L 6 SB 2400/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 18 SB 2212/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2400/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30. Juni 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die höhere Erstfeststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit mehr als 30.

Er ist 1969 im ehemaligen J geboren und hat dort nach einer Ausbildung zum Pharmazietechniker ein Pharmaziestudium begonnen, dieses aber nicht abgeschlossen. Seit 1998 lebt er in der Bundesrepublik Deutschland (BRD), wo er zuletzt bis 2017 als LKW-Fahrer tätig war. Nach Arbeitsunfähigkeit ist er seit 2019 arbeitslos. Er ist dreimal geschieden, hat zwei erwachsene Kinder aus früheren Ehen und einen minderjährigen Sohn, der bei ihm im Eigenheim lebt (vgl. Anamnese S).

Am 11. April 2018 beantragte er bei dem Landratsamt O (LRA) erstmals die Feststellung des GdB und legte das Attest der L vor, wonach er unter einem allergischen Asthma leide, weshalb in verstaubten oder geruchsbelasteten Räumen Asthmaanfällen aufträten. Der K beschrieb aufgrund der Kernspintomographie (MRT) der Lendenwirbelsäule vom 13. Dezember 2017 eine relative Spinalkanalstenose L3/4 sowie eine beginnend absolute Spinalkanalstenose L4/5 bei anlagebedingt kurzen Pedikeln mit anlagebedingten engem knöchernen Spinalkanal, breitbasiger Bandscheibenprotusion sowie Hypertrophie der Ligamenta flava. Paramedian bestehe ein rechtseitiger Bandscheibenvorfall (BSV) L2/3 mit Recessusstenose rechts. Der N beschrieb in seinem Attest für die Deutsche Rentenversicherung vom 20. Dezember 2017 chronische Rücken-Beinschmerzen links, die Folge einer eingebrachten Veränderung der Wirbelsäule seien. Es finde sich anlagemäßig ein sehr enger Wirbelkanal mit zusätzlicher Einengung durch Verschleißerscheinungen. Durch diese strukturelle Enge sei der Kläger dauerhaft nicht mehr in der Lage, den ausgeübten Beruf als LKW-Fahrer mit teils vierzehnstündiger Sitzbelastung auszuüben. Die MRT der Halswirbelsäule (HWS) vom 8. März 2018 (K) ergab einen medialen Vorfall mit umschriebener kompressiver Wirkung auf das zervikale Myelon im Bereich der Mittellinie. Auf Höhe C5/6 bestehe eine mäßige neuroforaminäre Stenose. Dieser Befund könne ein Wurzelreizsyndrom C6 links erklären. Eine relevante Spinalkanalstenose liege nicht vor.

Das LRA erhob den Befundschein der B, die anamnestisch ein Asthma bronchiale, ein Wirbelsäulenleiden und eine Spinalkanalstenose beschrieb. Weiterhin bestehe ein neu entdeckter Diabetes-Typ-II. Insoweit gab der Kläger eine Therapie mit Metformin an.

E sah versorgungsärztlich einen Teil-GdB von 30 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinung und Spinalkanalstenose sowie einen Teil-GdB von 10 für das Bronchialasthma. Die geklagten Hals- und Schulterschmerzen seien mitbeurteilt, da diese am ehesten als Beschwerden ausgehend von der HWS zu verstehen seien. Fußschmerzen würden in den Befunden nicht beschrieben, seien von den berücksichtigten Nervenwurzelreizerscheinungen aber umfasst.

Mit Bescheid vom 1. August 2018 stellte das LRA einen GdB von 30 seit dem 20. Dezember 2017 fest.

Gegen den Bescheid erhob der Kläger Widerspruch und legte den Befundbericht des F über die ambulante Untersuchung vom 23. April 2018 vor. Danach habe sich kein Hinweis auf eine entzündlich-rheumatische Erkrankung ergeben. Der Kläger sei früher Profisportler gewesen. Wegen generalisierten Schmerzen des Bewegungssystems könne er seit einem halben Jahr als LKW-Fahrer nicht mehr arbeiten. Die Sonographie beider Handgelenke habe in den Fingergrundgelenken keine Zeichen einer Arthritis gezeigt. Die Schmerzen seien degenerativ bedingt und bei ehemaligen Profisportlern nicht selten. Eine Umschulung sei sicherlich sinnvoll.

Z hielt versorgungsärztlich an der bisherigen Einschätzung fest. Das Wirbelsäulenleiden sei ohne sensomotorische Defizite. Häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen, sowie häufig rezidivierenden und Wochen andauernde Wirbelsäulensyndrome seien bereits anerkannt. Das Bronchialasthma sei ausreichend gewürdigt, eine relevante Lungenfunktionseinschränkung bestehe nicht. Der Diabetes mellitus werde mit Metformin geführt, eine rheumatische Gelenkerkrankung sei ausgeschlossen worden.

