L 7 R 1544/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 3088/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 1544/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. April 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1962 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er war zuletzt seit 1997 als Bandarbeiter in der Automobilherstellung versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 25. Januar 2015 war er arbeitsunfähig bzw. arbeitslos.

Nach Operation eines Rezidiv-NPP L4/5 links am 3. März 2015 führte der Kläger eine stationäre Anschlussrehabilitationsmaßnahme vom 26. März 2015 bis 16. April 2015 in der Reha-Klinik H.in B.-B. durch, aus der er arbeitsunfähig mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr als Bandarbeiter sowie für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen wurde. Vom 19. April 2016 bis 31. Mai 2016 durchlief er eine psychosomatisch ausgerichtete Rehabilitationsmaßnahme in den J. Rehakliniken M., aus der er ebenfalls arbeitsunfähig und mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr als Fließbandarbeiter und für mittelschwere Arbeiten überwiegend im Stehen, im Gehen oder im Sitzen entlassen wurde (ärztlicher Entlassungsbericht vom 6. Juni 2016). Folgende Diagnosen wurden gestellt:

  1. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode,
  2. chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
  3. BSV L4/5 links 2015 mit Z.n. dorsaler Dekompression (mikrochirurgisch) und Spondylodese,
  4. Osteochondrose im Bereich der lumbalen Wirbelsäule,
  5. Hypercholesterinämie,
  6. Tabakabhängigkeit.

Am 1. Februar 2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung verwies er auf einen Wirbelsäulenschaden mit Bandscheibenvorfall der Lendenwirbelsäule. Die Beklagte ließ den Kläger durch die Fachärztin für Chirurgie Dr. B.-K. begutachten, die im Gutachten vom 31. März 2017 folgende Diagnosen stellte:

  1. Mittelgradige Minderung von Funktion und Belastbarkeit der LWS nach drei Bandscheiben-OPs, zuletzt Versteifungs-OP 03/2016, ohne Zeichen einer Reizung der Nervenwurzel,
  2. vorbeschriebene chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren,
  3. leichte Minderbelastbarkeit der linken Schulter nach Schulterspiegelung links 2014 wegen Einengungsbeschwerden, aktuell ohne wesentliche Funktionsbehinderung,
  4. leichte Minderbelastbarkeit der HWS nach Implantation einer Bandscheibenprothese 2006 ohne wesentliche Funktionsbehinderung,
  5. vorbeschriebene rezidivierende depressive Störung, unter medikamentöser Behandlung ausreichend stabil, mit fortbestehenden Schlafstörungen.

Als sonstige Diagnosen gab die Gutachterin an: Klinisch Hinweise auf Nervenengpasssyndrom am linken Ellenbogen, Restbeschwerden nach Rippenprellung rechts 03/2017, abklärungsbedürftige Hautveränderung an der Zunge (Leukoplakie), abklärungsbedürftige Veränderung des Blutbildes, fortgesetzter Nikotinabusus (40 Packyears). Es bestehe ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für leichte Tätigkeiten in überwiegend sitzender oder gehender Körperhaltung, zeitweise auch stehend, in Tages-, Früh- und Spätschicht. Zu vermeiden seien Bücken, Wirbelsäulenzwangshaltungen, Überkopfarbeiten, häufiges Knien, Hocken, Klettern, Steigen oder Armvorhaltetätigkeiten, Vibrationsbelastung und Ganzkörpererschütterungen, Nachtarbeit, Zeitdruck, Akkordarbeit und erhöhte psychoemotionale Belastungen. Für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bandarbeiter in der Pkw-Herstellung liege das Leistungsvermögen dauerhaft unter drei Stunden täglich.

Mit Bescheid vom 4. April 2017 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab, weil der Kläger die medizinischen Voraussetzungen nicht erfülle. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 2017 zurück.

 Am 8. September 2017 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Die Fachärztin für Dermatologie und Allergologie T. hat eine lediglich einmalige Vorstellung am 11. Mai 2017 berichtet (Schreiben vom 11. Dezember 2017, Bl. 32 SG-Akte). Der Facharzt für Orthopädie Dr. D. hat mitgeteilt, das berufliche Leistungsvermögen des Klägers mangels regelmäßiger Behandlung nicht einschätzen zu können (Schreiben vom 11. Dezember 2017, Bl. 33/47 SG-Akte). Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. und der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. R. haben angegeben, der Beschwerdekomplex, der die berufliche Leistungsfähigkeit dauerhaft einschränke, sei durch die Rückenschmerzen in Kombination mit der chronischen Schmerzstörung bedingt und liege somit auf orthopädischem, neurochirurgischem, schmerztherapeutischem und psychosomatischem Gebiet (Schreiben vom 19. Dezember 2017, Bl. 48/53 SG-Akte). Der Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. M.. hat ein Gehörgangsekzem beidseits sowie Schwerhörigkeit beidseits mitgeteilt und für den Fall der Verrichtung von Lärmarbeit die Verwendung eines Kapselhörschutzes anstelle Ohrstöpseln empfohlen (Schreiben vom 20. Dezember 2017, Bl. 54/57 SG-Akte). Der Facharzt für Psychiatrie J. hat das Bestehen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung mittelgradiger Ausprägung beim Kläger angegeben. Über die ganze Beobachtungszeit hinweg (8. Oktober 2015 bis 20. Oktober 2017) hätten eine depressive Grundstimmung, soziale Rückzugstendenzen, eine leichte Störung der Konzentration und des Gedächtnisses sowie eine verminderte psychische und körperliche Belastbarkeit bestanden. Die von ihm erhobenen Befunde sowie der anhaltende Krankheitsverlauf schlössen eine leichte Berufstätigkeit von sechs Stunden täglich aus (Schreiben vom 3. Januar 2018, Bl. 58/76 SG-Akte). Der Oberarzt Dr. M., Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie, Orthopädie und Traumatologie des SRH Klinikums Karlsbad-Langensteinbach, hat mitgeteilt, der Kläger sei aus orthopädischer Sicht uneingeschränkt in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten, wobei Heben und Tragen schwerer Lasten sowie wiederholte Rotationsbewegungen in der LWS vermieden werden sollten (Schreiben vom 7. Februar 2018, Bl. 82/83 SGG, Akte).

Der Kläger hat den Entlassungsbericht des Leitenden Arztes Dr. S., KH F., vom 31. Januar 2018 über eine vom Kläger in der Zeit vom 28. November 2017 bis 14. Dezember 2017 durchgeführte multimodale stationäre (Schmerz-)Behandlung (Bl. 86/95 SGG-Akte) vorgelegt.

