1. Einem Kläger fehlt die Klagebefugnis, sofern er mit seiner kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage Sozialleistungen begehrt, über die der Sozialleistungsträger keine Verwaltungsentscheidung getroffen hat.
2. Einer Berufsaubildung als Teilhabeleistung steht die zweijährige Regelförderzeit des § 37 Abs. 2 SGB IX aF (§ 53 Abs. 2 SGB IX nF) nicht entgegen.
3. Die Abgrenzung zwischen Berufsausbildung und beruflicher Weiterbildung erfolgt auch im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung anhand der Kriterien, die für den Bereich des Arbeitsförderungsrechts entwickelt worden sind.
4. Das Ermessen des Versicherungsträgers bei der Auswahl von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben verengt sich auf die vom Rehabilitanden gewählte Maßnahme, wenn der Rehabilitand mit einer geeigneten Maßnahme begonnen hat, nachdem die Bewilligung dieser Maßnahme zu Unrecht abgelehnt worden ist.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 15. Oktober 2019 aufgehoben, soweit sie damit auch zur Gewährung von ergänzenden Leistungen in gesetzlichem Umfang verurteilt worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin für die im August 2018 begonnene Ausbildung zur staatlich geprüften Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin Kosten in Höhe von 8.074,78 € zu erstatten und sie von weiteren Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 7.414,22 € freizustellen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin 9/10 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten einer Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin.
Die 1971 geborene Klägerin ist gelernte Krankenschwester (April 1989 bis März 1992), die sich in den Jahren 2004 bis 2006 wegen reaktiver Depression auf Kosten der Beklagten als kaufmännische Assistentin im Fremdsprachensekretariat umschulen ließ. Zuletzt übte die Klägerin seit dem 1. Juni 2016 in der L. Klinik L-Stadt eine Beschäftigung als Krankenschwester aus, die mit Wirkung zum 16. August 2016 wegen Krankheit seitens des Arbeitgebers gekündigt wurde. Der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 zuerkannt worden.
In der Zeit vom 28. Dezember 2016 bis 8. Februar 2017 nahm die Klägerin auf Kosten der Beklagten eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in der Rosengartenklinik, Bad Kissingen, in Anspruch. Ausweislich des Entlassungsberichts vom 13. Februar 2017 gelangten die behandelnden Ärzte unter Berücksichtigung der Diagnosen
- Traumafolgestörung; unverändert
- Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige depressive Episode; gebessert
- Degeneratives HWS-Syndrom (MRT 2016)
- Chronisches LWS-Syndrom, BSV L3/4 (MRT 2014)
- S-förmige BWS-LWS-Skoliose
zu der Einschätzung, dass die Klägerin zwar auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr verrichten könne, sie jedoch als Krankenschwester in einer Akutklinik nur noch unter drei Stunden erwerbsfähig sei, weshalb Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben empfohlen würden.
Aufgrund ihres Antrags vom 8. Februar 2017 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 29. März 2017 sodann Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach. Anlässlich des Beratungsgesprächs am 2. Mai 2017 äußerte die Klägerin den Wunsch, eine Ausbildung als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin absolvieren zu wollen.
Diesem Wunsch widersprach die Beratende Ärztin D. in ihrer Stellungnahme vom 19. Mai 2017. Die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung vom 24. März 2017 sei weiterhin gültig. Pädagogische und therapeutische sowie pflegerische Tätigkeiten seien nicht leidensgerecht und nicht geeignet, eine berufliche Wiedereingliederung der Klägerin auf Dauer zu erreichen.
Darauf gestützt lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 29. Mai 2017 ab.
Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs trug die Klägerin vor, es sei ihr nicht verständlich, weshalb sie keine Tätigkeiten mehr mit besonderen pädagogisch-therapeutischen Anforderungen, gehobener Verantwortung und Stressbelastung (über Zeitdruck hinaus) verrichten können sollte. Sie stehe inzwischen wieder emotional stabil im Leben, ihre Abgrenzungsfähigkeiten seien gegeben bzw. hätten sich deutlich gebessert, ihre Stresstoleranz sei wieder normal und ihre Entscheidungsfähigkeit deutlich gegeben. Dies werde sich voraussichtlich mit der Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin noch weiter verbessern und festigen. Die traumatischen Erlebnisse werde sie begleitend zu der beabsichtigten Ausbildung mittels Psychotherapie verarbeiten und reflektieren. Zur Stütze ihres Vorbringens reichte die Klägerin noch diverse Unterlagen zur Akte, darunter die Stellungnahme der Schule E. vom 26. Juni 2017, wonach sich die Klägerin dort am 24. Juni 2017 einer Aufnahmeprüfung unterzogen und diese erfolgreich bestanden habe, das Angebot der Schule ebenfalls vom 26. Juni 2017, dass sie zum Wintersemester 2017 (Ausbildungsbeginn: August 2017) mit der Ausbildung beginnen könne, sowie die Einschätzung der Psychologischen Psychotherapeutin Raum vom 24. Juni 2017.
Vom 6. September 2017 bis 17. Oktober 2017 nahm die Klägerin im Zentrum für psychiatrische Rehabilitation, Saarbrücken, abermals auf Kosten der Beklagten an einer Belastungserprobung teil, aus der sie ausgehend von den Diagnosen
- Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert
- Posttraumatische Belastungsstörung
- Sonstige Rückenschmerzen
mit einem Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von arbeitstäglich sechs Stunden und mehr für mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen, als Krankenschwester jedoch von unter drei Stunden, entlassen wurde, verbunden mit der Empfehlung, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zur beruflichen Umorientierung zu prüfen. Bezüglich des von der Klägerin weiterhin geäußerten Berufswunsches gaben die behandelnden Ärzte zu bedenken, dass wegen des Umgangs mit bedürftigen Personen Anforderungen an Abgrenzungs- und Distanzierungsfähigkeit bestünden, aber auch körperliche Nähe nicht auszuschließen sei (Entlassungsbericht vom 9. November 2017).
Zur weiteren Stütze ihres Widerspruchs legte die Klägerin ein Attest der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie F. vom 5. Dezember 2017 vor. In ihrer Stellungnahme vom 9. Januar 2018 blieb die Beratungsärztin D. bei ihrem Votum, das sie durch den aktuellen Entlassungsbericht bestätigt sah. Eine weitere Sachaufklärung sei nicht erforderlich.
Durch Widerspruchsbescheid vom 23. April 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die von der Klägerin begehrte, mehr als zweijährige Weiterbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin sei nicht zwingend erforderlich, um sie dauerhaft beruflich einzugliedern. Eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im regulären Förderungsrahmen sei ausreichend. Hinzu komme, dass Qualifizierungsmaßnahmen und Tätigkeiten im sozialen, therapeutischen sowie pflegerischen Bereich nicht leidensgerecht seien. Unter angemessener Berücksichtigung ihres bisherigen beruflichen Werdegangs seien keine Gründe ersichtlich, dass die Klägerin nur mit Hilfe einer länger als zwei Jahre dauernden Maßnahme eingegliedert werden könne. Gerade die Berufsförderwerke böten im Rahmen einer bis zu zweijährigen Ausbildung einen breiten und ausgiebig gestreuten Katalog verschiedener Berufe an.
