Zu den Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.10.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat.
Der 1964 geborene Kläger hat den Beruf eines Schleifers und Bohrers ausgeübt und war nach seinen Angaben zuletzt als Bohrerrichter versicherungspflichtig beschäftigt; das Arbeitsverhältnis besteht formal wohl noch fort. Beim Kläger liegt nach ärztlichen Feststellungen eine Minderbegabung an der Grenze zur geistigen Behinderung vor, die schon vor seiner Beschäftigungsaufnahme bestanden hatte. Insbesondere wegen einer postrheumatischen Myokarditis war dem Kläger im Februar 1982 durch das damalige Amt für Versorgung und Familienförderung Nürnberg ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 zuerkannt worden. Im Dezember 1985 wurde im Zuge festgestellter gesundheitlicher Verbesserungen der GdB zunächst auf 30 reduziert, ehe nach Hinzutreten weiterer Erkrankungen im Juli 1993 erneut ein GdB von 50 zuerkannt wurde, der bis heute unverändert vorliegt.
Im November/Dezember 2010 befand sich der Kläger zur stationären medizinischen Rehabilitation in der Rheumaklinik Bad A, aus der er zwar als vorübergehend arbeitsunfähig entlassen wurde; sowohl für den allgemeinen Arbeitsmarkt als auch für den zuletzt ausgeübten Beruf wurde er seinerzeit jedoch weiterhin für zeitlich nicht eingeschränkt einsatzfähig angesehen. Dementsprechend wurde damals auch eine Umwandlung des Reha-Antrags in einen Rentenantrag von der Beklagten abgelehnt.
Im Juli 2012 bestätigte die Fachärztin für Allgemeinmedizin K, dass der Kläger bis auf Weiteres arbeitsunfähig sei.
Am 26.10.2012 beantragte der Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung. Dieser Rentenantrag wurde von der Beklagten abgelehnt. Auch das nachfolgende Widerspruchsverfahren und das Klageverfahren beim Sozialgericht Nürnberg (Az. S 11 R 591/13) blieben erfolglos.
Ein im Dezember 2012 bei der Bundesagentur für Arbeit gestellter Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wurde zuständigkeitshalber an die Beklagte abgegeben. Diese stellte im Einvernehmen mit dem Kläger den Antrag zunächst bis zum Abschluss des Rentenverfahrens zurück. Im November 2014 kam die Beklagte aufgrund einer Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie T zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund chronischer Schmerzen im Beruf als Schleifer nicht mehr leistungsfähig sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt jedoch nach wie vor einsatzfähig sei und eine LTA-Maßnahme im Sinne von Umschulungsmaßnahmen bei der vorliegenden Minderbegabung des Klägers nicht zielführend sei.
Im Juli 2014 befand sich der Kläger zur stationären medizinischen Rehabilitation in der F Klinik Bad W, aus der er nach Abschluss der Maßnahme als vollschichtig einsatzfähig für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung von Einschränkungen der Arbeitsbedingungen entlassen wurde. Gleichzeitig wurde von der Reha-Klinik eine ergänzende psychiatrische Begutachtung zur Fragestellung der Schmerzverarbeitung angeregt (s. Entlassungsbericht vom 18.08.2014).
Im Oktober 2014 beantragte der Kläger erneut eine Rente wegen Erwerbsminderung, die von der Beklagten nach Einholung eines Gutachtens durch die Fachärztin für Neurologie T am 24.11.2014 wegen Fehlens der medizinischen Voraussetzungen abgelehnt wurde. Das nachfolgende Widerspruchsverfahren und das Klageverfahren S 12 R 462/15 beim Sozialgericht Nürnberg hatten keinen Erfolg. Dabei war in einem Gutachten des Facharztes für Orthopädie M vom 29.10.2015 eine vollschichtige Einsatzfähigkeit für leichte und anteilig mittelschwere Arbeiten noch als gegeben angesehen worden. Gleichzeitig war die Gesamtsituation vor dem Hintergrund der intellektuellen Defizite und der Einschätzung des Klägers, dass er nicht mehr in der Lage sei, irgendeiner Tätigkeit noch nachgehen zu können, als ungünstig eingeschätzt worden. Ergänzend war hinsichtlich der Schmerzverarbeitung am 07.10.2016 ein weiteres Gutachten - nun durch die Fachärztin für Neurologie K1 - erstellt worden, die ebenfalls zum Ergebnis gelangt war, dass der Kläger zumindest körperlich leichte Tätigkeiten unter Einschränkungen der Arbeitsbedingungen täglich mindestens sechs Stunden ausüben könne.
Gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.01.2017 (Az. S 12 R 462/15) wurde Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt (Az. L 19 R 125/17). In einem Versicherungsverlauf vom 19.07.2018 wurde damals als letzter Eintrag eine Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug bis 30.05.2018 bescheinigt. Mit Schreiben vom 10.01.2019 nahm der Kläger die damalige Berufung zurück.
Während des Berufungsverfahrens hatte sich der Kläger bereits im Juni 2018 an die Beklagte gewandt und mitgeteilt, dass die Agentur für Arbeit ihn nicht mehr für vermittelbar halte und er dort keine Krankmeldungen mehr abgeben solle. In einem Aktenvermerk ist festgehalten, dass vereinbart worden sei, dass der Kläger Unterlagen über die erneute Verschlechterung einreiche und die laufenden AU-Bescheinigungen zunächst an die Krankenkasse gebe. Falls diese keine AU-Zeiten mehr melde, solle er die Bescheinigungen an die Beklagte senden und falls dies außerhalb des Dreijahresraumes liege, werde ggf. ein Überbrückungstatbestand geprüft. Der Kläger legte im Folgenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seiner Hausärztin vor, wonach er seit dem 19.04.2018 fortlaufend - zumindest bis Ende März 2019 - arbeitsunfähig gewesen sei.