Weiter legte der Kläger den Entlassungsbrief der Zentralen Notaufnahme über die Vorstellung am 15. Oktober 2018 vor. Danach habe bei geklagten Thoraxschmerzen kein Hinweis auf einen akuten Myokardinfarkt oder eine akute Lungenarterienembolie bestanden. Eine Vorstellung beim behandelnden Orthopäden sei empfohlen worden.

Nachdem Z versorgungsärztlich weiterhin keine Abhilfemöglichkeit sah, wies das Regierungspräsidium S1 – Landesversorgungsamt – den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2019 zurück. Der GdB sei unabhängig vom ausgeübten oder angestrebten Beruf festzustellen. Die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass die vorliegende Behinderung mit der angefochtenen Entscheidung in vollem Umfang erfasst und mit einem GdB von 30 angemessen bewertet sei. Der festgesetzte GdB schließe die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtige auch besonders schmerzhafte Zustände.

Am 27. Mai 2019 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, welches zur weiteren Sachaufklärung sachverständige Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte erhoben hat.

Der F hat bekundet, dass die Befunde von der Natur her nicht objektiv, sondern subjektiv seien, sodass er dazu keine Aussage machen könne. Eine Arthritis oder ein anderer eindeutiger Befund einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung habe sich nicht finden lassen. Der Teil-GdB sei mit 10 zu bewerten.

Der F1 hat unter Vorlage seiner Befundberichte mitgeteilt, dass die neurologische Untersuchung keinen Hinweis auf eine neuromuskuläre Erkrankung als Ursache der Muskelkrämpfe ergeben habe. Die Elektrophysiologie sei normal gewesen. Anhand der Untersuchung bestehe sicherlich keine absolute OP-Indikation hinsichtlich der LWS bei fehlenden Paresen und erhaltener Kontinenz.

Der S2 hat die ihm vorliegenden Befundberichte vorgelegt. Darunter neben bereits aktenkundigen Berichten den Befundbericht über die MRT der LWS vom 29. Januar 2019 (R), wonach sich ein relativ enger lumbaler Spinalkanal und bei LWK 2/3 ein BSV ohne Nervenwurzelkompression gezeigt habe. Bei LWK 3/4 und 4/5 bestehe eine deutliche sekundäre Spinalkanalstenose. Der M hat nach MRT des rechten oberen Sprunggelenks (OSG) eine lediglich geringe, als degenerativ zu wertende Auftreibung der Achillessehne beschrieben.

Der N hat einen letzten persönlichen Kontakt am 15. Oktober 2018 bekundet. Die MRT habe als Ursache der chronisch-rezidivierenden Rücken- und Beinschmerzen eine anlagemäße Enge des Lendenwirbelkanals vor allem in den Segmenten L3/4 und L4/5 ergeben. Klinisch hätten zwar erhebliche Beschwerden bestanden, aber ohne neurologische Ausfälle und ohne Hinweis auf eine Bewegungseinschränkung der LWS. Die MRT der HWS hätte einen BSV ergeben, wobei keine neurologischen Ausfälle bestünden und keine relevante Bewegungseinschränkung der HWS vorliege. An der linken Schulter impornierten funktionelle Beschwerden mit Reizung des AC-gelenks und des Supraspinatussehnenansatzes. Der GdB sei unter Berücksichtigung der fehlenden neurologischen Ausfälle mit 30 zu bemessen.

Die B hat angegeben, dass anamnestisch ein exogen allergisches Asthma bronchiale bestehe, wobei die Lungenfunktion 2015 unauffällig gewesen sei. Es sei regelmäßig Formoterol und bis Juli 2017 ein inhalatives Steroid verordnet worden. Der Kläger werde wegen Rückenbeschwerden orthopädisch behandelt. Ein Diabetes liege nicht vor, der HbA1c sei nur mehrmals leicht erhöht gewesen.

Der Beklagte ist der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. Köhler entgegengetreten. Die Wirbelsäulenfunktionseinschränkungen seien mit einem Teil-GdB von 30 angemessen bewertet, die 2018 diagnostizierte Achillotendinitis stelle einen konservativ zu behandelnden Befund dar, der keinen GdB begründe. Neurologisch ergebe sich ebenso wenig ein pathologischer Befund wie rheumatologisch. Hinsichtlich der Lungenfunktionseinschränkung komme in den Ausführungen der Allgemeinmedizinerin keine fortbestehende Einschränkung unter Behandlung zum Ausdruck. Der Diabetes begründe keinen GdB, da die medikamentöse Behandlung ohne hypoglykämische Auswirkungen sei.