Am 15. Mai 2018 erhob die Klägerin vor dem Sozialgericht Fulda Klage, mit der sie zuletzt neben der Erstattung ihrer Ausbildungskosten auch ergänzende Leistungen in gesetzlicher Höhe für die Dauer ihrer Ausbildung begehrte. Zur Begründung trug sie vor, die Beklagte habe den Sachverhalt sowohl in berufskundlicher wie auch medizinischer Hinsicht nicht ausreichend ermittelt. Daher sei die Entscheidung ermessensfehlerhaft ergangen. Die begehrte Leistung stelle eine geeignete Maßnahme dar, um sie wieder dauerhaft in den allgemeinen Arbeitsmarkt einzugliedern. Weitere Umschulungs- bzw. Weiterbildungsmaßnahmen seien ihr von der Beklagten nicht angeboten worden. Auf dem Ausbildungsmarkt gebe es faktisch keine vergleichbaren Ausbildungen, die nur zwei Jahre dauerten. Zudem könne sie bei einer Weiterbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin an ihr bereits vorhandenes Wissen als Krankenschwester anknüpfen. Bei dem Entlassungsbericht vom 9. November 2017 handele es sich um eine Fehlinterpretation ihres Gesundheitszustandes. Zur Stütze ihres Begehrens legte die Klägerin diverse medizinische Unterlagen vor, darunter ein weiteres Attest der Psychiaterin F. vom 7. August 2018 und die Bescheinigung der Fachärztin für HNO Dr. med. G. vom 18. Mai 2017.
Demgegenüber betonte die Beklagte, dass der von der Klägerin geäußerte Berufswunsch nicht als leidensgerecht erachtet werden könne und daher davon ausgegangen werden müsse, dass die begehrte Ausbildung nicht geeignet sei, ihre Erwerbsfähigkeit wesentlich zu bessern oder wiederherzustellen. Eine Ermessensreduzierung auf Null könne nicht erkannt werden. Bereits im Beratungsgespräch am 2. Mai 2017 seien der Klägerin alternative Eingliederungsmöglichkeiten und machbare Berufswege aufgezeigt worden. Dennoch habe die Klägerin auf ihren Berufswunsch bestanden, weshalb fortan eine weitere Ermessensausübung durch sie - die Beklagte - sinnlos gewesen sei. Das im Entlassungsbericht vom 9. November 2017 erstellte Leistungsbild lasse eine Vielzahl von anderen Eingliederungsmöglichkeiten zu, welche die berufliche Vorerfahrung der Klägerin und ihre gesundheitlichen Einschränkungen berücksichtigen würden.
Am 20. August 2018 nahm die Klägerin die Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin auf. Ausweislich des vorgelegten Ausbildungsvertrags mit dem Träger der Schule E. in A-Stadt vom 4./5. Juli 2018 beläuft sich der von der Klägerin zu tragende Eigenanteil auf 14.484 € (als Einmalzahlung; 6 Raten à 2.474 € bei Zahlung pro Semester; 36 Raten à 418 € bei monatlicher Zahlungsweise) zuzüglich 130 € einmalige Aufnahmegebühr, 475 € einmalige Prüfungsgebühr und 400 € für die Anschaffung von Lernmitteln (Bücher, Reader <Kopien>, Unterrichtsmedien) für den persönlichen Besitz. Der ebenfalls vorgelegten Vereinbarung lässt sich entnehmen, dass die Klägerin eine monatliche Zahlungsweise wünschte und ihr ab dem 1. Semester monatlich 200 € gestundet wurden.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts erhob das Sozialgericht sodann von Amts wegen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Dr. med. H. - Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin - vom 29. März 2019, der im Anschluss an seine ambulante Untersuchung am 8. März 2019 ausgehend von den Diagnosen
auf psychiatrisch-psychosomatischem Fachgebiet:
- Symptomdiagnosen:
Rezidivierende depressive Störung, 2001 und 2017, gegenwärtig remittiert als nachvollziehbare Lebenskrisen zu verstehen
- Sonstige Reaktion auf schwere Belastung (einmalige sexuelle Belästigung des Vaters im 10. Lebensjahr, therapeutisch ausreichend aufgearbeitet)
Strukturdiagnose:
- Altruistische Bildung der Persönlichkeit mit histrionischen Zügen
Körperliche Diagnosen im Übrigen (übernommen):
- Leichtgradige bewegungs- und belastungsabhängige Schmerzen und Funktionsstörungen der HWS, der BWS, der LWS und der Hüften, Zustand nach Bandscheibenvorfall L3/4 in 2005, bei degenerativen Veränderungen
- Cervikogener Kopfschmerz, einmal wöchentlich, Schmerzmitteleinnahme
- Tinnitus aurium bds. seit dem 10. Lebensjahr
- Glutenempfindlichkeit
zu der Einschätzung gelangte, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin zwar Einschränkungen unterliege (Arbeiten überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit, wechselnde Körperhaltungen einzunehmen, ohne Zwangshaltungen wie größere Hebe- und Bückarbeiten, ohne hohe Lärmbelastungen, ohne Akkord- und Nachtarbeit), sie jedoch in der Lage sei, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Aus seinen Untersuchungsergebnissen lasse sich nicht ableiten, dass die Klägerin nur mit Schwierigkeiten die Aufgaben und Tätigkeiten einer Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin werde erledigen können. Es hätten sich auch keine Einschränkungen für den präventiven und pädagogischen Bereich ergeben. Eine überdauernde rezidivierende depressive Störung liege bei der Klägerin nicht vor. Auch die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung könne in keiner Weise aufrechterhalten bleiben. Eine überdauernde Traumafolgestörung sei nicht erkennbar. Den im Entlassungsbericht vom 9. November 2017 getroffenen Feststellungen und Einschätzungen müsse daher widersprochen werden. Die Prognose zum Zeitpunkt der Untersuchung einschließlich der bisher im Studium (nach einem halben Jahr) gezeigten Leistungen der Durchhaltefähigkeit bestätigten, dass die Klägerin insbesondere für die Tätigkeit als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin geeignet sei und sie über die notwendige körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfüge, um die Rehabilitation mit Erfolg abzuschließen und im Anschluss daran die angestrebte Tätigkeit auf Dauer auszuüben. Eine weitere medizinische Sachaufklärung sei nicht erforderlich.
Während sich die Klägerin hierdurch in ihrem Rechtsstandpunkt bestätigt sah, konnte die Beklagte den gutachterlichen Aussagen nicht folgen. Bei einer rezidivierenden depressiven Störung seien Tätigkeiten im späteren therapeutischen Bereich nicht leidensgerecht, wobei zu berücksichtigen sei, dass gerade diese Diagnose eine Minderung der Erwerbsfähigkeit begründet habe. Sie dürfe deshalb bei der nunmehr zu treffenden Entscheidung über konkrete Teilhabeleistungen nicht unberücksichtigt bleiben. Ihrer Ansicht nach bestehe stets ein Rezidivrisiko der depressiven Störung, sofern die Klägerin später einem nicht leidensgerechten Beruf nachgehen sollte. Abgesehen davon sei eine überdurchschnittliche Leistungsdauer weiterhin nicht erforderlich, um eine berufliche Eingliederung der Klägerin zu erreichen. Die vorliegenden Berichte würden ein Leistungsbild beschreiben, welches grundsätzlich Ansätze für Weiterbildungsmöglichkeiten biete, die in einem wesentlich kürzeren Leistungsrahmen lägen.
