L 3 SB 4046/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 1007/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 4046/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 24.11.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF (Rundfunkbeitragsermäßigung und Sozialtarif für Telefonanschlüsse) streitig.

Bei dem 1958 geborenen Kläger hatte der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 04.07.2016 seit dem 28.08.2015 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 und das Merkzeichen G festgestellt. Dem lag nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Dr. S vom 28.06.2016 die Berücksichtigung folgender Funktionseinschränkungen zugrunde: Diabetes mellitus (Einzel-GdB 40); Bandscheibenschaden, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (Einzel-GdB 30); Funktionsbehinderung des rechten Handgelenks, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke (Einzel-GdB 20); Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Polyneuropathie (Einzel-GdB 30); Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit (Einzel-GdB 20); Kopfschmerzsyndrom, Einschlafstörungen, posttraumatische Belastungsstörung (Einzel-GdB 20); Gebrauchseinschränkung der linken Hand (Einzel-GdB 20); vermindertes Riechvermögen, Missempfinden am Kopf (Einzel-GdB 10).

Mit Neufeststellungsantrag vom 13.06.2019 beantragte der Kläger unter Berufung auf Diabetes, diabetische Polyneuropathie und Hörstörungen die Erhöhung des GdB und die Feststellung des Merkzeichens RF. Der Beklagte holte daraufhin den Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. W vom 08.07.2019 (insulinpflichtiger Diabetes mellitus, periphere arterielle Verschlusskrankheit <pAVK> IIb bis III, Tinnitus, Presbyakusis, Schlafapnoesyndrom, arterielle Hypertonie, diabetische Polyneuropathie, Gonarthrose) und das Tonaudiogramm des Facharztes für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. L vom 10.05.2019 ein. Zudem gelangte der Befundbericht der Fachärztin für Innere Medizin, Angiologie, Hämatologie und internistische Onkologie Dr. B vom 12.08.2019 zur Akte, die bei dem Kläger folgende Diagnosen gestellt hatte: pAVK IIb links, langstreckiger AFS-Verschluss links, echoreiche Aortensklerose, Arteriosklerose der Extremitätenarterien ohne hämodynamisch relevante Stenosen, insulinpflichtiger Diabetes mellitus II, arterieller Hypertonus, Z.n. Nikotinkonsum bis vor 7 Jahren.

In ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.10.2019 bewertete Dr. S die Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Gesamt-GdB von 100 und legte dabei folgende Einzelbewertungen zugrunde:

  • Diabetes mellitus: Einzel-GdB 40
  • Bandscheibenschaden, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule: Einzel-GdB 30
  • Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit, Schlafapnoesyndrom: Einzel-GdB 30
  • Schwerhörigkeit: Einzel-GdB 30
  • Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Polyneuropathie: Einzel-GdB 30
  • Kopfschmerzsyndrom, Einschlafstörungen, posttraumatische Belastungsstörung: Einzel-GdB 20 
  • Gebrauchseinschränkung der linken Hand: Einzel-GdB 20
  • Funktionsbehinderung des rechten Handgelenks, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke: Einzel-GdB 20
  • vermindertes Riechvermögen, Missempfinden am Kopf: Einzel-GdB 10

Das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens RF verneinte Dr. S.

Daraufhin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 09.10.2019 das Vorliegen eines GdB von 100 seit dem 13.06.2019 und die Beibehaltung des Merkzeichens G fest und lehnte die Feststellung des Merkzeichens RF ab.

Zur Begründung seines hiergegen am 06.11.2019 erhobenen Widerspruchs führte der Kläger aus, er erfülle die Voraussetzungen des Merkzeichens RF, weil bei ihm nicht nur vorübergehend ein GdB von 80 festgestellt sei und er deshalb ständig nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Insbesondere wegen des Kopfschmerzsyndroms sowie wegen der posttraumatischen Belastungsstörung sei er an seine Wohnung gebunden. Zudem sei seine Gehstrecke aufgrund zahlreicher Funktionseinschränkungen stark beeinträchtigt, was ihm zusätzlich den Besuch von Veranstaltungen erschwere.

Gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Versorgungsärztin A vom 05.12.2019, derzufolge der Kläger in zumutbarer Weise gelegentlich und unter Ausnutzung des Merkzeichens G an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne, wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2020 zurück.