Sodann hat das SG den Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Im neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 13. August 2018 (Bl. 117/159 SG-Akte) hat der Gutachter folgende Diagnosen gestellt:

  1. Anamnestisch depressive Verstimmungen bzw. depressive Störung bei gegebenenfalls auch bestehender depressiver Persönlichkeitsakzentuierung, aktuell weitgehend remittiert,
  2. schädlicher Nikotinkonsum.

Als sonstige Diagnosen hat der Gutachter angegeben:

  1. Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates mit angegebenen Sensibilitätsstörungen im Bereich des linken Beines ohne Paresen,
  2. Hörminderung beidseits, mit Hörgeräten korrigiert,
  3. Tinnitusleiden beidseits, keine psychovegetativen Begleiterscheinungen.

Aus neurologischer, psychiatrischer und internistischer Sicht könne der Kläger zumindest leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten in verschiedenen Arbeitshaltungen verrichten, auch im Schichtdienst bzw. in Nachtschicht. Tätigkeiten mit vermehrt psychischen Belastungen seien nicht leidensgerecht. Eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens sei nicht bedingt. Der Kläger sei auch in der Lage, mindestens viermal täglich mehr als 500 Meter in weniger als 20 Minuten zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen. Der Kläger verfüge zudem über den Führerschein und sei auch gesundheitlich in der Lage, einen Pkw zu führen.

Auf Antrag des Klägers hat Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Dipl.-Soziologe K. das nervenärztliche Gutachten vom 4. Januar 2019 (Bl. 178/210 SG-Akte) erstattet. Der Gutachter hat folgende Diagnosen gestellt:

  1. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige bis schwere Episode,
  2. chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Grad III nach Gerbershagen,
  3. Persönlichkeitsveränderung bei chronischem Schmerzsyndrom,
  4. Agoraphobie mit Panikstörung,
  5. soziale Phobien,
  6. Zwangsgedanken,
  7. chronische Insomnie,
  8. schädlicher Gebrauch von Analgetika,
  9. schädlicher Gebrauch von Nikotin,
  10. Innenohrschwerhörigkeit beidseits,
  11. Tinnitus aurium beidseits,
  12. orthopädische und neurochirurgische Diagnosen:
  • Postlaminektomiesyndrom nach Bandscheiben-OP und Prothesenimplantation C6/7 2006,
  • S1-Syndrom links bei Z.n. dreimaliger Bandscheiben-OP L4/5 links 2006, L4/5 links 2013 und Spondylodese L4/5 2016,
  • Impingement-Syndrom der linken Schulter bei Z.n. Dekompressionsoperation.

Dem Kläger seien noch leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen unter Vermeidung von Heben und Tragen von Lasten über fünf Kilogramm, Tätigkeiten ohne mentale und kommunikative Beanspruchung maximal ein bis zwei Stunden täglich zumutbar. Tätigkeiten unter Lärmexposition sowie unter Unfallgefahr seien zu vermeiden. Durch massiv überhöhte Einnahme von Analgetika seien Vigilanz, Konzentration und Kognition eingeschränkt. Die Gehfähigkeit des Klägers sei eingeschränkt. Er könne derzeit maximal 200-300 Meter Wegstrecke aufgrund seiner schmerzhaften Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule mit entsprechender Pause zurücklegen. Aufgrund starker sozialer Phobien, Agoraphobie und Panikstörung sei der Kläger nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Mit dem Pkw könne er nur innerhalb seiner vertrauten Umgebung vor Ort Wegstrecken bis maximal fünf Kilometer zurückzulegen. Die Leistungseinschränkung bestehe seit Januar 2015.

Die Beklagte hat die sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. N. vom 8. Februar 2019 (Bl. 213/214 SG-Akte) vorgelegt.

Mit Urteil vom 3. April 2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe für die Kammer fest, dass die vorhandenen Gesundheitsstörungen lediglich qualitative Leistungseinschränkungen bedingten, sodass es dem Kläger weiterhin zumutbar sei, einer leidensgerechten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für sechs Stunden und mehr arbeitstäglich nachzukommen. Für das orthopädische Fachgebiet folge aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten der Dr. B.-K. das Nichtvorliegen höhergradiger Bewegungseinschränkungen. Für die Zeit nach der Begutachtung durch Dr. B.-K. sei eine wesentliche Verschlechterung nicht belegt. Für das nervenärztliche Fachgebiet folge aus dem schlüssigen Gutachten des Dr. S., dass beim Kläger eine höhergradige depressive Erkrankung nicht vorliege. Vor dem Hintergrund von Inkonsistenzen, insbesondere von Dr. S. beobachteten Aggravationstendenzen, mangelnder Korrelation von Krankheitsschwere und Therapieaufwand und sich im Rahmen wiederholter Begutachtung stets verschlechternden anamnestischen Angaben ohne klinisches Korrelat halte die Kammer die gutachterliche Einschätzung von Dr. K. bereits mangels ausreichender Beschwerdeobjektivierung für nicht schlüssig. Dr. K. gelinge es nicht, in nachvollziehbarer Weise die massive Verschlechterung des Aktivitätsniveaus seit der Begutachtung durch Dr. B.-K. zu objektivieren. Auch wenn eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens unter Berücksichtigung der Leiden auf nervenärztlichem Gebiet nicht angenommen werden könne, halte es die Kammer für angezeigt, dass der Kläger qualitativ keine psychisch belastenden Tätigkeiten mehr ausüben müsse, wozu insbesondere auch Akkord- und Nachtarbeiten zählten. Die vorhandenen qualitativen Leistungseinschränkungen bedingten auch keine erheblichen Zweifel an der Fähigkeit des Klägers, weiterhin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens sechs Stunden arbeitstäglich ausüben zu können. Umstände, die auf eine sozialmedizinisch relevante Einschränkung der Wegefähigkeit hindeuteten, seien nicht ausreichend objektiviert und könnten deshalb trotz gegenteiliger Bekundung durch Dr. K. nicht als nachgewiesen angesehen werden.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 18. April 2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6. Mai 2019 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Er leide an einer Vielzahl schwerwiegender Erkrankungen insbesondere auf orthopädischem Gebiet und auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet. Daneben bestünden Erkrankungen auf HNO-ärztlichem, hautärztlichem und internistischem Gebiet. Er sei schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50 seit Oktober 2015. Aufgrund seiner Erkrankungen sei er nicht in der Lage, eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mindestens drei Stunden täglich auszuüben. Hilfsweise werde geltend gemacht, dass er nicht in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Er leide schon seit Jahrzehnten an zunehmenden Beschwerden und Erkrankungen von Seiten der Wirbelsäule. Die Gehstrecke sei inzwischen auf kürzeste Strecken eingeschränkt. Danach sei wegen der Schmerzen eine Pause notwendig. Die Auswirkungen der neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen äußerten sich in Schlafstörungen, Grübelzwängen, Appetitlosigkeit, Angstzuständen, sozialen Phobien, erheblichem Rückzugsverhalten, suizidalen Gedanken usw. Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit durch den Gutachter Dr. S. sei nicht zutreffend.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. April 2019 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2017 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer ab dem 1. Februar 2017 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat erneut die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Facharzt für Orthopädie Dr. D. hat unter dem 29. Juli 2019 (Bl. 27/34 Senatsakte) eine letztmalige Vorstellung des Klägers am 18. Juli 2016 mitgeteilt und die Ausführungen in der Auskunft gegenüber dem SG wiederholt. Der Facharzt für Psychiatrie J. hat im Schreiben vom 30. Juli 2019 (Bl. 35/38 Senatsakte) mitgeteilt, der Kläger sei seit Dezember 2017 siebenmal in seiner ambulanten Behandlung gewesen, zuletzt am 24. Juli 2019. Im Laufe der Behandlung habe er keine wesentliche Veränderung im Gesundheitszustand feststellen können. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. R. hat unter dem 26. Juli 2019 (Bl. 39/52 Senatsakte) ausgeführt, im Laufe der Jahre 2017 und 2018 sei es sicherlich zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers gekommen. Dies sei vor allem durch die chronischen Rückenschmerzen verursacht und durch die bestehenden psychiatrischen Begleiterkrankungen aufrechterhalten und verstärkt worden. Der Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. M.. hat unter dem 6. August 2019 (Bl. 53/54 Senatsakte) neun Behandlungen des Klägers zwischen 15. August 2015 und 20. November 2018 in unregelmäßigen Abständen angegeben, wobei sich Verdachtsdiagnosen nicht bestätigt hätten, und ein festgestelltes Gehörgangsekzem erfolgreich mit Salben habe behandelt werden können.