Mit Bescheid vom 11.04.2019 erließ die Beklagte einen Feststellungsbescheid zu den Versicherungszeiten des Klägers und stellte fest, dass die Zeit vom 01.06.2018 bis 30.03.2019 nicht als Anrechnungszeit vorgemerkt werden könne, weil eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Vorschriften nicht vorgelegen habe.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass am 25.04.2018 eine Operation erfolgt sei und ihn dann die Agentur für Arbeit einfach abgemeldet habe und ihm erklärt habe, er könne die AU-Bescheinigungen auch direkt an die Rentenversicherung senden. Er habe sich im Anschluss dann telefonisch bei der Rentenversicherung erkundigt, ob dies zutreffend sei und dies sei ihm so bestätigt worden.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 22.05.2019 den Widerspruch zurück und führte aus, dass für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) im Fall des Klägers der allgemeine Arbeitsmarkt als Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit heranzuziehen gewesen sei, da die Beschäftigung zuletzt im September 2010 erfolgt gewesen sei und damit zu weit zurückgelegen habe. Bezogen auf den Zeitraum ab 19.04.2018 habe keine Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Rentenversicherung vorgelegen.
Die hiergegen beim Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage wurde unter dem Az. S 9 R 501/19 geführt. Es wurde dort geltend gemacht, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen belegen würden, dass der Kläger in Bezug auf seinen ursprünglichen Arbeitsplatz als Werkzeugrichter arbeitsunfähig gewesen sei. Inwieweit dies auch auf den allgemeinen Arbeitsmarkt auszudehnen sei, vermöge lediglich ein Mediziner zu beurteilen; von Seiten der Beklagten könne dies nicht einfach unterstellt werden. Zudem würden auch die Rentengutachten den Kläger dahingehend nicht überzeugen. Das Sozialgericht holte eine Auskunft beim Arbeitgeber des Klägers, der Fa. E ein, wonach der Kläger dort einfache Helfertätigkeiten ausgeübt habe und seit August 2010 arbeitsunfähig erkrankt sei. Das Arbeitsverhältnis, das im August 1981 begonnen habe, sei bislang nicht beendet worden.
Das Sozialgericht erbat in jenem Rechtsstreit eine Stellungnahme der Beklagten dazu, dass der Kläger in der Zeit vom 08.06.2018 bis 10.08.2018, vom 08.01.2019 bis 10.01.2019, vom 20.02.2019 bis 28.02.2019 und vom 18.03.2019 bis 19.03.2019 zur stationären Behandlung aufgenommen gewesen sei und für diese Zeit zu prüfen sei, ob Anrechnungszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vorliegen würden. Die Beklagte hat auf Urteile des Bundessozialgerichts vom 25.02.2004 (Az. B 5 RJ 30/02 R) sowie vom 07.12.2004 (Az. B 1 KR 5/03 R) verwiesen, wonach nach einem Zeitraum von drei Jahren seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit der Bezug zur zuletzt ausgeübten Beschäftigung oder Tätigkeit sowie einer ähnlich gearteten Beschäftigung oder Tätigkeit entfalle. Nach Ablauf dieses Zeitraums seien Versicherte auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisbar, so dass eine Arbeitsunfähigkeit nicht mehr vorliege. Unabhängig von den vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen habe keine Arbeitsunfähigkeit im Sinne des Krankenversicherungsrechts mehr vorliegen können und damit auch keine berücksichtigungsfähige Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit.
Das Sozialgericht wies in jenem Rechtsstreit mit Gerichtsbescheid vom 28.01.2021 die Klage auf Anerkennung der Zeit vom 01.06.2018 bis 30.03.2019 als Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit zurück. Arbeitsunfähigkeit hätte im Fall des Klägers, bei dem mehr als drei Jahre seit dem Ende der Beschäftigung vergangen gewesen seien, nur noch dann vorgelegen, wenn der Versicherte auch nicht mehr arbeitsfähig für irgendeine Arbeit des allgemeinen Arbeitsmarktes gewesen wäre. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass hier formal ein Arbeitsverhältnis noch fortbestehe (zu verweisen sei insofern auf das Bundessozialgericht, Urteil vom 25.02.2010, B 13 R 116/08 R). In dem im parallelen Rentenverfahren eingeholten Gutachten sei festgestellt worden, dass der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben könne. Eine inhaltliche Bindung an die Bescheinigung der behandelnden Ärzte bestehe nicht (so Bayer. LSG, Urteil vom 20.12.2017, Az. L 1 R 1084/14). Rechtsmittel wurden gegen diesen Gerichtsbescheid keine ergriffen.
Offensichtlich am 06.12.2018 stellten die Bevollmächtigten des Klägers einen neuen Antrag auf Erwerbsminderungsrente, den die Beklagte mit Schreiben vom 11.12.2018 als unzulässig ansah, da im bereits anhängigen Berufungsverfahren auch für die Zeit ab der erneuten Antragstellung zu entscheiden sei.