Sodann hat das SG das orthopädische Sachverständigengutachten des S aufgrund ambulanter Untersuchung vom 25. März 2020 erhoben, der auf seinem Fachgebiet einen Teil-GdB von 20 angenommen hat. Er hat einen flüssigen Gang ins Untersuchungszimmer ohne Nutzung von Hilfsmitteln beschrieben. Die Anreise sei mit dem eigenen PKW erfolgt. Es habe sich eine Bewegungseinschränkung der HWS sowie eine freie Beweglichkeit von BWS und LWS gezeigt. Im Bereich der unteren LWS bestünden ein Druckschmerz sowie eine dezente Verhärtung der paravertebralen Muskulatur. Der Finger-Boden-Abstand (FBA) habe bei 0 cm, das Zeichen nach Ott bei 30:33 cm und das Zeichen nach Schober bei 10:17 cm gelegen. Es bestünden degenerative Veränderungen der HWS mit leichter Osteochondrose C4 bis C6. Die MRT zeige BSV C4/5 und C5/6. Bei der klinischen Untersuchung sei eine mäßige Bewegungseinschränkung der HWS aufgefallen. Weder anamnestisch noch aktuell seien sensible oder motorische Ausfälle nachweisbar. Die Beweglichkeit der BWS und LWS sei frei. Kernspintomographisch sei eine Spinalkanalstenose der Segmente L3/4 und L4/5 diagnostiziert worden. Daneben bestehe ein älterer BSV L2/3 ohne kompressive Wirkung. Bei der klinischen Untersuchung seien keine sensiblen oder motorischen Ausfälle aufgefallen. Es bestehe keine typische Claudicatio spinalis-Symptomatik. Eine Einschränkung der Gehstrecke sei nicht beschrieben worden. Die Schultern seien frei beweglich, links bestehe eine leichte Impignement-Symptomatik. Wesentliche funktionelle Einschränkungen folgten hieraus nicht. Bei der Untersuchung der rechten Achillessehne falle eine spindelförmige Verdickung auf. Dieser typische Befund einer degenerativen Achillessehenveränderung werde in der MRT vom 29. Mai 2018 bestätigt. Die vom Kläger beschriebenen beidseitigen Ellenbogenbeschwerden hätten ihre Ursache in einer chronischen Epicondylitis mediales mit lokalem Druckschmerz, führten aber nicht zu wesentlichen funktionellen Einschränkungen. Durch degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Spinalkanalstenose der LWS sei die Belastbarkeit der Wirbelsäule insgesamt reduziert. Die kernspintomographisch nachgewiesene Spinalkanalstenose der LWS verursache keine wesentlichen funktionellen Auswirkungen. Eine funktionelle Einschränkung im Sinne einer Bewegungseinschränkung lasse sich nur im Bereich der HWS nachweisen. Die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule sei mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten, die übrigen Erkrankungen führten zu keinem Teil-GdB von mindestens 10.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. Juni 2020 abgewiesen. Die Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule seien mit einem Teil-GdB von 30 bereits weitreichend berücksichtigt. Die Einschränkungen im Bereich der Schulter- und Ellenbogengelenke begründeten keinen Teil-GdB von 10. Für das beim Kläger vorliegende Bronchialasthma sei ein Teil-GdB von mehr als 10 nicht festzustellen. Nach den vorliegenden Unterlagen sei der Kläger nicht in dauerhafter fachärztlicher Behandlung, auch aus der sachverständigen Zeugenaussage der den Kläger behandelnden B ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine fortbestehende nicht kompensierbare Problematik. Weitere Gesundheitsschädigungen seien nicht zu berücksichtigen und aus den genannten Teil-GdB ein Gesamt-GdB von 30 zu bilden.

Am 31. Juli 2020 hat der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Das SG habe nicht entscheiden dürfen, da er einen Antrag auf Fristverlängerung gestellt habe. Entgegen der Darlegungen des Sachverständigen lägen schwere funktionelle Auswirkungen im Bereich der HWS und LWS vor. Die Beweglichkeit der Schultergelenke sei stärker eingeschränkt als vom Sachverständigen angenommen. C habe in einem wenige Monate zuvor erstellten Sachverständigengutachten eine Beweglichkeit von 120-0-30° links und 130-0-30° rechts festgestellt. Die pulmologischen Beeinträchtigungen seien unzureichend berücksichtigt worden. Es liege ein ausgeprägtes allergisches Asthma vor.

