L 3 SB 2581/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 3605/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2581/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.07.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung seines Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 40.

Der 1965 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz in F. Er ist Angestellter der Firma (Fa.) H D AG und ist dort als Verkaufsberater im Außendienst im Großraum L/F tätig.

Der Beklagte hatte bei ihm zuletzt mit Teil-Abhilfebescheid vom 28.10.2014 einen GdB von 50 seit dem 30.12.2013 festgestellt. Dem lag die Stellungnahme des Versorgungsarztes Dr. A vom 06.10.2014 zugrunde, wonach beim Kläger folgende Funktionseinschränkungen bestanden:

  • chronisches Schmerzsyndrom, seelische Störung, depressive Verstimmung: Einzel-GdB 40
  • Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks: Einzel-GdB 20
  • Folgen einer Augenmuskelkontusion: Einzel-GdB 10

Grundlage der Stellungnahme waren der Befundbericht des Facharztes für Orthopädie Dr. E vom 16.09.2014 (Diagnosen: hochgradige Varusgonarthrose links, Retropatellararthrose links, beginnende bis mittelgradige Gonarthrose rechts, Chondrokalzinose beidseits), der Befundbericht der Fachärztin für Psychiatrie Dr. B vom 13.05.2014 (Diagnosen: schwere posttraumatische Belastungsstörung [PTBS], Konversionssymptomatik mit chronischen Schmerzen, depressive Reaktion, Persönlichkeit mit narzisstischen und zwanghaften Zügen), der Entlassungsbericht des Dr. B1, E-Klinik, Klinik für Psychosomatische Medizin, vom 04.12.2013 über eine vom 24.10.2013 bis zum 28.11.2013 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme (Diagnosen: sonstige Reaktion auf schwere Belastung, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren) sowie das im Auftrag der AXA-Versicherung AG erstellte Gutachten des Prof. Dr. K, S-B-Klinikum, Klinik für Neurologie, vom 23.06.2010, wonach der Kläger im Begutachtungszeitpunkt (Tag der Untersuchung am 23.06.2010) als Folgen eines am 05.08.2007 erlittenen Motorradunfalls noch unter einer latenten Abduzensparese rechts mit frontalem Kopfschmerz rechts, Taumeligkeit und Schwindel gelitten habe und beim Blick nach rechts latent ein Verschwommensehen und Doppelbilder bestünden.

Den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 23.03.2016, seinen GdB wegen der Folgen einer Schulterverletzung zu erhöhen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.06.2016 ab.

Im Oktober 2017 leitete der Beklagte ein Überprüfungsverfahren ein und holte den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin und Anästhesiologie Dr. W vom 15.12.2017 ein, demzufolge der Kläger unter einer Funktionsbeeinträchtigung der Kniegelenke mit einer auf 90° eingeschränkten Flexion leide. In Bezug auf den psychischen Gesundheitszustand führte Dr. W aus, typische Symptome einer Depression seien nicht erkennbar. Es erfolgten weder eine medikamentöse noch eine psychotherapeutische Therapie. Ein chronisches Schmerzsyndrom liege per definitionem nicht vor. Seinem Bericht fügte er den Operationsbericht des Prof. Dr. S, B-K-Krankenhaus, W1, Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Kindertraumatologie, über eine am 30.01.2015 durchgeführte diagnostische Arthroskopie des linken Schultergelenks, Tenotomie der langen Bizepssehne und Mini-Open-Repair der Rotatorenmanschette und den Entlassungsbericht des Prof. Dr. S vom 01.02.2015 (Diagnose: Rotatorenmanschettenruptur links) bei.

Nachdem Dr. K in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 31.01.2018 unter Berücksichtigung der Funktionseinschränkungen

  • seelische Störung, depressive Verstimmung: Einzel-GdB 20
  • Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks: Einzel-GdB 20
  • Folgen einer Augenmuskelkontusion: Einzel-GdB 10
  • Funktionsbehinderung beider Schultergelenke: Einzel-GdB 10

im Hinblick auf eine eingetretene wesentliche Besserung des psychischen Gesundheitszustandes eine Herabsetzung des Gesamt-GdB von 50 auf 30 empfohlen hatte, hörte der Beklage den Kläger zu der beabsichtigten Herabsetzung mit Schreiben vom 12.03.2018 an.

Der beabsichtigten Herabsetzung trat der Kläger mit Email vom 01.04.2018 entgegen und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, er leide unter immerwährenden Schmerzen. Auch sei eine Herabsetzung des GdB angesichts seiner Schulterbeschwerden nicht verständlich.