Am 16.12.2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten ein weiteres Mal eine Rente wegen Erwerbsminderung - nunmehr formblattmäßig über den Versichertenberater J aus L. Die Beklagte bearbeitete diesen neuen - und hier streitgegenständlichen - Rentenantrag im Folgenden inhaltlich weiter, offensichtlich weil der Kläger das Berufungsverfahren beendet hatte, bevor sich die Beklagte zu diesem Antrag geäußert hatte.
Die Beklagte ließ den Kläger am 18.02.2019 orthopädisch durch R und internistisch durch K2 sowie ergänzend am 26.03.2019 neurologisch-psychiatrisch durch H untersuchen. Zusammengefasst wurden dabei folgende Gesundheitsstörungen beim Kläger beschrieben:
1. Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren.
2. Überlastung des Achsorganes und der tragenden Gelenke durch massives Übergewicht.
3. Minderbelastbarkeit der Lendenwirbelsäule bei Verschleiß und Bandscheibenschäden.
4. Belastungsabhängige Kniegelenksbeschwerden beidseits, mittelgradige Funktionseinbuße.
5. Belastungsabhängige Hüftgelenksbeschwerden links bei Verschleiß.
6. Halswirbelsäulen-Schulter-Arm-Syndrom, freie Beweglichkeit der Halswirbelsäule, geringe Funktionseinbuße der Schultergelenke.
7. Metabolisches Syndrom.
8. Vorbeschriebene beginnende dilatative Kardiomyopathie mit normaler Pumpfunktion.
9. Rezidivierende Harnröhrenstriktur mit wiederholten operativen Interventionen, demnächst erneut.
10. Rezidivierende Luftnot.
11. Vorbeschriebenes Polyneuropathiesyndrom.
12. Anamnestisch Knochendichteminderungen.
Beim Kläger bestünden Einschränkungen der Arbeitsbedingungen. Er könne leichte Tätigkeiten im Wechselrhythmus mit vermehrt sitzendem Anteil sechs- und mehrstündig verrichten. Besondere Stressbelastung, besondere Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, Schichtarbeit oder Akkordarbeit, Witterungsexposition oder Exposition zu inhalativen Noxen, Fremd- oder Eigengefährdung oder erhöhte Unfallgefahr seien nicht zumutbar. Zu vermeiden seien Arbeiten auf Leitern und Gerüsten bzw. allgemein mit besonderen Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit etwa im Knien und in der Hocke oder mit Klettern und Steigen sowie schweres Heben oder Tragen, häufiges Bücken, ständige Zwangshaltungen und häufiges Überkopfarbeiten. Die Umstellungsfähigkeit für zumindest einfache geistige Tätigkeiten sei erhalten. Fachübergreifend ergebe sich keine Indikation zur Durchführung einer Rehabilitationsbehandlung bei aktuell nicht ausgeschöpft erscheinenden ambulanten Therapiemöglichkeiten. Für die letzte berufliche Tätigkeit als Bohrer ergebe sich beim angegebenen Tätigkeitsprofil dagegen eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden arbeitstäglich. Eine Besserung erscheine hier unwahrscheinlich. Eine Wegstrecke über 500 Meter sei ebenso wie die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar - auch mehrmals am Tag.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 05.04.2019 eine Rentengewährung ab und verwies den Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 29.04.2019 Widerspruch ein und machte geltend, dass er laufend bei K in hausärztlicher Behandlung sowie bei H1 in orthopädischer Behandlung stehe. Der Kläger sei auf eine Begleitperson angewiesen, weil er nicht im Besitz eines Führerscheins für Autos sei. Seitens der behandelnden Hausärztin werde ein weiterer Einsatz von Schmerzmedikamenten ohne Begrenzung nicht befürwortet. Vorgelegt wurde ein Attest der Hausärztin K vom 28.05.2019, wonach der Kläger die zuletzt durchgeführte Tätigkeit maximal drei Stunden am Tag ausführen könne und ihm ein Fußweg von 500 Metern nicht möglich sei, weil er sich generell nur mit Hilfe von Gehstützen fortbewegen könne und - je nach Tagesverfassung - bereits nach 50 bis 75 Metern eine Stehpause zur Entlastung des Knies und des Rückens erfolgen müsse.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2019 zurück. Auch nach nochmaliger Überprüfung aller vorliegenden Unterlagen ergebe sich keine geänderte sozialmedizinische Beurteilung.
Hiergegen hat der Kläger durch seine Bevollmächtigten mit Schreiben vom 23.07.2019 am 24.07.2019 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Der Kläger hat einen Arztbrief des Psychiaters L vom 24.06.2019 übersandt. Nachfolgend hat das Sozialgericht Befundberichte bei den behandelnden Ärzten eingeholt: Hierbei hat L angegeben, es habe sich um eine einmalige Behandlung des Klägers am 13.06.2019 wegen Schmerzen im rechten Bein gehandelt. Der Orthopäde H1 hat über die laufende Behandlung des Klägers in seinem Befundbericht vom 19.08.2019 berichtet, bei der medikamentöse Behandlung mit Novaminsulfon, Voltaren, Schmerzpflaster und bei Bedarf mit Ibuprofen 600 erfolgt sei. Die Hausärztin K hat in ihrem Befundbericht vom 16.09.2019 angegeben, dass sich beim Kläger die Beschwerden chronifiziert hätten und die radiologische Diagnostik mit der Klinik nicht übereinstimme, da der Kläger starke Schmerzen beklage und bei Knie- und Lendenwirbelsäulenschmerzen nicht weiter als 200 m laufen könne.
