L 7 R 2690/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 4242/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 2690/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. Juli 2020 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ausgehend von einem Leistungsfall im Dezember 2017 Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Juli 2018 bis zum 31. Juli 2020 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung im Streit.

Der 1967 geborene Kläger war seit 1991 als Maschinenbediener versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 14. September 2015 war er arbeitsunfähig krank und bezog Krankengeld.

Vom 22. Februar 2016 bis 17. März 2016 führte der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Reha-Klinik am K. B. K.durch, aus der er arbeitsunfähig mit einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden für eine Tätigkeit als Maschinenbediener und von sechs Stunden und mehr für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen wurde (ärztlicher Entlassungsbericht vom 21. März 2016). Folgende Diagnosen wurden gestellt:

  1. Therapieresistente postoperative Schulterteilsteife rechts nach Refixation der Subscapularis- und Supraspinatussehne am 9. November 2015,
  2. geringe chronische Schulterteilsteife links nach subacrominaler Dekompression,
  3. chronifiziertes somatoformes Schmerzsyndrom,
  4. chronische Lumbago bei vorbeschriebener Protrusion L3-L5 bei mäßiger Funktionseinschränkung, ohne neurologisches Defizit,
  5. chronische Epicondylitis radialis ulnaris humeri rechts mit deutlichem Streckdefizit bei Z.n. Epicondylitis-OP 2011.

Am 1. Dezember 2016 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung führte er Gesundheitsstörungen in Form einer Supraspinatus- und Subscapularisruptur der rechten Schulter, Arthrose in allen Gelenken, einen Bandscheibenvorfall, schwere Depressionen sowie psychische Probleme durch Schmerzen an, wegen der er sich seit September 2015 für erwerbsgemindert halte.

Die Beklagte ließ den Kläger durch die Fachärztin für Arbeitsmedizin Dr. R.  begutachten, die im Gutachten vom 3. April 2017 folgende Diagnosen stellte:

  1. Therapieresistente Schulterteilsteife rechts nach operativer Sehnen-Refixation 11/2015,
  2. geringe chronische Schulterteilsteife links nach Schulter-OP 2005,
  3. Minderbelastbarkeit rechter Ellenbogen bei posttraumatischer Ellenbogenarthrose rechts mit Z.n. operativer Sanierung 2011,
  4. Z.n. rezidivierenden depressiven Episoden (Erstdiagnose 04/2016) unter Medikation weitgehend remittiert.

In der Zusammenschau komme es zu qualitativen, jedoch nicht zu quantitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten könne der Kläger vollschichtig verrichten. Die Tätigkeit als Maschinenbediener sei nicht mehr leidensgerecht. Nicht zumutbar seien Tätigkeiten, die eine Arbeit mit Armvorhalte bzw. Arbeiten über Kopf erforderten, Tätigkeiten, die Heben und Tragen mit der rechten Hand über fünf Kilogramm erforderten, Tätigkeiten, die regelmäßige Drehungen im Unterarm erforderten, Tätigkeiten mit hohen Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen, Tätigkeiten unter erhöhtem Zeitdruck sowie aktuell aufgrund der Medikation auch Fahrtätigkeiten.

Mit Bescheid vom 4. Mai 2017 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erwerbsminderungsrente ab, da der Kläger die medizinischen Voraussetzungen nicht erfülle.

Auf den dagegen eingelegten Widerspruch ließ die Beklagte den Kläger durch die Fachärztin für Psychiatrie Dr. W. begutachten. Im Gutachten vom 24. Oktober 2017 stellte die Gutachterin folgende Diagnosen:

  1. Schwere depressive Episode, derzeitig mittelgradig,
  2. generalisierte Angststörung,
  3. Anpassungsstörung,
  4. V.a. somatoforme Schmerzstörung,
  5. posttraumatische Ellenbogenarthrose rechts mit Z.n. operativer Sanierung,
  6. therapieresistente Schultersteife rechts nach operativer Sehnenreluxation 2005 (gemeint: 2015),
  7. geringe chronische Schultersteife links nach Schulter-OP 2005.