Nach Einholung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. E1 vom 09.05.2018, der sich der Bewertung von Dr. K anschloss, setzte der Beklagte den GdB mit Bescheid vom 30.05.2018 ab dem 02.06.2018 von 50 auf 30 herab.

Hiergegen erhob der Kläger am 22.07.2018 Widerspruch. Auf Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. A vom 02.10.2018, der bei im Übrigen unveränderter Bewertung der Funktionseinschränkungen die Funktionsbehinderung beider Schultergelenke mit einem GdB von 20 bewertete und die Feststellung eines Gesamt-GdB von 40 empfahl, erließ der Beklagte den Teil-Abhilfebescheid vom 11.03.2019, mit welchem er den GdB ab 02.06.2018 auf 40 herabsetzte. Den weitergehenden Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.2019 zurück.

Zur Begründung seiner deswegen am 16.08.2019 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, sein Gesundheitszustand habe sich im Hinblick auf die Sehnenruptur in der linken Schulter verschlechtert. Zudem hat er die Empfehlung für eine stationäre Rehabilitationsbehandlung und eine ambulante Psychotherapie der Dipl. Psych. G vom 18.07.2019, den Befundbericht des Facharztes für Orthopädie Prof. Dr. O vom 13.09.2019 (Diagnosen: mediale Gonarthrose beider Kniegelenke, Verdacht auf Chondrom Knie rechts), den Befundbericht des Prof. Dr. H1, Universitätsklinikum F1, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, vom 23.09.2019 (Diagnosen: bildmorphologisch i. e. L. noduläre Synovitis im Sinne einer lokalisierten PVNS Kniegelenk rechts, intraossäres Ganglion Tibiakopf, VKB ansatznah) und eine Versichertenauskunft der mhplus Krankenkasse über die Zeit vom 01.01.2009 bis zum 24.09.2019 vorgelegt.

Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen.

Dipl. Psych. G, die den Kläger einmalig am 18.07.2019 behandelt hatte, hat unter dem 25.11.2019 angegeben, sie habe eine Neurasthenie diagnostiziert. Zudem habe der Verdacht auf eine PTBS bestanden.

Dr. W hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 04.12.2019 angegeben, die Schulter- und Kniegelenksbeschwerden hätten sich nicht verbessert, vielmehr hätten die Knorpelschäden in den letzten beiden Jahren zugenommen, worin eine „berechtigte Erhöhung“ des GdB liege. Symptome einer Depression seien ihm nicht ersichtlich gewesen. Seiner Aussage hat er neben bereits aktenkundigen Befundberichten den Bericht des Facharztes für Nuklearmedizin Dr. G1 vom 23.12.2014 über eine am 14.12.2014 durchgeführte MRT-Untersuchung der linken Schulter (Befund: komplette Ruptur der Supraspinatussehne, Luxation der langen Bizepssehne) und den Befundbericht des Facharztes für Orthopädie Dr. E vom 29.07.2014 (Diagnosen: schwere Gonarthrose links medial, mittelgradige Gonarthrose rechts, Chondrokalzinose der Kniegelenke beidseitig) beigefügt.

Prof. Dr. H1 hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 13.12.2019 unter anderem den Befundbericht des Orthopäden Prof. Dr. O vom 13.09.2019 vorgelegt und angegeben, er habe den Kläger von September 2019 bis November 2019 behandelt. Für das rechte Knie hat er den GdB auf 10 bis maximal 20 geschätzt.

Die Fachärztin für Reha-Medizin Dr. M hat unter dem 13.12.2019 angegeben, eine Behandlung des Klägers wegen der Kniegelenksbeschwerden habe am 10.09.2019 stattgefunden. Sie teile die Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienstes.

Der Beklagte ist der Klage unter Vorlage der Stellungnahme der Versorgungsärztin G2 vom 09.03.2020, die nach Auswertung der sachverständigen Zeugenaussagen die Funktionseinschränkungen mit einem Gesamt-GdB von 40 für zutreffend bewertet angesehen hat, entgegengetreten.

Das SG hat eine weitere sachverständige Zeugenaussage des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H2 vom 22.04.2020 eingeholt, der den Kläger am 14.01.2020 und am 18.02.2020 behandelt und eine rezidivierende depressive Störung diagnostiziert hat. Dieser hat angegeben, er teile die Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes hinsichtlich der Bewertung der seelischen Störung mit einem GdB von 20.