Das Sozialgericht hat einen Versicherungsverlauf eingeholt, in dem zuletzt die Zeit vom 01.06.2018 bis 30.03.2019 als Überbrückungszeit ohne Anrechnung ausgewiesen ist.
Es hat ein Gutachten durch den Internisten und Sozialmediziner S am 05.12.2019 erstellen lassen. Der ärztliche Sachverständige hat die wesentlichen Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen beschrieben:
1. Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren.
2. Degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom ohne sensomotorische Ausfälle.
3. Gonarthrose beidseits mit mittelgradiger Funktionseinbuße.
4. Coxarthrose.
5. Omarthrose.
6. Metabolisches Syndrom mit diabetischer Stoffwechsellage und distalsensibler Polyneuropathie.
7. Vorbeschriebene dilatative Kardiomyopathie mit normaler Pumpfunktion.
8. Rezidivierende Harnröhrenstriktur mit wiederholten operativen Interventionen und intermittierender Inkontinenz.
Im Zentrum der sozialmedizinischen Betrachtungen stehe das chronische Schmerzsyndrom auf dem Boden von fortgeschrittenen degenerativen Lendenwirbelsäulen- und Kniegelenksveränderungen, auch die Hüft- und Schultergelenke seien betroffen. Hinzu komme eine distalsensible Polyneuropathie bei Diabetes mellitus. Gleichwohl sei der Kläger unter Nutzung von zwei Unterarmgehstützen hinreichend sicher mobil und auch wegefähig. Dem Kläger könnten lediglich sitzende Tätigkeiten abverlangt werden. Es bleibe festzuhalten, dass die zumutbaren Therapieoptionen bei weitem nicht ausgeschöpft erscheinen würden. Bezüglich depressiver Stimmungsfärbung bei chronifiziertem Schmerzsyndrom erfolge weder eine nervenfachärztliche noch psychotherapeutische Begleitung. Schmerzdistanzierende Psychopharmaka kämen nicht zum Einsatz. Krankengymnastik oder spezifische Schmerztherapie würden ebenfalls vermisst. Als sozialmedizinisches Leistungsbild kämen leichte Tätigkeiten im Sitzen mit Möglichkeit zum Positionswechsel im Umfang von täglich sechs Stunden und mehr in Betracht. Auszuschließen seien Schicht- und Akkordtätigkeit, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten im Knien und in der Hocke, Klettern und Steigen, überwiegend witterungsausgesetzte Tätigkeiten, Exposition zu inhalativen Noxen, Tätigkeiten mit Eigen- und Fremdgefährdung und erhöhter Unfallgefahr, häufiges Bücken und ständige Zwangshaltungen sowie häufiges Überkopfarbeiten. Stand- und Gangsicherheit müsse gegeben sein. Es dürften keine besonderen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie keine besondere Stressbelastung zugemutet werden. Der Kläger könne Wegstrecken von 500 m mit Gehhilfen und Pausen innerhalb von 20 Minuten zurücklegen und sei auch in der Lage öffentliche Verkehrsmittel zur Hauptverkehrszeit zu benutzen.
Der Kläger legte ein Attest der Hausärztin K vom 13.12.2019 vor. Danach habe die im Gutachten vorgeschlagene Tätigkeit als Telefonist bereits bei der Besprechung dieser Option beim Kläger das Auftreten von Angst ausgelöst. Die beim Kläger bestätigte Lernbehinderung erfordere eine eher monotone gleichbleibende Tätigkeit. Sei dies nicht so, werde eine Unsicherheit mit Ängsten mit nachfolgender psychiatrischer Erkrankung erzeugt. Es werde daher dem Vorschlag widersprochen, den Kläger als Telefonist einzusetzen. Das Antidepressivum Duloxetin habe bezüglich der Angststörung als auch der bestätigten Polyneuropathie keine Wirkung gezeigt und sei wieder abgesetzt worden. Durch die eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten seien einer Schmerztherapie Grenzen gesetzt. Es sei der Behauptung, dass die Therapieoptionen nicht ausgeschöpft seien, zu widersprechen. Auch Krankengymnastik habe teilweise kontraproduktive Effekte wie Überlastung gezeigt und sei abgesetzt worden. Dem psychischen Aspekt werde deutlich zu wenig Gewicht verliehen. Es sei extrem schwierig, eine Beschäftigung nach dem Leistungsbild abwechslungsreiche Tätigkeit von Stehen und langsamen Gehen zu einfachen optimalem technischen Bereich Tätigkeiten für zwei bis maximal vier Stunden zu finden.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist ein Gutachten vom Facharzt für Orthopädie S1 eingeholt worden, der den Kläger am 07.07.2020 untersucht hat und in seinem ebenfalls auf diesen Tag datierten Gutachten ausgeführt hat, dass beim Kläger eine nicht zu übersehende Verdeutlichungstendenz vorliege. Das erhebliche Übergewicht würde sich ungünstig auf den gesamten Bewegungsapparat auswirken und bereits 2016 sei von der Neurologin K1 ein motivationales Defizit beim Kläger beschrieben worden. Ein mäßig ausgeprägtes kognitives Defizit sei ebenfalls nicht zu übersehen. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bohrer mit dem beschriebenen Arbeitsprofil auszuüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt würden keine quantitativen, sondern nur qualitative Leistungseinschränkungen vorliegen. An Gesundheitsstörungen seien zu beschreiben