Der Kläger sei derzeit nicht in der Lage, seine bisherige Tätigkeit durchzuführen. Es bestünden qualitative Leistungseinschränkungen bedingt durch die Angst- und depressive Symptomatik vor allem im Hinblick auf eine Tätigkeit mit Publikumsverkehr und emotionaler Verantwortung und Flexibilität. Für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei der Kläger vollschichtig belastbar.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2017 zurück.

Am 11. Dezember 2017 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. hat unter dem 26. April 2018 mitgeteilt, der Kläger könne nach seiner Einschätzung aufgrund der Schwere seiner psychischen Beeinträchtigungen nur unter drei Stunden täglich erwerbstätig sein. Der Facharzt für Orthopädie Dr. S. hat mit Schreiben vom 24. April 2018 mitgeteilt, er halte die Verrichtung einer leichten Tätigkeit noch für maximal sechs Stunden für zumutbar. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H. hat unter dem 27. April 2018 angegeben, er halte den Kläger in keiner Weise mehr für arbeitsfähig.

Das SG hat Prof. Dr. R.  mit der Erstattung eines nervenärztlichen Gutachtens und PD Dr. R. mit der Erstattung eines orthopädischen Zusatzgutachtens beauftragt.

In dem orthopädisch-rheumatologisch-sozialmedizinischen Gutachten vom 19. November 2018 hat PD Dr. R. folgende Diagnosen gestellt:

  1. Brachialgien (Schulter-Arm-Schmerzen) rechts bei radiologisch Arthrosen im Schultereckgelenk und Schultergelenk, in Abspreizung 75° subakromiales Impingement. Im MRT (23. September 2015) subakromiale Enge, Ruptur der Rotatorenmanschette (SSP komplett, Partialruptur SSC). Zustand nach arthroskopischer Operation der komplexen Rotatorenmanschettenruptur mit Refixation SSP und SSC am 9. November 2015. Radiologisch am rechten Ellbogengelenk mäßige Arthrose und knöchernes Ossikel am Epicondylus ulnaris. Im MRT (15. Dezember 2017) Arthrose im humero-radialen Gelenkanteil, ulnar als Normvariante ein Ossikulum ohne Hinweise auf Verletzungsfolgen. Schmerzhafte Muskelverspannungen. Mäßige bis schwere Einschränkungen der Bewegungs- und Belastungsfunktion der rechten Schulter und rechter Arm.
  2. Brachialgien (Schulter-Arm-Schmerzen) links bei radiologisch relativer Enge subakromial in Abspreizung 135°, mögliches Impingement, ohne Arthrosen, ohne wesentliche Insuffizienz der Rotatorenmanschette. Schmerzafte Muskelverspannungen. Geringe nachweisbare Funktionseinschränkungen.
  3. Zervikobrachialgien beidseits (Hals-Schulter-Arm-Schmerzen) bei radiologisch an der Halswirbelsäule unauffälligem Befund, im MRT (30. Juni 2016) Bandscheibenprotrusionen (Vorwölbungen) der unteren HWS ohne Wurzelkompression oder Foramenstenose. Schmerzhafte Muskelverspannungen. Geringfügige Einschränkungen der Bewegungsfunktion der Halswirbelsäule.
  4. Lumboischialgien links mehr als rechts mit pseudoradikulärer Ausstrahlung (Rücken-Becken-Bein-Schmerzen) bei radiologisch geringen degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule mit Spondylarthrosen der unteren LWS, einer geringfügigen Pseudospondylolisthese LWK 5/SWK 1 Meyerding Grad I (von IV) und leichte Fehlhaltung. Im MRT (22. Mai 2015, Nr. 18) initiale degenerative Veränderungen und eine konstante Anterolisthese L5 gegenüber S1 Meyerding Grad I. Schmerzhafte Muskelverspannungen. Geringe nachweisbare Einschränkung der Belastungs- und Bewegungsfunktion der Rumpfwirbelsäule.
  5. Gonalgien (Knieschmerzen) links mehr als rechts bei radiologisch geringen Arthrosen beider Kniegelenke ohne Hinweise auf eine knöcherne Verletzung oder umschriebene Knochenstrukturveränderungen. Im CT linkes Kniegelenk (16. Mai 2018) subchondraler Knocheninfarkt der medialen Femurcondyle und hinterem Tibiaplateau. Radiologisch leichte Patelladysplasie. Mäßige Einschränkung der Belastungsfunktion der Kniegelenke links mehr als rechts, geringe Einschränkung der Bewegungsfunktion.
  6. Psychische Gesundheitsstörungen, Verdacht auf chronisches Schmerzsyndrom, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Depression.