Nach Anhörung der Beteiligten zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.07.2020 abgewiesen. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Herabsetzungsentscheidung sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 11.06.2019. Es sei eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten, weil sich der Gesundheitszustand des Klägers verbessert habe. Die bei dem Kläger im maßgeblichen Zeitraum vorliegenden psychischen Beeinträchtigungen seien nach Besserung nur noch als leichtere psychische Störungen zu qualifizieren. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Befundbericht des Dr. W vom 15.12.2017, wonach zu diesem Zeitpunkt weder eine medikamentöse, noch eine psychotherapeutische Behandlung erforderlich gewesen sei. Auch in der darauffolgenden Zeit sei eine regelmäßige psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung nicht dokumentiert. Hinsichtlich des Funktionssystems „Beine“ sei für den streitgegenständlichen Zeitraum gestützt auf die sachverständige Zeugenaussage insbesondere des Prof. Dr. H1 und den Befundbericht des Dr. E ein Einzel-GdB von 20 angemessen. Der Einzel-GdB von für das Funktionssystem „Arme“ sei unter Zugrundelegung des Befundberichts des Prof. Dr. S ausreichend. Die Funktionseinschränkungen im Funktionssystem „Augen“ habe der Beklagte im Hinblick auf das Gutachten des Prof. Dr. K zutreffend mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet. Den Gesamt-GdB habe der Beklagte zutreffend mit 40 gebildet.

Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid am 17.08.2020 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und zur Begründung vorgetragen, eine Besserung seiner psychischen Beschwerden sei nicht eingetreten. Er leide auch weiterhin unter starken Schmerzen. Zudem habe der Beklagte seine orthopädischen Beschwerden nicht ausreichend berücksichtigt. Zur weiteren Begründung hat er den Entlassbericht des Dr. H3, Kreiskrankenhaus L, Unfallchirurgie, vom 07.08.2020 über eine vom 12.06.2020 bis zum 07.08.2020 erfolgte stationäre Behandlung (Diagnosen: dislozierte, mehrfragmentäre Tibiakopffraktur rechts, postoperativer, implantatassoziierter Wundinfekt, fissurale Fraktur des Taluskopfes rechts, commotio cerebri, leichte postoperative Blutungsanämie, postoperative Anpassungs-/Belastungsreaktion bei komplikativem Verlauf) sowie die OP-Berichte des Kreiskrankenhauses L vom 12.06.2020, vom 18.06.2020, vom 29.06.2020, vom 09.07.2020, vom 13.07.2020, vom 18.07.2020 und vom 23.07.2020.

Zudem hat der Kläger am 25.11.2020 ein Schreiben der R+V Allgemeine Versicherung AG vom 10.11.2020, eine Unfallanzeige der Fa. H D AG über ein am 06.05.2019 eingetretenes Unfallereignis, bei dem der Kläger auf einem Kanalgitter ausgerutscht und umgeknickt sei und sich am rechten Knie und an der rechten Schulter verletzt habe, eine Verordnung von Krankengymnastik des Dr. C vom 24.06.2019 wegen der Diagnosen „chronische Instabilität des Kniegelenks: vorderes Kreuzband oder Vorderhorn des Innenmeniskus rechts“ sowie eine Bescheinigung des Dr. W vom 29.10.2020 (Diagnosen: chronische Instabilität Knie, Kreuzband, Meniskus) vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.07.2020 sowie den Bescheid vom 30.05.2018 in der Fassung des Teil-Abhilfebescheides vom 11.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2919 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte hält den angegriffenen Gerichtsbescheid des SG für zutreffend. Entgegen der Auffassung des Klägers sei nach den aktenkundigen Berichten eine wesentliche Besserung der psychischen Leiden eingetreten. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt sei der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Eventuell nachträglich eingetretene Änderungen des Gesundheitszustandes könnten im Berufungsverfahren keine Berücksichtigung finden.

Die Berichterstatterin hat mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage in der nichtöffentlichen Sitzung vom 25.05.2021 erörtert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, nachdem die Beteiligten dazu schriftlich ihr Einverständnis erklärt haben (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 SGG), ist unbegründet.