Durch Urteil vom 15. Oktober 2019 hob das Sozialgericht den Bescheid vom 29. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2018 auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin für die am 22. August 2018 (wohl: 20. August 2018) begonnene dreijährige Weiterbildung zur staatlich geprüften Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin die Kosten in Höhe von insgesamt 15.489 € zu zahlen und ihr für diese Zeit ergänzende Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der streitige Erstattungsanspruch stütze sich auf § 15 Abs. 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung. Der Klägerin seien wegen einer zu Unrecht erfolgten Ablehnung Kosten entstanden. Der hierfür erforderliche Kausalzusammenhang sei gegeben, weil die Klägerin die Weiterbildung erst nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens während des laufenden Klageverfahrens begonnen habe. Kämen bei bestehendem Anspruch dem Grunde nach verschiedene Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht, die gleichermaßen geeignet seien, die Teilhabe des Versicherten am Arbeitsleben zu sichern, sei dem Rehabilitationsträger grundsätzlich ein Auswahlermessen eingeräumt, welche Maßnahme er gewähre. In die Auswahlentscheidung könnten lediglich solche Maßnahmen einbezogen werden, für die der Betroffene eine uneingeschränkte Eignung besitze. Entgegen der Einschätzung der Beklagten sei die Klägerin für die Weiterbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin uneingeschränkt geeignet, mit der sie daher auch dauerhaft in den Arbeitsmarkt wiedereingegliedert werden könne. Ob die objektive, persönliche Eignung des behinderten Menschen für eine Leistung zur Teilhabe vorliege, sei eine prognostische Einzelbeurteilung, die der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliege. Dabei habe die Überprüfung der Prognose grundsätzlich auf Basis der zum Zeitpunkt der (letzten) Verwaltungsentscheidung bekannten Umstände zu erfolgen. Vorliegend sei die negative Prognose der Beklagten fehlerhaft gewesen. Aus Sicht der Kammer hätten bereits im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung nach Abschluss der erfolgten Ermittlungen von Amts wegen keine vernünftigen Zweifel an der persönlichen Eignung der Klägerin bestanden. Dies folge insbesondere aus der Einschätzung des Sachverständigen Dr. med. H., die auch im Einklang vor allem mit den Einschätzungen der Psychiaterin F. und der HNO-Fachärztin Dr. med. G. stünden. Die Beklagte bzw. ihre ärztliche Beraterin sei demgegenüber bei ihrer Beurteilung im Hinblick auf das psychiatrische Leidensbild der Klägerin von grundlegend unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen und habe trotz entgegenstehender Anhaltspunkte durch Atteste der behandelnden Fachärzte keine weiteren Ermittlungen für erforderlich gehalten. Aufgrund der gegebenen Eignung hätte die Beklagte die streitgegenständliche Maßnahme daher in ihre Auswahlentscheidung einbeziehen müssen. Das der Beklagten insoweit eingeräumte Ermessen sei vorliegend (zwischenzeitlich) ausnahmsweise auf Null reduziert. Werde mit einer geeigneten Maßnahme begonnen, der eine auf fehlerhafter Amtsermittlung beruhende behördliche Ablehnung vorausgegangen sei, verenge sich das Ermessen der Beklagten dadurch auf die gewählte Maßnahme. Dem stehe § 37 Abs. 2 SGB IX nicht entgegen. Denn aufgrund der festgestellten Ermessensreduzierung auf Null sei die streitige Weiterbildung die einzig (noch) in Betracht kommende Maßnahme, weshalb mangels kürzerer Alternative auch die Überschreitung der zweijährigen Förderungsdauer angezeigt sei, um die Klägerin dauerhaft beruflich einzugliedern. Zu zahlen seien der Klägerin neben den Kosten laut Ausbildungsvertrag in Höhe von insgesamt 15.489 € auch Übergangsgeld in gesetzlicher Höhe sowie ergänzende Leistungen in gesetzlichem Umfang.
Gegen das ihr am 29. Oktober 2019 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. November 2019 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Sie ist weiterhin der Ansicht, dass der Berufswunsch der Klägerin für das Teilhabeziel nicht geeignet sei. Zudem sei es nicht nachvollziehbar, bei der Vielzahl an Maßnahmen, die grundsätzlich für eine Wiedereingliederung zur Verfügung stünden, und ohne weitere Anpassungs- oder Erprobungssteuerung den Beruf der Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin als einzig in Frage kommende Maßnahme festzulegen. Eine Ermessensreduzierung auf Null sei keinesfalls gegeben. Es kämen verschiedene Maßnahmen in Betracht, die innerhalb von 24 Monaten erbracht werden könnten. Die Klägerin sei von Beginn an auf ihren Berufswunsch fixiert gewesen. Die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch seien nicht erfüllt. Sie habe mit der Erteilung des Bescheides bereits am 29. Mai 2017 unverzüglich reagiert; auch habe die Klägerin keine Frist gesetzt. Ebenso wenig habe es sich um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 15. Oktober 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
Der Senat hat von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. med. H. vom 19. Oktober 2020, der ausgeführt hat, dass bereits seit April 2018 eine positive Prognose bezüglich der Eignung der Klägerin in der von ihr angestrebten Tätigkeit als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin zu treffen gewesen sei.
Während sich die Klägerin hierdurch abermals in ihrem Rechtsstandpunkt bestätigt sieht, erwidert die Beklagte, dass sich aus der Stellungnahme keine neuen medizinischen Gesichtspunkte ergäben, die zu einer Änderung ihrer Auffassung führen würden. Der sozialmedizinischen Einschätzung im Entlassungsbericht vom 9. November 2017 sei weiterhin zu folgen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Rehabilitationsakte betreffend die Klägerin Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung (§ 143, § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie hat aber nur in geringem Umfang Erfolg.
Das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 15. Oktober 2019 ist nur insoweit zu beanstanden und abzuändern, als damit die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin für die Dauer ihrer Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin auch ergänzende Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Im Übrigen erweist sich das angefochtene Urteil als rechtmäßig, allerdings mit der Maßgabe, dass der Klägerin nur diejenigen Ausbildungskosten zu erstatten sind, die sie bislang tatsächlich gezahlt hat, und die Beklagte sie im Übrigen von ihren Zahlungsverpflichtungen freistellt. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erstattung ihrer Ausbildungskosten bzw. Freistellung von Zahlungsverpflichtungen in Höhe von jedenfalls 15.489 € zu. Der dies ablehnende Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2018 (§ 95 SGG) ist rechtswidrig ergangen und beschwert die Klägerin im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG.
