L 7 AS 1648/21 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 53 AS 12/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1648/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.09.2021 wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren, das auf höhere Leistungen für Juni bis November 2015 gerichtet ist.

Der 1968 geborene Kläger lebt alleinstehend in U. Seine Unterkunfts- und Heizbedarfe betrugen im Juni 2015 monatlich 200 €. Seit Juli 2015 lebt der Kläger in einer Mietwohnung in der A-Straße 1 in U. Die monatliche Gesamtmiete (einschließlich zentral aufbereitetes Warmwasser) für diese Wohnung betrug von Juli bis November 2015 385 €.

Der Kläger bezog aufgrund vorläufiger Bescheide vom 28.05.2015 und 11.06.2015 ergänzend zu seinen Einkünften als selbständiger Kioskbetreiber Leistungen vom Beklagten für Juni 2015 iHv 548,59 € (399 € Regelbedarfsstufe 1, 200 € Unterkunfts- und Heizbedarfe – 50,41 € bereinigtes Erwerbseinkommen) und für Juli 2015 bis November 2015 monatlich 733,59 € (399 € Regelbedarfsstufe 1, 385 € Unterkunfts- und Heizbedarfe – 50,41 € bereinigtes Erwerbseinkommen). Die Bewilligung erfolgte aufgrund der unklaren Einkommensverhältnisse des Klägers vorläufig. Gegen die vorläufigen Bewilligungsbescheide vom 28.05.2015 und 11.06.2015 hat der Kläger keine Widersprüche eingelegt.

Der Kläger reichte im Januar 2016 eine Anlage „endgültige EKS“ beim Beklagten ein. Hierin gab er einen monatsdurchschnittlichen Gewinn von 844,94 € für Juni bis November 2015 an. Daneben reichte er Kontoauszüge ein, aus denen u.a. ersichtlich war, dass der Kläger im August 2015 2.145 € Grunderwerbssteuer an das Finanzamt U abgeführt hat.

Der Beklagte monierte, dass der Kläger in seiner BWA Betriebsausgaben iHv 94 % der Betriebseinnahmen angab, was äußerst unwirtschaftlich erscheine und daher zu korrigieren sei. Bei einem wirtschaftlichen Warenverhältnis von 88 % (Wareneinkauf/ Warenverkauf) sei von einem monatsdurchschnittlichen Gewinn von 1.443,52 € auszugehen, sodass keine Hilfebedürftigkeit gegeben sei. Mit Bescheid vom 11.04.2016 wurden die Leistungen für Juni bis November 2015 deswegen auf jeweils 0 € endgültig festgesetzt. Der Bescheid vom 11.04.2016 wurde dem Kläger zusammen mit der Aufforderung, seine betriebswirtschaftlichen Auswertungsunterlagen abzuholen, am 14.04.2016 mittels Postzustellungsurkunde zugestellt. Der Kläger holte seine Finanzunterlagen am 19.04.2016 persönlich ab. Gegen den Bescheid vom 11.04.2016 legte er zunächst keinen Widerspruch ein. Der Kläger bezog hiernach bis einschließlich 2019 keine Leistungen mehr.

Am 15.05.2020 legte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten gegen den Bescheid vom 11.04.2016 Widerspruch ein und behauptete, den Bescheid vom 11.04.2016 nicht erhalten zu haben. Vorsorglich hat er einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2020 wies der Kläger den Widerspruch vom 15.05.2016 gegen den Bescheid vom 11.04.2016 als unzulässig zurück, weil die Widerspruchsfrist nicht eingehalten worden sei. Hiergegen hat der Kläger keine Klage erhoben.

Am 22.07.2020 stellte der Kläger in Bezug auf den Bescheid vom 11.04.2016 einen Überprüfungsantrag. Er habe mangels ausreichender Deutschkenntnisse keine Gelegenheit gehabt, fristgerecht gegen den Bescheid vom 11.04.2016 Widerspruch einzulegen.

Mit Bescheid vom 23.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2020 lehnte der Beklagte eine Leistungsänderung für Juni bis November 2015 ab. Eine Überprüfung sei in Bezug auf den bestandskräftigen Bescheid vom 11.04.2016 nach Ablauf der Jahresfrist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 iVm § 44 Abs. 4 SGB X nicht mehr möglich.

Hiergegen hat der Kläger am 04.01.2021 Klage eingereicht und für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe beantragt. Der Beklagte verkenne, dass das Erwerbseinkommen des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum nicht gereicht habe.

Mit Beschluss vom 07.09.2021 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da der Überprüfungsantrag außerhalb der Jahresfrist des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II iVm § 44 Abs. 1 SGB X gestellt worden sei.

Am Montag, den 11.10.2021 hat der Kläger gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 10.09.2021 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Beschwerde eingelegt und geltend gemacht, die Jahresfrist sei unbeachtlich, weil es hier um eine „Rückforderung“ gehe.

 

II.

