Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23.06.2021 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren endgültig auf 20.446,18 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von 20.446,18 € wegen der Kosten für eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie für einen Eingliederungszuschuss.
Der 1963 geborene N (nachfolgend: Versicherter) ist bei der Klägerin gesetzlich unfallversichert und bei der Beklagten gesetzlich rentenversichert. Er erlitt am 12.09.2016 bei seiner beruflichen Tätigkeit als Schalungsbauer einen Arbeitsunfall, bei dem er sich eine Distorsion des oberen Sprunggelenks rechts mit kompletter Ruptur des Ligamentum fibulotalare anterius, des Ligamentum fibulocalcaneare sowie des Ligamentum tibiotalare anterius zuzog, wobei unfallunabhängig seit der Geburt eine distale Myopathie (Krankheit mit strukturellen Veränderungen oder funktionellen Beeinträchtigungen der betroffenen Muskeln) des Fußes unklarer Genese und eine Polyneuropathie bestanden.
Vom 22.11.2016 bis zum 29.12.2016 befand sich der Versicherte in einer von der Beklagten gewährten stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in N1. Im Entlassungsbericht vom 16.01.2017 werden eine distale Myopathie, molekular bislang noch nicht zugeordnet, ein Verdacht auf eine Enzephalomyelitis disseminata sowie eine Lumbago und Ischialgien beidseits gestellt.
Die Klägerin übernahm zunächst die Behandlungskosten. Trotz umfangreicher Therapien konnten die beim Versicherten fortbestehenden Schmerzen nicht wesentlich gebessert werden. B stellte im schmerztherapeutischen Abschlussbericht vom 20.09.2017 über die stationäre schmerztherapeutische Behandlung vom 20.08.2017 bis zum 20.09.2017 unter anderem fest, beim Versicherten würden sich unfallunabhängige und unfallabhängige Erkrankungen mischen. Seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Schalungsbauer könne er schmerzbedingt nicht mehr verrichten.
Die Klägerin teilte dem Versicherten in einem Telefonat vom 26.10.2017 mit, dass die Behandlung und die berufliche Wiedereingliederung zunächst über die Klägerin liefen, auch wenn sie eventuell nicht zuständig sei. Es sei eine Zusammenhangsbegutachtung erforderlich. Diese gab die Klägerin mit Schreiben vom 07.11.2017 an O in Auftrag. Im Rahmen einer Betriebsbesichtigung am 17.11.2017 wurde festgestellt, dass der Versicherte seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht weiter verrichten könne und auch eine innerbetriebliche Umsetzung nicht möglich sei.
Mit Schreiben vom 30.11.2017 teilte die Klägerin der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd mit, es könne derzeit nicht sicher beurteilt werden, ob die Einschränkungen des Versicherten am rechten Fuß als Folge des Arbeitsunfalls anzusehen seien. Im Interesse einer schnellen Versorgung des Versicherten erbringe sie als erstangegangener Rehabilitationsträger „trotz geringer Zweifel“ die Leistung selbst. Sollte ein Verbleib am Arbeitsplatz nicht möglich sein, werde sie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) in Form von Hilfen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes, Eingliederungshilfen und ggf. eine Integrationsmaßnahme mit Anspruch auf Übergangsgeld gewähren. Vorsorglich werde schon ein Erstattungsanspruch angemeldet.
Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 29.12.2017 mit, das sie das Schreiben vom 30.11.2017 zur Kenntnis genommen habe. Nach Abschluss der Ermittlungen erwarte sie den Eingang weiterer Nachricht von der Klägerin.
Die Klägerin gewährte dem Versicherten mit Bewilligungsbescheid vom 11.01.2018 für die Zeit vom 15.01.2018 bis 10.08.2018 eine LTA in Form einer Integrationsmaßnahme und wendete hierfür einschließlich Fahrtkosten und Übergangsgeld zzgl. Sozialversicherungsbeiträge insgesamt 18.711,10 € auf. Außerdem gewährte die Klägerin dem Versicherten für Oktober bis Dezember 2018 einen Eingliederungszuschuss in Höhe von 1.735,08 €.