Die Berufung der Beklagten ist insoweit erfolgreich, als sie sich damit gegen ihre Verurteilung wendet, der Klägerin ergänzende Leistungen (§ 20 und § 28 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch <SGB VI>) in gesetzlicher Höhe - mithin dem Grunde nach (§ 130 Abs. 1 SGG) - zu gewähren. Zwar ist die in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 15. Oktober 2019 bezüglich dieser ergänzenden Leistungen vorgenommene Klageerweiterung mit Blick auf die hierzu stillschweigend erteilte Einwilligung der Beklagten (§ 99 Abs. 1, 1. Alt. i. V. m. Abs. 2 SGG) als solche zulässig. Allerdings ist die erweiterte Klage mangels Klagebefugnis der Klägerin ihrerseits unzulässig.
Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes beschwert zu sein (Klagebefugnis). Für das Vorliegen einer Beschwer im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung kommt es nicht so sehr auf die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung an, sondern vielmehr auf die Möglichkeit der Verletzung eigener subjektiver Rechte durch eine Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bzw. dessen Unterlassen (vgl. BeckOGK/Bieresborn, 1. Mai 2021, SGG § 54 Rdnr. 107). Da die Behauptung im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG im Allgemeinen schon in der Klageerhebung an sich zu sehen sein wird, setzt die Klagebefugnis weiter voraus, dass jedenfalls die Möglichkeit besteht, durch diese behauptete Rechtswidrigkeit in eigenen - subjektiven - Rechten betroffen zu sein (vgl. Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, Stand: 30. Juni 2020, § 54 Rdnr. 40; BSG, Urteil vom 29. Oktober 2002, B 4 RA 22/02 R - juris Rdnr. 26). Das ist vorliegend indes nicht der Fall. Denn die Klägerin ist hinsichtlich der Gewährung ergänzender Leistungen schon deshalb nicht in ihren Rechten betroffen, weil die Beklagte mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 29. Mai 2017 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2018) keine jene Leistungen ablehnenden Regelungen erlassen hatte. Sind daher schon keine Verwaltungsentscheidungen über die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf ergänzende Leistungen ergangen, fehlt es ihr insoweit an der für die Zulässigkeit der Klage erforderlichen Klagebefugnis (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015, B 2 U 17/14 R - juris Rdnr. 13).
Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass die Beklagte der Klägerin Ausbildungskosten in Höhe von 8.074,78 € erstattet und sie von weiteren Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 7.414,22 € freistellt.
Der klarstellenden Abänderung des erstinstanzlichen Urteilstenors steht § 202 SGG i. V. m. § 528 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht entgegen, wonach das Urteil des ersten Rechtszugs nur insoweit abgeändert werden darf, als eine Abänderung beantragt ist. Denn die Klägerin wird durch die Klarstellung letztlich nicht schlechter gestellt, als sie durch das erstinstanzliche Urteil gestellt worden ist, sodass der Schutzzweck des § 528 Satz 2 ZPO - die Wahrung des Besitzstandes (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 1994, V ZR 34/92 = NJW-RR 1994, S. 1272 <1273>) - nicht betroffen ist. Das Berufungsurteil ändert nichts daran, dass die Beklagte für die Ausbildungskosten der Klägerin in einem Umfang von insgesamt 15.489 € aufzukommen hat, nämlich in Höhe von 8.074,78 € im Wege der Kostenerstattung und im Übrigen im Wege der Freistellung von Zahlungsverpflichtungen (7.414,22 €).
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung ihrer Ausbildungskosten als Aufwendungen einer selbstbeschafften Rehabilitationsmaßnahme bzw. auf Freistellung von im Zusammenhang mit der Ausbildung von ihr eingegangenen Zahlungsverpflichtungen in Höhe von jedenfalls insgesamt 15.489 € gegen die Beklagte zu. Dieses Begehren macht die Klägerin im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 4, § 56 SGG) geltend. Der ursprüngliche Bescheid vom 29. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2018, mit dem die Beklagte noch die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form von Sachleistungen abgelehnt hatte, bleiben dabei Gegenstand des Verfahrens (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 22. Juni 2021, L 2 R 360/18 - juris Rdnr. 21 m.w.N.).
Da die Klägerin ihren ursprünglichen Rehabilitationsantrag bereits am 8. Februar 2017 gestellt hatte, bemisst sich der streitige Anspruch nach den damals geltenden Vorschriften (§ 301 Abs. 1 SGB VI).
Anspruchsgrundlage für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben als Sachleistung sind zunächst die Vorschriften der §§ 9, 10, 11, 16 SGB VI (hier alle in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 2002, BGBl. I, S. 754) i. V. m. § 33 SGB IX in der Fassung von Art. 10 Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2854). Unter welchen Voraussetzungen anstelle der vorrangigen Sachleistung ein Anspruch auf entsprechende Kostenerstattung nach Selbstbeschaffung besteht, bestimmt sich demgegenüber nach Maßgabe des § 15 Abs. 1 SGB IX in der hier einschlägigen Fassung von Art. 1 Gesetz vom 19. Juni 2001 (BGBl. I, S. 1046). Diese Vorschrift gelangt auch im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung unmittelbar zur Anwendung (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009, B 5 R 5/07 R = SozR 4-3250 § 14 Nr. 8).
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Kostenerstattung ist § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Danach besteht die Erstattungspflicht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Zutreffend geht zwar die Beklagte davon aus, dass es sich bei der Ausbildung der Klägerin nicht um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt hat. Allerdings sind der Klägerin Kosten wegen einer zu Unrecht erfolgten Ablehnung entstanden, die ihr über § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX zu erstatten sind.
Der streitige Kostenerstattungsanspruch richtet sich gegen die Beklagte als zuständigem Rehabilitationsträger. Die Beklagte ist zum einen auf der Grundlage von § 14 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX (in der Fassung des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23. April 2004, BGBl. I, S. 606) im Außenverhältnis zur Klägerin umfassend für die Leistungsgewährung zuständig geworden, nachdem sie innerhalb von zwei Wochen deren Rehabilitationsantrag vom 8. Februar 2017 nicht an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet hat. Zum anderen ist die Beklagte aber auch der materiell-rechtlich endgültig zuständige Rehabilitationsträger (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 5 Nr. 2 SGB IX) für die hier in Rede stehende Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne von § 16 SGB VI i. V. m. § 33 Abs. 1 und Abs. 3 SGB IX, da die Klägerin die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§§ 10, 11 SGB VI) erfüllt, ohne gemäß § 12 SGB VI von den Leistungen ausgeschlossen zu sein. Eine Leistungspflicht anderer Träger der beruflichen Rehabilitation, namentlich diejenige der im Verhältnis zur Beklagten gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III) in der Fassung von Art. 2 Nr. 13 a) aa) Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2854) nachrangig zuständigen Bundesagentur für Arbeit (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 5 Nr. 2 SGB IX) ist damit nicht gegeben. Andere potentielle Rehabilitationsträger waren daher nicht zum Verfahren beizuladen (vgl. zur Beiladung des mutmaßlich endgültigen Rehabilitationsträgers: BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004, B 7 AL 16/04R = BeckRS 2005, 40042).
Der Kostenerstattungsanspruch gemäß § 15 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 33 SGB IX für eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben setzt einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus. Bei im Ermessen des Leistungsträgers stehenden Leistungen - wie vorliegend nach § 13 SGB VI - erfordert dies eine Ermessensreduzierung auf Null. Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin nach Auffassung des Senats erfüllt.