Der Senat hat bei dem Oberarzt Dr. H., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ein psychiatrisches Gutachten sowie ein neuropsychologisches Zusatzgutachten bei dem psychologischen Psychotherapeuten Dr. phil. A. eingeholt.

Im Zusatzgutachten vom 30. März 2020 (Bl. 79/129 Senatsakte) hat Dr. A. folgende Diagnosen gestellt:

  1. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode mit Störungen der Affektivität (Reizbarkeit, innere Anspannung, reduzierte affektive Schwingungsfähigkeit), der Aufmerksamkeit und des formalen Denkens, des Schlafes und des Antriebs,
  2. Dysthymie,
  3. chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren mit Passivität, Schon- und Fehlhaltungen, maladaptive Kognitionen in Form einer gedanklichen Einengung auf das Schmerzerleben, emotionaler Belastung und veränderten Rollen in der Familie und im Beruf,
  4. psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak: Abhängigkeitssyndrom.

Nach dem Ergebnis der neuropsychologischen Diagnostik sei davon auszugehen, dass die abgebildeten Fähigkeitsprofile mit hoher Wahrscheinlichkeit weitgehend dem tatsächlichen Leistungsvermögen des Klägers entsprächen, während das Ausmaß und der Umfang der geschilderten Beschwerden sehr wahrscheinlich übertrieben sei und nicht den tatsächlichen Symptomen und Beeinträchtigungen entspreche. Nach gutachterlicher Überzeugung lägen beim Kläger krankheitswertige psychiatrische Störungen sowie kognitive Beeinträchtigungen vor, deren Ausmaß könne jedoch in genauem Umfang nicht exakt quantifiziert werden. Aufgrund der nur leichten neuropsychologischen/kognitiven Störungen ergäben sich auf neuropsychologischem Fachgebiet bei alleiniger Betrachtung der dort vorliegenden Einschränkungen keine Minderungen der quantitativen Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. In der Zusammenschau mit den psychiatrischen Störungen und den sich daraus ergebenden Anpassungsschwierigkeiten resultiere jedoch im Sinne einer Mängelkumulation eine Minderung der quantitativen Leistungsfähigkeit auf eine tägliche Arbeitszeit von mindestens drei bis höchstens sechs Stunden. Unabhängig davon ergäben sich aufgrund der Beeinträchtigungen qualitative Einschränkungen. Der Kläger sollte keine Tätigkeiten mit besonderer Beanspruchung des Konzentrationsvermögens und insbesondere keine Aufgaben, bei denen mehrere Tätigkeiten simultan koordiniert werden müssten, mehr durchführen. Zu vermeiden seien außerdem Tätigkeiten mit Publikumsverkehr sowie erhöhten Anforderungen an die Emotionsregulation und die psychophysische Belastbarkeit.

Dr. H. hat im Gutachten vom 20. April 2020 folgende Diagnosen stellte:

  1. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode mit depressivem Affekt, Interessenverlust, Freudlosigkeit und Antriebsminderung. Zudem lägen verminderte Konzentration, Aufmerksamkeit und Denkvermögen, vermindertes Selbstwertgefühl, zeitweise Suizidgedanken, Schlafstörungen sowie Appetitstörungen vor.
  2. Dysthymie mit chronischer depressiver Symptomatik im Sinne einer gedrückten und missmutigen Stimmung sowie Einschränkungen der affektiven Schwingungsfähigkeit.
  3. Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren aufgrund Schmerzen in mehreren Körperregionen, die beim Kläger Leiden und Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder familiären Funktionsbereichen verursachten.
  4. Jahrelange Nikotinabhängigkeit.
  5. Postlaminektomie-Syndrom nach Bandscheiben-OP und Prothesenimplantation C6/7 2006 sowie
  6. S1-Syndrom links bei dreimaliger Bandscheiben-OP L4/5 links 2006,2015 und 2016
  7. Impingement-Syndrom der linken Schulter mit Bursitis acromialis links.