Mit Schreiben vom 11.01.2018 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie dem Versicherten eine LTA vom 15.01.2018 bis zum 10.08.2018 gewährt habe und meldete unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 30.11.2017 einen Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 SGB IX an.
Im Zusammenhangsgutachten vom 16.08.2018 gelangte O unter Einbeziehung eines neurologischen Zusatzgutachtens von M vom 17.01.2018 zum Ergebnis, die beim Versicherten fortbestehenden Beschwerden seien nicht wesentlich auf den Arbeitsunfall vom 12.09.2016 zurückzuführen, sondern auf die vorbestehende distale Myopathie mit Polyneuropathie.
Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 26.09.2018 mit, dass sie – unabhängig von den weiteren Ermittlungen der Klägerin - einen Erstattungsanspruch zurückweise. Als erstangegangener Rehabilitationsträger sei die Klägerin nach § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden alten Fassung (a.F.) zur fristgerechten Weiterlei-tung verpflichtet gewesen. Die Möglichkeit, trotz geringer Zweifel an der eigenen Zuständigkeit als erstangegangener Rehabilitationsträger Leistungen zu erbringen, sei durch die Aufkündigung der entsprechenden Vereinbarung durch den GKV-Spitzenverband zum 31. Dezember 2012 entfallen (Schreiben der Beklagten vom 26. September 2018).
Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 17.10.2018 unter Hinweis auf das Ergebnis der Begutachtung zur Erstattung von 18.711,10 € für die dem Versicherten gewährte LTA. Gleichzeitig kündigte sie die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs wegen eines Eingliederungszuschusses an, sobald dessen Höhe feststehe. Dass die Beklagte den Erstattungsanspruch aus formellen Gründen ablehne, werde von ihr nicht akzeptiert. Die Gewährung der LTA sei zur schnellen Versorgung des Versicherten erfolgt.
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 29.10.2018 die Erstattung aus den bereits genannten Gründen ab. Durch die unterbliebene Weiterleitung sei die Klägerin ohne Erstattungsmöglichkeit formal zuständig geworden.
Die Klägerin entgegnete mit Schreiben vom 21.11.2018, dass bei irrtümlicher Annahme der Zuständigkeit ein Erstattungsanspruch nach § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bestehe. Ausgeschlossen sei ein Erstattungsanspruch nur bei Leistung in Kenntnis der Unzuständigkeit, was vorliegend nicht der Fall gewesen sei.
Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 10.12.2018 mit, dass die irrtümliche Annahme einer Zuständigkeit eine abschließende Prüfung und Feststellung der Zuständigkeit innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a.F. voraussetze. Eine solche Prüfung habe bei der Klägerin nicht stattgefunden. Vielmehr habe die Klägerin ihre Unzuständigkeit erst nach länger andauernden Ermittlungen festgestellt.
Mit Schreiben vom 21.02.2019 verwies die Klägerin auf § 16 Abs. 4 SGB IX, welcher durch die Änderung des Bundesteilhabegesetzes einschlägig sei. Danach bestehe ein Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X, wenn ein Rehabilitationsträger von der Weiterleitung des Antrages abgesehen habe, weil zum Zeitpunkt der Prüfung nach § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IX Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit aufgrund der Ursache der Behinderung bestanden habe.
Die Klägerin bezifferte mit Schreiben vom 06.03.2019 gegenüber der Beklagten den Eingliederungszuschuss für Oktober bis Dezember 2018 auf 1.735,08 € und machte auch diesen Betrag als Erstattungsforderung geltend.
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 10.04.2019 die Erstattung nochmals ab und verwies auf § 301 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, wonach für LTA jeweils bis zu deren Ende die Vorschriften weiter anzuwenden seien, die im Zeitpunkt der Antragstellung, oder, wenn den Leistungen ein Antrag nicht vorausging, der Inanspruchnahme galten. Demnach finde im vorliegenden Fall in Ermangelung entsprechender Übergangsregelungen im BTHG bzw. SGB IX n.F. die Regelung des § 14 Abs. 4 Satz 3 SGB IX idF bis zum 31.12.2017 Anwendung, wonach ein Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X für erstangegangene Träger, die nicht weitergeleitet haben, ausgeschlossen ist.