Noch möglich seien aus orthopädisch-rheumatologischer Sicht leichte körperliche Arbeiten ständig im Sitzen, überwiegend im Stehen und teilweise im Gehen mit Heben und Tragen von Lasten von sechs bis acht Kilogramm, bis drei bis vier Kilogramm mit der rechten Hand und dem rechten Arm mindestens sechs Stunden täglich.

Prof. Dr. R.  hat im Gutachten vom 17. Dezember 2018 zusätzlich folgende Diagnosen gestellt:

  1. Mittelschwere depressive Episode mit kognitiven Einschränkungen im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung,
  2. anhaltende somatoforme Schmerzstörung,
  3. leichter Nervenwurzelschaden S1 links.

Ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit sei es dem Kläger aus neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischer Sicht noch möglich, leichte körperliche Arbeiten ohne Akkord- oder Fließbandtätigkeiten, vorzugsweise im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen, auszuführen. Zu vermeiden seien Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, häufiges Treppensteigen, Arbeiten unter der Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe, Tätigkeiten in Nachtschicht sowie Tätigkeiten mit besonderer geistiger Beanspruchung. Angesichts der vorzeitigen Erschöpfbarkeit der kognitiven Funktionen und des Antriebs sowie der durchgehend depressiven Stimmungslage sei der Kläger nur noch fähig, zwischen drei und unter sechs Stunden pro Tag zu arbeiten. Zwar sei es zum Auftreten einer schweren Depression gegen Ende des Jahres 2016 gekommen. Diese habe aber durch einen stationären Aufenthalt gebessert werden können, sodass im Oktober 2017 (Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. W.) nur noch eine mittelschwere Depression vorhanden gewesen sei. Anschließend habe sich diese mittelschwere Depression verschlechtert und es sei zum Auftreten einer vorzeitigen Erschöpfbarkeit der kognitiven Funktionen gekommen, die die quantitative berufliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigten. Insofern sei davon auszugehen, dass das Herabsinken der quantitativen beruflichen Leistungsfähigkeit seit Ende des Jahres 2017 vorliege.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 10. Mai 2019 hat Prof. Dr. R.  nach Auswertung eines Entlassberichtes des Prof. Dr. B. und der Dr. B. (Klinik für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin des S. Klinikums gGmbH, K.) vom 16. Januar 2019 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 17. September 2018 bis 14. Dezember 2018 an seiner Einschätzung festgehalten.