Während der psychiatrischen Untersuchung hätten sich Hinweise auf eine Aggravation ergeben. Die Darstellung der Beschwerden sei zeitweise nicht konkret, nicht durchgängig logisch und schlüssig gewesen. Es hätten sich Hinweise auf Inkonsistenzen zwischen der beobachtbaren Symptomatik während der Untersuchung und den beklagten Beeinträchtigungen im Alltag ergeben. Zudem sei der Kläger in seinen Angaben oft vage geblieben. Es bestünden keinerlei Zweifel an dem Vorliegen mehrerer psychischer Erkrankungen, was sich sowohl anhand der Aktenlage als auch anhand der Untersuchungsergebnisse zweifelsfrei bestätigen lasse. Unsicherheiten ergäben sich jedoch hinsichtlich des Ausmaßes der vorliegenden Symptome und den daraus resultierenden Einschränkungen sowie der Möglichkeit, diese bei zumutbarer Willensanspannung zu überwinden. Eine leitliniengerechte psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung des Klägers sei nicht ersichtlich. Die psychiatrische Medikation sei nicht nachvollziehbar; ob eine leitliniengerechte psychiatrische antidepressive medikamentöse Behandlung durchgeführt werde, sei nicht beurteilbar. Zudem finde auch keine engmaschige ambulante psychiatrische Behandlung statt. Aufgrund der vorliegenden psychischen Erkrankungen bestünden qualitative Einschränkungen für Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die geistige und psychische Belastbarkeit, insbesondere an Konzentrations- und Reaktionsvermögen, Umstellungs- und Anpassungsvermögen, Verantwortung für Personen und Menschen, Überwachung und Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit vorwiegend Publikumsverkehr, unter besonderem Zeitdruck, in Nacht- und Wechselschicht sowie unter häufiger Reisetätigkeit und Außendienst. Aufgrund des Bandscheibenleidens der LWS und der HWS mit deutlicher Minderbelastbarkeit der Rumpfwirbelsäule bestehe nur eine Belastbarkeit für leichte Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen. Beim Kläger sei von einer quantitativen Minderung des Leistungsvermögens auszugehen, es sei eine tägliche Arbeitszeit von mindestens drei jedoch höchstens sechs Stunden möglich. Dies ergebe sich aus der Kumulation der verschiedenen psychischen Erkrankungen. Bei einer vollschichtigen Tätigkeit bestehe die Befürchtung einer deutlichen Verschlechterung des Allgemeinzustandes sowie einer erheblichen Rückfallgefahr. Hinsichtlich der körperlichen Erkrankungen sei von keiner Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit auszugehen. Die Wegefähigkeit sei gegeben.

Die Beklagte hat die sozialmedizinische Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 28. Juli 2020 (232/233 Senatsakte) vorgelegt.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 14. September 2020 das Hinzukommen von Beschwerden geltend gemacht, insbesondere sei es schon des Öfteren passiert, dass er ohnmächtig werde, wenn er seinen Kopf bewege, das linke Bein sacke des Öfteren ab und er falle dann hin, den linken Arm spüre er manchmal gar nicht mehr, an der rechten Hand spüre er an einigen Fingern nichts.

Schließlich hat der Senat bei Prof. Dr. C. ein orthopädisches Gutachten eingeholt. Im Gutachten vom 18. August 2021 hat der Gutachter folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:

  1. Geringgradige Bewegungseinschränkung und Belastungsminderung der Halswirbelsäule nach Versteifung des Bewegungssegmentes C6/7 sowie Anschlussdegeneration im Segment C5/6, aktuell ohne Nervenwurzelreizerscheinung,
  2. anteilige Bewegungseinschränkung und Belastungsminderung der Lendenwirbelsäule nach operativer Versteifung des Bewegungssegmentes L4/5 mit klinischen Hinweisen auf sensible Nervenwurzelreizung L5 links,
  3. freie Beweglichkeit des linken Schultergelenkes nach arthroskopischer, subakromialer Dekompression mit geringen degenerativen Veränderungen im Bereich der Rotatorenmanschette und des Schultereckgelenkes.

Die erhobenen klinischen Befunde seien nicht konkordant. So werde der Fingerspitzen-Boden-Abstand im Stand mit 48 Zentimetern vermessen, während der Langsitz auf der Untersuchungsliege entsprechend einem Fingerspitzen-Fußspitze-Abstand von etwa 30 Zentimetern relativ problemlos eingenommen werden könne. Während der Anamneseerhebung, die etwa 30 Minuten gedauert habe, habe der Kläger unverändert eine sitzende Position eingenommen. Seine Angabe, dass er während dieser Zeit eine Schmerzstärke von 8-9 auf einer zehnstufigen Skala gehabt habe, sei weder mit der relativ ruhigen Sitzposition, die er in dieser Phase eingenommen habe, plausibel vereinbar, noch mit den erhobenen klinischen und radiologischen Befunden erklärbar und begründbar. Aufgrund der Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule seien Überkopfarbeiten sowie Tätigkeiten, die mit häufigen oder überwiegenden sonstigen Kopfzwangshaltungen verbunden seien, nicht zumutbar. Auch ein Transportieren von Lasten auf den Schultern sei nicht leidensgerecht. Aufgrund der Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule seien Tätigkeiten nicht zumutbar, die ausschließlich oder überwiegend im Stehen oder Gehen auszuführen seien, die mit dem häufigen oder überwiegenden Heben und Tragen von Lasten über fünf Kilogramm verbunden sind, oder die eine häufige vornübergeneigte Rumpfhaltung oder sonstige Rumpfzwangshaltungen erfordern. Zumutbar und leidensgerecht seien unter Berücksichtigung der bestehenden Leistungseinschränkungen leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten, die überwiegend im Sitzen auszuführen sind, dabei den gelegentlichen Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen erlauben. Der Kläger sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Vorstellbar erschienen insoweit jegliche Art von Bürotätigkeiten, kontrollierende oder aufsichtsführende Tätigkeiten sowie Tätigkeiten im produzierenden Gewerbe, da die Einsatzfähigkeit der oberen Extremitäten insbesondere unterhalb der Schulterebene nicht eingeschränkt sei. Die Wegefähigkeit des Klägers sei ebenso wenig eingeschränkt wie die Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und die hierfür erforderlichen Wegstrecken in angemessener Zeit zurückzulegen.

Der Kläger hat eine ärztliche Bescheinigung der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. vom 31. Januar 2022 vorgelegt, wonach es beim Kläger „in letzter Zeit“ gehäuft zu Bewegungsstörungen mit Bewusstseinsverlust und Gleichgewichtsstörungen gekommen sei.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), aber unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 4. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2017 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Dagegen wendet sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG), mit der er die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Februar 2017 geltend macht. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit macht der Kläger zu Recht nicht geltend, weil er nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist und damit von vornherein nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten dieser Rente gehört (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]).

Die Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zutreffend verneint. Der Bescheid der Beklagten vom 4. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2017 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung (Gesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn neben den oben genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG) zu ermitteln und festzustellen, a) Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet, b) Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen)  sowie den c) Ursachenzusammenhang („wegen“) zwischen a) und b) (z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - juris Rdnr. 13).

Der Kläger hat die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bezogen auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung erfüllt, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Der Senat ist jedoch nicht davon überzeugt, dass der Kläger erwerbsgemindert ist. Bei der Beurteilung seiner beruflichen Leistungsfähigkeit stehen im Vordergrund seine Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet. Diese sind jedoch nicht von einer solchen Schwere, dass sie das Leistungsvermögen des Klägers in zeitlicher Hinsicht einschränken. Vielmehr genügen qualitative Einschränkungen, um dessen Leiden gerecht zu werden. Der Senat stützt sich hierbei insbesondere auf die vom SG bei Dr. S. und vom Senat bei Prof. Dr. C. eingeholten Gutachten.

