Verstoß aber nicht als schwerwiegend. Dass es sich dabei bereits um einen zur sofortigen Kündigung berechtigenden Verstoß handele, sei allein schon aufgrund der Höhe des Betrags und des Umstands gegeben, dass die X....  UG diesen Betrag zwar nicht in Rechnung gestellt, aber wie selbstverständlich einbehalten habe. Auch soweit die Antragstellerin in ihrem Widerspruch gegen den Rückforderungsbescheid vom 15. Juni 2021 in Bezug auf die Mehrkosten unwahre Tatsachen behaupte, um den überzahlten Betrag zu reduzieren, rechtfertige dies die außerordentliche Kündigung der Zielvereinbarung. Die gekündigte Zielvereinbarung habe schließlich explizit festgelegt, dass die im Rahmen des persönlichen Budgets bewilligten Mittel ausschließlich für die Bedarfe der häuslichen Pflege zu verwenden seien. Es sei für die Antragstellerin eindeutig gewesen, zu welchem Zweck die Gelder genutzt werden dürften und dass dieser Zweck verbindlich und ausschließlich sei. Schließlich sei das SG auch nicht darauf eingegangen, dass die Antragstellerin pauschal monatlich 16.000 € an die Leistungserbringerin gezahlt und einen Betrag von über 5.000 € einbehalten habe. Somit habe die Antragstellerin bis Oktober 2021 eine Summe von über 40.000 € aus den Mitteln des persönlichen Budgets ansparen können. Die Ansicht des SG, dass der Vorwurf der Bildung von Ansparungen aus steuerfinanzierten Mitteln verfrüht sei, könne daher nicht nachvollzogen werden. Schließlich seien die Ausführungen des SG, die Mitteilungspflichten oblägen ausschließlich der Betreuerin und nicht der Antragstellerin, unzutreffend. Das SG habe zudem die Möglichkeit des Abschlusses von Einzelfallvereinbarungen gemäß § 123 Abs. 5 SGB IX außer Betracht gelassen, obwohl diese Gestaltungsmöglichkeit insbesondere von größeren Trägern regelmäßig genutzt werde. Insgesamt habe die Abrechnung des Budgetzeitraums gezeigt, dass in noch größerem Umfang als bisher angenommen die bewilligten Gelder nicht für die in der Zielvereinbarung festgelegten Zwecke der Deckung des Bedarfs der Antragstellerin für ambulante Pflege verwendet worden seien. Es ergäbe sich nunmehr ein Rückforderungsbetrag i. H. v. 67.765,26 €. Damit werde deutlich, dass das Interesse der Allgemeinheit an der zweckmäßigen Verwendung steuerfinanzierter Mittel gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege. Dass die Antragstellerin keine besondere Sorge für die zweckmäßige Verwendung steuerfinanzierter Mittel trage, zeige sich auch daran, dass sie im Sommer des vergangenen Jahres von den Geldern des persönlichen Budgets Kosten für Unterkunft und Reise der Angestellten ihrer Leistungserbringerin übernommen habe. Auch hier zeige sich, dass die Antragstellerin nicht in der Lage sei, die ausgereichten Mittel sorgfältig und zweckmäßig einzusetzen. Die Allgemeinheit habe jedoch ein Interesse daran, dass steuerfinanzierte Mittel nur ihrem Zweck entsprechend eingesetzt würden. Angesichts der Häufigkeit der Pflichtverstöße und der Höhe der zurückzufordernden Beträge müsse das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin hinter dem Vollzugsinteresse der Allgemeinheit zurücktreten.

 

Die Antragstellerin beantragt,

 

den Beschluss des Sozialgerichts A-Stadt vom 6. Dezember 2021 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte beider Rechtszüge verwiesen.

 

II.

 

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG) der Antragsgegnerin erweist sich als unbegründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Rücknahmeverfügung im Bescheid vom 29. Oktober 2021 waren nicht gegeben, so dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin wiederherzustellen war.