1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 30.07.2020 und der Teil-Abhilfebescheid des Beklagten vom 11.03.2019, mit dem der Beklagte dem Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 30.05.2018 teilweise abgeholfen und den GdB ab dem 02.06.2018 von 50 auf 40 herabgesetzt hat, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2019. Nicht Verfahrensgegenstand ist der Bescheid vom 30.05.2018, da dieser sich durch den Erlass des Teil-Abhilfebescheides vom 11.03.2019 gem. § 39 Abs. 2 SGB X erledigt hat.

2. Zu Recht hat das SG die Klage als zulässig angesehen. Insbesondere hat der in Frankreich lebende Kläger die den Widerspruchsbescheid vom 11.06.2019 betreffende, am 16.08.2019 erhobene, als reine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG statthafte Klage innerhalb der Klagefrist des § 87 Abs. 1 Satz 3 SGG erhoben, die aufgrund der Auslandsbekanntgabe drei Monate betragen hat.

3. Die Klage ist unbegründet. Der Teil-Abhilfebescheid des Beklagten vom 11.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2019 ist rechtmäßig.

a) Die Herabsetzungsentscheidung ist, nachdem die gem. § 24 Abs. 1 SGB X erforderliche Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 12.03.2018 erfolgt ist, formell rechtmäßig.

b) Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.

aa) Ermächtigungsgrundlage für die Herabsetzungsentscheidung des Beklagten ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 2 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist bei einer Änderung im Gesundheitszustand auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, während das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 11.11.2004 – B 9 SB 1/03 R, juris Rn. 12).

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Herabsetzungsentscheidung bei der hier statthaften reinen Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG ist maßgeblich, ob der Herabsetzungsentscheidung bei ihrem Erlass der Sach- und Rechtslage entsprochen hat. Der Herabsetzungsbescheid ist dann rechtmäßig, wenn zum Zeitpunkt seines Erlasses der ursprüngliche Bescheid durch Änderung der Verhältnisse rechtswidrig geworden war. Hiernach sind die Verhältnisse, die dem Erlass des Bescheides vom 28.10.2014 zugrunde gelegen haben, zu vergleichen mit den Verhältnissen, die bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens über die Herabsetzung (Widerspruchsbescheid vom 21.06.2019) vorgelegen haben (vgl. BSG, Beschluss vom 27.05.2020 – B 9 SB 67/19 B, juris Rn. 13). Änderungen der Sach- und Rechtslage im Verlauf des Gerichtsverfahrens beeinflussen die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Herabsetzungsbescheides nicht. Sie sind im Rahmen der Anfechtungsklage grundsätzlich unbeachtlich (vgl. BSG, Urteil vom 15.08.1996 – 9 RVs 10/94, juris Rn. 10).

Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX liegt eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie die Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden nach § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 6 SGB IX ist eine Feststellung nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.

Nach § 153 Abs. 2 SGB IX wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 241 Abs. 5 SGB IX, dass – soweit noch keine Verordnung nach § 153 Absatz 2 erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (AHP) getretene Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie die Gesetze vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) und 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R, juris).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R, juris). Nach den VG, Teil A Nr. 3 Buchst. c ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG, Teil A Nr. 3 Buchst. d, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG, Teil A Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.

Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Darüber hinaus sind vom Tatsachengericht die rechtlichen Vorgaben zu beachten. Rechtlicher Ausgangspunkt sind stets § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB IX; danach sind insbesondere die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft maßgebend (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R, juris).

bb) Der durch die Herabsetzungsentscheidung getroffenen Feststellung des GdB steht nicht entgegen, dass der Kläger seinen Wohnsitz in F hat. Denn bei behinderten Menschen mit Auslandswohnsitz ist auf Antrag der GdB festzustellen, wenn dem behinderten Menschen trotz seines ausländischen Wohnsitzes aus der Feststellung seines GdB in Deutschland konkrete Vorteile erwachsen können, die keinen Inlandswohnsitz voraussetzen (BSG, Urteil vom 05.07.2007 – B 9/9a SB 2/07 R, juris Rn. 20 ff.). Dies ist vorliegend zu bejahen, nachdem der Kläger Beschäftigter der Fa. H  D AG ist und die Beibehaltung eines GdB von 50 insbesondere zur Beibehaltung der mit einer Schwerbehinderung verbundenen arbeitsrechtlichen Vorteile (insbesondere Sonderkündigungsschutz und Zusatzurlaub) führt.

cc) Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze hat der Beklagte den Ausgangsbescheid vom 28.10.2014 zu Recht nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X teilweise aufgehoben. In den tatsächlichen Verhältnissen war eine wesentliche Änderung eingetreten. Die psychischen Funktionseinschränkungen haben sich gebessert und haben nicht mehr den Schweregrad einer stärker behindernden Störung mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit gehabt. Ab dem 02.06.2018 haben die funktionellen Beeinträchtigungen durch die bei Abschluss des Verwaltungsverfahren über die Herabsetzung (Widerspruchsbescheid vom 11.06.2019) bei dem Kläger noch bestehenden nachgewiesenen Gesundheitsstörungen keinen höheren Gesamt-GdB mehr als 40 bedingt, wie vom SG in seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt.