Ergänzend hat er das für das SG im Verfahren gegen die Berufsgenossenschaft auf Anerkennung einer Berufskrankheit erstattete orthopädische Sachverständigengutachten des C aufgrund ambulanter Untersuchung vom 8. Oktober 2019 vorgelegt. Danach sei das Gangbild zu ebener Erde in den Untersuchungsräumen zügig und raumgreifend gewesen. Das Entkleiden und der Lagewechsel auf der Untersuchungsliege erfolge schnell und selbstständig. Der FBA habe bei 5 cm gelegen, das Zeichen nach Ott bei 30:31 cm und das Zeichen nach Schober bei 10:15 cm. Bei Vorneigung bestehe kein Rippenbuckel oder eine Lendenwulst. An der HWS sei die Schulter-Nacken-Muskulatur mit mäßigen Verspannungen kräftig entwickelt. An den Dornfortsätzen der unteren HWS hätten Klopfschmerzen bestanden. Der Kinnspitzen-Jugulum-Abstand betrage bei Vorneigung 1 cm, bei Rückneigung 19 cm. Die Linksdrehung gelinge bis 60°, die Rechtsdrehung bis 50°. Die Linksneigung werde bis 30° durchgeführt, die Rechtsneigung bis 25°. An der BWS sei die paravertebrale Muskulatur kräftig entwickelt, mit mäßigen Verspannungen. An der LWS bestehe eine kräftig entwickelte paravertebrale Muskulatur. Die Seitneigung und die Seitdrehungen seien altersentsprechend frei durchführbar. An den oberen Extremitäten bestehe eine seitengleich kräftige Bemuskulung der Ober- und Unterarme. Die peripheren Pulse seien an den typischen Stellen zu tasten. Die Berührungsempfindlichkeit der oberen Extremitäten sei seitengleich unauffällig. Die grobe Kraft beider Hände, geprüft durch gekreuzten Händedruck, sei seitengleich. Schürzen- und Nackengriff seien ebenfalls seitengleich durchführbar. Die Armvorhebung gelinge bis 100°, die Innen- und Außendrehung bei angelegtem Oberarm beidseits mit 90-0-20°. Die Beweglichkeit der Ellenbogengelenke habe beidseits 0-0-135° betragen. An der HWS bestehe eine endgradig eingeschränkte Beweglichkeit hinsichtlich der Rechtsdrehung und Seitneigung. Hinweise auf eine Reizung der von der HWS ausgehenden Nervenwurzeln fänden sich weder in Form von Gefühlsstörungen noch solcher motorischer Schwächen im Bereich der oberen Extremitäten. Diese klinischen Befunde entsprächen den radiologischen. Im Bereich der BWS bestehe ein altersentsprechender Normalbefund, an der LWS zeige sich bei Schmerzangabe kein Hinweis auf eine Reizung von dort ausgehender Nervenwurzeln. Es bestünden weder Gefühlsstörungen noch motorisch bedingte Schwächen im Bereich der unteren Extremitäten. Weitere krankhafte Veränderungen seien auf orthopädischem Fachgebiet nicht nachweisbar.

Weiter hat der Kläger den Befundbericht des G nach ambulanter Untersuchung vom 2. November 2020 vorgelegt. Danach habe der Kläger über Schwierigkeiten bei Belastung unter Mund- und Nasenschutz geklagt. Ein Asthma bronchiale sei bekannt, es werde viermal am Tag eine inhalative Therapie beansprucht. Nach dem Untersuchungsbefund solle die Inhalativtherapie nach festem Regime eingenommen werden, zunächst morgens und abends. Die serologische Diagnostik habe eine leichte Sensibilisierung gegenüber Gräsern, Frühblühern und Hausstaubmilben gezeigt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30. Juni 2020 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 1. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2019 zu verpflichten, einen Grad der Behinderung von mindestens 50 seit dem 11. April 2018 festzustellen,

hilfsweise, zum Beweis der Tatsache, dass bei dem Kläger aufgrund seiner orthopädischen Beeinträchtigungen im Funktionssystem „Rumpf“ und im Funktionssystem „Arme“ ein Teil-GdB von mindestens 40 und somit ein Gesamt-GdB von mindestens 50 vorliegt, die Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens gemäß § 103 SGG,