 

Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Diese Anordnungsbefugnis besteht nicht nur dann, wenn die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage von Gesetzes wegen entfällt (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG), sondern auch dann, wenn eine Behörde die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet hat (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86a Rn. 22a sowie § 86b Rn. 5). In diesen Fällen umfasst die Anordnungsbefugnis die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage, die in § 86b Abs. 1 Satz 3 SGG eigens erwähnt wird (so auch Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. März 2011 – L 11 KA 97/10 B ER – juris Rn. 54; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Mai 2009 – L 11 B 5/09 KA ER – juris Rn. 29). Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des am 1. November 2021 gegen den Rücknahmebescheid vom 29. Oktober 2021 eingelegten Widerspruchs. Ein solcher Widerspruch hat zwar regelmäßig aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 Satz 1 SGG), allerdings hat die Antragsgegnerin vorliegend mit Schreiben vom 2. November 2021 die sofortige Vollziehung ihres Rücknahmebescheids vom 29. Oktober 2021 angeordnet, was ihr nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG grundsätzlich möglich ist. Hiernach entfällt die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet. Dieses ist dem Grunde nach mit dem erwähnten Schreiben vom 2. November 2021 erfolgt.

 

Ein Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 1. November 2021 gegen den Rücknahmebescheid vom 29. Oktober 2021 ist gegeben, weil die Antragsgegnerin mit ihrer Anordnung des Sofortvollzugs des Rücknahmebescheids zu erkennen gegeben hat, dass sie die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs nicht anerkennt (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 15).

 

Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist auch begründet.

 

Nach welchen Maßstäben das Gericht nach einer Anordnung gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden hat, ist in § 86b Abs. 1 SGG nicht umfassend geregelt. Für die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung bestimmt bereits § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG, dass sie nur im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten erfolgen darf und eine schriftliche Begründung des besonderen Interesses am Sofortvollzug erfordert. Hieraus ergibt sich, dass das Gericht bei seiner Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zunächst zu prüfen hat, ob die behördliche Vollzugsanordnung formell rechtmäßig getroffen worden ist. Ist das nicht der Fall, ist die aufschiebende Wirkung schon deshalb wiederherzustellen. Ergibt die Prüfung dagegen keinen formellen Mangel der behördlichen Anordnung, hat das Gericht losgelöst von der Verwaltungsentscheidung eine eigene umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, in welche die betroffenen öffentlichen und privaten Interessen einzubeziehen und bei der auch die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen sind (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 12i). Die aufschiebende Wirkung ist insbesondere dann wiederherzustellen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und der Betroffene durch ihn in subjektiven Rechten verletzt wird. Denn am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse. Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden, wobei die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Klage weiterhin zu berücksichtigen sind, jedoch umso geringer sind, je schwerer die fragliche Entscheidung wirkt (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 12i und 12f).

 

Diesen Maßstäben zufolge ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Rücknahmeentscheidung der Antragsgegnerin wiederherzustellen.

 

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Antragsgegnerin (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG) im Schreiben vom 2. November 2021 ist zunächst formell nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat die aus ihrer Sicht für den Sofortvollzug sprechenden Gründe ausreichend benannt, indem sie auf die ihrer Ansicht nach vorliegenden Verletzungen von Mitteilungs- und Mitwirkungsverpflichtungen der Antragstellerin hingewiesen hat. Eine in jeder Hinsicht "richtige" Begründung ist nicht erforderlich (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. August 2021 – L 11 KA 23/20 B ER – juris Rn. 58). Es liegt hier eine "schriftliche Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung" vor, die über die wiederholende Feststellung der Voraussetzungen der Rücknahmeverfügung im Bescheid vom 29. Oktober 2021 hinausgeht und nach der die "sofortige Wirksamkeit" ausnahmsweise notwendig sein soll.

 

Im vorliegenden Fall ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs aber deshalb wiederherzustellen, weil dessen Erfolgsaussichten evident sind. Die Rücknahmeentscheidung im Bescheid vom 29. Oktober 2021 ist offensichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Am Vollzug dieser Rücknahmeentscheidung besteht somit kein öffentliches Interesse. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

 