1. Degeneratives Cervicalsyndrom.
2. Lumbosakrales Facettensyndrom mit gelegentlichem Wurzelreiz entsprechend Dermatom L 5/S 1 rechts.
3. Periarthritis humero-scapilaris beider Schultern.
4. Zustand nach rechtsseitiger Daumenkontusion mit Wundinfektion.
5. Periathrosis Coxae beidseits bei angeborener Coxa Valga mit initialen Überlastungszeichen.
6. Mittelgradige Kniegelenksarthrosen in kompensiertem Zustand.
7. Mäßig ausgeprägte Fußwurzelarthrose rechts.
Weitere Diagnosen außerhalb des orthopädischen Fachgebietes:
8. Adipositas permagna.
9. Hypertonie.
10. Dilatative Kardiomyopathie.
11. Diabetes mellitus mit polyneuropathischen Erscheinungen beider Füße.
12. Metabolisches Syndrom.
13. Verdacht auf S 1-Syndrom rechts ohne motorisches Defizit.
14. Venöse Gefäßerkrankung mit Einflussstauung und Stauungsdermatitis an beiden Beinen.
15. Rezidivierende Harnröhrenstriktur.
16. Somatoforme Schmerzstörungen.
Es seien gegenüber den bisherigen Gutachten keine zusätzlichen Gesundheitsstörungen von erwerbsmindernder Bedeutung erkennbar. Der Kläger sei in der Lage, leichte, gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in Wechselpositionen überwiegend im Sitzen in geschlossenen Räumen, ohne Bücken, ohne Akkord, ohne Arbeiten in Nässe, Kälte oder Zugluft vollschichtig auszuführen. Der Kläger sei auch in der Lage, ortsübliche Anmarschwege zur Arbeitsstelle zu Fuß mehr als 500 m viermal täglich innerhalb von 20 Minuten zurückzulegen, und könne öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Die Leistungsfähigkeit des Klägers habe sich im Laufe des Verfahrens nicht wesentlich verändert. Es sei allerdings auch unwahrscheinlich, dass die bestehende Erwerbsminderung behoben werden könne.
Daraufhin hat der Kläger mitteilen lassen, dass er am 15.09.2020 einen Termin in R in der Wirbelsäulenchirurgie habe. Er hat dann einen Befundbericht des Krankenhauses R übersandt, wonach operative Maßnahmen an der Wirbelsäule aufgrund des klinisch-radiologischen Befundes nicht indiziert seien und perspektivisch eine Anbindung an einen Schmerztherapeuten sinnvoll und nach Klärung des Rentenbegehrens auch multimodale Schmerztherapie denkbar sei. Eine Gewichtsreduktion sei zwingend erforderlich, ggf. auch unter professioneller Hilfe.
Das Sozialgericht hat die Beteiligten dazu angehört, dass es beabsichtige, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden; die Beteiligten haben keine Einwände erhoben. Mit Gerichtsbescheid vom 14.10.2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die medizinischen Voraussetzungen für volle oder teilweise Erwerbsminderung beim Kläger nicht nachgewiesen seien. Das Gericht lege insbesondere die gutachterlichen Ergebnisse der Untersuchung beim Internisten und Sozialmediziner S zugrunde, wonach beim Kläger bei Beachtung der Einschränkungen der Arbeitsbedingungen eine Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte Tätigkeiten im Umfang von täglich mindestens sechs Stunden vorhanden sei. Hinsichtlich der psychischen Störungen seien noch auszuschöpfende Behandlungsoptionen vorhanden. Auch der nach § 109 SGG gehörte Gutachter S1 sei zu einer Leistungsfähigkeit des Klägers von mindestens sechs Stunden täglich gekommen. Eine Summierung von ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen und eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liege nicht vor. Auf die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sei nicht mehr einzugehen, da der Anspruch schon an den medizinischen Voraussetzungen scheitere.
Hiergegen hat der Kläger mit Telefax vom 04.11.2020 über das Sozialgericht Nürnberg Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung hat er auf das bereits vorgelegte Attest der Hausärztin K vom 13.12.2019 und ein weiteres Attest, datiert vom 23.02.2021, verwiesen. Danach werde der Kläger alle 14 Tage hausärztlich betreut und es habe sich beim Kläger keine Besserung gezeigt. Bereits nach 100 m Gehen würden Schmerzen auftreten und der Kläger sei dann zur Einhaltung einer Pause gezwungen. Daher könne er keine Wegstrecken z.B. zum Bahnhof unter zeitlichem Druck bewältigen. Bei Überlastung trete außerdem ein Schmerz in der Lendenwirbelsäule auf. Das Leistungsvermögen sei massiv eingeschränkt, da nicht einmal die Wegstrecke zur Arbeitsstätte (Bahnhof, Bushaltestelle) bewältigt werden könne. Auch zeige sich im Lauf der Zeit eine beginnende Angststörung. Es werde eine Arbeitszeit von maximal vier Stunden täglich für realisierbar angesehen.
Zu den Attesten hat sich am 04.03.2021 H2 vom Ärztlichen Dienst der Beklagten geäußert und ausgeführt, dass die Einschränkungen der Wegefähigkeit von der Hausärztin bereits im September 2019 thematisiert gewesen seien, sich jedoch im nachfolgenden Gutachten nicht hätten verifizieren lassen.