Eine Kostenerstattung nach rechtswidriger Leistungsablehnung durch den Rehabilitationsträger setzt stets voraus, dass zwischen der rechtswidrigen Ablehnung und der Kostenlast des Rehabilitanden ein Ursachenzusammenhang besteht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur: BSG, Urteil vom 15. März 2012, B 3 KR 2/11 R = SozR 4-2500 § 33 Nr. 28). Das bedeutet, dass die Vorenthaltung der Sachleistung durch den Rehabilitationsträger die wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung sein muss, was denknotwendig nur dann der Fall sein kann, wenn die Selbstbeschaffung erst erfolgte, nachdem der Teilhabeantrag abgelehnt worden war. Dies ist hier zweifelsfrei zu bejahen. Erst nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens hat die Klägerin den Ausbildungsvertrag mit dem Schulträger unterschrieben und auch erst am 20. August 2018 ihre Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin begonnen, sodass der von § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX erforderliche Kausalzusammenhang gegeben ist. Dem kann die Beklagte im Übrigen auch nicht entgegenhalten, dass die Klägerin von vornherein auf diese Ausbildung fixiert gewesen sei. Die Bereitschaft der Klägerin, trotz zugesichertem Ausbildungsbeginn bereits zum Wintersemester (August 2017) an der vom 6. September 2017 bis 17. Oktober 2017 dauernden Rehabilitationsmaßnahme teilzunehmen und die Ausbildung nicht aufzunehmen, widerlegt diese Behauptung der Beklagten eindrucksvoll.
Vorliegend besteht auch ein Primäranspruch der Klägerin auf Gewährung ihrer Ausbildung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Die Beklagte erbringt gemäß § 16 SGB VI Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach Maßgabe der §§ 33 ff. SGB IX.
Zur Teilhabe am Arbeitsleben werden die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern (§ 33 Abs. 1 SGB IX; siehe auch § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 10 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Die Leistungen umfassen insbesondere auch berufliche Anpassung und Weiterbildung, auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen (§ 33 Abs. 3 Nr. 3 SGB IX) sowie berufliche Ausbildung, auch soweit die Leistungen in einem zeitlich nicht überwiegenden Abschnitt schulisch durchgeführt werden (§ 33 Abs. 3 Nr. 4 SGB IX). Bei der Auswahl der Leistungen werden Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen berücksichtigt (§ 33 Abs. 4 Satz 1 SGB IX).
Ausgehend von diesen gesetzlichen Vorgaben hat die Beklagte der Klägerin in einem ersten Schritt zutreffend und mit in der Sache bindend (§ 77 SGG) gewordenem Bescheid vom 29. März 2017 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach bewilligt. In einem zweiten Schritt war sodann von ihr zu prüfen, durch welche Maßnahmen das Rehabilitationsziel, nämlich die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin, erreicht werden kann. Grundsätzlich kommen hierfür verschiedene Möglichkeiten in Betracht, so auch vorliegend, wie die Beklagte daher immer wieder zu Recht betont hat.
Sind diese Maßnahmen gleichermaßen geeignet, die Teilhabe des Versicherten am Arbeitsleben zu sichern, hat der Rehabilitationsträger ein Auswahlermessen, welche Maßnahme er gewähren will (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 20. März 2007, B 2 U 18/05 R - juris Rdnr. 17; BSG, Urteil vom 17. Oktober 2006, B 5 RJ 15/05 R - juris Rdnr. 12 m.w.N.). Er muss dieses Auswahlermessen pflichtgemäß ausüben (§ 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch <SGB I>), also insbesondere am Gesetzeszweck der dauerhaften beruflichen Eingliederung ausrichten. Bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe wird berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die besondere Bedeutung des Berufswunsches bei der Auswahl der Rehabilitationsmaßnahme kommt jedoch nur dann zum Tragen, wenn der behinderte Mensch einen die Eingliederung gewährleistenden Beruf wählt, für den er uneingeschränkt geeignet ist (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2000, B 11 AL 107/99 R - juris Rdnr. 18).
Bei der Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin handelt es sich um eine grundsätzlich gemäß § 33 Abs. 3 SGB IX förderungsfähige Maßnahme. Der Leistungskatalog der Vorschrift ist nicht abschließend zu verstehen, wie sich schon aus der Formulierung „insbesondere“ ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2013, B 11 AL 8/12 R - juris Rdnr. 24; BSG, Urteil vom 25. Mai 2011, B 12 KR 8/09 R = SozR 4-2500 § 5 Nr. 4: sog. „offener Leistungskatalog“). Der Förderung der Klägerin steht daher nicht entgegen, dass es sich bei der streitbefangenen Ausbildung nach den maßgeblichen niedersächsischen Landesbestimmungen (§ 33 i. V. m. Anlage 4 Verordnung über berufsbildende Schulen <BbS-VO> vom 10. Juni 2009, Nds. GVBl. 2009, 243) um eine schulische Bildungsmaßnahme handelt.
Dass die Ausbildungsdauer insgesamt drei Jahre beträgt, steht der Förderungsfähigkeit ebenfalls nicht entgegen. Zu Unrecht beruft sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf § 37 Abs. 2 SGB IX. Zwar heißt es dort, dass Leistungen zur beruflichen Weiterbildung in der Regel bei ganztägigem Unterricht nicht länger als zwei Jahre dauern sollen, es sei denn, dass das Teilhabeziel nur über eine länger dauernde Leistung erreicht werden kann oder die Eingliederungsaussichten nur durch eine länger dauernde Leistung wesentlich verbessert werden. Diese zweijährige Regelförderzeit gilt allerdings nur für Leistungen zur beruflichen Weiterbildung, nicht jedoch für Leistungen zur Berufsausbildung. Beide Begriffe sind auch im Falle der Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers nach denselben Kriterien abzugrenzen, die für den Bereich des Arbeitsförderungsrechts entwickelt worden sind (vgl. hierzu: Hessisches LSG, Urteil vom 2. Oktober 2009, L 5 R 315/08 - juris; so auch Sächsisches LSG, Urteil vom 19. April 2011, L 5 R 6/10 - juris).
Kommt es insoweit auf die Kriterien des Arbeitsförderungsrechts an, ist die Abgrenzung der Berufsausbildung im Sinne der §§ 56 ff. SGB III und der beruflichen Weiterbildung im Sinne der §§ 81 ff. SGB III ohne Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und Vorbildung im Einzelfall allein anhand der konkreten Ausgestaltung des Bildungsangebots nach objektiven Kriterien vorzunehmen (so schon für das Arbeitsförderungsgesetz <AFG>: BSG, Urteil vom 4. Februar 1999, B 7 AL 12/98 R = SozR 3-4100 § 42 Nr. 4; BSG, Urteil vom 22. September 1976, 7 RAr 142/74 = SozR 4100 § 242 Nr. 3; zum Recht des SGB III: BSG, Urteil vom 30. September 2008, B 4 AS 28/07 R = SozR 4-4200 § 7 Nr. 9; BSG, Urteil vom 29. Januar 2008, B 7/7a AL 68/06 R = SozR 4-4300 § 60 Nr. 1; BSG, Urteil vom 17. November 2005, B 11a AL 23/05 R - juris Rdnr. 19 m.w.N.; BSG, Urteil vom 27. Januar 2005, B 7a/7 AL 20/04 R - juris Rdnr. 13).