Die bei dem Kläger vorliegenden somatischen Erkrankungen begründen keine Leistungseinschränkung in quantitativer Hinsicht. Auf orthopädischem Fachgebiet liegen beim Kläger Gesundheitsstörungen im Bereich der Halswirbelsäule, der Lendenwirbelsäule sowie der Schultern vor. Im Bereich der Halswirbelsäule hat Prof. Dr. C. im Rahmen der radiologischen Befunderhebung eine operative Versteifung des Bewegungssegmentes C6/7 durch ein reizlos einliegendes Implantat sowie eine Anschlussdegeneration im Segment C5/6 in Form einer Verschmälerung des Bandscheibenfaches sowie nach vorne weisender knöcherner Randwülste an den zugehörigen Grund- und Deckenplatten festgestellt. Zusätzlich waren zuletzt am 7. Februar 2017 kernspintomographisch leichte Uncovertebralarthrosen in den Segmenten C4/5, C5/6 und C6/7, leichte Discusprotrusionen in den Segmenten C2/3, C5/6 und C6/7 sowie leichte Spondylarthrosen im Segment C7/Th1 festgestellt worden. Hinweise auf eine Reizung der von der Halswirbelsäule ausgehenden Nervenwurzeln hat Prof. Dr. C. jedoch weder in Form von Gefühlsstörungen noch in Form motorischer Schwäche im Bereich der oberen Extremitäten gefunden. Auch schwerwiegende Bewegungseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule sind den von Prof. Dr. C. dokumentierten Befunden nicht zu entnehmen. Den Kinnspitzen-Jugulum-Abstand bei Vorneigung hat er mit einem Zentimeter, bei Rückneigung mit 17 Zentimetern, eine Drehung nach rechts und links bis jeweils 50 Grad sowie eine Kopfneigung nach rechts und links jeweils bis 30 Grad erhoben. Im Bereich der Lendenwirbelsäule bestehen nach dem von Prof. Dr. C. erhobenen radiologischen Befund eine angedeutete rechtskonvexe Seitauslenkung mit einem daraus resultierenden Winkel von drei Grad und eine Versteifung des Bewegungssegmentes L4/5 mit reizlos und ohne Hinweis auf Lockerung einliegenden Implantaten. Aus einer kernspintomografischen Untersuchung zuletzt am 19. Januar 2017 ergaben sich nach den Ausführungen des Gutachters keine weiteren Auffälligkeiten. Auch aufgrund dieser Gesundheitsstörungen lassen sich dem Gutachten von Prof. Dr. C. keine schwerwiegenden Funktionsbeeinträchtigungen entnehmen. Eine vom Kläger angegebene herabgesetzte Gefühlsempfindlichkeit an der Außenseite des linken Oberschenkels und Unterschenkels kann nach den Angaben des Gutachters dem Versorgungsgebiet des fünften Lendennerven entsprechen. Hinweise auf eine motorische Schwäche im Bereich der unteren Extremitäten bestehen nach dem Gutachten jedoch nicht. Die Entfaltbarkeit der Rumpfwirbelsäule war bei einem vom Gutachter erhobenen Zeichen nach Ott mit 30/31 Zentimetern und einem Zeichen nach Schober von 10/13 Zentimetern erhalten. Auch der Langsitz auf der Untersuchungsliege konnte bei einem Fingerspitzen-Fußspitzen-Abstand von etwa 30 Zentimetern relativ problemlos eingenommen werden. Im Bereich der Brustwirbelsäule wies die schmächtig entwickelte paravertebralen Muskulatur keine wesentlichen Verspannungen auf, eine Klopfschmerzangabe über den Dornfortsätzen der Brustwirbelsäule erfolgte nicht. Im Bereich der Lendenwirbelsäule fand sich eine schmächtig entwickelte paravertebrale Muskulatur mit narbigen Verhärtungen, vom Kläger wurden Schmerzen beim Palpieren der paravertebralen Muskulatur und heftige Klopfschmerzen über den Dornfortsätzen der Lendenwirbelsäule angegeben. Seitneigung und Seitdrehen wurden lediglich als endgradig schmerzhaft eingeschränkt beschrieben, im Lenden-Kreuzbein-Übergang erfolgte bei Rückneigung eine Schmerzangabe. Das Lasègue’sche Zeichen war beidseits negativ. Relevante Bewegungseinschränkungen an den unteren Extremitäten lassen sich dem Gutachten von Prof. Dr. C. nicht entnehmen. Im Bereich der linken Schulter wurde zuletzt am 8. Mai 2017 kernspintomographisch ein subacromiales Impingement, eine geringe bis mäßiggradige AC-Gelenksarthrose, eine geringe Tendinopathie der Supraspinatussehne ohne Nachweis einer Ruptur oder Teilruptur sowie eine gering vermehrte Flüssigkeit im Bereich der Bursa subacromialis/subdeltoidea beschrieben. Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der linken Schulter hat Prof. Dr. C. nicht festgestellt. Vom Kläger wurden diesbezüglich auch keine Beschwerden geltend gemacht. Auch im Übrigen ergeben sich aus dem Gutachten hinsichtlich der oberen Extremitäten keine Funktionsbeeinträchtigungen. Insgesamt ergeben sich aus den von Prof. Dr. C. erhobenen Befunden gegenüber dem Gutachten von Dr. B.-K. keine weitergehenden Funktionsbeeinträchtigungen. Aufgrund der danach bestehenden Gesundheitsstörungen und daraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen ist die Einschätzung des Gutachters, dass dem Kläger wegen der Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule keine Überkopfarbeiten sowie Tätigkeiten, die mit häufigen oder überwiegenden sonstigen Kopfzwangshaltungen verbunden sind, sowie Tätigkeiten mit Transportieren von Lasten auf den Schultern, wegen der Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule keine Tätigkeiten, die ausschließlich oder überwiegend im Stehen oder Gehen auszuführen sind, die mit häufigem oder überwiegendem Heben und Tragen von Lasten über fünf Kilogramm verbunden sind, oder Rumpfzwangshaltungen erfordern und wegen der Veränderungen im Bereich des linken Schultergelenks keine Tätigkeiten, die das häufige oder überwiegende Heben und Transportieren von Lasten über fünf Kilogramm mit der linken oberen Extremität erfordern, mehr zumutbar sind, schlüssig und überzeugend. Über diese qualitativen Einschränkungen hinaus ergeben sich aus den Feststellungen des Gutachters keine Gründe für die Annahme einer quantitativen Leistungseinschränkung auf weniger als sechs Stunden arbeitstäglich hinsichtlich körperlich leichter Tätigkeiten überwiegend im Sitzen. Soweit der Kläger gegenüber Prof. Dr. C. angegeben hat, während der etwa 30 Minuten dauernden Anamneseerhebung in sitzender Position eine Schmerzstärke von 8-9 auf einer zehnstufigen Skala verspürt zu haben, hat der Gutachter dargelegt, dass dies weder mit der von ihm beobachteten relativ ruhigen Sitzposition, die vom Kläger während dieser Phase eingenommen worden war, plausibel vereinbar noch mit den erhobenen klinischen und radiologischen Befunden erklärbar und begründbar war. Diese Bewertung passt auch zu den bereits von Dr. S. gemachten Beobachtungen, auf den das vom Kläger bei der Anamneseerhebung im Rahmen seiner Begutachtung praktizierte mehrmalige Aufstehen und Hinsetzen forciert gewirkt hat. Darüber hinaus hat auch im Übrigen schon bei der Begutachtung durch Dr. S. aus neurologischer Sicht hinsichtlich der Motorik ein aggravatorisches Verhalten, insbesondere mit deutlich vornübergebeugter Körperhaltung und demgegenüber einem zügigen und unauffälligen Gangbild nach der Untersuchung, bestanden. Ebenso ergibt sich aus dem Gutachten von Dr. B.-K. ein während des etwa eine Stunde und zehn Minuten dauernden Anamnesegespräch ruhiges Sitzverhalten des Klägers mit einer einmaligen Gewichtsverlagerung gegen Ende des Gesprächs sowie Angabe einer deutlichen Schmerzzunahme durch das lange Sitzen, dann aber unauffälligem Ablegen der Kleidung. Eine andere Einschätzung der körperlichen Beeinträchtigungen des Klägers ergibt sich zur Überzeugung des Senats nicht aus der ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. und des Facharztes für Allgemeinmedizin S. vom 31. Januar 2022. Die darin aufgeführten Beschwerden, insbesondere das Auftreten von Bewusstseinsverlusten bei bestimmten Kopfbewegungen und das Fehlen der Fähigkeit, sich ohne Hilfe an- oder auszuziehen, wurde vom Kläger bereits deutlich vor der Begutachtung durch Prof. Dr. C. mit Schreiben vom 14. September 2020 geltend gemacht. Derartige Beeinträchtigungen wurden durch den Gutachter jedoch nicht objektiviert und sind angesichts der von Prof. Dr. C. erhobenen, gegenüber dem Gutachten von Dr. B.-K. teilweise sogar besseren Funktionsbefunde nicht nachvollziehbar. Über Beschwerdeangaben hinaus sind objektive Befunde der ärztlichen Bescheinigung vom 21. Januar 2022 auch nicht zu entnehmen. Auch die Attestierung, der Kläger könne eine sitzende Tätigkeit maximal für zehn Minuten ausführen und müsse sich danach schmerzbedingt hinlegen, ist angesichts der, wie ausgeführt, ebenso bei allen Gutachtern geklagten Beschwerden, den damit jedoch nicht korrelierenden Beobachtungen der Gutachter zum Sitzverhalten und feststellbaren Funktionsbeeinträchtigungen nicht plausibel.