Mit Urteil vom 24. Juli 2020 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2017 verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Arbeitsmarktrente) für die Zeit vom 1. August 2017 bis zum 31. Juli 2020 ausgehend von einem Leistungsfall im Dezember 2016 zu gewähren und im Übrigen die Klage abgewiesen. Auf psychiatrischem Fachgebiet stelle das Gericht eine rentenrechtlich relevante quantitative Leistungsminderung im Sinne einer teilweisen Erwerbsminderung fest. Dem nachvollziehbaren Gutachten des Prof. Dr. R.  sei insofern ein auffälliger psychischer Befund zu entnehmen. Entscheidend für das Gericht sei die Feststellung von Prof. Dr. R. , dass der Kläger während der Begutachtung zunehmend im Antrieb und den kognitiven Funktionen nach drei Stunden nachlasse. Dabei überzeuge die Kammer auch, dass er bezüglich seiner gesundheitlichen psychischen Beeinträchtigungen nicht simuliere oder aggraviere. Da dem teilweise erwerbsgeminderten Kläger kein leidensgerechter Teilzeitarbeitsplatz zur Verfügung stehe und der Teilzeitarbeitsmarkt nach wie vor als verschlossen anzusehen sei, bestehe ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente in Gestalt der Arbeitsmarktrente. Eine solche sei allerdings selbst dann zu befristen, wenn es unwahrscheinlich sei, dass die Erwerbsminderung behoben werden kann. Ausgehend von einem Leistungsfall im Monat Dezember 2016 sei die dem Kläger zustehende Rente wegen voller Erwerbsminderung auf den Zeitraum vom 1. August 2017 bis zum 31. Juli 2020 zu befristen.

Gegen das ihr am 10. August 2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25. August 2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Ausgehend von dem Gutachten von Prof. Dr. R.  sei erst Ende Dezember 2017 von einer Leistungseinschränkung auszugehen. Daher habe das SG zu Unrecht den Leistungsfall im Dezember 2016 angenommen. Bei dem Leistungsfall im Dezember 2017 beginne eine befristete Rente daher am 1. Juli 2018.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. Juli 2020 dahingehend abzuändern, als dass dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Arbeitsmarktrente) für die Zeit vom 1. Juli 2018 bis zum 31. Juli 2020 ausgehend von einem Leistungsfall im Dezember 2017 zu gewähren ist, und im Übrigen die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Ausführungen der Beklagten im Rahmen der Berufungsbegründung seien nicht geeignet, Fehler der gerichtlichen Entscheidung aufzuzeigen. Das Gericht sei an die Feststellungen des Gutachters Prof. Dr. R.  nicht gebunden. Aus dem erstinstanzlichen Prozessstoff, insbesondere der sachverständigen Zeugenaussage des Dr. S. und dem vorläufigen Entlassbrief vom 29. Dezember 2016 der psychiatrischen Tagesklinik im S. Klinikum K.ergebe sich, dass die psychische Erkrankung im Dezember 2016 noch stärker ausgeprägt gewesen sei als zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Prof. Dr. R. . Aus den vorbezeichneten ärztlichen Einschätzungen ergebe sich somit, dass die Leistungsfähigkeit entgegen der Einschätzung des Prof.  Dr. R.  bereits im Jahr 2016 eingeschränkt gewesen sei. Das SG habe seine Entscheidung ersichtlich auch auf die Medikamenteneinnahme (Psychopharmaka) gestützt. Diese sei unstreitig bereits vor Dezember 2017 erfolgt. Das SG habe den Leistungsfall daher zu Recht mit Dezember 2016 festgestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 31. März 2021, Schreiben der Beklagten vom 12. April 2021).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. 

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 4. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. November 2017 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Dagegen hat sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) gewandt und die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise einer Rente wegen teilweise Erwerbsminderung, geltend gemacht. Das SG hat den Bescheid der Beklagten aufgehoben und ausgehend vom Eintritt einer teilweisen Erwerbsminderung im Dezember 2016 die Beklagte (unter Klageabweisung im Übrigen) zur Zahlung einer bis zum 31. Juli 2020 befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. August 2017 verurteilt. Gegen die Verurteilung zur Rentengewährung hinsichtlich der Zeit vom 1. August 2017 bis zum 30. Juni 2018 und Zugrundelegung eines Leistungsfalles bereits im Dezember 2016 richtet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte zu einer Rentengewährung bereits ab 1. August 2017 verurteilt. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ausgehend von einem Leistungsfall im Dezember 2017 ab dem 1. Juli 2018.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung (Gesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn neben den oben genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Kläger hat zwar sowohl im Dezember 2016, den vom SG angenommenen Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalles, als auch im Dezember 2017 die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Der Senat ist jedoch nicht davon überzeugt, dass der Kläger bereits vor Dezember 2017 erwerbsgemindert war.