Die Klägerin hat am 14.06.2019 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und hat die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung von insgesamt 20.446,18 € begehrt. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der Leistungserbringung noch keine konkreten Anhaltspunkte für ihre Unzuständigkeit vorgelegen hätten. Aufgrund des Arbeitsunfalls vom 12.09.2016 habe sie zunächst von ihrer originären Zuständigkeit ausgehen müssen. Diese Annahme habe sich im Nachhinein als irrig herausgestellt. Als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung habe sie Ansprüche antragsunabhängig von Amts wegen zu prüfen. Einen Antrag habe der Versicherte nicht gestellt. Die Klägerin hat im Übrigen auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26.06.2007 (B 1 KR 34/06 R, juris) verwiesen. Die Auffassung der Beklagten, ein Antrag müsse auch bei geringen Zweifeln weitergeleitet werden, habe genau den Effekt, der im Urteil des BSG als nicht gewollt und entgegen der Absichten des Gesetzgebers dargestellt werde. Die zum Schutz der Versicherten eingeführte Regelung würde in ihr Gegenteil verkehrt. Auch sei im vorliegenden Fall, in dem die Prüfung der Ansprüche von Amts wegen erfolge, von einer fiktiven Antragstellung auszugehen. Anlässlich des Betriebsbesuches vom 17.11.2017 sei geklärt worden, dass eine Weiterbeschäftigung beim bisherigen Arbeitgeber nicht möglich sei. Ab diesem Zeitpunkt sei davon auszugehen gewesen, dass LTA zu gewähren sind. Es sei daher eine Entscheidung über die Zuständigkeit innerhalb der Zweiwochenfrist erfolgt.
Die Beklagte hat zur Klageerwiderung vorgetragen, dass der Erstattungsanspruch der Klägerin an der unterbliebenen Zuständigkeitsprüfung innerhalb von zwei Wochen scheitere. Auch bei geringen Zweifeln hätte die Klägerin den Antrag weiterleiten müssen. Der Umstand, dass die Klägerin Leistungen von Amts wegen erbringe, führe zu keinem anderen Ergebnis. An die Stelle des Antrags trete der Zeitpunkt, zu dem der Unfallversicherungsträger vom Rehabilitationsbedarf Kenntnis erhalte. Die Klägerin nehme für sich in Anspruch, die Regelungen des § 14 Abs. 1 SGB IX a.F. nicht gegen sich gelten lassen zu müssen und meine zugleich, mit dem von ihr praktizierten Verfahren den sachlich zuständigen anderen Rehabilitationsträgern ihr eigenes Leistungsszenario aufzwingen zu können. Die Beklagte hat auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Hamburg vom 28.08.2019 (L 2 U 12/19, juris) verwiesen.
Das SG hat am 18.02.2021 einen Erörterungstermin durchgeführt.
Das SG hat mit Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG vom 23.06.2021 die Beklagte zur Zahlung von 20.446,18 € an die Klägerin verurteilt. Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch sei § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X. § 14 Abs. 4 SGB IX in der hier anzuwendenden bis 31. Dezember 2017 geltenden alten Fassung (a.F.) schließe die Anwendung des § 104 SGB X nicht aus. Die Vorschrift in dieser Fassung sei anwendbar, da der Rehabilitationsbedarf des Versicherten bereits Ende 2017 für die Klägerin erkennbar vorgelegen habe. § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. lasse grundsätzlich die Erstattungsregelungen der §§ 102 ff. SGB X unberührt, verdränge sie nur teilweise und begründe im Zusammenspiel mit § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX a.F. eine nachrangige Zuständigkeit.
Die Beklagte verkenne vor allem, dass die Regelungen in § 14 SGB IX a.F. allein dem Schutz des Versicherten durch rasche Klärung des für ihn zuständigen Rehabilitationsträgers (im Außenverhältnis) dienten. Der Ausschluss eines Erstattungsanspruchs bei irrtümlicher Annahme der Zuständigkeit durch einen Rehabilitationsträger würde dem gerade zuwiderlaufen. Eine unterbliebene Weiterleitung führe daher — auch bei noch nicht abschließender Prüfung der Zuständigkeit — allein dazu, dass der erstangegangene Rehabilitationsträger im Verhältnis zum Versicherten formal zuständig werde und bleibe, nicht jedoch zu einem Ausschluss eines Erstattungsanspruchs gegen den materiell zuständigen Rehabilitationsträger. Der abweichenden Rechtsauffassung des Landessozialgerichts Hamburg im Urteil vom 28.08.2019 (L 2 U 12/19) folge das SG daher nicht.