Der Senat ist auch nicht aufgrund der beim Kläger auf nervenärztlichem Fachgebiet bestehenden Gesundheitsstörungen von einer zeitlichen Leistungseinschränkung überzeugt. Insoweit sind beim Kläger lediglich leichte Gesundheitsstörungen nachgewiesen, die zwar mit einer erhöhten seelischen Vulnerabilität einhergehen, die zu qualitativen Einschränkungen hinsichtlich Tätigkeiten mit vermehrt emotionalen Belastungen oder erhöhtem Konfliktpotenzial führt, jedoch nicht geeignet ist, eine zeitliche Leistungseinschränkung zu begründen. Der Gutachter Dr. S. hat bei der Untersuchung des Klägers eine relevante depressive Störung aktuell nicht erhoben. Im psychopathologischen Befund zeigte sich keine Antriebshemmung oder gar psychomotorische Hemmung. Der Kläger war geistig gut flexibel. Kognitive oder mnestische Defizite relevanten Ausmaßes bestanden nicht. In der Grundstimmung war der Kläger im Wesentlichen ausgeglichen. Die affektive Resonanzfähigkeit war nicht eingeschränkt. Dr. S. hat lediglich aufgrund der Aktenlage und der Eigenangaben des Klägers bekannte Depressionen bzw. depressive Verstimmungen mitgeteilt, die jedoch auch ohne Medikation bzw. ohne psychiatrische-psychotherapeutische Behandlung in der Gutachtenssituation nicht mit einer relevanten depressiven Symptomatik einhergingen. Bei der körperlichen Untersuchung hat der Gutachter eindeutig ein aggravatorisches Verhalten des Klägers festgestellt, was nach seinen Ausführungen einerseits die Beurteilbarkeit tatsächlich vorhandener Funktionsbeeinträchtigungen einschränkt, andererseits Rückschlüsse auf die Authentizität der anamnestischen Angaben zulässt. Insgesamt ergibt sich aus den von dem Gutachter erhobenen Befunde und festgestellten objektiven Funktionsbeeinträchtigungen keine Grundlage für die Annahme einer zeitlich eingeschränkten beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers. Der vor dem Hintergrund bekannter depressive Verstimmungen anzunehmenden seelischen Vulnerabilität kann durch qualitative Einschränkungen bezüglich Tätigkeiten mit psychischen Belastungen ausreichend Rechnung getragen werden. Die Einschätzung von Dr. S. ist angesichts seiner Feststellungen folgerichtig und für den Senat überzeugend.

Eine quantitative Leistungsminderung folgt zur Überzeugung des Senats nicht aus dem Gutachten von Dr. K.. Seine Einschätzung, der Kläger könne seit Januar 2015 nur noch ein bis zwei Stunden täglich erwerbstätig sein, ist schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil die nach seiner Einschätzung seit Januar 2015 bestehenden Leistungsbeeinträchtigungen bei den zwischenzeitlich stattgehabten Begutachtungen durch Dr. B.-K. und Dr. S. nicht bestanden, womit sich der Gutachter nicht auseinandergesetzt hat. Im Widerspruch zu seiner Einschätzung hat der Gutachter an anderer Stelle eine seit der Begutachtung durch Dr. S. eingetretene Verschlechterung der chronischen Schmerzsymptomatik angegeben. Auch im Übrigen ist die Einschätzung von Dr. K. nicht überzeugend. So ist dem Gutachten nicht zu entnehmen, inwieweit und wodurch die vom Kläger geltend gemachten Beeinträchtigungen zu objektivieren sind. Die von dem Gutachter gestellten Diagnosen eine Agoraphobie mit Panikstörung und einer sozialen Phobie sind aus dem erhobenen psychopathologischen Befund nicht herzuleiten, worauf auch Dr. N. in der sozialmedizinischen Stellungnahme von 8. Februar 2019 hingewiesen hat. Worin sich die im psychischen Befund angegebene Reduzierung der Konzentration, der Merkfähigkeit und des Auffassungsvermögens gezeigt hat oder ob es sich vielmehr um das Beschwerdevorbringen des Klägers handelt, hat der Gutachter nicht dargelegt. Die von Dr. K. angeführte Lebensbiografie des Klägers mit physischen und psychischen Gewalterfahrungen in der Kindheit mag zwar grundsätzlich mitursächlich für die Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung oder depressiven Störung sein, begründet eine solche jedoch nicht und besagt nichts über das tatsächliche Vorliegen von Funktionsbeeinträchtigungen. Mit der angesichts der Schwere des angenommenen Krankheitsbildes fehlenden Inanspruchnahme entsprechender therapeutischer Behandlungen hat sich der Gutachter nicht auseinandergesetzt. Insgesamt fehlt es an einer Beschwerdevalidierung und Konsistenzprüfung, die sich auch vor dem Hintergrund der von Dr. S. festgestellten Aggravation von Beschwerden hätte aufdrängen müssen.