Die Antragsgegnerin stützt ihre Rücknahmeentscheidung vom 29. Oktober 2021 auf § 45 SGB X. Der Leistungsbescheid vom 26. März 2021 über die Eingliederungshilfe der Antragstellerin sei als begünstigender Verwaltungsakt rechtswidrig und damit für die Zeit ab dem 1. November 2021 zurückzunehmen, weil die Antragstellerin nicht auf den Bestand des Bescheids vom 26. März 2021 vertrauen könne. Begründet wird diese Ansicht mit dem Umstand der Kündigung der dem Leistungsbescheid vom 26. März 2021 zugrunde liegenden Zielvereinbarung vom 21. Dezember 2020 gemäß § 29 Abs. 4 Satz 6 SGB IX aus wichtigem Grund zum 31. Oktober 2021, wonach mit dem Wegfall der Zielvereinbarung die rechtliche Grundlage für die Gewährung des persönlichen Budgets am dem 1. November 2021 entfallen sei.

 

Vorliegend ist der Rücknahmebescheid vom 29. Oktober 2021 bereits deswegen rechtswidrig, weil die Gewährung der Eingliederungshilfe für die Antragstellerin im Wege des persönlichen Budgets im Leistungsbescheid vom 26. März 2021 nach der in Eilsachen gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig erscheint und die Tatbestandsvoraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung vom 26. März 2021 nicht gegeben sind.

 

Der materielle Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen der Eingliederungshilfe sowie Leistungen der Hilfe zur Pflege gegen die Antragsgegnerin nach den §§ 99, 102 SGB IX sowie § 103 Abs. 2 SGB IX in Verbindung mit §§ 64a ff SGB XII liegt dem Grunde nach unstreitig vor. Die Antragstellerin ist schwerstbehindert; sie leidet an einer spastischen Zerebralparese (Tetraparese) und erheblichen Spastiken in den Armen und Beinen. Im Hinblick darauf benötigt sie eine 24stündige Betreuung mit Pflege und Assistenz. Dieser Umstand und die einzelnen Bedarfe der Antragstellerin sind zwischen den Beteiligten nicht streitbefangen, zumal die Antragsgegnerin auch ohne Weiteres einen entsprechenden Sachleistungsanspruch anerkannt hat.

 

Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 SGB X liegen aber offensichtlich nicht vor. Nach dieser Vorschrift darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann
(§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen, soweit

  1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
  2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat,
  3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

 

Vorliegend konnte die Antragstellerin schutzwürdig auf den Bestand der Leistungsverfügung vom 26. März 2021 vertrauen, da nichts dafür ersichtlich ist, dass sie den Verwaltungsakt böswillig erwirkt (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X) bzw. der Leistungsbescheid auf unrichtigen oder unvollständigen Angaben der Antragstellerin beruhen könnte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) oder dass Anhaltspunkte dafür vorlägen, wonach die Antragstellerin eine (hier nicht vorhandene) Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung vom 26. März 2021 infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Ohnehin sind nach Ansicht des Senats in der vorliegenden Konstellation die Vorschriften über die Aufhebung bzw. Rücknahme von Verwaltungsakten nach dem SGB X suspendiert, weil in den Fällen der Rückabwicklung mit Wirkung für die Zukunft wegen Kündigung einer Zielvereinbarung mit dem § 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX eine Spezialvorschrift zu den §§ 45, 48 SGB X existiert (O'Sullivan, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., Stand: 15. Januar 2018, § 29 SGB IX Rn. 49).

 

Vorliegend sind jedoch auch die Voraussetzungen des § 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift wird im Fall der Kündigung einer Zielvereinbarung der Verwaltungsakt aufgehoben. Streitbefangen ist vorliegend allein die Gewährung der Eingliederungshilfeleistungen in Form eines persönlichen Budgets. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Antragstellerin auf die Ausführung von Leistungen in Form eines persönlichen Budgets ist insoweit § 29 SGB IX. Auf Antrag der Leistungsberechtigten werden demnach Leistungen zur Teilhabe durch die Leistungsform eines persönlichen Budgets ausgeführt, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen (§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Persönliche Budgets werden in der Regel als Geldleistung ausgeführt, bei laufenden Leistungen monatlich (§ 29 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Der Leistungsträger – hier die Antragsgegnerin – und die Leistungsberechtigten – hier die Antragstellerin – schließen zur Umsetzung des persönlichen Budgets eine Zielvereinbarung ab (§ 29 Abs. 4 Satz 1 SGB IX). Dieses haben die Beteiligten mit dem Abschluss der hier streitigen Zielvereinbarung vom 21 Dezember 2020 auch vorgenommen.