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs handelt es sich bei der Ausbildung der Klägerin zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin nicht etwa deshalb um eine Maßnahme der Weiterbildung, weil sie zuvor bereits die Ausbildung zur Krankenschwester und eine Umschulung zur kaufmännischen Assistentin in einem Fremdsprachensekretariat absolviert hatte. Nicht jeder erste Besuch einer Bildungsmaßnahme muss in jedem Fall eine Ausbildung darstellen sowie umgekehrt nicht jeder zweite Besuch einer Bildungsmaßnahme bei Vorliegen eines Abschlusses eine Weiterbildung darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 2005, B 7a/7 AL 20/04 R - juris Rdnr. 16). Die Abgrenzung zwischen Aus- und Weiterbildung ist ausschließlich unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme nach objektiven Kriterien vorzunehmen, wobei es nicht entscheidend auf das Ziel der Maßnahme ankommt, sondern auf den Weg, wie dieses Ziel erreicht werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 30. August 2010, B 4 AS 97/09 R - juris Rdnr. 23 m.w.N.). Nach dem Zuschnitt, der Struktur und den Inhalten des Bildungsangebots ist zu entscheiden, ob es sich um eine schulische oder berufliche Ausbildung oder um eine berufliche Weiterbildung handelt. Dabei sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, etwa welche Vorkenntnisse für die erfolgreiche Teilnahme erforderlich sind, welche Unterrichtsformen genutzt werden und welche Abschlüsse angestrebt werden. Es ist also eine Gesamtbetrachtung der konkreten Maßnahme angezeigt, die sowohl die einschlägigen Ausbildungsvorschriften als auch die Ausbildungswirklichkeit in den Blick nimmt, insbesondere, ob Vorkenntnisse eines Lernwilligen verwertbar sind (vgl. BSG, Urteil vom 6. März 1991, 9b RAr 5/90 = SozR 3-4100 § 47 Nr. 2). Im Unterschied zur Weiterbildung baut die Berufsausbildung nicht auf bereits bestehendes berufliches Wissen auf, sondern soll dieses Grundlagenwissen durch die Berufsausbildung erst vermittelt werden (vgl. Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl. 2019, Stand: 22. März 2021, § 56 SGB III Rdnr. 30 m.w.N.). Bei der Weiterbildung handelt es sich demgegenüber um die Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach dem Abschluss der ersten Ausbildungsphase oder auch sonstiger beruflicher Betätigung ohne vorherigen Berufsabschluss, die deswegen vielfach mit einer verkürzten Ausbildungsdauer einhergeht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Mai 2017, L 18 AL 119/15 - juris Rdnr. 21 m.w.N.).
Daran gemessen ist davon auszugehen, dass es sich vorliegend bei der Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin um eine Ausbildung und nicht um eine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung handelt. Maßgeblich ist dabei vor allem, dass berufliche Vorkenntnisse hierfür nicht erforderlich sind und demgemäß die Klägerin die Ausbildung regulär durchlaufen hat, weil ihre als Krankenschwester erworbenen Vorkenntnisse nicht in ausbildungsverkürzendem Sinne verwertbar waren.
Dem Ausbildungsvertrag vom 4./5. Juli 2018 zufolge erfüllte die Klägerin die Voraussetzungen für die Aufnahme in die gemäß Ziffer 1.2 in sechs Semester (drei Schuljahre) gegliederte Ausbildung, weil sie über einen Realschulabschluss verfügt, sie ihre gesundheitliche Eignung an Stimme, Sprache und Gehör nachgewiesen und außerdem das von der Schule vorgesehene Feststellungsverfahren erfolgreich besucht hatte (vgl. Ziffer 1.1). Dies stimmt überein mit den gesetzlichen Vorgaben, wie sie in § 33 i. V. m. Anlage 4 BbS-VO normiert sind. Danach dauert die Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin drei Jahre (§ 2 Abs. 1 Anlage 4 BbS-VO), in die nur aufgenommen wird, wer den Sekundarabschluss I - Realschulabschluss oder einen gleichwertigen Bildungsstand besitzt (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Anlage 4 BbS-VO) und außerdem in einem von der Schule durchgeführten Feststellungsverfahren nachweist, dass er über gute stimmliche Qualitäten verfügt, frei von Hör- und Sprachstörungen ist und Elementarkenntnisse im Spiel mindestens eines Begleitinstruments besitzt (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 Anlage 4 BbS-VO). Weitergehende Voraussetzungen - insbesondere spezielle berufliche Vorkenntnisse oder Fähigkeiten - sind demnach nicht erforderlich. Zwar ist die Klägerin offenkundig selbst davon ausgegangen, im Rahmen ihrer Ausbildung als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin von ihrem bereits als Krankenschwester erworbenen Wissen profitieren zu können. Das allein reicht aber nicht aus, um in ihrem Fall eine im Vergleich zur Ausbildung kürzere Weiterbildung im vorstehenden Sinne annehmen zu können. Denn nach § 3 Abs. 9 Anlage 4 BbS-VO kann in die berufsqualifizierende Berufsfachschule mit Zustimmung der Schulbehörde zu einem anderen Zeitpunkt als zum Beginn des Bildungsganges aufgenommen werden, wer neben den Aufnahmevoraussetzungen Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, die den bis zu dem Aufnahmezeitpunkt vermittelten Bildungsinhalten entsprechen, (Nr. 1) und aufgrund eines protokollierten Beratungsgespräches einen erfolgreichen Abschluss des Bildungsganges erwarten lässt (Nr. 2). Von dieser Möglichkeit einer verkürzten Ausbildung ist im Falle der Klägerin trotz ihres Vorwissens als Krankenschwester jedoch kein Gebrauch gemacht worden. Das leuchtet auch insoweit ein, weil im Rahmen der Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin die medizinische Wissensvermittlung nicht derart im Vordergrund steht, um bei entsprechenden Vorkenntnissen die reguläre dreijährige Ausbildungsdauer abkürzen zu können. Nach der einschlägigen Stundentafel beinhaltet die Ausbildung zur/zum Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin/-lehrer einen berufsbezogenen Lernbereich - Theorie - mit den Fächern Pädagogik/Heilpädagogik, Psychologie, Sprachbehindertenpädagogik, Musiktheorie, Phoniatrie/Pädaudiologie, Berufs- und Rechtskunde (zusammen: 26 Gesamtwochenstunden), Atem- und Stimmtherapie, Atem- und Sprachtherapie, Atem- und Bewegungstherapie (zusammen: 19,5 Gesamtwochenstunden), medizinische Grundlagen (12 Gesamtwochenstunden) sowie einen berufsbezogenen Lernbereich - Praxis - mit den Fächern Atem- und Stimmtherapie, Atem- und Sprachtherapie, Atem- und Bewegungstherapie (zusammen: 15 Gesamtwochenstunden), Lehrproben im Bereich Schulung, Instrumentalspiel, Chor/Chorische Stimmschulung und Rhythmik (zusammen: 12,5 Gesamtwochenstunden), mithin insgesamt 85 Gesamtwochenstunden zuzüglich eines zusätzlich abzuleistenden Praktikums (Ziffer 6.3 Ergänzende Bestimmungen für das berufsbildende Schulwesen <EB-BbS> vom 10. Juni 2009 <Nds. MBl. 2009, S. 538>, zuletzt geändert durch Runderlass des Kultusministeriums vom 25. Januar 2019 <Nds. MBl. 2019, 338>). Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt also eher im pädagogischen, therapeutischen und musischen denn im medizinischen Bereich, in dem im Übrigen nur Grundlagen vermittelt werden. Überdies bestätigt die Stundentafel, dass es sich bei der Ausbildung zur/zum Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin/-lehrer um eine umfangreiche Bildungsmaßnahme handelt, die keine beruflichen Vorkenntnisse und Erfahrungen erfordert und die noch dazu auf den Erwerb eines Abschlusses als staatlich anerkannte/anerkannter Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin/-lehrer vorbereiten soll (vgl. § 11 Satz 1 Nr. 1 Anlage 4 BbS-VO).