wiederum hilfsweise gemäß dem Antrag vom 25. Januar 2021 ein orthopädisches Sachverständigengutachten gemäß § 109 SGG einzuholen und mit der Begutachtung S3, G1platz B1 zu beauftragen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung. Aufgrund der erhobenen Beweglichkeit lasse sich für die Wirbelsäule keinesfalls ein höherer Teil-GdB als 30 begründen. Vielmehr sei dieser bereits als weitreichend anzusehen, leidensgerecht sei ein Teil-GdB von 20. Von Seiten der Schultergelenke sei keine GdB-relevante Bewegungseinschränkung dokumentiert. Die Schultergelenke seien bei beiden Untersuchungen frei beweglich gewesen. Das Aus- und Ankleiden habe keine Schwierigkeiten bereitet. Der Kreuz- und Nackengriff sei beidseits gut durchführbar gewesen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat das pneumologische Sachverständigengutachten des T erhoben. Diesem gegenüber hat der Kläger belastungsabhängige Atembeschwerden angegeben, ab und zu träten diese auch in Ruhe auf. Darüber hinaus bestünden rhinische Beschwerden und ein Juckreiz der Haut. Ganzkörperblethmographisch liege beim Kläger lediglich eine grenzwertige Verminderung der Atemflüsse im Bereich der peripheren Bronchien vor. Es zeige sich keine relevante bronchiale Obstruktion der zentralen, wie peripheren Atemwege. Es bestehe eine leichte Erhöhung des Residualvolumens im Sinne einer leichten Überblähung, daneben keine Diffusionsstörung. Die Sauerstoffsättigung sei unauffällig. Die im Rahmen der Begutachtung durchgeführte Lungenfunktionsprüfung zeige nur eine geringe Einschränkung der Lungenfunktion. Eine relevante bronchiale Obstruktion lasse sich nicht nachweisen, wobei die Inhalationstherapie berücksichtigt werden müsse. Es zeige sich eine leichte Erhöhung des Residualvolumens im Sinne einer leichten Lungenüberblähung und keine Diffusionsstörung. Es müsse daher von einem gut kontrollierten Asthma ausgegangen werden. Dass es trotz laufender Therapie immer wieder zum Auftreten von asthmatischen Beschwerden komme, sei nicht unüblich. Beim Asthma bronchiale handele es sich um eine Erkrankung mit variabler Symptomatik, beispielsweise abhängig von der Allergenbelastung. Laborchemisch könne eine Allergie gegenüber Birken- und Gräserpollen sowie Tierhaaren bestätigt werden, daneben eine grenzwertige Sensibilisierung gegen Hausstaubmilben. Obstruktive Atemwegserkrankungen, die trotz Therapie mit einer permanenten Lungenfunktionseinschränkung einhergingen, begründeten die Annahme eines Teil-GdB von 30 bis 50. Beim Kläger sei die Lungenfunktion, abgesehen von einer leichten Lungenüberblähung, normal. Funktionell sei das Asthma somit gut behandelt. Klinisch könne man von einem zufriedenstellend, wenn auch nicht komplett kontrollierten Asthma ausgehen, da ab und zu Beschwerden aufträten. Das Asthma begründe einen GdB von 20, wobei zusätzlich ein GdB von 10 für die allergische Rhinitis berücksichtigt werden müsse. Die Funktionseinschränkungen seien als leicht zu bewerten, der Gesamt-GdB auf 40 einzuschätzen.

W hat versorgungsärztlich darauf hingewiesen, dass der Teil-GdB von 20 zumindest vertretbar sei, wobei die allergische Rhinitis davon umfasst sei. Der Teil-GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden sei bereits weitreichend, sodass der weitere Teil-GdB von 20 keine Erhöhung auf einen Gesamt-GdB von 40 rechtfertige.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 30. Juni 2020, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Feststellung eines GdB von mindestens 50 unter Abänderung des Bescheides vom 1. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 16. April 2019 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34).

Der Senat entscheidet in der Sache, da die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung an das SG nicht vorliegen (vgl. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Zwar leidet das Verfahren an einem wesentlichen Verfahrensmangel, jedoch wird auf Grund dessen keine umfangsreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig. Der Kläger rügt insoweit zu Recht, dass das SG am 30. Juni 2020 durch Gerichtsbescheid entschieden hat, ohne zuvor über seinen Antrag auf Fristverlängerung zu entscheiden (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a. a. O., § 105 Rz. 13). Ob diesem zu entsprechen gewesen oder er im Hinblick darauf, dass der Kläger bereits auf die Aufforderung des SG, zu dem Ende April 2020 übersandten Sachverständigengutachten Stellung zu nehmen, nicht reagiert hat, abzulehnen gewesen wäre, kann dahinstehen. Jedenfalls hätte es einer Reaktion des SG auf den Antrag bedurft.

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 1. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Er kann die Feststellung eines höheren GdB als 30 nicht beanspruchen, wobei das nach § 109 SGG eingeholte Sachverständigengutachten des T aus den von W versorgungsärztlich dargelegten Gründen zu keiner anderen Beurteilung führt.

Der Anspruch richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 V 25/98 R –, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“ oder „Altersstar“) bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris, Rz. 5).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSGE 82, 176 [177 f.]). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Gesamt-GdB mit 30 nicht rechtswidrig zu niedrig festgestellt ist.