 

Soweit die Antragsgegnerin meint, die Zielvereinbarung vom 21. Dezember 2020 mit wichtigem Grund wirksam gekündigt zu haben, ist diese Ansicht unzutreffend, weil die Kündigung der Zielvereinbarung mit Schreiben vom 8. Oktober 2021 und vom 29. Oktober 2021 rechtswidrig ist. Nach § 29 Abs. 4 Satz 4 SGB IX können die Beteiligten, die die Zielvereinbarung abgeschlossen haben, diese aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung schriftlich kündigen, wenn ihnen die Fortsetzung der Vereinbarung nicht zumutbar ist. Ein wichtiger Grund kann für die Leistungsberechtigten insbesondere in der persönlichen Lebenssituation liegen (§ 29 Abs. 4 Satz 5 SGB IX). Für den Leistungsträger kann ein wichtiger Grund dann vorliegen, wenn die Leistungsberechtigten die Vereinbarung, insbesondere hinsichtlich des Nachweises zur Bedarfsdeckung und der Qualitätssicherung nicht einhalten (§ 29 Abs. 4 Satz 6 SGB IX). Im Fall der Kündigung der Zielvereinbarung wird der Verwaltungsakt aufgehoben (§ 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX). Mit dem Begriff des wichtigen Grundes knüpft die Norm an ganz allgemeine Rechtsgrundsätze (§ 626 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) an, die für öffentlich-rechtliche Verträge wie hier gesondert kodifiziert sind (§ 59 Abs. 1 Satz 2 Var. 2, Abs. 2 SGB X). Aus diesen allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergibt sich, dass ein Verstoß gegen die Zielvereinbarung nur dann ein Kündigungsgrund für den Träger sein kann, wenn der Verstoß erheblich oder der Berechtigte zuvor wegen eines anderen Verstoßes bereits einmal abgemahnt worden ist (vgl. die Rechtsgedanken des § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB; vgl. hierzu auch O'Sullivan, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., Stand:
15. Januar 2018, § 29 SGB IX Rn. 49). Ein Verstoß ist dann erheblich, wenn ein schwerer Nachteil für das Gemeinwohl vorliegt, wenn also „besondere, erhebliche, überragende Interessen der Allgemeinheit die Auflösung des Vertrags gebieten, durch die dem Staat auf seinen verschiedenen Ebenen unzumutbare Lasten auferlegt würden“ (Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 60 Rn. 28).

 

Zur Kündigung nach § 59 Abs. 1 Satz 2 SGB X berechtigen daher weder die bloße Rechtswidrigkeit des Vertrags (Hissnauer, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. Stand:
31. Januar 2022, § 59 Rn. 29), noch die Belastung der Gemeinschaft der Versicherten mit erhöhten Zahlungen (Wehrhahn, in: KassKomm-SGB, SGB X, § 59 Rn. 13.) oder rein fiskalische Gründe. Anders stellt sich die Situation nur dann dar, wenn dem Vertragsinhalt – gerade unter finanziellen Gesichtspunkten – erdrosselnde Wirkung zukommt (Hissnauer, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., Stand: 31. Januar 2022, § 59 Rn. 29).

 

Ein schwerer Gemeinwohlverstoß im Sinne dieser Ausführungen ist nach Ansicht des Senats nicht gegeben. Zwar besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit an der zweckmäßigen Verwendung steuerfinanzierter Mittel. Nachvollziehbar erscheint auch die Befürchtung der Antragsgegnerin, dass die organisatorischen Herausforderungen, die die laufende Durchführung persönlicher Budgets mit sehr hohem Hilfebedarf stellt, manchen Menschen an seine Grenzen zu bringen vermag. In solchen Fällen mag die Leistungserbringung im Wege der "klassischen" Sachleistungsgewährung vorzugswürdig sein. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen; ggf. für notwendig erachtete Änderungen bei der Ausführung der Leistungen sollten möglichst einvernehmlich mit dem Leistungsberechtigten abgestimmt werden. Ein einmaliges Versehen oder leichte Verstöße gegen die Zielvereinbarung im Laufe mehrerer Jahre berechtigen jedoch nicht sogleich zur Kündigung aus wichtigem Grund. Eine solche Kündigung kommt auch nicht etwa deshalb ohne Weiteres in Betracht, weil es sich – wie hier – um sehr hohe monatliche Zahlbeträge handelt. Die Antragsgegnerin hat nach der Überzeugung des Senats nicht hinreichend beachtet, dass die Antragstellerin ihr Versehen hinsichtlich der stationären Behandlung im ersten Quartal 2021 sofort eingeräumt und ihre weitestgehende Rückzahlungspflicht zugestanden hat; diese lediglich reduziert um die Kosten erbrachter Hilfen am Anreise- und Abreisetag. Diese Umstände hätte die Antragsgegnerin in ihre Überlegungen zum Vorliegen eines schweren Gemeinwohlverstoßes einbeziehen müssen.