Der Kläger hat hiergegen am 22.04.2020 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und die Feststellung des Merkzeichens RF begehrt. Ergänzend und vertiefend zu seinem Widerspruchsvorbringen hat er ausgeführt, aufgrund seiner Multimorbidität könne er ständig nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass er schwerhörig sei und eine Schwerhörigkeit auch zur Bejahung des Merkzeichens RF führen könne.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.

Dr. L hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 22.06.2020 unter Beifügung des Tonaudiogramms vom 10.05.2019 und des Sprachaudiogramms vom 25.06.2019 angegeben, bei dem Kläger bestünden eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts und eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit links, weswegen er im Rahmen der letzten Vorstellung am 25.06.2019 beidseitig Hörgeräte verordnet habe. Zudem bestehe beim Kläger ein nicht ständig vorhandener und nur gelegentlich störender Tinnitus rechts. Die Innenohrschwerhörigkeit, die er mit einem GdB von 30 bewerte, sei mit moderner Hörgeräteversorgung sehr gut auszugleichen und erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Ermäßigung des Rundfunkbeitrags. Es bestehe weder eine mit einem GdB von 50 zu bewertende, beidseitige hochgradige Schwerhörigkeit noch eine Gehörlosigkeit.

Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 22.06.2020 angegeben, der Kläger leide unter einem posttraumatischen Kopfschmerzsyndrom und einer rezidivierenden depressiven Störung sowie nebenbefundlich unter einer pAVK und einer diabetischen Polyneuropathie. Zu den Voraussetzungen des Merkzeichens RF hat Dr. N angegeben, der Kläger müsse aufgrund schmerzender Beine alle 200 m stehen bleiben. Er könne aufgrund seiner Leiden an öffentlichen Veranstaltungen – auch mit Hilfe von Begleitpersonen oder technischen Hilfsmitteln – nicht teilnehmen.

Dr. W hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 14.08.2020 unter Beifügung diverser ärztlicher Unterlagen angegeben, die jenseits des von ihm nicht beurteilbaren neurologisch/psychiatrischen Fachgebiets bestehenden Gesundheitsstörungen rechtfertigten es nicht, dass der Kläger keine öffentliche Veranstaltung mehr besuchen könne. Trotz Schwerbehinderung mit Polyneuropathie, Innenohrschwerhörigkeit, Presbyopie, Gehbehinderung bei pAVk IIb und insulinpflichtigem Diabetes mellitus sollte es möglich sein, mit einem Taxi zum Veranstaltungsort zu fahren und diese Veranstaltung zu besuchen.

Mit Gerichtsbescheid vom 24.11.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens RF. Er erfülle offenkundig nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Nr. 1 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV). Ebenso wenig seien die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Nr. 2 RBStV erfüllt, nachdem Dr. L nachvollziehbar ausgeführt habe, dass die beim Kläger bestehende Schwerhörigkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht entgegenstehe. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Nr. 3 RBStV seien nicht erfüllt: Aus der sachverständigen Zeugenaussage des Dr. W ergebe sich, dass beim Kläger aus körperlicher bzw. somatischer Sicht keinerlei Gesundheitsstörungen vorlägen, die seine Fähigkeit, öffentliche Veranstaltungen aufzusuchen und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen, dauerhaft aufheben würden. Ebenso wenig begründeten das vom Kläger angeführte Kopfschmerzsyndrom und die posttraumatische Belastungsstörung die Voraussetzungen des Merkzeichens RF, nachdem Dr. N keine Befunde mitgeteilt habe, die einen Ausschlussgrund für die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen darstellten.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17.12.2020 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat er insbesondere vorgetragen, es sei unzutreffend, wenn das SG davon ausgehe, dass er trotz des Kopfschmerzsyndroms an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Darüber hinaus müsse beachtet werden, dass er an zahlreichen weiteren Gesundheitsstörungen leide, welche seine Fähigkeit, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, negativ beeinflussten. In diesem Sinne habe Dr. N eindeutig die Meinung geäußert, dass für ihn eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht möglich sei. Auch Dr. W habe das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens RF nicht völlig ausgeschlossen. Dr. L habe sich lediglich auf die Schwerhörigkeit bezogen und keine Ausführungen zum psychischen Zustand gemacht.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 24.11.2020 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 09.10.2019 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 24.03.2020 zu verurteilen, ihm das Merkzeichen RF zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Berichterstatterin hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten in der nichtöffentlichen Sitzung vom 25.05.2021 erörtert. In diesem Rahmen hat der Kläger vorgetragen, er wohne in einer Zwei-Zimmer-Wohnung und gehe selbständig einkaufen und zum Arzt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, nachdem die Beteiligten dazu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 SGG), ist nicht begründet.