Im Ergebnis bleibt danach festzuhalten, dass die Ausbildung der Klägerin zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin nicht der Förderungshöchstdauer des § 37 Abs. 2 SGB IX unterliegt.
Die Klägerin ist körperlich wie auch psychisch in der Lage, die Tätigkeit als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin uneingeschränkt auszuüben. Anders als die Beklagte meint, ist nicht damit zu rechnen, dass die Klägerin Schwierigkeiten haben wird, die Aufgaben und Tätigkeit einer Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin zu bewältigen, sodass die Ausbildung geeignet ist, ihre dauerhafte Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu erreichen. Mit ihrer Ausbildung strebt die Klägerin mithin einen Beruf an, in dem ihre Erwerbsfähigkeit nicht gefährdet ist. Das steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund der in jeder Hinsicht einleuchtenden, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen Dr. med. H., der anlässlich seiner eingehenden ambulanten Untersuchung am 8. März 2019 keine Einschränkungen der Klägerin für den präventiven und pädagogischen Bereich feststellen konnte und der auch keine Bedenken hatte, dass die Klägerin dem medizinisch-therapeutischen Bereich oder den Arbeitsbedingungen einer Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin nicht gewachsen sein könnte. Insgesamt konstatierte er in seinem Gutachten vom 29. März 2019, dass die Prognose zum Zeitpunkt seiner Untersuchung einschließlich der gezeigten Leistungen der Durchhaltefähigkeit im bisherigen Studium nach einem halben Jahr zu der Einschätzung führen, dass die Klägerin für die Tätigkeit als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin geeignet ist. In seiner im Berufungsverfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 19. Oktober 2020 hat der Sachverständige Dr. med. H. hierzu sodann weiter ausgeführt, dass jene Prognose so auch schon im April 2018 - dem Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung - zu treffen war, also auch ohne Berücksichtigung der im ersten Semester von der Klägerin gezeigten Ausbildungsleistungen.
Diesen Feststellungen ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Zwar hat sie - ohne dies im Übrigen durch Vorlage eines Votums ihres sozialmedizinischen Dienstes fundiert untermauert zu haben - vorgebracht, dass aufgrund der im Entlassungsbericht vom 9. November 2017 diagnostizierten rezidivierenden depressiven Störung Tätigkeiten im therapeutischen Bereich nicht leidensgerecht seien und bei späterer Berufsausübung einer nicht leidensgerechten Tätigkeit stets ein Rezidivrisiko bestehe. Damit aber hat sich die Beklagte nicht einmal ansatzweise mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. H. auseinandergesetzt, der in seinem Gutachten explizit festgehalten hat, dass die Klägerin biografisch nachvollziehbar lediglich zwei Selbstwertkrisen - im Jahr 2001 aufgrund einer Trennungssituation und im Jahr 2016 aufgrund ihrer beruflichen Situation - durchlebt hatte, woraus eine überdauernde rezidivierende depressive Störung abzuleiten wissenschaftlich nicht haltbar ist. Vielmehr war es der Klägerin gelungen, beide Ereignisse mit therapeutischen Maßnahmen zufriedenstellend aufzuarbeiten. Gleiches gilt für die im Entlassungsbericht vom 9. November 2017 getroffene Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung, die nach Ansicht des Sachverständigen Dr. med. H. im Falle der Klägerin ohne konkrete Benennung traumatischer Ereignisse in keiner Weise haltbar und umso weniger plausibel ist, als bereits im Entlassungsbericht vom 13. Februar 2017 lediglich eine sonstige Reaktion auf schwere Belastung (ICD 10: D43.8) - allerdings bezeichnet als „Traumafolgestörung; unverändert“ - diagnostiziert worden war. Da eine dauerhafte Traumafolgestörung jedoch nicht erkennbar ist, ist die Stigmatisierung mit der Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung weder belegbar noch nachvollziehbar.
Nach alledem können keine Zweifel an der Richtigkeit der vom äußerst erfahrenen und langjährig tätigen Sachverständigen Dr. med. H. getroffenen Feststellungen und Beurteilungen bestehen. Kann der Klägerin demnach die Eignung für die Tätigkeit als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin nicht abgesprochen werden, ist die Beklagte bei der Ausübung ihres Auswahlermessens von unzutreffenden Grundlagen ausgegangen, indem sie die Klägerin von vornherein als ungeeignet für den Beruf als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin angesehen hat.
Das der Beklagten grundsätzlich zustehende Auswahlermessen (§ 13 SGB VI) ist im konkreten Einzelfall auf Null reduziert. Aus der Verpflichtung zur Beachtung der Erfolgsaussichten sowie aus der Zielvorgabe einer dauerhaften Eingliederung folgt, dass bei mehreren möglichen Leistungen diejenige zu wählen ist, welche die größte Wahrscheinlichkeit der dauerhaften Eingliederung bietet. Hierbei sind die Neigungen und Wünsche des Rehabilitanden angemessen zu berücksichtigen. Durch den Berufswunsch wird die Motivation des behinderten Menschen und damit die Erfolgsaussicht der Wiedereingliederung entscheidend beeinflusst. Überragende Zielbestimmung der Leistungen zur Teilhabe nach dem SGB IX ist die Förderung der Selbstbestimmung, Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Eine wesentliche Ausprägung dieser Zielsetzung ist die besondere Hervorhebung der Wunsch- und Wahlrechte der Leistungsberechtigten (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 1. September 2011, L 1 AL 65/10 - juris Rdnr. 38), denen auch vor dem Hintergrund der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) besondere Bedeutung zukommt. Dies gilt in besonderem Maße, wenn sich die Neigung bereits - wie hier - zu einer entschiedenen Berufswahl verdichtet hat (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juli 1991, 9b/7 RAr 142/89 = SozR 3-4100 § 56 Nr. 3). Hat der Rehabilitationsträger in nicht sachgerechter Weise über die begehrte Leistung entschieden, können an dessen Stelle die Betroffenen den sonst der Behörde zustehenden nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Ermessensspielraum für sich beanspruchen (vgl. Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, Stand: 11.09.2017, § 15 SGB IX Rdnr. 32 m.w.N.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Juli 2014, L 11 R 2652/13 - juris Rdnr. 33 m.w.N.; so auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 27. Oktober 2015, L 7 R 43/14 - juris Rdnr. 39; BSG, Urteil vom 19. März 1980, 4 RJ 89/79 - juris Rdnr. 21; für das Jugendhilferecht: BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2012, 5 C 21/11 = BeckRS 2013, 45836). In diesen Fällen kann sich der Rehabilitationsträger nicht auf einen - zu seinen Gunsten - bestehenden Ermessensspielraum berufen. Das Ermessen verengt sich in Richtung auf die gewählte Maßnahme. Das ist nach Ansicht des Senats schon deshalb geboten, weil andernfalls das Fehlverhalten des Rehabilitationsträgers zu Lasten des behinderten Menschen gehen würde, der letztlich das Risiko tragen würde, trotz vorangegangener rechtswidriger Leistungsablehnung die Rehabilitationskosten tragen zu müssen. Der Kostenerstattungsanspruch des § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX - und damit auch eine möglichst rasche Rehabilitation - liefe so faktisch ins Leere (aA: LSG Hamburg, Urteil vom 21. Januar 2015, L 2 AL 37/12, info also 2015, S. 247 mit kritischer Anmerkung von Bienert, a.a.O., S. 249 <250/251>).