Der Senat hat einen erneuten Versicherungsverlauf vom 05.08.2021 angefordert, der Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug bis 30.05.2018 im Anschluss an die Beitragszeiten ausweist. Danach ist noch eine Überbrückungszeit vom 01.06.2018 bis 30.03.2019 vorhanden. Auf Anfrage des Senats hat die Klägerseite mitgeteilt, dass der Kläger keine weiteren rentenrechtlich relevanten Zeiten erworben habe.
Im parallel angeforderten Befundbericht der K vom 14.09.2021 ist angegeben worden, dass beim Kläger Knieschmerzen und Lendenwirbelsäulenschmerzen mit Chronifizierung vorliegen würden und diese bereits nach kurzer Gehstrecke von mehr als 50 m auftreten würden. Weiter bestehe ein mittlerweile chronifiziertes Schmerzsyndrom. Beim Kläger liege seit April 2018 fortwährend bis heute Arbeitsunfähigkeit vor, die von ihr festgestellt worden sei. Wegen der in den ärztlichen Unterlagen und Gutachten beschriebenen Diskrepanz zwischen objektivierbaren Befunden und dem Empfinden der Leistungsunfähigkeit sei von einer gestörten Schmerzwahrnehmung auszugehen, die durch Schmerztherapie und psychosomatische Gesprächstherapien nicht habe verbessert werden können. Eventuell stehe dies im Zusammenhang mit der eingeschränkten geistigen Leistungsfähigkeit (Lernschwäche) des Klägers.
In einem Erörterungstermin vom 03.11.2021 haben die Beteiligten zu Protokoll ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats erklärt. In der sich anschließenden mündlichen Verhandlung hat die Klägerseite nochmals auf die Ausführungen der Hausärztin des Klägers hingewiesen, wonach das Leistungsvermögen des Klägers eingeschränkt sei und dies auch jedenfalls schon seit September 2019 so vorliege.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.10.2020 und den Bescheid der Beklagten vom 05.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auf seinen Antrag vom 16.12.2018 hin Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.10.2020 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Gerichtsakten L 19 R 125/17 und S 9 R 501/19 und der ebenfalls beigezogenen Akten der Beklagten und des Zentrums Bayern Familie und Soziales Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Die Entscheidung konnte durch den Berichterstatter anstelle des Senats getroffen werden (§ 155 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 SGG), nachdem die Beteiligten dem zugestimmt hatten.
Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat.
Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die in gleicher Weise für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gelten, hat der Kläger zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung unstrittig erfüllt gehabt. Dies betrifft zunächst die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten mit Pflichtbeitragszeiten (§ 50 SGB VI), die bereits seit langem erfüllt ist. Aber auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen waren gegeben: Zwar sind im 5-Jahreszeitraum von Dezember 2013 bis zur Antragstellung im Dezember 2018 keinerlei Beitragszeiten vorhanden gewesen; es waren aber 54 Monate mit Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug vorhanden, die den maßgeblichen Zeitraum in diesem Umfang verlängerten (§ 43 Abs. 4 Nr. 1 iVm § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI). Unter Berücksichtigung weiterer Anrechnungszeiten liegen im nochmals bis September 2008 verlängerten Zeitraum 54 Kalendermonate mit Beitragszeiten vor, womit die Voraussetzung des § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI jedenfalls erfüllt ist. Auf das Vorliegen evtl. weiterer rentenrechtlich relevanter Zeiten ab Juni 2018 kam es somit nicht an.
Ebenso deutlich ist aber auch, dass der Kläger aktuell die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen eventuellen erst jetzt nachgewiesenen medizinischen Leistungsfall nicht mehr erfüllen würde. In dem die Monate von November 2016 bis November 2021 umfassenden 5-Jahreszeitraum sind weiterhin keine Monate mit Beitragszeiten vorhanden, aber auch nur 19 Monate mit Anrechnungszeiten anerkannt (November 2016 bis einschließlich Mai 2018). Bei jeweils weiterer Verlängerung im Rahmen des § 43 Abs. 4 SGB VI würden sich nur 19 statt der erforderlichen 36 Monate mit Beitragszeiten ergeben (Juni 2011 bis Februar 2013). Dass keine weiteren Anrechnungszeiten vorliegen hat die Beklagte mit Bescheid vom 11.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.2019 bestandskräftig festgestellt, was durch rechtskräftigen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.01.2021 im Verfahren bestätigt worden ist. Die für die Zeit von Juni 2018 bis März 2019 zuerkannte Überbrückungszeit wird von § 43 Abs. 4 SGB VI nicht erfasst und führt damit nicht zu einer Verlängerung des maßgeblichen Zeitraums. Sie hätte nur führen können, dass eine sich anschließende Zeit - beispielsweise eine erneute Arbeitslosmeldung - als Anrechnungszeit hätte behandelt werden können. Eine derartige Zeit hat im Anschluss jedoch nicht vorgelegen, was auch der Kläger bestätigt hat.