(1) Im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ ist im Vergleich zu der dem Bescheid vom 28.10.2014 zugrundeliegenden Sachlage eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung des Gesundheitszustandes eingetreten, die der Beklagte zutreffend mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet hat.

Nach den VG, Teil B Nr. 3.7 sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem GdB von 30 bis 40 sowie schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 80 bis 100 zu bewerten.

Der dem Bescheid vom 28.10.2014 zugrundeliegende Einzel-GdB von 40 für die Funktionsbeeinträchtigungen „chronisches Schmerzsyndrom, seelische Störung, depressive Verstimmung“ hat, wie sich aus der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. A vom 14.07.2014 ergibt, auf dem Bericht der Dr. B vom 13.05.2014 und auf dem Ärztlichen Entlassbericht des Dr. B1, E-klinik, vom 04.12.2013 beruht. Aus dem im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Bericht der Dr. B ergibt sich, dass sich der Kläger seit Mai 2012 bei ihr in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung wegen der Diagnosen „schwere posttraumatische Belastungsstörung, Konversionssymptomatik mit chronischen Schmerzen, depressive Reaktion und Persönlichkeit mit narzisstischen und zwanghaften Zügen“ befunden hat, was auch durch das vom Kläger vorgelegte Vorerkrankungsverzeichnis der mhplus-Krankenkasse bestätigt wird. Auf Befundebene haben damals Zeichen einer stärker behindernden seelischen Störung bestanden, nämlich ein Konzentrationsverlust, ein Verlust des Gedächtnisses, Ängste und permanente Schmerzen, was der Senat ebenfalls dem Bericht der Dr. B entnimmt. Dass zum damaligen Zeitpunkt eine stärker behindernde seelische Störung bestanden hat, entnimmt der Senat auch dem im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Entlassbericht des Dr. B1, E-klinik, wonach die Stimmungslage des Klägers damals depressiv bis verbittert und er nur eingeschränkt schwingungsfähig gewesen ist.

Zum Zeitpunkt der Herabsetzungsentscheidung zum 02.06.2018 hatten sich die auf psychischer Ebene bestehenden Funktionsstörungen wesentlich gebessert, was sich aus den bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens nachgewiesenen Gesundheitsstörungen ergibt. Dies entnimmt der Senat insbesondere dem im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Befundbericht des Dr. W vom 15.12.2017, wonach der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt zur Behandlung psychischer Beschwerden weder eine psychotherapeutische noch eine medikamentöse Therapie durchgeführt hat. Hieraus schließt der Senat, dass zu diesem Zeitpunkt beim Kläger in psychischer Hinsicht kein erheblicher Leidensdruck mehr bestanden und sich sein Zustand wesentlich gebessert hat. Dem entspricht es, dass für Dr. W „bei den gelegentlichen Kontakten“ keine typischen Symptome einer Depression mehr erkennbar gewesen sind, was er auch in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 04.12.2019 bestätigt hat. Eine stärker behindernde Störung mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit hat damit nicht mehr vorgelegen. Zudem hat Dr. W bestätigt, dass ein chronisches Schmerzsyndrom definitionsgemäß nicht mehr vorgelegen hat, nachdem die beim Kläger bestehenden Schmerzen auf körperliche Befunde in Gestalt arthrotischer Veränderungen der Kniegelenke und Verletzungsfolgen am Schultergelenk sowie einer beginnenden Schultergelenksarthrose zurückzuführen gewesen sind. Der Senat hält diese Einschätzung für überzeugend und legt sie daher seiner eigenen Urteilsbildung zugrunde.