1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 24.11.2020 sowie der Bescheid des Beklagten vom 09.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2020. Das vom Kläger verfolgte prozessuale Ziel, die Verurteilung des Beklagten, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF festzustellen, verfolgt der Kläger statthafterweise im Wege der auch im Übrigen zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG.

2. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF.

a) Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF ist zunächst § 2 Abs. 1 und 2 SGB IX in Verbindung mit § 152 Abs. 4 und 5 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind Menschen im Sinne des Teils 3 des SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX haben. Nach § 152 Abs. 4 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung treffen die zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen. Nach § 152 Abs. 5 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung stellen auf Antrag des behinderten Menschen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus.

Zu diesen Merkmalen gehört das Merkzeichen RF, das nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) in Verbindung mit § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung in den Schwerbehindertenausweis einzutragen ist, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt.

Landesrechtlich maßgeblich ist vorliegend der RBStV vom 15.12.2010, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl. S. 477 ff.) zum 01.01.2013 in Kraft getreten ist. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung vom Rundfunkbeitrag mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge auf ein Drittel ermäßigt. Auf diese Ermäßigung haben folgende Personengruppen einen Anspruch:

  • blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von (wenigstens) 60 allein wegen der Sehbehinderung (Nr. 1),
  • hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist (Nr. 2), oder
  • behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (Nr. 3).

b) Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF.

aa) Der Kläger ist weder blind noch vorübergehend sehbehindert i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 RBStV.

bb) Er gehört auch nicht zu den hörgeschädigten Menschen i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 RBStV. Dies entnimmt der Senat der sachverständigen Zeugenaussage des Dr. L vom 22.06.2020. Hiernach besteht beim Kläger eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts und eine hochgradige Schwerhörigkeit links, die mittels moderner Hörgeräteversorgung sehr gut auszugleichen ist. Er ist damit weder gehörlos, noch gehört er angesichts des sehr gut möglichen Ausgleichs der Schwerhörigkeit durch Hörgeräteversorgung zu den Menschen, denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist.

cc) Ebensowenig liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 RBStV vor. Der Kläger gehört nicht zu den behinderten Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

(1) Bei dem Kläger besteht zwar nicht nur vorübergehend ein GdB von 100. Er ist aber nicht wegen seines Leidens ständig an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gehindert.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, derzufolge eine enge Auslegung der Gebührenermäßigungsvorschriften geboten ist (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 12.02.1997 – 9 RVs 2/96, juris Rn. 11 m.w.N.), liegt eine ständige Hinderung der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 RBStV vor, wenn der Schwerbehinderte allgemein und umfassend vom Besuch von Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art ausgeschlossen ist. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn der schwerbehinderte Mensch praktisch an das Haus gebunden ist und allenfalls an einer nicht nennenswerten Zahl von Veranstaltungen teilnehmen kann (BSG, Urteil vom 12.02.1997 – 9 RVs 2/96, juris Rn. 11). Solange allerdings der schwerbehinderte Mensch mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe von Begleitpersonen in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist er nicht von der Teilnahme am öffentlichen Geschehen ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 03.06.1987 – 9a RVs 27/85, juris Rn. 11). Da es sich zudem um einen behinderungsbedingten Hinderungsgrund handeln muss, genügen andere Hinderungsründe, wie z.B. solche, die in der Wohnlage oder der Witterung wurzeln, nicht (BSG, Urteil vom 03.06.1987 – 9a RVs 27/85, juris Rn. 11 f.).

(2) Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Er ist nicht aus behinderungsbedingten Gründen praktisch an sein Haus gebunden.