Die im Verfahren gesondert angesprochenen Zeiten vom 08.06.2018 bis 10.08.2018, vom 08.01.2019 bis 10.01.2019, vom 20.02.2019 bis 28.02.2019 und vom 18.03.2019 bis 19.03.2019 betrafen stationäre Behandlungen des Klägers wie sie in § 44 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) der Arbeitsunfähigkeit gleichgestellt sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Zeiten als Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bezogen auf jeglichen Einsatz auf dem Arbeitsmarkt in Betracht kommen können. Sie könnten - nachdem sie keine Anrechnungszeiten sind (siehe vorher) - allenfalls über § 43 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI zu einer Verlängerung des maßgeblichen Zeitraums beitragen. Dort wird gefordert, dass in den letzten sechs Monaten zuvor wenigstens ein Monat mit Beitragszeiten, Anrechnungszeiten oder Berücksichtigungszeiten belegt ist. Dies wäre nur für die Zeit vom 08.06.2018 bis 10.08.2018 zu bejahen, so dass auch nur die drei Monate Juni bis August 2018 den maßgeblichen Zeitraum verlängern könnten, was zu einer Anhebung auf 22 statt 19 Beitragsmonaten im verlängerten 5-Jahreszeitraum führen würde. Auch dies bewirkt nicht die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI.
Selbst wenn man diese Zeit von Juni 2018 bis August 2018 also zugunsten des Klägers als möglichen Streckungstatbestand unterstellt, wären die genannten besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals bei Eintritt eines medizinischen Leistungsfalls im September 2020 erfüllt gewesen (maßgeblicher Zeitraum von März 2010 bis September 2020 enthielte 36 Monate Beitragszeiten; eine Verschiebung auf April 2010 bis Oktober 2020 würde nur zu 35 Monaten Beitragszeiten führen, die nicht mehr ausreichen).
Beim Kläger kommt auch nicht die Ausnahmevorschrift des § 241 Abs. 2 SGB VI in Betracht, da er vor dem 01.01.1984 noch nicht die allgemeine Wartezeit erfüllt gehabt hatte (nur 29 Monate Beitragszeit waren damals vorhanden). Auch ein Sachverhalt des § 43 Abs. 5 iVm § 53 SGB VI (vorzeitige Wartezeiterfüllung) liegt nicht vor.
Der Kläger hat den Eintritt der erforderlichen medizinischen Voraussetzungen bis August 2020 und darüber hinaus nicht nachweisen können. Ermittlungen dazu, ob möglicherweise eine aktuelle Verschlechterung der gesundheitlichen Situation belegt werden könnte, erschienen entbehrlich, da der Kläger selbst bei entsprechendem Nachweis den von ihm verfolgten Rentenanspruch nicht hätte zugesprochen bekommen können, da es - wie dargelegt - hierfür an den besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen fehlen würde.
Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.
Beim Kläger liegt zwar eine ganze Reihe von Gesundheitsstörungen vor, die auch schon vor Jahren zum Vorliegen einer Schwerbehinderung geführt haben. Dies betrifft aktuell insbesondere die Lendenwirbelsäule, die Knie, die Schulter, die Hüfte, die Herzfunktion und eine Diabeteserkrankung, wobei deutliches Übergewicht vorliegt. Neben einer Polyneuropathie ist zudem vor allem ein chronisches Schmerzsyndrom von Bedeutung.
In sozialmedizinischer Hinsicht weist der Kläger - jedenfalls im Oktober 2020 - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes jedoch nach wie vor ein Restleistungsvermögen von täglich sechs und mehr Stunden für körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung auf. An Arbeitsbedingungen sind nicht zumutbar besondere Stressbelastung, Schicht- und Akkordtätigkeit, besondere Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten im Knien und in der Hocke, Klettern und Steigen, häufiges Bücken, häufige Überkopfarbeiten, ständige Zwangshaltungen, überwiegend witterungsausgesetzte Tätigkeiten, Exposition zu inhalativen Noxen, Tätigkeiten mit Eigen- und Fremdgefährdung und erhöhter Unfallgefahr sowie mit Anforderungen an Stand- und Gangsicherheit. Der Senat entnimmt dieses Leistungsbild den von der Beklagten und dem Sozialgericht eingeholten ärztlichen Gutachten, insbesondere dem weiterhin aktuellen Gutachten des S. Neue Untersuchungen waren nicht erforderlich, weil beim Kläger gesundheitliche Verschlechterungen seit der letzten gutachterlichen Untersuchung im Juli 2020 nicht ersichtlich sind; die von der Klägerseite für September 2019 angenommene Verschlechterung lag bereits vor den Begutachtungen durch S und S1. Aus den aktuellen Befundunterlagen ist ersichtlich, dass das Schmerzerleben beim Kläger weiterhin chronifiziert vorliegt bei Diskrepanz zu objektivierbaren Befunden.
Soweit die Klägerseite sich auf Ausführungen der behandelnden Ärztin K berufen will, ist darauf hinzuweisen, dass selbst diese - abgesehen von der anfänglichen Bescheinigung im Mai 2019 - beim Kläger ein Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von bis zu 4 Stunden täglich als vorhanden angesehen hat. Eine volle Erwerbsminderung wäre daraus folglich nicht unmittelbar abzuleiten. Die Atteste - außer dem neuesten vom 23.02.2021 waren zudem den Gutachtern - zumindest teilweise und S1 vollumfänglich - bekannt; diese sind jedoch gleichwohl zu der beschriebenen sozialmedizinischen Beurteilung gelangt. Auch hat H2 vom Ärztlichen Dienst der Beklagten nachvollziehbar dargelegt, dass und warum den sozialmedizinischen Einschätzungen der Atteste nicht zu folgen sei.