Der Gutachter Prof. Dr. R.  hat in seinem Gutachten vom 17. Dezember 2018 überzeugend dargelegt, dass beim Kläger bei der gutachterlichen Untersuchung am 24. September 2018 ein auf weniger als sechs Stunden herabgesetztes Leistungsvermögen eingetreten war. In Auswertung der aktenkundigen Befunde und Vorgutachten hat er schlüssig hergeleitet, dass diese Herabsetzung des Leistungsvermögens erst Ende des Jahres 2017, mithin im Dezember 2017 eingetreten ist. So fiel bei der psychischen Untersuchung ein zunehmendes Nachlassen des Antriebs und der kognitiven Funktionen, ein durchgehend depressives Stimmungsbild, eine mittelgradige Einschränkung der affektiven Modulationsfähigkeit, eine erhöhte Ängstlichkeit, eine streckenweise Verlangsamung des formalen Gedankengangs und die Angabe von Todeswünschen bzw. Suizidgedanken auf. Nach dem von Prof. Dr. R.  erhobenen psychischen Befund wirkte der Kläger während der Exploration sehr ruhig und ängstlich. Auf an ihn gerichtete Fragen gab er bereitwillig, aber nur verzögert Auskunft. Im Verlauf der mehrstündigen Begutachtung kam es nach drei Stunden zu einem deutlichen Nachlassen der Konzentriertheit und der Aufmerksamkeit. Die Antriebslage wirkte zunächst leichtgradig und nach drei Stunden mittelgradig reduziert. Auch fielen eine äußerlich erkennbare innere Unruhe und eine Nervosität auf. Hinsichtlich der Stimmungslage wirkte der Kläger durchgehend depressiv. Auch beim Besprechen angenehmer Themen kam es nicht zu einer Stimmungsaufhellung. Die affektive Modulationsfähigkeit war mittelgradig eingeschränkt. Die Auffassungsgabe, die Konzentrationsfähigkeit und die Aufmerksamkeitsdauer waren zunächst leichtgradig und nach drei Stunden mittelgradig gestört. Anhaltspunkte für eine Beschwerdeinkongruenz bzw. Simulationstendenz hat der Gutachter nicht gefunden. Aufgrund dieses klinischen Befundes und der Anamnese hat der Gutachter aus neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischer Sicht eine mittelschwere depressive Episode mit kognitiven Einschränkungen im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Die Einschätzung des Gutachters, dass beim Kläger die zeitliche Leistungsfähigkeit auf drei bis unter sechs Stunden herabgesetzt sei, ist angesichts des erhobenen Befundes mit einem deutlichen Nachlassen von Auffassung, Konzentration, Aufmerksamkeit und Antrieb nach drei Stunden schlüssig und überzeugend.

Im Gutachten von Dr. W. vom 24. Oktober 2017 sind entsprechende Einschränkungen nicht beschrieben. Bezüglich des psychischen Befunds hat Dr. W. ausgeführt, dass der Kläger eine deutliche Antriebsstörung, eine eingeschränkte affektive Schwingungsfähigkeit und eine depressive Stimmungslage aufgewiesen habe. Allerdings waren – im Gegensatz zu den Ergebnissen der Begutachtung durch Prof. Dr. R.  – die Auffassungsgabe und die Konzentrationsfähigkeit nicht gestört gewesen. Die Leistungsbeurteilung der Gutachterin Dr. W., dass der Kläger noch fähig sei, sechs Stunden und mehr pro Tag zu arbeiten, ist danach ebenfalls plausibel.