 

Die Kündigung der Zielvereinbarung ist auch deswegen rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin die Antragstellerin vor der Bekanntgabe des Kündigungsschreibens vom 8. Oktober 2021 in Fassung des Schreibens vom 29. Oktober 2021 nicht wegen eines anderen Verstoßes bereits einmal abgemahnt hat (vgl. die Rechtsgedanken des § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB). Bei einer Abmahnung handelt es sich um eine tatsächliche individualrechtliche Erklärung des Kooperationsgläubigers, durch die er dem Vertragspartner verdeutlicht, dass sein vertragswidriges Verhalten nicht länger hingenommen wird (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 9. Aufl. 2000, § 61 Rn. 28, 32). Eine solche Abmahnung ist als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch Voraussetzung der Kündigung aus wichtigem Grund nach § 29 Abs. 4 Satz 4 SGB IX und nur dann entbehrlich, wenn ein Vertragspartner die Leistung pflichtwidrig ernsthaft und endgültig verweigert (§§ 61 Satz 2 SGB X i. V. m. 314 Abs. 2 Satz 2 BGB i. V. m. 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB), wenn eine im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnisses geschuldete Fixschuld nicht rechtzeitig erbracht wird (§§ 61 Satz 2 SGB X i. V. m. 314 Abs. 2 Satz 2 BGB i. V. m. 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB) oder wenn besondere Umstände die sofortige Kündigung rechtfertigen (§§ 61 Satz 2 SGB X i. V. m. 314 Abs. 2 Satz 2 BGB i. V. m. 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Diese Varianten sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Insbesondere erscheinen die Vertragsverletzungen der Antragstellerin als nicht so schwerwiegend, dass vernünftigerweise nicht von einer zumutbaren Fortsetzung der Zielvereinbarung ausgegangen werden kann. Zur Bewertung kommt es maßgeblich auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung vom 8. Oktober 2021 in Fassung des Schreibens vom 29. Oktober 2021 an, weil eine – diesbezüglich zu betrachtende, hier aber nicht erfolgte – Abmahnung jedenfalls geeignet sein muss, ein vertragsgerechtes Verhalten des Kooperationspartners in Zukunft zu erreichen (Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 60 Rn. 30d).

 