Auch wenn die im Hauptantrag beantragte Rente wegen voller Erwerbsminderung nach der Rechtsprechung des BSG (Beschl. v. 11.12.1969 - Az. GS 4/69; Beschl. v. 10.12.1976 - Az. GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 - jeweils zitiert nach juris) zwar schon dann in Betracht kommen könnte, wenn nur eine teilweise Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) vorliegen würde, gleichzeitig aber eine Teilzeitbeschäftigung nicht ausgeübt würde und der Teilzeitarbeitsmarkt für den Kläger als verschlossen anzusehen wäre (s.a. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand Juli 2020, § 43 SGB VI Rn 30 mwN), führt dies im vorliegenden Fall nicht zu einem Rentenanspruch, weil beim Kläger trotz der Atteste seiner Hausärztin zur Überzeugung des Senats auch keine teilweise Erwerbsminderung im Rechtssinne nachgewiesen ist, sondern er vielmehr - wie ausgeführt - an geeigneten Arbeitsplätzen noch mindestens 6 Stunden werktäglich eingesetzt werden könnte.
Selbst wenn - wie im Fall des Klägers - eine relevante quantitative Einschränkung seines Leistungsvermögens an geeigneten Arbeitsplätzen nicht nachgewiesen ist, kann in bestimmten Ausnahmefällen dennoch eine Rentengewährung wegen voller Erwerbsminderung erfolgen. Dazu müssten allerdings die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten sog. Katalogfall erfüllt sein, was nicht der Fall ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R; Urt. v. 11.12.2019, Az. B 13 R 7/18 R - beide zitiert nach juris) ist bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen und ergänzend Messen, Prüfen, Überwachen und Kontrollieren von automatisierten Vorgängen. Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen kommen, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären (vgl. Gürtner a.a.O. Rn 37 mwN). Das Merkmal Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen trägt dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 13.09.2016 - L 13 R 937/14 -, Rn. 79, zitiert nach juris, mit Verweis auf BSG, Urteil vom 10.12.2003, B 5 RJ 64/02 R). Die gesundheitlichen Einschränkungen beim Kläger erfüllen diese weitreichenden Kriterien nicht.
Für den Senat ergeben sich bereits keine ernsthaften Zweifel an der Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, da aus dem mit leichter körperlicher Einsetzbarkeit eröffneten Tätigkeitsfeldern lediglich noch solche mit besonderer nervlicher Belastung oder ungünstigen Außenbedingungen herausfallen würden. Abgesehen von einer stressbehafteten Kontrolle und Überwachung automatisierter Vorgänge kommen die übrigen Einsatzgebiete sämtlich dem Grunde nach in Betracht. Soweit von der Hausärztin des Klägers auf die Tätigkeit eines Telefonisten eingegangen wurde, ist zunächst festzustellen, dass die Benennung dieser Tätigkeit als Verweisungstätigkeit nach dem soeben Ausgeführten ohnehin nicht geboten ist. Andererseits bleibt völlig offen, ob die beim Kläger nach längerer Entwöhnung von regelmäßiger Arbeitstätigkeit erwartbaren Ängste vor der Neuaufnahme einer Beschäftigung - so für 2021 vorgebracht - nicht bei adäquater ärztlicher Begleitung ohne Weiteres überwindbar sind. Ein Nachweis, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine mit dem Restleistungsvermögen des Klägers ausübbaren Beschäftigungen existieren würden, ist damit nicht verbunden.
Der Kläger ist zur Überzeugung des Senats auch nicht gehindert, einen eventuellen Arbeitsplatz zu erreichen. Die Gehfähigkeit des Klägers ist in dem geforderten Umfang (4 mal täglich mehr als 500 Meter in jeweils weniger als 20 Minuten) zu bestätigen wie die gutachterlichen Ausführungen erkennen lassen; zumindest gilt dies für die Zeit bis einschließlich September 2020. Die von K schon 2019 angenommene Einschränkung auf eine Gehstrecke von nur 50 bis 100 Meter hat sich bei den nachfolgenden Untersuchungen nicht bestätigen lassen; es geht auch nicht darum, dass bereits eine kurze Pause als Ausschlusskriterium anzusehen wäre. Vielmehr reicht es aus, wenn man - erforderlichenfalls auch mit einer oder mehreren kurzen Unterbrechungen - die erforderlichen Strecken im vorgesehenen Zeitrahmen zurücklegen kann. Ebenfalls möglich ist dem Kläger die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Auch die Nutzung von Gehhilfen führt nicht zur Wegeunfähigkeit. Somit war es auch nicht erforderlich, dass die Beklagte zur Vermeidung von Rentenleistungen im Gefolge von Wegeunfähigkeit Anfahrtmöglichkeiten im Rahmen von Teilhabeleistungen angeboten hätte.
Weil noch ein mindestens 6-stündiges Einsatzvermögen an ansonsten geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes beim Kläger vorliegt bzw. jedenfalls im September 2020 vorlag, besteht kein Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 SGB VI.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die von ihm hilfsweise beantragte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI. Beim Kläger lag - wie oben bereits ausgeführt - im maßgeblichen Zeitraum bis August 2020 und darüber hinaus auch keine teilweise Erwerbsminderung vor.
Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit war vom Kläger nicht beantragt worden; ein derartiger Antrag hätte auch keine Aussicht auf Erfolg gehabt, da der Kläger auf Grund seines Geburtsjahrgangs nicht zu dem von der Ausnahmevorschrift des § 240 SGB VI erfassten Personenkreis gehört.
Die Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichtsbescheids vom 14.10.2020 sind somit im Ergebnis nicht zu beanstanden und die Berufung war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.