Die vorwiegenden Funktionsbeeinträchtigungen bestehen bei dem Kläger im Funktionssystem „Rumpf“, welches mit einem Teil-GdB von maximal 20 zu bewerten ist, wie S überzeugend dargelegt hat.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für angeborene und erworbene Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend bestimmt durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung und Minderbelastbarkeit) sowie die Mitbeteiligung anderer Organsysteme. Die üblicherweise auftretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen sind gegebenenfalls zusätzlich zu werten (vgl. VG, Teil A, Nr. 2 j). Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Gelenke können schwerwiegender als eine Versteifung sein. Bei Haltungsschäden und/oder degenerativen Veränderungen an Gliedmaßengelenken und an der Wirbelsäule (z. B. Arthrose, Osteochondrose) sind auch Gelenkschwellungen, muskuläre Verspannungen, Kontrakturen oder Atrophien zu berücksichtigen. Mit bildgebenden Verfahren festgestellte Veränderungen (z. B. degenerativer Art) allein rechtfertigen noch nicht die Annahme eines GdB. Ebenso kann die Tatsache, dass eine Operation an einer Gliedmaße oder an der Wirbelsäule (z. B. Meniskusoperation, Bandscheibenoperation, Synovialektomie) durchgeführt wurde, für sich allein nicht die Annahme eines GdB begründen. Bei den entzündlich-rheumatischen Krankheiten sind unter Beachtung der Krankheitsentwicklung neben der strukturellen und funktionellen Einbuße die Aktivität mit ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und die Beteiligung weiterer Organe zu berücksichtigen.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 ergibt sich der GdB bei angeborenen und erworbenen Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylolisthesis, Spinalkanalstenose und dem so genannten „Postdiskotomiesyndrom“) primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Der Begriff Instabilität beinhaltet die abnorme Beweglichkeit zweier Wirbel gegeneinander unter physiologischer Belastung und die daraus resultierenden Weichteilveränderungen und Schmerzen. So genannte „Wirbelsäulensyndrome“ (wie Schulter-Arm-Syndrom, Lumbalsyndrom, Ischialgie sowie andere Nerven- und Muskelreizerscheinungen) können bei Instabilität und bei Einengungen des Spinalkanals oder der Zwischenwirbellöcher auftreten. Für die Bewertung von chronisch-rezidivierenden Bandscheibensyndromen sind aussagekräftige anamnestische Daten und klinische Untersuchungsbefunde über einen ausreichend langen Zeitraum von besonderer Bedeutung. Im beschwerdefreien Intervall können die objektiven Untersuchungsbefunde nur gering ausgeprägt sein.

Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität haben einen GdB von 0 zur Folge. Gehen diese mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz-dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) einher, ist ein GdB von 10 gerechtfertigt. Ein GdB von 20 ist bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) vorgesehen. Liegen schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vor (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ist ein Teil-GdB von 30 angemessen. Ein GdB-Rahmen von 30 bis 40 ist bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorgesehen. Besonders schwere Auswirkungen (etwa Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z. B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) eröffnen einen GdB-Rahmen von 50 bis 70. Schließlich ist bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB-Rahmen zwischen 80 und 100 vorgesehen. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen – oder auch die intermittierenden Störungen bei der Spinalkanalstenose – sowie Auswirkungen auf die inneren Organe (etwa Atemfunktionsstörungen) sind zusätzlich zu berücksichtigen. Bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen kann auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen (z. B. Postdiskotomiesyndrom) ein GdB über 30 in Betracht kommen.

Bei dem Kläger besteht im Bereich des LWS eine anlagebedingte Verengung des Spinalkanals bei degenerativen Veränderungen, wie der Senat den Befundberichten des N entnimmt, die er im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]). Indessen ist nach den Vorgaben der VG, Teil B, Nr. 18.1 der Schweregrad der Wirbelsäulenschäden gerade nicht nach dem radiologischen Befund zu beurteilen, was der Kläger verkennt. Vielmehr dienen diese Befunde nur zur Plausibilisierung von Funktionsbefunden.

Der Sachverständige S hat einen FBA von 0 cm und ein Zeichen nach Schober von 10:17 cm erhoben und somit eine normale Beweglichkeit der LWS mit einer Rotationsfähigkeit von 40-0-40° (Norm: 30 bis 50-0-30 bis 50°) befundet. Weiter ergab sich ein flüssiges Gangbild, sensible sowie motorische Ausfälle sind nicht festzustellen gewesen. Auf die fehlenden Paresen und die erhaltende Konsistenz hat bereits F1 in seiner sachverständigen Zeugenauskunft verwiesen. N hat ebenfalls neurologische Ausfälle und eine relevante Bewegungseinschränkung verneint. Weiterhin hat S an der Brustwirbelsäule mit einem Zeichen nach Ott von 30:33 cm einen Normalbefund erhoben. Die Beweglichkeit der HWS lag für Inklination/Reklination 40-0-30° (Norm: 50 bis 70-0-40 bis 50°), für die rechts/links Seitneigung bei 30-0-30° (Norm: 30 bis 40-0-30 bis 40°) und für die Rotation bei 60-0-60° (Norm 60 bis 80-0-60 bis 80°). Eine mehr als endgradige Einschränkung der Beweglichkeit bestand folglich nur hinsichtlich der Vor- und Rückneigung, während Seitneigung und Rotation im Normbereich lagen.

Nichts anderes folgt aus dem vom Kläger vorgelegten Sachverständigengutachten des C, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet. Dieser gibt Normalbefunde im Bereich der BWS und LWS an, sieht die HWS in der Beweglichkeit endgradig limitiert und verneint einen Anhalt für Nervenwurzelreizerscheinungen. Eine wenigstens mittelgradige Bewegungseinschränkung in einem Wirbelsäulenabschnitt, die mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten ist, lässt sich vor diesem Hintergrund nur grenzwertig ableiten.

Daneben besteht im Funktionssystem „Atmung“ ein Teil-GdB von maximal 20.