Gegenteiliges ergibt sich nicht aus der sachverständigen Zeugenaussage der Dipl. Psych. G vom 25.11.2019, bei der der Kläger am 18.07.2019 – und damit zeitlich kurz nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens – einen einmaligen Gesprächstermin gehabt hatte. Zwar hat Dipl. Psych. G auf Grundlage dieses Gesprächs ausweislich der vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Behandlungsempfehlung vom 18.07.2019 die erneute Durchführung einer ambulanten Psychotherapie und einer stationären Rehabilitationsmaßnahme empfohlen. Der von Dipl. Psych. G erhobene psychische Befund hat sich im Vergleich zu der dem Bescheid vom 28.10.2014 zugrunde liegenden Sachlage jedoch wesentlich gebessert. Insbesondere haben der noch 2014 bestehende Konzentrationsverlust und der Verlust des Gedächtnisses sowie die eingeschränkte Schwingungsfähigkeit nicht mehr bestanden. Vielmehr ist der Kläger im Rahmen des Gesprächstermins am 18.07.2019 bewusstseinsklar gewesen und hat im Gespräch ein unauffälliges Gedächtnis und eine unauffällige Konzentrationsleistung sowie einen regelrechten Antrieb und eine erhaltene Schwingungsfähigkeit gehabt. Dem entspricht es, dass Dipl. Psych. G in diagnostischer Hinsicht auch keine depressive Verstimmung und kein chronisches Schmerzsyndrom mehr erhoben hat, sondern die Diagnose einer Neurasthenie gestellt hat.

Der zudem von ihr geäußerte Verdacht einer PTBS ist in der Folgezeit nicht bestätigt worden. Vielmehr hat der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H2, der den Kläger am 14.01.2020 und 18.02.2020 psychiatrisch behandelt hatte, eine PTBS ausdrücklich verneint. Dies ist angesichts des Umstandes, dass Dr. H2 kein Vermeidungsverhalten und keine Intrusionen hat eruieren können, der Kläger auch nur von gelegentlichen, seinen Motorradunfall von 2007 betreffenden Albträumen berichtet hat und damit die Diagnosekriterien einer PTBS keinesfalls im Vollbild vorgelegen haben, überzeugend, weshalb sich der Senat dieser Einschätzung anschließt und sie seiner Urteilsbildung zugrunde legt. Soweit Dr. H2 im Jahr 2020 nunmehr (wieder) eine depressive Störung diagnostiziert hat, steht dies bereits angesichts des zeitlichen Ablaufs einer wesentlichen Besserung des Gesundheitszustandes ab dem 02.06.2018 nicht entgegen. Im Übrigen hat Dr. H2 den Schweregrad der Erkrankung mit einem GdB von 20 als zutreffend erfasst angesehen, was mit dem von ihm erhobenen Befund eines „allenfalls leicht“ herabgestimmten Affektes vereinbar ist und einer gebesserten Situation entspricht.

(2) In Bezug auf die funktionellen Einschränkungen des Kniegelenks ist ausgehend von dem Gesundheitszustand, der dem Bescheid vom 28.10.2014 zugrunde gelegen hat, im Vergleich mit den Verhältnissen, die bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens über die Herabsetzung (Widerspruchsbescheid vom 11.06.2019) vorgelegen haben, keine wesentliche Änderung eingetreten. Die diesbezüglichen Funktionseinschränkungen hat der Beklagte zutreffend weiterhin mit einem GdB von 20 berücksichtigt.

Nach den VG, Teil B Nr. 18.14 sind Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0-0-90°) einseitig mit einem GdB von 0 bis 10 und beidseitig mit einem GdB von 10 bis 20, mittleren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0-10-90°) einseitig mit einem GdB von 20 und beidseitig mit einem GdB von 40, stärkeren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0-30-90°) einseitig mit einem GdB von 30 und beidseitig mit einem GdB von 50 zu bewerten. Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z. B. Chondromalacia patellae Stadium II - IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen, bedingen einseitig ohne Bewegungseinschränkung einen GdB von 10 bis 30, mit Bewegungseinschränkung einen GdB von 20 bis 40.

Der dem Bescheid vom 28.10.2014 zugrundeliegende Einzel-GdB von 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen „Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks“, hat, wie sich aus der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. A vom 06.10.2014 ergibt, insbesondere auf dem Befundbericht des Facharztes für Orthopädie Dr. E vom 16.09.2014 beruht. Nach diesem im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Bericht haben beim Kläger am 24.07.2014 am linken Kniegelenk eine hochgradige Varusgonarthrose, eine Retropatellararthrose und eine Chondrokalzinose, am rechten Kniegelenk eine beginnende bis mittelgradige Gonarthrose, eine Chondrokalzinose und ein leichter Kniegelenkserguss bestanden. Beidseits hat eine leichte Synovialitis bestanden. Das Zeichen nach Zohlen ist beidseits, die Innenmeniskuszeichen sind links positiv gewesen, ebenso hat beidseits ein retropatellarer Verschiebeschmerz und eine Krepitation bei Kniegelenksbewegungen bestanden. Die Beweglichkeit für Extension/Flexion rechts hat 5/0/140° und links 0/0/130° betragen. Zudem hat rechts ein Seitenbandhalt mit lateraler Aufklappbarkeit bei 30° rechts 2+ bestanden.

