Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 07.12.2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in einem Klageverfahren, das auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen nicht verschreibungspflichtiger Medikamente gerichtet war.
Der 1967 geborene Kläger lebt alleinstehend in R und bezieht von dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für den hier streitgegenständlichen Zeitraum bewilligte der Beklagte dem Kläger zuletzt mit Änderungsbescheid vom 19.12.2019 Leistungen für Januar bis Oktober 2020 iHv monatlich 802 € (432 € Regelbedarfsstufe 1, 370 € Unterkunfts-, Heiz- und zentrale Warmwasserbedarfe). Einen Antrag des Klägers vom 23.04.2020 auf Mehrbedarf wegen coronabedingter Atemschutzmasken von monatlich 78 €/ Quartal lehnte der Beklagte ab (Ablehnungsbescheid vom 24.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2020). Mit dem Widerspruchsbescheid vom 30.06.2020 verwarf der Beklagte zudem den Widerspruch des Klägers gegen einen Erlassablehnungsbescheid des Beklagten vom 25.05.2020 als unzulässig. Die gegen den Widerspruchsbescheid vom 30.06.2020 erhobene Klage bei dem Sozialgericht Duisburg (S 12 AS 2252/20) nahm der Kläger auf richterlichen Hinweis am 02.03.2021 zurück.
Am 07.07.2020 beantragte der Kläger mit dem Formular "Anlage zur Gewährung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs" ab August 2020 monatlich weitere 31,10 € wegen nicht verschreibungspflichtiger Medikamente.
Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31.08.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.08.2020 ab.
Hiergegen hat der Kläger am 01.10.2020 Klage bei dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben und geltend gemacht, auf die nicht verschreibungspflichtigen Medikamente GeloMyrtol forte 20, Coldastop und Ratiopharm Nasenspray aus medizinischen Gründen angewiesen zu sein. Die monatlichen Kosten bezifferte er nun mit monatlich (15,94 € + 11,95 € + 15,97 € =) 43,86 €. Eine alternative Therapie komme nicht in Betracht. Insbesondere scheide bei ihm ein operativer Eingriff aus.
Das Sozialgericht hat Befundberichte des HNO-Arztes U vom 16.03.2021, der HNO-Abteilung der F Klinik vom 26.03.2021 und der Allgemeinmedizinerin A vom 29.04.2021 eingeholt und nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 07.12.2021 abgewiesen. Eine Kostenübernahme für nicht verschreibungspflichtige Medikamente komme gemäß § 21 Abs. 6 SGB II nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 26.05.2011 – B 14 AS 146/10 R) grundsätzlich nicht in Betracht. Ohnehin fehle nach den eingeholten Befundberichten der Nachweis für eine medizinische Indikation. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen.
Gegen den ihm am 16.12.2021 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger über seinen neuen Prozessbevollmächtigten mit seiner Beschwerde vom 14.01.2022. Es lägen Verfahrensfehler vor, weil das Sozialgericht den Beweisanträgen des Klägers, u.a. auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei. Das Sozialgericht hätte sich gedrängt sehen müssen, den Sachverhalt nach § 103 SGG von Amts wegen weiter aufzuklären. Es verkenne den Inhalt der Befundberichte und die „psychologischen Auswirkungen“ der Ablehnungsentscheidung auf den Kläger, der mittlerweile voll erwerbsgemindert sei.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) ist statthaft und zulässig. Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der ausdrücklichen Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt und keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dies ist vorliegend der Fall. Da ein Antrag auf Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II kein isolierter Streitgegenstand ist (vgl. Urteil des Senats vom 05.12.2019 – L 7 AS 845/119; vgl. im Zusammenhang mit § 144 SGG und zur ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung BSG Beschluss vom 04.07.2011 – B 14 AS 30/11 B), war das Begehren des Klägers meistbegünstigend als Änderungs- oder Überprüfungsantrag nach den §§ 44 ff. SGB X auszulegen, sodass der ab August 2020 gestellte Antrag auf den bis Oktober 2020 laufenden Bewilligungszeitraum bezogen war, mithin ein Gegenstandswert von (3 x 31,10 € =) 93,30 € in Streit stand. Auch waren keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen.
