L 7 AS 1845/21 NZB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 40 AS 3340/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1845/21 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.10.2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in einem Klageverfahren, das auf Rücknahme eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides gerichtet war.

Der 1959 geborene Kläger arbeitet bei der Firma M GmbH und bezieht vom Beklagten ergänzend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 06.03.2018 und 24.11.2018 bewilligte der Beklagte für die Zeit vom März 2018 bis Februar 2019 Alg II i.H.v. monatlich 317,06 € bzw. ab Januar 2019 monatlich 325,06 €. Der Kläger informierte den Beklagten mit einem als „Veränderungsmitteilung“ gekennzeichneten Schreiben vom 13.04.2018 über eine Gehaltserhöhung infolge einer Aufstockung der monatlichen Arbeitszeit von 95 auf 100 Stunden und fügte die Lohnabrechnung für den Monat März 2018 über 884,12 € brutto / 700,89 € netto bei. Der Kläger reichte in der Folge Abrechnungen mit identischem Gehalt jeweils im Folgemonat ein. Die Gehaltsabrechnung für den Monat Juli 2018 ging dem Beklagten am 29.08.2018 zu. Mit Schreiben vom 14.08.2019 hörte der Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten teilweisen Aufhebung und Erstattung wegen Einkommenserzielung aus der Beschäftigung bei der Firma M GmbH an. Der Kläger entgegnete am 16.08.2019, die beabsichtigte Aufhebung und Rückforderung sei nicht nachvollziehbar, da er seine Lohnabrechnung stets einreiche und zudem den Beklagten zeitnah über jede Erhöhung des Mindestlohnes unterrichte.

Mit Bescheid vom 06.09.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2020 hob der Beklagte die Bewilligung für die Zeit von Juli 2018 bis Februar 2019 nach §§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III wegen Erzielung von (höherem) Einkommen teilweise auf und forderte Erstattung i.H.v. insgesamt 199,48 €.

Der Kläger hat am 08.10.2020 Klage bei dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Die Aufhebung und Erstattung für den Monat Juli 2018 sei ausgehend von der Einreichung der Gehaltsabrechnung für Juli 2018 am 29.08.2018 außerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4, § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X erfolgt.

Der Beklagte hat ausgeführt, die Jahresfrist beginne erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen. Diese sei mit Schreiben vom 14.08.2019 erfolgt. Die Jahresfrist sei beachtet worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.10.2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Die Jahresfrist sei gewahrt, denn diese beginne nach der Rechtsprechung erst im Anschluss an die Anhörung. Zudem habe der Beklagte mit Bescheid vom 06.03.2018 Alg II von März 2018 bis einschließlich Februar 2019 bewilligt. Der Beklagte habe daher erst mit Ablauf des Februar 2019 bzw. März 2019 wissen können, für welche Zeiträume eventuell welche Rückforderung entstehe. Beginn der Jahresfrist sei daher der 01.03.2019 gewesen.

Gegen den ihm am 15.11.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.12.2021 Beschwerde wegen Nichtzulassung der Berufung eingelegt. Die Berufung sei zuzulassen, da der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts mit seiner Rechtsauffassung, die Jahresfrist sei ausgehend von der Anhörung vom 14.08.2019 noch nicht verstrichen, von einer Entscheidung des BSG abweiche. Das BSG (Urteil vom 08.02.1996 – 13 RJ 35/94 Rn. 24) habe entschieden, dass die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X in der Regel erst mit der Anhörung der Behörde beginnt, aber eine Ausnahme für den Fall zugelassen, dass „zu einem früherem Zeitpunkt bei objektiver Betrachtung eine sichere Kenntnis der Behörde von allen erforderlichen Tatsachen vorliege“. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien und der Tatsache, dass die Gehaltsmitteilung für Juli 2018 am 29.08.2018 bei dem Beklagten vorlag, hätte das Sozialgericht die streitigen Bescheide teilweise, d.h. für den Monat Juli aufheben müssen. Das Sozialgericht habe dies unterlassen und weiche daher von dem Urteil des BSG ab.