In ihrer Kündigungserklärung stellt die Antragsgegnerin im Wesentlichen auf die nicht vor dem 23. August 2021 mitgeteilten Klinikaufenthalte der Antragstellerin seit Januar 2019 ab. Bei der Prüfung der vorliegenden Abrechnungsunterlagen aus dem genannten Zeitraum sei ersichtlich geworden, dass die Leistungserbringerin während der Krankenhausaufenthalte nicht unerhebliche Unterstützungsleistungen für die Antragstellerin in Rechnung gestellt habe. Auch wiesen die vorliegenden Abrechnungsunterlagen auf die Einrichtung eines Dauerauftrags sowie offene Forderungen des Leistungserbringers hin. Die für die Kündigung vorgetragenen Gründe rechtfertigen es nicht, von der grundsätzlich erforderlichen Abmahnung abzusehen. Eine solche wäre dazu geeignet gewesen, die Antragstellerin dazu zu veranlassen, künftige Klinikaufenthalte ohne schuldhaftes Verzögern mitzuteilen. Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin in Kenntnis der unterbliebenen Anzeige eines Krankenhausaufenthaltes gleichwohl am 21. Dezember 2020 eine neue Zielvereinbarung mit der Antragstellerin abgeschlossen hat, in der zudem eine Verpflichtung zur Meldung von stationären Krankenhausaufenthalten nicht gesondert geregelt worden ist. Jedenfalls den Klinikaufenthalt vom 3. Januar 2019 bis
22. Februar 2019 und die damit verbundene Abrechnung war der Antragsgegnerin ausweislich ihres Widerspruchsbescheids vom 20. Dezember 2019 bekannt. Hieraus wird für den Senat ersichtlich, dass die Antragsgegnerin der unterbliebenen Meldung von Zeiten stationärer Behandlung nicht in jedem Fall eine Bedeutung beigemessen hat, die sie zur unverzüglichen Kündigung der Zielvereinbarung veranlasst hätte. Wenn es sich dabei aus Sicht der Antragsgegnerin um eine für sie essentielle Verpflichtung handeln sollte – was sie rechtlich gesehen durchaus ist –, dann hätte vor einer außerordentlichen Kündigung jedenfalls eine Abmahnung erfolgen müssen. Hinzu kommt, dass für die laufende Zielvereinbarung und deren Wirksamkeit auch nur der aktuell laufende Budgetzeitraum vom 1. August 2020 bis 31. Juli 2022 streiterheblich sein kann. In diesem Zeitraum lag lediglich der stationäre Aufenthalt der Antragstellerin vom 2. November 2020 bis 4. November 2020, bei dem es sich um eine Notfallbehandlung gehandelt hat und folglich eine frühzeitige Anzeige des stationären Aufenthalts nicht möglich gewesen ist. Nachdem die Betreuerin der Antragstellerin mit Schreiben vom 23. August 2021 die Krankenhausaufenthaltszeiten seit Januar 2019 tabellarisch aufbereitet übersandt hatte, wäre es spätestens ab diesem Zeitpunkt an der Antragsgegnerin gewesen, die für sie essentielle Vertragspflichtverletzung herauszustellen und die Antragstellerin abzumahnen mit dem Ziel, diese zu künftig vertragstreuem Verhalten zu veranlassen.

 

Soweit die Antragsgegnerin als Kündigungsgründe des Weiteren angab, dass die vorliegenden Abrechnungsunterlagen auf die Einrichtung eines Dauerauftrags sowie auf offene Forderungen des Leistungserbringers hinweisen, handelt es sich dabei nach Ansicht des Senats ebenfalls nicht um schwerwiegende Gründe, die eine Abmahnung entbehrlich machen würden. Die Erteilung von Daueraufträgen über die Anweisung von monatlich 16.000 € ist der Antragsgegnerin ebenfalls reichlich vor Abgabe der Kündigungserklärung – nämlich durch die Übersendung der Abrechnungsunterlagen zum 2. August 2019 – bekannt gewesen. Auch hier hätte es zuvor, etwa im Rahmen der Zielvereinbarungsverhandlungen oder aber zumindest im Rahmen einer Abmahnung, Möglichkeiten gegeben, die Antragstellerin zur Änderung dieser Zahlungsmodalitäten zu bewegen. Im Übrigen ist erst die Prüfung von eingereichten Abrechnungsunterlagen überhaupt eine Grundlage dafür, offene Forderungen des Leistungserbringers zu Tage zu fördern, soweit sich dieser nicht bereits zuvor an seinen Leistungsberechtigten gewandt hat mit der Aufforderung, die vorgelegten Rechnungen zu begleichen. Der erwähnte Dauerauftrag rechtfertigt daher ebenfalls keine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung.

 

 

Da somit eine wirksame Kündigung aus wichtigem Grund im Sinne von § 29 Abs. 4 Satz 4 SGB IX nicht vorliegt, kann der Verwaltungsakt auch nicht nach § 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX aufgehoben werden. Damit erweist sich der Rücknahmebescheid vom 29. Oktober 2021 allein deshalb als offensichtlich rechtswidrig, weshalb die aufschiebende Wirkung des hiergegen erhobenen Widerspruchs vom 1. November 2021 anzuordnen war.

 

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

 

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Rechtskraft
Aus
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