Die Beschwerde ist unbegründet, weil keiner der in § 144 Abs. 2 SGG genannten Zulassungsgründe vorliegt.
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist eine Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat eine Rechtssache, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Klärungsbedürftigkeit - Keller, in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl., § 144 Rn. 28f. und § 160a Rn 6 ff.). Ein Individualinteresse genügt nicht. Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein (BSG Beschluss vom 30.09.1992 – 11 BAr 47/92). Zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage muss die abstrakte Klärungsfähigkeit, das heißt die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, und die konkrete Klärungsfähigkeit, das heißt die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage, hinzutreten (vgl. dazu BSG Urteil vom 14.06.1984 – 1 BJ 82/84). Die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, verleiht ihr noch keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. BSG Beschluss vom 26.06.1975 – 12 BJ 12/75). Insbesondere hinsichtlich Tatsachenfragen kann über § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG keine Klärung verlangt werden (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl., § 144 Rn. 29). Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen in diesem Sinne liegen hier nicht vor. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob er an seinem Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung festhält, dass zu der Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel (sog. OTC-Präparate; OTC = "over the counter“) von der Krankenkasse nach dem SGB V oder als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II vom Grundsicherungsträger zu übernehmen sind, widerstreitende Entscheidungen des BSG vorliegen (Beschluss des Senats vom 04.06.2014 – L 7 AS 357/13 B unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 26.05.2011 – B 14 AS 146/10 R und vom 06.03.2012 – B 1 KR 24/10 R). Denn das Sozialgericht hat desungeachtet seine Entscheidung auf die im Einzelfall nicht gegebene medizinische Indikation und damit fehlende Unabweisbarkeit der begehrten OTC-Präparate iSv § 21 Abs. 6 SGB II gestützt. Grundsätzliche Rechtsfragen über den konkreten Einzelfall hinaus wirft diese Begründung nicht auf.
Auch der Berufungszulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG (Divergenz) ist nicht gegeben. Eine Divergenz liegt nur vor, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die diese Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Eine evtl. Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall begründet keine Divergenz (vgl. BSG Beschluss vom 05.10.2010 – B 8 SO 61/10 B mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen zum insoweit gleichlautenden § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 11.07.2019 – L 7 AS 689/19 NZB). Bei der Frage, ob eine Abweichung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts zu bejahen ist, beschränkt sich die Prüfung auf das zuständige Berufungsgericht (Breitkreuz/Schreiber, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl., § 144 Rn. 35). Das Sozialgericht hat keinen abweichenden Rechtssatz in diesem Sinne aufgestellt, auf dem das Urteil beruht. Es ist – im ersten Begründungsansatz – ausdrücklich der Rechtsprechung des BSG gefolgt (Urteil vom 26.05.2011, a.a.O.).
Schließlich ist auch der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht gegeben. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Er bezieht sich begrifflich auf das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil, nicht aber auf dessen sachlichen Inhalt, das heißt seine Richtigkeit (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl., § 144 Rn. 32 ff). Damit sind etwaige Fehler in der Beweiswürdigung nicht dem äußeren Verfahrensgang, sondern dem materiellen Recht zuzurechnen. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn die Grenzen freier Beweiswürdigung (§ 128 SGG) überschritten wurden. Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Das Sozialgericht hat drei Befundberichte eingeholt und diese unter Berücksichtigung der jeweiligen Fach- und Behandlungsgebiete in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt, nachdem es dem Kläger jeweils rechtliches Gehör gewährt hatte. Einen Beweisantrag des Klägers hat das Sozialgericht nicht übergangen. Auch musste sich das Sozialgericht angesichts der übereinstimmenden Aussagen der HNO-Behandler nicht gedrängt sehen, von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Aus den dargelegten Gründen hatte die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, sodass der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen ist (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO):
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Mit der Ablehnung der Beschwerde wird das Urteil rechtskräftig (§145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).