Die Klägerin habe im vorliegenden Fall auch ersichtlich nicht zielgerichtet in die Zuständigkeit der Beklagten eingegriffen. Zum Zeitpunkt ihrer Leistungserbringung hätten zwar aufgrund der Vorerkrankung des Versicherten Zweifel an ihrer Zuständigkeit bestanden, jedoch sei es zu diesem Zeitpunkt zumindest wahrscheinlich gewesen, dass die anhaltenden Beschwerden des Versicherten nicht wesentlich auf die Vorerkrankung, sondern auf die Auswirkungen des Unfalls zurückzuführen waren. Eine endgültige Klärung habe nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist erfolgen können, sondern erst durch Einholung eines Zusammenhangsgutachten.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 29.06.2021 zugestellte Urteil am 08.07.2021 Berufung beim LSG Baden – Württemberg eingelegt. Zur Berufungsbegründung hat die Beklagte vorgetragen, dass das SG in seinem Urteil auf die maßgebliche Argumentation der Beklagten, die Klägerin habe es vorwerfbar unterlassen, überhaupt eine Zuständigkeitsprüfung vorzunehmen, nicht eingegangen sei. Woraus genau sich ergebe, dass die Ursache der gesundheitlichen Einschränkungen "zumindest wahrscheinlich" das Unfallgeschehen gewesen sei und inwiefern sich daraus eine Leistungspflicht in sachlicher Zuständigkeit der Klägerin ergeben haben soll, werde nicht dargelegt. So habe die Klägerin ihre Zuständigkeit gerade nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX abschließend geprüft und bejaht, sondern bereits bei Erteilung der Kostenübernahmeerklärung vom 11.01.2018 ihre Zweifel an ihrer sachlichen Zuständigkeit zum Ausdruck gebracht und sodann erst im Ergebnis eines länger währenden Ermittlungsverfahrens erstmals mit Gutachten vom 16.08.2018 festgestellt, dass die Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch die Unfallversicherung nicht gegeben waren.
Eine aus den Regelungen des § 14 Abs. 1 S. 1 sowie Abs. 2 S. 1 und 2 SGB IX resultierende nachrangige Zuständigkeit im Sinne von § 104 SGB X wegen irrtümlich festgestellter Zuständigkeit sei daher nicht begründet worden. Nachrangigkeit im Sinne von § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X setze voraus, dass zunächst eine entsprechende Leistungsverpflichtung festgestellt wurde. Die Norm könne demnach nur zur Anwendung kommen, wenn der eine Erstattung Begehrende seine Zuständigkeit irrtümlich angenommen hätte, so auch das BSG im Urteil B 1 KR 34/06 R vom 26.06.2007. Irrtümlichkeit setze in diesem Zusammenhang indes voraus, dass eine Zuständigkeit überhaupt einmal, und zwar innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX abschließend geprüft und festgestellt wurde. Eine solche Prüfung und Feststellung sei vorliegend nicht dokumentiert.