Der Senat ist auch nicht aufgrund des Gutachtens von Dr. H. und des Zusatzgutachtens von Dr. A. von einer zeitlichen Leistungsminderung überzeugt. Bei den von den Gutachtern festgestellten Gesundheitsstörungen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichte Episode, einer Dysthymie sowie einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren handelt es sich nicht um schwere psychische Erkrankungen. Aufgrund der Feststellungen der Gutachter ist der Senat auch nicht vom Vorliegen eine quantitative Leistungseinschränkung bedingender Funktionsbeeinträchtigungen überzeugt. Nach den Ausführungen des Gutachters Dr. H. war die Darstellung der Beschwerden des Klägers nicht immer konkret, nicht durchgängig logisch und schlüssig. Ein psychischer Leidensdruck war in der Exploration zwar deutlich spürbar, zeitweise resultierte daraus jedoch eine Aggravations- und Verdeutlichungstendenz. So gab der Kläger an, sich nicht genau an den zeitlichen Verlauf zu erinnern. Oft blieb er vage. Es ergaben sich Hinweise auf Inkonsistenzen zwischen der beobachteten Symptomatik während der Untersuchung und den beklagten Beeinträchtigungen im Alltag des Klägers. Auch forderte der Kläger selbst, trotz Aufforderung, während der knapp dreieinhalbstündigen Untersuchung von sich aus keine Pausen ein. Eine nach eineinhalb Stunden angebotene Pause nahm der Kläger an, um eine Zigarette zu rauchen. Nach zweieinviertel Stunden klagte er über Schmerzen beim Sitzen, saß ansonsten aber die ganze Zeit ruhig bei der Untersuchung. Dies widersprach seinen Angaben, dass er während der Fahrt zur Begutachtung (30 Minuten) dreimal aufgrund Schmerzen habe aufstehen müssen und er aufgrund Schmerzen nicht lange habe sitzen können. Die Angaben des Klägers zu der ihm möglichen Wegstrecke von maximal fünf bis zehn Minuten oder 150 Metern Stück sind nicht nachvollziehbar, da bei den vom Kläger zurückgelegten Wegen in der Klinik vom Parkplatz zur Hauptpforte, von der Hauptpforte zur Pforte der psychiatrischen Klinik und dann wieder zum Untersuchungszimmer die Wegstrecke deutlich mehr als 500 Meter betrug, wobei der Kläger diesen Weg in einem Zeitraum von weniger als 20 Minuten zurückgelegt habe. Entsprechende Ausführungen ergeben sich aus dem Zusatzgutachten von Dr. A.. Während der Begutachtung durch Dr. A. arbeitete der Kläger während der gesamten gut einstündigen Exploration sowie der ca. zweistündigen psychometrischen Untersuchung konzentriert und kooperativ mit. Er zeigte ein gutes Instruktionsverständnis und wirkte psychomotorisch durchgehend ruhig. Auch bei der Untersuchung durch Dr. A. war in der Exploration ein psychischer Leidensdruck deutlich spürbar. Ebenso war der Beschwerdevortrag teilweise appellativ und blieb wenig differenziert in den Beschreibungen der konkreten Symptome. Der Detailreichtum der Darstellung war vermindert und die Schilderung blieb häufig vage. Auch war die Darstellung teilweise sprunghaft und richtete sich mehr auf die in der Vergangenheit erlebten Schicksalsschläge als auf die aktuell vorliegenden Beschwerden und daraus resultierenden Beeinträchtigungen. Die Angaben zum zeitlichen Verlauf und zur Beschwerdekonsistenz sind nur teilweise als plausibel einzuschätzen. Auffällig war insbesondere, dass der Kläger viele wichtige Ereignisse der jüngeren Vergangenheit (z.B. das Jahr der letzten zurückliegenden Wirbelsäulenoperation oder das Jahr der letzten Berufstätigkeit) nicht klar benennen konnte. Aus den von Dr. A. durchgeführten Beschwerdevalidierungsverfahren ergab sich zwar kein Hinweis auf eine reduzierte Anstrengungsbereitschaft während der Untersuchung, jedoch ergab sich aus dem Verfahren zur Erfassung einer nicht plausiblen Beschwerdepräsentation ein hoch auffälliges Ergebnis, welches die vom Kläger genannten Beschwerden in Frage stellt. Es ist danach davon auszugehen, dass die im gutachterlichen Gespräch und im Fragebogen geäußerten Beschwerden und Beeinträchtigungen in dem geschilderten Umfang nicht plausibel sind. Hinzu kommt, dass – wie von Dr. H. angemerkt – der Kläger weder den Hausarzt noch den Psychiater regelmäßig konsultiert. Auch eine Medikamentenanamnese war nicht durchführbar. Bezüglich der bisherigen antidepressiven Medikation konnte der Kläger nur über die Einnahme von Schmerzmittel bei Bedarf berichten (Ibuprofen sowie Tramadol). Hinsichtlich der angegebenen Psychopharmakaeinnahme konnte der Kläger den Namen des Medikaments nicht angeben. Hinsichtlich der vom Gutachter sodann in unbekannter Dosierung angenommenen antidepressiven Medikation mit Trazodon ist nicht nachvollziehbar, worauf er diese Annahme stützt, nachdem er eine Medikamentenspiegelbestimmung bei der gutachterlichen Untersuchung nicht vorgenommen hat. Die vom Kläger angeblich aktuell eingenommenen Medikamente waren auf einem von der Ehefrau am Ende der Untersuchung abgegebenen Zettel notiert, wobei auch ein Medikament aufgeführt war, dass bereits 2013 vom Markt genommen worden ist. Auf dieser Grundlage kann von einer angemessenen medikamentösen Behandlung nicht ausgegangen werden, was die Schwere bestehender Funktionsbeeinträchtigungen beim Kläger zusätzlich in Frage stellt. Auch die vom Kläger angegebene Bedarfsmedikation hinsichtlich der Schmerzerkrankung spricht gegen das Vorliegen schwerwiegender Beeinträchtigungen. Insgesamt ist nach den Feststellungen der Gutachter Dr. H. und Dr. A. zwar deren Annahme nachvollziehbar, dass sich aufgrund der in der Zusammenschau nur leichten neuropsychologischen/kognitiven Störungen keine Minderung der quantitativen Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergibt. Schlüssig sind ebenfalls die von den Gutachtern beschriebenen qualitativen Einschränkungen hinsichtlich Tätigkeiten mit besonderer Beanspruchung des Konzentrationsvermögens, Tätigkeiten mit erhöhtem Publikumsverkehr und erhöhten Anforderungen an die Emotionsregulation und die psychophysische Belastbarkeit, die vermieden werden sollten. Soweit die Gutachter angeben, die Leistungsfähigkeit betrage „höchstens“ sechs Stunden, ergibt sich bei Zugrundelegung der danach höchstmöglichen täglichen Arbeitszeit schon keine rentenberechtigende Erwerbsminderung. Soweit die Gutachter dabei allerdings von einer weniger als sechs Stunden bestehenden Leistungsfähigkeit ausgehen, erschließt sich dem Senat nicht, woraus sich bei Beachtung der qualitativen Einschränkungen und angesichts der infolge des Aggravationsverhaltens des Klägers nicht objektivierbaren Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigungen eine Minderung der quantitativen Leistungsfähigkeit ergeben soll. Diese lässt sich auch nicht mit einer „Kumulation der verschiedenen psychischen Erkrankungen“ begründen, da maßgeblich für die Beurteilung des Leistungsvermögens nicht die Anzahl der gestellten Diagnose, sondern alleine Funktionsbeeinträchtigungen anhand der festzustellenden objektiv-klinischen Befunde (Senatsurteil vom 17. März 2016 – L 7 R 1752/14 – n.v.; LSG Baden‑Württemberg, Urteil vom 25. September 2012 – L 13 R 6087/09 – juris Rdnr. 22).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger in der Lage ist, noch mindestens sechs Stunden täglich jedenfalls eine körperlich leichte Tätigkeit überwiegend im Sitzen mit Ausnahme von Überkopfarbeiten, Tätigkeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen sowie Tätigkeiten mit besonderer Beanspruchung des Konzentrationsvermögens, Tätigkeiten mit erhöhtem Publikumsverkehr und erhöhten Anforderungen an die Emotionsregulation und die psychophysische Belastbarkeit zu verrichten.