 

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) ist statthaft und zulässig. Gemäß
§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der ausdrücklichen Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt und keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dies ist vorliegend der Fall, denn der Kläger begehrt die Rücknahme der Aufhebung und Erstattung für Juli 2018 i.H.v. 25,13 €.

Die Beschwerde ist unbegründet, weil keiner der in § 144 Abs. 2 SGG genannten Zulassungsgründe vorliegt.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist eine Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat eine Rechtssache, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Klärungsbedürftigkeit). Ein Individualinteresse genügt nicht. Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

Die Frage, wann die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X grundsätzlich und im Rahmen von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X beginnt, ist höchstrichterlich geklärt (vgl. Beschluss des Senats vom 10.01.2022 – L 7 AS 705/21 B; Merten in: Hauck/Noftz SGB X, § 48, Rn. 121f. m.w.N.). Soweit nur objektive Merkmale Tatbestandsvoraussetzung sind (wie in dem hier einschlägigen  § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X), ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Behörde Kenntnis von der Änderung der Verhältnisse hatte (BSG, Urteil vom 25.04. 2002 – B 11 AL 69/01 R, juris, Rn. 19f.). Nur in Fällen, in denen es auf subjektive Elemente (etwa Bösgläubigkeit) ankommt, liegt dieser Informationsstand regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen vor (vgl. etwa BSG, Urteil vom 27.07.2000 – B 7 AL 88/99 R, juris, Rn. 24). Mithin ist im Zusammenhang mit dem nicht auf subjektive Elemente abstellenden Aufhebungstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X (vgl. auch Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 48 SGB X <Stand: 01.12.2017>, Rn. 124), maßgeblich auf die Kenntnis von Umfang und des Zeitpunktes des Zuflusses – z.B. auf den Eingang der Verdienstbescheinigung – abzustellen (vgl. bereits BSG, Urteil vom 28.06.1990 – 7 RAr 132/88, juris, Rn. 26). Auch hinsichtlich § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, wonach der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden soll, wenn einer der Tatbestände des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB X erfüllt ist, ist höchstrichterlich geklärt, dass es der Prüfung bedarf, ob ein atypischer Fall – ggf. wegen Mitverschulden des Leistungsträgers – vorliegt (BSG, Urteil vom 28.06.1990 – 7 RAr 132/88, juris, Rn. 27 f.).

Auch der Berufungszulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG (Divergenz) ist nicht gegeben. Eine Divergenz liegt nur vor, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die diese Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Eine evtl. Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall begründet keine Divergenz (vgl. BSG, Beschluss vom 05.10.2010 – B 8 SO 61/10 B mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen zum insoweit gleichlautenden § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 11.07.2019 – L 7 AS 689/19 NZB). Bei der Frage, ob eine Abweichung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts zu bejahen ist, beschränkt sich die Prüfung auf das zuständige Berufungsgericht (Breitkreuz/Schreiber, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl., § 144 Rn. 35). Das Sozialgericht hat – entgegen der Auffassung des Klägers – keinen abweichenden Rechtssatz in diesem Sinne aufgestellt, auf dem das Urteil beruht. Es hat der abweichenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht widersprochen und eine insoweit die Entscheidung tragende (abweichende) Rechtsansicht (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Auflage, § 144 Rn. 30, § 160, Rn. 14) entwickelt. Vielmehr hat es sich – zu Unrecht – explizit auf von ihm für einschlägig erachtete höchstrichterliche Rechtsprechung berufen. Ein solcher Rechtsirrtum im Einzelfall begründet keine Divergenz im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG. Darüber hinaus bezöge sich die Divergenz, bejahte man eine solche, nur auf einen der vom Sozialgericht angeführten Begründungsansätze, sodass ein Beruhen der Entscheidung auf der Abweichung (vgl. Leithere, a.a.O., § 160 Rn. 15) fehlte.

Ebenso wenig liegt der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor. Es ist kein Verfahrensmangel ersichtlich. Einen Verfahrensfehler macht der Kläger im Übrigen auch nicht geltend.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Mit der Ablehnung der Beschwerde wird das Urteil rechtskräftig (§145 Abs. 4 Satz 4 SGG).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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