Die Klägerin habe ihre Zuständigkeit nicht irrtümlich angenommen. Eine Bedarfsidentifizierung sei keine Zuständigkeitsklärung. Das Urteil des LSG Hamburg vom 28.08.2019 (L 2 U 12/19) sei zu einem Fall ergangen, für den das SGB IX i.d.F. bis 31.12.2017 zur Anwendung komme. Dies treffe nach Auffassung der Beklagten auch auf den vorliegenden Fall zu. Auch hier habe die Klägerin es unterlassen, eine Zuständigkeitsprüfung vorzunehmen und mit den gleichwohl unter ihrer Regie erbrachten Leistungen in die sachliche Zuständigkeit der Beklagten eingegriffen. Von Irrtümlichkeit könne vor diesem Hintergrund nicht ausgegangen werden. Ergänzend sei noch zu erwähnen, dass die bei der Klägerin bestehenden Zweifel an der Zuständigkeit wohl erheblich genug gewesen seien, dass sie zu einer Anmeldung eines Erstattungsanspruchs, und zwar bereits weit vor der Bewilligung und Durchführung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben führten. Es sei ein Indiz dafür, dass die Klägerin ihre Zuständigkeit weder geprüft noch festgestellt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23.06.2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hat zur Berufungserwiderung unter Wiederholung und Vertiefung des bisherigen Vorbringens vorgetragen, dass zum Zeitpunkt des Betriebsgesprächs vom 17.11.2017, als sich aufgrund der darstellenden Verhältnisse die Notwendigkeit der Prüfung von Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben ergeben habe, keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass diese nicht durch die Folgen des Unfalls vom 12.09.2016 bedingt wären. Diese Annahme habe sich jedoch im Nachhinein als irrig herausgestellt. Die Argumentation, dass die Anmeldung eines Erstattungsanspruchs allein belegen würde, dass erhebliche Zweifel an der Zuständigkeit bestünden, und die Anmeldung vor der Bewilligung und Durchführung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dokumentieren würde, dass die Klägerin ihre Zuständigkeit weder geprüft noch festgestellt habe, sei schlicht nicht nachvollziehbar. Es sei gängige Praxis zwischen den Sozialversicherungsträgern, Erstattungsansprüche frühzeitig anzumelden, auch wenn keine erheblichen Zweifel an der eigenen Zuständigkeit beständen. Insbesondere stelle aber die Anmeldung eines Erstattungsanspruchs in keiner Weise die Dokumentation der Nichtexistenz eines Prüfungsvorgangs dar.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Die Klage auf Erstattung von 20.446,18 € ist als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) ohne vorherige Durchführung eines Vorverfahrens statthaft, weil aufgrund des zwischen den Beteiligten bestehenden Gleichordnungsverhältnisses ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2014 - B 8 SO 19/13 R -, juris, RdNr. 9).
Das SG hat der Erstattungsklage der Klägerin zu Recht stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 20.446,18 € verurteilt. Zutreffend führt das SG auch unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 17.02.2010 - B 1 KR 23/09 R sowie Urteil vom 26.06.2007 - B 1 KR 34/06 R, beide juris) aus, dass § 14 Abs. 4 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden alten Fassung (a.F.) die Anwendung des § 104 SGB X nicht ausschließt. Die Vorschrift in dieser Fassung ist anwendbar, da der Rehabilitationsbedarf des Versicherten bereits Ende 2017 für die Klägerin erkennbar vorlag. § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. lässt grundsätzlich die Erstattungsregelungen der §§ 102 ff. SGB X unberührt, verdrängt sie nur teilweise und begründet im Zusammenspiel mit § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX a.F. eine nachrangige Zuständigkeit. Auch der Senat folgt der Rechtsprechung des BSG und legt § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X als Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch zugrunde Danach ist in dem Fall, in dem ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne das die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 (SGB X) vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
Des Weiteren weist das SG auch zu Recht darauf hin, dass eine unterbliebene Weiterleitung — auch bei noch nicht abschließender Prüfung der Zuständigkeit — allein dazu führt, dass der erstangegangene Rehabilitationsträger im Verhältnis zum Versicherten formal zuständig wird und bleibt, nicht jedoch zu einem Ausschluss eines Erstattungsanspruchs gegen den materiell zuständigen Rehabilitationsträger, da die Regelungen in § 14 SGB IX a.F. allein dem Schutz des Versicherten durch rasche Klärung des für ihn zuständigen Rehabilitationsträger (im Außenverhältnis) dienen. Der Ausschluss eines Erstattungsanspruchs bei irrtümlicher Annahme der Zuständigkeit durch einen Rehabilitationsträger würde dem gerade zuwiderlaufen. Auch stellt das SG zutreffend fest, dass die Klägerin im vorliegenden Fall auch ersichtlich nicht zielgerichtet in die Zuständigkeit der Beklagten eingegriffen hat. Zum Zeitpunkt ihrer Leistungserbringung bestanden zwar aufgrund der Vorerkrankung des Versicherten Zweifel an ihrer Zuständigkeit, jedoch war es zu diesem Zeitpunkt zumindest wahrscheinlich, dass die anhaltenden Beschwerden des Versicherten nicht wesentlich auf die Vorerkrankung, sondern auf die Auswirkungen des Unfalls zurückzuführen waren. Eine endgültige Klärung konnte nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist erfolgen, sondern erst durch Einholung eines Zusammenhangsgutachten. Der Senat folgt somit der Begründung der angefochtenen Entscheidung und sieht daher nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Lediglich ergänzend führt der Senat aus, dass aus dem Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren keine anderweitige Bewertung des Sachverhaltes folgt.