Nach den VG, Teil B, Nr. 8.5 ist ein Bronchialasthma ohne dauernde Einschränkung der Lungenfunktion bei einer Hyperreagibilität mit seltenen (saisonalen) und/oder leichten Anfällen mit einem GdB von 0 bis 20, bei einer Hyperreagibilität mit häufigen (mehrmals pro Monat) und/oder schweren Anfällen mit einem GdB von 30 bis 40 und bei einer Hyperreagibilität mit Serien schwerer Anfälle mit einem GdB von 50 zu bewerten. Eine dauernde Einschränkung der Lungenfunktion ist zusätzlich zu berücksichtigen.

Nach diesen Maßstäben entnimmt der Senat der sachverständigen Zeugenaussage der B, dass der Kläger anamnestisch an einem Asthma leidet, sich 2015 indessen eine normale Lungenfunktion zeigte. Zuvor sind in den Befundberichten bereits auftretende Probleme in verstaubten Räumen beschrieben worden. Eine weitere fachärztliche Behandlung bzw. Behandlungsnotwendigkeit ist nicht dokumentiert.

Gegenüber dem Sachverständigen T hat der Kläger belastungsabhängige Atembeschwerden, die ab und zu auch in Ruhe aufträten, geklagt. Der Sachverständige hat eine lediglich grenzwertige Verminderung der Atemflüsse im Bereich der peripheren Bronchien befundet. Es bestand keine relevante bronchiale Obstruktion der zentralen, wie peripheren Atemwege und eine leichte Erhöhung des Residualvolumens im Sinne einer leichten Überblähung. Eine Diffusionsstörung zeigte sich nicht und die Sauerstoffsättigung war unauffällig. Zusammenfassend beschreibt T ein gut kontrolliertes Asthma, wobei er es als nicht unüblich ansieht, dass es trotzdem immer wieder zu Beschwerden kommen kann. Er verweist zur Begründung darauf, dass es sich um eine Erkrankung mit variabler Symptomatik handelt, die auch von der Allergenbelastung abhängig ist. Insoweit hat er laborchemisch eine Allergie gegenüber Birken- und Gräserpollen, Tierhaare und grenzwertig gegen Hausstaubmilben erhoben.

Hinsichtlich der GdB-Bewertung hat W versorgungsärztlich zu Recht darauf hingewiesen, dass die erhobenen Befunde die Ausschöpfung des Bewertungsrahmens nur grenzwertig unter Berücksichtigung der medikamentösen Therapie und unter Einschluss der allergischen Rhinitis rechtfertigen. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass die VG, Teil A, Nr. 2 f bei schwankenden Gesundheitszuständen die Bildung eines Durchschnittswertes vorgeben.

Im Funktionssystem „Arme“ ist kein Teil-GdB von wenigstens 20 berücksichtigen.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 ist eine Bewegungseinschränkung des Schultergelenks mit einer nur möglichen Armhebung bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 10, eine nur mögliche Armhebung bis 90° mit einer entsprechenden Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 20 zu bewerten.

Der Sachverständige S hat einen symmetrischen Schulterstand, einen seitengleichen kräftigen Aufbau der Schulter-Nacken-Muskulatur und einen beidseits gut durchführbaren Kreuz- und Nackengriff beschrieben. Die Armachsen waren beidseits physiologisch, der Muskelaufbau an Ober- und Unterarm normentsprechend bei regelrechter Hauttrophik. Der Widerstandstest für die Rotatorenmanschette ergab keine Kraftminderung und es bestand nur eine leichte Impignement-Symptomatik der linken Schulter. Die Beschwielung der Hände zeigte sich seitengleich und altersentsprechend unauffällig, das Faustschluss war regelrecht und es ergaben sich keine Hinweise auf motorische, sensible oder vaskuläre Störungen im Bereich der Finger. Die Abduktion/Adduktion gibt er mit beidseits 180-0-40°, die Anteversion/Retroversion mit 170-0-50° und die Innenrotation/Außenrotation mit 90-0-50° rechts und 90-0-40° links an und bewertet die Befunde schlüssig als freie Schulterbeweglichkeit.

Soweit der Kläger die Befunde deshalb in Frage stellt, weil C eine andere Beweglichkeit erhoben habe, dessen Befunderhebung er indessen ebenfalls anzweifelt, ergibt sich nichts anderes. C hat ebenfalls eine seitengleiche Bemuskelung der Ober- und Unterarme, eine seitengleiche grobe Kraft beider Hände und einen freie durchführbaren Schürzen- und Nackengriff beschrieben. Die Beweglichkeit für Abduktion/Adduktion gibt er mit 120-0-30°, die Innen- und Außenrotation mit 90-0-20° und die Anteversion/Retroversion mit 100-0-60° an. Somit hat er zwar eine schlechtere Armvorhebung befundet, jedoch ist die Dreh- und Spreizfähigkeit auch nur hinsichtlich der Abspreizung und Außendrehung eingeschränkt gewesen, während sich Normalmaße für die Innendrehung und Anspreizung zeigten. Die von ihm erhobenen Befunde rechtfertigen daher selbst unter Berücksichtigung der Beidseitigkeit der Einschränkungen einen Teil-GdB von 20 nicht, im Übrigen ist die Untersuchung von S zeitlich später erfolgt, sodass eine dauerhafte Einschränkung nicht belegt ist. Abgesehen davon zeigte die Bemuskelung der Ober- und Unterarme keine Auffälligkeiten, die auf einen relevanten Mindergebrauch bzw. eine Schonung der Schulter hinweisen könnte.