Ausweislich des im Wege des Urkundsbeweises verwerten Befundberichts des Prof. Dr. O vom 13.09.2019 über die Behandlung des Klägers am 10.09.2019 – und damit nur kurze Zeit nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens am 11.06.2019 – haben diese Gesundheitsstörungen im Wesentlichen fortbestanden. Weiterhin hat an beiden Kniegelenken eine Gonarthrose bestanden, beidseits hat ein retropatellares Reiben und ein Patellaverschiebeschmerz bestanden. Die Beweglichkeit für Extension/Flexion hat beidseits 0/0/130° betragen. Dies entspricht im Wesentlichen den ebenfalls ab September 2019 erhobenen – das rechte Knie betreffenden – Befunden des Prof. Dr. H1. Ausweislich dessen sachverständiger Zeugenaussage hat eine bei einer Extension/Flexion von 5/0/140° freie Kniegelenksbeweglichkeit bestanden. Zudem hat im rechten Kniegelenk eine noduläre Synovitis, ein interossäres Ganglion am Tibiakopf, eine chronische anterolaterale Instabilität, ein deutlicher Erguss und ein bis zu drittgradiger Knorpelschaden bestanden.

Eine GdB-relevante Bewegungseinschränkung hat damit weder 2014 noch zu dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Herabsetzungsentscheidung bestanden. Insofern ist es für die Rechtmäßigkeit der Herabsetzungsentscheidung irrelevant, dass Dr. W in dem Bericht vom 15.12.2017 angegeben hat, eine Kniegelenksflexion sei ab 90° schmerzbedingt kaum möglich.

Die ausgeprägten Knorpelschäden, die im Zeitpunkt der Herabsetzungsentscheidung wie auch 2014 mit anhaltenden Reizerscheinungen in Gestalt von retropatellarem Reiben, Patellarverschiebschmerz und Kniegelenkserguss rechts einhergegangen sind, hat der Beklagte, nachdem weiterhin eine im Wesentlichen freie Beweglichkeit bestanden hat, zutreffend mit einem GdB von 20 berücksichtigt.

Eine weitere Erhöhung des GdB für das Funktionssystem „Beine“ aufgrund der Seitenbandlockerung kommt nicht in Betracht. Nach den VG, Teil B Nr. 18.14 bedingt eine muskulär kompensierbare Lockerung des Kniebandappartes einen GdB von 10, eine unvollständig kompensierbare, mit Gangunsicherheiten verbundene Lockerung einen GdB von 20 und eine mit einem Stützapparat zu versorgende Lockerung je nach Achsfehlstellung einen GdB von 30 bis 50. Da die Lockerung des Kniebandapparates vorliegend weder eine Versorgung mit einem Stützapparat erfordert und sich auch keine Gangunsicherheit feststellen lässt, nachdem Prof. Dr. H1 ein freies, nicht hinkendes Gangbild dokumentiert hat, ist diese Funktionseinschränkung mit einem sich nicht erhöhend auswirkenden GdB von 10 ausreichend bewertet.

(3) Die im Funktionssystem „Arme“ bestehenden Funktionseinschränkungen, insbesondere des linken Schultergelenks, hat der Beklagte weiterhin hinreichend mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt.

Nach VG, Teil B Nr. 18.13 sind Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) bei einer Armhebung nur bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 10 und bei einer Armhebung nur bis zu 90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 20 zu bewerten.

Ausweislich des Befundberichts des Prof. Dr. S vom 01.02.2015 hat beim Kläger eine Rotatorenmanschettenruptur links bestanden, die am 30.01.2015 operativ versorgt worden ist. Präoperativ hat eine Schultergelenksbeweglichkeit mit einer Armhebung nur unter 90° bestanden, was einen GdB von 20 bedingt. Wenngleich zu erwarten ist, dass durch die Operation eine Besserung der Beweglichkeit eingetreten ist – was sich mangels entsprechender fachärztlicher Befunde nicht feststellen lässt – ist der insoweit vom Beklagten berücksichtigte GdB von 20 jedenfalls nicht zu gering bemessen.