Soweit die Beklagte darauf verweist, dass die Klägerin ihre Zuständigkeit gerade nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX abschließend geprüft und bejaht habe, sondern bereits bei Erteilung der Kostenübernahmeerklärung vom 11.01.2018 ihre Zweifel an ihrer sachlichen Zuständigkeit zum Ausdruck gebracht und sodann erst im Ergebnis eines länger währenden Ermittlungsverfahrens erstmals mit Gutachten vom 16.08.2018 festgestellt habe, dass die Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch die Unfallversicherung nicht gegeben waren, führt dies nicht zum Ausschluss eines Erstattungsanspruches gegenüber der Beklagten. Eine unterlassene Weiterleitung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX begründet lediglich die Zuständigkeit des erstangegangenen Trägers gegenüber dem Versicherten, hat jedoch keine Auswirkungen im Innenverhältnis zwischen den Trägern und schließt insbesondere ein nachfolgendes Erstattungsbegehren nicht aus (vgl. Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 14 SGB IX, Rdnr. 95ff).
Die in § 14 Abs. 1-3 SGB IX enthaltenen Verpflichtungen gelten nach § 14 Abs. 4 SGB IX für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sinngemäß (vgl. hierzu und im Folgenden Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 14 SGB IX, Rdnr. 123 sowie BSG, Urteil vom 17.02.2010 –, juris Rdnr. 15ff.). In diesen Fällen entspricht dem Tag des Antragseingangs der Tag, an dem der Träger Kenntnis von einem voraussichtlichen Rehabilitationsbedarf erlangt. Dies war vorliegend am 17.11.2017, dem Tag der Betriebsbesichtigung der Fall, in der klar wurde, dass die bisherige Tätigkeit nicht mehr weiter ausgeübt werden kann und auch eine innerbetriebliche Umsetzung nicht möglich ist. Ab diesem Zeitpunkt konnte die Klägerin erkennen, dass eine berufliche Rehabilitation voraussichtlich erforderlich ist, auch wenn der konkrete Bedarf noch weiter abzuklären war.
Vorliegend ist zu beachten, dass die Klägerin ihre Leistungen von Amts wegen nach Eingang einer Unfallanzeige erbringt und bereits aus diesem Grund bereits vor der Feststellung des Bedarfs für eine Leistung zur Teilhabe bereits aus Sicht des Versicherten der zunächst handelnde Träger war. Der Ablauf im vorliegenden Fall entspricht dem üblichen Ablauf, in dem nach Meldung eines Unfallereignisses zunächst der zuständige Unfallversicherungsträger die Heilbehandlung und somit die Leistungen erbringt und sich auch infolge der oftmals schwierigen Kausalitätsbeurteilung erst im Nachhinein herausstellt, dass für die Leistungen – ganz oder teilweise bzw. ab einem gewissen Zeitpunkt – ein anderer Träger zuständig war oder geworden ist. Ein Gutachten zur Beurteilung der Zusammenhangsfrage kann erst nach Abschluss der Heilbehandlung bzw. Erreichen eines gewissen Heilungszustandes in die Wege geleitet werden. Die Klärung der tatsächlichen Zuständigkeit ist somit erst nach Eingang des Gutachtens möglich. In der Einholung des Gutachtens liegt jedoch zugleich die Zuständigkeitsprüfung der Klägerin. Insofern geht der Einwand der Beklagten fehl, dass die Klägerin ihre Zuständigkeit weder geprüft noch festgestellt habe. Zur Prüfung und Feststellung bedurfte es vorliegend eines Gutachtens. Dies bedeutet, dass die Klägerin auch am 17.11.2017, als der Bedarf für eine berufliche Rehabilitation erkennbar wurde, ihre tatsächliche Zuständigkeit für diese Leistung noch nicht sicher beurteilen konnte. Die Klägerin hatte jedoch bereits am 07.11.2017 eine Begutachtung in Auftrag gegeben und somit die erforderlichen Schritte für die Klärung der Zuständigkeit unternommen. Die Klägerin konnte insbesondere auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher ausschließen, dass der Rehabilitationsbedarf rechtlich wesentlich durch die Unfallfolgen verursachte worden ist, insofern hat sie auch ihre vorläufig eingestandene Zuständigkeit im Nachhinein irrtümlich angenommen.