Im Funktionssystem „Stoffwechsel und innere Sekretation“ ist kein Teil-GdB zu berücksichtigen. Die Allgemeinmedizinerin B hat in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft einen Diabetes Mellitus verneint, nachdem der HbA1c nur leicht erhöht gewesen ist. Auch zuvor hat sie in ihren Befundberichten jedenfalls nur eine medikamentöse Behandlung mit Metformin beschrieben, die nach den überzeugenden Ausführungen des Versorgungsarztes E keine Hypoglykämien auslösen kann und deshalb mit keinem Teil-GdB zu bewerten ist (vgl. VG, Teil B, Nr. 15.1).

Letztlich ist keine rheumatologische Erkrankung (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.2.1) gesichert, nachdem F eine solche ausdrücklich ausgeschlossen und darauf hingewiesen hat, dass keine objektiven, sondern vielmehr nur subjektive Beschwerden bestanden.

Soweit der Kläger den Bericht über die Vorstellung in der Notaufnahme am 15. Oktober 2018 vorgelegt hat, ergibt sich aus diesem nur, dass ein Myokardinfarkt und eine Lungenarterienembolie ausgeschlossen werden konnten, sodass keine pathologischen Befunde beschrieben sind und insbesondere keine Anhaltspunkte für dauerhafte Funktionseinschränkungen bestehen.

Aus den Teil-GdB von maximal 20 im Funktionssystem „Rumpf“ und maximal 20 im Funktionssystem „Atmung“ lässt sich ein höherer Gesamt-GdB als 30, wie ihn der Beklagte bereits festgestellt hat, nicht begründen. Der gegenteiligen Einschätzung des T folgt der Senat nicht, nachdem diese mit den Bewertungsvorgaben der VG nicht korrespondiert und er offensichtlich von einem Teil-GdB für das Funktionssystem „Rumpf“ von 30 ausgeht, der ebenfalls nicht befundangemessen ist (vgl. oben). Letztlich berücksichtigt er nicht, dass nach den VG bei leichteren Störungen, wie T den Schweregrad auf seinem Fachgebiet ausdrücklich angibt, die mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten sind, gerade nicht zwingend auf eine Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung geschlossen werden muss (vgl. VG, Teil A, Nr. 3 d ee).

Weiterer Ermittlungsbedarf hat nicht bestanden. Die vorhandenen medizinischen Unterlagen haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen Grundlagen vermittelt. Insbesondere bestand keine Veranlassung der Beweisanregung des Klägers auf Einholung eines weiteren orthopädischen Sachverständigengutachtens nachzukommen, nachdem der Kläger bereits erstinstanzlich von S von Amts wegen begutachtet worden ist und daneben das orthopädische Sachverständigengutachten des C, das der Kläger im Berufungsverfahren vorgelegt hat, urkundsbeweislich verwertet werden konnte. Der orthopädische Sachverhalt ist damit hinreichend aufgeklärt. Abgesehen davon hat S den Kläger zeitlich nach C begutachtet und die Befunde haben jeweils eine Höherbewertung des GdB nicht gerechtfertigt, wie oben im Einzelnen dargelegt. Anhaltspunkte für eine relevante Befundverschlechterung sind nicht ersichtlich und neue Befunde hierfür vom Kläger auch nicht behauptet worden.

Den Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG hat der Senat abgelehnt, da das Antragsrecht verbraucht ist. Dieses steht grundsätzlich nur einmal in beiden Tatsacheninstanzen zur Verfügung. Es entspricht dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis einer bestimmten Tatsache beliebig oft nachzukommen (vgl. BSG, Urteil vom 15. April 1991 – 5 RJ 32/90 –, juris, Rz. 16). Außerdem ist § 109 SGG als Ausnahmevorschrift zu der Regelung des § 103 Satz 2 SGG, wonach das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, eng auszulegen (vgl. BSG, Beschluss vom 17. März 2010 – B 3 P 33/09 B –, juris, Rz. 12). Eine wiederholte Antragstellung nach § 109 SGG rechtfertigt sich daher nur bei Vorliegen besonderer Umstände (vgl. Senatsurteil vom 24. Oktober 2013 – L 6 SB 5267/11 –, juris, Rz. 34), die vorliegend nicht gegeben sind.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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