(4) Die im Funktionssystem „Augen“ bestehenden Funktionseinschränkungen hat der Beklagte zutreffend weiterhin mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet. Ausgehend von dem Gesundheitszustand, der dem Bescheid vom 28.10.2014 zugrunde gelegen hat, ist im Vergleich mit den Verhältnissen, die bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens über die Herabsetzung bestanden haben (Widerspruchsbescheid vom 11.06.2019), keine wesentliche Änderung eingetreten. Ausweislich der dem Bescheid vom 28.10.2014 zugrundeliegenden versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. A vom 06.10.2014 hat die damalige Bewertung auf dem Gutachten des Prof. Dr. K vom 23.06.2010 beruht. Hiernach haben beim Kläger nach dem Motorradunfall im Jahr 2007 latent vorhandene Doppelbilder und Verschwommensehen beim Blick nach rechts bestanden. Eine Änderung dieser Funktionsstörungen ist nicht eingetreten und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht.

Die Berücksichtigung dieser Funktionseinschränkungen mit einem GdB von 10 ist nicht zu beanstanden. Nach den VG, Teil B Nr. 4.4. ergibt sich der GdB bei Doppelbildern nur in einigen Blickfeldbereichen bei sonst normalem Binokularsehen aus dem Schema von Haase und Steinhorst. Danach sind hinsichtlich des Blicks nach rechts außen Doppelbilder mit einem GdB von 10 bis 15 zu bewerten. Nachdem die Doppelbilder nur zeitweilig auftreten und demnach nur leichtere Einschränkungen verursachen, ist eine Bewertung mit einem GdB von 10 ausreichend.

(5) Soweit Dr. W in seiner sachverständigen Zeugenaussage von einem bislang nicht berücksichtigten Bluthochdruck berichtet hat, der sich nach Januar 2018 entwickelt hat und am 07.05.2018 bei 150/100 mmHg gelegen hat, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Herabsetzungsentscheidung, weil diese Gesundheitsstörung höchstens mit einem sich nicht erhöhend auswirkenden GdB von 10 zu bewerten ist. Nach den VG, Teil B Nr. 9.3 ist eine leichte Form der Hypertonie – keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigungen (höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) – mit einem GdB von 0 bis 10, eine mittelschwere Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen – Fundus hypertonicus I bis II – und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung, je nach Leistungsbeeinträchtigung mit einem GdB von 20 bis 40 zu bewerten. Da sich vorliegend weder eine Organbeteiligung feststellen lässt, noch ein diastolischer Blutdruck von mehrfach über 100 mmHG vorgelegen hat, kommt insoweit ein höherer GdB als 10 nicht in Betracht.

(6) Soweit der Kläger im Berufungsverfahren mehrere Befundberichte des Kreiskrankenhauses Lörrach, Unfallchirurgie, über eine vom 12.06.2020 bis zum 07.08.2020 erfolgte stationäre Behandlung wegen der Folgen eines im Juni 2020 erlittenen Motorradunfalls in Gestalt von dislozierter, mehrfragmentärer Tibiakopffraktur rechts, postoperativem, implantatassoziierten Wundinfekt, fissurale Fraktur des Taluskopfes rechts, commotio cerebri, leichte postoperative Blutungsanämie, postoperative Anpassungs-/Belastungsreaktion bei komplikativem Verlauf vorgelegt hat, können die hieraus folgenden Funktionseinschränkungen im vorliegenden Verfahren keine Berücksichtigung finden, weil sie nach dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt (Widerspruchsbescheid vom 11.06.2019) eingetreten sind.

dd) Den Gesamt-GdB hat der Beklagte ausgehend von einem Einzel-GdB von 20 für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“, einem sich um 10 erhöhend auswirkenden Einzel-GdB von 20 für das Funktionssystem „Beine“, einem sich ebenfalls um 10 erhöhend auswirkenden Einzel-GdB von 20 für das Funktionssystem „Arme“ sowie einem sich nicht erhöhend auswirkenden Einzel-GdB von 10 für das Funktionssystem „Augen“ und einem sich nicht erhöhend auswirkenden Einzel-GdB von 10 für das Funktionssystem „Herz-Kreislauf“ zutreffend mit 40 gebildet.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.

 

Rechtskraft
Aus
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