Steht das krankheits- bzw. behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, „unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts“ tätig zu sein (dazu BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris Rdnr. 17 ff. m.w.N.). Diese Frage ist hier zu verneinen. „Bedingungen“ sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind. Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen. Die Bedingungen sind „üblich“, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl. Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten, für die es faktisch „Angebot“ und „Nachfrage“ gibt. Das Adjektiv „allgemein“ grenzt den ersten vom zweiten – öffentlich geförderten – Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen.

Der Kläger kann – wie dargelegt – an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit benötigt er keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Er hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Dabei ist der Senat der Auffassung, dass der Kläger über die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit notwendigen kognitiven Grundfähigkeiten verfügt. Nach der Rechtsprechung des BSG werden unter den Begriff der üblichen Bedingungen „auch tatsächliche Umstände“ verstanden, wie z.B. die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz, mithin ausschließlich kognitive Grundfähigkeiten (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R – juris Rdnr. 29). Wie dargelegt, liegt bei dem Kläger kein Leiden vor, das leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließt. Die angesprochenen kognitiven Grundfähigkeiten sind nicht betroffen, sondern allenfalls qualitative Leistungsausschlüsse für geistig und emotional besonders anspruchsvolle Tätigkeiten.

Die gesundheitlichen Einschränkungen sind weder in ihrer Art noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen (dazu BSG, a.a.O. Rdnr. 24 ff.). Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch in der Lage ist, körperlich leichte und geistige einfache Tätigkeiten – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten regelmäßig gefordert werden, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 79/09 R - BSGE 109, 189 -; Urteil vom 11. Dezember 2019 - B 13 R 7/18 R - juris Rdnr. 27). Der Senat ist der Überzeugung, dass das Restleistungsvermögen des Klägers es diesem erlaubt, die oben genannten Verrichtungen oder Tätigkeiten, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, auszuüben. Es liegt weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Der Senat ist weiter davon überzeugt, dass bei dem Kläger die erforderliche Wegefähigkeit vorliegt (beispielsweise BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 - B 13 R 79/11 R - BSGE 110, 1). Nach den vorliegenden Gutachten, insbesondere den Gutachten von Prof. Dr. C. sowie Dr. H. und Dr. S. liegen keine Befunde vor, die den Kläger am Zurücklegen einer Wegstrecke von mehr als 500 Metern in weniger als 20 Minuten viermal täglich und der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten hindern würden. Der abweichenden Einschätzung von Dr. K. kann der Senat mangels Objektivierbarkeit der von diesem Gutachter zugrunde gelegten Einschränkung der Wegstrecke und der starken Phobien nicht folgen, zumal der Kläger bei der Untersuchung durch Dr. H. in der Lage war, mehr als 500 Meter in weniger als 20 Minuten zurückzulegen.

Weiterer Ermittlungen bedurfte es nicht. Vielmehr ist der Sachverhalt vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren sowie die Gutachten aus dem Gerichtsverfahren bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats und haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 Zivilprozessordnung [ZPO]). Insbesondere besteht auch keine Veranlassung, im Hinblick auf die unterschiedlichen Leistungseinschätzungen des Dr. H. und des Dr. A. gegenüber Dr. S. ein weiteres nervenärztliches Gutachten einzuholen. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört – wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse – zur Beweiswürdigung. Für eine weitere Beweiserhebung bleibt dabei regelmäßig kein Raum (vgl. zuletzt nur BSG, Beschluss vom 24. Juni 2020 – B 9 SB 79/19 B – juris Rdnr. 11). Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten im Sinne von § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl. BSG, Beschluss vom 12. Dezember 2003 – B 13 RJ 179/03 B – SozR 4-1500 § 160a Nr. 3, juris Rdnr. 9; BSG, Beschluss vom 20. Februar 2018 – B 10 LW 3/17 B – juris; BSG, Beschluss vom 3. Februar 2020 – B 13 R 295/18 B – juris Rdnr. 9). Solche Mängel sind vorliegend nicht ersichtlich. Erst recht besteht kein Anlass, die Ehefrau des Klägers als Zeugin zu vernehmen, die keine für die Feststellung einer Erwerbsminderung erforderlichen objektiven medizinischen Befunde bekunden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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