Die Beschwerde ist statthaft, weil der Beschwerdestreitwert von mehr als 750 € (vgl. §§ 172 Abs. 3 Nr. 2b, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) erreicht wird. Zwar hat der Kläger selbst in seiner endgültigen EKS aus Januar 2016 einen monatlichen Durchschnittsgewinn von 844,94 € für Juni bis November 2015 angezeigt. Jedoch sind hiervon freibetragsbereinigt nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3-5, 2, 3 SGB II monatsdurchschnittlich (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V in der hier bis zum 31.07.2016 geltenden Fassung) lediglich ([844,94 € - 100 €] x 0,8 =) 595,95 € anzurechnen. Bei einem unstreitigen Gesamtbedarf des Klägers von 599 € im Juni 2015 und monatlich 784 € in Juli bis November 2015 beträgt der Leistungsanspruch des Klägers in den Monaten Juni bis November 2015 nach dessen Berechnung insgesamt (3,05 € + [5x188,05 €] =) 943,30 €. Ausgehend von der vom Beklagten angesetzten Nullfestsetzung ist mithin ein Beschwerdewert von mehr als 750 € erreicht.

Die auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 Abs. 1 ZPO) abgelehnt. Ein Rechtsschutzbegehren hat hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen Rechtsfrage abhängt. Die Prüfung der Erfolgsaussichten für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. Prozesskostenhilfe ist auch zu bewilligen, wenn in der Hauptsache eine Beweisaufnahme erforderlich ist und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (BVerfG Beschlüsse vom 04.05.2015 – 1 BvR 2096/13; vom 09.10.2014 – 1 BvR 83/12 und vom 19.02.2008 – 1 BvR 1807/07; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 05.11.2020 – L 7 AS 743/20 B und vom 20.04.2016 – L 7 AS 1645/15 B).

Der Senat lässt dahinstehen, ob die vom Kläger begehrte Überprüfung des bestandskräftigen Bescheides vom 11.04.2016 – wie vom Sozialgericht eingehend dargelegt – bereits aufgrund der abgelaufenen Jahresfrist nach §§ 40 Abs. 1 Satz 2, 77 Abs. 13 iVm § 44 Abs. 1, 4 SGB X ausscheidet, und der Senat an seiner mit Urteil vom15.11.2018 (L 7 AS 1035/18) geäußerten Rechtsauffassung, dass eine in einem Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X begehrte Änderung von endgültig festgesetzten Leistungen iSv. § 41a Abs. 3 SGB II und die daraus resultierende Reduzierung einer Erstattungsforderung keine „Erbringung von Sozialleistungen“ im Sinne des § 44 Abs. 4 SGB X darstelle, festhält (a.A. LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 28.05.2021 – L 21 AS 1280/20, Revision anhängig unter dem Aktenzeichen B 7/14 AS 57/21; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 23.06.2021 – L 3 AS 677/21).

Der Senat weist allerdings darauf hin, dass der Erstattungsbescheid vom 07.05.2020 Gegenstand des zwischenzeitlich anhängigen Berufungsverfahrens L 7 AS 142/22 ist. Daher muss im hiesigen Verfahren auch nicht beurteilt werden, ob die zeitlich erhebliche Trennung zwischen Endfestsetzung (hier: Nullfestsetzung) und Erstattung für mehr als 4 Jahre zulässig war (vgl. hierzu u.a. LSG NRW Urteil vom 28.05.2021 – L 21 AS 1280/20, juris, Rn. 60).

Ein vollständiger und damit bewilligungsreifer Antrag auf Prozesskostenhilfe setzt unter anderem gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Darstellung des Streitverhältnisses unter Angabe der Beweismittel voraus. Eine solche Prüfung ist dem Gericht jedoch nur möglich, wenn ihm eine substantiierte Darstellung des Streitverhältnisses vorgelegt worden ist. § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO setzt daher voraus, dass derjenige, der Prozesskostenhilfe begehrt, den Sachverhalt schildert und wenigstens im Kern deutlich macht, auf welche rechtliche Beanstandung er seine Klage stützt (vgl. zu alledem BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 14.04.2010 – 1 BvR 362/10, Rn. 15, juris).

Diesen Vorgaben wird die Klagebegründung nicht gerecht, wenn allein ausgeführt wird, der Kläger habe zwar Einkommen bzw. Umsatz, davon seien jedoch „auch die ganzen Ausgaben zu berücksichtigen, die der Beklagte nicht vorgenommen hat“. Es ist weiter nicht ersichtlich, warum die Nullfestsetzung mit Bescheid vom 11.04.2016 in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht rechtswidrig iSv § 44 Abs. 1 SGB X gewesen sein soll. Zwar hat der Kläger eine endgültige EKS mit geringfügigeren Gewinnen für Juni bis November 2015 im Januar 2016 vorgelegt. Jedoch ist der Kläger auf die vom Beklagten dargelegten und nachvollziehbaren Auffälligkeiten betreffend das Verhältnis von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben sowie den nicht erklärbaren Vermögenszuwachs trotz geltend gemachter Hilfebedürftigkeit (Erwerb einer bebauten Liegenschaft zur Eröffnung eines zweiten Kiosks im Juli 2015 für 33.000 € nebst Finanzierung der Erwerbskosten) ungeachtet einer erstinstanzlicher Betreibensaufforderung und eines Hinweises des Senats im Beschwerdeverfahren nicht eingegangen.

Mangels hinreichender Erfolgsaussicht kann auch offenbleiben, ob die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gegeben sind, was der Kläger weder im ersten noch im zweiten Rechtszug hinreichend glaubhaft gemacht hat.

Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
Saved