Zuvor litt der Kläger zwar ausweislich des stationären Entlassbriefes des S. Klinikums vom 29. Dezember 2016 über einen teilstationären Aufenthalt des Klägers vom 18. Oktober 2016 bis 20. Januar 2017 unter einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome. Bei Entlassung bestand jedoch eine leichte Besserung der Beschwerdesymptomatik.

Somit ist es, wie Prof. Dr. R.  nachvollziehbar dargelegt hat, zwar zum Auftreten einer schweren Depressionsphase gegen Ende des Jahres 2016 gekommen. Diese war jedoch vorübergehend und konnte durch den teilstationären Aufenthalt gebessert werden, sodass zum Zeitpunkt der fachärztlich-psychiatrischen Untersuchung durch Dr. W. im Oktober 2017 nur noch eine mittelschwere Depression vorhanden war, die eine quantitative Leistungseinschränkung nicht begründet hat. Anschließend verschlechterte sich diese mittelschwere Depression und es kam bis zur Begutachtung durch Prof. Dr. R.  zum Auftreten einer vorzeitigen Erschöpfbarkeit der kognitiven Funktionen, die die quantitative berufliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Insofern ist davon auszugehen, dass das Herabsinken der quantitativen beruflichen Leistungsfähigkeit, wie von Prof. Dr. R.  überzeugend dargelegt, seit Ende des Jahres 2017 vorliegt.

Ein früherer Leistungsfall ist auch nicht aufgrund anderer Gesundheitsstörungen begründet. Insbesondere begründen die orthopädischen Krankheitsbilder keine Herabsetzung des zeitlichen Leistungsvermögens. So hat der behandelnde Orthopäde des Klägers Dr. S. auf seinem Fachgebiet eine sechsstündige Leistungsfähigkeit des Klägers hinsichtlich der Verrichtung körperlich leichter Tätigkeiten bestätigt. Auch der Gutachter Dr. R. hat beim Kläger keine Funktionsbeeinträchtigungen erhoben, die eine Verrichtung körperlich leichter Tätigkeiten für die Dauer von mindestens sechs Stunden täglich entgegenstehen würden. Im Übrigen hat der Kläger selbst im Klageverfahren vorrangig psychiatrische Gesundheitsstörungen für die Begründung seiner eingeschränkten Leistungsfähigkeit angeführt und sich im Berufungsverfahren nicht auf andere Gesundheitsstörungen für den Eintritt des Leistungsfalles gestützt. Überdies enthält das angefochtene Urteil keine Begründung für den dort zugrunde gelegten Zeitpunkt des Eintritts der zeitlichen Leistungsminderung.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger (erst) ab Dezember 2017 körperlich leichte Tätigkeiten nur noch drei bis unter sechs Stunden verrichten kann und damit teilweise erwerbsgemindert ist. Aufgrund der teilweisen Erwerbsminderung hat der Kläger – wie vom SG zutreffend dargelegt – einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, was auch die Beklagte nicht infrage stellt.

Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet, wobei die Befristung nach § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI für längstens drei Jahr nach Rentenbeginn erfolgt. Nach § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI werden (nur) Renten, auf die Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Gemäß § 101 Abs. 1 SGB VI werden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet.

Damit steht dem Kläger die – wegen der Abhängigkeit von der Arbeitsmarktlage und wegen der Möglichkeit der Behebung der Erwerbsminderung – befristet zu zahlende Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2018, dem siebten Monat nach Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Dezember 2017, zu.

Nachdem lediglich die Beklagte Berufung eingelegt hat und insbesondere keine Anschlussberufung eingelegt worden ist, bleibt es bei der Befristung bis zum 31. Juli 2020; eine Prüfung einer Rentenbewilligung für die Dauer von drei Jahren nach Rentenbeginn (§ 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) hat nicht zu erfolgen.

Das Urteil des SG war dementsprechend auf die Berufung der Beklagten abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor. 

Rechtskraft
Aus
Saved