(a) In somatischer Hinsicht liegen keine Gesundheitsstörungen vor, die ihn praktisch an sein Haus binden. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die von Dr. B im Arztbrief vom 12.08.2019 aufgeführten Gesundheitsstörungen diabetische Polyneuropathie, pAVK Stadium IIb, langstreckiger AFS-Verschluss, echoreiche Aortensklerose und Arteriosklerose der Extremitätenarterien. Zwar schränken diese Gesundheitsstörungen die Gehfähigkeit des Klägers ausweislich der Angaben der Dr. B vom 12.08.2019 erheblich ein. Eine praktische Bindung an sein Haus folgt hieraus allerdings nicht. Dies ergibt sich einerseits bereits aus dem Umstand, dass der Kläger im Rahmen der nichtöffentlichen Sitzung vom 25.05.2021 angegeben hat, Einkäufe selbstständig durchzuführen. Hieraus schließt der Senat, dass der Kläger seine Wohnung selbständig verlassen kann und damit nicht aus behinderungsbedingten Gründen an seine Wohnung gebunden ist. Andererseits lässt sich eine behinderungsbedingte Reduzierung der Gehstrecke durch Hilfsmittel wie einen Rollstuhl und ggfs. durch Begleitpersonen ausgleichen, weshalb er auch unter diesem Gesichtspunkt nicht von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist.

Soweit Dr. N die Fähigkeit des Klägers zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen verneint hat und diese Aussage vor dem Kontext der diabetischen Polyneuropathie und der pAVK und der hiermit verbundenen eingeschränkten Gehfähigkeit getroffen hat, ist diese Einschätzung aus den oben dargestellten Gründen nicht schlüssig und vermag keine praktische Bindung an das Haus zu begründen. Der Einschränkung des Gehvermögens wird vielmehr durch das Merkzeichen G, dessen Voraussetzungen beim Kläger mit Bescheid vom 04.07.2016 zuerkannt worden sind, Rechnung getragen.

Auch die übrigen somatischen Beschwerden in Gestalt von insbesondere Diabetes, chronischer Bronchitis, arterieller Hypertonie, Gonarthrose, Schultergelenks-, Handgelenks- und Wirbelsäulenbeschwerden sowie Presbyopie begründen – wie Dr. W nachvollziehbar und in jeder Hinsicht überzeugend ausgeführt hat – keine praktische Bindung des Klägers an seine Wohnung, was sich auch rein tatsächlich daraus ergibt, dass der Kläger, wie bereits ausgeführt, selbständig Einkäufe erledigen kann.

(b) Der Kläger leidet auch nicht unter psychischen Erkrankungen, die ihn von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausschließen. In psychischer Hinsicht besteht bei ihm neben dem posttraumatischen Kopfschmerzsyndrom eine rezidivierende depressive Störung. Dies entnimmt der Senat der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. N. Diese Gesundheitsstörungen haben keine derartige Intensität, dass sie den Kläger praktisch an sein Haus binden, was sich bereits aus dem von Dr. N mitgeteilten psychischen Befund ergibt. Hiernach ist der Kläger wach und allseits orientiert, hat keine formalen oder inhaltlichen Denkstörungen und hat nur leichte Konzentrationsstörungen. Die Stimmung ist schwankend, teils gedrückt, der Antrieb ist herabgesetzt. Kognitiv-mnestische Defizite bestehen nicht. Anhand dieses Befundes lassen sich keine schwergradigen psychischen Einschränkungen feststellen, was zur Überzeugung des Senats auch durch die niederfrequente Behandlungsintensität mit Konsultationen im drei- bis sechsmonatigen Abstand belegt wird. Eine in den versorgungsmedizinischen Stellungnahmen aufgeführte posttraumatische Belastungsstörung hat Dr. N nicht diagnostiziert, was anhand des mitgeteilten Befundes auch ohne weiteres nachvollziehbar ist. Insgesamt lässt sich damit eine Bindung an das eigene Haus aufgrund psychischer Erkrankungen nicht feststellen. Soweit der Kläger angegeben hat, aufgrund des Kopfschmerzsyndroms nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen zu können, ist dies angesichts des Umstandes, dass er sich selbst versorgen und einkaufen gehen kann, nicht nachvollziehbar und wird auch von Dr. N so nicht bestätigt. Seine Aussage hat Dr. N, wie bereits ausgeführt, vor dem Hintergrund der insoweit irrelevanten eingeschränkten Gehfähigkeit getroffen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

4. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist

Rechtskraft
Aus
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