Dem Erstattungsbegehren steht auch nicht die Anmeldung des Erstattungsanspruches durch das Schreiben der Klägerin vom 30.11.2017 an die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd entgegen, welches diese an die Beklagte weitergeleitet hat. Dass der Klägerin bewusst war, dass sie möglicherweise nicht zuständig ist, schließt – ebenso wie eine vorsorgliche Anmeldung eines Erstattungsanspruches –diesen nicht aus.
Die Klägerin hat auch nicht ihre Zuständigkeit geprüft und verneint und dennoch geleistet, so dass sie zielgerichtet in fremde Zuständigkeiten eingegriffen und das Weiterleitungsgebot des § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX missachtet hat (vgl. hierzu LSG Hamburg, Urteil vom 30.06.2020 – L 3 R 135/18 –, juris Rdnr. 40). Die endgültige Zuständigkeit der Beklagten stand erst mit dem Gutachten von O vom 16.08.2018 fest, welches die Klägerin zur Prüfung der Kausalität des Unfallereignisses für die fortbestehenden Beschwerden und somit zur Feststellung der Zuständigkeit bereits am 07.11.2017 in Auftrag gegeben hatte. Im Zeitpunkt der Erbringung der LTA war die Prüfung der Zuständigkeit zwar bereits eingeleitet, konnte jedoch noch nicht endgültig geklärt werden. Eine Leistung trotz sicherer Kenntnis der Unzuständigkeit und Eingriff in fremde Zuständigkeiten ist somit nicht gegeben. Aus der von der Beklagten genannten Rechtsprechung (vgl. LSG Hamburg, a.a.O sowie LSG Hamburg, Urteil vom 28.08.2019 - L 2 U 12/19 -, juris Rdnr. 35ff) folgt daher kein Ausschluss des Erstattungsanspruches nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X im vorliegenden Fall.
Auch die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 3 SGB IX steht dem nicht entgegen. Danach ist der Antrag dem Rehabilitationsträger zuzuleiten, der die Leistung ohne Rücksicht auf die Ursache erbringt, wenn die Zuständigkeit von der Ursache der Behinderung abhängt und dies nicht innerhalb der Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX geklärt werden kann (vgl. Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 14 SGB IX, Rdnr. 93). Die Regelung ist auf die kausalen Systeme der Unfallversicherung und sozialen Entschädigung zugeschnitten, bei denen bestimmte äußere Schädigungsursachen (z.B. die äußere Einwirkung i.S.v. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII beim Arbeitsunfall oder die beruflichen Einwirkungen i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII bei der Berufskrankheit) die Zuständigkeit begründen. In der Sache handelt es sich um eine gesetzliche Vermutung, dass die Prüfung z.B. der beruflichen oder wehrdienstbedingten Schädigung zu einem negativen Ergebnis führt und die Weiterleitung an den dann zuständigen Träger zu erfolgen hat. Die Klägerin hätte zwar danach den Antrag an die Beklagte weiterleiten können. Eine Rechtfertigung für den Ausschluss des Erstattungsbegehrens bei Nichtweiterleitung wird hierdurch jedoch nicht begründet.
Die weiteren Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind vorliegend erfüllt. Bezüglich des Umfangs des Erstattungsanspruches nach § 104 Abs. 3 SGB X führt das SG zutreffend aus, dass nach den Angaben der Beklagten ihr für die streitgegenständlichen Leistungen dieselben Kosten entstanden wären wie der Klägerin.
Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.