Vorliegend hat die Klägerin eine geeignete Maßnahme begonnen, der eine rechtswidrige behördliche Ablehnung vorausging. Die Beklagte hat die Maßnahme mit den unzutreffenden Begründungen abgelehnt, dass die Klägerin hierfür gesundheitlich nicht geeignet sei und die begehrte Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin wegen Überschreitens der Förderungshöchstdauer des § 37 Abs. 2 SGB IX von vornherein nicht als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt werden könne. Weitere Erwägungen, die dem Eingliederungsziel entgegenstehen könnten, hat die Beklagte nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich geworden. In Anbetracht dessen kann sich die Beklagte nicht darauf stützen, dass noch andere Möglichkeiten der Wiedereingliederung denkbar seien. In der vorliegenden Ausnahmekonstellation verdichtet sich das Ermessen auf die allein rechtmäßige Förderung der Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin.
Ebenso wenig kann sich die Beklagte im Übrigen darauf berufen, dass ihr die Klägerin keine Frist gesetzt, sondern stattdessen unvermittelt die Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmtrainerin begonnen habe. Denn der Erstattungsanspruch wegen einer zu Unrecht abgelehnten Leistung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX setzt eine irgendwie geartete Fristsetzung des Rehabilitanden gerade nicht voraus.
Im Ergebnis bedeutet das, dass die Beklagte der Klägerin die Kosten zu erstatten hat, die im Zusammenhang mit der Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin angefallen sind. Der Kostenerstattungsanspruch als solcher ist jedoch auf diejenigen Ausbildungskosten beschränkt, die von der Klägerin bereits tatsächlich bezahlt worden sind. Jene Kosten belaufen sich auf 8.074,78 €, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubwürdig und von der Beklagten unwidersprochen dargelegt hat. An der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln, bestand daher für den Senat kein Anlass. Der Erstattungsbetrag setzt sich zusammen aus dem Schulgeld in Höhe von monatlich 218 €, das die Klägerin bereits seit August 2018 an den Träger der Schule E. in A-Stadt gezahlt hat (insgesamt 7.848 € <36 x 218 €>), der Aufnahmegebühr von 130 € sowie Kopierkosten von 96,78 € (77 € + 19,78 €). Nicht zu erstatten sind der Klägerin hingegen die ebenfalls von ihr aufgewendeten Kosten für den Erwerb von Büchern (46 €), die sie zunächst geliehen hatte. Denn der Erwerb dieser Bücher offenkundig zum Ende oder gar erst nach Abschluss der Ausbildung diente nicht mehr überwiegend der Ausbildung der Klägerin, sondern allenfalls ihrer künftigen beruflichen Tätigkeit, sodass es sich hierbei nicht um erstattungsfähige Ausbildungskosten handeln kann. Aber auch sonst steht der Klägerin ein weitergehender Erstattungsanspruch nicht zu. Dass sie im Zusammenhang mit ihrer Ausbildung weitere Kosten tatsächlich verauslagt haben könnte, war der Klägerin anlässlich ihrer informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung durch den Senat nicht erinnerlich und ist auch sonst nicht ersichtlich geworden.
In Höhe von 7.414,22 € ist die Klägerin hingegen von ihren Zahlungsverpflichtungen, die sie zwecks ihrer Ausbildung eingegangen ist, von der Beklagten freizustellen. Hat nämlich der Versicherte sich die Leistung bereits beschafft, aber noch nicht bezahlt, geht sein Anspruch aus § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX statt auf Erstattung der Aufwendungen auf die Freistellung von der Forderung (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Februar 2012, L 8 R 910/11 - juris Rdnr. 21 m.w.N.). Vorliegend ist die Klägerin aufgrund des mit dem Schulträger geschlossenen Ausbildungsvertrags vom 4./5. Juli 2021 nebst Zahlungs-/Stundungsvereinbarung noch Zahlungsverpflichtungen in Höhe von mindestens 7.675 € (36 x 200 € <gestundetes Schulgeld>/475 € <einmalige Prüfungsgebühr>) ausgesetzt, von denen sie allerdings durch die Beklagte nicht in voller Höhe freizustellen ist. Das beruht auf § 123 SGG, wonach das Gericht dem Kläger nicht mehr zusprechen kann als von ihm beantragt worden ist. Deshalb beläuft sich vorliegend der Freistellungsanspruch der Klägerin auf lediglich 7.414,22 € (15.489 € ./. 8.074,78 €).
Zweifel daran, dass der Klägerin die Kosten in Form des Schulgeldes tatsächlich nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe entstanden sein könnten, haben sich für den Senat nicht ergeben und sind auch von der Beklagten nicht gehegt worden. Insbesondere profitiert die Klägerin nicht von der zwischenzeitlich in Kraft getretenen Schulgeldfreiheit, weil sie ihre Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin vor dem 1. Januar 2019 aufgenommen hatte (vgl. § 8 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 Niedersächsisches Gesundheitsfachberufegesetz <NGesFBG> vom 15. September 2016 <Nds. GVBl. 2016, S. 208> in der Fassung des Gesetzes vom 17. Dezember 2019 <Nds. GVBl. 2019, S. 418>; § 1 Abs. 1 Niedersächsische Verordnung zur Förderung von Schulen in freier Trägerschaft für Gesundheitsfachberufe sowie für Atem-, Sprech- und Stimmlehrerinnen und Atem-, Sprech- und Stimmlehrer <NGesFBFöVO> vom 14. Januar 2020 <Nds. GVBl. 2020, S. 2>).
Nach alledem konnte die Berufung der Beklagten nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin nur zu einem geringen Teil mit ihrem Begehren nicht durchgedrungen ist.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind. Vor allem eine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) vermag der Senat nicht zu erkennen. Diesem Zulassungsgrund steht bereits entgegen, dass vorliegend über eine Ausnahmekonstellation zu entscheiden war. Im Übrigen hat auch die Beklagte ihren hilfsweise gestellten Revisionszulassungsantrag nicht näher begründet.